Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutsche NS-Zwangsarbeit Arbeitslager - Misshandlung - Arbeitsamt Deutsche Arbeitsfront - Gewerbeaufsicht NS-Zwangsarbeit Bundesentschädigungsgesetz Deutscher Bundestag Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Sinti und Roma Ostende Zwangsarbeit Sonderabgabe (Deutschland) Vernichtung durch Arbeit Nationalsozialismus Fahrendes Volk Homosexualität Schutzhaft Konzentrationslager Arbeitslager Misshandlung Aktion „Arbeitsscheu Reich“ Service du travail obligatoire Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges Haager Landkriegsordnung Zeit des Nationalsozialismus Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes Rassenschande Oberkommando der Wehrmacht Ausländerkinder-Pflegestätte Reichsführer SS Endphaseverbrechen Todesmärsche von KZ-Häftlingen Zwangsarbeitslager Ohrdruf Internationaler Suchdienst Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Reichsarbeitsministerium Arbeitsamt Deutsche Arbeitsfront Page 1
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gewerbeaufsicht Friedrich Krupp AG Daimler-Benz Dynamit Nobel Friedrich Flick Günther Quandt I.G. Farben Buna-Werke KZ Auschwitz III Monowitz Oskar Schindler Walter Többens Deutsche Erd- und Steinwerke SS-Hauptämter KZ Neuengamme Arbeitskreis MUNA Lübberstedt Lufthauptmunitionsanstalt Lübberstedt NS-Zwangsarbeit im Raum Berlin NS-Zwangsarbeit in Bochum und Wattenscheid Nationalsozialismus in Bremerhaven NS-Zwangsarbeit im Bereich Büdingen NS-Zwangsarbeit im Raum Hamburg NS-Zwangsarbeit in Hattingen NS-Zwangsarbeit in Kiel NS-Zwangsarbeit im Münsterland NS-Zwangsarbeit im Bereich Oberndorf am Neckar Liste der Konzentrationslager des Deutschen Reichs Liste der Ghettos in der Zeit des Nationalsozialismus Liste der Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht Verbrechen gegen die Menschlichkeit Kriegsverbrechen Ravensbrück-Prozesse Bergen-Belsen-Prozess Neuengamme-Hauptprozess Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung Deutsche Wiedergutmachungspolitik Arbeitserziehungslager Decknamen nationalsozialistischer Geheimobjekte Fremdarbeiter Ostarbeiter Page 2
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Polenstrafrechtsverordnung Reichsarbeitsdienst U-Verlagerung Zivilarbeiter Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im Deutschen Reich (1933–1945)
Deutsche NS-Zwangsarbeit Arbeitslager - Misshandlung - Arbeitsamt Deutsche Arbeitsfront Gewerbeaufsicht NS-Zwangsarbeit In der Zeit des Nationalsozialismus wurden im Deutschen Reich und den von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten zwischen sieben und elf Millionen Menschen der Zwangsarbeit unterworfen. Sie ist eine europäische Erfahrung ohne Beispiel. An keinem anderen nationalsozialistischen Verbrechen waren derart viele Menschen beteiligt – als Opfer, Täter oder Zuschauer.¹ Im Juni 1956 wurde im damaligen Westdeutschland das "Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung" (Bundesentschädigungsgesetz) verabschiedet. Es sprach den Verfolgten eine symbolische Entschädigung zu, schloss im Ausland lebende sowie nicht rassistisch oder politisch Verfolgte aber weitgehend von seinen Leistungen aus. Im parallel abgeschlossenen Londoner Schuldenabkommen wurden die Entschädigungen ausländischer Zwangsarbeiter Page 3
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt rechtlich als Reparationen definiert und auf den Abschluss eines endgültigen Friedensvertrages verschoben. Durch Globalabkommen mit Einzelstaaten sah man die Verantwortung Deutschlands und der deutschen Wirtschaft als erfüllt an.² Im Jahr 2000 hat der Deutsche Bundestag die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" eingerichtet, die symbolische Entschädigungsleistungen direkt für ehemalige ausländische Zwangsarbeiter sowie Sinti und Roma bereitstellen soll.³ Ziele Ziele der Zwangsarbeit waren unter anderem: - Arbeitsersatz der durch den Kriegseinsatz in der Wehrmacht in Deutschland fehlenden Männer - Einsparungen für deutsche Firmen, da Zwangsarbeiter günstiger als reguläre Arbeiter waren - Erhöhung der Staatseinnahmen, durch von der Industrie zu übernehmende Verleihgebühren und „Ausländersonderabgaben" - Vernichtung durch Arbeit (siehe auch unten) Historie Die Nationalsozialisten inhaftierten beginnend ab 1933 willkürlich politische Gegner und später auch „Asoziale", Landfahrer, Homosexuelle und angeblich "rassisch minderwertige" Juden, Sinti und Roma (sogenannte Page 4
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt "Zigeuner") und Zeugen Jehovas (sogenannte Bibelforscher) in Arbeitslagern. Die Bezeichnungen der Lager waren euphemistisch und je nach Zweck und Zuständigkeit auch im Zeitablauf unterschiedlich.4 Die ersten größeren Konzentrationslager wie das KZ Dachau und das KZ Oranienburg wurden ursprünglich "Schutzhaftlager" genannt. In fast allen Konzentrationslagern, Arbeitslagern und Umerziehungslagern war harte Zwangsarbeit, willkürliche Misshandlung und teilweise Vernichtung durch Arbeit an der Tagesordnung. In der Aktion „Arbeitsscheu Reich" wurden im April und Juni 1938 mehr als 10.000 sogenannte Asoziale zur Zwangsarbeit in Konzentrationslager verschleppt. Ab 1938 wurden reichsdeutsche Juden, nachdem ihnen durch Berufsverbote die freiwillige Aufnahmemöglichkeit von Arbeit eingeschränkt worden war, auch außerhalb des Lagersystems zum geschlossenen Arbeitseinsatz gezwungen. Dadurch sollte der Auswanderungsdruck auf sie erhöht werden.5 Mit dem Überfall auf Polen 1939 kamen die jüdischen Ghettos im besetzten Polen unter die Aufsicht der SS. Die Einwohner wurden zur Arbeit verpflichtet, die wie alle Dinge des täglichen Lebens über die neu eingerichteten Judenräte organisiert wurde. Zur Kennzeichnung der Juden wurde 1939 erstmals eine weiße Binde mit dem Judenstern eingeführt. Page 5
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ? Hauptartikel: Ghetto Betroffene Gruppen In der nationalsozialistischen Zeit wurden die folgenden Personengruppen als Zwangsarbeiter herangezogen6 : - Ausländische Zivilarbeiter, diese wurden zu Kriegsbeginn noch mit falschen oder beschönigten Versprechungen angeworben, waren über Quotenregelungen durch lokale ausländische Behörden (Beispiel: Service du travail obligatoire) in den besetzten oder abhängigen Gebieten zu stellen oder wurden von der Besatzungsmacht Deutschland ausgehoben. - Kriegsgefangene der Wehrmacht. Kriegsgefangenen wurde die vorzeitige Entlassung angeboten, falls sie sich "freiwillig" zum Arbeitseinsatz verpflichteten. Dadurch schieden diese aus dem durch das Internationales Komitee vom Roten Kreuz kontrollierten Schutzbereich der Genfer Konventionen aus, das die Behandlung der Kriegsgefangenen regelt. - Inländische Häftlinge und Anstaltsinsassen unabhängig vom Grund (klassische Straftat, politische Gesinnung, Glaubenszugehörigkeit oder ethnische Zugehörigkeit) ihrer Inhaftierung. Für deren Arbeitsverhältnisse war charakteristisch, dass es rechtlich durch den Arbeiter nicht aufzulösen war, dass der Arbeiter keinen Einfluss auf die Umstände seines Arbeitseinsatzes hatte und dass die Sterblichkeit aufgrund der überhöhten Arbeitsbelastung, der Page 6
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt schlechten Versorgung und der menschenunwürdigen Behandlung erhöht war. Zum Teil wird auch zwischen dem Einsatzort (nach Deutschland und Ausland) und der Art der Sammelunterkunft (Gefängnis, KZ, Ghetto, Arbeitslager etc.) unterschieden. Da Zwangsarbeiter häufig deportiert und verlegt wurden, führen diese Gruppierungen vermehrt zu Doppelzählungen. Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter siehe auch Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges Nicht selten wird die Meinung vertreten, dass Kriegsgefangene keine Zwangsarbeiter gewesen seien. Diese Position lässt sich so nicht aufrechterhalten. Hier ist differenziert zu prüfen, inwieweit die bestehenden völkerrechtlichen Normen – die Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Genfer Konvention von 1929 – beim Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen beachtet wurden. Das Deutsche Reich verstieß hier massiv gegen das Völkerrecht; die Behandlung der verschiedenen Nationalitäten der Kriegsgefangenen war an der Rassenhierarchie der NS-Ideologie ausgerichtet. Kriegsgefangenen, vor allem aus Polen und der Sowjetunion, sowie italienischen Militärinternierten wurden die geltenden völkerrechtlichen Normen vorenthalten. Dies gilt auch in Bezug auf deren Arbeitseinsatz. Eingeschränkt beachtet wurde aus gewissen außenpolitischen Rücksichtnahmen Page 7
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt das Völkerrecht gegenüber französischen Kriegsgefangenen. Um die einengenden völkerrechtlichen Bestimmungen beim Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen zu umgehen, wurden viele Kriegsgefangenengruppen formal in den Zivilstatus versetzt. Davon betroffen waren u. a. die polnischen und ein Teil der französischen Kriegsgefangenen. War diese Umwandlung in den Zivilstatus bei anderen Nationalitäten nicht möglich oder gewollt, wurden die Gefangenen der Leistungsernährung unterworfen, d.i. die Koppelung der Lebensmittelration an die individuelle Arbeitsleistung. Dies betraf insbesondere die circa 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen etwa 3,3 Millionen in deutscher Gefangenschaft umkamen. Nach dem Massensterben im Winter 1941/42 erfolgte ihr umfassender Einsatz als Zwangsarbeiter. Im Oktober 1942 leisteten 487.000 gefangene Rotarmisten Zwangsarbeit innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches, bis Januar 1945 waren es 750.000. Sie wurden in den verschiedensten Bereichen eingesetzt, vor allem in der Landwirtschaft, der Rüstungsindustrie sowie im Bergbau.7 Einzig gegenüber den angloamerikanischen Kriegsgefangenen wurden weitgehend die bestehenden völkerrechtlichen Bestimmungen eingehalten. Insofern ist davon auszugehen, dass Kriegsgefangene, die zur Arbeit eingesetzt wurden – außer der letztgenannten Gruppe – im völkerrechtlichen Sinne Zwangsarbeit verrichteten.8 Page 8
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Folgen der Zwangsarbeit Diskriminierung Der massenhafte Ausländer-Einsatz in Deutschland war für den NS-Staat von einem grundsätzlichen Widerspruch gekennzeichnet: Einerseits machte die Kriegswirtschaft es dringend notwendig, Zwangsarbeitende als Ersatz für die millionenfach eingezogenen deutschen Männer zu verwenden, insbesondere nach dem Scheitern der zunächst erfolgreichen Blitzkriegstrategie und der dann immer größer werdenden deutschen Verluste. Andererseits widersprach es der NS-Ideologie, Fremdvölkische in Deutschland zu beschäftigen. Man fürchtete um die „Blutreinheit" des deutschen Volkes und sah in der massenhaften Beschäftigung von feindlichen Ausländern im Reich sicherheitspolitische Gefahren. Dieser Widerspruch führte zur Ausgrenzung der Fremdvölkischen im Deutschen Reich und zu mit harten Strafen bedrohten Umgangsverboten, wie sie die Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes festlegte. Insbesondere waren davon die als rassisch minderwertig verachteten Menschen aus Polen und noch stärker die aus der Sowjetunion betroffen. „Die von dem NS-Regime erlassene rassistische Hierarchie (in Bezug auf die Zwangsarbeitenden) stimmte dabei weitgehend mit der populären Vorurteilsstruktur der deutschen Bevölkerung überein." Mit den Polenerlassen und später mit den noch Page 9
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt schärferen Ostarbeitererlassen wurden die Zwangsarbeiter aus dem Osten von der deutschen Bevölkerung isoliert. Zur Verhinderung der Spionage aber auch der Rassenschande (darauf stand die Todesstrafe) durften Zwangsarbeiter nicht am gesellschaftlichen Leben mit Deutschen teilnehmen. Für die männlichen Zwangsarbeiter wurden spezielle Bordelle für "fremdvölkische Arbeiter" errichtet.? Der Zugang zu Luftschutzbunkern wurde Kriegsgefangenen, Ostarbeitern und Polen ab 1942 grundsätzlich untersagt. Andere Nichtdeutsche durften nur in die Bunker, wenn diese nicht von der Zivilbevölkerung in Anspruch genommen wurden.¹° Ernährungssituation 1942 war neben 1945 die Versorgungslage mit Lebensmitteln in Deutschland am kritischsten. In dieser Zeit verhungerten die meisten Zwangsarbeiter, da das Reichsministerium für Ernährung ihre Rationen drastisch kürzte. „Es war der Nahrungsmangel, weswegen die Zwangsarbeiter sogar dann noch in so großer Zahl umgebracht wurden, als sie bereits dringend für die Kriegsproduktion benötigt worden wären." Ab Ende 1942 stabilisierte sich die Lage wieder; die Rationen wurden allgemein erhöht, im Wehrwirtschaftsund Rüstungsamt im Oberkommando der Wehrmacht galt die Devise: „Es ist ein Trugschluß, daß man mit 200 ungenügend ernährten Menschen dieselbe Page 10
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitsleistung vollbringen könne wie mit 100 Vollernährten. Im Gegenteil: die 100 Vollernährten schaffen weit mehr, und ihr Einsatz ist wesentlich rationeller."¹¹ Kinder der Zwangsarbeiterinnen Ein eigenes Kapitel sind die Schicksale der Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Besonders den „Ostarbeiterinnen" wurde kein Mutterschutz zugestanden, was bedeutete, dass sie bis kurz vor der Entbindung (und bald danach) arbeiten mussten. Sie wurden auch nicht in deutschen Krankenhäusern untergebracht, weil man eine „rassische" Vermischung und Gefährdung befürchtete. Die Entbindungsheime, Kreißsäle, Säuglings- und Kinderheime waren, entgegen einer Direktive, nicht nur sehr einfach eingerichtet, sondern befanden sich auch in äußerst unhygienischem Zustand. Es gehörte zur nationalsozialistischen Politik, die Zwangsarbeiterinnen möglichst kostengünstig einzusetzen, Schwangerschaften tunlichst zu verhindern und die „unerwünschten" Kinder entweder aufzuziehen (als künftige Zwangsarbeiter) oder verhungern zu lassen. Für letzteren Zweck gab es eigens eingerichtete Säuglings- und Kinderheime, so genannte Ausländerkinder-Pflegestätten (auf Anregung des Reichsführers SS Heinrich Himmler eingerichtet), wo man die „unerwünschten" Kinder unbemerkt von der Öffentlichkeit verkümmern ließ. Einige von ihnen fielen auch dem Massenmord an den Kranken und Behinderten zum Opfer (siehe Page 11
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt auch unter: Jugendkonzentrationslager, Aktion T4, Nationalsozialistische Rassenhygiene, Erziehung im Nationalsozialismus). Aus der Zeit unmittelbar nach Kriegsende berichtete eine Hamburger Zeitzeugin, dass Kinder der Zwangsarbeiterinnen, die nunmehr ins Krankenhaus gebracht wurden, schwerste Verdauungsstörungen hatten und mit Furunkeln, Impetigo und Ekzemen übersät waren.¹² Endphaseverbrechen ? Hauptartikel: Endphaseverbrechen Kurz vor dem Zusammenbruch Deutschlands kam es 1945 zu einer Häufung an Gewalttaten, den sogenannten Endphaseverbrechen, die sich auch gegen Zwangsarbeiter richteten. Konzentrationslager wurden auf Todesmärschen von KZ-Häftlingen geräumt, wobei zurückbleibende Häftlinge ermordet wurden. Zwangsarbeiter wurden aus Angst vor deren Rache oder Zeugenaussagen ermordet sowie Dokumente und Beweise vernichtet. Ostarbeiterinnen in Osnabrück, vor der Ermordung gerettet, 7. April 1945 Inspektion eines Leichenberges im Lager Ohrdruf durch U.S. Generäle, 12. April 1945 Page 12
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Exhumierung von ermordeten russischen Zwangsarbeitern, ein US-Captain nimmt Informationen zur Identifikation auf, Suttrop 3. Mai 1945 Vermisste und Displaced Persons ? Hauptartikel: Internationaler Suchdienst ? Hauptartikel: Displaced Person Ab 1943 wurde durch das Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, SHAEF) die Situation der Inhaftierten und Zwangsarbeiter untersucht. Zum Kriegsende mündete dies in die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) und im Juni 1947 in die International Refugee Organization (IRO) als deren Nachfolgeorganisation. Daraus entstand der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen, bei dem der Verbleib vermisster Personen erfragt werden kann. Die befreiten Inhaftierten und Zwangsarbeiter wurden als Displaced Persons durch die Alliierten in DP-Lagern untergebracht und durch die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) bzw. die Nachfolgeorganisation Internationale Flüchtlingsorganisation (IRO), das Joint Distribution Committee (JDC) und viele weitere Organisationen versorgt und betreut. In den ersten Monaten starben noch zahlreiche displaced Persons, da ihr Gesundheitszustand bei der Befreiung schlecht und die Versorgung mit Lebensmitteln, warmer Kleidung und Medikamenten durch Page 13
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die Alliierten mangelhaft war. Nach der Veröffentlichung des Harrison-Report besserten sich die Zustände. Leichen aus Massengräbern wurden exhumiert, identifiziert und einzeln bestattet. Zeugen wurden befragt, Beweise und Dokumente festgehalten. Die im Rahmen der Ausländersuchaktion der UNRRA gewonnenen Erkenntnisse über Arbeits-, Konzentrationslager und Arbeitsstellen (ohne Kriegsgefangenenlager und Gebiet der Sowjetzone) wurden 1949 erstmals im Catalogue of Camps and Prisons (kurz: CCP) veröffentlicht.¹³ Die Repatriierung der befreiten russischen und polnischen Zwangsarbeiter gestaltete sich wegen ihrer Anzahl, der Verwüstungen in ihren Heimatländern und der politischen Umbrüche (Westverschiebung Polens, Ausbreitung kommunistischer Zwangsregime) schwierig. Teilweise wurden die Zwangsarbeiter in ihren Heimatländern fälschlich als Kollaborateure verfolgt und sogar hingerichtet. Das letzte DP-Lager (Föhrenwald) konnte erst 1957 geschlossen werden. Akteure Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung organisierte ab 1938 im Rahmen eines geheimen Erlasses die systematische Erfassung und Rekrutierung von reichsdeutschen Juden zur Zwangsarbeit.¹4 Der Einsatz von Zivilarbeitern und Page 14
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsgefangenen aus Polen und Frankreich erfolgte zunächst über die Arbeitseinsatzabteilungen des Reichsarbeitsministeriums. Im Jahr 1942 wurde mit dem durchsetzungsstarken Fritz Sauckel auf dem neu geschaffenen Posten des "Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" eine zentrale Stelle geschaffen, die mit der Unterstellung zahlreicher Reichsbehörden in den besetzten Gebieten und einem Netz von Rekrutierungskommissionen rasch, effektiv und brutal wirkte. Der Rest des Reichsarbeitsministeriums wurde zur Rumpfbehörde.¹5 Die Ärzte waren je nach Funktion unterschiedlich in den Komplex der Zwangsarbeit im Dritten Reich und den besetzten Gebieten eingebunden. Sie waren als KZ-Ärzte oder Amtsärzte für die Arbeitstauglichkeitsprüfung, für die Entwesung, für die Einhaltung gesundheitlicher Arbeitsstandards, für die Einweisung ins Krankenhaus oder die Krankenstation usw. verantwortlich. Arbeitsunfähigen Zwangsarbeitern wurde unter dem Euphemismus Diätkost die knappe Nahrung weiter gekürzt. Der Lagerarzt war bei Strafen zu hören. Bei Zwangsarbeiterinnen wurden teilweise Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen aus rassistischen und arbeitsökonomischen Gründen vorgenommen.¹7 Im medizinischen Sektor selbst wurden Zwangsarbeiter in staatlichen, privaten und kirchlichen Krankenhäusern, Lazaretten, Pflege- und Erholungsheimen als kriegswichtig eingesetzt. Zu Page 15
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Lehr- und Forschungszwecken wurde von der Universität Göttingen um verstärkte Zuweisung von schwangeren fremdvölkischen Zwangsarbeiterinnen gebeten.¹8 ¹? Die Deutsche Reichsbahn führte die Transporte der Zwangsarbeiter aus Osteuropa nach Deutschland und der Juden, Sinti und Roma in die Konzentrationslager Polens in Viehwaggons und Güterzügen sicher und beschäftigte selbst zahlreiche Zwangsarbeiter.²° Für die Unterbringung der zivilen Fremdarbeiter waren Arbeitsamt, Deutsche Arbeitsfront und die Gewerbeaufsicht zuständig.²¹ Die Wehrmacht nutzte die vorgefundene Zivilbevölkerung in den eroberten Gebieten zu Räum- und Schanzarbeiten. Die Kriegsgefangenen wurden in Kriegsgefangenenlager gebracht. Dort wurden sie dann aus Stammlagern nach den Anforderungslisten der Arbeitsämter in Gruppen, den sogenannten Außenlagern, Außenkommandos, Zechen und Betrieben aller Art zur Verfügung gestellt. Ab 1943 wurde die arbeitsfähige Zivilbevölkerung bei drohenden Gebietsverlusten im Rahmen der ARLZ-Maßnahmen nach Dringlichkeitsstufen (1. Bergbau- und Metallfacharbeiter, 2. Fach- und Spezialarbeiter, 3. Landwirtschaft und 4. sonstige) deportiert.²² 1944 beteiligte sich die Wehrmacht an der sogenannten Heuaktion, dabei wurden tausende von elternlosen Kindern unter fünfzehn in Weißrussland gefangen und nach Deutschland zur Zwangsarbeit bei der Organisation Page 16
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Todt und den Junkers Flugzeug- und Motorenwerke deportiert. In den Munitionsanstalten der Wehrmacht wurden Fremdarbeiter eingesetzt. Neben deutschen Großunternehmen wie z.B. Friedrich Krupp AG, Daimler-Benz, Dynamit Nobel, Friedrich Flick, die Quandt-Gruppe und IG Farben³ (die die Buna-Werke mit den Häftlingen des KZ Auschwitz III Monowitz errichteten) sowie zahlreichen mittelständischen Unternehmen, nutzten auch schillernde Unternehmensgründer wie Oskar Schindler²³ und Walter Többens Zwangsarbeiter im In- und besetzten Ausland. Die SS stellte das Verwaltungs- und Bewachungspersonal der Konzentrationslager und zugehöriger Außenlager und Kommandos. Sie gründete eigene Wirtschaftsbetriebe zur Ausbeutung der Gefangenen u.a. die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST), die 1940 in den Deutschen Wirtschaftsbetrieben (DWB) aufgingen. Das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt verwaltete ab 1942 zentral diese Wirtschaftsbetriebe, in denen mehr als 40.000 Konzentrationslagerhäftlinge arbeiteten. ? Hauptartikel: Schutzstaffel#SS-Wirtschaftsbetriebe Die Dienststelle Schmelt errichtete in Schlesien und dem Sudetenland ein System von bis zu 177 Arbeitslagern mit zeitweilig 50.000 hauptsächlich jüdisch-polnischen Zwangsarbeitern (sogenannte Schmelt-Juden) für den Bau Page 17
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Reichsautobahn Berlin-Breslau-Krakau und den Einsatz in der Industrie. Die Organisation Todt war eine Organisation zur Durchführung von Schutz-, Rüstungs- und Infrastrukturmaßnahmen im Einflussbereich des Dritten Reiches. Sie griff bei ihren Bauprojekten in zunehmendem Maße auf Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zurück. Im Jahr 1944 verfügte sie über 1.360.000 Arbeitskräfte. Ihr größtes Bauprojekt, der Atlantikwall, erstreckte sich von der Mündung der Gironde bis zum Nordkap. Im Osten wurden Verkehrswege, wie die Durchgangsstraße IV auch Straße der SS genannt von Berlin in den Kaukasus²4 , mit zehntausenden von Zwangsarbeitern errichtet. ? Hauptartikel: Organisation Todt Herkunftsländer (alphabetisch) Belgien „Aus Belgien kamen bis Sommer 1941 zunächst 189.000 Arbeiter/innen freiwillig nach Deutschland. Nach der Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht im Oktober 1942 folgten ihnen bis 1945 rund 200.000 weitere unter Zwang." – wollheim memorial: Herkunft und Anzahl ausländischer Zivilarbeiter/innen und Zwangsarbeiter/innen China Page 18
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In Hamburg-St.-Pauli wurden nach Chinas Kriegserklärung gegen Deutschland Chinesen aus ihren Wohnungen verschleppt und u. a. im Hamburger Hafen als Zwangsarbeiter eingesetzt.²5 Frankreich In Deutschland wurden während des Zweiten Weltkrieges nach Abstimmung mit der Vichy-Regierung Franzosen zur Arbeit in Industrie, Handel und Landwirtschaft in unterschiedlicher Weise rekrutiert. Von den 1,6 Millionen französischen Kriegsgefangenen aus der Zeit von Mai/Juni 1940 waren am Kriegsende immer noch eine Million Personen als Arbeitskräfte in Deutschland eingesetzt. Als Zivilarbeiter wurden 850.000 bis 922.000 (freiwillige, dienstverpflichtete und Zwangsarbeiter) eingesetzt. Zu Zivilarbeitern wurden 200.000 Kriegsgefangene 1943 umgestuft.²6 Griechenland Auf Kreta wurden 20.000 verpflichtet für die Besatzungsbehörden zu arbeiten, zum großen Teil unter harten Bedingungen in den Bergwerken, weitere 100.000 wurden von der Wehrmacht dienstverpflichtet, darunter ab 1943 auch 16-Jährige. Nach Deutschland wurden 23.000 Personen angeworben, anschließend weitere 12.000 als Zwangsarbeiter und 1.000 als Kriegsgefangene.²7 Daraus ergibt sich eine Zahl von 155.000 Personen. Italien Page 19
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Darunter waren ab Sommer 1943 etwa 600.000 Italienische Militärinternierte (IMI). Den IMI wurde der für Kriegsgefangene geltende Schutz verweigert, ab Herbst 1944 wurden die meisten in ein Zivilarbeitsverhältnis überführt.²8 Niederlande Die Anzahl der niederländischen Zwangsarbeiter wurde 1966 rückblickend auf etwa 395.000 geschätzt,²? seit 1979 geht man von mehr als 500.000 aus.³° Etwa 50.000 von ihnen starben. Die größte Razzia fand in Rotterdam am 10. und 11. November 1944 statt.³¹ Bei dieser Razzia wurden 50.000 Männer verhaftet, von denen 40.000 zum Arbeitseinsatz nach Deutschland geschickt wurden und 10.000 Zwangsarbeit im Osten der Niederlande leisten mussten. Polen Die Zahl polnischer Zwangsarbeiter stieg von Oktober 1939 bis Beginn des Jahres 1940 auf 300.000 an. Nahezu 90 % wurden in der Landwirtschaft eingesetzt.³² Insgesamt wurden in Deutschland 2,2 Millionen Polen, im „Reichsgau Warthegau" 1,1 Millionen Polen und in den polnischen Ghettos mindestens 700.000 Juden als Zwangsarbeiter festgehalten.²7 Für die (südostpolnischen) Gemeinden und Städte wurden Quoten an Zwangsarbeitern festgesetzt. Nach Aussage einer Zeitzeugin dauerte der Transport mit Kutsche, LKW und Zug vom polnischen Page 20
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Heimatort nach Deutschland etwa zwei Wochen. Das zuständige deutsche Arbeitsamt verteilte die Zwangsarbeiter auf ihre Einsatzstellen. Je nach Menschlichkeit und Gelegenheit der deutschen Arbeitgeber hatten die Zwangsarbeiter Freiheiten oder wurden ausgegrenzt und sehr schlecht behandelt. In Süddeutschland wurden die Zwangsarbeiter nach Einmarsch der Franzosen in einem Lager untergebracht. Nach einem Dreivierteljahr durften sie im Zug nach Polen zurückkehren.³³ Opfer sogenannter Sonderbehandlungen, z. B. nach intimen Kontakten mit Deutschen konnten im Rahmen der Polenerlasse oder Polenstrafrechtsverordnung ohne weitere Gerichtsverhandlung zum Tode „verurteilt" werden. Rolf Hochhuth hat über das Schicksal polnischer Zwangsarbeiter im Südwesten Deutschlands, Brombach bei Lörrach, den collagenartigen Roman Eine Liebe in Deutschland verfasst. Siehe dazu auch den Artikel Czeslaw Trzcinski. Sowjetunion Seit Ende 1941 wurden zwischen 22 und 27 Millionen Sowjetbürger als Zwangsarbeiter eingesetzt.²7 Ausländische Zwangsarbeiter im Reich Im Spätsommer 1944 waren etwa ein Viertel der Arbeitskräfte in der gesamten deutschen Wirtschaft Zwangsarbeiter, Anfang 1945 Page 21
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt stellten Ausländer ein Drittel der gesamten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Etwa die Hälfte von ihnen waren Mädchen und Frauen. Aus dem Ausland wurden nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt:³4 Einsatzgebiete Zwangsarbeiter wurden in allen Bereichen eingesetzt, in der Landwirtschaft, im Handwerk, für die Kirche, in der Industrie, besonders der Rüstungsindustrie, im staatlichen Sektor und bei der SS. So war das Siemenslager Ravensbrück ein Teil des Lagerkomplexes des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, dass von dem Reichsluftfahrtministerium, Siemens & Halske und der SS errichtet wurde. Weibliche Häftlinge mussten dort Zwangsarbeit für kriegswichtige Erzeugnisse von Siemens & Halske leisten. Die Zwangsarbeit reichte sogar bis in die Familien, wo junge Frauen aus Osteuropa als Haushaltshilfen und Kindermädchen eingesetzt wurden.³5 In der bäuerlichen Landwirtschaft des Dritten Reiches war die Ernährungssituation für die Zwangsarbeiter besser und auch die Vorschriften der Ostarbeitererlasse konnten dort nicht vollständig umgesetzt werden.³6 Im kriegswichtigen Bergbau wurden in großem Umfang Zwangsarbeiter eingesetzt. In den Höchstzeiten des Zwangseinsatzes im Sommer 1944 waren es Page 22
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt reichsweit um die 430.000 Zivilarbeiter und Kriegsgefangene. Davon waren allein 120.000 sowjetische Gefangene, „Ostarbeiter" und italienische Militärinternierte im Ruhrbergbau beschäftigt.³7 Weiterhin arbeiten an der Ruhr Kroaten (14.434), Galizier (11.299) und Dänen (1535).³8 Einige Quellen sprechen von über 350.000 Zwangsarbeitern auf den dortigen Zechen,³? bei etlichen Betrieben bestanden über 45 % der Belegschaft aus zur Arbeit gezwungenen Menschen. Zwangsarbeiter wurden beim Bau von Militäranlagen eingesetzt. Die bekanntesten Großprojekte waren der Westwall, der Atlantikwall, die U-Boot-Bunker, Luftschutzanlagen und die Untertageverlagerung von kriegswichtigen Industrieteilen (siehe auch KZ Mittelbau-Dora). Nach Luftangriffen wurden Zwangsarbeiter zur Brandlöschung, Trümmerbeseitigung, Leichenbergung, Hilfe bei der Beisetzung und zur Beseitigung der Schäden herangezogen. Zwangsarbeiter wurden für die Sprengstoffproduktion beispielsweise in den Werken Krümmel und Düneberg bei Geesthacht sowie Werk Tanne östlich von Clausthal-Zellerfeld eingesetzt.4° „In der zweiten Kriegshälfte galt der Arbeitseinsatz als vordringliche Aufgabe der Konzentrationslager. Im Mai 1944 gab Hitler den Befehl, ungarische jüdische Häftlinge für die anfallenden Arbeiten in der Page 23
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rüstungsindustrie heranzuziehen, so dass im Sommer 1944 100.000 ungarische Juden in die Lager gelangten. Für ihre Behandlung gab Sauckel, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, die Richtlinie aus: „Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, dass sie bei denkbar sparsamsten Einsatz die größtmöglichste Leistung erbringen."4¹ " – B.Hillmann/V. Kluge/E. Kramer: Lw.2/XI – Muna Lübberstedt, Zwangsarbeit für den Krieg, Bremen 1996, S. 118 In einem Außenlager des KZ Neuengamme, dem Lager Bilohe der Muna Lübberstedt arbeiteten 500 jüdische Ungarinnen, die mit einem Transport aus dem KZ Auschwitz kamen in der Herstellung von Luftwaffenmunition, von Ende August/Anfang September 1944 bis zum Kriegsende. „Die Transportgrößen schwankten zwischen 1500 und 3800 Personen. Auch als diese Häftlinge in bereitstehende Waggons gepfercht wurden, spielten sich erschütternde Szenen ab. So versuchten die wegen körperlicher Schwäche und somit für den Tod ausgesonderten Frauen die Waggons zu stürmen, um ebenfalls zum Arbeitseinsatz zu kommen und der Hölle von Auschwitz zu entgehen." – B.Hillmann/V. Kluge/E. Kramer: Lw.2/XI – Muna Lübberstedt, Zwangsarbeit für den Krieg, Bremen 1996, S. 108 Page 24
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Juden bauen Luftschutzgräben unter Aufsicht des RAD, Uniejow, Polen, Mai 1941 paramilitärischer Selbstschutzmann mit Arbeiterinnen, Lettland, Riga, 11. Juli 1941,(Propagandaaufnahme Wehrmacht) kriegsgefangene Sowjets räumen den Weg für Wehrmachtkolonne frei, Minsk, Juli 1941,(Propagandaaufnahme Wehrmacht) „Juden müssen arbeiten", Tunis, Dezember 1942, (Propagandaaufnahme Wehrmacht) Zwangsarbeiter in Gewehrfabrik, Polen, (Propagandaaufnahme Wehrmacht) Französischer Mechaniker bei Siemens in Berlin, 1943 Häftlinge beim Bau des U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Rekum, 1944 14-jähriger Ukrainer im Kraftfahrinstandsetzungswerk der Wehrmacht, Page 25
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Berlin, Januar 1945 Ostarbeiterin aus Kiew im Haushalt, Januar 1945, (SS-Propagandabild) Todesstiege im Steinbruch des KZ Mauthausen Einsatzorte und Lagerstandorte Zwangsarbeiter wurden von Afrika bis zum Nordkap und von der Bretagne bis Russland durch das Dritte Reich eingesetzt. siehe auch folgende Regionalbeschreibungen: -
NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NZ-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit NS-Zwangsarbeit
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Raum Berlin Bochum und Wattenscheid Bremerhaven und Wesermünde Bereich Büdingen Raum Hamburg Hattingen Kiel Raum München Münsterland Bereich Oberndorf am Neckar Raum Wien
siehe auch folgende Auflistungen - Liste der Konzentrationslager des Deutschen Reichs - Liste der Ghettos in der Zeit des Nationalsozialismus - Liste der Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht Zwangsarbeit im öffentlichen Bewusstsein Page 26
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Juristische Aufarbeitung Strafprozesse Angesichts der Gräueltaten in den von den Achsenmächten Deutschland, Japan und Italien besetzten Ländern wurde auf Initiative von neun Londoner Exilregierungen im Jahr 1943 die United Nations War Crimes Commission (UNWCC) ins Leben gerufen. Der Auftrag bestand in der Beweissicherung, Zusammenstellung von Täterlisten, Berichten an die Regierungen und Strafprozessvorbereitungen zu Kriegsverbrechen. Zu diesen Kriegsverbrechen zählte auch die Verschleppung, Versklavung, Misshandlung und Tötung von Zivilisten und Kriegsgefangenen in Arbeits- und Konzentrationslagern (Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Nach dem Krieg wurden exemplarische Prozesse gegen das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (es hatte Zwangsarbeiter gegen Prämien an Firmen vermietet) und die Firmenverantwortlichen von Flick, I.G.-Farben und Krupp (sie hatten Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge zu tausenden von der SS gemietet) durchgeführt. Es kam in den Nürnberger Nachfolgeprozessen zu Verurteilungen wegen Versklavung, Misshandlung, Einschüchterung, Folterung und Ermordung der Zivilbevölkerung und wegen der planmäßigen Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Gefangenen. Weitere bedeutende Prozesse waren die Rastatter Prozesse (u.a. zum KZ Page 27
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Natzweiler, KZ Dachau und Auschwitz), die Frankfurter Auschwitzprozesse, der Krakauer Auschwitzprozess, die Dachauer Prozesse, die Ravensbrück-Prozesse, der Bergen-Belsen-Prozess, die Neuengamme-Prozesse, Prozesse in der Sowjetunion durch den NKWD und Prozesse gegen Einzelpersonen wie Eichmann-Prozess und in Warschau gegen Rudolf Höß. In Deutschland fand 1948 der Kamienna-Prozess und 1949 der Tschenstochau-Prozess in Leipzig wegen Zwangsarbeit bei der privatwirtschaftlichen HASAG statt. Es kam zu zahlreichen Verurteilungen.4² Zivilprozesse 1953 wurde die IG-Farben im Wollheim-Prozess zur Zahlung von 10.000 DM Schadensersatz, Schmerzensgeld und Arbeitslohn vor dem Frankfurter Landgericht verurteilt. Die IG-Farben legte Rechtsmittel dagegen ein und nachdem sich die Jewish Claims Conference in die Musterklage einschaltete, einigte man sich auf einen Globalvergleich, der die Zahlung von insgesamt 30 Millionen DM an mehrere tausend ehemalige Zwangsarbeiter der IG Farbenindustrie AG vorsah.³ Dokumentation Im Bundesarchiv wurden Übersichten zu Zwangsarbeiterlagern während der NS-Zeit und der regionalen Archive erarbeitet.4³ Auskünfte zu Zwangsarbeitern, Verschleppten und Menschen in Page 28
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslagern während der Zeit des Nationalsozialismus (etwa 17 Millionen Menschen) gibt der Internationale Suchdienst Bad Arolsen, 34454 Bad Arolsen, Deutschland.44 Das Online-Archiv „Zwangsarbeit 1939–1945" präsentiert eine Sammlung digitaler Zeitzeugen-Berichte. Knapp 600 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus 27 Ländern erzählen in lebensgeschichtlichen Audio- und Video-Interviews ihr Schicksal. Damit erinnert das Archiv an die über zwölf Millionen Menschen, die für das nationalsozialistische Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten. Würdigung der Zwangsarbeiter Seit 2006 informiert das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin über das "System Zwangsarbeit"45 . Es befindet sich auf einem Teil des einzigen noch weitgehend erhaltenen ehemaligen Zwangsarbeiterlagers Deutschlands in Berlin-Schöneweide. Das ehemalige Lager war einst eines von ca 3.000 Sammelunterkünften für Zwangsarbeiter in Berlin. Die Wanderausstellung Im Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg informiert seit 2010 an verschiedenen Orten zur Zwangsarbeit. Sie ist derzeit in Steyr, Österreich zu sehen. Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter Symbolische Unternehmenszahlungen Durch öffentlichen Druck und drohende Page 29
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gerichtsurteile erklärten sich einige Unternehmen bereit, auf freiwilliger Basis Zahlungen an Zwangsarbeiter oder deren Vertreter zu leisten. Dabei wurde größter Wert darauf gelegt, dass dies mit keinerlei Schuldeingeständnis oder Schadensersatzpflicht für zu geringe Bezahlung oder gesundheitliche Schäden der Zwangsarbeiter verbunden sei, dass die betroffenen Zwangsarbeiter aber ihrerseits kein Ansprüche mehr gegen das jeweilige Unternehmen geltend machen würden. Die Zahlungen gingen hauptsächlich über die Jewish Claims Conference, die zahlreiche Sammelklagen und PR-Aktionen organisierte. Die osteuropäischen Zwangsarbeiter hatten während des Kalten Krieges keine Möglichkeit individuelle Ansprüche anzumelden und die westeuropäischen Regierungen hatten dies über bilaterale Verträge im Gegenzug zur Westeinbindung der Bundesrepublik ausgeschlossen.46 Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft Im Jahr 2000 hat der Bundestag die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" eingerichtet, die Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter bereitstellen soll. In Polen werden diese finanziellen Mittel durch die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung für die Bereitstellung humanitärer Hilfen an NS-Opfer verwendet. Kriegsgefangene wurden in §11(3) EVZStiftG aus dem Kreis der Leistungsempfänger ausgeschlossen: Page 30
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt "Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung"47 Mit dieser Begründung erhielten ca. 20.000 ehemalige sowjetische Kriegsgefangene, die Opfer rassistischer Gewalt gewesen waren, einen Ablehnungsbescheid ihres Antrags auf Zwangsarbeiterentschädigung.48 Die deutsche Kriegsfolgengesetzgebung unterscheidet damit zwischen zivilrechtlichen Schäden und Ansprüchen aus dem Reparationsrecht.4? Auch wenn üblicherweise der Begriff „Zwangsarbeiterentschädigung" verwendet wird, handelt es sich rechtlich nicht um eine Entschädigung, sondern vielmehr um eine Geste, mit der sich die Bundesregierung zu ihrer moralischen Verantwortung und Wiedergutmachungspolitik bekennt. Darüber hinaus sollte ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit deutscher Unternehmen und der Bundesrepublik Deutschland insbesondere angesichts von Sammelklagen in den USA hergestellt werden. Eine Auszahlung erhalten nur diejenigen Antragsteller, die durch Dokumente beweisen können, dass sie Zwangsarbeit leisten mussten, oder die dies auf anderem Wege glaubhaft machen können; Dokumente sind in vielen Fällen nicht überliefert, die Glaubhaftmachung setzt die Erinnerungsfähigkeit der mittlerweile hochbetagten Antragsteller ebenso voraus wie die Kommunikation der Erinnerungen an die am Antragsverfahren beteiligten Einrichtungen. Page 31
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verwandte Themen - Arbeitserziehungslager - Decknamen nationalsozialistischer Geheimobjekte - Fremdarbeiter - Ostarbeiter - Polen-Erlasse, Polenstrafrechtsverordnung - Reichsarbeitsdienst - Service du travail obligatoire (in Vichy-Frankreich) - Untertage-Verlagerung (U-Verlagerung), unter die Erdoberfläche verlagerte deutsche Rüstungsbetriebe - Zivilarbeiter - Zwangsarbeit in der Landwirtschaft Dokumentarfilme - Wolfgang Bergmann (Regisseur): Der Reichseinsatz, 1993, als DVD: 2011 Absolut Medien, Berlin, ISBN 978-3-89848-049-9, 117 min. Im Film wurden Szenen aus dem Propagandafilm aus dem Jahr 1940 Wir leben in Deutschland eingeschnitten. Hessischer Filmpreis 1994. - Kriegsgefangenschaft (1/4): Verschleppt und ausgebeutet. Produktion Österreich 2011. Gezeigt in 3sat am 20. Januar 2013, von 20:15 bis 21:05 Uhr. (Französische und sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter in der Kriegsproduktion, Kinder schwangerer Zwangsarbeiterinnen bewusst benachteiligt mit hoher Sterberate, sowjetische Kriegsgefangene nach der Befreiung weiter in sowjetische Lager). - Kriegsgefangenschaft (4/4): Heimkehr. Produktion ORF und preTV 2012. Gezeigt in 3sat am 21. Januar 2013, von 21:05 bis 22:00 Uhr. (Sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter nach Page 32
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsende in UDSSR wieder in Zwangsarbeit und Ächtung. Französische Kriegsgefangene nach Kriegsende in Frankreich der Kollaboration verdächtigt. Deutsche/österreichische Heimkehrer aus der Sowjetunion finden in der Heimat keine Arbeit mehr). Literatur Allgemein (Auswahl): - John Authers: The Victim's Fortune. Inside the Epic Battle over the Debts of the Holocaust. Harper Perennial, New York 2003, ISBN 0-06-093687-8. (englisch). - Klaus Barwig u. a. (Hrsg.): Zwangsarbeit in der Kirche. Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung. Stuttgart 2001, ISBN 3-926297-83-2. - Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 9, C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57238-8. (zu den „besonderen" Lagern). - Ulrich Herbert (Hrsg.): Europa und der 'Reichseinsatz'. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938–1945. Klartext-Verlag, Essen 1991, ISBN 3-88474-145-4. + Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Neuauflage, Bonn 1999. - Jochen-Christoph Kaiser: Zwangsarbeit in Diakonie und Kirche 1939–1945. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN Page 33
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 3-17-018347-8. - Hans-Eckhardt Kannapin: Wirtschaft unter Zwang. Anmerkungen und Analysen zur rechtlichen und politischen Verantwortung der deutschen Wirtschaft unter der Herrschaft des Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg, besonders im Hinblick auf den Einsatz und die Behandlung von ausländischen Arbeitskräften und Konzentrationslagerhäftlingen in deutschen Industrie- und Rüstungsbetrieben. Deutsche Industrieverlags-Gesellschaft, Köln 19665° - Felicja Karay: Women in Forced-Labor Camps. In: Dalia Ofer, Leonore J. Weitzman (Hrsg.): Women in the Holocaust. New Haven/ London 1998, ISBN 0-300-07354-2, S. 285–309. - Gabriele Lotfi: Fremdvölkische im Reichseinsatz. Eine Einführung zum Thema NS-Zwangsarbeit. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Heft 7/2000, ISSN 0006-4416, S. 818–822. - Alexander von Plato, Almut Leh, Christoph Thonfeld (Hrsg.): Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich. Böhlau Verlag, Wien/ Köln 2008, ISBN 978-3-205-77753-3. (Fast 600 frühere Opfer aus 27 Ländern wurden befragt. Rezension in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. November 2008, Nr. 275, S. 8). - Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale. Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Page 34
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. – Bremen 2014, 706 S., ISBN 978-3-94469-028-5; korrigierte Druckfassung eines 2007 aus Datenschutzgründen unveröffentlicht gebliebenen Textes, weiterhin auch online zu finden im "forum oö geschichte".5¹ - Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1938–1945. Stuttgart/München 2001. - Carola Sachse (Hrsg.), Bernhard Strebel, Jens-Christian Wagner: Zwangsarbeit für Forschungseinrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 1939 - 1945. Ein Überblick (= Forschungsprogramm Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus Vorabdrucke ... = Research program History of the Kaiser Wilhelm Society in the National Socialist era, Heft 11), hrsg. im Auftrag der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., Berlin: Forschungsprogramm "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Ges. im Nationalsozialismus", 2003, DNB 968596908. (Inhaltsverzeichnis). - Ute Vergin: Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung und ihre Funktionen beim Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs. Osnabrück 2008, Volltext, PDF. Regional (Auswahl): - Ralf Bierod: Der Arbeitseinsatz sowjetischer Page 35
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsgefangener in der Forstwirtschaft und im Güterumschlag der Provinz Hannover 1941–1945. Magisterarbeit. Universität Hannover, Hannover 1992. - Helga Bories-Salawa: Franzosen im „Reichseinsatz". Deportation, Zwangsarbeit, Alltag. Erfahrungen und Erinnerungen von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern. Verlag Lang, Frankfurt am Main/ Bern/ New York 1996. - Hubert Feichtlbauer u. a.: Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit: Späte Anerkennung, Geschichte, Schicksale. 1938–1945, Zwangsarbeit in Österreich. Wien 2005, ISBN 3-901116-21-4. (Online-Versionen). - Gudrun Fiedler und Hans-Ulrich Ludewig (Hrsg.): Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939–1945. Braunschweig (Appelhans) 2003. - Johannes Grabler: Das Schicksal eines Zwangsarbeiters in Aulzhausen (Affing). Arbeit zum Hauptseminar „Zweimal 'Vergangenheitsbewältigung' nach 1945, nach 1989" an der Kath. Universität Eichstätt, Eichstätt 1993. (Download-Version .doc). - Andreas Heusler: Zwangsarbeit in der Münchner Kriegswirtschaft 1939–1945. 2. Auflage. München 2000, ISBN 3-927984-07-8. - Uwe Kaminsky: Dienen unter Zwang. Studien zu ausländischen Arbeitskräften in Evangelischer Kirche und Diakonie im Rheinland während des Zweiten Weltkriegs. 2. Auflage. Bonn 2002, ISBN 3-7749-3129-1. - Felicja Karay: Wir lebten zwischen Granaten und Gedichten. Das Page 36
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Frauenlager der Rüstungsfabrik HASAG im Dritten Reich. Köln 2001. (Jerusalem 1997), Über das Buchenwalder Außenlager Leipzig-Schönefeld. + Death Comes in Yellow – Skarzysko-Kamienna Slave Labor Camp. Amsterdam 1996. - Rolf Keller, Silke Petry (Hrsg.): Sowjetische Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz 1941–1945: Dokumente zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen in Norddeutschland. Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-1227-2. - Oliver Kersten: Herbergen als Verschiebebahnhöfe. Neue Forschungsergebnisse zum Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern in diakonischen Einrichtungen in der Region Berlin-Brandenburg im Zweiten Weltkrieg. In: Erich Schuppan (Hrsg.): Sklave in euren Händen. Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg. Berlin 2003, ISBN 3-88981-155-8, S. 251–278. - Stefan Karner, Peter Ruggenthaler u. a. Mitglieder der Historikerkommission: Zwangsarbeit in der Landund Forstwirtschaft auf dem Gebiete Österreichs 1939–1945. Wien 2004.(Volltext Version 2002; PDF; 4,0 MB). - Jörn-Uwe Lindemann: „Wir wurden Roboter." Zwangsarbeit in Bergedorf. In: Kultur- & Geschichtskontor (Hrsg.): Bergedorf im Gleichschritt. 2. verb. Auflage. Hamburg 1996, ISBN 3-9803192-5-3, S. 101–118. - Roland Maier: Haupttätigkeitsfeld im Krieg: Überwachung und Repression der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. In: Ingrid Bauz, Page 37
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-89657-138-0, S. 338–380. - Holger Menne, Michael Farrenkopf (Bearb.): Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges. Spezialinventar der Quellen in nordrhein-westfälischen Archiven. DBM, Bochum 2004. (PDF-Onlineversion) (Memento vom 22. Juni 2007 im Internet Archive) - Hermann Rafetseder: Der „Ausländereinsatz" zur Zeit des NS-Regimes am Beispiel der Stadt Linz. In: Fritz Mayrhofer, Walter Schuster (Hrsg.): Nationalsozialismus in Linz. Bd. 2, Linz 2001, ISBN 3-900388-81-4, S. 1107–1269. - Dirk Richhardt: Zwangsarbeit im Bereich von evangelischer Kirche und Diakonie in Hessen. Quellen und Studien zur hessischen Kirchengeschichte. Band 8, 2003, ISBN 3-931849-13-9. - Peter Ruggenthaler: „Ein Geschenk für den Führer". Sowjetische Zwangsarbeiter in Kärnten und der Steiermark 1939–1945. Verein zur Förderung der Forschung von Folgen nach Konflikten und Kriegen, Graz 2001, ISBN 3-901661-06-9. - Tobias Schönauer: Zwangsarbeiter in Ingolstadt während des 2. Weltkrieges. Dokumentation und Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 5. April bis 30. Oktober 2005 im Stadtmuseum Ingolstadt, Ingolstadt 2005. - Roman Smolorz: Zwangsarbeit im „Dritten Reich" am Beispiel Regensburgs. Stadtarchiv Regensburg, Regensburg 2003, ISBN Page 38
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 3-935052-30-8. - Florian Speer: Ausländer im Arbeitseinsatz in Wuppertal. Hrg. der Oberbürgermeister. Verlag der Oberbürgermeister Wuppertal, Wuppertal 2003, ISBN 3-87707-609-2. - Bernhard Strebel: „Verdammt sind meine Hände": Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie in den Außenlagern des KZ Ravensbrück. In: Zeitgeschichte regional: Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern. Bd. 4.2000, 1, ISSN 1434-1794, S. 4–8. - Bernd Zielinski: Staatskollaboration. Vichy und der Arbeitskräfteeinsatz im Dritten Reich. Westfälisches Dampfboot, Münster 1995, ISBN 3-929586-43-6. Opfergruppen (Auswahl): - Erinnerung bewahren: Sklaven- und Zwangsarbeiter des Dritten Reiches aus Polen 1939–1945. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Dokumentationszentrum Berlin-Schöneweide. Warschau/ Berlin 2007, ISBN 978-83-922446-0-8. - Im Totaleinsatz: Zwangsarbeit der tschechischen Bevölkerung für das Dritte Reich. Dokumentation und Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide. Prag/ Berlin 2008, ISBN 978-80-254-1799-7. - Johannes-Dieter Steinert: Deportation und Zwangsarbeit. Polnische und sowjetische Kinder im nationalsozialistischen Deutschland und im besetzten Osteuropa 1939–1945. Klartext Verlag, Essen 2013, ISBN Page 39
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 978-3-8375-0896-3.5² Zeitzeugenberichte (Auswahl): - Vitalij Sjomin: Zum Unterschied ein Zeichen. München 1978, ISBN 3-570-02006-1. Rechtliche Aspekte zur Entschädigungsfrage (Auswahl): - Klaus Barwig (Hrsg.): Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte. Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5687-1. - Manfred Brüning, Daniela Langen, Klaus von Münchhausen, Marcus Werner: Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter. Modelle für die Lösung einer offenen historischen Aufgabe. (Download-Seite). - Stuart E. Eizenstat, Holger Fliessbach (Übers.): Unvollkommene Gerechtigkeit. Der Streit um die Entschädigung der Opfer von Zwangsarbeit und Enteignung. Vorwort Elie Wiesel. C. Bertelsmann, München 2003, ISBN 3-570-00680-8 (Aus dem Engl.: Imperfect Justice: Looted Assets, Slave Labor, and the Unfinished Business of World War II. Public Affairs, N. Y. 2003, ISBN 1-903985-41-2). - Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945. Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-868-X. - Nora Markard, Ron Steinke: Schadlos gehalten. Die deutsche Abwehr von Entschädigungsansprüchen ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen. In: analyse & kritik. Nr.518 (2007). Page 40
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Rolf Hochhuth: Eine Liebe in Deutschland. 1. Auflage. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1978, ISBN 3-498-02844-8. - Oliver Tolmein: Entschädigung Zwangsarbeiter (PDF; 9 kB) oder als html, In: Freitag. 24. Dezember 1999. Weblinks Commons: NS-Zwangsarbeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Informationsportal Zwangsarbeit im NS-Staat des Bundesarchivs - "Alltag Zwangsarbeit 1938-1945" Dauerausstellung des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit - Ausstellungen zur NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum - Haftstättenverzeichnis der Stiftung EVZ - Wollheim Memorial - Wanderausstellung Zwangsarbeit - Zeitzeugenarchiv des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit - Zwangsarbeit 1939–1945 – Archiv aus 590 Interviews mit Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter - Zwangsarbeit 1939–1945 – Online-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) Berlin: Zwölf Zeitzeugen berichten - Interessengemeinschaft der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime - Wer sprach vom „Fremdarbeiter"? In: FAZ. 4. Juli 2005. (Interview mit Ulrich Herbert zum Begriff „Fremdarbeiter") - Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte e. V. - Zwangsarbeiterkinder (KriegGegenKinder) - Liste der Unternehmen, die im Nationalsozialismus von der Zwangsarbeit Page 41
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt profitiert haben. Die Liste beruht auf der Ausgabe von Internationaler Suchdienst, Arolsen 1949–19515³ - 2500 Firmen – Sklavenhalter im NS-Lagersystem (TextArchiv7) - Online-Archiv „Zwangsarbeit 1939–1945" der Stiftung EVZ mit Zeitzeugeninterviews - Zwangsarbeiter begründet Gemeinde-Partnerschaft zwischen Affing und Lobez (Polen) (Grabler) - Zwangsarbeiter in Ingolstadt während des 2. Weltkrieges (Stadtmuseum Ingolstadt) - Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft (Interaktive Karte der Landeszentrale für Politische Bildung) - Förderverein Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide - Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig - Forschungsportal - Projektseite, die Zeitzeugeninterviews bereithält – EU-gefördertes Schulprojekt - Material für die Bildungsarbeit zum Thema Zwangsarbeit auf dem Portal „Lernen aus der Geschichte" - Dokumentation Kriegsgefangenenlager auf der Website der Gedenkstättenförderung Niedersachsen der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten - Online-Portal zum Thema Zwangsarbeit (Historisches Centrum Hagen) - Zwangsarbeit im Rheinland und in Westfalen (Historisches Centrum Hagen) - Zeitzeugen-App der Berliner Geschichtswerkstatt e. V. - Projektarbeit des Triberger Schwarzwald-Gymnasiums: Interviews über polnische Zwangsarbeiter im Schwarzwald Page 42
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einzelnachweise [1] „Die Deutschen, die Zwangsarbeiter, und der Krieg". In: photoscala.de. Abgerufen am 19. Oktober 2014. [2] „Zwangsarbeit 1939–1945: Entschädigung – Hintergrund". In: Zwangsarbeit-archiv.de. Abgerufen am 5. Oktober 2014. [3] Peer Heinelt: "Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter. In: Norbert Wollheim Memorial (Goethe Universität/Fritz-Bauer Institut, Frankfurt). 2008, abgerufen am 13. Oktober 2014. [4] „Zwangsarbeit im NS-Staat: Haftstättenverzeichnis – Lagerarten". In: Bundesarchiv. 2010, abgerufen am 17. September 2014. [5] Götz Aly, Susanne Heim: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, 1933–1945, Band 2, Oldenbourg Verlag 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 50 ff. [6] Zwangsarbeit im NS-Staat: Begriffe, Zahlen, Zuständigkeiten, Bundesarchiv, abgerufen 12. Oktober 2014. [7] Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. Bonn 1991, S. 243 ff. [8] Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1938–1945. Stuttgart/München 2001, S. 99 ff. [9] Michaela Freund-Widder: Frauen unter Page 43
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kontrolle: Prostitution und ihre staatliche Bekämpfung in Hamburg vom Ende des Kaiserreichs bis zu den Anfängen der Bundesrepublik. Lit-Verlag Münster, 2003, ISBN 3-8258-5173-7, S. 174 ff. [10] Michael Foedrowitz: Bunkerwelten, Luftschutzanlagen in Norddeutschland. Ch. Links Verlag, 1998, S. 119 ff. [11] Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Siedler, München 2007, ISBN 978-3-88680-857-1. [12] Lieselotte Lamp: Mai 1945 – Kinderkrankenhaus Eppendorf, Zeitzeugin, Hamburg. [13] Liste der Unternehmen, die im Nationalsozialismus von der Zwangsarbeit profitiert haben. pdf, abgerufen 7. Dezember 2014. [14] Götz Aly, Susanne Heim: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, 1933–1945, Band 2, Oldenbourg Verlag 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 50 ff. [15] Ulrich Herbert: „Das Reichsarbeitsministerium und die Praxis der Zwangsarbeit in der Zeit der NS-Herrschaf". Abgerufen am 18. Oktober 2014. [16] Ute Vergin: Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung und ihre Funktionen beim Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs, Seite 212. [17] Ute Vergin: Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung und ihre Funktionen beim Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs. Osnabrück 2008, Volltext, pdf. Page 44
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [18] Zwangsarbeit und Medizin im Dritten Reich Deutsches Ärzteblatt 2001, abgerufen 25. Januar 2015. [19] Zwangsarbeit während der NS-Zeit in der Medizin am Beispiel Göttingen Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Göttingen, abgerufen 25. Januar 2015. [20] „Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit: Deutsche Reichsbahn". Geschichtswerkstatt Göttingen, abgerufen am 18. Oktober 2014. [21] Ute Vergin: Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung, S. 369. [22] Rolf-Dieter Müller: Die Deutsche Wirtschaftspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten 1941–1943: der Abschlussbericht des Wirtschaftsstabes Ost und Aufzeichnungen eines Angehörigen des Wirtschaftskommandos Kiew. Harald Boldt Verlag 1991, ISBN 3-7646-1905-8, S. 561 ff. [23] „Held im Zwielicht". In: Spiegel. 4. Oktober 2005, abgerufen am 16. September 2014. [24] Durchgangsstr IV.pdf, Siegfried Wolf. [25] Irene Jung: Ein Stück China auf St. Pauli. In: Hamburger Abendblatt. 26. Januar 2012, S. 8. [26] Yves Durand: Vichy und der Reichseinsatz. In: Ulrich Herbert (Hrsg.): Europa und der Reichseinsatz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Kz-Häftlinge in Deutschland 1938–1945. Klartext Verlag, Essen 1991, ISBN 3-88474-145-4, S. 184–199. [27] Herkunft und Anzahl ausländischer Zivilarbeiter/innen und Zwangsarbeiter/innen (Wollheim memorial) Page 45
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [28] Mark Spoerer: Zwangsarbeit unterm Hakenkreuz, S. 83 f. [29] B. A. Sijes: De arbeidsinzet: de gedwongen arbeid van Nederlanders in Duitsland, 1940–1945 ('s-Gravenhage, 1966) [30] L. de Jong, Het Koninkrijk Nederlanden in de der Tweede Wereldoorlog, RIOD, Amsterdam, 1979. [31] Siehe Razzia van Rotterdam in der niederländischen Wikipedia. [32] Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. C.H.Beck, München 2001, ISBN 3-406-47477-2. [33] Juliane Preiss: Verbotene Freundschaft. In: Hamburger Abendblatt. 10. April 2013, S. 6. [34] zwangsarbeit-archiv.de, interaktive Karte, abgerufen 10. Oktober 2014. [35] Uta Fröhlich, Christine Glaunig, Iris Hax, Thomas Irmer, Frauke Kerstens: Zwangsarbeit im NS-Staat. In: Alltag Zwangsarbeit 1938–1945. Katalog zur gleichnamigen Dauerausstellung. Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors, Berlin 2013, ISBN 978-3-941772-15-1, S. 26 ff. [36] Zwangsarbeit in Landwirtschaft und kleinen Betrieben, Wollheim Memorial, abgerufen 18. Oktober 2014. [37] Holger Menne/Michael Farrenkopf (Bearb.), Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges, Spezialinventar der Quellen in nordrhein-westfälischen Archiven, S. 20 (zuletzt gesichtet am 27. April 2011) (Memento vom 22. Juni 2007 im Internet Archive) – Spezialinventar der Quellen in nordrhein-westfälischen Archiven, S. 20 (zuletzt gesichtet am 27. April 2011) (PDF; 463 kB) Page 46
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [38] angekommen.com: Zivilarbeiter (zuletzt gesichtet am 15. April 2010) [39] Dauerausstellung „Oberhausen im Nationalsozialismus", Gedenkhalle im Schloss Oberhausen, Übersichtstafel Zwangsarbeit, Feb. 2011. [40] Janine Ullrich: Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Geesthacht unter Berücksichtigung von DAG Dünebeg und Krümmel 1939–1945. (Schriftenreihe des Stadtarchivs Geesthacht (StaG), Bd. 12). Lit. Verlag, Münster in Westfalen/ Hamburg/ Berlin/ London 2001, ISBN 3-8258-5730-1, S. 78. [41] Benjamin Ferencz, Lohn des Grauens. Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter, Frankfurt a. Main/New York 1986, S. 51. [42] „Die vergessene Aufarbeitung: 60 Jahre Leipziger Prozesse um die nationalsozialistischen Verbrechen in den HASAG-Werken in Skarzysko Kamienna und Czestochowa" pdf, Vortrag von Andrea Lorz vor dem BVG Leipzig, Januar 2010. [43] Internetportal des Bundesarchivs zur Zwangsarbeit mit Haftstättenverzeichnis und Nachweis der regionalen Archivbestände [44] Internationaler Suchdienst in Bad Arolsen gibt Auskünfte für Opfer von Zwangsarbeit und ihre Familienangehörigen [45] http://www.dz-ns-zwangsarbeit.de/dauerausstellung / [46] Die_Entschaedigung_der_NS-Zwangsarbeiterinnen_und _-Zwangsarbeiter. Abgerufen am 15. Januar 2015 (pdf). [47] §11(3) EVZStiftG [48] Entschädigung aller NS-Opfer gefordert. Page 47
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt KONTAKTE-KOHTAKTbI, abgerufen am 25. Oktober 2014. [49] Michael Jansen, Günter Saathoff: Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht: Abschlussbericht zu den Auszahlungsprogrammen der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Wallstein Verlag, 2007, ISBN 9783835302211, S. 122. [50] eine frühe Rechtfertigung der Zwangsarbeit aus einem offiziellen Industrieverlag der Bundesrepublik Deutschland. Verf. nennt einen „Nationalsozialismus schlechter Prägung" als Ursache. Die Protagonisten, u. a. Todt, Speer und viele andere bezeichnet er als „Gegner" der Zwangsarbeit und als „Menschenfreunde". Namensliste der Industriellen usw. S. 255. [51] Hermann Rafetseder – NS-Zwangsarbeits-Schicksale. (PDF) [52] Rezension. [53] die Liste stand nur bis 2010 beim Verlag Zweitausendeins online. Der entsprechende Vermerk auf dieser Seite, zu der die Liste nun umgezogen ist, ist nicht mehr gültig. Sinti und Roma Sinti und Roma ist das in der Bundesrepublik Deutschland in den frühen 1980er Jahren von den Interessenverbänden der seit langem in Mitteleuropa ansässigen Roma implementierte Wortpaar für die Gesamtminderheit der Roma einschließlich ihrer zahlreichen Untergruppen. Das Wortpaar sollte die Fremdbezeichnung „Zigeuner" ablösen, von der es sich in seinen Inhalten Page 48
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt grundlegend unterscheidet. In Österreich ist mittlerweile die Variante „Roma und Sinti" verbreitet. Beide Doppelbezeichnungen stehen wie die von der International Roma Union bevorzugte und international dominierende Gesamtbezeichnung „Roma" für den Bruch mit einer als stigmatisierend empfundenen Beschreibungsweise und fordern eine nicht diskriminierende Perspektive ein. Zur Semantik Das Wortpaar ist als Bezeichnung der Gesamtminderheit der Roma eine Besonderheit des deutschen Sprachraums. Die Reihenfolge der beiden Einzelbezeichnungen unterscheidet sich in der Verwendung durch Verbände der Minderheit in Deutschland bzw. in Österreich je nachdem, welche der Teilgruppen jeweils größer und einflussreicher ist. Sie bringt mithin eine Rangfolge entsprechend den „unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten (innere Strukturen der Minderheit)" zum Ausdruck.¹ In Österreich gibt es die Variante „Roma und Sinti". Sie wird dort von Roma-Organisationen vertreten, die mehrheitlich oder ausschließlich nicht der Gruppe der Sinti angehören,² die eine Minderheit innerhalb der österreichischen Gesamtminderheit bilden. Die führende deutsche Interessenvereinigung, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, und deren Mitgliedsverbände, die überwiegend die Teilgruppe der Sinti repräsentieren, betonen mit der Erweiterung Page 49
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt des Wortpaars um den Zusatz „deutsch" (ursprünglich: „Zentralrat deutscher Sinti und Roma") beziehungsweise als Bestandteil von Verbandsbezeichnungen in Großschreibung „Deutsch" ihre Zugehörigkeit zur deutschen Bevölkerung und ihren Vertretungsanspruch. „Deutsche Sinti und Roma" meint - mit „deutschen Sinti" jenen Teil der Teilgruppe der Sinti (oder Manouches) der Roma, der sich aus den „seit 600 Jahren in den deutschsprachigen mitteleuropäischen Ländern beheimateten Angehörigen der Minderheit" der Roma konstituiert; - mit „deutschen Roma" jenen Teil der Teilgruppe der osteuropäischen Roma, deren „Vorfahren … im 19. Jh. aus Osteuropa [in den Raum des 1871 gegründeten Deutschen Reichs] ein(wanderten)" und die im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind.³ Damit sind die zahlreichen, lange eingebürgerten „Gastarbeiter-Roma" und deren Kinder und Enkel in die Definition nicht mit eingeschlossen. Dass das Vertretungsinteresse sich auf „deutsche Sinti und Roma" mit einer „Identität als eine deutsche Volksgruppe" wie die „deutschen Sorben im Osten […], die deutschen Dänen in Südschleswig und die deutschen Friesen im Nordwesten der Republik" (Romani Rose) beschränkt, damit aber auf die inzwischen seit vielen Generationen in Deutschland ansässigen Roma verzichtet, hat zur Folge, dass die Frage des Page 50
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bleiberechts für osteuropäische Roma-Migranten unbeachtet bleibt. Das schließt ein, dass der Zentralrat die staatlichen Bemühungen unterstützt, die Lebensbedingungen in den ehemals jugoslawischen Herkunftsländern für Roma-Migranten rückkehrfreundlich zu gestalten. So unterstützte er in Teilen das Programm der nordrhein-westfälischen Landesregierung, mazedonische Roma nach Skopje zurückzuführen.4 Inzwischen spricht sich der Vorsitzende des Zentralrats dafür aus, „keine Minderheitenangehörigen in den Kosovo abzuschieben", solange der Kosovo für Rückkehrer unsicher sei. Das Rückführungsabkommen solle ausgesetzt und den bereits lange in Deutschland lebenden Kosovo-Roma dauerhafter Aufenthalt gewährt werden.5 Begriffsgeschichte Es war ein Anliegen der in den 1970er Jahren entstehenden Bürgerrechtsbewegung und der sich gründenden Selbstorganisationen der europäischen Roma, eine neue, nichtdiskriminierende Perspektive auf die Minderheit durchzusetzen und dem auch sprachlich Ausdruck zu geben.6 Dem diente die Abwendung von „Gypsy" und „Zigeuner" (und ähnlichen Fremdbezeichnungen in anderen Sprachen), die durch den Romanes-Begriff „Roma" abgelöst wurden. 1978 beschloss der 2. Welt-Roma-Kongress in Genf „Roma" als Nachfolger von „Gypsy".7 In der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Konvention von der Bürgerrechtsbewegung und von den Page 51
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Selbstorganisationen zunächst übernommen. Bei dem Übergang von der Fremdzur Selbstbezeichnung ergab sich dort, dass parallel dazu „Sinti" bzw. „Sinte", Selbstbezeichnung eines Großteils der deutschen Roma-Minderheit, von deren Vertretern eingeführt wurde.8 „Roma" blieb zunächst Hauptkategorie.? So noch 1980 in einem gemeinsamen Memorandum der International Romani Union (IRU) und des Verbands deutscher Sinti: „Die Mehrheit der deutschen Zigeuner bezeichnet sich als Sinti; die internationale Zigeunerbewegung bezeichnet das Volk der Zigeuner als Roma."¹° Die spätere starre Reihenfolge „Sinti und Roma" lag noch nicht fest. Noch 1989 bezeichnete sich der Vorgängerverband des heutigen Landesverbands NRW Deutscher Sinti und Roma als „Verband Deutscher Roma und Sinti e. V. NRW".¹¹ Im weiteren Verlauf gelang es dem dominierenden, sich bald zum Zentralrat deutscher Sinti und Roma konstituierenden Zweig der bundesdeutschen Sinti-Bewegung, der sich auch alteingesessene Roma angeschlossen hatten, das Begriffspaar „Sinti und Roma" in Deutschland zu etablieren. Es ist eine Besonderheit des deutschen Sprachraums geblieben und steht dort heute neben der Gesamtbezeichnung „Roma", wie sie inzwischen allgemein Eingang in die Sprache der internationalen staatlichen und halbstaatlichen Organisationen gefunden hat. Page 52
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mit der Durchsetzung der Eigenbezeichnungen im öffentlichen Diskurs in Deutschland hat sich „deutsche Sinti und Roma" unter Wegfall der nationalen Attribuierung zu „Sinti und Roma" abgeschliffen. Daraus ergibt sich als Falschangabe in Medien und Politik nicht selten die Rede von „Sinti und Roma" in Themenfeldern, in denen es Sinti als eine der Gruppen der Minderheit nicht gibt („Der Flamenco – Sinti und Roma in der Musik", "Sinti und Roma zieht es ins Revier", „Sinti und Roma in Albanien" u. ä.¹² ) „Begriffliche Inkonsistenz" bewirkt so eine aus Sicht mancher Sinti unerwünschte sprachliche Zusammenführung der Teilgruppen.¹³ Weblinks Commons: Romani people – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Schwerpunktheft: "Sinti und Roma", Aus Politik und Zeitgeschichte, 22/23, Bundeszentrale für politische Bildung, BpB, Bonn 2011¹4 Einzelnachweise [1] Karola Fings, Ulrich F. Opfermann: Glossar [Lemma „Selbstbezeichnungen"]. In: Karola Fings, Ulrich F. Opfermann (Hrsg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Paderborn 2012, S. 337–359, hier S. 352. [2] Siehe z. B. die Homepage des Kulturvereins Österreichischer Roma Page 53
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (online). [3] Siehe: Landesverband Deutscher Sinti und Roma NRW. Dort auch: „Als Roma bezeichnen sich auch die Angehörigen der Minderheit in Osteuropa."; vgl. damit auch eine Aussage aus dem Jahr 1982 aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage verschiedener Abgeordneter zu „Lage und Forderungen der Sinti, Roma und verwandter Gruppen", Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, 21. Dezember 1982, Drucksache 9/2.360, S. 1: „Als Sinti bezeichnen sich die seit Jahrhunderten im deutschen Sprachraum lebenden Zigeuner. Als Roma werden in diesem Sinne die im vorigen Jahrhundert aus Polen und Ungarn nach Deutschland eingewanderten Gruppen bezeichnet. Das Wort ‚Roma' bezeichnet im Sprachgebrauch der Zigeuner darüber hinaus auch die Gesamtheit aller Zigeuner." Vgl. Karola Fings, Ulrich F. Opfermann: Glossar [Lemma „Selbstbezeichnungen"]. In: Karola Fings, Ulrich F. Opfermann (Hrsg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Paderborn 2012, S. 337–359, hier S. 352. [4] Joachim S. Hohmann (Hrsg.): Sinti und Roma in Deutschland. Versuch einer Bilanz. Frankfurt a.M. 1995, S. 231–251; siehe auch: idmedienpraxis.de. [5] Romani Rose: Zur Lage im Kosovo. Stellungnahme des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zur geplanten Abschiebung von mehr als 10.000 Roma aus Deutschland in den Kosovo. In: Hinterland. Page 54
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vierteljahresmagazin des Bayerischen Flüchtlingsrats, Nr. 13, 12. Juni 2010, S. 4–5 (PDF). [6] Michael Zimmermann: Zigeunerpolitik und Zigeunerdiskurs im Europa des 20. Jahrhunderts. In: Michael Zimmermann (Hrsg.): Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2007, S. 13–70, hier S. 63; allgemein zur frühen Roma-Bürgerrechtsbewegung, aber auch zur „Wahl des Terminus ‚Rom' als offizielle Selbstbezeichnung" siehe die Seite rombase der Uni Graz: Roma. [7] Siehe: History of the International Roma Day and international Roma movement (online). [8] „Sinte" bzw. „Sinti" konnten nebeneinander stehen, siehe z. B. den Sprachgebrauch eines Präsidiumsmitglieds des Verbands der Sinti Deutschlands e. V. und späteren Zentralratsvorsitzenden: Romani Oskar Rose: Wiedergutmachung nur den Starken? In: Tilman Zülch (Hrsg.): In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt. Zur Situation der Roma (Zigeuner) in Deutschland und Europa. Reinbek 1979, S. 257–261. [9] Siehe z. B. die gemeinsam von der Gesellschaft für bedrohte Völker und dem Verband deutscher Sinti herausgegebene Sonderausgabe der Zeitschrift pogrom zum III. Welt-Roma-Kongress, (Göttingen) 1981. [10] In: Sinti und Roma im ehemaligen KZ Bergen-Belsen am 27. Oktober 1979. Göttingen 1980, S. 136. [11] Die Grünen–Fraktion im Landschaftsverband Westfalen-Lippe, GAL/Die Page 55
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Grünen Münster (Hrsg.): NS-Verfolgte 40 Jahre ausgegrenzt und vergessen. Dokumentation einer Anhörung vom 18. Februar 1989 in Münster. Münster 1989. [12] Einige Beispiele: Wilhelm Klümper: Zuwanderung. Sinti und Roma zieht es ins Revier. In: WAZ, 2. Januar 2014; chs: Sinti und Roma. Asylbewerberwelle vom Balkan beunruhigt Länder. In: Der Spiegel, 13. November 2010, siehe: ; „Es waren die Sinti und Roma, die sich den Flamenco zu eigen machten." In: [13] Abschnitt „Selbstbezeichnungen" in: Karola Fings, Ulrich F. Opfermann: Glossar: Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933-1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Paderborn 2012, S. 337–369, hier S. 352. [14] nur noch online erhältlich. Auf der Site den Link zur PDF-Darstellung verwenden, dann erscheint das komplette Heft. Zwangsarbeit Als Zwangsarbeit wird eine Arbeit bezeichnet, zu der ein Mensch unter Androhung einer Strafe oder eines sonstigen empfindlichen Übels gegen seinen Willen gezwungen wird. Sie ist – mit verschwimmenden Übergängen – die schärfste Form der Arbeitspflicht. Sklaverei und Leibeigenschaft beschreiben ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis, bei dem der Mensch als Eigentum und Objekt des Menschenhandels im Vordergrund steht. Definition und internationale Vereinbarungen Page 56
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definierte 1930 in Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens über Zwangs- und Pflichtarbeit die Zwangsarbeit als unfreiwillige Arbeit oder Dienstleistung, die unter Androhung einer Strafe ausgeübt wird. Die Zwangsarbeit sollte bis auf die in Abs. 2 des Übereinkommens aufgeführten Tatbestände abgeschafft werden: Militärdienst, übliche Bürgerpflichten, Arbeit im Strafvollzug, notwendige Arbeit in Fällen höherer Gewalt und Arbeit, die dem unmittelbaren Wohl der Gemeinschaft dient.¹ Die ILO verbietet den Einsatz von Zwangsarbeit - als Mittel politischen Zwanges oder politischer Erziehung oder als Strafe gegenüber Personen, die gewisse politische Ansichten haben oder äußern oder die ihre ideologische Gegnerschaft gegen die bestehende politische, soziale oder wirtschaftliche Ordnung bekunden; - als Methode der Rekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung; - als Maßnahme der Arbeitsdisziplin; - als Strafe für die Teilnahme an Streiks; - als Maßnahme rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskriminierung.² Daneben gibt es eine Reihe weiterer Abkommen, die sich mit verschiedenen Ausprägungen der Zwangsarbeit befassen: - Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - UN-Menschenrechtsabkommen, Pakt II, Artikel 8 Page 57
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Kinderrechtskonvention, Art. 32 ff. und Fakultativprotokolle zur Verhinderung von Kinderhandel, Kinderprostitution, Kinder- und Zwangsarbeit - Wanderarbeiterkonvention - Behindertenrechtskonvention - Internationale Abkommen gegen Menschenhandel - Haager Landkriegsordnung und Genfer Konvention regeln die Rechte von Kriegsgefangenen und Zivilisten im Kriegsfall Aktuelle Zahlen Es existieren nur Schätzungen über das Ausmaß der Zwangsarbeit, wobei die Systematik und jeweilige Definition zu beachten ist. Die ILO veröffentlichte im Mai 2014 den Bericht Profite und Armut, wonach - weltweit etwa 21 Mio. Menschen unter Zwang arbeiteten, darunter ca. 55 Prozent Frauen und 5,5 Mio. Kinder, - die Auftraggeber dieser Zwangsarbeit ca. 150 Mrd. Dollar Einnahmen erzielen, davon 99 Mrd. Dollar aus Zwangsprostitution, 9 Mrd. in der Land- und Forstwirtschaft, 8 Mrd. in privaten Haushalten sowie 33 Mrd. aus anderen Branchen wie Bauwesen, verarbeitendes Gewerbe oder Bergbau. 90 Prozent aller Zwangsarbeit werde in der Privatwirtschaft verrichtet. 2,2 Mio Menschen würden von staatlicher Seite z. B. als Gefängnisinsassen und Soldaten zur Arbeit gezwungen.³ Historie Deutschland Page 58
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Erster Weltkrieg ? Hauptartikel: Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg Zwangsarbeit gab es bereits während des Ersten Weltkrieges. Neben Kriegsgefangenen waren es belgische und polnische bzw. litauische Zivilisten, die zur Zwangsarbeit in Industrie, Bergbau und Landwirtschaft nach Deutschland deportiert wurden. Die zwangsweise Aushebung vor allem von ca. 61.000 belgischen Arbeitern war für das Ansehen des Kaiserreiches katastrophal und führte zu zahlreichen Protesten neutraler Staaten. Die polnischen Zwangsarbeiter wurden deutlich diskriminiert.4 Zeit des Nationalsozialismus Die Nationalsozialisten inhaftierten beginnend ab 1933 willkürlich politische Gegner und später auch "Asoziale", Landfahrer, Homosexuelle und angeblich "rassisch minderwertige" Juden, Sinti und Roma (sogenannte "Zigeuner") und Zeugen Jehovas (sogenannte Bibelforscher) in Arbeitslagern. Die Bezeichnungen der Lager waren euphemistisch und je nach Zweck und Zuständigkeit auch im Zeitablauf unterschiedlich.5 Die ersten größeren Konzentrationslager wie das KZ Dachau und das KZ Oranienburg wurden ursprünglich "Schutzhaftlager" genannt. In fast allen Konzentrationslagern, Arbeitslagern und Umerziehungslagern war harte Zwangsarbeit, willkürliche Misshandlung und teilweise auch Vernichtung durch Page 59
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeit an der Tagesordnung. Bereits am 28. November 1933 befürchtete die lokale Handwerkskammer eine unerträgliche Konkurrenz für die örtlichen Handwerksbetriebe durch die Zwangsarbeit in Dachau.6 Zweiter Weltkrieg ? Hauptartikel: NS-Zwangsarbeit, Organisation Todt, Vernichtung durch Arbeit, Polenstrafrechtsverordnung, Polen-Erlasse Während des Zweiten Weltkrieges wurden im Deutschen Reich mehrere Millionen Menschen zur Zwangsarbeit gezwungen, meist Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Zivilpersonen der besetzten Gebiete; ab 1940 wurden zudem deutsche Juden, später auch so genannte Mischlinge ersten Grades zwangsverpflichtet. Sie mussten die fehlenden Arbeiter, die im Krieg waren, ersetzen und vor allem die Kriegsproduktion aufrechterhalten. Besonders in Osteuropa wurden sie großenteils mittels Razzien rekrutiert. Die Zwangsarbeiter wurden als Fremdarbeiter oder, sofern sie aus der Sowjetunion (meist Ukraine oder Russland) stammten, als Ostarbeiter bezeichnet. Unter den Zwangsarbeitern waren auch Jugendliche oder Kinder, die häufig ihren Eltern entrissen oder verschleppt wurden. Zwangsarbeiter wurden in der Landwirtschaft und (Rüstungs-)Industrie eingesetzt, aber auch öffentliche Einrichtungen, die Kirche und Privatpersonen forderten Zwangsarbeiter an. Zwangsarbeiter Page 60
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden häufig demütigend behandelt, schlecht ernährt und erhielten oft keinen Lohn. Sie mussten schwerste Arbeit verrichten. Die Unterbringung erfolgte in Zwangsarbeiterlagern, den Stammlagern (im nationalsozialistischen Sprachgebrauch als Stalag bezeichnet), oft Barackenlager, mit Stacheldraht eingezäunt. Die sanitären und hygienischen Bedingungen in diesen Baracken waren äußerst schlecht, wie auch die Bekleidung. So lebten besonders die Ostarbeiter in notdürftig selbstgebauten Baracken und waren gezwungen, „auch im Winter unbeschuht zur Arbeit zu gehen". Außerdem wurden sie häufig von den Deutschen misshandelt: „Die Leute wälzten sich oft vor Schmerzen wegen des dauernden Schlagens mit Gummiknüppeln und Ochsenziemern". Für Zwangsarbeiter galt kein Arbeitsschutz, so dass sie am Arbeitsplatz allen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt waren. Sie durften bei Bombenalarm keine Schutzräume aufsuchen. Bei Verstößen gegen die Anordnungen und Befehle der Deutschen drohte ihnen eine Einweisung in ein „Arbeitserziehungslager", in denen KZ-ähnliche Zustände herrschten. Schwangere Zwangsarbeiterinnen, insbesondere solche aus Osteuropa, wurden häufig zur Abtreibung gezwungen. Kinder solcher Frauen wurden in Ausländerkinder-Pflegestätten untergebracht, die keinen anderen Zweck hatten, als diese unerwünschten Kinder unbemerkt von der Öffentlichkeit verhungern zu lassen. Page 61
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Polnische und sowjetische Zwangsarbeiter wurden noch schlechter behandelt als die italienischen sogenannten Militärinternierten oder auch französischen u. a. westlichen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter, da sie in der NS-Rassenideologie als slawische Untermenschen galten. Für sie galten besondere Polen- und Ostarbeitererlasse, durch die sie weitestgehend entrechtet wurden. So war zum Beispiel der Besitz von Geld, Wertsachen, Fahrrädern und Feuerzeugen und der Erwerb von Fahrkarten verboten. Verkehr mit Deutschen wurde streng bestraft, teilweise sogar mit der Todesstrafe. Für die Zwangsarbeiter war der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel zuständig, während der Generalgouverneur des besetzten Polens, Hans Frank und die Reichskommissare Hinrich Lohse (Ostland) und Erich Koch (Ukraine) die Razzien organisierten, um genügend Zwangsarbeiter zusammenzutreiben. Das Programm der Zwangsarbeit fügte sich in das Programm Heinrich (Himmler) zur Dezimierung der slawischen Völker um circa 30 Millionen. Da die Zwangsarbeiter vielen Vorschriften (zum Beispiel über Sicherheit am Arbeitsplatz) nicht unterlagen, waren sie häufig so begehrt, dass das Deutsche Reich eine Ostarbeiterabgabe einführen musste um die vollständige Verdrängung von deutschen Arbeitern durch Zwangsarbeiter zu vermeiden. Einen Sonderverlauf nahm die Zwangsarbeit in den Grenzzonen, wo Page 62
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt beispielsweise spezifische Traditionen der Grenzgängerbeschäftigung wirksam blieben, der Einsatz von Kriegsgefangenen erst zeitlich versetzt begann und grenzspezifische Eigenheiten in Form von Repression bestanden. Plakat zur Anwerbung polnischer Arbeiter, 1940–1941 Willkürliche Verhaftung zur Zwangsarbeit, Warschau 1941 Merkblatt für Ostarbeiter aus der Sowjetunion, 1942 Ostarbeiterinnen in Osnabrück, vor der Ermordung gerettet, 7. April 1945 Werksausweis eines 16-jährigen polnischen Zwangsarbeiters bei Kienzle Uhren Kennzeichnung für Ostarbeiter Siehe auch: - Polen-Erlasse - NS-Zwangsarbeit im Bereich Büdingen - NS-Zwangsarbeit im Münsterland Page 63
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - „Sklaven der Kirche" in der Berliner Hermannstraße - Deutsche Wiedergutmachungspolitik - Online-Archiv Zwangsarbeit 1939–1945 Aufarbeitung nach 1945 Nach dem Krieg wurden exemplarische Prozesse gegen das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (es hatte Zwangsarbeiter gegen Prämien an Firmen vermietet) und die Firmenverantwortlichen von Flick, I.G.-Farben und Krupp (sie hatten die Zwangsarbeiter zu tausenden von der SS gemietet) durchgeführt. Es kam in den Nürnberger Nachfolgeprozessen zu Verurteilungen wegen Versklavung, Misshandlung, Einschüchterung, Folterung und Ermordung der Zivilbevölkerung und dem planmäßigen Einsatz von Zwangsarbeitern. Im Zuge des Kalten Krieges ebbte das Interesse an einer koordinierten Strafverfolgung ab und es kam hauptsächlich in den am meisten ausgebeuteten also osteuropäischen Ländern, zu weiteren Prozessen. Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter in den USA gegen deutsche Unternehmen, die sie beschäftigt hatten, führten zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Bund und Wirtschaft brachten je zur Hälfte 10 Milliarden D-Mark (circa 5,1 Milliarden Euro) ein. Im Gegenzug sind in den USA solche Klagen gegen einzelne Unternehmen jetzt ausgeschlossen. Die Auszahlungen begannen am 15. Juni 2001 und endeten im Juni 2007. 1,66 Page 64
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Millionen Zwangsarbeiter oder ihre Erben erhielten jeweils bis zu 7.500 Euro. Insgesamt wurden 4,37 Milliarden Euro ausgezahlt. Die Stiftung will mit dem Restkapital von 400 Millionen Euro Bildungs- und Verständigungsprojekte fördern. Damit ist die finanzielle Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland abgeschlossen. Kriegsgefangene, die im Deutschen Reich Zwangsarbeit verrichten mussten, wurden jedoch nicht entschädigt. Deutsche Zwangsarbeiter nach 1945 ? Hauptartikel: Deutsche Zwangsarbeiter nach 1945 Eine unmittelbare Folge des Zweiten Weltkrieges war die Verpflichtung deutscher Kriegsgefangener und Zivilisten zur Zwangsarbeit. In erster Linie sollten die Deutschen Wiedergutmachung leisten. Dabei gestaltete sich das Schicksal der Betroffenen unter den einzelnen Siegermächten unterschiedlich. Jährlich erzielte die DDR in den 1980er Jahren etwa 200 Millionen DM mit Waren aus Zwangsarbeit von Häftlingen und von Häftlingen erzwungenen Blutspenden.7 8 Der Historiker Tobias Wunschik untersuchte das in seiner 2014 veröffentlichten Studie mit dem Titel „Knastware für den Klassenfeind. Häftlingsarbeit in der DDR, der Ost-West-Handel und die Staatssicherheit (1970–1989)".? Historie Österreich Page 65
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In der Ostmark, offiziell Alpen- und Donau-Reichsgaue, waren im Herbst 1944 fast eine Million Zwangsarbeiter eingesetzt, während die Zahl der inländischen Arbeitskräfte bei 1,7 Millionen lag.¹° Siehe hierzu Liste der Außenlager des KZ Mauthausen. Der Österreichische Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit (kurz auch Versöhnungsfonds) besteht seit dem Jahr 2000 und leistete bis 2005 freiwillige Zahlungen an Zwangsarbeiter in Österreich während der Zeit des Nationalsozialismus. Bisher haben rund 132.000 Menschen weltweit Leistung aus diesem Fonds erhalten. Es wurde eine Gesamtsumme von 439.254.087 Euro in den Fonds gespeist. Bei einigen Firmen wie beispielsweise Swarovski, Österreichische Bundesbahnen und Steyr Daimler Puch ist die Rolle während der NS-Zeit großteils noch unerforscht und Gegenstand aktueller historischer Forschung.¹¹ Historie weitere Länder Japan Auch in Japan wurden während des Zweiten Weltkrieges Zivilpersonen der besetzten Gebiete zur Zwangsarbeit gezwungen. So wurden Hunderttausende von Koreanern nach Japan verschleppt und mussten in japanischen Minen und Fabriken arbeiten. Viele Männer aus den damaligen japanischen Kolonien Korea und Taiwan wurden ins japanische Militär zwangsrekrutiert, während Page 66
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt viele Frauen in den besetzten Gebieten zur Zwangsprostitution beziehungsweise zur sexuellen Sklaverei gezwungen wurden und als so genannte Trostfrauen japanischen Soldaten dienen mussten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Japan – und zwar mit stillschweigender Billigung der Siegermacht USA – koreanische Zwangsarbeiter in den Kohlebergwerken eingesetzt.Siehe auch: Death Railway Sowjetunion In die sowjetischen Zwangsarbeitslager des Gulag wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Millionen sowjetischer Bürger deportiert. Politische Oppositionelle, Gegner des kommunistischen Systems, Angehörige von Gruppen, die in Misskredit geraten sind (so genannte Klassenfeinde) sowie Teile der besiegten Volksgruppen wie beispielsweise die Polen im Zweiten Weltkrieg zwischen 1939 und 1941 und ganze Völkerschaften wurden nach Kolyma, Workuta und zum Weißmeer-Ostsee-Kanal verschleppt.¹² Aus diesen Orten sind große Städte und Industriezentren entstanden.¹³ Bereits vor der Gründung der Sowjetunion bestand zwischen 1696 und 1917 im russischen Kaiserreich das System der Katorga, das gewissermaßen als Vorläufer des Gulgasystems betrachtet werden kann. Auch hier wurden Menschen nach Sibirien zum Leisten von Zwangsarbeit verbannt. Allerdings war die Zahl der Betroffenen deutlich geringer Page 67
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt als in der Sowjetunion. Kambodscha Unter den Roten Khmer Pol Pots starben Millionen Kambodschaner durch Folter, Hinrichtungen und Zwangsarbeit. Rumänien Beim Bau des Donau-Schwarzmeer-Kanals in Rumänien wurden zwischen 1949 und 1954 mehrere zehntausend Häftlinge zur Zwangsarbeit herangezogen. Erst zwischen 1976 und 1984 wurde der Kanal ohne Zwangsarbeit fertiggestellt. Weiteres Moderne Erscheinungen Die Autorin¹4 Gisela Burckhardt, Leiterin der Frauenrechtskampagne Femnet, vergleicht auch die zeitgenössische Arbeitssituation von Textilarbeiterinnen z. B. in Bangladesch mit Zwangsarbeit.¹5 Strafrecht Grundsätzlich sind Gefangene verpflichtet, Arbeit, die ihren körperlichen Fähigkeiten angemessen sind, auszuüben, sofern sie dazu in der Lage sind. Das deutsche Grundgesetz erklärt bei Freiheitsentziehung explizit Zwangsarbeit als zulässig. Die Verpflichtung zu Arbeitsleistungen im Jugendstrafrecht als Auflage hat Strafcharakter, und bleibt im Rahmen des Art. 12 Page 68
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Abs. 2 und 3 GG verfassungsgemäß, so wie auch die Arbeitspflichten gemäß § 56b StGB nicht gegen Verfassung und Menschenwürde verstoßen. Im IAO-Abkommen heißt es dazu: 2. Als „Zwangsoder Pflichtarbeit" im Sinne dieses Übereinkommens gelten jedoch nicht […] c) jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person auf Grund einer gerichtlichen Verurteilung verlangt wird, jedoch unter der Bedingung, daß diese Arbeit oder Dienstleistung unter Überwachung und Aufsicht der öffentlichen Behörden ausgeführt wird und daß der Verurteilte nicht an Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt wird. Siehe auch - Arbeitsarmee - Arbeitslager - Menschenhandel, Menschenrechte, Menschenwürde, Menschenversuch - Reichsarbeitsdienst - Service du travail obligatoire - Zwangsheirat, Zwangssterilisation Literatur Zwangsarbeit im Krieg - Christian Westerhoff: Zwangsarbeit im ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914–1918. (= Studien zur historischen Migrationsforschung. Band 25). Dissertation. Schöningh, Page 69
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 2012, ISBN 978-3-506-77335-7. - Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Dissertation. 2. Auflage. Dietz, Bonn 1999, ISBN 3-8012-5028-8. - Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Dritten Reich und im besetzten Europa 1939–1945. DVA, Stuttgart/ München 2001, ISBN 3-421-05464-9. - Wolf Gruner: Jewish Forced Labor Under the Nazis: Economic Needs and Racial Aims, 1938–1944 (Originaltitel: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden übersetzt von Kathleen M. Dell'Orto), Cambridge University Press, New York, NY 2006, ISBN 0-521-74357-5 (Published in association with the United States Holocaust Memorial Museum). - Christian Ruch, Myriam Rais-Liechti, Roland Peter: Geschäfte und Zwangsarbeit: Schweizer Industrieunternehmen im „Dritten Reich". Herausgegeben von der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg. Chronos, Zürich 2001, ISBN 3-0340-0606-3. Sekundärliteratur - Fred Dorn, Klaus Heuer (Hrsg.): „Ich war immer gut zu meiner Russin." Struktur und Praxis des NS-Zwangsarbeitssystems. (= Studien und Materialien zum Rechtsextremismus. Band 1). Page 70
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Centaurus, Pfaffenweiler 1991, ISBN 3-89085-596-2. - Hans Schafranek, Robert Streibel (Hrsg.): Strategie des Überlebens. Häftlingsgesellschaften in KZ und GULAG. Picus, Wien 1996, ISBN 3-85452-401-3. - Karl-Joseph Hummel, Christoph Kösters, „Kommission für Zeitgeschichte" (Hrsg.): Zwangsarbeit und katholische Kirche 1939–1945. Geschichte und Erinnerung, Entschädigung und Versöhnung. Eine Dokumentation. (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Band 10). herausgegeben im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Schöningh, Paderborn 2008, ISBN 978-3-506-75689-3.¹6 Sekundärliteratur mit regionalem Bezug - Ralf Dünhöft: Fremdarbeiter in Delmenhorst während des Zweiten Weltkrieges. Isensee, Oldenburg 1995, ISBN 3-89598-306-3. - Johannes Grabler: Das Schicksal eines Zwangsarbeiters in Aulzhausen (Affing). Arbeit zum Hauptseminar „Zweimal 'Vergangenheitsbewältigung' – nach 1945, nach 1989" an der Kath. Universität Eichstätt. Eichstätt 1993. (Download-Version .doc) - Gerhard Hausen: Zwangsarbeit im Kreis Olpe. (= Schriftenreihe des Kreises Olpe. Band 32). Selbstverlag, 2007, ISSN 0177-8153. Landrat dankte Autor für Engagement. auf: derwesten.de, 10. Dezember 2007. - Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Page 71
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47477-2. - Andreas Heusler: Zwangsarbeit in der Münchner Kriegswirtschaft 1939–1945. 2. Auflage. München-Verlag, München 2000, ISBN 3-927984-07-8. - Rolf Keller: Sowjetische Kriegsgefangene im Deutschen Reich 1941/42. Behandlung und Arbeitseinsatz zwischen Vernichtungspolitik und kriegswirtschaftlichen Erfordernissen. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0989-0. Rezensionen: H-Soz-u-Kult 9. Februar 2012, www.kulturthemen.de 9. Februar 2012 - Nils Köhler: Zwangsarbeit in der Lüneburger Heide – Organisation und Alltag des „Ausländereinsatzes" 1939–1945. 2. Auflage. Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh 2004, ISBN 3-89534-537-7. - Arne Martius: Zwangsarbeiter in Ilmenau. Escher, Ilmenau 2004, ISBN 3-00-016747-1. - Michael Matheus, Hedwig Brüchert (Hrsg.): Zwangsarbeit in Rheinland-Pfalz während des Zweiten Weltkriegs. (= Geschichtliche Landeskunde. 57). Steiner, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08279-4. - Stefan Karner, Peter Ruggenthaler: Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiete Österreichs 1939–1945. Oldenbourg, Wien 2004, ISBN 3-486-56800-0. - Stephan Jegielka: Das KZ-Aussenlager Genshagen. Struktur und Wahrnehmung der Zwangsarbeit in einem Rüstungsbetrieb 1944/45. Tectum, Marburg 2005, ISBN 3-8288-8895-X. - Thomas Irmer, Zwangsarbeit erinnern e.V.: … Page 72
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Zwangsarbeit für Siemens in Auschwitz und Berlin. Dokumentation einer Begegnung mit ehemaligen KZ-Häftlingen. Berlin 2006, ISBN 3-938690-47-X. - Thomas Müller: Zwangsarbeit in der Grenzzone. Der Kreis Aachen im Zweiten Weltkrieg. Shaker, Aachen 2003, ISBN 3-8322-1301-5. - Cord Pagenstecher: Ausländischer Widerstand in Berlin. Spielräume des Widerstehens von Zwangsarbeitern. In: Hans Coppi, Stefan Heinz (Hrsg.): Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter. Dietz, Berlin 2012, ISBN 978-3-320-02264-8, S. 229–247. - Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale. Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. – Bremen 2014, ISBN 978-3-944690-28-5; korrigierte Druckfassung eines 2007 aus Datenschutzgründen unveröffentlicht gebliebenen Textes, weiterhin auch online zu finden im "forum oö geschichte" . - Peter Rugenthaler: Ein Geschenk für den Führer: Sowjetische Zwangsarbeiter in Kärnten und der Steiermark 1942–1945. Verein zur Förderung der Forschung von Folgen nach Konflikten und Kriegen, Graz 2001, ISBN 3-901661-06-9. - Roman Smolorz: Zwangsarbeit im „Dritten Reich" Page 73
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt am Beispiel Regensburgs. Stadtarchiv Regensburg, Regensburg 2003, ISBN 3-935052-30-8. - Mark Spoerer: Zwangsarbeitsregimes im Vergleich: Deutschland und Japan im Ersten und Zweiten Weltkrieg. In: Klaus Tenfelde, Hans-Christoph Seidel (Hrsg.): Zwangsarbeit im Europa des 20. Jahrhunderts. Vergleichende Aspekte und gesellschaftliche Auseinandersetzung. Klartext, Essen 2007, S. 187–226. - Claus Heinrich Gattermann: Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939–1945. Wernigerode/ Berlin 2003, ISBN 3-936872-13-9. - Thorsten Wiederhold: Gerhard Fieseler – eine Karriere. Ein Wirtschaftsführer im Dienste des Nationalsozialismus. (= Nationalsozialismus in Nordhessen, Schriften zur regionalen Zeitgeschichte. Band 20). Kassel 2003, ISBN 3-934377-98-X. Darin: Zwangsarbeiter im Fieseler-Werk. S. 169–219. - Roland Maier: Haupttätigkeitsfeld im Krieg: Überwachung und Repression der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, in: Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Schmetterling-Verlag Stuttgart 2013, ISBN 3-89657-145-1, S. 338-380. Zwangsarbeit nach 1945 Zwangsarbeit in der Tschechoslowakei - Tomáš Stanek: Internierung und Zwangsarbeit: das Lagersystem in den Page 74
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt böhmischen Ländern 1945–1948 (Originaltitel: Tábory v ceských zemích 1945–1948, übersetzt von Eliška und Ralph Melville, ergänzt und aktualisiert vom Autor, mit einer Einführung von Andreas R. Hofmann) (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum. Band 92). Oldenbourg/ Collegium Carolinum, München 2007, ISBN 978-3-486-56519-5. Zwangsarbeit in der DDR - Uwe Bastian, Hildigund Neubert: Schamlos ausgebeutet. Das System der Haftzwangsarbeit politischer Gefangener des SED-Staates. herausgegeben vom Bürgerbüro. Berlin 2003, DNB 970199368. - Karin Schmidt: Zur Frage der Zwangsarbeit im Strafvollzug der DDR. Olms, Hildesheim u. a. 2011, ISBN 978-3-487-14571-6. - Marcus Sonntag: Die Arbeitslager in der DDR. Klartext, Essen 2011, ISBN 978-3-8375-0477-4. (PDF-Download) - Tobias Wunschik: Knastware für den Klassenfeind. Häftlingsarbeit in der DDR, der Ost-West-Handel und die Staatssicherheit (1970–1989). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-525-35080-5¹7 - Christian Sachse: Das System der Zwangsarbeit in der SED-Diktatur. Die wirtschaftliche und politische Dimension. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2014, ISBN 978-3-86583-884-1. - Jan Philipp Wölbern: Haftarbeit in der DDR. Eine Zwischenbilanz, in: Zeithistorische Forschungen 13 (2016), S. 86-107. - Susanne Kill, Christopher Kopper, Jan-Henrik Peters: Die Reichsbahn und Page 75
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Strafvollzug in der DDR Häftlingszwangsarbeit und Gefangenentransporte in der SED-Diktatur, Klartext Verlag, 2016, ISBN 978-3-8375-1436-0¹8 Filme - Esclaves d'Hitler / Hitlers Sklaven: Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Schweizer Fabriken. (Frédéric Gonseth Schweiz 1997) - Zwangsarbeit! Travail force! Französische Zwangsarbeiter in Österreich. (Siegfried Steinlechner und Wolfgang Peschl, Österreich 2008)¹? Rundfunkbeiträge - Isabell Fannrich-Lautenschläger: DDR-ZWANGSARBEITER – Ausbeutung nach Plan, Deutschlandfunk „Hintergrund" vom 15. Juni 2014 Weblinks Wiktionary: Zwangsarbeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wiktionary: Zwangsarbeiter – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Commons: Zwangsarbeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Rechtsprechungsdatenbank des Projektes Zwangsarbeit heute am Deutschen Institut für Menschenrechte - Deutsche Zwangsarbeiter in der Sowjetunion. In: FAZ. 8. Juli 2006. - Zwangsarbeit Europäisch erinnern - Zu Zwangsarbeit in deutschen Heimen von Page 76
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1945–1975 siehe: Homepage des Vereins ehemaliger Heimkinder e.V. - Zeitzeugen-App der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. Einzelnachweise [1] Übereinkommen 29 der ILO über Zwangs-und Pflichtarbeit 1930 [2] Übereinkommen 105 der ILO über die Abschaffung der Zwangsarbeit 1957 [3] badische-zeitung.de: Weltweit gibt es 21 Millionen Zwangsarbeiter.Badische Zeitung, 21. Mai 2014. (24. Mai 2014) [4] Bundesarchiv: Historischer Überblick der Zwangsarbeit im Deutschen Reich abgerufen 15. September 2014. [5] „Zwangsarbeit im NS-Staat: Haftstättenverzeichnis - Lagerarten". In: Bundesarchiv. 2010, abgerufen am 17. September 2014. [6] Wolfgang Benz, Barbara Distel: Der Ort des Terrors: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. C.H. Beck 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 241. [7] Blutkapitalismus im Sozialismus: DDR-Häftlinge: Schuften für Aldi, bluten für die Stasi [8] Millionen Devisen für DDR-Zwangsarbeit und Blut von Häftlingen [9] bstu.bund.de [10] Erinnerungsort Barackenlager Sittendorf, Reichsautobahnbau der A21. [11] NS-Regime: Das reiche Erbe einer dunklen Zeit diepresse.com, abgerufen am 2. Oktober 2011. [12] Joel Kotek, Pierre Rigoulot: Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung. Propyläen 2001, ISBN Page 77
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 3-549-07143-4. (Le siècle des camps, Éditions Lattès 2000.) [13] VorkutLag-Vorkuta - Bergbaustadt in der russischen Polarregion: doppelte Erinnerungspfade an der Sowjetunion. auf: geschichtswerkstatt-europa.org [14] Gisela Burckhardt: Todschick Edle Labels, billige Mode – unmenschlich produziert. Heyne Verlag, 2014, ISBN 978-3-453-60322-6. [15] Badische Zeitung, Wirtschaft, 9. Februar 2015, badische-zeitung.de: "Eigentlich ist es Zwangsarbeit" [16] Kardinal Lehmann zur Veröffentlichung: Baustein zukunftsgerichteter Versöhnungsarbeit 8. April 2008. [17] bstu.bund.de [18] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ddr-zwangsa rbeiter-abgruende-am-gleis-1.2957943 [19] Zwangsarbeit! Travail force! Normdaten (Sachbegriff): GND: 4139439-2 Sonderabgabe (Deutschland) Eine Sonderabgabe ist eine außersteuerliche Abgabe und Oberbegriff für ein breites Spektrum diverser öffentlicher Abgaben. Eine allgemeine Definition lässt sich daher nicht formulieren.¹ Hintergründe Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen Geldleistungspflichten, die einem begrenzten Personenkreis im Hinblick auf vorgegebene besondere wirtschaftliche oder soziale Zusammenhänge gesetzlich Page 78
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt auferlegt worden sind, nicht als steuerliche Abgaben oder Vorzugslasten, sondern als Sonderabgaben qualifiziert und als verfassungsrechtlich zulässig angesehen. Es hat verneint, dass es in diesen Fällen zur Auferlegung der Sonderabgaben einer ausdrücklichen verfassungsgesetzlichen Spezialermächtigung bedürfte; es hat vielmehr die Kompetenz des Gesetzgebers zur Einführung außersteuerlicher Abgaben sowie die Regelung ihrer Verwendung aus den allgemeinen Sachzuständigkeiten nach Art. 73 ff. GG hergeleitet. Entscheidend für die Qualifizierung einer Abgabe als Sonderabgabe ist ihr materieller Gehalt. Da es sich um die Abgrenzung von Kompetenzbereichen handelt, kann es nicht darauf ankommen, wie das Abgabengesetz selbst eine öffentlich-rechtliche Abgabe klassifiziert. Es steht nicht in der Macht des Bundes- oder Landesgesetzgebers, einer Abgabe, die unter den Begriff der Steuer fällt, durch ausdrückliche gegenteilige Bestimmung, also durch ausdrückliche Verneinung der Steuereigenschaft oder durch ausdrückliche Einreihung in eine andere Abgabenkategorie, diese rechtliche Qualifikation zu nehmen und dadurch seine Zuständigkeit zu begründen. Die Erhebung einer Sonderabgabe setzt eine spezifische Beziehung (Sachnähe) zwischen dem Kreis der Abgabepflichtigen und dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck voraus. Page 79
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. - Aus dieser Sachnähe muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außersteuerlichen Abgabe zu finanzierenden Aufgabe entspringen. Eine gesellschaftliche Gruppe kann nur dann mit einer Sonderabgabe in Anspruch genommen werden, wenn sie durch eine gemeinsame, in der Rechtsordnung oder in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgegebene Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit und anderen Gruppen abgrenzbar ist, wenn es sich also um eine in diesem Sinne homogene Gruppe handelt. Sonderabgaben dürfen nicht zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden und ihr Aufkommen darf nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben verwendet werden. Beispiele von Sonderabgaben - Abgabe der Notare im Tätigkeitsbereich der Notarkasse München bzw. Ländernotarkasse Leipzig - Abgabe für den Deutschen Weinfonds - Abgabe im Milchbereich (gültig ab 1. April 2004) - Abgaben zur Inbetriebnahme von Güterschiffen und Schubbooten Page 80
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Abwasserabgabe - Bahnpolizeiliche Ausgleichszahlung - Beitrag zum Klärschlamm-Entschädigungsfonds - Beiträge zur Absatzförderung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft - Beiträge zur Einlagensicherung und Anlegerentschädigung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau - Beiträge zur Entschädigungseinrichtung des Bundesverbandes Öffentlicher Banken - Beiträge zur Entschädigungseinrichtung deutscher Banken - Beiträge zur Förderung der Forst- und Holzwirtschaft - Berufsausbildungsabgabe - DRG-Systemzuschlag - Fallbezogener Zuschlag für das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen - Feldes- und Förderabgabe - Filmabgabe der Kino- und Videowirtschaft - Finanzierungszuschuss zur Museumsstiftung - Investitionszuschlag zur KrankenhausInvestitionsfinanzierung in den neuen Ländern und Berlin (Ostteil) - Post und Telekommunikation - Produktionsabgabe Zucker - Qualitätssicherungszuschläge - Schwerbehindertenausgleichsabgabe - Umlage für das Insolvenzgeld - Umlage nach dem Milch- und Fettgesetz - Verwaltungskostenumlage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht - Verwaltungskostenumlage für das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen - Verwaltungskostenumlage für das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen - Verwaltungskostenumlage für das Page 81
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel - Winterbeschäftigungs-Umlage - Zusatzabgabe im Milchbereich (gültig bis 31. März 2004) - Zuschlag zur Finanzierung von Ausbildungsstätten und Ausbildungsvergütungen Siehe auch - Parafiskalische Abgabe - Vermögensabgabe, Kreditgewinnabgabe, Hypothekengewinnabgabe basierend auf dem Lastenausgleichsgesetz - Hauszinssteuer (1924—1943) Einzelnachweise [1] Scheffler, Wolfram (2007): Besteuerung von Unternehmen, Heidelberg. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Sonderabgaben - BVerfGE 110, 370: Düngemittel-Klärschlamm-Entschädigungsfonds Vernichtung durch Arbeit Vernichtung durch Arbeit ist ein Begriff, der für das nationalsozialistische Lagersystem geprägt wurde und die vorsätzliche oder billigend in Kauf genommene Tötung von Zwangsarbeitern oder Häftlingen durch übermäßige Schwerarbeit und mangelhafte Versorgung bezeichnet. Das Konzept der Vernichtung durch Arbeit wurde auch in den Lagern anderer Page 82
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt totalitärer und diktatorischer Systeme angewandt. Ob es der Ausnutzung von Zwangsarbeit im sowjetischen Gulag zugrunde lag, ist umstritten. Zeit des Nationalsozialismus: Arbeit oder Vernichtung? In den aufgefundenen Dokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus taucht der Ausdruck Vernichtung durch Arbeit nur im Zusammenhang mit der Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug auf¹ . In einem Aktenvermerk vom 14. September 1942 notierte Otto Thierack über ein Gespräch mit Joseph Goebbels: „Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, dass Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa 3 bis 4 Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätten, Tschechen und Deutsche, die zum Tode, lebenslangen Zuchthaus oder Sicherheitsverwahrung verurteilt wären, vernichtet werden sollten. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste."² Joseph Goebbels schrieb in seinen Tagebuchaufzeichnungen zu diesem Gespräch mit Thierack: „Wer an dieser Arbeit zugrunde geht, um den ist es nicht schade.³ " Hier war der Tod des Häftlings als Folge des Arbeitseinsatzes, wenn nicht beabsichtigt, so doch zumindest billigend in Kauf genommen. Eine andere Page 83
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Quelle deutet darauf hin, dass mit „Vernichtung durch Arbeit" durchaus der Tod als Endziel beabsichtigt war. Im Protokoll der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 heißt es: „Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist." – Protokoll, Seite 8 Diese Textpassage ist vielfach als Anweisung für den Holocaust interpretiert worden, wobei der „Vernichtung durch Arbeit" eine erhebliche Bedeutung zukam. Neuerdings schränken Historiker wie Jan Erik Schulte jedoch diese Sichtweise ein und bezweifeln, dass hier schon ein detaillierter Plan für den Völkermord vorlag: „Auch wenn viele Juden sterben würden, war der Arbeitseinsatz nicht nur Mittel zum Zweck der Vernichtung jüdischer Menschen."4 Page 84
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Auch die hohe Todesrate unter Häftlingen, die als Arbeitssklaven der SS in den deutschen Konzentrationslagern und deren Außenlagern ausgebeutet wurden, wird oft als Ergebnis einer beabsichtigten „Vernichtung durch Arbeit" gedeutet. So starben beim Arbeitseinsatz für I.G. Farben im KZ Auschwitz III Monowitz bis zu 25.000 von 35.000 eingesetzten Häftlingen. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines jüdischen Häftlings im Arbeitseinsatz betrug weniger als vier Monate.5 Die ausgemergelten Zwangsarbeiter starben vor Erschöpfung oder durch Krankheit oder sie wurden als arbeitsunfähig selektiert und getötet. Beim Bau von Stollen, die in den letzten Kriegsmonaten für Rüstungsfabriken geschaffen wurden, starben rund dreißig Prozent der eingesetzten Zwangsarbeiter.6 Derartig hohe Sterblichkeitsraten waren allerdings nicht allgemein zu verzeichnen. So kamen etwa in Mauthausen/Gusen beim Arbeitseinsatz in der Rüstungsproduktion jährlich etwa fünf Prozent der Häftlinge zu Tode. Bei solchen unterschiedlichen Ziffern zur Sterblichkeitsrate ist eine allgemeingültige Aussage kaum möglich: Es muss offenbleiben, ob die Häftlingsarbeit „Mittel zum Zweck der Vernichtung" war oder ob die Vernichtung als „eine zwar einkalkulierte, nicht aber vorgängig intendierte Folge" des Häftlingseinsatzes angesehen werden muss.7 Die Industrie verlangte dringend nach Page 85
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitskräften. Oswald Pohl, der Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes (WVHA), lieferte die erforderlichen Arbeitssklaven und befahl am 30. April 1942: „Der Lagerkommandant allein ist verantwortlich für den Einsatz der Arbeitskräfte. Dieser Arbeitseinsatz muß im wahren Sinne des Wortes erschöpfend sein, um ein Höchstmaß an Leistung zu erzielen.[…] Die Arbeitszeit ist an keine Grenzen gebunden. […] Zeitraubende Anmärsche und Mittagspausen nur zu Essenszwecken sind verboten. […] Er [der Lagerkommandant] muss klares fachliches Wissen in militärischen und wirtschaftlichen Dingen verbinden mit kluger und weiser Führung der Menschengruppen, die er zu einem hohen Leistungspotential zusammenfassen soll."8 In der Folge wurden zahlreiche Außenlager in der Nähe von Bergwerken und Industriebetrieben eingerichtet. Zugleich erhöhte sich die Sterberate unter den Arbeitssklaven, da dort die Unterbringung und Versorgung oft noch unzureichender war als im Stammlager. Die Anweisung Pohls „kann […] als Freibrief für alle KZ-Kommandanten gewertet werden, die Häftlingsarbeit als Mittel der Vernichtung einzusetzen".? Allerdings hebt die abschließende Begründung des Befehls ökonomische Gründe hervor. Die zitierte Sichtweise ist daher umstritten, zumal weitere Anordnungen auf die Erhaltung der Arbeitskraft abzielen. Page 86
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Am 26. Dezember 1942 schrieb Richard Glücks, Leiter des Amtes D vom SS-WVHA: „In der Anlage wird eine Aufstellung über die laufenden Zu- und Abgänge in sämtlichen Konzentrationslagern zur Kenntnisnahme übersandt. Aus derselben geht hervor, dass von 136.000 Zugängen rund 70.000 durch Tod ausgefallen sind. Mit einer derartig hohen Todesziffer kann niemals die Zahl der Häftlinge auf die Höhe gebracht werden, wie es der Reichsführer SS befohlen hat. Die 1. Lagerärzte haben sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einzusetzen, daß die Sterblichkeitsziffer in den einzelnen Lagern wesentlich herabgeht."¹° Im März 1944 mahnte Oswald Pohl die Verwaltung der SS-Wirtschaftsbetriebe, dass „die Arbeitskraft eines jeden Häftlings wertvoll" sei; sie müsse „in vollem Umfang für die Volksgemeinschaft nutzbar gemacht werden".¹¹ Letztlich – so fasst der Historiker Jens-Christian Wagner zusammen – lässt sich aus den schriftlichen Quellen nicht belegen, ob eine Vernichtungsabsicht bestanden habe. Der mörderische Häftlingseinsatz, der langfristig ökonomisch widersinnig und uneffektiv war, wurde – zumal in den letzten Kriegsmonaten – zugunsten einer kurzfristig erreichbaren maximalen Arbeitsleistung forciert. Der Tod der Häftlinge wurde bewusst in Kauf genommen und bei bestimmten Häftlingsgruppen auch Page 87
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt angestrebt.¹² Nationalsozialismus Die Ideologie des Nationalsozialismus betrachtete die „germanischen Völker" der Deutschen, der Flamen, Niederländer, Engländer und Skandinavier als „arische Rasse" und „Herrenmenschen". Das „deutsche Blut" und die „Arier" mussten von „Fremdrassigen" „rein gehalten" werden. Als „Fremdrassige" galten die slawischen Völker und ganz besonders die Juden und die „Zigeuner". Randständige Gruppen der Mehrheitsbevölkerung wie kinderreiche fürsorgeabhängige Familien in sozialen Brennpunkten, Landstreicher oder Landfahrer sowie Problemgruppen wie Alkoholkranke oder Prostituierte galten als „deutschblütige" „Asoziale" und ebenfalls als überflüssige „Ballastexistenzen". Sie wurden wie auch Homosexuelle von behördlichen und polizeilichen Instanzen listenmäßig erfasst und vielfältigen staatlichen Restriktionen und Repressionsmaßnahmen ausgesetzt, die bis zur Zwangssterilisation und schließlich zur Inhaftierung in Konzentrationslagern reichten. Wer sich offen gegen das nationalsozialistische Regime auflehnte (wie Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten oder Kriegsdienstverweigerer), wurde in Haftanstalten und Lagern inhaftiert. Die Lager überlebten viele der Häftlinge nicht. Page 88
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In den nationalsozialistischen Lagern vollzog sich „Vernichtung durch Arbeit" vor allem durch eine sklavenförmige Organisation der Arbeit, weshalb in Unterscheidung zur Zwangsarbeit der ausländischen Arbeitskräfte hier mit einem Terminus der Nürnberger Prozesse von „Sklavenarbeit" und „Sklavenarbeitern" die Rede ist. Die Arbeitsbedingungen waren charakterisiert durch: - schwere körperliche Arbeit (zum Beispiel beim Straßenbau, bei Erdarbeiten oder in der Fabrik, besonders in der Rüstungsindustrie) - ständige überlange Arbeitszeiten (oft zehn bis zwölf Stunden am Tag, im Sinne von biologischem Stress, Raubbau der Kräfte) - zu Hunger und Mangelerkrankungen führende Mangelernährung, - mangelnde Hygiene - keine oder ungenügende medizinische Versorgung und dadurch zusätzlich entstehende Krankheiten - keine Entlohnung - über lange Zeit, nicht nur als Strafe, eingesetzte Hungerrationen - ungenügende Bekleidung (beispielsweise Sommerkleidung auch im Winter) - Verletzungen durch fehlendes oder ungenügendes Schuhwerk - ständige Bewachung der Arbeitenden bei vielfältigen Willkürakten der Bewacher - Folter und Misshandlungen wie das Torstehen oder das Pfahlhängen Page 89
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslager Die Haft im Konzentrationslager sollte den Eingelieferten zumindest brechen. Die Aufnahme und Registrierung der neu eingelieferten Häftlinge, die Zwangsarbeit, die Unterbringung der Häftlinge, die Zählappelle – das ganze Leben im Lager war von Demütigungen und Schikanen begleitet. Die Aufnahme, die Registrierung und das Verhör der Verhafteten waren begleitet von höhnischen Bemerkungen der SS-Leute. Bei den Zählappellen wurden die Häftlinge getreten und geschlagen. Die Zwangsarbeit bestand teilweise aus sinnlosen Verrichtungen und aus Schwerarbeit, die die Häftlinge zermürben sollte. Besonders zynisch erscheint in diesem Zusammenhang der in einigen Konzentrationslagern des Deutschen Reiches vorzufindende Schriftzug „Arbeit macht frei", z. B. an den Eingangstoren der Lager (das Konzentrationslager Buchenwald war das einzige KZ mit dem Spruch „Jedem das Seine" am Eingangstor). Die Opfer Opfer der Vernichtung durch Arbeit waren vor allem Juden aus fast allen Ländern Europas, „Zigeuner", Angehörige slawischer Völker, politische Gegner, Homosexuelle, so genannte „Asoziale" (insbesondere zu hohen Haftstrafen verurteilte Gefangene), Zeugen Jehovas und auch andere Page 90
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt entschiedene Christen. Schätzungsweise kamen insgesamt sechs Millionen Juden, 500.000 Sinti, Roma und Angehörige anderer als „Zigeuner" verfolgter Gruppen sowie sieben Millionen sowjetische Kriegsgefangene und Zivilisten in den Konzentrationslagern um. Genaue Berechnungen sind nicht möglich, weil die Nationalsozialisten über ihre Opfer nicht immer vollständige Listen führten. Hintergrund; Folgen nach 1945 Die nationalsozialistische Ideologie forderte die „Reinhaltung" der „arischen Rasse" und des „deutschen Blutes" von „Fremdrassigen". Zu diesen „Fremdrassigen" zählten vor allem die slawischen Völker, die Farbigen, die Juden und Teile der „Zigeuner". Alte Menschen, Kranke, „Arbeitsverweigerer", so genannte „Asoziale" und Behinderte galten als „unnütze Esser". Auch Regime-Gegner, wie zum Beispiel Kommunisten, bürgerliche Demokraten, Sozialdemokraten und entschiedene Christen, wurden verfolgt, weil sie sich dem „Aufbruch" und dem „nationalen Erwachen" entgegenstellten. Am 18. September 1942 hatte Thierack notiert, dass Juden und Zigeuner schlechthin … vernichtet werden. Die NS-Ministerialbürokratie beteiligte sich anschließend aktiv an der Auslieferung bereits festgenommener, von der Justiz als „asozial" deklarierter Personen aus Page 91
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt deutschen Haftanstalten in die Vernichtungslager, dies wurde amtsmäßig „Abgabeaktion" genannt. Mehrere Tausend Personen wurden durch die Mitwirkung des Ministeriums in KZ-Lager deportiert, die meisten von ihnen anschließend ermordet. Einige wenige der beteiligten hohen Beamten des Reichsjustizministeriums wurden 1951/1952 angeklagt und vor Gericht gestellt. Auf der Anklagebank saßen von den noch lebenden führenden beteiligten Beamten Rudolf Marx¹³ , Albert Hupperschwiller¹4 , Friedrich-Wilhelm Meyer¹5 und Otto Gündner¹6 . Einige dieser bisherigen Beamten des Reichsjustizministeriums hatten vor dem Landgericht Wiesbaden bereits zugegeben, schon damals gewusst zu haben, dass viele der überstellten Gefangenen in den Lagern getötet wurden und dass im Ministerium auch die massenhaften Todesmeldungen eingingen. Aber sie behaupteten dennoch vor Gericht ihre Ahnungslosigkeit. Die Angeklagten wurden schließlich alle freigesprochen. Die Begründung bestand in einer eigenwilligen sprachlichen Neuinterpretation: Obwohl in den überlieferten schriftlichen Dokumenten, in den Akten mit Paraphen, ausdrücklich von „Vernichtung" die Rede ist, hielten die Richter den Angeklagten zugute: „Das ‚Wahrnehmen des Wortes Vernichtung allein' stellt keine ausreichende Grundlage für eine Feststellung des Wissens oder Ahnens der Angeklagten um die Tötungen dar." – Landgericht Wiesbaden 1952 Page 92
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Stalinismus Zur Ausnutzung von Häftlingsarbeit in großem Maßstab und mit oft katastrophalen Folgen für die Zwangsarbeiter kam es auch in sozialistischen Staaten wie zum Beispiel in der Sowjetunion unter Stalin, der die Lager seines Vorgängers Lenin¹7 ¹8 weiter ausbaute. Unter Stalins Herrschaft wurde ein umfassendes Zwangsarbeitslagersystem aufgebaut, das im Vergleich zu den Konzentrationslagern und Haftanstalten, die in der Phase des Bürgerkrieges und in den 1920er Jahren existierten, erhebliche Unterschiede aufwies.¹? Zwangsarbeitslager gab es auch in Rumänien unter Nicolae Ceau?escu. Heute gibt es vergleichbare Lager noch im kommunistischen Nordkorea. Inwiefern produktive Ziele oder aber die Vernichtung von politischen Gegnern und anderen Missliebigen durch Arbeit und Haftbedingungen in den betreffenden Fällen Hauptzweck der Ausnutzung von Häftlingsarbeit waren, ist Gegenstand von Debatten. In einem Überblick über die jüngere internationale Forschung zum stalinistischen Lagersystem resümierte Dietrich Beyrau, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen, im Jahr 2000: „Ein guter Lagerleiter zeichnete sich aus durch einen optimalen Einsatz Page 93
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [Hervorhebung im Original] der Arbeitskräfte trotz nicht verleugneter Mängel bei der Ausstattung, Bekleidung und Ernährung und vor allem durch Übererfüllung der Planvorgaben."²° Gunnar Heinsohn, Soziologe und Professor in Bremen, vertritt die Ansicht, dass „Vernichtung durch Arbeit im 20. Jahrhundert zum vorrangigen Tötungsmittel marxistisch-leninistischer Regime wurde". Bereits Trotzki habe im Juni 1918 den Grundstein für die Einführung dieser Tötungsart in Russland gelegt. Stalin habe die Vernichtung durch Arbeit im Gulag dann ab 1928 aufgebaut.²¹ Joël Kotek und Pierre Rigoulot kommen zu folgender Einschätzung: „Angesichts der Umstände, unter denen die Gefangenen arbeiteten, scheint es doch mehr um deren Bestrafung und Eliminierung gegangen zu sein, auch wenn alles daran gesetzt wurde, die maximale Arbeitsleistung aus ihnen herauszuholen."¹7 In seinem Buch Archipel Gulag. Stalins Zwangslager schreibt Ralf Stettner, der Charakter des Gulag sei „angesichts der Millionenzahl hingerichteter, verhungerter, erfrorener und zu Tode gearbeiteter Häftlinge als Vernichtungsmaschinerie augenscheinlich".²² Roy Medwedew dazu: „Der Strafvollzug in Kolyma und den Lagern des Nordens war bewußt auf physische Vernichtung der Menschen eingestellt."²³ Page 94
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Während der Sowjetherrschaft, vor allem im Stalinismus, wurden viele (echte und vermeintliche) politische Gegner erschossen. Zudem wurden politische Gegner ebenso wie Kriminelle gezwungen, als Häftlinge auf großen Baustellen (beispielsweise der Weißmeer-Ostsee-Kanal, Steinbrüche, Bahnlinien, Städtebau) unter menschenunwürdigen Bedingungen zu arbeiten. Solschenizyn bezeichnete einige sowjetische Lager als „Ausrottungslager" (Archipel Gulag II). Die Haftbedingungen waren durchgängig geprägt von - sehr hohen Arbeitszeiten und -normen - Hungerrationen, die bei Untererfüllung der Arbeitsnorm weiter reduziert wurden - eisiger Kälte im Winter, bei oft völlig ungenügender Bekleidung - gefährlichen Arbeitsbedingungen, - Krankheiten (wie z. B. Typhus und Skorbut), bei unzureichender medizinischer Versorgung - Dreck, Ungeziefer, unzureichenden hygienischen Bedingungen und sanitären Einrichtungen, auch in Frauenlagern - Schikanen, Beleidigungen, Misshandlungen, drastischen Bestrafungen für geringste Regelverletzungen. Ähnlich zynisch wie der Spruch „Arbeit macht frei", der am Eingang verschiedener nationalsozialistischer Konzentrationslager (u. a. Dachau, Sachsenhausen, Auschwitz) angebracht wurde, prangte bereits im Jahre 1923 über dem ersten größeren Zwangsarbeitslager der Sowjetunion der Spruch, „Laßt uns mit eiserner Hand die Menschheit ihrem Page 95
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Glück entgegentreiben".²4 Von den sowjetischen Machthabern wurde der Begriff „Besserung durch Arbeit" („Besserungsarbeitslager") verwendet. In den 1920er Jahren wurde dieser Begriff für sämtliche Häftlinge in den Haftanstalten der republikanischen Volkskommissariate des Inneren verwendet, die zu jener Zeit den Hauptbestandteil des sowjetischen Strafverbüßungssystems bildeten. „Besserungsarbeit" wurde auch eine Strafform genannt, wonach für als minderschwer eingeschätzte Vergehen Verurteilte an ihrem bisherigen Arbeitsplatz für eine bestimmte Zeit bei reduziertem Lohn arbeiten mussten. Aus (explizit) politischen Gründen Inhaftierte wurden demgegenüber in sogenannten „Politisolatoren" bzw. in „Konzentrationslagern" interniert, die der OGPU unterstanden. Im Juni 1929 wurde für die bereits existierenden sowie für die neuzugründenden Lager der OGPU die Bezeichnung „Besserungsarbeitslager" eingeführt.²5 Seitdem mussten alle Gefangenen im Stalinismus, ob „gewöhnliche Kriminelle" oder „Konterrevolutionäre", die zu Zwangsarbeit verurteilt worden waren, nach offizieller Lesart „Besserungsarbeit" leisten. Daher ist es angezeigt, der kommunistischen Terminologie und Propaganda mit Skepsis zu begegnen. R. Stettner vermerkt dazu, dass unterschieden wurde zwischen Besserungsarbeit für Häftlinge aus der Arbeiterklasse und andererseits Page 96
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zwangsarbeit für „Konterrevolutionäre" und „Klassenfeinde" zur Erniedrigung, Bestrafung und Vernichtung. Der Grundsatz der „Besserung und Umerziehung" habe außerdem nicht für politische Häftlinge gegolten. Stettner bezeichnet es als falsch, der „kommunistischen Terminologie und Propaganda zu folgen und die Betrachtung … auf Besserungsarbeit zu konzentrieren." Es sei vielmehr „festzuhalten, daß von den ersten Wochen der Herrschaft der Bolschewiki an Gefangenenzwangsarbeit der politisch Mißliebigen üblich war".²² Opfer Laut internen, vormals geheimen Dokumenten des GULAG sollen im Zeitraum zwischen 1930 und 1956 in den sowjetischen Zwangsarbeitslagern und -kolonien (ausgenommen Kriegsgefangenenlager) etwa 1,6 Millionen Menschen ums Leben gekommen sein, wobei in dieser Ziffer Sterbefälle in Kolonien allerdings erst ab 1935 enthalten sind. Etwa 900.000 dieser Todesfälle fallen demnach in die Jahre 1941–45.²6 Diese Zahlen sind konsistent mit Archivdokumenten, die der russische Historiker Oleg Chlewnjuk in seiner Studie The History of the Gulag: From Collectivization to the Great Terror vorstellt und auswertet, und nach denen in den Jahren 1930 bis Anfang 1941 etwa 500.000 Menschen in den Lagern und Kolonien starben.²7 Chlewnjuk weist darauf hin, dass diese Zahlen keine Todesfälle berücksichtigen, die Page 97
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt während Transporten auftraten.²8 Vor der Öffnung vieler ehemaliger sowjetischer Archive gingen viele Historiker von weitaus höheren Gefangenenzahlen und Sterbeziffern in den sowjetischen Lagern aus. In Schätzungen wurden Mortalitätsdaten in Größenordnungen von bis zu 20 Millionen und mehr genannt.²? Nachdem Archivdokumente zum Gulag in großem Umfang zugänglich und vielfach veröffentlicht wurden, wurden die Fragen nach der Vollständigkeit dieser Daten und ob sie die Gesamtzahl der Toten realistisch wiedergeben, in der internationalen Forschung ausführlich debattiert. Mittlerweile besteht bezüglich der Archivquellen aus der Zeit der sowjetischen Diktatur, die Häftlings- und Sterbeziffern enthalten, welche sich weit unterhalb der Höchstwerte früherer Schätzungen bewegen, breiter Konsens unter Russlandund Osteuropahistorikern über die Notwendigkeit, sie kritisch zu verwenden.³° Demgegenüber gibt der Politologe und Spezialist auf dem Gebiet der Genozidforschung Rudolph Joseph Rummel die Zahl von 39 Millionen Gulag-Toten für die Gesamtzeit der marxistisch-leninistischen Ära in der Sowjetunion (1918-1991) an, miteingeschlossen also die Zeit Lenins und seiner Geheimpolizei Tscheka.³¹ Unter den Lagerinsassen waren Angehörige von angestammten Völkern der Page 98
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sowjetunion, von neu einverleibten Völkern der Sowjetunion (Polen, Balten, Deutsche u.v.a.), von Staaten des Warschauer Paktes (DDR/SBZ, Polen, Rumänien, Bulgarien, u.v.a.) und von anderen sozialistischen Staaten (Jugoslawien), Angehörige des Bürgertums, Kosaken, Kulaken, tatsächliche und angebliche politische Gegner, Nonnen und Mönche, Geistliche, Kriminelle. Jugendliche wurden in speziellen Kolonien interniert, oft jedoch aus Platzgründen auch in Erwachsenenlagern, Kinder (etwa solche, die in Lagern geboren wurden) in entsprechenden Einrichtungen, die gleichfalls dem Innenministerium unterstanden.³² 1935 wurde die altersmäßige Verhaftungsgrenze auf zwölf Jahre abgesenkt.¹7 Der berüchtigte § 58 stellte „konterrevolutionäre" Tätigkeiten und „antisowjetische Agitation" unter Strafe, was sehr weit ausgelegt wurde. Unter diesen Strafparagraphen fielen auch kritische Äußerungen gegen die Politik oder die kommunistische Partei oder „Hoffnungen auf eine Wiederherstellung des kapitalistischen Systems". Unter solchen Vorwänden wurden Millionen eher unpolitischer Menschen verhaftet. Ähnliche Konzepte setzten auch viele andere kommunistische Regierungen in ihren Ländern ein, beispielsweise die Volksrepublik China, Vietnam, Nordkorea, Kambodscha. Siehe auch Page 99
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Sprache des Nationalsozialismus Literatur - Jan Erik Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933-1945. Schöningh, Paderborn 2001 ISBN 3-506-78245-2 - Stéphane Courtois: Das Schwarzbuch des Kommunismus, Unterdrückung, Verbrechen und Terror. Piper, München 1998 ISBN 3-492-04053-5 - Jörg Echternkamp: Die deutsche Kriegsgesellschaft: 1939 bis 1945. Halbband 1. Politisierung, Vernichtung, Überleben. Deutsche Verlagsanstalt DVA, Stuttgart 2004 ISBN 3-421-06236-6 - Oleg V. Khlevniuk: The History of the Gulag: From Collectivization to the Great Terror. Yale University Press, New Haven 2004 ISBN 0-300-09284-9 - A. I. Kokurin, N. V. Petrov (Hrsg.): GULAG (Glavnoe Upravlenie Lagerej): 1918–1960 (Rossija. XX vek. Dokumenty), Materik, Moskva 2000 ISBN 5-85646-046-4 - Joel Kotek, Pierre Rigoulot: Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung. Propyläen, Berlin 2001 ISBN 3-549-07143-4 - Rudolf A. Mark (Hrsg.): Vernichtung durch Hunger: der Holodomor in der Ukraine und der UdSSR. Berliner Wissenschaftsverlag BWV, Berlin 2004 ISBN 3-8305-0883-2 - Marc Buggeln: Arbeit und Gewalt. Das Außenlagersystem des KZ Neuengamme. Wallstein, Göttingen 2009 ISBN 3835305433 (Diss. phil. Universität Page 100
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bremen) (passim zu "Vernichtung durch Arbeit" an versch. deutschen Standorten; Inhaltsverzeichnis bei DNB; Buggeln: siehe auch Weblinks, FES) Weblinks - Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, bei: Lebendiges Museum Online LeMO - Frauen im Gulag, 11. Mai 2003 Deutschlandradio - Marc Buggeln: Das System der KZ-Außenlager. Krieg, Sklavenarbeit und Massengewalt. Gesprächskreis Geschichte, 95. Friedrich-Ebert-Stiftung FES, Bonn 2012 ISBN 9783864980909 ISSN 0941-6862 Quellen [1] Daher gab es auch den Ausdruck Vernichtung von Asozialen durch Arbeit für die Gesamtaktion, vgl. Kramer, Weblinks, 2010 [2] Nürnberger Dokument PS-682, zitiert nach Jens-Christian Wagner: Das Außenlagersystem..., in: Ulrich Herbert (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Frankfurt 2002 ISBN 3-596-15516-9, S. 720; siehe auch Dok. 654-PS bei: Internationaler Gerichtshof, IMT, Band 36, Seite 201; vgl. Hermann Kaienburg: Jüdische Arbeitslager in der Straße der SS. In: "1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts." Jg. 11, 1996 ISSN 0930-9977 S. 14 [3] Elke Fröhlich, Angela Stüber (Bearb.): Die Page 101
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Tagebücher von Joseph Goebbels. Bd. 5.: Juli - September 1942. München 1995 ISBN 3-598-22136-3 S. 504 (zum 15. September 1942) [4] Schulte [5] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. erw. Aufl. Frankfurt 1990. ISBN 3-596-24417-X Band 2 Seite 994f [6] Michael Zimmermann: Kommentierende Bemerkungen – Arbeit und Vernichtung im KZ-Kosmos. In: Ulrich Herbert et al. (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Frankfurt/M 2002, ISBN 3-596-15516-9, Bd. 2, S. 744 [7] Michael Zimmermann: Kommentierende Bemerkungen ... ISBN 3-596-15516-9, S. 145. [8] IMT (Hrsg.): Der Nürnberger Prozess. Band XXXVIII, Seite 366 / Doku. 129-R. [9] Jens-Christian Wagner: Das Außenlagersystem..., S. 721 [10] Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. 3. Aufl. Frankfurt/M. 2004. ISBN 3-596-14906-1 Seite 45. [11] Nürnberger Dokument NO-516, zitiert nach Jens-Christian Wagner: Das Außenlagersystem..., S. 721 [12] Jens-Christian Wagner: Das Außenlagersystem..., S. 722 [13] Ministerialdirigent, Leiter der Abteilungen 5 und 15 im Reichsjustizministerium [14] Ministerialrat [15] Oberstaatsanwalt [16] Erster Staatsanwalt. -- Robert Hecker, Senatspräsident, war zuvor verstorben [17] Joel Kotek / Pierre Rigoulot: Page 102
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung, Propyläen 2001 [18] Waleri Alexandrowitsch Wolin: Russland rehabilitiert die durch sowjetische Militärtribunale unschuldig Verurteilten, S. 76 und Wolfgang Schuller „Die sowjetische Militärjustiz und ihre Lager als Instrument der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands" in Der 17. Juni 1953. Der Anfang vom Ende des sowjetischen Imperiums. Dokumentation, S. 72, 4. Bautzen-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 17.-18. Juni 1993 (PDF; 730 kB) [19] Peter H. Solomon, Jr.: "Soviet Penal Policy, 1917-1934: A Reinterpretation," Slavic Review 39, no. 2 (June 1980): 197-201 [20] Dietrich Beyrau: „GULAG – Die Lager und das Sowjetsystem" Sozialwissenschaftliche Informationen, Jg. 29, Heft 3 (2000), S. 166-176, hier: S. 169. [21] Gunnar Heinsohn: Lexikon der Völkermorde, Rowohlt, rororo, Reinbek 1998, ISBN 3-499-22338-4 [22] Ralf Stettner: Archipel Gulag. Stalins Zwangslager, Schöningh 1996, ISBN 3-506-78754-3 [23] Roy Medwedew Die Wahrheit ist unsere Stärke. Geschichte und Folgen des Stalinismus (Hrsg. von David Joravsky u. Georges Haupt): Fischer, Frankfurt/M. 1973, ISBN 3-10-050301-5 [24] M. Stark: Frauen im Gulag, dtv, 2005 [25] A. I. Kokurin / N. V. Petrov (Hg.): GULAG (Glavnoe Upravlenie Lagerej): 1918–1960 (Rossija. XX vek. Dokumenty), Moskva: Materik 2000, Page 103
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ISBN 5-85646-046-4, S. 62. [26] A. I. Kokurin / N. W. Petrow (Hg.): GULAG (Glawnoe Uprawlenie Lagerej): 1918–1960 (Rossija. XX wek. Dokumenty), Moskwa: Materik 2000, ISBN 5-85646-046-4, S. 441-2. [27] Oleg V. Khlevniuk: The History of the Gulag: From Collectivization to the Great Terror New Haven: Yale University Press 2004, ISBN 0-300-09284-9, S. 326-7. [28] Oleg V. Khlevniuk: The History of the Gulag, S. 308-6. [29] Für eine Übersicht s. Ralf Stettner: Archipel Gulag. Stalins Zwangslager, Schöningh 1996, ISBN 3-506-78754-3, S. 376-398 [30] Vgl. Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991 Beck 1998, ISBN 3-406-43588-2, S. 453-6, sowie die Äußerung von Stephan Merl, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Bielefeld, in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas (Neue Folge), Jg. 54, Heft 3 (2006), S. 438. Auch der amerikanische Historiker Robert Conquest, der in seinen eigenen früheren Studien zum stalinistischen Terror von Gefangenen- und Opferzahlen ausgegangen war, die größtenteils weit über dem Niveau der in Archivdokumenten enthaltenen Zahlen lagen, und der die Benutzung von Statistiken aus Archivbeständen zunächst jahrelang scharf attackiert hatte (vgl. die Debatte in den folgenden Ausgaben von Europe-Asia Studies: Nr. 8, Jg. 48 (Dez. 1996), Nr. 7, Jg. 49 (Dez. 1997), Nr. 2, Jg. 51 (März 1999), Nr. 6, Jg. 51 (Sep. 1999), Nr. 8, Jg. 51 (Dez. 1999), Nr. Page 104
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 6, Jg. 52 (Sep. 2000)), ist mittlerweile von dieser Position abgerückt und äußerte sich in hohem Maße lobend zur Arbeit von Oleg Khlevniuk, der in seinem Buch reflektierten Gebrauch von diesen Quellen macht. Siehe Conquests Vorwort zu Chlewnjuks The History of the Gulag, S. ix-xii. [31] Rudolph Joseph Rummel: Demozid – Der befohlene Tod, LIT 2003, ISBN 3-8258-3469-7 [32] Wilenski, S. S./Kokurin, A. I./Atmaschkina, G. W./Novitschenko, I. Ju. (Hg.): Deti GULAGa: 1918–1956 (Rossija. XX wek. Dokumenty), Moskwa: Materik, 2002. Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus ist eine radikal antisemitische, rassistische, antikommunistische und antidemokratische Ideologie. Seine Wurzeln hatte er in der Völkischen Bewegung, die sich etwa zu Beginn der 1880er Jahre im deutschen Kaiserreich und in Österreich-Ungarn entwickelt hatte. Ab 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde er zu einer eigenständigen politischen Bewegung im deutschsprachigen Raum. Diese strebte wie der 1922 in Italien zur Macht gelangte Faschismus einen autoritären Führerstaat an, unterschied sich aber von ihm durch den extremen Antisemitismus. Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gelangte unter Adolf Hitler am 30. Januar 1933 in Deutschland zur Macht, wandelte die Weimarer Republik durch die Page 105
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Gleichschaltung" in eine totalitäre Diktatur um und löste ab 1939 mit dem Polenfeldzug den Zweiten Weltkrieg aus. In dessen Verlauf verübten die Nationalsozialisten und ihre Helfer zahlreiche Kriegsverbrechen und Massenmorde, darunter den Holocaust an etwa sechs Millionen europäischen Juden (1941–1945). Die Zeit des Nationalsozialismus endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945. Seitdem beeinflusst die Bewältigung der NS-Vergangenheit die Politik. NS-Propaganda, das Verwenden damaliger Symbole und politische Betätigung im nationalsozialistischen Sinn sind seit 1945 in Deutschland und Österreich verboten. In weiteren Staaten bestehen ähnliche Verbote. Im Neonazismus und Rechtsextremismus werden nationalsozialistische Ideen und Ziele weiter vertreten. Bezeichnungen „Nationaler Sozialismus" bezeichnete im deutschsprachigen Raum seit etwa 1860 Verbindungen von nationalistischen und sozialistischen Ideen. Vom „Nationalsozialismus" sprach zuerst die 1903 gegründete „Deutsche Arbeiterpartei" Österreichs, die sich 1918 in Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) umbenannte. Entsprechend benannte sich die 1919 gegründete Deutsche Arbeiterpartei (DAP) 1920 in NSDAP um.¹ Page 106
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mit der Bezeichnung „Nationalsozialismus" grenzten diese neuen Parteien ihre Ideologie gegen den Internationalismus der Sozialdemokratie und den konservativen Nationalismus älterer Parteien ab und boten sich deren Wählerschichten (Arbeitern und Mittelstand) als bessere Alternative an. Dazu stellten sie einzelne antikapitalistische Forderungen in den Rahmen eines völkisch-rassistischen Nationalismus. Zudem stellten die deutschen Nationalsozialisten sich seit 1920 als „Bewegung", nicht als Partei dar, um so Protestwähler und Politikverdrossene zu erreichen. Heute bezeichnet der Begriff meist die besondere Ideologie Adolf Hitlers und seiner Anhänger. Als „Nationalismus" definierte Hitler die Hingabe des Individuums an seine Volksgemeinschaft, deren Verantwortung für das Individuum nannte er „Sozialismus". Besonders die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, ein Hauptziel der Sozialisten, lehnte Hitler entschieden ab.² Laut dem Historiker Hans-Ulrich Wehler lebte der Sozialismus in der NSDAP nur „in verballhornter Form" als Volksgemeinschaftsideologie fort.³ Zudem unterschied die NSDAP ihren Nationalsozialismus vom italienischen Faschismus. „Faschismus" dient seit 1925 (ausgehend von der Sowjetunion) jedoch vielfach als Oberbegriff für Nationalsozialismus („Hitlerfaschismus"), italienischen Faschismus und verwandte antikommunistische Ideologien, Regimes und Page 107
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Systeme. Vor allem in marxistischen Faschismustheorien wird der Nationalsozialismus als Form des Faschismus eingestuft. Nach 1945 wurde der Nationalsozialismus besonders in den USA und der früheren Bundesrepublik Deutschland als Totalitarismus bezeichnet und unter diesem Oberbegriff mit der Ideologie und dem Herrschaftssystem des Stalinismus parallelisiert. Faschismus- und Totalitarismustheorien werden in der Forschung kontrovers diskutiert. Oft gilt der Nationalsozialismus als eigenständiges und singuläres Phänomen. Die Ausdrücke „Nazis" für die Nationalsozialisten4 und „Nazismus" für ihre Ideologie wurden seit den 1920er Jahren bei ihren Gegnern in der Arbeiterbewegung, später auch bei den befreiten Häftlingen des KZ Buchenwald und in der DDR üblich. Heutige Anhänger des Nationalsozialismus werden oft „Neonazis" genannt. Entstehung Deutsche Antisemiten hatten sich seit 1879 in mehreren politischen Parteien, vielen Gruppen und Vereinen organisiert. Die Antisemitenparteien wollten die Jüdische Emanzipation beenden und revidieren, verfehlten ihre Ziele jedoch. Nach Stimmverlusten bei den Reichstagswahlen von 1912 bildeten sich neue, überparteiliche antisemitische Vereine und Verbände wie der Reichshammerbund von Theodor Fritsch, der „Verband gegen die Überhebung Page 108
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt des Judentums" und der geheime Germanenorden, aus dem 1918 die Münchner Thule-Gesellschaft hervorging. Aus ihrer Zeitschrift, dem Münchener Beobachter mit dem Hakenkreuz als Titelsymbol, wurde das Parteiorgan der NSDAP, der Völkische Beobachter. Ein weiterer Vorläufer des Nationalsozialismus war der kleine, extrem nationalistische und imperialistische überparteiliche Alldeutsche Verband (gegründet 1891). Er strebte eine kriegerische Erweiterung des deutschen „Lebensraums" und Unterwerfungspolitik an. Im Ersten Weltkrieg erreichte er mit seiner starken antisemitischen Propaganda die staatliche Judenzählung von 1916. Nach 1918 forderte er eine „nationale Diktatur" gegen „Fremdvölkische". 1914 gründete sich der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband, und zwei ältere Antisemitenparteien vereinten sich als Deutschvölkische Partei (DVP). Diese vereinte sich im Kriegsverlauf mit dem Alldeutschen Verband. Auf dessen Initiative hin vereinten sich gegen Kriegsende aufgelöste mit neugegründeten völkischen Gruppen wie dem Deutsch-Österreichischen Schutzverein Antisemitenbund, der Deutschvölkischen Beamtenvereinigung und dem Bund völkischer Frauen zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. Dieser hatte 1920 rund 200.000 Mitglieder in 600 Ortsgruppen, wurde aber nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 verboten. Nach der Wiederzulassung der NSDAP verlor er ihr gegenüber an Einfluss und Page 109
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurde 1933 ganz aufgelöst. Zudem verbreiteten sich seit der Oktoberrevolution von 1917 und dem folgenden Russischen Bürgerkrieg unter anderem durch russische Flüchtlinge viele antikommunistische Gruppen.5 Unter dem Propagandaschlagwort „jüdischer Bolschewismus" setzten nationalkonservative Eliten und aus Frontsoldaten gebildete Freikorps Juden und Kommunisten gleich. Sie vertraten oft auch die Verschwörungstheorie eines angeblichen weltbeherrschenden Weltjudentums.6 Darunter war die 1920 in München gegründete „Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung". Diese unterstützte die NSDAP finanziell und ideologisch.7 Im Nationalsozialismus verschmolzen diese Strömungen und Gruppen ihre rassistischen, nationalistisch-„alldeutschen" und imperialistischen Vorstellungen und Ziele miteinander.8 Das stärkste tragende Bindeglied ihrer vielfältigen Ideen war der Antisemitismus. Dieser zeigte sich seit der Novemberrevolution von 1918 zugleich als radikale Ablehnung der Weimarer Republik, die diese Gruppen als von Novemberverbrechern geschaffene „Judenrepublik" denunzierten. Die Völkischen definierten ihre Weltanschauung als strikten Gegensatz zum Marxismus der Linksparteien, zum politischen Katholizismus der Zentrumspartei und zu ihrer Fiktion eines „Weltjudentums". Teile der völkischen Bewegung vertraten auch schon Ideen Page 110
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von „Menschenzucht" (Eugenik).? Programmatik 25-Punkte-Programm ? Hauptartikel: 25-Punkte-Programm Der Nationalsozialismus bildete als Sammelbewegung völkischer, rassistischer und revisionistischer Gruppen zunächst keine konsistente Ideologie. Hans Frank erklärte daher später in den Nürnberger Prozessen, es habe „so viele Nationalsozialismen wie Nationalsozialisten" gegeben. Doch das bei der Gründung der NSDAP 1920 beschlossene 25-Punkte-Programm sollte über seine praktische Erfüllung hinaus gelten, war also zugleich Ausdruck dauerhafter nationalsozialistischer Weltanschauung. An erster Stelle standen außenpolitische Ziele. Aus dem „Zusammenschluss aller Deutschen … zu einem Groß-Deutschland" mit Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker leitete Punkt 2 die Aufhebung des Versailler Friedensvertrages, Punkt 3 „Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses" ab. Dem folgten innenpolitische Forderungen nach Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsteile durch eine rassistische Fremdengesetzgebung: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Page 111
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein." Daraus folgerte Punkt 6 den Ausschluss von Juden aus allen Staats- und Parteiämtern, Punkt 8 ein Einwanderungsverbot und sofortige Zwangsausweisung aller als „Nichtdeutsche" definierten Personen, die seit 2. August 1914 eingewandert waren. Die Leitidee der rassischen Volksgemeinschaft wurde also nach außen expansiv, nach innen als Entrechtung eines Teils der Deutschen ausformuliert. Dem folgten in Punkt 9–17 einige plakative und ressentimentgetränkte wirtschafts- und sozialpolitische Forderungen, die den Anspruch der Partei, die Interessen deutscher Arbeiter zu vertreten, zeigen sollten: - allgemeine Arbeitspflicht - „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens" - „Brechung der Zinsknechtschaft" - „Einziehung aller Kriegsgewinne" - „Verstaatlichung aller (bisher) bereits vergesellschafteten (Trusts) Betriebe" - „Gewinnbeteiligung an Großbetrieben" - „Ausbau der Altersversorgung" - „Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seine Erhaltung" - „Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende" - „eine unentgeltliche Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke" - „Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung Page 112
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt jeder Bodenspekulation". Punkt 18 forderte die Todesstrafe für „gemeine Volksverbrecher, Wucherer, Schieber usw. ohne Rücksichtnahme auf Konfession und Rasse": erneut ein deutlicher Hinweis auf die gemeinte Zielgruppe, die Juden. Punkt 19 forderte den Ersatz eines angeblich „materialistischen" römischen Rechtes durch ein „deutsches Gemeinrecht". Der Idee einer Einheit von Volk und Staat folgten Forderungen nach staatlichem Ausbau der Volksbildung (20), „Hebung der Volksgesundheit" durch „körperliche Ertüchtigung" (21), Bildung eines „Volkesheeres" (22). Die angestrebte Abschaffung der Pressefreiheit und Einführung von Pressezensur wurde als „gesetzlicher Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung" (23) bemäntelt. Indem nur „Volksgenossen" Zeitungsredakteure und Verlagseigentümer sein sollten, zeigte sich auch hier ein antisemitischer Impuls: Der Topos von der „jüdischen Weltpresse" war unter Antisemiten seit Langem üblich. Zugleich sollten auch Kunst und Kultur von dem „zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben" gereinigt werden: Dem entsprach die NS-Kulturpolitik gegen die „Entartete Kunst". Im scheinbaren Widerspruch dazu bekräftigte Punkt 24 die Religionsfreiheit „im Staat", allerdings nur, „so weit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse Page 113
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt verstoßen." Mit dem Bekenntnis zu einem „positiven Christentum" ohne Bindung an eine bestimmte Konfession, aber in einheitlicher Frontstellung gegen einen „jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns" war eine Voraussetzung für den späteren Kirchenkampf genannt. Das Programm gipfelte in der Parole „Gemeinnutz vor Eigennutz" und der Forderung nach einer „starken Zentralgewalt des Reiches", deren in „unbedingter Autorität" erlassene „Rahmengesetze" neu gebildete Stände- und Berufskammern in den Bundesstaaten durchführen sollten. Damit deutete sich die spätere Gleichschaltungspolitik gegenüber föderalen Institutionen schon an. Die Parteiführer würden „wenn nötig unter Einsatz des eigenen Lebens" für die Programmverwirklichung eintreten. Während die außen- und innenpolitischen Hauptforderungen in Punkt 1–8 präzise und konkret formuliert waren und tatsächlich ab 1933 staatlich großenteils umgesetzt wurden, blieben viele der wirtschafts- und kulturpolitischen Forderungen in Punkt 9–20 vage (11), unklar (13), skurril oder praktisch unrealisierbar (etwa der „Einzug aller Kriegsgewinne" in Punkt 14). Diese Unklarheiten führten zu einer teilweise heftigen internen Ideologiedebatte und verschiedenen Wirtschaftsprogrammen. Otto Wagener etwa forderte die Unterstützung des Mittelstandes, Richard Walther Darré die der Bauern, Gottfried Feder verlangte die von ihm erfundene „Brechung der Page 114
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zinsknechtschaft". Hitler trug diesem Streit als Parteiführer später zum Teil Rechnung, indem er einige Programmforderungen revidierte, reduzierte oder ignorierte. 1928 reduzierte er die angekündigte Bodenreform auf Enteignung „jüdischer" Bodenspekulationsgesellschaften. Wie die „Zinsknechtschaft gebrochen" werden sollte, ließ er jedoch offen. „Mein Kampf" In Mein Kampf bekräftigte Hitler vor allem die außen- und bevölkerungspolitischen Ziele des NSDAP-Programms, allen voran den Anschluss Österreichs an das nunmehrige „Großdeutsche Reich". Im Unterschied zum Kaiserreich, das mit dem britischen Weltreich als Kolonialmacht in Afrika und Fernasien zu konkurrieren versuchte, wollte Hitler Lebensraum nicht in Westeuropa und in Übersee, sondern in Osteuropa gewinnen. Damit schloss er sich wahrscheinlich geopolitischen Theorien von Rudolf Kjellén, Halford Mackinder und Karl Haushofer an, die die Eroberung und Beherrschung der Landmasse von „Eurasien" als Schlüssel zur Weltherrschaft sahen. Auch der mittelalterliche Mythos mancher Ordensritter von einem deutschen „Drang nach Osten" stand hinter dieser Idee. Dabei dachte Hitler an „Russland und die ihm untertanen Randstaaten". Um sie zu erobern, wollte er zuerst den Versailler Vertrag revidieren, dann Frankreich mit Hilfe eines Bündnisses mit Page 115
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Großbritannien und Italien isolieren, später ganz vernichten. Damit revidierte er Punkt 3 des NSDAP-Programms: Das Erobern von Kolonien würde England zu Protesten herausfordern. Dessen Kolonialmacht müsse Deutschland garantieren, dann würden die Briten es auf dem Kontinent gewähren lassen. Polen erwähnte Hitler hier nicht, auch die USA und Japan kamen nur am Rande vor. Diese Prioritäten waren gegenüber den Vorlieben kaiserlicher Imperialisten neu.¹° Zur Wirtschaftspolitik äußerte sich Hitler in Mein Kampf nur auf fünf Seiten. Den Punkt der Volksgesundheit dagegen führte er breit aus und brachte dabei den auch die wirtschafts- und kulturpolitischen Vorstellungen tragenden Rassismus der NS-Ideologie deutlich zur Geltung. Seine beiden untrennbar miteinander verknüpften Grundgedanken waren - die These von höheren und niederen Rassen, die miteinander im Kampf liegen; - die These, dass eine „Rassenvermischung" schädlich für die höhere Rasse sei und diese unweigerlich schwäche und langfristig auflöse. Diese Axiome hatten Sozialdarwinisten und Rassentheoretiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie Francis Galton, Ernst Haeckel, Alfred Ploetz und Wilhelm Schallmayer begründet. Neu war nur, dass „Rassenhygiene" erstmals zum umfassenden politischen Programm gemacht wurde. Hitler sah die Page 116
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Arterhaltung" als Hauptaufgabe des Staates und folgerte, dass dieser die „unvermischten Bestände an nordisch-germanischen Menschen" im deutschen Volk konsequent schützen und so „langsam aber sicher zur beherrschenden Stellung emporführen" müsse. Der starke Führerstaat müsse „den Sieg des Besseren, Stärkeren" und die Unterordnung des „Schlechteren und Schwächeren" fördern. Dies bedeutete konkret etwa Zwangssterilisation von Behinderten und Erbkranken, zugleich Kindergeld, billige Wohnungen und materielle Vergünstigungen für „deutsche Familien". Die „Träger höchster Rassenreinheit" sollten ein „Siedlungsattest" erhalten und in noch zu erobernden „Randkolonien" angesiedelt werden. Hitler betonte am Schluss nochmals seine Zielvorstellung: „Ein Staat, der sich im Zeitalter der Rassenvergiftung der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden." Das Gegenbild zu dieser Vision bildete das „Weltjudentum", das in Hitlers Verschwörungstheorie als Urheber aller negativen Zeiterscheinungen, etwa des Ersten Weltkriegs, der Niederlage darin, der Novemberrevolution und der Inflation dargestellt wurde. Dabei identifizierte er das Judentum sowohl mit dem „Finanzkapital" in den USA als auch mit dessen weltpolitischem Gegner, dem „Bolschewismus". Dieser globalen Übermacht scheinbar widersprechend betonte Hitler jedoch zugleich die Page 117
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt absolute Minderwertigkeit und unterlegene Abhängigkeit der Juden von ihren arischen „Wirtsvölkern" und beschrieb sie als Schmarotzer, Parasiten, Bazillen, Blutegel, Spaltpilze, Ratten usw. In allen seinen Erscheinungsformen strebe das Judentum die „Zersetzung", „Bastardisierung" und „Blutvergiftung" des deutschen Volkes an: etwa durch Prostitution, Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, Verführung ahnungsloser arischer Mädchen. Dieses pornografische Bild zu propagieren wurde Hauptaufgabe des eigens dazu gegründeten Hetzblattes Der Stürmer des Gauleiters von Franken, Julius Streicher. Im zweiten Band von Mein Kampf sprach Hitler zuletzt auch die Idee einer stellvertretenden, präventiven Judenvernichtung offen aus:¹¹ „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mussten, dann wäre das Millionenopfer an der Front nicht vergeblich gewesen. Im Gegenteil: Zwölftausend Schurken zur rechten Zeit beseitigt, hätte vielleicht einer Million ordentlicher, für die Zukunft wertvoller Deutscher das Leben gerettet." Diese Aufgabe künftig zu vollstrecken, dazu sah Page 118
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hitler sich von der „Vorsehung" – so sein Ausdruck für Gott – bestimmt: „Indem ich mich des Juden erwehre, erfülle ich das Werk des Herrn." Deshalb spricht der Historiker Saul Friedländer im Blick auf die nationalsozialistische Bewegung und ihre unmittelbaren Vorläufer von einem besonderen, über traditionelle christliche, aber auch völkische und sozialdarwinistische Judenfeindschaft hinausgehenden „Erlösungsantisemitismus".¹² Führerkult und Führerstaat In allen Staaten Europas gab es seit Beginn des 20. Jahrhunderts starke Tendenzen zu autoritären, antidemokratischen Politikkonzepten, deren Akzeptanz sich nach 1918 auch aus Enttäuschung über die pluralistische Demokratie und Massenelend speiste. Als „Führerkult" ließ sich schon die Verehrung des Herrschers in einer Monarchie, begründet etwa mit der Idee des Gottesgnadentums, auffassen. Der Erste Weltkrieg enttäuschte das Bild vom Heldenkaiser, verstärkte bei Nationalisten aber noch die Sehnsucht nach dem heldischen Führer. Zu einem parteipolitischen Konzept machte dies der aufstrebende Faschismus: zuerst mit dem Duce Benito Mussolini in Italien, dann dem Caudillo General Franco in Spanien, aber auch im Kult um „Väterchen" Stalin in der Sowjetunion. Page 119
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Anders als in Italien begann der Personenkult um den „Führer" schon zehn Jahre vor der „Machtergreifung" nach dem Hitlerputsch von 1923, aus dessen Scheitern Hitler folgerte, dass die NSDAP eine straff geführte Führerpartei sein müsse und er selbst zu Deutschlands „Rettung" bestimmt sei. Dem kam die Erwartung der Parteibasis an ihn entgegen. Der deutsche Führerkult ging also mit der Entwicklung der NSDAP zur Massenpartei einher und diente ihrer Integration, Schlagkraft und Ausdehnung. Er wurde 1933 auch nicht wie in Spanien oder Russland einer bestehenden zentralisierten Militärdiktatur zu deren Absicherung aufgepfropft, sondern zum Organisationsprinzip eines durch ersatzlose Gleichschaltung aller bestehenden Verwaltungs- und Regierungsinstitutionen geschaffenen Führerstaates. Nach dem Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg wurde Hitler am 2. August 1934 als Führer und Reichskanzler auch Oberster Befehlshaber der Wehrmacht; seit 1938 trat auch das Regierungskabinett nicht mehr zusammen. Anders als in der Sowjetunion, die nach Stalins Tod 1953 noch bis 1991 fortbestand, untergrub das Prinzip der „charismatischen Führerpersönlichkeit" (Max Weber), die die rivalisierenden Kräfte in Staat und Partei durch ihren „Willen" lenkte und orientierte, das selbständige Funktionieren der Bürokratie in Deutschland. Der lange Zeit mit Führererlassen und -verordnungen direkt regierte Staat konnte Kriegsniederlage und Tod Hitlers demzufolge nur Page 120
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sehr kurz überdauern. Nach Ian Kershaw stand und fiel der deutsche NS-Staat mit der Person des „Führers".¹³ Auch das Vichy-Regime (1940–1944) im Süden Frankreichs war ein „Führerstaat"; sein Führer war Philippe Pétain. Weitere Merkmale und Entwicklungen der NS-Ideologie Weitere Hauptmerkmale des Nationalsozialismus waren: - die zentrale Rolle von Propaganda und Massen-Inszenierungen als Mittel zur Herrschaft und ihrer Sicherung nach innen und außen. - Totalitarismus: Zerschlagung der Demokratie, Einparteienherrschaft, Aufhebung der Gewaltenteilung, Instrumentalisierung aller politischen Kontrollinstanzen und Medien, weitreichende Vollmachten für Geheimdienste und Denunzianten, Polizeistaat - Militarismus und Imperialismus: Schon während des Aufstiegs der NSDAP wurden Waffenlager eingerichtet, bewaffnete Schlägerbanden ausgebildet, die Straßengewalt ausübten, um politische Gegner einzuschüchtern. In den Jahren der Weimarer Republik konzentrierte sich die nationalsozialistische Propaganda zunächst auf den Vertragsrevisionismus, also die Forderung nach Wiederaneignung der infolge der deutschen Kriegsniederlage verlorenen Gebiete und damit nach Aufhebung oder Bruch des Versailler Vertrags. Dieser wurde als Page 121
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Schmach von Versailles" oder „Versailler Schanddiktat" diffamiert. Von 1933 an wurde Aufrüstung betrieben, zunächst geheim, dann offen, und die vertraglichen Bindungen an Völkerbund und Völkerrecht erst unterlaufen, dann gebrochen. Sobald die Wehrmacht stark genug sein würde, plante Hitler gezielte Angriffskriege zur Wiederherstellung und Erweiterung eines auf militärische Machtentfaltung gebauten Großdeutschlands. Dabei sollte ein Land nach dem anderen isoliert und einzeln niedergekämpft werden. Das Endziel war nach Meinung der meisten Historiker die Eroberung des kontinentalen Festlands, der Sowjetunion bis zur Linie Archangelsk–Uralgebirge–Kaukasus sowie die Besiedelung dieser Gebiete durch die Deutschen, andere Forscher glauben Belege dafür zu haben, dass Hitler die (utopische) Weltherrschaft anstrebte. Die Herrschaft über die besetzten Gebiete sollte durch Vertreibung unerwünschter Bevölkerungsgruppen gestärkt werden. - Der „Blut-und-Boden-Mythos", die Verherrlichung des Bauernstandes (des „Nährstands"). Manche Nationalsozialisten lehnten die Verstädterung und die zunehmende Industrialisierung ab und sehnten sich nostalgisch nach einem Land, das wie eh und je von Bauern bestellt wurde. Auch Heinrich Himmler hatte solche Gedanken, als er vorschlug, die eroberten Gebiete der Sowjetunion mit Bauern zu besiedeln, die zugleich Soldaten („Wehrbauern") sein sollten. Russen, Ukrainer Page 122
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und Polen sollten die Landarbeiter, das Hauspersonal, die Bauarbeiter oder die Hilfsarbeiter stellen. - Die Propagierung der Herrenrasse bzw. des Herrenvolkes, die das Recht habe, andere minderwertige Völker zu unterdrücken. - Männerherrschaft und Männlichkeitskult, also Propagierung von Werten wie Tapferkeit und soldatischer Härte. „Weibliche Werte" werden bei Männern als Feigheit, Krankheit und „Zersetzung der Wehrkraft" denunziert. - Verschwörungstheorie: Die wahnhafte Idee, das internationale Judentum hätte sich verschworen, um die Weltherrschaft zu erringen, wird von verschiedenen Historikern¹4 als Kern des Nationalsozialismus angesehen. Diese Verschwörungstheorie tritt bereits in einem 1924 von Dietrich Eckart veröffentlichten Gespräch mit Hitler zu Tage, in dem eine ungebrochene Kontinuität der angeblichen jüdischen Machenschaften vom zweiten vorchristlichen Jahrtausend an behauptet wird.¹5 In der Bildsprache der nationalsozialistischen Propaganda, etwa in den Wahlplakaten vor 1933 oder in den Karikaturen des Stürmers, wurde „der" Jude regelmäßig in verschwörungstheoretischen Metaphern wie dem Drahtzieher hinter den Kulissen des Weltgeschehens oder der weltumspannenden Krake oder Spinne dargestellt. Und während des Kriegs gegen die Sowjetunion begründete die Wehrmacht die Umsetzung der verbrecherischen Befehle wie des Page 123
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kommissarbefehls oder des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses verschwörungstheoretisch mit der These vom Jüdischen Bolschewismus: Hinter dem Sowjetsystem stehe in Wahrheit das Judentum. So wies General von Manstein am 20. November 1941 seine Truppen an, „Verständnis" aufzubringen für die „harte Sühne am Judentum": „Das Judentum bildet den Mittelsmann zwischen dem Feind im Rücken und den noch kämpfenden Resten der Roten Armee und der Roten Führung […]. Das jüdisch-bolschewistische System muß ein für allemal ausgerottet werden.¹6 " Kapitalismus und Antikapitalismus Im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über den Charakter der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologie steht seit jeher die Frage, ob der Nationalsozialismus kapitalistisch oder sozialistisch gewesen sei.¹7 Der deutsche Soziologe Max Horkheimer vertrat 1939 noch vor Kriegsbeginn die Position: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.¹8 Der marxistische Historiker Manfred Weißbecker bezeichnet in einem 2011 erschienenen Buch den Namen NSDAP als reine Demagogie, da die Partei in Wahrheit weder national noch sozialistisch gewesen sei, sondern faschistisch.¹? Dagegen behauptete Ludwig von Mises 1947: Die Ideologie der Nazis, der Page 124
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt deutschen „Nationalsozialistischen Arbeiterpartei", ist die reinste und konsistenteste Manifestation unseres antikapitalistischen und sozialistischen Zeitgeistes,²° 1927 hatte er den Faschismus als das kleinere Übel angesehen.²¹ Die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Nationalsozialismus wird auf verschiedenen Ebenen untersucht: - als Frage nach den Finanzquellen der NSDAP und den Kreisen, die Hitler an die Macht brachten, - als Frage nach der Bedeutung antikapitalistischer Elemente für die Ideologie der Nationalsozialisten, - als Frage nach der tatsächlichen Wirtschaftspolitik des NS-Regimes 1933–1945. Finanzquellen der NSDAP ? Hauptartikel: Großindustrie und Aufstieg der NSDAP Marxisten sehen die Spendenpraxis deutscher Industrieller wie Fritz Thyssen und Emil Kirdorf und die Industrielleneingabe vom November 1932, die Reichspräsident Paul von Hindenburg aufforderte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, meist als Belege für die Verantwortung der Großindustrie für die Machtübergabe an Hitler. Der DDR-Historiker Eberhard Czichon etwa meinte deshalb, dass eine „Nazi-Gruppe" deutscher „Industrieller, Bankiers und Großagrarier Hitlers Kanzlerschaft gewollt und organisiert" habe.²² Page 125
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sein westdeutscher Kollege Reinhard Neebe betonte dagegen, dass die meisten deutschen Unternehmer und ihr Dachverband, der Reichsverband der Deutschen Industrie, nicht Hitler, sondern die Vorgängerregierungen von Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher unterstützten.²³ Diese Sicht untermauerte der US-amerikanische Historiker Henry Ashby Turner mit Untersuchungen, wonach die NSDAP ihre Finanzmittel nicht vorwiegend aus Industriespenden, sondern aus Mitgliedsbeiträgen und Eintrittsgeldern bezog. Die Großindustrie habe ihr immer deutlich weniger Geld zukommen lassen als ihren Konkurrenten DNVP, DVP und Zentrum. Sie habe sich damit auch nur für den unerwünschten Fall einer NS-Machtergreifung absichern wollen.²4 Die Großunternehmer gelten daher heute kaum noch als Hauptverursacher des Aufstiegs der Nationalsozialisten und der Machtübernahme Hitlers 1932–1934. Antikapitalismus in der NS-Ideologie In der Ideologie der Nationalsozialisten gab es antikapitalistische Elemente, die meist antisemitisch ausgeprägt waren. Umstritten ist, wie diese Elemente im Rahmen der NS-Propaganda einzuordnen sind, insbesondere nach Ausschaltung des Strasser-Flügels innerhalb der NSDAP. Das 25-Punkte-Programm der Partei von 1920, das Hitler bis 1926 für „unabänderlich" erklärte, enthielt mehrere Page 126
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt antikapitalistische Forderungen wie Brechung der Zinsknechtschaft, Verstaatlichung von Trusts und Gewinnbeteiligung an Großbetrieben. Anfangs verwendeten führende Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels, Gregor Strasser und sein Bruder Otto, der mit seiner Anhängerschaft die Partei bereits 1930 verließ, regelmäßig sozialistische Versatzstücke in ihren Reden. Hitler selbst hatte sich klar zum Privateigentum bekannt, in der nationalsozialistischen Praxis kam es jedoch zu zahlreichen Enteignungen von Privateigentum, so z. B. im Zuge der sogenannten „Arisierung". Hauptsächlich betroffen von Enteignung waren Juden, aber auch nichtjüdische Emigranten und politisch Missliebige. Albrecht Ritschl verweist auf die schrittweise Ausschaltung des sozialistischen Parteiflügels zwischen 1930 und 1934 und deutet die antikapitalistischen Töne als verkappten Antisemitismus.²5 Die enge Verbindung von Antikapitalismus und Antisemitismus in der nationalsozialistischen Propaganda zeigt sich etwa in dem Antrag, den der Vorsitzende der NSDAP-Fraktion im Reichstag am 18. Oktober 1930 stellte. Darin forderte er die Enteignung des gesamten Vermögens der „Bank- und Börsenfürsten, der seit 1. August 1914 zugezogenen Ostjuden und sonstigen Fremdstämmigen […] zum Wohl der Allgemeinheit des deutschen Volkes."²6 1931, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, forderte die NSDAP Page 127
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme, um die Arbeiterschaft als NSDAP-Wähler anzuwerben. Im Mai 1933 zerschlug das NS-Regime die organisierte Arbeiterbewegung in Form der Linksparteien und der Gewerkschaften. Die NSDAP betrachtete marxistische und kommunistische Gruppen innenpolitisch als Hauptgegner, so wie außenpolitisch der Bolschewismus der Hauptfeind war. Die Alternative, der „nationale Sozialismus", wurde als „Volksgemeinschaft" definiert. Diese wurde als „Einheit von Volk und Staat" unter der einheitlichen NS-Ideologie und einem „starken Staat", gelenkt von einem „Führer", verstanden. Die Einordnung aller Staatsbürger in die Arbeitspflicht und die rassisch definierten nationalen Interessen ließen offen, ob dazu die Produktionsverhältnisse umgestürzt werden sollten: Dieses Stichwort fehlte im 25-Punkte-Programm. Als Gegenkonzept zur Leitidee der internationalen klassenlosen Gesellschaft im Marxismus, aber auch zur individuelle Freiheiten schützenden pluralen und parlamentarischen Sozialdemokratie gedacht, unterschied es die NSDAP von den damaligen Programmen aller sozialistischen Parteien. Verhältnis zu Privateigentum und Konkurrenzprinzip Der in die USA emigrierte Politologe Franz L. Neumann konstatierte in seinem Buch zur Struktur und Praxis des Nationalsozialismus Behemoth von Page 128
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1942/1944, dass der nationalsozialistische Herrschaftsapparat sich nicht von der Basis der privatkapitalistischen Produktionsweise gelöst, sondern einen „totalitären Monopolkapitalismus" hervorgebracht habe.²7 Hitlers Bekenntnis zum Privateigentum erfolgte 1919 privat²8 und 1926 im Hamburger Nationalklub öffentlich.²? Der Berliner Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl macht aber auf Äußerungen Hitlers aufmerksam, die er im März 1942 im Kreise seiner Adjutanten machte, das heißt ohne Zwang, seine wahren Ansichten zu kaschieren. Hitler wandte sich hier grundsätzlich „gegen anonymen Privatbesitz der Aktie. Ohne selbst etwas dazu zu tun, erhalte der Aktionär mehr Dividende, wenn die Arbeiter der Aktiengesellschaft fleißig statt faul seien oder wenn ein genialer Ingenieur an der Spitze des Betriebs stehe".²8 Demnach wäre die häufige Ablehnung eines „raffenden" im Gegensatz zum lobenswerten „schaffenden Kapitalismus" von ihm ernst gemeint gewesen. Am 26. Juni 1944 wiederum forderten Hitler und Albert Speer in Reden vor wichtigen Personen aus der Rüstungswirtschaft, darunter u. a. Walter Rohland, auf dem Obersalzberg „Selbstverantwortung" und kündigten für die Zeit nach dem Siege eine größte Epoche für die „private Initiative der deutschen Wirtschaft" an.³° Der ehemalige NSDAP-Politiker und konservativ-bürgerliche Page 129
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Faschismustheoretiker Hermann Rauschning attestierte Hitler in Wirtschaftsfragen eine rein „realpolitische Haltung", die „sich […] von allen Doktrinen frei zu machen versuchte".³¹ Nach Rauschning ordnete Hitler die Wirtschaft übergeordneten politischen Zielen konsequent unter, verfolgte auf diesem Gebiet also keine prinzipiellen Ordnungsvorstellungen, sondern nur flexibel anpassbare Ziele. Henry A. Turner kommt zu dem Schluss, dass Hitler das „liberale Konkurrenzprinzip" und das Privateigentum bejaht habe, wenn auch nur, „weil er sie in entstellter Weise in seine sozialdarwinistische Sicht des Wirtschaftslebens einbauen konnte".³² Avraham Barkai widerspricht dieser These und sieht einen extremen Antiliberalismus Hitlers und eine grundsätzliche Ablehnung des Laisser-faire-Prinzips.³³ Ein von Turner unvollständig wiedergegebenes Belegzitat in den Folgesätzen weise auf eine mit dem liberalen Konkurrenzprinzip unvereinbare Haltung hin.³4 Der von Turner unter anderem als Beleg angeführte Hermann Rauschning wurde 1984 in seiner Glaubwürdigkeit als Zeitzeuge so stark erschüttert,³5 dass Kershaw erklärte, die „Gespräche mit Hitler" seien „ein Werk, dem man heute so wenig Authentizität zumißt, daß man es besser ganz außer acht läßt".³6 Auch Anselm Doering-Manteuffel interpretiert die Beseitigung der Page 130
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt parlamentarischen Demokratie und die Errichtung des Führerstaats als „Durchbruch des revolutionären Antiliberalismus zur Staatsidee". Goebbels' Aussage „Das Dritte Reich löste das Zeitalter des Liberalismus ab" ist ihm zufolge eine „Selbstverständlichkeit", die bereits von den Zeitgenossen so empfunden wurde.³7 Laut Jörn Axel Kämmerer lehnte Hitler die Privatisierungsbestrebungen der zwanziger Jahre ab und befürwortete vielmehr die Verstaatlichung der großen Aktiengesellschaften, der Energiewirtschaft und anderer Wirtschaftszweige. Zwar seien Verstaatlichungen bestehender Industriebetriebe nicht umgesetzt worden, jedoch seien reichseigene Unternehmen (z. B. Reichswerke Hermann Göring) gegründet worden. Diese Unternehmensgründungen sowie Weichenstellungen der Nationalsozialisten im Wirtschaftsrecht wirkten zum Teil bis heute nach.³8 Verhältnis zum Ordoliberalismus Für den Wirtschaftswissenschaftler Ralf Ptak deuten „die vielfältigen Publikationsmöglichkeiten ordoliberaler Autoren in diesem Zeitraum auf eine nationalsozialistische Duldung gegenüber dem ordoliberalen Projekt" hin.³? Der Wirtschaftswissenschaftler Nils Goldschmidt widerspricht Ptaks Schlussfolgerung und führt die Schrift „Nationalökonomie – wozu?" (1938) von Walter Eucken als Beispiel für ein Publikationsverbot an. Ferner weist Goldschmidt auf ordoliberalen Widerstand gegen Page 131
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt den Nationalsozialismus, wie etwa durch die Freiburger Kreise hin.4° Hauke Janssen schreibt, dass „vor allem die Freiburger" Widerstand gegen die interventionistischen und zentralverwaltungswirtschaftlichen Tendenzen im Nationalsozialismus geleistet hätten.4¹ Egalitäre Prinzipien und Verhältnis zum Sozialismus Friedrich August von Hayek hebt hervor, dass sich Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus in diktatorischen und antiliberalen Grundzügen ähnelten.4² Für Hayek weisen Sozialismus und Nationalsozialismus die gleichen totalitären Tendenzen auf, um ihre – durchaus unterschiedlichen – Ziele zu verfolgen. Beide seien, da sie sich des Mittels zentraler Planung bedienten, Varianten des Kollektivismus, dessen Eigendynamik zur Zerstörung von Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaat führe.4³ Rainer Zitelmann versteht Hitler als „Revolutionär", dem die Verbesserung der Aufstiegschancen der Arbeiter, soweit sie seinen Rassevorstellungen entsprachen, ein ehrliches Anliegen gewesen sei. Dabei sei es ihm nicht „um die Ermöglichung der bestmöglichen Entfaltung des Individuums, sondern um die Optimierung des Nutzens für die deutsche Volksgemeinschaft" gegangen.44 Gegenüber der Wirtschaft habe er einen „Primat der Politik" angestrebt, der „auf eine Revolutionierung des Verhältnisses von Politik und Ökonomie" Page 132
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt hinausgelaufen sei. Das kapitalistische Wirtschaftssystem habe Hitler durch eine gemischte Wirtschaftsordnung ersetzen wollen, in welcher markt- und planwirtschaftliche Elemente zu einer neuen Synthese vereint wären. Die vom Nationalsozialismus ausgelöste „soziale Revolution" sei durchaus ernst zu nehmen. Gegen diese These wandten Wolfgang Wippermann und Michael Burleigh indirekt ein, dass sie den rassistischen und damit reaktionären Charakter des NS-Regimes über Gebühr herunterspiele.45 Laut Joachim Fest ist „die Diskussion über den politischen Standort des Nationalsozialismus nie gründlich geführt worden". Stattdessen habe man „zahlreiche Versuche unternommen, jede Verwandtschaft von Hitlerbewegung und Sozialismus zu bestreiten". Zwar habe Hitler keine Produktionsmittel verstaatlicht, aber „nicht anders als die Sozialisten aller Schattierungen die soziale Gleichschaltung vorangetrieben".46 Auch nach Ansicht von Götz Aly versuchte das NS-Regime, das er als „Gefälligkeitsdiktatur" bezeichnet, durch soziale Fürsorge egalitäre Prinzipien zu verwirklichen.47 Das Programm der NSDAP stütze sich auf zwei mit dem Antisemitismus kombinierbare Gleichheitsideen: Einer der Grundgedanken war der der ethnischen Homogenität, zum anderen versprachen sie als „nationale Sozialisten" mehr soziale Gleichheit. Neuere Arbeiten identifizieren vor allem den Reichsarbeitsdienst, die Hitlerjugend und das Militär als Bereiche, in denen tatsächlich Page 133
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt versucht wurde, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen.48 Dieser egalitäre Anspruch bezog sich im Unterschied zum Marxismus aber nicht auf die gesamte Bevölkerung, sondern beschränkte sich auf „das ethnisch definierte Großkollektiv deutsches Volk".4? Wirtschaftspolitik des NS-Regimes ? Hauptartikel: Wirtschaft im Nationalsozialismus Umstritten ist, inwieweit die wirtschaftspolitischen praktischen Maßnahmen des NS-Regimes einem nationalsozialistischen wirtschaftspolitischen Leitbild entsprachen oder einfach „den pragmatischen Anforderungen der Aufrüstungs- und Kriegspolitik des Regimes geschuldet" waren (vgl. auch Kriegswirtschaft).5° Nach Willi Albers griffen aufgrund der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und dem Scheitern einer zu Anfang des Zweiten Weltkriegs in einzelnen Ländern versuchten liberalen Kriegswirtschaftspolitik alle am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten zu dirigistischen Maßnahmen.5¹ Markus Albert Diehl weist darauf hin, dass schon zur Zeit der Weimarer Republik angesichts massiver ökonomischer Probleme zu staatsdirigistischen Maßnahmen gegriffen wurde, z. B. wurden Devisen bewirtschaftet.5² Insgesamt sind die Befunde angesichts der von 1933 bis 1945 tatsächlich praktizierten Wirtschaftspolitik widersprüchlich. Auf der einen Seite Page 134
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt spricht die Reprivatisierung der in der Bankenkrise 1931 de facto verstaatlichten Großbanken für eine prokapitalistische Haltung der Regierung. Auf der anderen Seite ließen u. a. nach Avraham Barkai, Timothy Mason und Dietmar Petzina die dirigistischen Eingriffe in die Wirtschaft unter Hjalmar Schachts „Neuem Plan" (1934), unter dem Vierjahresplan (1936) und vollends die Kriegswirtschaft unter Rüstungsminister Albert Speer (ab 1942) vom freien Unternehmertum wenig übrig. Gemäß dem Wirtschaftsziel Autarkie wurde die freie Marktwirtschaft in der Landwirtschaft 1933 mit dem Reichsnährstand praktisch abgeschafft, wobei in den 30er Jahren auch in anderen europäischen Staaten in der Landwirtschaft planwirtschaftliche Politik sich ausweitete.5³ Im Zeichen der Aufrüstung der Wehrmacht wurde für zahlreiche Produkte der Preismechanismus durch Rationierung ersetzt. Dies betraf beispielsweise Stahl, Devisen, Kapitalverkehr und den Arbeitsmarkt.54 Der Historiker Klaus Hildebrand fasst den Stand der Forschung in Oldenbourg Grundriss der Geschichte so zusammen: „Zwar blieben die Betriebe in privaten Händen der Unternehmer, ohne Zweifel stiegen auch die finanziellen Erträge aus der Rüstungskonjunktur. Doch wurde das für eine kapitalistische Wirtschaft verbindliche Prinzip der Zweck-Mittel-Rationalität im Banne der Rüstungsanforderungen und des Autarkieprinzips auf Befehl Hermann Görings mehr und mehr außer Kraft gesetzt."55 Nach Adam Page 135
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Tooze hatten die großen Banken nie weniger Einfluss in der deutschen Geschichte als zwischen 1933 und 1945, der Einfluss der Großindustrie („big business") wurde schon in der Weltwirtschaftskrise 1929 gegenüber dem Staat geschwächt, erst recht im Nationalsozialismus; trotzdem verblieb der Privatindustrie eine Machtgrundlage, weil das nationalsozialistische Regime für seine Ziele, insbesondere Kriegsrüstung, auf sie angewiesen blieb.56 Dietmar Petzina formuliert: „Das NS-System entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung zu den ordnungspolitischen Kategorien Zentralverwaltungswirtschaft und Marktwirtschaft." Die Wirtschaftsordnung wandelte sich „von einer korporatistischen Wirtschaft hin zu einer staatlichen Kommandowirtschaft, in der das unternehmerische Gewinnprinzip zwar nicht ausgeschaltet, die wesentlichen Verfügungsrechte jedoch nachhaltig eingeschränkt waren". Nach Adam Tooze wurde ausländisches Kapital in Deutschland (z. B. Opel, Ford, Anteile an IG Farben) nicht enteignet. Ein Kapitalabzug war aber wegen der Kapitalverkehrskontrollen nur mit großen Verlusten möglich, sodass ausländisches Kapital seine Gewinne notgedrungen in Deutschland wieder investierte.57 Gerold Ambrosius stellt fest: „Bis zum Kriegsbeginn war der Grundstein für den Übergang zu einer zentralen Planung und Lenkung gelegt."58 Gestützt wird diese These von aktuellen ordnungstheoretischen Page 136
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Untersuchungen: Michael von Prollius beschreibt das NS-Wirtschaftssystem als „Ergebnis unablässiger Neu- und Umorganisation […] und zahllosen Lenkungs- und Bürokratisierungsmaßnahmen";5? für Markus Albert Diehl „entfernte sich die deutsche Wirtschaftsordnung unter der nationalsozialistischen Herrschaft immer weiter vom Idealtyp der Marktwirtschaft und entsprach schließlich weitgehend dem Idealtyp der Zentralplanwirtschaft".5² Nach Götz Aly und Susanne Heim trat die propagierte Förderung des Mittelstandes in der Praxis hinter der wirtschaftlichen Rationalisierung zurück, was zu Bankrott und Schließung zahlreicher mittelständischer Betriebe führte.6° Ideologisch wurde die Einbindung der Privatwirtschaft in die deutsche Kriegswirtschaft unter Reichsminister für Bewaffnung und Munition Fritz Todt als Anwendung der Prinzipien „Führertum" und „Unternehmertum" dargestellt.6¹ Planungen für die Nachkriegszeit waren einerseits verboten, andererseits, so der Historiker Bernhard Löffler, beauftragte die „Reichsgruppe Industrie" 1943 Ludwig Erhard mit wirtschaftspolitischen Planungen für die Zeit nach dem absehbar verlorenen Krieg. Diese waren „an einem marktwirtschaftlichen Konzept ausgerichtet" und standen „damit im Gegensatz zum NS-System". Industrie und staatliche Stellen wie das Reichswirtschaftsministerium und das von Hans Kehrl geleitete Planungsamt Page 137
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition planten, den Übergang von der Kriegs- und Lenkungswirtschaft zur Friedensund Marktwirtschaft behutsam durchzuführen. Im Reichswirtschaftsministerium hielt Otto Ohlendorf seine „schützende Hand über die marktwirtschaftliche Nachkriegsplanung" und zeigte sich „gegenüber der Neugestaltung einer liberaleren, unternehmensfreundlichen Marktordnung bei allen tiefgehenden weltanschaulichen Unterschieden erstaunlich aufgeschlossen […]".6² An die Stelle des bürokratischen Lenkungsapparates müsse im Frieden ein „aktives und wagemutiges Unternehmertum" treten, so Ohlendorf. Ohlendorf selbst wurde von Himmler geschützt, der die seiner Auffassung nach „total bolschewistische" Wirtschaftslenkung Speers ablehnte.6³ Verhältnis zur Religion Die Nationalsozialisten vertraten keine einheitliche Religiosität. Einige propagierten als Deutsche Christen (DC) einen nationalistisch-antisemitischen Protestantismus, andere einen rassistischen Neopaganismus mit Bezügen zur germanischen Mythologie. So verlangte der NS-Ideologe Alfred Rosenberg in seinem Hauptwerk Der Mythus des 20. Jahrhunderts eine Ablösung des Christentums durch eine Religion von „Blut und Boden". Ein besonders scharfer Kritiker des Christentums in der NSDAP war der Reichsführer SS Heinrich Himmler. Himmler sah in der Überwindung des Christentums und in der Wiederbelebung einer Page 138
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „germanischen" Lebensweise eine zentrale Aufgabe der SS.64 Nationalsozialismus als politische Religion? ? Hauptartikel: Faschismustheorie#Faschismus als „Politische Religion" Bereits 1938/39 hat der deutsch-amerikanische Politologe Eric Voegelin den Nationalsozialismus erstmals systematisch als politische Religion interpretiert.65 Eine wichtige Rolle spielte dabei die zeitgenössische Darstellung Hitlers als unfehlbare, nahezu gottgleiche Figur – eine Sichtweise, die u. a. durch den Film Triumph des Willens der Regisseurin Leni Riefenstahl propagiert wurde. Seit den 1990er Jahren haben Historiker wie Emilio Gentile oder Michael Burleigh diesen Interpretationsansatz aufgegriffen und ausgebaut.66 Diese Interpretation ist in der historischen Forschung allerdings umstritten.67 So argumentiert Hans Günter Hockerts, die Nationalsozialisten hätten zwar eine Art politischer Religion geschaffen, um „heimatlos gewordene religiöse Energie" zu binden, der Völkermord an den Juden habe jedoch auf ethnisch und eugenisch begründetem Rassismus beruht. Gegen eine Interpretation des Nationalsozialismus als Religion spreche vor allem die Abwesenheit von Transzendenzvorstellungen.68 Verhältnis zum Christentum Das NSDAP-Programm von 1920 bejahte ein Page 139
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Positives Christentum", definiert als „Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen." Die Formulierung wurde damals als Toleranz und Unparteilichkeit gegenüber den christlichen Konfessionen im Rahmen der Staatsräson und des Gemeinwohls missverstanden und begrüßt, obwohl Hitler bereits 1925 eine Drohung gegen politische Aktivität von Christen in anderen Parteien als der NSDAP damit verband. Tatsächlich ordnete der Programmpunkt das Christentum dem Rassismus unter und vereinnahmte es für den Antisemitismus, ausgedrückt als „Kampf gegen die jüdisch-materialistische Weltauffassung", und für die vom autoritären Staat gelenkte „Volksgemeinschaft", ausgedrückt als „Gemeinnutz vor Eigennutz". Hitler bejahte das Christentum in seinen Regierungserklärungen vom 1. Februar und 23. März 1933 nur aus machttaktischen Motiven, um die Unterstützung der Großkirchen für den Aufbau des gleichgeschalteten „Führerstaats" zu erhalten. Die Kirchen haben diese Unterstützung bereitwillig geleistet und den Widerspruch zur eigenen universalen Lehre erst allmählich im Kirchenkampf (ab 1934) erkannt und ausgesprochen.6? Der Nationalsozialismus verstand seine rassistische Ideologie als vom Führerstaat in allen Gesellschaftsbereichen durchzusetzende „Weltanschauung". Dieser totalitäre Page 140
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Absolutheitsanspruch tendierte auf Konflikte mit anderen „Bekenntnissen". Einerseits garantierte das NSDAP-Programm wie auch Hitler in „Mein Kampf" den Großkirchen den Bestandschutz und innerkirchliche Selbstverwaltung, andererseits strebte man ihre Begrenzung auf unpolitische Belange und weitreichende Eingriffe in kirchliche Strukturen an. So versuchten die DC seit 1933, die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) im Sinne einer konfessionslosen, zentral gelenkten Reichskirche zu vereinheitlichen und ideologisch dem Nationalsozialismus anzugleichen. Das Alte Testament wiesen sie als „Verjudung" des Christentums zurück und versuchten, es abzuschaffen. Als dieser Versuch im Kirchenkampf scheiterte, wandte sich das NS-Regime von den DC ab. Hitler gewährte dem Vatikan und den deutschen Bischöfen 1933 im Reichskonkordat die Freiheit des Bekenntnisses, konfessionelle Schulen und Universitäten, solange die römisch-katholische Kirche dafür auf jegliche politische Aktivität verzichte. Die katholische Zentrumspartei löste sich auf, nachdem sie dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und so Hitlers Diktatur die notwendige verfassungsändernde Mehrheit mit verschafft hatte. Als die Kirchen ab 1940 einigen Massenmorden des NS-Regimes widersprachen, stärkte Hitler die kirchenfeindlichen Kräfte in der NSDAP und erlaubte ihnen in eroberten Gebieten wie dem Warthegau, die Kirchen zu entmachten, indem Page 141
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt diese von Körperschaften öffentlichen Rechts zu bloßen Religionsvereinen herabgestuft wurden. Anders als die DC glaubte Hitler nicht, dass sich die „jüdische Wurzel" des Christentums kappen und dieses vollständig „entjuden" lasse. Hitler unterstützte daher intern die Kritiker des Christentums in der NSDAP. Er äußerte diesen Standpunkt aber bewusst nie öffentlich, weil er befürchtete, seinen Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren.7° Eine langfristige Beseitigung des Christentums kann daher als politisches Fernziel des Nationalsozialismus angenommen werden. „Gottgläubigkeit" ? Hauptartikel: Gottgläubig 1936 initiierten die Nationalsozialisten mit dem Kirchenkampf eine Kirchenaustrittsbewegung. Ideologisch begleitet wurde sie durch Schriften des Parteiideologen Alfred Rosenberg, insbesondere durch seinen Mythus des 20. Jahrhunderts,7¹ sowie durch Veröffentlichungen Erich Ludendorffs und seiner Ehefrau Mathilde. Der Ausdruck „gottgläubig", gedacht als positiver Gegensatz zu „ungläubig", sollte echt-religiöse oder nur scheinbar-religiöse, konfessionell ungebundene Personen mit ideologischer Nähe zum Nationalsozialismus positiv kennzeichnen.7² „Gottgläubig" war gemäß Philosophischem Wörterbuch von 1943 definiert als Page 142
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „amtliche Bezeichnung für diejenigen, die sich zu einer artgemäßen Frömmigkeit und Sittlichkeit bekennen, ohne konfessionell-kirchlich gebunden zu sein, andererseits aber Religionsund Gottlosigkeit verwerfen".7³ Die Einführung des Begriffs für alle kirchlich nicht gebundenen, aber nicht glaubenslosen „Volksgenossen" wird als der Versuch gesehen, eine religiöse Identifikationsformel für Funktionäre und Mitglieder der NSDAP sowie der „Deutschgläubigen Bewegung" jenseits der Kirchen und sonstigen Glaubensgemeinschaften zu schaffen.74 Da sowohl die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als auch „Freidenkertum" im Nationalsozialismus nicht als karrierefördernd galten, bot die durch Erlass des Reichsinnenministers vom 26. November 1936 offiziell eingeführte Bezeichnung „Gottgläubig" für konfessionslose Nationalsozialisten einen Ausweg,75 um so zu dokumentieren, dass man durch einen Kirchenaustritt nicht automatisch „ungläubig" bzw. freidenkerisch-liberal werde.76 Siehe auch Portal: Nationalsozialismus – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Nationalsozialismus - Erziehung im Nationalsozialismus - Kunst im Nationalsozialismus - Soziologie im Nationalsozialismus - Nationalsozialistische Europapläne - NS-Forschung Page 143
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Literatur - Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-10-000420-5. - Kurt Bauer: Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall. Böhlau, Wien [u. a.] 2008, ISBN 978-3-8252-3076-0. - Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. dtv, München 1997 (5. erw. Auflage München 2007, ISBN 978-3-423-34408-1). - Karl Dietrich Bracher: Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Ullstein, Berlin 1997, ISBN 3-548-26501-4 (Propyläen-Taschenbuch, ungekürzte Ausgabe, auf der Grundlage der 7. Auflage). - Michael Burleigh: Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung. 2. Auflage, Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-10-009005-5. - Michael Burleigh, Wolfgang Wippermann: The Racial State. Germany 1933–1945. Cambridge University Press, 1991, ISBN 0-521-39114-8. - Richard J. Evans: Das Dritte Reich. 3 Bände: + Aufstieg. DVA, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-421-05652-8. + Diktatur. DVA, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-421-05653-5. + Krieg. DVA, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-421-05800-3. - Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis Page 144
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1945. Neuausgabe, Beck'sche Reihe, München 2013, ISBN 978-3-406-64449-8. - Hermann Graml, Wolfgang Benz, Hans Buchheim, Hans Mommsen (Hrsg.): Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft. Fischer-TB, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-596-11984-7. - Michael Grüttner: Das Dritte Reich. 1933–1939 (= Handbuch der deutschen Geschichte, Band 19). Klett-Cotta, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-608-60019-3. - Ian Kershaw: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1989, ISBN 3-498-03462-6. - Gerd Krumeich (Hrsg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg. Klartext Verlag, Essen 2010, ISBN 978-3-8375-0195-7. - Franz Neumann: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24306-8. - Gerhard Paul: Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933. 2. Auflage, Bonn 1992, ISBN 3-8012-5015-6. - Ernst Piper: Kurze Geschichte des Nationalsozialismus von 1919 bis heute. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, ISBN 978-3-455-50024-0. - Michael von Prollius: Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten 1933–1939. Steuerung durch emergente Organisation und Politische Prozesse. Paderborn 2003, ISBN 3-506-76948-0. - Michael Ruck: Bibliographie zum Nationalsozialismus. Zwei Bände mit CD-ROM. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2000, ISBN 3-534-14989-0. - Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Page 145
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Siedler Verlag, München 2007, ISBN 978-3-88680-857-1. (zuerst engl. 2006: Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy). - Henry A. Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. Siedler Verlag, Berlin 1985, ISBN 3-88680-143-8. - Hans-Ulrich Wehler: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen 1919–1945. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-58486-2. - Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8252-2914-6. - Wolfgang Wippermann: Der konsequente Wahn. Ideologie und Politik Adolf Hitlers. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1989, ISBN 3-570-03950-1. - Walter Wolf: Nationalsozialismus im Historischen Lexikon der Schweiz, 2010. Weblinks Commons: Nationalsozialismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Wikiquote: Nationalsozialismus – Zitate Wiktionary: Nationalsozialismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wikisource: Kategorie:Nationalsozialismus – Quellen und Volltexte Aufarbeitung - nazi-terror-gegen-jugendliche.de: Verfolgung, Deportation und Gegenwehr. Page 146
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Ein Ausstellungsprojekt mit ZeitzeugInnenbegegnungen für das Schuljahr 2014/2015" - ns-ministerien-bw.de: Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus Dokumente - Dokumentarchive: chronologische Abfolge wichtiger politischer Entscheidungen von 1933 bis 1945 mit Gesetzestexten - Dokumente zum Nationalsozialismus - Das Programm der NSDAP Grundinformationen - Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 251: Nationalsozialismus I (Memento vom 19. Juli 2012 im Internet Archive) + Heft 266: Nationalsozialismus II (Memento vom 9. September 2011 im Internet Archive) + Dossier Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg - politische-bildung.de: Nationalsozialismus - Deutsches Historisches Museum: Nationalsozialismus - „Paul-Celan-Projekt": Der Nationalsozialismus - netz-gegen-nazis.com: Bücher zum Download (Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen. Rowohlt, 2002; Hilde Kammer, Elisabet Bartsch: Jugendlexikon des Nationalsozialismus. Rowohlt, 2007; Toralf Staud: Moderne Nazis. Kiepenheuer & Witsch 2005) Historische Debatte - Interview mit dem Historiker Overy zum Thema Page 147
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Zusammenfassung/Rezension zu Wolfgang Wippermann: Europäischer Faschismus im Vergleich 1922–1982 Materialien - Historisches Zentrum Zeitgeschichte: Online-Katalog mit weiterführenden, auch didaktischen Ressourcen zum Nationalsozialismus Opfer - Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstands: Opfer des Terrors der NS-Bewegung in Österreich 1933–1938 (Memento vom 10. Dezember 2011 im Internet Archive) Einzelnachweise [1] Albrecht Tyrell: Führer befiehl… Selbstzeugnisse aus der Kampfzeit der NSDAP. Gondrom, Bindlach 1991, S. 119 u. ö. [2] Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. 8. Aufl. 2006, S. 411. [3] Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. Beck, München 2003, S. 543. [4] Nazi. In: Friedrich Kluge, Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017473-1 (Online Etymology Dictionary: Nazi). [5] Richard Pipes: Russia under the Bolshevik Regime. 1994, ISBN 0-679-76184-5, S. 101 und 258; Johannes Baur: Die Russische Kolonie in Page 148
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt München 1900–1945: deutsch-russische Beziehungen im 20. Jahrhundert. Harrassowitz Verlag, 1998, ISBN 3-447-04023-8, S. 199; Michael Kellogg: The Russian roots of Nazism. White émigrés and the making of national socialism 1917–1945. Cambridge University Press, Cambridge 2005, ISBN 0-521-84512-2, S. 227. [6] Hans-Heinrich Wilhelm: Die „nationalkonservativen Eliten" und das Schreckgespenst vom „jüdischen Bolschewismus". In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 43 (1995), S. 333–349. [7] Michael Kellogg: The Russian roots of Nazism. Cambridge 2005, S. 243 und 275; Ernst Piper: Alfred Rosenberg: Hitlers Chefideologe. Pantheon, München 2007, ISBN 978-3-570-55021-2, S. 62. [8] Uwe Puschner, Clemens Vollnhals: Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Forschungs- und problemgeschichtliche Perspektiven. In: Dies. (Hrsg.): Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, S. 14. [9] Uwe Puschner: Grundzüge völkischer Rassenideologie. Heidelberg 2002, S. 61 ff. [10] Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 1998, S. 15 f. [11] Beide Zitate in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 1998, S. 14. [12] Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. dtv, 2000, S. 87–128. [13] Enzyklopädie des Nationalsozialismus. S. 22–25. Page 149
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [14] So z. B. Wolfram Meyer zu Uptrup: Kampf gegen die „jüdische Weltverschwörung". Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945. Metropol, Berlin 2003, und Wolfgang Wippermann: Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute. be.bra. Verlag, Berlin 2007, S. 78–93. [15] Dietrich Eckart: Der Bolschewismus von Moses bis Lenin. Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir. München 1924. [16] Zit. nach Omer Bartov: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Rowohlt TB, Reinbek bei Hamburg 1995, ISBN 3-499-60793-X, S. 36. [17] Hauke Janssen: Nationalökonomie und Nationalsozialismus: Die deutsche Wirtschaftslehre in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts (= Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie, Bd. 10), 3. Auflage, Metropolis-Verlag, 2009, ISBN 978-3-89518-752-0, S. 119. [18] Max Horkheimer: Die Juden und Europa. In: Zeitschrift für Sozialforschung 8 (1939), S. 115. [19] Manfred Weißbecker: Das Firmenschild: Nationaler Sozialismus. Der deutsche Faschismus und seine Partei 1919 bis 1945. PapyRossa Verlag, Köln 2011, ISBN 978-3-89438-467-8. [20] Ludwig von Mises, insgesamt lautet das Zitat: „The philosophy of the Nazis, the German National Socialist Labour Party, is the purest and most consistent manifestation of the anticapitalistic and socialistic spirit of our age. Its essential ideas are not German or ‚Aryan' in origin, nor Page 150
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt are they peculiar to the present day Germans. In the genealogical tree of the Nazi doctrine such Latins as Sismondi and Georges Sorel, and such Anglo-Saxons as Carlyle, Ruskin and Houston Stewart Chamberlain, were more conspicuous than any German. Even the best known ideological attire of Nazism, the fable of the superiority of the Aryan master race, was not of German provenance; its author was a Frenchman, Gobineau. Germans of Jewish descent, like Lassalle, Lasson, Stahl and Walter Rathenau, contributed more to the essential tenets of Nazism than such men as Sombart, Spann and Ferdinand Fried. The slogan into which the Nazis condensed their economic philosophy, viz., Gemeinnutz geht vor Eigennutz (i.e., the commonweal ranks above private profit), is likewise the idea underlying the American New Deal and the Soviet management of economic affairs. It implies that profit-seeking business harms the vital interests of the immense majority, and that it is the sacred duty of popular government to prevent the emergence of profits by public control of production and distribution." [21] Ludwig von Mises, Liberalism, ISBN 978-1-61016-408-5, S. 51: „It cannot be denied that Fascism and similar movements aiming at the establishment of dictatorships are full of the best intentions and that their intervention has, for the moment, saved European civilization. The merit that Fascism has thereby won for itself will live on eternally in Page 151
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt history. But though its policy has brought salvation for the moment, it is not of the kind which could promise continued success. Fascism was an emergency makeshift. To view it as something more would be a fatal error." [22] Eberhard Czichon: Wer verhalf Hitler zur Macht? Köln 1967, S. 54, zitiert nach Eberhard Kolb und Dirk Schumann: Die Weimarer Republik (=Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 16). 8. Auflage, Oldenbourg, München 2013, ISBN 978-3-486-71877-5 S. 273 (abgerufen über De Gruyter Online). [23] Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930–1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981 (PDF; 6,55 MB). [24] Henry Ashby Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. Siedler Verlag, Berlin 1985. [25] Albrecht Ritschl: Zum Verhältnis von Markt und Staat in Hitlers Weltbild. In: Uwe Backes, Eckhard Jesse, Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus. Propyläen Verlag, Frankfurt a.M./Berlin 1990, S. 254 u. ö. [26] Manfred Overesch: Die Weimarer Republik (= Droste Geschichts-Kalendarium: Politik – Wirtschaft – Kultur. Chronik deutscher Zeitgeschichte Band 1). Droste Verlag, Düsseldorf 1982, S. 494. [27] Helmut Dubiel, Alfons Söllner: Die Page 152
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nationalsozialismusforschung des Instituts für Sozialforschung – ihre wissenschaftsgeschichtliche Stellung und ihre gegenwärtige Bedeutung. In: Dies. (Hrsg.): Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus. Analysen des Instituts für Sozialforschung 1939–1942. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1981, S. 16 ff. [28] Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Ullstein, Berlin 1993, ISBN 3-550-07615-0, S. 136. [29] Werner Jochmann: Im Kampf um die Macht. Hitlers Rede vor dem Hamburger Nationalklub von 1919. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt a.M. 1960. [30] Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Bonn 2007, S. 727 f. [31] Herrmann Rauschning: Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich. Europa Verlag, Zürich/New York 1938, S. 41. [32] Henry A. Turner: Hitlers Einstellung zu Wirtschaft und Gesellschaft vor 1933. In: Geschichte und Gesellschaft (GuG) 2, 1976, S. 95. [33] Hauke Janssen: Nationalökonomie und Nationalsozialismus: Die deutsche Wirtschaftslehre in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, 3. Aufl., 2009, S. 121. [34] Avraham Barkai: Sozialdarwinismus und Antiliberalismus in Hitlers Wirtschaftskonzept. Zu Henry A. Turners Jr. »Hitlers Einstellung zu Wirtschaft und Gesellschaft vor 1933«. In: Geschichte und Gesellschaft. Page 153
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Band 3 (1977), S. 406–417, hier S. 409. [35] Wolfgang Hänel: Hermann Rauschnings „Gespräche mit Hitler": Eine Geschichtsfälschung. Veröffentlichung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, 7. Band 1984. [36] Ian Kershaw: Hitler 1889–1936. Stuttgart 2000, S. 10. [37] Anselm Doering-Manteuffel: Die deutsche Geschichte in den Zeitbögen des 20. Jahrhunderts. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3/2014, S. 332. [38] Jörn Axel Kämmerer: Privatisierung: Typologie – Determinanten – Rechtspraxis – Folgen. Mohr Siebeck, 2001, ISBN 3-16-147515-1, S. 72–73. [39] Ralf Ptak: Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft. VS Verlag, Wiesbaden 2004, S. 64. [40] Nils Goldschmidt: Buchbesprechung: Vom Ordoliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft – von Ralf Ptak. In: ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Band 56, Lucius & Lucius, Stuttgart 2005, S. 319–323. [41] Hauke Janssen: Nationalökonomie und Nationalsozialismus: Die deutsche Wirtschaftslehre in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, 3. Aufl., 2009, S. 27. [42] Friedrich August von Hayek: Der Weg zur Knechtschaft. München 1981. (zuerst 1944). [43] Ingo Pies, in: F.A. von Hayeks konstitutioneller Liberalismus (= Konzepte der Gesellschaftstheorie, Bd. 9). Mohr Siebeck, 2003, ISBN 3-16-148218-2, S. 9. [44] Rainer Zitelmann: Hitler. Selbstverständnis Page 154
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eines Revolutionärs. Darmstadt 1990, S. 491. [45] Wolfgang Wippermann, Michael Burleigh: The racial state. Germany 1933–1945. Cambridge University Press 1991, S. 378 ff. [46] Joachim Fest: War Adolf Hitler ein Linker?, taz.de vom 27. September 2003. [47] Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Fischer, Frankfurt a.M. 2006, ISBN 3-596-15863-X. [48] Michael Grüttner: Brandstifter und Biedermänner. Deutschland 1933–1939, Klett-Cotta, Stuttgart 2015, S. 298 ff. [49] Wolf Gruner, Götz Aly (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Band 1: Deutsches Reich 1933–1937. Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, S. 26. [50] Letzteres vertritt in ihrem Resümee Friederike Sattler: Wirtschaftsordnung im Übergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945–52. Band 1 (= Diktatur und Widerstand. Wirtschaftsordnung im Übergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945–52. Band 5). Lit Verlag, Münster 2002, ISBN 3-8258-6321-2, S. 65. [51] Willi Albers: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft. Band 6, Page 155
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981, ISBN 3-525-10259-3, S. 508. [52] Markus Albert Diehl: Von der Marktwirtschaft zur nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. Die Transformation der deutschen Wirtschaftsordnung 1933–1945 (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nr. 104). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, S. 179. [53] Vgl. Adam Tooze, Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy. 2006, hier nach Taschenbuchausgabe 2007, S. 186 ff. [54] Adam Tooze: Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy. 2007, S. 260 ff. [55] Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Band 17). München 1991, S. 170. [56] Adam Tooze: Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy. 2007, S. 110 ff. [57] Adam Tooze: Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy. 2007, S. 132 ff. [58] Friederike Sattler: Wirtschaftsordnung im Übergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945–52. Band 1 (= Diktatur und Widerstand. Wirtschaftsordnung im Übergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945–52. Band 5). Lit Verlag, Münster 2002, ISBN 3-8258-6321-2, S. 61 f. [59] Michael von Prollius: Das Wirtschaftssystem Page 156
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Nationalsozialisten 1933–1939. Steuerung durch emergente Organisation und Politische Prozesse. Paderborn 2003. [60] Götz Aly, Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung – Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung. Frankfurt a.M. 1997, ISBN 3-596-11268-0, S. 24 f. [61] Vgl. Adam Tooze: Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy. 2007, S. 353. [62] Bernhard Löffler: Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis: das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beih. 162). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-515-07940-8, S. 56 ff. [63] Vgl. Michael Brackmann: Der Tag X. In: Handelsblatt. 25. Juni 2006. [64] Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie, München 2008, S. 274. [65] Eric Voegelin: Die politischen Religionen, Stockholm 1939. [66] Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, Frankfurt a.M. 2000. [67] Vgl. die unterschiedlichen Beiträge in: Hans Maier (Hrsg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, 3 Bde., Paderborn 1996/1997/2003. [68] Hans Günter Hockerts: War der Nationalsozialismus eine politische Religion? In: Klaus Hildebrand (Hrsg.): Zwischen Politik und Religion: Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus. Page 157
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Oldenbourg, 2003, ISBN 3-486-56748-9, S. 45 ff. [69] Friedrich Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland 1933–1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit. Walter de Gruyter, Berlin 1965, ISBN 3-11-000459-3, S. 1–4. [70] Michael Grüttner: Brandstifter und Biedermänner. Deutschland 1933–1939, Klett-Cotta, Stuttgart 2015, S. 392. [71] Harald Iber: Christlicher Glaube oder rassischer Mythus. 1987. [72] Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2, S. 157. [73] Philosophisches Wörterbuch. Kröners Taschenausgabe, Band 12, 1943, S. 206. Zitiert in Cornelia Schmitz-Berning, 2007, S. 281 ff. [74] Gerhard Krause, Horst Robert Balz: Theologische Realenzyklopädie. Band 8. Hrsg. Gerhard Krause, Gerhard Müller. Walter de Gruyter, 1981, ISBN 3-11-008563-1, S. 558. [75] Hans-Jürgen Becker: Neuheidentum und Rechtsgeschichte. In: Joachim Rückert, Dietmar Willoweit (Hrsg.): Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit: ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 12), Mohr, Tübingen 1995, ISBN 3-16-146444-3, S. 15. [76] Maren Seliger: Scheinparlamentarismus im Führerstaat: „Gemeindevertretung" im Austrofaschismus und Page 158
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nationalsozialismus. Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934–1945 im Vergleich (= Politik und Zeitgeschichte. Band 6). Lit Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-643-50233-9, S. 234. Normdaten (Sachbegriff): GND: 4041316-0 Fahrendes Volk Fahrendes Volk (auch fahrende Leute) bezeichnet eine Vielfalt von Bevölkerungsgruppen der unteren und untersten Ränge vor allem der vormodernen ständischen Gesellschaft. Gemeinsam waren diesen sehr unterschiedlichen vagierenden Individuen und Gruppen verschiedener Herkunft und Tätigkeit - ihre Armut und fehlende Schulbildung, - eine damit einhergehende zeitweise oder dauerhafte Erwerbsmigration in ökonomischen Nischen - und der auf den Menschen liegende mehrheitsgesellschaftliche Verdacht der Delinquenz. In der Regel waren die Angehörigen dieses Bevölkerungsteils unter stigmatisierenden Bezeichnungen wie „herrenloses Gesindel" aus der Untertanenschaft ausgeschlossen. Fahrendes Volk reproduzierte sich zum einen aus sich selbst. Zum anderen erhielt es Zuzug von Absteigern aus dem sesshaften Unterschichtenmilieu. Heute reduziert sich eine folklorisierende Verwendung der Bezeichnung „fahrendes Volk" auf Nachfahren historischer Page 159
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gruppen, wie sie im Schausteller-, Zirkus- und Landfahrermilieu anzutreffen sind. Diese bezeichnen sich selbst als Reisende. Bezeichnungen In Mittelalter und Früher Neuzeit wurden als fahrendes Volk (auch fahrende Leute oder Fahrende) die Angehörigen zahlreicher unterschiedlicher unterständischer und außerständischer Sozialgruppierungen beschrieben. Die Bandbreite der rechtlosen Außenseiter erweiterte und differenzierte sich im Mittelalter. Angehörige des „niederen Volks" – sprich der gesellschaftlichen Unterschichten – außerhalb der ständischen Hierarchie und ohne einen festen Wohnsitz galten als varende lute, eine abwertende Bezeichnung, die mit Kriminalität und Ehrlosigkeit (Unehrlichkeit) konnotiert war.¹ Historische Bezeichnungen für die Angehörigen dieser sozial, kulturell und ethnisch uneinheitlichen Population von summarisch als „herrenloses Gesindel" Stigmatisierten waren z. B. „Gängler", „Landfahrer", „Landstreicher", „Landläufer" (vgl. die in den Niederlanden bis heute gebräuchliche Bezeichnung landloper) oder „Vagabunden".² Aus dem Blickwinkel einer als kollektives Persönlichkeitsmerkmal unterstellten Arbeitsscheu galten sie darüber hinaus als „fremde Müßiggänger". Im 19. Jahrhundert kam auch die Bezeichnung „Wanderer" auf, später auch Page 160
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Nichtsesshafte".³ „Fahren" ist nicht in der heutigen Bedeutung zu verstehen. Bis weit ins 19. Jahrhundert, als Wohnwagen als Transportmittel und Unterkunft aufkamen, waren „Fahrende" vor allem zu Fuß mit vielleicht einem zweirädrigen Karren als Hundegespann oder selbstgezogen unterwegs. An der Stelle des folklorisierenden Begriffs „Fahrende" steht gemeineuropäisch, aber auch als übliche heutige deutsche Selbstbezeichnung Reisende. Zusammenfassende Bezeichnungen für die Nachfahren der historischen Gruppen sind als Selbst- wie als Fremdbezeichnung im Französischen gens du voyage, im angelsächsischen Sprachraum Travellers, im Schwedischen bzw. Norwegischen resandefolket bzw. Reisende und im Niederländischen reizigers.4 Im Englischen grenzt der Terminus gegen Roma ab.5 Schweiz In der Schweiz dagegen ist Fahrende ein staatlich-offizieller und rechtlicher Terminus. Er bezeichnet dort die – allerdings nicht als Einzelgruppen, sondern nur gemeinsam – als kulturelle und „nationale Minderheit" anerkannten und betrachteten Manouches (synonym für Sinti) und Jenischen mit Schweizer Staatsbürgerschaft.6 Siehe auch: Kinder der Landstrasse Bayern und Bundesrepublik seit 1945 Page 161
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Das damals mit SPD-Beteiligung regierte Bayern erließ 1953 eine sogenannte Landfahrerordnung. Dieses Gesetz sollte Menschen mit nomadischer Lebensweise den örtlichen Aufenthalt madig machen, sie von dort vergraulen. Die bayerischen Politiker vermieden das Wort Zigeuner, weil sie annahmen, so das Verbot rassischer Diskriminierung nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz (GG) unterlaufen zu können. Die Rede war von „Landfahrerfamilien" oder „Landfahrerhorden", deren Überwachung die Politiker der Polizei übertrugen. In den Ausführungsbestimmungen wurde die Landfahrereigenschaft folgendermaßen definiert: „Für die Feststellung der Landfahrereigenschaft ist die nomadisierende Lebensweise entscheidend, die sich darin äußert, dass eine Person ohne festen Wohnsitz oder trotz eigenen Wohnsitzes nicht nur vorübergehend nach Zigeunerart unstet im Lande umherzieht." – Bundesland Bayern, Innenministerium, 22. Dezember 1953 Diese Landfahrerordnung war bis 1970 bayerisches Landesrecht. In anderen Bundesländern der BRD wurde die bayerische Gesetzgebung zwar als vorbildlich wahrgenommen, aber nicht übernommen. Eine bundeseinheitliche Anti-Zigeunerpolitik gab es nicht. Vermeintliche kriminelle Aktivitäten, die den Sinti und Roma vorgeworfen wurden, ließen sich statistisch nicht Page 162
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bestätigen: 1954 wurden bundesweit 1.743 Sinti und Roma unter 1,1 Millionen Tatverdächtigen festgestellt. In der Summe war damit deren Zahl zu gering, als dass die bisherigen Polizeipraktiken aus der Zeit vor 1945 hätten weitergetrieben werden können. Die Fahrenden wurden weiterhin, soweit es sich irgendwie vor der Öffentlichkeit verbergen ließ, diskriminiert. In Nordrhein-Westfalen forcierte beispielsweise seit 1954 die Landesregierung eine Verwaltungspraxis, Sinti und Roma die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen, indem von ihnen ein detaillierter Dokumentennachweis verlangt wurde, sie seien zu Recht im Besitz eines deutschen Reisepasses. Das war angesichts des Verwaltungshandelns 1933–1945 nicht gerade einfach nachzuweisen. In den Entschädigungsämtern und Polizeibehörden griff man durchgehend auf die Expertise von Beamten zurück, die bereits vor 1945 an der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma beteiligt gewesen waren.7 Erst seit den 1980er Jahren gerieten die systematische Erfassung der Personen und die ständigen Schikanen gegen „Zigeuner" durch die Polizeibehörden deutlicher ins Blickfeld einer liberalen Öffentlichkeit. In Hamburg hatte die Polizei z. B. 1981 ein sechs Monate altes Kind aus einer Sinto-Familie als Gefahrenquelle polizeilich erfasst. Vor dem BKA-Gebäude in Wiesbaden demonstrierten 1983 Sinti und Roma dagegen, dass in der damals Page 163
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt intensivierten polizeilichen Datenerfassung das Merkmal „ZN" eingetragen wurde, für „Zigeunername". Das war bis dahin eine seit Jahrzehnten übliche Vorgehensweise zigeunerfeindlicher Polizeiarbeit gewesen. Spätestens seit 1990er Jahren ist dann sogar in der BRD die Aufnahme der Sinti und Roma in das staatsoffizielle Gedenken an die NS-Mordpraxis erfolgt. Einzelne Vertreter des BGH distanzierten sich seit 2013 von der gängigen Rechtsprechung der 1950er Jahre, ohne dass bislang Urteile formal revidiert worden sind. Rechtlicher, sozialer und ökonomischer Ausschluss Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung in der Vormoderne war arm und außerstande, in Notzeiten auf eigene Ressourcen zurückzugreifen. Wer ohne Zugang zur knapp gehaltenen kommunal organisierten Unterstützung war, glitt meist in die Nichtsesshaftigkeit ab und war auf eine Notökonomie verwiesen. In Krisensituationen nahm die Zahl dieser Menschen sprunghaft zu. Ein großer Teil der Angehörigen der Unterschichten war so ständig von Obdachlosigkeit und Nichtsesshaftigkeit bedroht.8 Die permanente Notsituation zwang die Angehörigen des vagierenden Bevölkerungsteils in aller Regel, mehrere Tätigkeiten nebeneinander oder in der zeitlichen Folge auszuüben und häufig zugleich zu betteln. Zur Sicherung des Überlebens gehörten auch typische Formen der kleinen Delinquenz. Darauf bezogene Page 164
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schimpfbezeichnungen gingen in die Umgangssprache ein („Riemenstecher" oder „Beutelschneider" auf Kirchfesten und Jahrmärkten). Staatliche Betretungs-, Duldungs- und Aufnahmeverbote exkludierten die vagierende Armut aus der organisierten Untertanenschaft rechtlich und erzwangen ein Leben in Illegalität auf der Straße und in den Wäldern. Sie verlängerten sich zum Kontakt- und Arbeitsverbot, dieses formal abgesichert zudem durch Aufnahmeverbote in die Berufskorporationen. Im Zuge des administrativen Ausbaus der europäischen Staaten nahm die Zahl der Ausschlussvorschriften seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stark zu. Begründet wurde der rechtliche Ausschluss mit dem Generalverdacht auf kriminelles oder doch zumindest gemeinschaftsschädliches Verhalten.? Ein Restbestand des strikten rechtlichen Ausschlusses blieb bis weit in das 20. Jahrhundert mit dem Straftatbestand der „Landstreicherei" erhalten. Zumindest im deutschsprachigen Mitteleuropa wurden die entsprechenden Vorschriften im Zuge der sozialen und rechtlichen Reformen im letzten Vierteljahrhundert aus dem Strafrecht herausgenommen. In der vormodernen Armutsgesellschaft erhielten die außerständischen und unterständischen Bevölkerungsgruppen fortwährend, vermehrt aber während ökonomischer Krisen und militärischer Kampagnen Page 165
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zuzug von Menschen aus den ortsfesten Unterschichten.¹° Da eine Reintegration in die Mehrheitsgesellschaft oder gar ein sozialer Aufstieg weitgehend ausgeschlossen blieben, setzte sich die Zugehörigkeit zur migrierenden Armut über Generationen hinweg fort.¹¹ Sie verfestigte sich in einer „Kultur der Armut". Formen des Einbezugs Sozial und wirtschaftlich waren die Angehörigen der Minderheit entgegen den Meidungs- und Ausschlussvorschriften der Obrigkeit und der Berufskorporationen real mit der Mehrheitsbevölkerung eng verbunden. Ihre ökonomischen Beiträge vor allem zur Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen waren unverzichtbar. Ihre Unterhaltungsangebote wurden allgemein geschätzt und bildeten häufig den Mittelpunkt ländlicher und städtischer Festlichkeiten. Es gab eine nicht zu überschauende Vielzahl solcher Gruppen. Die Zugehörigkeiten überschnitten sich. Die Aufzählungen von Fallgruppen in den Abwehrvorschriften vermitteln ein Bild von der Vielfalt der Notbetätigungen, mit denen die Betroffenen in ökonomischen Nischen zu überleben versuchten. Ein Siegerländer Aufnahmeund Duldungsverbot zum Beispiel zählte im Jahr 1586 auf: „Zigeuner, Landstreicher, herrenlose Page 166
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gardenknechte, Umbgänger mit Geygen, Leyren und anderem Seitenspiel, Spitzbuben, Kundtschaffter, Außsprecher, zum Müßiggang abgerichtete Landbettler, Störger, Zanbrecher und was dergleichen loß Gesindlein ist, so vielmahls uff Verretherey, morden, rauben, stehlen, brennen und ander Unglück anzustifften abgerichtett, item Wahrsager, Teuffelsfenger, Christallenseher, Segensprecher, die sich vor Ärzte, Menschen und Viehe zu helffen, außgeben."¹² Eine ordnungspolizeiliche Schrift des ausgehenden 18. Jahrhunderts nannte „Scheerenschleifer, Hafenbinder, Kessler, Pfannenfliker, Kannengiesser, Wannenfliker, Korbmacher, Bürstenbinder, Bücherbeschläger, Schnallen- und Glockengiesser, Sägenfeiler, Bohrermacher, Abdecker und Scharfrichter, Kümmig-, Oel-, Kräuter-, Wurzeln- und Pulverhändler, Kamm-, Leist- oder Zwekschneider, Hechelspizer, Tabakspfeiffenmacher, Hutschwärzer, Drucker, Spielleute, Gaukler und Krämer mit den unterschiedlichsten Waren."¹³ Kulturelle und ethnische Vielfalt Neben den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mitunter auch als Jenische bezeichneten aus der Mehrheitsgesellschaft gedrängten „Fahrenden" der unterschiedlichen landschaftlichen und staatlichen Herkunft gehörten als jeweils ethnisch eigenständige Gruppen fahrende Roma sowie „Schnorr"- oder „Betteljuden"¹4 zu dieser „Subkultur der Page 167
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Straße".¹5 Es ist angesichts der Heterogenität dieses Bevölkerungsteils nicht möglich, den Anteil an der Gesamtbevölkerung zumal etwa Gesamteuropas mehr als äußerst grob zu schätzen. Fünf bis zehn Prozent sind nach der Literatur ein mittlerer Schätzwert für das 18. Jahrhundert. Er konnte im Zuge der regelmäßig sich ereignenden Hungerkrisen und Kriegsverheerungen rasch ansteigen.¹6 Abgrenzungen Wiewohl eine klare Abgrenzung unmöglich ist, sind vom historischen fahrenden Volk Gruppen zu unterscheiden, deren Angehörige in unterschiedlicher Intensität zwar ebenfalls einer Erwerbsmigration in engeren oder weiteren Zirkulationsräumen nachgingen, jedoch in einen Untertanenverband inkorporiert waren, mithin nicht „herrenlos": wandernde Handwerksgesellen (Handwerker auf der Walz, auch Freireisende), unzünftige Handwerker (Bönhasen), fernreisende Kaufleute sowie ortsfeste Bettler. Heutige Formen von Erwerbsmigration und horizontaler Mobilität – Bewegung im geografischen Raum, nicht im Raum der hierarchischen Sozialschichtung – erfasst das Konstrukt „fahrendes Volk" nicht, wiewohl es strukturelle Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten gibt.¹7 Da Marginalisierungs- und Exklusionsprozesse und deren Verfestigung keine Page 168
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ethnische oder regionale Besonderheit, sondern universal und überzeitlich sind, gab und gibt es soziokulturell ähnliche Bevölkerungsgruppen wie die in Mittelalter und Früher Neuzeit unter „fahrendes Volk" subsumierten auch anderswo, so etwa die Burakumin in Japan, die Sarmastaari in Baluchistan oder die Gadawan Kura („Hyänen-Menschen"), die als Gaukler und Wunderheiler durch Nigeria ziehen. Siehe auch - Bruderschaft der Vagabunden, internationale Vagabundenbewegung (1927–1933) - Krippenreiter, Spottname für umherziehende verarmte Adelige - Obdachlosigkeit, bestimmendes Merkmal des Vagabundierens, der Land- und Stadtstreicherei - Picaro, eine spanische Bezeichnung - Resandefolket, reisendes Volk in Schweden und Norwegen - Scholar, reisende Studenten oder Gelehrte im Mittelalter - Stör (Handwerk), Arbeit von wandernden Handwerkern - Tramp, englische Bezeichnung für Wanderarbeiter - Walen, reisende Mineraliensucher Literatur - Margit Bachfischer: Musikanten, Gaukler und Vaganten. Spielmannskunst im Mittelalter. Battenberg, Augsburg 1998, ISBN 3-89441-371-9. - Uwe Danker: Die Geschichte der Räuber und Gauner. Artemis & Winkler, Düsseldorf u. a. 2001, ISBN 3-538-07118-7. Page 169
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Richard van Dülmen: Der ehrlose Mensch. Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit. Böhlau, Köln u. a. 1999, ISBN 3-412-12498-2. - Karl Härter: Fahrende Leute. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller, Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Band I: Aachen – Geistliche Bank. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4, Sp. 1465–1470. - Wolfgang von Hippel: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit. Oldenbourg, München 1995, ISBN 3-486-55773-4, S. 34 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 34). - Franz Irsigler, Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Aussenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. Köln 1300–1600. 7. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1996, ISBN 3-423-30075-2 (dtv – Sachbuch 30075). - Angelika Kopecný: Fahrende und Vagabunden. Ihre Geschichte, Überlebenskünste, Zeichen und Strassen. Wagenbach, Berlin [West] 1980, ISBN 3-8031-2068-3 (Wagenbachs Taschenbücherei 68). - Carsten Küther: Räuber und Gauner in Deutschland. Das organisierte Bandenwesen im 18. und 19. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1976, ISBN 3-525-35971-3 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 20). - Harald Lacina: Die Spielleute nach spätmittelalterlichen deutschen Page 170
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rechtsquellen. Solivagus, Kiel 2010, ISBN 978-3-9812101-7-0 (Dissertation Uni Wien 1990, 187 Seiten). - Martin Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450–1850. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-60131-2 (Fischer-Taschenbuch – Europäische Geschichte 60131). - Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-33591-1 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1568). - Ernst Schubert: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts. Degener, Neustadt a. d. Aisch 1983, ISBN 3-7686-9068-7 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe 9: Darstellungen aus der fränkischen Geschichte 26). - Ernst Schubert: Mobilität ohne Chance. Die Ausgrenzung des fahrenden Volkes: In: Winfried Schulze (Hrsg.): Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität. Oldenbourg, München 1988, ISBN 3-486-54351-2, S. 113–164 (Schriften des Historischen Kollegs Kolloquien 12). - Ernst Schubert: Fahrendes Volk im Mittelalter. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1995, ISBN 3-89534-155-X. Weblinks Wiktionary: fahrendes Volk – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Page 171
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wiktionary: fahrende Leute – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen - Literatur – Fahrende – Meister Eckhart und seine Zeit. - Fahrende in der Schweiz (Memento vom 29. Juni 2008 im Internet Archive) - Fahrende in der Schweiz Bundesamt für Kultur, Schweizerische Eidgenossenschaft. - Klaus Jünschkes Chronologie zur Geschichte der „Zigeuner" besonders in Köln … zeigt Kontinuitäten und Brüche auf (PDF; 356 kB). Einzelnachweise und Anmerkungen [1] Fritz Gschnitzer, Reinhart Koselleck, Karl Ferdinand Wagner: Volk, Nation, Nationalismus, Masse. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7. 1992, S. 141–431, hier: S. 245–281 („Volk als Masse, Unterschicht"), insbes. S. 277 ff. [2] Die letztgenannte Bezeichnung der Vagabunden wird lexikalisch mit Landstreicher, Herumtreiber übersetzt: Das Wort Vagabund ist abgeleitet aus dem Spätlateinischen vagabundus, das umherschweifend, unstet bedeutet und vom lateinischen Wort vage abgeleitet ist, siehe: Vagabund und vage. In: Duden: Das Herkunftswörterbuch. 4. Auflage 2007. [3] Wolfgang Ayaß: „Vagabunden, Wanderer, Obdachlose und Nichtsesshafte": eine kleine Begriffsgeschichte der Hilfe für Wohnungslose. In: Archiv für Page 172
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 43, 2013, Heft 1, S. 90–102. [4] Siehe z. B. das Selbstverständnis der schwedischen Selbstorganisation Föreningen Resandefolkets Riksorganisation, resandefolketsriksorganisation.se. [5] Siehe z. B. das Selbstverständnis des European Roma and Travellers Forum: ertf.org. [6] Siehe: Gutachten des Bundesamtes für Justiz zur Rechtsstellung der Fahrenden in ihrer Eigenschaft als anerkannte nationale Minderheit, 27. März 2002, S. 5. [7] Siehe exemplarisch Guido Schmidt, ein Nationalsozialist als Richter am BGH, der nach 1945 alle Entschädigungsansprüche durchgehend höchstinstanzlich abwehrte, auch wenn sie von den unteren Gerichten anerkannt worden waren. [8] Martin Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450–1850. Frankfurt a. M. 2000, S. 16. [9] Ulrich Friedrich Opfermann: „Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet". Sinti im 17. und 18. Jahrhundert. Eine Untersuchung anhand archivalischer Quellen. Berlin 2007, S. 113 ff. [10] Das bekannte Märchen von den Bremer Stadtmusikanten schildert anschaulich den Einstieg in die „Herrenlosigkeit". [11] Zu sozialem Abstieg und Reproduktion „aus sich selbst" siehe z. B.: Jürgen Kocka: Weder Stand noch Klasse. Unterschichten um 1800. Bonn 1990, S. 108. [12] Geschworene Montagsordnung im Amt Siegen, 18. August 1586, nach: Corpus Constitutiorum Nassovicarum, Dillenburg Page 173
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1796, Bd. I, S. 498–528. [13] Abriß des Jauner- und Bettelwesens in Schwaben nach Akten und andern sichern Quellen von dem Verfasser des Konstanzer Hans. Stuttgart 1793, S. 173. Die anonyme Schrift wird dem Ludwigsburger Zuchthauspfarrer und Waisenhausdirektor Johann Ulrich Schöll zugeschrieben. [14] Richard van Dülmen: Der ehrlose Mensch. Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 1999, S. 25. [15] Wolfgang Seidenspinner: Jenische. Zur Archäologie einer verdrängten Kultur, S. 81. [16] Carsten Küther: Räuber und Gauner in Deutschland. Das organisierte Bandenwesen im 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen 1976, S. 22. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Erster Band. Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815. 3. Auflage. München 1996, S. 175. Wolfgang von Hippel: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 34). Oldenbourg, München 1995, S. 34. Uwe Danker, Die Geschichte der Räuber und Gauner, Düsseldorf/Zürich 2001, S. 65. [17] Siehe aus der Vielfalt der Fälle z. B. Fernfahrer, Tourneetheater, Drückerkolonnen oder gewerbsmäßige Fluchthelfer, landwirtschaftliche und industrielle Wanderarbeiter oder Handelsvertreter (z. B. Pharmareferenten), die umgangssprachlich und rechtlich auch als Page 174
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Reisende" bezeichnet werden. Normdaten (Sachbegriff): GND: 4113502-7 Homosexualität Homosexualität bezeichnet je nach Verwendung sowohl gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten, erotisches und romantisches Begehren gegenüber Personen des eigenen Geschlechts als auch darauf aufbauende Identitäten – etwa sich selbst als lesbisch oder schwul zu definieren. Übersicht Homosexuelles Verhalten, homosexuelles Begehren und die Sexuelle Identität fallen nicht zwingend zusammen und werden deshalb in der Forschung unterschieden. In der Umgangssprache werden diese Aspekte jedoch häufig vermischt oder miteinander gleichgesetzt. Sexuelle Handlungen zwischen Männern und zwischen Frauen wurden in verschiedenen Epochen und Kulturen ganz unterschiedlich behandelt: teils befürwortet und toleriert, teils untersagt und verfolgt. Eine besondere Rolle spielen dabei die drei Abrahamitischen Weltreligionen, deren Schriftgelehrte den sexuellen Verkehr zwischen Männern auf der Basis von Bibel, Tora und Koran in der Regel als Sünde betrachteten, auch wenn liberale Strömungen mit dieser exegetischen Tradition heute zunehmend brechen. Gleichgeschlechtliche Liebe und Lust sind in allen Gesellschaften und historischen Epochen durch entsprechende Quellen Page 175
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nachweisbar. Dagegen gilt die Entstehung der sexuellen Identität – im Sinne einer klaren Festlegung des Individuums auf eine bestimmte sexuelle Orientierung – heute als das Resultat von Entwicklungen der modernen Gesellschaft. Diese setzten ungefähr im 18. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ein und umfassen Aspekte wie das Städtewachstum, die Bürokratisierung und die kapitalistische Versachlichung sozialer Beziehungen.¹ Parallel zur Herausbildung heterosexistischer Normen in der Mehrheitsgesellschaft entstanden nach und nach in fast allen europäischen Metropolen abgegrenzte „schwule" Subkulturen, deren Angehörige schon bald zum Gegenstand polizeilicher Überwachung, staatlicher Verfolgung, krimineller Erpressung und teilweise auch gewaltsamer Übergriffe wurden. Die erste fundierte Verteidigung der Homosexualität schrieb mit Eros. Die Männerliebe der Griechen (1. Band 1836, 2. Band 1838) der Schweizer Modist und Tuchhändler Heinrich Hössli. Er begründete diese mit seiner Überzeugung, dass diese Veranlagung angeboren sei. Der Begriff Homosexualität wurde 1869 durch den österreichisch-ungarischen Schriftsteller Karl Maria Benkert (Pseudonym: Karl Maria Kertbeny) erfunden. Zuvor hatte Karl Heinrich Ulrichs (* 1825) die Begriffe Uranismus (bzw. Urning für männlicher Homosexueller; Urninde für weibliche Homosexuelle) verwendet und bekannt gemacht. Ulrichs forderte 1867 erstmals Page 176
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt öffentlich – auf dem deutschen Juristentag in München vor 500 Mitgliedern – die Straflosigkeit homosexueller Handlungen. Es gab tumultartige Szenen, in denen seine Rede unterging. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts prägten Autoren aus dem Umfeld der modernen Sexualwissenschaft unsere heutigen Begriffe für Homo- und Heterosexualität, für die es, genau wie für den Begriff Sexualität selbst, in keiner Sprache bis dahin eine vergleichbare Entsprechung gab. Das internationale Vokabular zu diesem Thema stammt daher fast überall aus Wortneuschöpfungen und Lehnübersetzungen des letzten und vorletzten Jahrhunderts. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die damit verbundene Einteilung von Menschen in Homo- und Heterosexuelle den vielfältigen Schattierungen menschlichen Begehrens nicht wirklich gerecht wird, hat man seit 1900 mit der Residualkategorie der Bisexualität aufzufangen versucht. Jedoch ist dieses Konzept seinerseits zur Basis einer selbst gewählten Identität geworden und produziert daher neue begriffliche Unklarheiten, wie etwa die Existenz von Menschen, die sich in Umfragen weder als homo- noch bisexuell einstufen, sich aber trotzdem vom eigenen Geschlecht in unterschiedlichem Grade erotisch angezogen fühlen. Mit der Konstruktion homosexuellen Begehrens als Abweichung von einer unterstellten „heterosexuellen Norm" war von Anfang an auch der Versuch Page 177
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt einer ätiologischen (medizinischen/psychologischen) Erklärung verknüpft. Nach 150 Jahren Forschung gibt es unter Sexualwissenschaftlern immer noch keinen Konsens, welche Faktoren für die Ausbildung sexueller Präferenzen ursächlich sind. Genannt wurden unter anderem genetische, endokrinologische (hormonelle) und psychoanalytische Erklärungsmodelle, die meist wenig miteinander vereinbar sind und somit in Konkurrenz zueinander stehen. In der Forschung hat sich heute weitgehend eine Deutung durchgesetzt, die auf der gesicherten Beobachtung aufbaut, dass homosexuelles Verhalten eines Teils von Populationen in der höheren Tierwelt sehr weit verbreitet ist. Solchem Verhalten wird demgemäß eine mögliche evolutionäre Funktion für den Abbau von Aggressionen und die soziale Integration bei komplexen, hochentwickelten Wirbeltiergesellschaften beigemessen. Homosexuelles Verhalten von Teilen einer Population hochentwickelter Lebewesen ist demnach ein durch die natürliche Evolution entstandenes, in der belebten Natur weit verbreitetes und sinnvolle Funktionen erfüllendes Phänomen. Begriff ? Hauptartikel: Bezeichnungen für Homosexualitäten Etymologie und Verwendung Der Begriff „Homosexualität" ist eine hybride Wortneubildung aus dem Jahre Page 178
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1868, geprägt vom Schriftsteller Karl Maria Kertbeny (1824–1882, bürgerlich: Karl Maria Benkert) von griech. ?µ?? hom?s „gleich" und lat. sexus „Geschlecht". Gleichzeitig prägte er als Antonym den Begriff „Heterosexualität". Richard von Krafft-Ebing sorgte ab 1886 mit seinem Werk Psychopathia sexualis für eine weite Verbreitung der Neubildungen.² Hintergrund für diese und andere Wortbildungen war, dass es in der Neuzeit bis Mitte des 19. Jahrhunderts keinen überlieferten Begriff für gleichgeschlechtliches Empfinden gab. Vier Jahre vor Kertbeny führte Karl Heinrich Ulrichs 1864 die Begriffe „Uranismus", „Urning" (männlich) und „Urninde" (weiblich) ein. Zwei Jahre nach Kertbeny und noch vor dem Erscheinen der Psychopathia sexualis prägte Carl Westphal 1870 den Begriff der „conträren Sexualempfindung". Alle drei Begriffe wurden je nach Vorliebe verwendet. Magnus Hirschfeld berichtet 1914, dass sich der Begriff „Homosexualität" durchgesetzt hat.³ Als problematisch empfand Hirschfeld dabei, dass unter dem Eindruck der Endung -sexuell das Wort vielfach nicht im Sinne gleichgeschlechtlicher Artung erfasst und gebraucht wird, sondern im Sinne einer sexuellen Handlung. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine bis heute bestehende Polysemie (Mehrdeutigkeit). So wies Ernest Bornemann 1990 auf öffentliche Umfragen hin, nach denen die Mehrzahl der Deutschen den Begriff so Page 179
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt versteht, dass Homosexualität weniger eine Orientierung als vielmehr den „Geschlechtsverkehr unter Männern" bezeichnet.4 Der Umstand, dass homo im Lateinischen „Mann" (aber auch „Mensch") und nicht, wie im Griechischen, „gleich" bedeutet, führt in Verbindung mit der Tatsache, dass der zweite Teil des Wortes aus dem Lateinischen stammt, häufig zu einer irrtümlichen Verengung der Wortbedeutung auf „männliche Homosexualität". Dies hat bisweilen skurrile Wendungen zur Folge, wie etwa die redundante Formulierung „Homosexuelle und Lesben". Die Verengung auf mann-männliche Sexualität trifft vor allem auf das Substantiv „Homosexueller" zu, dessen weibliches Gegenstück „Homosexuelle" kaum im Gebrauch ist. Homosexuelle Frauen werden stattdessen als Lesben (nach der griechischen Insel Lesbos, Heimat der Frauen liebenden Dichterin Sappho) oder, veraltet, als Lesbierinnen bezeichnet. Analog existiert für homosexuelle Männer auch das Wort Schwuler (von schwül – „drückend heiß", in dieser Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert, „schwül" als Parallelbildung zu „kühl", oder von „Schwulität" – „Schwierigkeit, Bedrängnis, peinliche Lage"). Ursprünglich abwertend oder nur im Rahmen der eigenen Subkultur verwendet, wurde die Bezeichnung „schwul" in den 1970er Jahren von der Homosexuellenbewegung als Kampfbegriff eingesetzt und dadurch so weit Page 180
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gesellschaftsfähig gemacht, dass der Begriff heute sogar im Sprachgebrauch der Gesetzgebung auftaucht. Durch seinen trotzigen Gebrauch als Selbstbezeichnung sollte der abwertende Charakter des Wortes zurückgedrängt und den Homosexuellenfeinden enteignet werden. Dies ist jedoch nur zum Teil gelungen. In der Jugendsprache findet das Wort „schwul" nach wie vor (oder sogar verstärkt) als Schimpfwort Verwendung und wird dort häufig auch als Synonym für „langweilig", „weichlich" beziehungsweise „enervierend" benutzt. Synonym wird häufig „Tunte" oder „Schwuchtel" verwendet. Um das Missverständnis zu vermeiden, „Homosexualität" bezöge sich begrifflich nur auf Männer, wurde seit 1900 als Alternative die deutsche Übersetzung Gleichgeschlechtlichkeit ins Spiel gebracht, und zwar vor allem als Adjektiv (gleichgeschlechtlich), weniger als Substantiv oder gar als Personenbezeichnung (Gleichgeschlechtlicher).² Der Begriff verhindert eine Verwechslung mit dem Begriff Mann und setzt den semantischen Fokus von der Sexualität weg auf das Geschlecht. Auch in Gesetzesentwürfen und Gesetzen wird er neuerdings wegen der juristischen Klarheit bevorzugt. Häufigen Gebrauch findet er darüber hinaus bei der Beschreibung anderer Kulturen, da das Wort homosexuell gedanklich mit vielen sozialen Eigenheiten und Identitätsbeschreibungen der westlichen industrialisierten Welt verknüpft ist. Page 181
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sprachlich überholt ist der Begriff „Homosexualismus", der ebenfalls von Kertbeny eingeführt, aber seit jeher nur vereinzelt verwendet wurde. In neuerer Zeit wird „Homosexualismus" in meist abwertender Weise von wertkonservativen, oft gläubigen Menschen gebraucht. Zum Teil wird es dabei als bloßes Synonym für Homosexualität benutzt, zum Teil aber auch, um die Überzeugung auszudrücken, dass über Straffreiheit und körperliche Unversehrtheit hinausgehende Forderungen eine „Ideologie" darstellten, die den eigenen Anschauungen widerspricht. Englischsprachige Begriffe Im englischsprachigen Raum hat die Lesben- und Schwulenbewegung dagegen das Wort gay (im nachträglichen Rückgriff auf seine ursprüngliche Bedeutung »fröhlich« und »bunt«, die zwischenzeitlich vom 17. bis ins 20. Jahrhundert hinein allerdings von der Bedeutung »ausschweifend, unmoralisch« verdrängt worden war5 ) als Selbstbezeichnung durchgesetzt, um sich von dem damals noch abwertend gebrauchten Ausdruck queer (»seltsam, komisch«) zu distanzieren. Ursprünglich eine geschlechtsneutrale Bezeichnung, hat sich der Begriff – ähnlich wie das deutsche Wort schwul – in den 1970er Jahren auf Männer verengt, während sich gleichgeschlechtlich liebende Frauen im Zuge des lesbisch-feministischen Separatismus zunehmend als lesbians und dykes bezeichneten. Der Begriff gay hat sich auch in Page 182
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt anderen Sprachen wie dem Französischen (gai) eingebürgert und findet als Lehnwort auch in Deutschland neuerdings wieder zunehmend Verwendung. Anfang der 1990er Jahre kam es innerhalb radikalerer politischer Kreise zu einer Wiederaneignung des Wortes queer als Überbegriff für Lesben und Schwule, was dann meist Transgender mit einschließt. Dieser Begriff hat die Wörter gay und lesbian jedoch nicht verdrängt, sondern nur partiell ersetzen können. Durch Queer-Theorie erfuhr er eine ähnliche Internationalisierung wie vorher der Begriff gay. Chichi man oder Battyman sind stark abwertende Begriffe, die aus dem Jamaika-Kreolischen kommen und für die Battyman-Tunes namensgebend sind. Chinesischsprachige Begriffe ? Hauptartikel: Homosexualität in China In der Volksrepublik China hat die Sexualmedizin zunächst die Begriffe tongxing'ai („Homoerotik") und tongxinglian („Homosexualität") durchsetzen können. Es handelte sich um Lehnübersetzungen aus dem Japanischen, wo das entsprechende Wort doseiai („gleichgeschlechtliche Liebe") kurz zuvor in Anlehnung an das Deutsche geprägt worden war. Traditionelle Ausdrücke wie fentao („den Pfirsich teilen") und duanxiu („den Ärmel abschneiden"), die anekdotisch auf Geschichten gleichgeschlechtlicher Liebe unter den Page 183
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt chinesischen Kaisern anspielten, gingen in der Sprache urbaner Regionen verloren. Als Verben hatten sie eine Beziehung oder einen Akt, aber keine Persönlichkeitseigenschaft bezeichnet. In den 1990er Jahren ersetzten homosexuelle Aktivisten tongxinglian ausgehend von Hongkong und Taiwan zunehmend durch den Terminus tongzhi („Genosse", „Kamerad"). Nicht nur, weil das Wort die Silbe tong („gleich") enthielt, sondern auch, weil es als Anspielung auf ein bekanntes Zitat von Sun Yat-sen verstanden werden konnte: „Die Revolution hat noch nicht gesiegt, Genossen, lasst uns zusammen kämpfen". Tongzhi ist bis heute zugleich die offizielle Anredeform innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas, was zu einer Reihe von Konflikten beim Import der neuen Bedeutung auf das Festland führte. In Taiwan hat sich während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in intellektuellen Kreisen unterdessen auch der Terminus ku'er als lautmalerische Anlehnung an das englische queer verbreiten können. Genau wie in den USA stellt er aber lediglich eine Ergänzung zum dominierenden Begriff – in diesem Fall tongzhi – dar. Fehlende Begriffe und andere Konzepte Da es sich bei der Idee, gleichgeschlechtliche Liebe und Sexualität seien an einen bestimmten Personentypus gekoppelt oder auf diesen beschränkt, um eine moderne, westlich geprägte Vorstellung Page 184
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt handelt, fehlen in fast allen Sprachen indigene Ausdrücke für homosexuelle Personen. Dies war früher auch im Westen so. John Henry Mackay veröffentlichte unter seinem Pseudonym Sagitta bereits 1906 die Bücher der „namenlosen Liebe". Im ersten Band erklärt Mackay, dass es für diese Liebe immer noch keinen adäquaten Namen gibt, so dass er sie die „Namenlose" nennen muss. Er legt dar, dass diese Liebe weder eine Angelegenheit der Kirche (Begriffe wie Sodomie, Unkeuschheit) noch des Staates, noch der Medizin (Homosexualität) sei, sondern allein der Natur und deshalb auch nur den Gesetzen der Natur unterstehe. Auch heute noch gibt es beispielsweise im Arabischen keinen feststehenden Begriff für Lesben und Schwule. Der religiöse Begriff luti (????, DMG lu?i, abgeleitet von der biblischen Figur Lots) entspricht etwa dem christlichen Terminus Sodomit und bezeichnet jemanden, der die vom Islam verbotene Handlung des Analverkehrs praktiziert. Er wird jedoch nicht im westlichen Sinn als Name für eine identitär fixierte Minderheit gebraucht. In Ägypten werden Beteiligte der in den 1990er Jahren entstandenen Homosexuellenszene von den Medien stattdessen als schaddh (??? / ša??, wörtlich „anormal", „unregelmäßig" oder „unnatürlich"; auch schaddh dschinsiyyan / ??? ?????? / ša?? ginsiyan / ‚sexuell abnorm') bezeichnet und diffamiert. Es gibt jedoch auch wertfreie Begriffe, die sich vom arabischen Wort mithl / ??? / mi?l / Page 185
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ‚gleich' ableiten – mithli / ???? / mi?li für Schwule und mithliyya / ????? / mi?liya für Lesben –, wobei ????? auch „Homosexualität" an sich bedeutet. In Ungarn setzt sich zurzeit das Schimpfwort buzi als Selbstbenennung von Angehörigen der schwulen Szene durch, obwohl es an sich gar keine Bedeutung hat. Es wird überall dort gebraucht, wo man seinem Ärger darüber Luft machen möchte, dass etwas schiefgelaufen ist. Aufgrund seiner spielerischen Konnotationen wird es analog zum englischen Begriff queer verwandt. In Simbabwe benutzt die 1990 gegründete Organisation GALZ (Gays and Lesbians of Zimbabwe) englische Termini, da die Differenz zwischen einem afrikanischen Konzept gleichgeschlechtlicher Beziehungen und einer westlichen Identität als Lesbe oder Schwuler von den damaligen Gründern, die mehrheitlich weiß und wenig politisiert waren, nicht verstanden wurde und die einzige Alternative in der Landessprache Shona der beleidigende Ausdruck ngochani gewesen wäre. Der Name blieb jedoch auch später erhalten, da internationale Menschenrechte auf der Basis einer sexuellen Identität leichter einzuklagen schienen. In der afroamerikanischen Bevölkerung der USA hat sich während der 1990er Jahre in Abgrenzung von einer weißen Gay-Identität der Begriff Down-Low oder DL herausgebildet. Er leitet sich von der Wendung to be on the down low („es nicht an die große Glocke hängen") ab. Page 186
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Um auch gleichgeschlechtlich liebende Männer ohne schwule Identität durch HIV-Präventionskampagnen zu erreichen, benutzen Aids-Organisationen mittlerweile den neutralen Terminus „Men who have Sex with Men" (MSM). Diese kultur- und kontextsensitive Strategie hat sich mittlerweile auch auf internationalen Konferenzen durchgesetzt. Zitat „Tatsächlich wirft die Bekanntschaft mit der Literatur der Antike ein äußerst verblüffendes Problem für den Geisteswissenschaftler auf, das den meisten Personen, die unvertraut mit den Klassikern sind, nicht in den Sinn käme: ob die Dichotomie, die durch die Termini »homosexuell« und »heterosexuell« unterstellt wird, überhaupt mit irgendeiner Realität korrespondiert. […] Das Bewusstsein über Gründe der Unterscheidung folgt auf das Verlangen zu unterscheiden. Die Frage, wer »schwarz«, »farbig« oder »Mulatte« ist, beunruhigt nur Gesellschaften, die von rassistischen Vorurteilen beeinträchtigt sind […]. In der antiken Welt kümmerten sich so wenige Menschen darum, ihre Zeitgenossen auf der Basis des Geschlechts zu kategorisieren, zu dem sie sich erotisch hingezogen fühlten, dass keine Dichotomie gebräuchlich war, um diese Unterscheidung auszudrücken." – John Boswell6 Verhalten, Orientierung und Identität Page 187
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Demografische Häufigkeit Schätzungen über die Häufigkeit von Homosexualität variieren beträchtlich und werden durch unterschiedliche, voneinander abweichende Definitionen des Gegenstands zusätzlich verkompliziert. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass Umfragen durch die soziale Stigmatisierung der Homosexualität und die damit einhergehende Tendenz zum Verschweigen eher nach unten als nach oben verfälscht sind. So schätzten sich etwa in einer repräsentativen Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2000 nur 1,3 bzw. 0,6 Prozent der in Deutschland lebenden Befragten als schwul bzw. lesbisch sowie 2,8 bzw. 2,5 Prozent als bisexuell ein. Gleichzeitig gaben aber 9,4 Prozent der Männer und 19,5 Prozent der Frauen an, sich vom eigenen Geschlecht erotisch angezogen zu fühlen.7 Bei einer im Jahr 2003 in Australien durchgeführten Umfrage bezeichneten sich 1,6 Prozent der Männer als homosexuell und 0,9 Prozent als bisexuell; 0,8 bzw. 1,4 Prozent der befragten Frauen gaben an, lesbisch bzw. bisexuell zu sein.8 In Kanada stuften sich bei einer 2003 durchgeführten Umfrage unter Männern und Frauen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren 1,0 Prozent als homosexuell und 0,7 Prozent als bisexuell ein.? In Großbritannien ergab eine Umfrage des Office for National Statistics aus dem Jahr 2011/2012, dass sich 1,1 Prozent aller befragten Personen als schwul oder lesbisch einschätzten, 0,4 Prozent bezeichneten sich als Page 188
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bisexuell, weitere 3,6 Prozent waren sich in Bezug auf ihre Orientierung unsicher.¹° Laut einer repräsentativen Untersuchung des Center for Disease Control and Prevention (CDC) vom März 2011 bezeichnen sich 1,7 Prozent der amerikanischen Männer zwischen 15 und 44 Jahren als homosexuell.¹¹ Gary J. Gates von der Universität Kalifornien untersuchte elf US-amerikanische und internationale Studien aus den letzten Jahren; danach ist der Anteil der sich als homosexuell und bisexuell identifizierenden Frauen und Männer in den USA 2004–2009 angestiegen. Im Schnitt lag der Anteil 2009 bei den nicht-heterosexuellen Frauen bei 3,3 % (1,1 % homosexuell) und 3,6 % bei den Männern (2,2 % homosexuell). Dies bedeutet in absoluten Zahlen, dass etwa 9 Millionen Amerikaner nicht heterosexuell sind.¹² Laut der US-Studie National Health Interview Survey (NHIS) von 2013 bezeichneten sich 1,6 % der US-Bevölkerung als homosexuell und 0,7 % als bisexuell.¹³ Was das tatsächliche Sexualverhalten angeht, kam der Kinsey-Report 1948 zu dem Ergebnis, dass 37 Prozent der männlichen US-Bevölkerung nach Beginn der Pubertät „zumindest einige physische homosexuelle Erlebnisse bis zum Orgasmus" haben und weitere 13 Prozent „erotisch auf andere Männer" reagieren, „ohne tatsächliche homosexuelle Kontakte" zu unterhalten.¹4 Zusammengerechnet seien daher nur 50 Prozent der männlichen erwachsenen Bevölkerung ausschließlich heterosexuell und gar nur vier Prozent Page 189
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ausnahmslos – und über ihr gesamtes Leben hinweg – homosexuell.¹5 Schon bei Kinsey war der Anteil von Homosexualität an der „Gesamt-Triebbefriedung" nichts Festes, sondern hing in hohem Maße von der jeweiligen Klassenzugehörigkeit ab. So pflegten Angehörige der unteren Schichten in dieser Zeit wesentlich mehr homosexuelle Kontakte als das Bürgertum und die Eliten.¹6 Jüngere Studien zeigen darüber hinaus, wie sehr diese Zahlen dem historischen Wandel unterliegen können. So gaben in einer Studie zur Jugendsexualität, die 1970 vom Hamburger Institut für Sexualforschung durchgeführt wurde, 18 Prozent der befragten 16und 17-jährigen Jungen an, gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben. Zwanzig Jahre später waren es nur noch zwei Prozent – ohne dass sich der Anteil von Jungen mit heterosexuellen Kontakten dadurch signifikant erhöht hätte.¹7 Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch erklärt diesen Einbruch gleichgeschlechtlicher Jugenderfahrungen u. a. mit der wachsenden öffentlichen Thematisierung von „Homosexualität" und der damit verbundenen Befürchtung der Jungen, aufgrund solcher Handlungen „womöglich als ‚Schwuler' angesehen zu werden".¹8 Allerdings verharrte der Anteil der Mädchen mit homosexuellen Kontakten im selben Zeitraum konstant bei sechs Prozent.¹? Page 190
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Ähnlich stellte auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in ihrer repräsentativen Wiederholungsbefragung zwischen 1980 und 1996 eine Halbierung des Anteils 14- bis 17-jähriger Jungen fest, die zugaben, „enge körperliche Erlebnisse" mit dem eigenen Geschlecht gesammelt zu haben (von zehn auf fünf Prozent), während sich umgekehrt der Anteil der Mädchen, die von solchen Erlebnissen berichteten, zwischen 2001 und 2005 von acht auf 13 Prozent erhöhte.²° Die tatsächliche Häufigkeit von homosexuellen Erfahrungen hängt also zu einem großen Teil von gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen ab und kann nicht überzeitlich und für alle sozialen Schichten einheitlich bestimmt werden. Coming-out ? Hauptartikel: Coming-out Bei vielen Menschen, die sich eher zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen, kommt es im Laufe ihres Lebens zum sogenannten Coming-out. Mittlerweile wird dieser Prozess in zwei Phasen beschrieben: Im ersten Schritt steht das „Sich-bewusst-Werden" oder „Sich-Selbst-Eingestehen" im Vordergrund, also die Erkenntnis oder aber auch die Entscheidung, dass man für die gleichgeschlechtliche Liebe offen ist. Sie wird auch als inneres Coming-out bezeichnet. Die zweite Phase bezeichnet das „Sich-Erklären", Page 191
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt also den Schritt nach außen, das Coming-out bei Familie, Freunden und/oder Kollegen. Bei manchen geschieht dieser Prozess schon im Alter von 11 Jahren, andere sind sich erst mit 40 oder mehr Jahren über ihre sexuelle Orientierung im Klaren. Die meisten haben ihr Coming-out mittlerweile im Schulalter, also etwa zum Zeitpunkt der Pubertät. In diesem Alter trauen sich viele nicht, Hilfe von anderen zu erbitten, besonders dann, wenn sie bemerken, dass ihre Neigung gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Selbst die eigenen Eltern werden manchmal nicht darüber informiert. Das Coming-out kann manchmal in eine Lebenskrise führen, die sich bis hin zu suizidalen Absichten oder realisiertem Suizid steigern kann. Beratungsstellen in den größeren Städten und Info-Seiten im Internet versuchen diesen Menschen zu helfen, ihre Homosexualität anzunehmen. Tatsächlich ist die Suizidrate bei pubertierenden Homosexuellen deutlich höher als bei gleichaltrigen Heterosexuellen. Situative Homosexualität Unter dem soziologischen Begriff situationsbezogene Homosexualität (engl. Situational Homosexuality),²¹ die manchmal noch als Pseudohomosexualität²² bezeichnet wird, versteht man gleichgeschlechtliche Handlungen von Personen, welche nach standardmäßiger Definition keine homosexuelle, ja nicht einmal eine bisexuelle Orientierung haben, also heterosexuelle Sexualkontakte bevorzugen. Grundgedanke ist, dass Page 192
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die Aktivität nie passiert wäre, wenn sich die Menschen nicht in einer ungewöhnlichen Situation befunden hätten. Solche Männer werden auch der Gruppe der heterosexuellen Männer, die Sex mit Männern haben (englisch: Straight Men Who Have Sex with Men, SMSM) zugerechnet.²³ Situationsbedingte Homosexualität kommt vor allem in Umgebungen vor, in denen über längere Zeit nur Personen des gleichen Geschlechts leben. Als typische Orte gelten Haftanstalten, Erziehungsanstalten, Schiffe auf See, U-Boote, Bohrinseln, Kasernen, Klöster und Konvente, Internate, Sportteams auf Tournee und abgelegene Arbeitslager etwa bei Minen oder Großbauprojekten. Vor allem dort wird sie auch als Not-Homosexualität, Knasthomosexualität und während des Nationalsozialismus als Lagerhomosexualität bezeichnet. In der Wissenschaft spricht man manchmal auch von bisexuellem Sexualverhalten, homosexuellen Ersatzhandlungen oder experimenteller Homosexualität. Unter situativer Homosexualität fällt auch oft mannmännliche Prostitution; diese ist Standardbeispiel für Pseudohomosexualität. Jugendliche gleichgeschlechtliche Handlungen werden nur in getrenntgeschlechtlichen Umgebungen dazugezählt, manchmal werden sie als Entwicklungshomosexualität bezeichnet. Einige Aspekte in dieser sonst eigenen Betrachtung von Jugendlichen sind aber der situativen Homosexualität sehr ähnlich.²4 Page 193
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reverend Louis Dwight berichtete 1826 über die Verhältnisse in amerikanischen Gefängnissen. Dies ist der früheste Bericht über amerikanische Strafanstalten. Josiah Flynt beschrieb 1899 situationsbezogenen Sex bei den amerikanischen Hobos, mit denen er reiste. Hans Otto Henel beschrieb 1926 in Eros im Stacheldraht die Situation im Ersten Weltkrieg, was Karl Plättner zu seinem 1929 erschienenen Werk Eros im Zuchthaus inspirierte. Viele erotische Fantasien und Geschichten spielen in Settings mit situativer Homosexualität. Nachdem viele Gesellschaften homosexuelle Identität und offen homosexuelles Leben ablehnen, ist es oft schwer herauszufinden, was hinter einer individuellen heterosexuellen Identität steckt. Manchmal kann auch sozialer Druck und internalisierte Homophobie zu einer solchen Identität führen. Möglicherweise würden sich mehr Menschen als bisexuell identifizieren, wenn es sowohl von der heterosexuellen wie auch der homosexuellen Gesellschaft stärker akzeptiert würde. Das Konzept der situativen Homosexualität wirft Fragen auf, inwiefern aktives Sexualverhalten interne Wünsche ausdrückt und durch externe Umstände beeinflusst wird.²¹ Sexuelle Orientierung ist ein sehr komplexes System mit vielen Zwischenstufen zwischen zwei Extremen oder auf zwei getrennten Skalen und genauer betrachtet sogar gleichzeitig auf mehreren emotionalen Ebenen. Die Entbehrung gegengeschlechtlicher Sexualkontakte wird von unterschiedlichen Page 194
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Personen verschieden bewältigt. Schon im späten 19. Jahrhundert erkannte man, dass manche Individuen niemals gleichgeschlechtliche Aktivität zeigen, egal wie lange und wie intensiv sie heterosexuellen Kontakt entbehren. Ebenso zeigen auch viele homosexuelle Menschen keine heterosexuelle Aktivität, auch wenn Homosexualität repressiv behandelt wird und praktisch nicht durchführbar ist. Grundsätzlich geht man davon aus, dass durch nicht der sexuellen Orientierung entsprechende Handlungen dieselbe nicht beeinflusst wird. Dazu nicht im Widerspruch zeigen kulturübergreifende Vergleiche, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten in Situationen gegengeschlechtlicher Entbehrungen öfter vorkommt, vor allem bei Männern in ihrer sexuellen Hauptzeit.²5 In vielen Kulturen wird situationsbezogene Gleichgeschlechtlichkeit toleriert. Manche sozialen Analysten gehen davon aus, dass situative Homosexualität verwendet wird, um Homophobie und Biphobie zu bekräftigen, indem jenen, die homosexuelle Sexualkontakte in gleichgeschlechtlichen Umgebungen haben, erlaubt wird, sich weiter als heterosexuell zu definieren. Oft wird in solchen Umgebungen zwischen „echten Homosexuellen" und jenen, die heterosexuell bleiben, unterschieden. Erstere sind sozial stigmatisiert, während ihr Partner es nicht ist. Durch diese Unterscheidung wird Homophobie bestärkt, obwohl gleichgeschlechtliche Aktivität toleriert Page 195
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wird. Auch wenn sie oft stillschweigend erwartet wird und zu einem gewissen Grad toleriert wird, wird trotzdem erwartet, dass sie versteckt bleibt. Wird sie öffentlich sichtbar, so wird sie bestraft, selbst wenn jeder davon gewusst hat. Der „echte Homosexuelle" wird dabei oft härter bestraft als sein mutmaßlich heterosexueller Partner, welcher vorgeblich nur aus der Situation heraus handelt.²¹ Oft wird die Unterscheidung auch dadurch getroffen, wer beim Sex „aktiver/männlicher" und wer „passiver/weiblicher" Partner ist. Diese Anzeichen zeigten sich beispielsweise auch in Südeuropa und vor allem im Orient (Nordafrika bis Pakistan) mit streng getrenntgeschlechtlicher Gesellschaft, wohin viele Europäer vor der hier schon herrschenden starken Ablehnung „flüchteten" und welcher hierzulande teilweise einen schlechten Ruf hatte. Erst in den 1960ern änderte sich dort die Haltung, manchmal existieren aber noch alte Traditionen weiter oder flammen wieder auf.²6 Dominanzverhalten Vor allem in Gefängnissen, aber auch in Erziehungsanstalten, ist sexuelle Befriedigung nur ein Teilaspekt, die Ausübung von Macht, Erhalt der eigenen Männlichkeit durch den psychisch heterosexuell und oft nicht einmal als homosexuelle Handlung angesehenen Verkehr – solange man der Aktive bleibt oder unter Gewaltanwendung gezwungen wird – und der Status in der geschlossenen Gesellschaft ist ein Hauptaspekt. Page 196
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Auch ethnische Konflikte spielen dabei eine Rolle. Wünsche des passiven Partners zählen meist nicht und ihm wird die Männlichkeit genommen. Untergeordnet spielt auch die generelle menschliche Sehnsucht nach Zuneigung und Bindung eine Rolle. Paarbeziehungen von einem Beschützer und einem Beschützten basieren auf einer sehr starken Anpassung an das heterosexuelle Modell, das die Gefangenen von der Straße mitbringen; sexueller Stellungswechsel ist selten, und wenn er vorkommt, wird er immer sehr geheim gehalten. Ein weiterer Faktor ist Prostitution als interne Währung sowie als Ausbeutung der Untergeordneten. Mehr als in der Außenwelt muss man eine Dreiteilung machen zwischen freiwilligem Sexualverhalten, gewalttätigen Vergewaltigungen und sexuellen Handlungen „um des Überlebens willen". Ein großes Druckmittel sind dabei durchgeführte oder angedrohte Gruppenvergewaltigungen. Das Phänomen ist generell sehr wenig wissenschaftlich erforscht, in Hinblick auf das System und nicht aus antihomosexueller Sichtweise, am meisten noch in den USA. Das Durchschnittsalter in den US-amerikanischen Haftanstalten beträgt etwa 28 Jahre, wobei fast drei Viertel der Gefangenen unter 35 Jahre alt sind und damit im sexuell aktivsten und körperlich aggressivsten Alter sind. Sie stammen überwiegend aus den Unterschichten und der Arbeiterklasse und sind zu einem großen Teil Schwarze. Jede sexuelle Aktivität seitens der Page 197
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gefangenen ist in allen Gefängnissen verboten und wird bei konkretem Anlass wirklich – oft auch gegenüber Vergewaltigungsopfern – durch Disziplinierungsmaßnahmen (bis hin zu Isolationshaft, Verlust von Hafterleichterungen und Ablehnung von Entlassung auf Bewährung) geahndet, im Gegensatz zu den nicht so konsequent durchgesetzten früher bestehenden „Sodomiegesetzen" der Bundesstaaten. Was nicht offensichtlich ist, wird wegen der erhofften friedensstiftenden Wirkung in der Institution oft geduldet und nicht näher betrachtet. Als Beispiel für eine Größenordnung sei eine Untersuchung aus dem Jahre 1982 genannt, wo 65 % aller in einer Stichprobe befragten Gefangenen angaben, in diesem Gefängnis sexuell aktiv gewesen zu sein. Von den sich selbst als heterosexuell Beschreibenden berichteten 55 % von sexuellen Aktivitäten, wobei sich die Zahl der sexuell aktiven Heterosexuellen auf 35 % der Weißen, 81 % der Schwarzen und 55 % der Hispanics verteilen. Verheiratete Heterosexuelle, die eheliche Besuche erhalten konnten, beteiligten sich häufiger, nicht weniger, am Sex mit anderen Gefangenen. Es bestehen Unterschiede zwischen Strafanstalten, Haftanstalten, Polizeigefängnissen und Jugendgefängnissen. Der Hauptgrund für die Begrenzung der Rate liegt am Mangel an passiven Partnern. Jene, die sich nicht am Sex beteiligen, beteiligen sich dennoch oft am System, indem verbale Bemerkungen gemacht werden und versucht wird, andere in die passive Rolle zu drängen. Im Gegensatz zu sexuellen Page 198
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Phantasien einiger urteilen die Homosexuellen, dass der Sex draußen wesentlich besser sei.²7 Abgrenzung zu Transgender ? Hauptartikel: Transgender Geht es bei Homosexualität um das Geschlecht des bevorzugten Partners, so geht es bei Transgender, wozu auch Transsexualität gehören kann, um das Empfinden der eigenen Geschlechtsidentität, die unabhängig von der sexuellen Orientierung ist. Beide sind aber Teile der mehrschichtigen sexuellen Identität. Beziehungen zu Personen gleichen Identitätsgeschlechts werden dabei als homosexuell empfunden, solche zu Personen eines anderen Identitätsgeschlechts als heterosexuell, wobei die Quote der homo- oder bisexuell empfindenden Transgender weit höher liegt als die von Nicht-Transgendern; je nach Schätzung sind dies mindestens ein Drittel. In älterer Fachliteratur findet sich noch der Gebrauch von Homo- bzw. Heterosexualität relativ zum ursprünglich zugewiesenen Geschlecht, also würde beispielsweise eine mit einem Mann verheiratete Transfrau als homosexuell beschrieben, konträr zu ihrem Empfinden, ein schwuler Transmann als heterosexuell. In der neueren Literatur nimmt diese Verwendung kontinuierlich ab, in hauptsächlich sozialwissenschaftlich geprägten Texten ist er nicht mehr zu finden. Page 199
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Aufgrund der ursprünglichen, als abwertend empfundenen Verwendung und aufgrund der Schwierigkeiten, gleich und verschieden genau zu definieren, bevorzugen viele Transgender anstelle von homound heterosexuell schwul, lesbisch, queer etc. als Selbstbezeichnungen. Selten werden die, für den Begehrenden geschlechtsneutralen, Begriffe Gynäkophilie und Androphilie verwendet. Dass Homosexualität oft mit Transgender, Transsexualität und manchmal auch Intersexualität in Verbindung gebracht wird, hat mehrere Gründe: - Früher bestand keine genaue Abgrenzung zwischen Homosexualität – Transvestitismus – Travestie – Transsexualität. Hirschfeld verwendete selten, aber in für das breite Publikum verfasste Broschüren und Bücher, den Begriff vom Dritten Geschlecht und sprach allgemein von sexuellen Zwischenstufen. Später trennte er jedoch den Transvestitismus ab und dachte schon an eine Abtrennung der Transsexualität, was durch den Krieg erst in den 1950ern in den USA weitergedacht wurde. Die Idee vom Dritten Geschlecht hat sich, wenn nicht in der Wissenschaft, so doch sozial bis mindestens in die 1970er Jahre gehalten. Heute werden als queer beide Gruppen, beziehungsweise alle Menschen, die dem heteronormativen Muster nicht entsprechen, verstanden. - In verschiedenen individuellen Biographien von Transsexuellen und Page 200
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Intersexuellen finden sich immer wieder verschieden lange Zeitabschnitte, in denen vermutet wird, homosexuell oder Transvestit/Transgender zu sein, bis dies wieder verworfen wird und sich die wahre Ursache herauskristallisiert. So beispielsweise bei dem als Pseudohermaphrodit geborenen Skirennläufer Erik Schinegger, der glaubte, lesbisch zu sein; Chaz Bono, der sich 1990 als lesbisch und 2008 als transsexuell outete; und Christian Schenk. - Teile der lesbisch-schwulen Subkultur waren oft der einzige Ort, an dem Transgender in ihrem empfundenen Geschlecht sozial akzeptiert wurden. Ebenso konnten dort Transvestiten verkehren und mit der künstlerischen Travestie gibt es ebenfalls ein enges Verhältnis. - In Mitteleuropa schon selten, aber bei Zuwanderern aus dem islamischen Kulturkreis und aus den ehemaligen Ostblockländern noch öfter zu beobachten ist die Ichdystone Sexualorientierung, welche von der Transsexualität abzugrenzen ist. Durch gesellschaftlich vorgegebene Skripte („man kann nicht dasselbe Geschlecht lieben") können Menschen dazu gebracht werden, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen. Heute ist hierbei vor allem der Iran herausstechend, in dem homosexuelle Handlungen von Männern mit dem Tode bestraft werden, Transsexualität aber als durch Operation behandelbare Krankheit gilt. Recht Page 201
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rechtlicher Status ? Hauptartikel: Gesetze zur Homosexualität Weltweit werden derzeit (Stand: Mai 2012) Homosexuelle in 78 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen strafrechtlich verfolgt, so etwa in Nigeria, Uganda, Tansania, Simbabwe, Angola, Jamaika, Belize und in den meisten islamischen Staaten, wobei in fünf dieser Länder – Iran, Jemen, Sudan, Saudi-Arabien und Mauretanien – sowie in Teilen Nigerias und Somalias die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen Verkehr vorgesehen ist. In Indien und dem Irak ist die rechtliche Lage unklar oder nicht überschaubar.²8 Aber auch in Teilen Europas, zum Beispiel in Russland, Weißrussland, Albanien und sogar in manchen der neuen EU-Länder ist die Lage der Menschenrechte derzeit bedenklich: So werden in Polen und Lettland Demonstrationen für Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben von offiziellen Stellen verboten oder teilweise mit massiver Gewalt konfrontiert, die von den Kirchen und rechtsradikalen Nationalisten geschürt wird.²? In Polen sind in letzter Zeit Forderungen einiger führender Politiker laut geworden, Homosexuelle in Lager zu stecken bzw. aus Polen zu eliminieren. Im Jahr 2007 wurde über ein Gesetz beraten, das selbst die Erwähnung von Homosexualität für Lehrer unter Strafe stellen soll. So wird auch verboten, Page 202
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt aufzuklären, wie sich homosexuelle Männer vor Aids schützen können. Lehrer, die dagegen verstoßen, können aus dem Schuldienst entlassen werden.³° In der UNO versuchen der Vatikan und die islamischen Staaten gemeinsam, allein nur die Diskussion über die Menschenrechtslage für Schwule und Lesben zu verhindern. Für gewisses Aufsehen sorgte die Verhinderung bzw. Störung schwul-lesbischer Demonstrationen, Prides und Petitionsübergaben in Warschau, Riga und in Moskau durch die Polizei in den Jahren 2005, 2006 und 2007, wobei auch der parlamentarische Geschäftsführer und Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Volker Beck kurzfristig verhaftet wurde. Unabhängig von der Diskriminierung durch benannte gesellschaftliche Gruppen oder fehlenden Schutz durch staatlichen Eingriff, sind Schwule und Lesben auch häufig homophoben Angriffen ausgesetzt, die durch Menschen mit Angst vor der eigenen, latent vorhandenen Homosexualität ausgeübt werden. So zeigen wissenschaftliche Untersuchungen mit nach eigenem Bekunden heterosexuellen Männern, dass jene, die sich homophob äußerten, deutlich stärker auf gleichgeschlechtliche sexuelle Reize reagierten als solche, die sich nicht homophob geäußert hatten. Andere Untersuchungen legen nahe, dass Männer, die bezüglich dessen, was sie für typisch männliche Eigenschaften halten, dahingehend verunsichert werden, dass sie möglicherweise selbst nicht diesem Bild entsprechen, dies durch Page 203
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ausgeprägten Machismus und Aggression gegen Homosexuelle überkompensieren wollen. ? Siehe Hauptartikel Homophobie: Abschnitt Angst vor eigenen lesbischen bzw. schwulen Zügen und Abschnitt Wissenschaftliche Untersuchungen Anerkennung von Partnerschaften ? Hauptartikel: Gesetze zur Homosexualität, Gleichgeschlechtliche Ehe, Eingetragene Partnerschaft Die weitgehende rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen mit Heterosexuellen wird in der Lesben- und Schwulenbewegung überwiegend begrüßt, auch wenn es immer noch umstritten ist, ob man sich damit gesellschaftlich und beziehungsdynamisch den klassischen Normen der „bürgerlichen Ehe" annähern möchte, bei denen einige noch meinen, Überbleibsel einer patriarchalen Gesellschaftsordnung zu finden, mit einer strengen Aufteilung von Geschlechtsrollen, die für eine gleichgeschlechtliche Beziehung nicht anwendbar wären. Gesetzliche Regelungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften gibt es bereits in einer Reihe von Ländern. Mehrere Länder haben die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht: Niederlande (2001), Belgien (2003), Spanien (2005), Kanada (2005), Südafrika (2006), Norwegen (2009), Schweden (2009), Portugal (2010), Island (2010), Page 204
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Argentinien (2010), Dänemark (2012), Neuseeland (2013), Uruguay (2013), Brasilien (2013), Frankreich (2013), Vereinigtes Königreich (2014), Irland (2015), Luxemburg, Homosexualität in den Vereinigten Staaten (2015, siehe hierzu Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in den Vereinigten Staaten), Kolumbien (2016) und Finnland (2017). In Deutschland, Österreich und Australien ist die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare in der Diskussion. In vielen weiteren Ländern existieren registrierte Partnerschaften, die teilweise dieselben Rechtswirkungen wie die Ehe haben, teilweise jedoch auch geringere Rechte, wie z. B. die Eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. In Deutschland gibt es seit dem 1. August 2001 das Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft. Nach ihrer Verabschiedung durch den Bundestag meldeten einige Politiker Zweifel daran an; die unionsregierten Länder Bayern, Sachsen und Thüringen bemühten sich sogar um eine völlige Aufhebung des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses stellte jedoch klar, dass einer vollständigen Gleichstellung mit der Ehe nichts im Wege stünde, da die Lebenspartnerschaft mit der Ehe schon allein deshalb nicht konkurriere, weil sie einen anderen Personenkreis betreffe. Die Lebenspartnerschaft entspricht – was das Bürgerliche Gesetzbuch Page 205
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt betrifft – weitestgehend der Ehe. Lediglich die gemeinschaftliche Adoption von nichtleiblichen Kindern ist nicht möglich. Lebenspartner können aber das leibliche Kind ihres Partners adoptieren (sogenannte Stiefkindadoption). Auf diese Weise können zwei Frauen oder zwei Männer rechtlich gemeinschaftliche Eltern von Kindern werden. Ebenso erlaubt wurde im Februar 2013 durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes die sukzessive Zweitadoption eines adoptierten Kindes. Auch in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung (unter anderem Witwenrente) sind Lebenspartner mit Ehegatten gleichgestellt. Sie leben – wie Ehegatten – im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, wenn sie nichts anderes vereinbaren. Gleichbehandlung erfolgt nach der Trennung auch beim Unterhaltsrecht. Es gelten Befangenheitsvorschriften und Zeugnisverweigerungsrechte wie bei Eheleuten auch. Zudem ist ein Verlöbnis für Lebenspartner entsprechend dem Verlöbnis für Ehegatten rechtswirksam. Im Bundesbeamtenrecht werden Lebenspartner rückwirkend ab 2001 (Familienzuschlag, Hinterbliebenenpension usw.) gleichbehandelt. Hier erfolgte die Gleichstellung gegen den Widerstand der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und der unionsregierten Länder im Bundesrat durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das parlamentarisch gesetzlich danach umgesetzt wurde. Die Zuständigkeit für das Beamtenrecht ist inzwischen durch die Föderalismusreform auf den Bund für seine Beamten Page 206
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und auf die Bundesländer für die Landesbeamten übergegangen. Als erstes Bundesland hat Bremen seine verpartnerten Beamten und Richter mit seinen verheirateten Beamten und Richtern gleichgestellt; danach folgten Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Hessen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Bayern. Im Zuge der Erbschaftsteuerreform wurden im Januar 2011 die eingetragenen Lebenspartnerschaften der Ehe gleichgestellt. Im Einkommenssteuerrecht (Einkommensteuer) werden seit 2013 Lebenspartner gleichbehandelt. Eine Angleichung bei der Einkommensteuer, im Rahmen des Ehegattensplittings erfolgte im Sommer 2013, nachdem zuvor ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zugunsten homosexueller, verpartnerter Paare erging. Radikalere Teile der Lesben- und Schwulenbewegung lehnen die Lebenspartnerschaft – als Ehe light verpönt – und die damit verbundene notwendige Sondergesetzgebung für Homosexuelle ab. Stattdessen fordern sie die Abschaffung der Ehe und plädieren für sogenannte „Wahlverwandtschaften" auf Zeit. In der Schweiz wurde zuerst im Kanton Genf am 1. Mai 2001 eine PACS eingeführt, welche die Eintragung von homosexuellen wie auch Page 207
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt heterosexuellen Partnerschaften ermöglichte. Am 22. September 2002 wurde im Kanton Zürich eine eingetragene Partnerschaft vom Stimmvolk mit 62,7 % Ja-Anteil genehmigt. Diese Regelung ging um einiges weiter als die Genfer Lösung und stellte eingetragene Lebenspartnerschaften Ehepaaren gleich, soweit dies in der Kompetenz des Kantons lag. Mit Beschluss des Kantonsparlaments vom 27. Januar 2004 führte auch der Kanton Neuenburg die registrierte Partnerschaft für unverheiratete Paare ein. Am 5. Juni 2005 stimmte das gesamte Schweizer Stimmvolk über das Partnerschaftsgesetz (PartG) zur eingetragenen Partnerschaft ab. Es war das erste nationale Referendum über diese Frage weltweit. 58 % der teilnehmenden Stimmberechtigten stimmten dem Gesetz zu. Ziemlich homogene Mehrheiten gab es vor allem im Mittelland vom Kanton St. Gallen bis zum Kanton Genf; nicht nur Städte stimmten zu, sondern auch ländlichere Gebiete. Ablehnend verhielten sich vor allem ländlich-bäuerliche, katholische Kantone. Das Gesetz angenommen haben insgesamt 16,5 von 23 Kantonen. Die eingetragene Partnerschaft in der Schweiz schafft eine Gleichstellung mit der Ehe in Steuerfragen, Sozialleistungen, Erbrecht, Besuchsrecht, Zeugnisverweigerungsrecht etc. Es unterbindet aber ausdrücklich den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin und die Adoption. Die eingetragene Partnerschaft in der Schweiz hat Auswirkungen auf den Page 208
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zivilstand. Der Zivilstand ist nicht mehr „ledig", sondern „in eingetragener Partnerschaft". Das Gesetz trat am 1. Januar 2007 in Kraft. In Österreich trat – nachdem im Herbst 2007 eine Perspektivengruppe der Koalitionspartei ÖVP und ein Teil des Parteivorstandes entschieden hatten, dass es ein Rechtsinstitut geben soll – am 1. Januar 2010 das Eingetragene Partnerschaft-Gesetz in Kraft. Nach einem Meinungsaustausch mit dem Juristen Helmut Graupner waren viele sogar für eine Öffnung der Ehe, was auch einer der Vorschläge an den Parteivorstand war. Laut Bundesparteiobmann und Vizekanzler Wilhelm Molterer diente die Schweiz als Vorbild. Ein Gegenpol zu den Bestrebungen zur Gleichstellung homosexueller Beziehungen mit der Ehe findet sich in den Vertretern der Lebensformenpolitik. Das Aufwachsen von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und die sich damit stellenden rechtlichen Fragen werden neuerdings unter dem Begriff „Regenbogenfamilie" diskutiert. Die Kinder stammen meist aus früheren Beziehungen, andere sind Pflege- oder Adoptionskinder, wurden durch künstliche Befruchtung oder heterologe (Heim)-Insemination mit Samen von persönlich bekannten oder anonymen Spendern gezeugt oder zwei Paare arrangieren eine Co-Elternschaft, Leihmütter kommen schon durch die Page 209
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt rechtlichen Gegebenheiten eher selten zum Einsatz. Arbeitsrecht Mit der Verabschiedung der europäischen Richtlinien zur Antidiskriminierung im Arbeitsrecht sind Kündigungen und sonstige diskriminierende Maßnahmen aufgrund Bekanntwerdens der homosexuellen Identität von Mitarbeitern in der Privatwirtschaft sowie von Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst in den Mitgliedstaaten der EU unzulässig. Ausnahmen bestehen für weltanschauliche Organisationen und Vereinigungen. Diese können „von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten".³¹ Diese Regelungen haben mit § 8 Abs. 1 und § 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Eingang in deutsches Recht gefunden.³² Entsprechend finden im deutschen Arbeitrecht auch die ethischen Positionen der Kirchen und anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Anwendung. Für Homosexuelle bedeutet dies, dass sie von Organisationen oder Vereinen, bei denen die Ablehnung von Homosexualität oder homosexuellen Handlungen zum Ethos gehört, entlassen werden können. In der römisch-katholischen Kirche wird gelebte Homosexualität als nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar angesehen.³³ Angestellte der katholischen Kirche, welche sich offen zu ihrer Page 210
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Homosexualität bekennen, werden daher in der Regel entlassen. Ein solcher Widerspruch wird auch gesehen, wenn eine Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingegangen wird. Vergleichbar zu geschiedenen Kollegen, die erneut heiraten, erfolgt daher meist die Entlassung wegen Verletzung der Loyalitätspflichten als Arbeitnehmer. So wurde im Jahr 2010 beispielsweise einer weiblichen Reinigungskraft eines katholischen Kindergartens des Bistums Essen gekündigt, weil sie eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer Frau eingegangen war.³4 In einzelnen kirchennahen katholischen Organisationen kann auch bereits ein Chatprofil bei einem Internetportal für Homosexuelle zu einer fristlosen Entlassung führen, wenn es der Organisationsleitung bekannt wird³5 (siehe Kirchen als Tendenzbetrieb). Eine solche Kündigung hatte aber vor dem Arbeitsgericht Frankfurt keinen Bestand.³6 2005 hat der Heilige Stuhl ferner eine Instruktion veröffentlicht, in der Personen mit „tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen" und „Unterstützer einer homosexuellen Kultur", als nicht geeignete Kandidaten für Weihämter, wie Priester oder Diakon, angesehen werden. Personen mit weniger „tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen [die] Ausdruck eines vorübergehenden Problems wie etwa einer nicht abgeschlossenen Adoleszenz" wären, sollten „mindestens drei Jahre vor der Diakonenweihe" ausgeschlossen sein.³7 Im Mai Page 211
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 2015 hob die Deutsche Bischofskonferenz die "Erklärung zur Unvereinbarkeit von Lebenspartnern nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz" vom 24. Juni 2002 auf. Demgegenüber sind Beschäftigte, auch Pastoren, in den evangelischen Landeskirchen der EKD von einer arbeitsrechtlichen Kündigung oder Disziplinarmaßnahme nicht bedroht, wenn sie mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin eine standesamtliche Lebenspartnerschaft eingehen oder ihre homosexuelle Identität in sonstiger Weise bekannt wird.³8 In einigen Landeskirchen der EKD sind sie sogar besoldungsrechtlich zur Ehe gleichgestellt, was auch in der altkatholischen Kirche der Fall ist. Siehe auch: Homosexualität und Christentum und Homosexualität und katholische Kirche Gleichstellung im Militär Insgesamt hat die Bundeswehr – nicht zuletzt durch den zunehmenden Anteil von Soldatinnen – ihr Bewusstsein für Sexualität weiterentwickeln müssen. Dies begann erst spät Ende 2000 durch die Änderung der „Führungshilfe für Vorgesetzte", Bd. 2, A.III.7. Allerdings wird hier schon verlangt, dass militärische Vorgesetzte im Blick auf sexuelle Minderheiten („Toleranz gegenüber anderen nicht strafbewehrten sexuellen Orientierungen"³? also einschließlich transsexueller Soldaten/innen) aktiv „jeder Diskriminierung Page 212
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt energisch entgegentreten"4° müssen. Auch mit dem im Rechtsrang höher stehenden Sexualerlass „Umgang mit Sexualität in der Bundeswehr" zur Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 14/3, Anlage B 173 ist eine Diskriminierung verboten worden. Mit der letzten Änderung im Juli 2004 ist nach jahrzehntelanger Ächtung homosexueller Vorgesetzter, die unter Billigung höchstrichterlicher Rechtsprechung mit Versetzungen und sogar Entlassungen rechnen mussten – wie etwa bei der Kießling-Affäre – ein liberalerer Umgang mit der Sexualität gewählt worden: „Die Intimsphäre von Soldatinnen und Soldaten ist als Teil ihres Persönlichkeitsrechts einer Einflussnahme durch den Dienstherrn grundsätzlich entzogen."4¹ „Daher sind außerdienstlich sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Partnerschaften und Betätigungen unter Soldatinnen und Soldaten disziplinarrechtlich regelmäßig ohne Belang."4² Eine weitere Änderung trat mit dem Soldatinnenund Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz im Jahr 2006 in Kraft, durch das „Benachteiligungen aus Gründen […] der sexuellen Identität"4³ verboten sind, aber zusätzlich von diesem Maßstab der Nichtdiskriminierung auch der berufliche Erfolg abhängt, nämlich bei „Begründung, Ausgestaltung und Beendigung eines Dienstverhältnisses und […] beruflichen Aufstieg".44 Die Einfügung der sexuellen Identität in dieses Gesetz wurde in der Großen Page 213
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Koalition kontrovers diskutiert: CDU/CSU lehnte es zunächst ab, gab dann aber im Rahmen eines Kompromisspakets dem Wunsch der SPD nach. Künftig sind grundsätzlich alle Beziehungsformen in den Privatbereich verwiesen. Homosexuelle Beziehungen können außer Dienst auch innerhalb militärischer Anlagen gepflegt werden, auch spielt der Dienstgrad der Beziehungspartner keine Rolle mehr. Soldatinnen und Soldaten in eingetragener Lebenspartnerschaft haben eine eigene Personenstandsbezeichnung (ELP) und sind berechtigt, Trennungsgeld zu erhalten. Einer der Vertreter der Belange homosexueller Menschen in der Bundeswehr ist der Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr.45 Geschichte ? Hauptartikel: der Schweiz ? Hauptartikel: Berlin ? Hauptartikel: den Vereinigten
Geschichte der Homosexualität in Geschichte der Homosexualität in Geschichte der Homosexualität in Staaten
Historische Anthropologie Eine jüngere Generation von lesbisch-schwulen Soziologen, Philosophen und Historikern wie Mary McIntosh (The Homosexual Role, 1968), Michel Foucault (La Volonté de savoir, 1976), Alan Bray (Homosexuality in Renaissance Page 214
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt England, 1982) oder gegenwärtig insbesondere David Halperin (How to do the History of Homosexuality, 2002) betrachtet Homosexualität nicht mehr als eine überzeitliche Essenz, sondern als eine Erfindung der europäischen Neuzeit. Damit ist nicht gemeint, dass Frauen und Männer an anderen Orten und zu anderen Zeiten keinen gleichgeschlechtlichen Sex gehabt hätten. Vielmehr beziehen die genannten Autoren die Position, dass unsere heutige Auffassung von Homosexualität als „Seinsweise", die eine Minderheit von einer Mehrheit unterscheidet, eine verhältnismäßig junge Konstruktion sei. Sodomitisches Laster Das theologische Modell der Sodomie, das dem modernen Begriff der Homosexualität vorausging, steht zu diesem in einem deutlichen Gegensatz. Sodomie – als „widernatürlicher" (Platon) Verkehr zwischen Männern, aber auch zwischen einem Mann und einer Frau – wurde als ein allgemeinmenschliches Laster angesehen und nicht einer bestimmten Kategorie von Personen zugeordnet. Foucault spitzte diesen Unterschied zu, indem er in einer berühmt gewordenen Sentenz behauptete: „Der Sodomit war ein Gestrauchelter, der Homosexuelle ist eine Spezies." (siehe auch Sodomiterverfolgung). Neben dem Diskurs der Sodomie, der sich im Mittelalter vor allem auf den Akt des Analverkehrs bezog, gab es jedoch auch Begriffe, die eine positive Page 215
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sichtweise ausdrückten, wie etwa den der Freundschaft. Freundschaft als Lebensweise „Freundschaft" konnte fast zu allen Zeiten auch eine romantische Beziehung zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts bezeichnen. Küssen, Umarmen und Händchenhalten, das gemeinsame Schlafen in einem Bett (daher der altertümliche Begriff des „Bettgenossen") ebenso wie leidenschaftliche Liebesbekundungen und Treueschwüre wurden unter Männern bis weit in die frühe Neuzeit und oft sogar noch am Beginn des 20. Jahrhunderts als völlig normal wahrgenommen. Unter Frauen ist das – seit Ende des 19. Jahrhunderts allerdings mit immer größeren Einschränkungen – teilweise auch heute noch der Fall. Die Semantiken (Bedeutungsinhalte) von Freundschaft und Liebe waren deshalb kaum voneinander zu unterscheiden. Das griechische Wort philos (f????) etwa kann sowohl ‚Freund' als auch ‚Geliebter' bedeuten. Im Christentum wurden solche Beziehungen nur selten mit der „monströsen" Figur des Sodomiten in Verbindung gebracht, und wenn, dann meist im Rahmen einer politischen Intrige (wie im Fall von Eduard II. oder dem mittelalterlichen Templerorden). Geschworene Brüder Die christliche Mystik lud, beeinflusst vom islamischen Sufismus, die Liebe zwischen Freunden sogar mit einer religiösen Page 216
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bedeutung auf. Ebenso adaptierte das Christentum den sowohl im Gilgamesch-Epos wie in der jüdischen Bibel, aber auch im Satyricon für eine Liebesbeziehung zwischen zwei Männern verwendeten Begriff des „Bruders" (Schwurbruderschaft). Zu deren Vereinigung hatte die orthodoxe Kirche den Ritus des „Brüdermachens" (Adelphopoiesis) ausgearbeitet, der den beiden Freunden für ihre Liebe, die bis in den Tod anhalten sollte, zahlreiche Heiligenpaare als Vorbilder nannte. Dies schloss die parallele Eheschließung mit einer Frau jedoch nicht aus. Im lateinischen Westen, wo bis weit in die Neuzeit weder Eheleute noch geschworene Brüder (fratres iurati) der Segnung eines Priesters bedurften, sind zumindest eine Reihe von Grabmälern erhalten, in denen Männer- und später auch Frauenpaare miteinander bestattet wurden. Die Gravuren enthalten oft Symbole unsterblicher Liebe wie beispielsweise die Darstellung eines Kusses oder die Inschrift „Im Leben vereint, im Tode nicht getrennt".46 Dass Schwurbruderschaften als von der Kirche akzeptierte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften (d. h. inkl. genitaler Handlungen) in der Form der Adelphopoiesis legitimiert wurden, ist jedoch nicht haltbar. Der ursprüngliche Zweck der Adelphopoiesis war, eine geistige Verwandtschaft (wie bei einer Taufpatenschaft) herzustellen.47 Die Schwurbruderschaft muss aber tatsächlich auch von gleichgeschlechtlich Liebenden in Anspruch genommen worden sein, denn aus diesem Grund wurde Page 217
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt dieser Ritus vom oströmischen Recht und von der orthodoxen Kirche später wieder abgeschafft, bzw. verboten.48 „Erfindung" des Homosexuellen Von der Institution der geschworenen Bruderschaft (siehe oben) ist heute nur noch der Begriff des warmen Bruders als Synonym für einen „Schwulen" übrig geblieben. In diesem Begriffswandel offenbart sich der geschichtliche Bruch, der durch das moderne Konzept der Homosexualität verursacht wurde: Gesten der Zuneigung, die früher einfach als Zeichen einer Freundschaft verstanden worden wären, identifiziert man heute als „homosexuell" und stellt sie damit als Abweichung von der gesellschaftlichen Norm unter Verdacht. Die Konsequenz ist ein vor allem unter männlichen Jugendlichen belegbarer drastischer Rückgang gleichgeschlechtlicher Sexualerfahrungen von 18 auf zwei Prozent allein zwischen 1970 und 1990. Diese Entwicklung geht mit wachsender Homophobie einher, weil viele junge Menschen aus Angst, womöglich als „Schwuler" beziehungsweise als „Lesbe" zu gelten, sich von allem Homosexuellen demonstrativ (und teilweise sogar gewaltsam) abgrenzen. Unter jungen Männern ist diese Tendenz zur Abgrenzung im Allgemeinen nochmals deutlich stärker ausgeprägt als unter jungen Frauen. Es ist diese tätige Abwehr, durch die sich das stigmatisierende Etikett der Homosexualität wie von selbst reproduziert. Globalisierung einer Denkform Page 218
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die binäre Kategorisierung von Personen als hetero und homo beziehungsweise „normal" und „andersartig" ist mittlerweile fast weltweit zu einer scheinbar unumstößlichen Realität geworden. Dieser Prozess, der sich in manchen Metropolen Europas wie London, Paris und Amsterdam bereits um 1700 ereignet hat, erreichte Regionen wie China dagegen erst Anfang beziehungsweise Mitte des 20. Jahrhunderts. Einige postkoloniale Autoren wie der Hongkonger Soziologieprofessor Zhou Huashan kritisieren die Homophobie in ihren Ländern daher als eine Folge des europäischen Imperialismus.4? Durch die strikte Geschlechtertrennung im Sport ist die Ausbreitung der binären Kategorisierung mit der Entwicklung des Sports verbunden.5° Strafrechtliche Verfolgung Bis zum Hochmittelalter galt der Analverkehr im christlichen Bereich als Sünde, aber noch nicht als Verbrechen; folglich drohte höchstens eine Kirchenbuße und ein zeitweiliger Ausschluss von der Eucharistie, aber noch keine weltlichen Maßnahmen. Vom 13. Jahrhundert bis zur Aufklärung wurde Analverkehr zwischen Männern dann in fast ganz Europa unter der Bezeichnung „Sodomie" durch weltliche Gesetze mit dem Scheiterhaufen bedroht, hier wird noch von der Sodomiterverfolgung gesprochen. Zu größeren Verfolgungen und jeweils Hunderten von Hinrichtungen kam es während des Spätmittelalters in Page 219
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Norditalien und Spanien sowie während des gesamten 18. Jahrhunderts auch in England, Frankreich und den Niederlanden. Die Ideen der Französischen Revolution führten in zahlreichen Staaten, die sich am französischen Code pénal orientierten, um 1800 herum zur Abschaffung aller Gesetze gegen die „widernatürliche Unzucht" (so etwa in den Niederlanden, im Rheinland und in Bayern). Preußen wandelte 1794 mit der Einführung des Allgemeinen Landrechts die Todesstrafe in eine Zuchthausstrafe um. 1871 wurde der preußische Paragraph in das Reichsstrafgesetzbuch des Deutschen Reichs aufgenommen und als § 175 in der folgenden Zeit immer häufiger angewandt. Wandel von der Straftat zur „psychischen Krankheit" Großen Einfluss hatte zu dieser Zeit der deutsch-österreichische Psychiater und Rechtsmediziner Richard von Krafft-Ebing (siehe hier). Seine durch Kriminalfälle und in der Psychiatrie gewonnenen Forschungen stellten Homosexuelle als erblich belastete Perverse dar, die für ihre angeborene „Umkehrung" des Sexualtriebes nicht verantwortlich seien und deshalb nicht in die Hände eines Strafrichters, sondern in die von Nervenärzten gehörten. Diesen erschloss er damit ein neues „Patientengut" für Zwangsbehandlung und Forschungsexperimente. In seinem Buch Psychopathia Sexualis (1886, das Buch wurde zu einem Page 220
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Standardwerk) definierte er die Homosexualität als angeborene neuropsychopathische Störung, also als eine erbliche Nervenkrankheit.5² Diese Diagnose erlaubte es ihm, sich für eine vollständige Straffreiheit der Homosexualität auszusprechen, da Homosexuelle für ihre „Missbildung" nicht selbst verantwortlich seien und die Homosexualität nicht ansteckend sei. Allerdings wurde Homosexualität dadurch erst pathologisiert und homosexuelle Menschen für unzurechnungsfähig erklärt. Obwohl Krafft-Ebing zu seiner Zeit als maßgebliche Instanz auf dem Gebiet der Gerichtsmedizin galt, blieb diese Theorie für die Straflosigkeit folgenlos, da vor allem kirchlich-konservative Kreise auf die moralische Ächtung der Homosexuellen nicht verzichten wollten. Bis zur Reform des § 175 im Jahr 1969 arbeitete die Polizei dabei mit Spitzeln in der schwulen Subkultur und geheimen Rosa Listen, auf denen zahlreiche Namen von homosexuellen Männern verzeichnet waren. Da Homosexualität verfolgt und bis in die 1970er Jahre als psychische Erkrankung diagnostiziert wurde, konnten Homosexuelle auch auf unbestimmte Zeit freiheitsentziehend in einer forensischen Psychiatrie untergebracht werden. Ein Beispiel ist die „Behandlung" des britischen Mathematikers und Computerpioniers Alan Turing im Jahr 1952, der wenig später starb, wahrscheinlich durch Suizid. Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus Page 221
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Schätzungen hinsichtlich der Zahl der schwulen Männer, die während der Zeit des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern ihr Leben lassen mussten, variieren erheblich. Die wohl verlässlichsten Zahlen stammen bis heute von Rüdiger Lautmann. Er schätzte die Zahl der in Konzentrationslager verschleppten homosexuellen Männer auf 10.000 bis 15.000.5³ Von ihnen kamen etwa 53 % ums Leben. Der Grund für z. T. erheblich darüber hinausgehende Schätzungen liegt u. a. darin, dass nicht ermittelt werden kann, wie viele aus anderen Gründen ermordete Menschen homosexuell waren. Einige Männer wurden trotz ihrer, dem NS-Regime bekannten Homosexualität geduldet. Zu nennen sind etwa Reichswirtschaftsminister Walther Funk, der 1946 wegen seiner Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, und der schwule Bildhauer Arno Breker, der von Adolf Hitler und Joseph Goebbels auf die Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Künstler aus NS-Sicht gesetzt wurde und dort sogar auf die Sonderliste der „unersetzlichen Künstler" kam. John C. Fout zeigte für Hamburg, dass 90 Prozent der Homosexuellen, die in Konzentrationslager oder Heilanstalten kamen, Arbeiter waren; nur die übrigen 10 Prozent waren der bürgerlichen Gesellschaftsschicht zuzuordnen.54 55 56 Obwohl es in Deutschland, im Gegensatz zu Österreich, kein Gesetz gegen die lesbische Liebe gab, verhaftete die Gestapo auch Page 222
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt dort eine unbekannte Zahl von Frauen wegen ihrer Homosexualität oder unter anderem Vorwand. Rechtslage in der Nachkriegszeit In der Bundesrepublik Deutschland bestand der § 175 bis 1969 in der von den Nationalsozialisten verschärften Fassung weiter, was vom Bundesverfassungsgericht 1957 als rechtmäßig anerkannt wurde. Erst 1994 fiel er im Zuge der Rechtsangleichung mit der DDR weg. Während jener Zeit verurteilte Schwule wurden in Deutschland am 17. Mai 2002 durch den Bundestag symbolisch rehabilitiert. In der Deutschen Demokratischen Republik wurden einvernehmliche, homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen schon seit Ende der 1950er Jahre nicht mehr rechtlich verfolgt. In Österreich existierte der § 209 ÖStGB mit ähnlichem Wortlaut wie der § 175 StGB in Deutschland bis ins Jahr 2002, als er vom österreichischen Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde,57 und trat am 14. August 2002 außer Kraft.58 Dennoch wurde Österreich im Anschluss mehrfach vom EGMR, der ebenfalls ausdrücklich die Menschenrechtswidrigkeit des § 209 feststellte, verurteilt,5? da man es unterlassen hatte, menschenrechtswidrig Verurteilte zu rehabilitieren. Homosexuelle Emanzipation ? Hauptartikel: Lesben- und Schwulenbewegung Page 223
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Erste Forderungen nach der urnischen Ehe wurden von Karl Heinrich Ulrichs 1867 auf dem deutschen Juristentag in München vor 500 Mitgliedern erhoben. Auch wenn sein Vortrag mit Spott und Ablehnung aufgenommen wurde, beginnt an diesem Tag die Geschichte der Homosexuellen-Emanzipation. Der Beginn der organisierten homosexuellen Emanzipationsbewegung wird im Allgemeinen mit der Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) durch den Berliner Arzt Magnus Hirschfeld im Jahr 1897 angesetzt. Es handelte sich dabei jedoch um eine Honoratiorenvereinigung, die nur ca. 500 Mitglieder umfasste und nach außen hin nicht als homosexuelle Bewegung in Erscheinung trat. Stattdessen warb sie ausschließlich mit wissenschaftlichen Argumenten für eine Streichung des § 175. Zahlenmäßig weit bedeutsamer waren die nach 1919 gegründeten Freundschaftsbünde. Ihr Schwerpunkt lag in der Planung von Geselligkeitsveranstaltungen, umfasste jedoch auch politische und publizistische Aktivitäten sowie die Gewährleistung von Rechtsschutz für jene Mitglieder, die vom § 175 betroffen waren. Als Dachgruppen konkurrierten der im August 1920 gegründete Deutsche Freundschafts-Verband (DFB) und der im Mai 1922 entstandene Bund für Menschenrechte (BfM). Letzterer erwies sich in seiner Größenentwicklung als das bei weitem erfolgreichere Modell. Bereits 1924 zählte er Page 224
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt über 12.000 Mitglieder; 1929, gegen Ende der Weimarer Republik, waren es sogar mehr als 48.000. Ausländische angegliederte Gruppen soll es laut Angaben des Vereins in der Schweiz, in Österreich, in der Tschechoslowakei, in New York City, Argentinien und Brasilien gegeben haben. Allerdings ist über die meisten dieser Gruppen kaum etwas bekannt. Eine Ausnahme bildet eine Schweizer Gruppe um Karl Meier mit ihrer Zeitschrift Der Kreis, die als einzige in Europa nicht durch die Nationalsozialisten zerschlagen werden konnte. Dadurch wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg Vorbild für viele neu entstehende Gruppen. Ein neuer Schwerpunkt der Homosexuellenbewegung bildete sich in den Vereinigten Staaten. Im Frühjahr 1951 gründete Harry Hay, Mitglied der CPUSA, zusammen mit Bob Hull, Chuck Rowland, Dale Jennings und Rudi Gernreich die Mattachine Society. 1955 entstand unter Führung von Del Martin und Phyllis Lyon die Lesbenorganisation Daughters of Bilitis. Beide Gruppen bezeichneten sich als homophil, um sich der Reduzierung von Homosexualität auf den Akt des Beischlafs zu entziehen. Unter dem Druck der McCarthy-Ära entpolitisierten sich diese Organisationen und wurden zu Debattierclubs, die in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung traten. Erst Mitte der 1960er Jahre fand mit Dick Leitsch (New York) und Frank Kameny (Washington) eine Neuorientierung an den Protestformen der schwarzen Page 225
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bürgerrechtsbewegung statt. Am 28. Juni 1969 kam es anlässlich einer Polizeirazzia in der New Yorker Schwulenbar Stonewall zu einem Aufstand in der Christopher Street, der drei Tage andauerte. Dieses Ereignis führte zu einer Radikalisierung zahlreicher Lesben und Schwuler. In Anlehnung an linke Bewegungen der damaligen Zeit gründeten sich gemischte Gruppen wie die Gay Liberation Front und die Gay Activists Alliance. Am 1. Mai 1970 machte schließlich die Gruppe Radicalesbians auf sich aufmerksam, indem sie in New York den Zweiten Jahreskongress zur Vereinigung der Frauen mit einem geplanten Happening unterbrach. Das dort verteilte Manifest der frauenidentifizierten Frau begründete das sich für die Frauenbewegung als einflussreich erweisende Konzept des politischen Lesbianismus: Lesbischsein wurde nicht als eine sexuelle Orientierung, sondern als die einzig mögliche Strategie des Widerstands gegen patriarchale Bevormundung und Unterdrückung aufgefasst. Diese politischen Strategien und Konzepte wurden in den 1970er Jahren ausnahmslos nach Europa getragen. In der Bundesrepublik Deutschland gründeten sich nach der Liberalisierung des § 175 im Jahre 1969 und nach der Fernsehausstrahlung des Filmes Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt die Page 226
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ersten Schwulengruppen. Die offene und provozierende filmische Darstellung von Schwulen durch den Regisseur Rosa von Praunheim, der sich hierzu eines politischen Textes des Soziologen und Sexualforschers Martin Dannecker bediente, stieß in der Öffentlichkeit, aber auch bei konservativen und angepassten Homosexuellen auf Ablehnung. Ähnlich wie in den USA trennten sich Lesben in der Bundesrepublik schon sehr früh von den männlich dominierten Schwulengruppen und engagierten sich stattdessen in der Frauenbewegung, wo gleichgeschlechtliche Liebe oft nicht nur anerkannt, sondern sogar präferiert wurde. In den 1980er und 1990er Jahren kam es zu einer breiten Ausfächerung, aber auch zu einer fortschreitenden Entpolitisierung der homosexuellen Emanzipationsbewegung. Gleichzeitig fand eine Wiederannäherung von Lesben und Schwulen statt. Seit etwa Mitte der 1980er Jahre veranstalten sie gemeinsam in fast sämtlichen europäischen und amerikanischen Metropolen alljährliche Demonstrationen zur Erinnerung an den Stonewall-Aufstand. In den 1990er Jahren wurden daraus gewaltige Umzüge, die unter der Bezeichnung Christopher Street Day bzw. Gay Pride Parade in den Tagen zwischen Juni und Juli weltweit mehrere Millionen Menschen auf die Straße ziehen. Jedoch verbinden die Teilnehmer mit ihrer Anwesenheit nur noch selten eine konkrete politische Aussage. Entsprechende Gegenentwürfe zur Repolitisierung des CSD in Deutschland sind der Page 227
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Transgeniale CSD in Berlin-Kreuzberg und die Queerrr Street Days in Hamburg. Eine neue Erscheinung bildet der Wunsch nach territorialer Abgrenzung von der Hetero-Welt, der häufig als Gay Nationalism bezeichnet wird. So wurde von einer Gruppe australischer Aktivisten am 14. Juni 2004 eine winzige Koralleninsel namens Cato besetzt und das Gay & Lesbian Kingdom of the Coral Sea Islands ausgerufen. Der neue Staat stellte sich ziemlich rasch als eine Mikronation unter vielen heraus, denn weder der Imperator Dale Parker Anderson noch sonst jemand war bereit, sich auf Cato niederzulassen. Die Unstimmigkeiten innerhalb der Führungsriege führten zur Zersplitterung der Bewegung in mehrere Gruppen. AIDS ? Hauptartikel: AIDS Zur Emanzipation der Schwulen trug – neben der Öffentlichkeitsarbeit – auch die HIV-Pandemie zu Beginn der 1980er Jahre in erheblichem Maße bei. Dies klingt zunächst widersprüchlich, da sich AIDS in den westlichen Ländern, vermutlich aufgrund der höheren Promiskuität und der hohen Ansteckungsgefahr insbesondere bei Analverkehr, zunächst stark in schwulen Kreisen verbreitete. Durch die von den AIDS-Hilfen und der deutschen Bundesregierung angestoßenen Aufklärungskampagnen rückte das Page 228
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Tabuthema Homosexualität aber stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Dadurch wurde nicht nur Aufklärung über das HI-Virus und das dadurch ausgelöste Krankheitsbild AIDS erreicht, sondern auch für sicherere Sexualpraktiken (Safer Sex) als Vorsichtsmaßnahme geworben. Dabei konnten viele Fehlmeinungen und Vorurteile im gesellschaftlichen Bewusstsein über Schwule und Lesben korrigiert werden. Es lässt sich eine stetig steigende Toleranz in der Bevölkerung gegenüber Homosexualität feststellen. Die moralischen Gesellschaftswerte haben sich verschoben, auch wenn manche Menschen Homosexualität verurteilen oder homosexuelle Menschen abwerten. Viele Menschen bringen schwule Sexualität automatisch mit HIV bzw. AIDS in Verbindung. Schwule sind jedoch nach herrschender medizinischer Ansicht nur dann dieser besonderen Risikogruppe zuzurechnen, wenn sie häufig ungeschützten Analverkehr bzw. Verkehr mit wechselnden Sexualpartnern haben, da die Verletzungs- bzw. Infektionsgefahr bei analer Penetration drastisch höher ist als bei vaginaler Penetration und Promiskuität allgemein dem Risikoverhalten für sexuell übertragbare Krankheiten zuzurechnen ist. Bisher (Stand: 08/2011) ist es deutschen und österreichischen6° Männern, die sexuelle Kontakte mit anderen Männern haben, untersagt, Blut oder Organe zu spenden, da diese generalisiert der Page 229
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „HIV-Risikogruppe" zugeordnet werden, ungeachtet dessen, dass sich jeder gesunde Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, mit dem HI-Virus infizieren kann.6¹ 6² Psychologie Die psychiatrische Pathologisierung der Homosexualität begann Mitte des 19. Jahrhunderts. Homosexualität wurde in der Regel als Symptom einer inneren Verkehrung des Geschlechtsempfindens („konträre Sexualempfindung", „Inversion") aufgefasst. Eine besondere und zugleich ambivalente Rolle spielte dabei – seit ca. 1900 – die Psychoanalyse. Sigmund Freud bezeichnete Homosexualität „als Abweichung der sexuellen Funktionen, hervorgerufen durch eine gewisse Stockung der sexuellen Entwicklung"6³ Als psychischen „Normalfall" sah Freud die Bisexualität an; auch die Heterosexualität beruhe „auf einer Einschränkung der Objektwahl".64 Mehrfach bezog er öffentlich Stellung gegen Kriminalisierung und Pathologisierung der Homosexualität. 1903 betonte er in der Zeitschrift Die Zeit, dass „Homosexuelle nicht als Kranke behandelt werden sollen". 1905 stellte er fest: „Die psychoanalytische Forschung widersetzt sich mit aller Entschiedenheit dem Versuch, die Homosexuellen als eine besonders geartete Gruppe von den anderen abzutrennen."65 1921 widerspricht er Ernest Jones, der einen homosexuellen Arzt nicht zur analytischen Ausbildung Page 230
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt zulassen wollte.66 1930 unterzeichnete er einen Appell an den Nationalrat zur Abschaffung der Strafbarkeit. Und 1935 schrieb er in einem Brief an eine Mutter, dass auch Homosexuelle – durch eine Analyse – zu „Harmonie, Seelenfrieden und volle[r] Leistungsfähigkeit"6³ gelangen können. Seine Ansichten zum Thema resümiert er in dem Aufsatz „Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität" aus dem Jahr 1920. Darin wendet er sich gegen die Vorstellung, „vollentwickelte" Homosexualität - mit dem Ziel der Wiederherstellung der „vollen bisexuellen Funktion" – psychoanalytisch behandeln zu können. Dies sei „nicht viel aussichtsreicher als das umgekehrte" – die Heilung von „vollentwickelter" Heterosexualität –, „nur daß man dies letztere aus gut praktischen Gründen niemals versucht".67 Entsprechende Therapieanstrengungen scheiterten zudem sehr häufig daran, dass homosexuelle Patienten nicht aus Unzufriedenheit mit ihrer Situation, sondern auf äußeren gesellschaftlichen Druck hin eine Therapie begännen: „In der Regel vermag der Homosexuelle sein Lustobjekt nicht aufzugeben; es gelingt nicht, ihn zu überzeugen, daß er die Lust, auf die er hier verzichtet, im Falle der Umwandlung am anderen Objekt wiederfinden würde. Wenn er sich überhaupt in Behandlung begibt, so haben ihn zumeist äußere Motive dazu gedrängt, die sozialen Nachteile und Gefahren seiner Page 231
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Objektwahl, und solche Komponenten des Selbsterhaltungstriebes erweisen sich als zu schwach im Kampfe gegen die Sexualstrebungen. Man kann dann bald seinen geheimen Plan aufdecken, sich durch den eklatanten Mißerfolg dieses Versuches die Beruhigung zu schaffen, daß er das Möglichste gegen seine Sonderartung getan habe und sich ihr nun mit gutem Gewissen überlassen könne." – Sigmund Freud, 192067 Dennoch wurde Homosexualität erst 1973 von der American Psychiatric Association (APA) aus ihrem Krankheitenkatalog (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz: DSM, damalige Auflage DSM-II) gestrichen – nicht zuletzt aufgrund der Forschungsergebnisse von Evelyn Hooker. Zuvor galt Homosexualität als psychische Störung. Allerdings existierte von da an im DSM-II die „sexuelle Orientierungsstörung", später im DSM-III „ich-dystone Homosexualität" genannt, mit der ein Zustand anhaltenden Leidens an der eigenen Homosexualität diagnostiziert werden konnte. Im neuen, aktuellen DSM-IV-TR befindet sich eine Diagnosekategorie „nicht näher bezeichnete sexuelle Störung", die auch ein „andauerndes und ausgeprägtes Leiden an der sexuellen Orientierung" (302.9) beinhaltet. Die Streichung erfolgte 1973 gegen den Widerstand der American Psychoanalytic Association (APsaA), die dadurch erheblich an Renommée und Einfluss verlor, dann nach einem Generationswechsel neue Position Page 232
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bezog und sich 1991 entschuldigte: „Die American Psychoanalytic Association lehnt jede öffentliche oder private Diskriminierung gleichgeschlechtlich orientierter Frauen und Männer ab und bedauert sie. Es ist die Position der American Psychoanalytic Association, dass die mit uns verbundenen Ausbildungsinstitute ihre Kandidaten aufgrund ihres Interesses für die Psychoanalyse aussuchen, wegen ihres Talents, ihrer Vorbildung, ihrer Integrität, ihrer Bereitschaft zu Selbstanalyse und Ausbildung, und nicht aufgrund sexueller Orientierung." – American Psychoanalytic Association, Declaration on Homosexuality, adopted 1991, amended May 1992: Übersetzt von Christian Michelides, Fettdruck aus dem Original übernommen Aus der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen International Classification of Diseases (ICD) wurde die Homosexualität erst mit der 1992 veröffentlichten ICD-10 entfernt. Dafür wurde dort das Störungsbild der ich-dystonen Sexualorientierung (F66.1) im Bereich der Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgenommen. In der ICD-8 wurde Homosexualität bereits 1968 als umstrittenes Krankheitsbild dargestellt. In Psychoanalyse und Psychotherapie gibt es nach wie vor kontroverse Meinungen. Anhänger der Gay Affirmative Psychotherapy, die die Page 233
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt internationale Mehrheitsmeinung vertreten, versuchen, den Umgang mit Homosexualität möglichst in das Menschsein zu integrieren. Im deutschen Sprachraum äußerten sich 2000 zwei Standardwerke klar und deutlich: Im Mertens/Waldvogel konstatierte Udo Rauchfleisch, dass Diskriminierung und Pathologisierung wissenschaftlich nicht vereinbar seien.68 Im Stumm/Pritz verlangte Wolfgang Till von der Psychotherapie „eine nichtpathologisierende, vorurteilsfreie Haltung zur Homosexualität".6? Johannes Cremerius nannte (schon 1992) die Pathologisierung der Homosexualität und die Weigerung, Homosexuelle zur analytischen Ausbildung zuzulassen, als einen der wesentlichen Gründe für die Krise der Psychoanalyse.7° Dazu entgegengesetzt gibt es eine immer kleiner werdende Minderheit von Medizinern bzw. Psychoanalytikern, die Homosexualität im Gegensatz zum DSM-IV und zur ICD-10 als „krankhafte und behandlungsbedürftige Störung" sehen (Charles Socarides7¹ und Joseph Nicolosi).Der Psychotherapeut Douglas Haldeman, der ehemalige Vorsitzende der American Psychological Association, ist der Meinung, Lesben und Schwule hätten zwar ein Recht auf Veränderung ihrer sexuellen Orientierung, sofern sie mit ihren sexuellen Orientierungen unzufrieden seien. Bisher ist jedoch keine funktionierende „Therapie" bekannt, mit der langfristig die sexuelle Orientierung verändert werden konnte. Die sogenannte reparative Therapie Page 234
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bezeichnet Haldeman als „Pseudowissenschaft". Die sexuellen Neigungen als solche bestimmen noch nicht die psychologische Identität eines Menschen, da dazu wesentlich die freie Stellungnahme gehört.7² Im Sommer 2008 erklärte die deutsche Bundesregierung im Bundestag, dass die reparative Therapie in der Fachwelt weitestgehend abgelehnt werde. Die deutsche Bundesregierung vertritt weder die Auffassung, dass Homosexualität einer Therapie bedarf, noch dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist.7³ Auch Haldeman ist der Meinung, die sogenannte „reparative Therapie" passe nicht in die moderne „mental health profession" hinein, und sei „seit Jahren diskreditiert."74 Ursachen der Ausbildung der sexuellen Orientierung Welche Faktoren beim Einzelnen zur Ausbildung einer bestimmten sexuellen Orientierung führen, ist ungeklärt. Grundsätzlich können bei der Entstehung der sexuellen Orientierung zwei Hauptthesen unterschieden werden: - Die sexuelle Orientierung ist schon vor der Geburt festgelegt. - Die sexuelle Orientierung wird erst durch gewisse Identifikationsprozesse in der frühen Kindheit oder auch besondere Abläufe in der Pubertätsphase ausgeprägt. Außerdem werden Theorien vertreten, die eine Kombination dieser beiden Thesen darstellen. Unter biologischen, Page 235
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt evolutionären oder psychologischen Aspekten werden deshalb folgende Themen diskutiert: - Faktoren, die zu Homosexualität beim Menschen führen - Ist Homosexualität durch angeborene Faktoren bedingt oder beeinflussen diese die Ausbildung der Homosexualität? - Ist Homosexualität auch oder teilweise eine Willensentscheidung? Obwohl sich der weit überwiegende Teil der Wissenschaft darin einig ist, dass Homosexualität keine Krankheit oder Paraphilie ist, wird diese immer noch vereinzelt, häufig von religiös orientierten Gruppierungen, als abnorm oder krankhaft eingestuft und eine „Heilung" für sinnvoll und möglich gehalten; „Therapien" werden diskutiert und auch ausprobiert. Zu nennen ist dabei vor allem die hochumstrittene, im Umfeld evangelikaler Christen in den USA entstandene Ex-Gay-Bewegung, die so genannte Konversionstherapien zur „Umpolung" von Homosexuellen zu Heterosexuellen propagiert und anbietet. Diese Therapien werden von der medizinischen, psychologischen und psychiatrischen Fachwelt praktisch einhellig abgelehnt und als potenziell schädlich für die Betroffenen angesehen (siehe auch unten bei Beratungsstellen).75 76 Im US-Bundesstaat Kalifornien sind solche Therapien bei Minderjährigen seit September 2012 wegen ihres Schadpotenzials gesetzlich verboten.77 78 Der wissenschaftliche Streit über die Ursachen Page 236
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt homosexuellen Verhaltens ist sehr alt. Solange jedes homosexuelle Verhalten strafbar war, waren die Argumentationen in diesem Streit oft von dem Bestreben geleitet, entweder die „Unausweichlichkeit" homosexuellen Verhaltens zu belegen und damit die Forderung nach dessen Straflosigkeit zu begründen oder aber es als freie Entscheidung für „moralischen Verfall" zu kennzeichnen, dem mit Bestrafung entgegengewirkt werden müsse. Auch heutige Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die von einer angeborenen sexuellen Orientierung ausgehen, eine tolerantere Haltung gegenüber Homosexuellen haben als jene, die es als persönliche Entscheidung sehen.7? Teile der Lesben- und Schwulenbewegung distanzieren sich von Ursachenforschung. Die Erfahrung der letzten 150 Jahre zeigt, dass Wissenschaftler, Mediziner, Psychologen und andere sich für die Ursachen der Entwicklung sexueller Orientierungen, primär der homosexuellen Orientierung, interessiert haben. Als Teil dieser Studien haben viele versucht, Homosexuelle zu erkennen und sie zu „heilen", wobei das behauptete Ergebnis nicht zwingend Heterosexualität sein musste. Viele homosexuelle Menschen befürchten deshalb, dass Ursachenforschung letztlich gegen sie eingesetzt werden soll, um Homosexualität als unnatürlich, abnormal oder krankhaft, beziehungsweise als Symptom einer Krankheit anzusehen. Vor allem bei Menschen bzw. Gruppierungen, die Homosexualität Page 237
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt aus ideologischen, religiösen oder aus oft nur diffus definierbarer, persönlicher Abneigung nicht tolerieren wollen, können solche Forschungen den Drang wecken, diese einzusetzen, um Homosexualität zu beseitigen oder zumindest Homosexuelle zu erkennen und zu isolieren. Solche Befürchtungen stützen sich u. a. auf Erfahrungen, die homosexuelle Männer im Dritten Reich machen mussten, in welchem man Homosexuelle mittels psychologischer Experimente erkennen und mit grausamen medizinischen Menschenversuchen „zu heilen" beabsichtigte. Selbst Menschen, denen Schwule und Lesben sympathisch sind, und aktiv unterstützende Eltern homosexueller Kindern wollen meist heterosexuelle Kinder, und sei es nur aus Angst vor den potentiell negativen Folgen von Heterosexismus und Homophobie in der Gesellschaft. Zu beachten ist auch, dass Untersuchungsergebnisse nicht in der westlichen Welt verbleiben, sondern global verfügbar sind. An einer Universität in Singapur, wo damals gleichgeschlechtliche Akte mit lebenslanger Haft bestraft werden konnten, standen die Psychiater vor der Frage, ob ein präsymptomatischer Test ohne die Möglichkeit einer Behandlung angeboten werden dürfe. Während zu Zeiten Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) eine angeborene biologische Ursache als gegeben hingenommen werden musste, wäre heutzutage sogar ein „homosexuelles Gen" potentiell per Pränataldiagnostik erkennbar und man könnte darauf mit selektiver Abtreibung oder Gentherapie reagieren.8° 8¹ 8² 8³ Page 238
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Befürworter eines Rechtes der Eltern auf Selektion sind beispielsweise Aaron S. Greenberg und J. Michael Bailey.84 85 Kulturell wurde das Thema im 1993 uraufgeführten Stück The Twilight of the Golds/Der letzte Gold von Jonathan Tolins behandelt, welches 1997 mit alternativem Ende verfilmt wurde. Bisweilen wird kritisiert, dass die Erforschung der sexuellen Orientierung zu stark auf die Erforschung von Homosexualität ausgerichtet sei. Gelegentlich wird auch die Ursachenforschung zur Homosexualität an sich kritisiert. Hierin wird von diesen Kritikern eine Wertung oder Pathologisierung gesehen, die auf einen heteronormativen Blickwinkel zurückzuführen sei, der als soziokulturelles Konstrukt angesehen wird. Eine wertneutrale Forschung in diesem Bereich müsse das gesamte Spektrum der sexuellen Orientierungen im Blick haben. Biologische Ursachenforschung, die sich im Wesentlichen auf die gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung konzentriere, würde einen Rechtfertigungszwang für bestimmte Verhaltensweisen einschließen und Moralvorstellungen von „richtiger" oder „falscher" Sexualität transportieren.86 87 88 8? ?° Eine fundierte Zusammenfassung und Kritik der aktuelleren Ansätze und Untersuchungen zur männlichen Homosexualität lieferte etwa Robert Allen Brookey 2002 mit seinem Band Reinventing the Male Homosexual. The Power and Page 239
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rhetorics of the Gay Gene. Nach einem Schlaganfall kann es zu Persönlichkeitsveränderungen kommen. Neben üblichen, teilweise temporären Veränderungen, die als Defizit wahrgenommen werden, wie beispielsweise Depressionen, Apathie, Ängstlichkeit, Labilität und Impulsivität?¹ kann seltener vermeintlich ein fremder Akzent angenommen werden, sich der Kunststil ändern?² oder überhaupt erst sich ein künstlerisches Talent zeigen.?³ Noch seltener soll es zu einer Veränderung der sexuellen Orientierung kommen können – in beide Richtungen: - Ein Mann war sich seit seiner Jugend seiner gleichgeschlechtlichen Anziehung bewusst, hatte gleichgeschlechtliche Erlebnisse und auch längere Zeit einen gleichgeschlechtlichen Partner. Mit 53 Jahren hatte er einen Schlaganfall; sechs Monate danach beklagte er erstmals eine Veränderung seiner Persönlichkeit, Interesse, Stimmungsschwankungen und heterosexuelle Bedürfnisse. Der Patient bezeichnet sich heute als bisexuell. Die Autoren der Fallstudie halten eine Änderung ausschließlich aufgrund des psychologischen Effektes der Erkrankung für unwahrscheinlich, da er im unmittelbaren sozialen Umfeld und der Familie trotz seiner homosexuellen Orientierung akzeptiert gewesen sei, berichten jedoch gleichzeitig von Alkoholproblemen und Depressionen des Patienten.?4 Page 240
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Der ehemalige Bankangestellte und Rugby-Spieler, mit nach der Selbstauskunft und Außenwahrnehmung, durchwegs heterosexueller Orientierung, berichtet von ersten Veränderungen nach einem Schlaganfall. Er habe plötzlich andere Interessen entwickelt und interessiere sich nicht mehr für Rugby. Sein Freundeskreis und Lebensstil änderte sich; seine Arbeit empfand er als langweilig und erlernte den Beruf des Friseurs. Er entdeckte seine gleichgeschlechtlichen Gefühle und interessierte sich nach eigenem Bekunden fortan nicht mehr für Frauen. Sein Problem sei, dass ihm sein Freundes- und Bekanntenkreis nicht abnehmen würden, dass die Veränderungen durch den Schlaganfall verursacht seien.?5 ?6 ?7 Genetik Der Zwillingsforscher Franz Josef Kallmann befragte in den 1950er Jahren männliche Zwillingspaare. Bei dieser Stichprobe ermittelte er, dass von 40 eineiigen und 45 zweieiigen männlichen Zwillingspaaren, von denen mindestens ein Bruder sich selbst als schwul bezeichnete, bei 100 Prozent der eineiigen Zwillinge der andere Bruder sich ebenfalls als schwul definierte und dass bei den zweieiigen Zwillingen diese in diesem Punkt der allgemeinen männlichen Bevölkerung glichen.?8 Andere wie Willhart S. Schlegel fanden ähnliche genetische Komponenten der sexuellen Orientierung. Spätere Forschungsarbeiten der 1960er Jahre kamen Page 241
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt zu verschiedenen Ergebnissen: Einige konnten einen Zusammenhang zur Zygozität finden, während andere keinen Unterschied zwischen eineiigen Zwillingen, zweieiigen Zwillingen und Adoptivgeschwistern feststellten.?? ¹°° 1993 brachte der US-amerikanische Forscher Dean Hamer einen genetischen Marker auf dem X-Chromosom mit Homosexualität in Verbindung.¹°¹ ¹°² Die Annahme bestätigte sich zunächst, weil eineiige Zwillingsbrüder, die diesen Chromosomenabschnitt trugen, beide schwul waren. Spätere Forschungsarbeiten der gleichen Forschungsgruppe konnte dieser Zusammenhang allerdings nicht bestätigen.¹°³ ¹°4 Eine Studie, der Forschungsgruppe um Bailey et al. (1991 und 1993) hatte zum Ergebnis, dass eineiige Zwillinge häufiger beide homosexuell sind als zweieiige. Definierte sich ein eineiiger Zwilling als gleichgeschlechtlich orientiert, so stimmte dies zu etwa 50 Prozent mit der Selbstdefinition seines Zwillingsgeschwisters überein; bei zweieiigen Zwillingen waren es nur 20 bis 25 Prozent, deren angegebene sexuelle Orientierung übereinstimmte.¹°5 ¹°6 Diese Arbeiten, wurden, wie auch jene von Kallmann und Schlegel, als methodisch fehlerhaft kritisiert – so wurde die Zygozität der Zwillinge (eineiig oder zweieiig) nicht molekulargenetisch bestimmt, sondern anhand eines Fragebogens nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Verhalten. In einer Zwillingsstudie aus Schweden von 2008 Page 242
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden 3826 zwischen 1959 und 1985 geboreneZwillingspärchen untersucht, bei denen mindestens ein Zwilling einen gleichgeschlechtlichen Sexualpartner hatte. Durch Vergleich zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingspärchen wurde statistisch analysiert, welche genetischen und Umweltfaktoren die Auswahl des Partnergeschlechts beeinflussen. Einflussfaktoren (Konfidenzintervall in Klammern): - genetische Einflüsse ? 39 % (0–59) ? 19 % (0–49), - gemeinsame Umwelteinflüsse ? 0 % (0–46) ? 17 % (0–42), - individuelle Umwelteinflüsse ? 61 % (41–85) ? 64 % (51–78) ¹°7 ¹°8 Bei allen Untersuchungen ist zu beachten, dass eine homosexuelle Neigung nicht immer sicher festgestellt werden kann. Manche Probanden verschweigen aus Scham eine ihnen bewusste homosexuelle Orientierung, andere sind sich ihrer noch nicht bewusst oder haben sie sich noch nicht eingestanden („inneres Coming-out"). Das führt dazu, dass die Zahl homosexuell empfindender Probanden in den Studien regelmäßig geringer erscheint, als sie tatsächlich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anzahl der Probanden in sämtlichen Studien nur gering war. Es gibt Hinweise dafür, dass eine genetische Veranlagung zur bzw. Empfänglichkeit zumindest für männliche Page 243
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Homosexualität existiert, aber es gibt wohl kein einzelnes Homosexualitäts-Gen. Wie groß der Einfluss der Gene tatsächlich ist, ist zwar noch unbekannt, es kann jedoch ausgeschlossen werden, dass die Gene keine Rolle spielen. Denkbar sind unter anderem eine Kombination von verschiedenen Erbfaktoren, eine Kombination von Erbfaktoren und hormoneller Prägung während der Schwangerschaft oder auch eine Kombination genetischer und sozialer Faktoren. Nach einer Hypothese von William R. Rice, Urban Friberg und Sergey Gavrilets aus dem Jahr 2012 könnte die Entstehung der menschlichen Homosexualität durch epigenetische Vererbung verursacht sein. So würde bei einigen Individuen die sexuelle Präferenz der Mutter an den Sohn und die Präferenz des Vaters auf die Tochter übertragen. Das passiere dann, wenn die Epi-Marks bei den Genen, die für die sexuelle Ausrichtung verantwortlich sind, bei der Keimzelle erhalten blieben. So bilde dann beispielsweise ein Embryo zwar männliche Geschlechtsorgane aus, die sexuelle Ausrichtung auf das männliche Geschlecht wäre aber dieselbe wie bei der Mutter. Die Homosexualität des Menschen ist nach dieser Hypothese angeboren. Die Hypothese erklärt, weshalb das Vorkommen von Homosexualität beim Menschen über die Zeit statistisch stabil bleibt. Nach dieser Hypothese entsteht die homosexuelle Prägung bei jedem Individualzyklus neu Page 244
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und darum stirbt sie evolutionär nicht aus, obwohl die meisten homosexuellen Menschen keinen eigenen Nachwuchs haben. Die Autoren der Studie geben allerdings an, dass es sich nur um eine Hypothese handele, hingegen derzeit keine empirischen Befunde für einen Zusammenhang von Homosexualität und Epigenetik sprechen würden.¹°? ¹¹° Eine kritische Analyse der Studie von Rice et al. hat Heinz J. Voss vorgenommen.¹¹¹ Endokrinologie Eine Theorie, die auf Forschungsarbeiten des deutschen Endokrinologen und Sexualwissenschaftlers Günter Dörner zurückgeht, besagt, dass Stresshormone in der Schwangerschaft für Homosexualität verantwortlich seien. Bei männlichen Föten verhinderten sie, dass deren Gehirn, das zunächst keine Unterschiede zu einem weiblichen habe, durch bestimmte Hormone ein männliches Geschlecht bekomme. Diese das Gehirn modifizierenden Hormone „vermännlichen" das Gehirn des männlichen Babys normalerweise in der Schwangerschaft in drei Phasen, von denen jede durch Stress gestört werden könne. Zur lesbischen Anlage findet sich eine analoge Aussage, nämlich, dass diese das Produkt von sehr „entspannten" Müttern seien, deren Vermännlichungshormone mangels Stress seltener ausgeblieben seien. Allerdings wenden Kritiker dieser und ähnlicher Theorien ein, dass es sich bei der Annahme, dass schwule Männer irgendwie Page 245
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „weiblicher" sein müssten als heterosexuelle, oder lesbische Frauen „männlicher", lediglich um ein heteronormatives Postulat handelt, welches keinesfalls bewiesen ist. Es erklärt ebenfalls nicht, warum schwule Männer einen anderen „verweiblichten" Mann gegenüber einer „vermännlichten" Frau als Partner bevorzugen sollten (siehe auch Straight Acting). In einer Veröffentlichung der schwedischen Forscher Ivanka Savic und Per Lindström vom Karolinska-Institut in Stockholm in der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences" wird von Unterschieden in der Gehirnstruktur von homosexuellen und heterosexuellen Menschen berichtet.¹¹² Darin wird beschrieben, dass die Gehirne von homosexuellen Frauen und heterosexuellen Männern eine ähnliche Asymmetrie aufweisen, da die rechte Hirnhälfte ein wenig größer ist als die linke. Bei homosexuellen Männern und heterosexuellen Frauen fanden sich keine solchen Größenunterschiede. Weiterhin wird von unterschiedlich stark ausgeprägten Nervenzellverbindungen in der Amygdala, einem Teil des limbischen Systems, berichtet. Hier zeigten sich die gleichen Zusammenhänge wie bei den unterschiedlichen Gehirngrößen: In den Gehirnen von homosexuellen Frauen und heterosexuellen Männern waren die Amygdala-Verbindungen in der rechten Hirnhälfte stärker ausgeprägt als in der linken. Bei homosexuellen Männern Page 246
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und heterosexuellen Frauen waren die Amygdala-Verbindungen in der linken Hirnhälfte ausgeprägter. Diese lassen sich, so die Forscher, bereits bei Babys unmittelbar nach der Geburt nachweisen. Genetische Unterschiede, so die Forscher, seien wahrscheinlich nicht für diese Unterschiede verantwortlich, ebenso wenig Wahrnehmung und erlerntes Verhalten. Welche Mechanismen für die unterschiedliche Entwicklung verantwortlich sind und, ob diese pränatal oder erst unmittelbar nach der Geburt eine Rolle spielen, ist nicht bekannt.¹¹³ Wilson/Rahman sprechen sich jedoch gegen die durch diese Studie implizierte Annahme aus, homosexuelle Männer hätten „weibliche" Gehirne und homosexuelle Frauen „männliche", was nur gängigen Stereotypen entspräche. Sie postulieren, homosexuelle wie heterosexuelle Menschen besäßen eine mosaikartige Gehirnstruktur, bestehend aus männlichen und weiblichen Anteilen.¹¹4 1996 veröffentlichten Anthony Bogaert und Ray Blanchard von der Brock University in Kanada eine Untersuchung, wonach statistisch gesehen jüngere Brüder eher homosexuell werden als ältere Brüder.¹¹5 Nach ihren Daten steigt die Wahrscheinlichkeit der Homosexualität bei jedem weiteren männlichen Nachkommen um ein Drittel. In einer Nachfolgeuntersuchung konnte Bogaert zudem belegen, dass dieser Effekt nicht nachträglich durch familiäre Verhältnisse (zum Beispiel Adoption) beeinflusst wird, sondern Page 247
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ein rein biologischer Effekt ist. Bogaert vermutet, dass beim Tragen des ersten männlichen Kindes gewisse unbekannte biochemische Prozesse bei der Mutter ausgelöst werden, die sich bei jedem weiteren männlichen Nachkommen verstärken und zu diesem Effekt führen. Evolutionstheorie Unter der Annahme, Homosexualität sei genetisch disponiert oder die Ausbildung sei genetisch mit beeinflusst, wird die Frage nach dem evolutionären Nutzen gestellt, da Eigenschaften, welche die Fortpflanzung einer Art verringern, als schädlich eingestuft werden. Da die als wahrscheinlich anzusehende Häufigkeit von Homosexualität als nicht vernachlässigbare Größe angesehen werden kann, wird in der Wissenschaft die Frage erörtert, ob Homosexualität oder homosexuelles Verhalten, gerade auch in sozial lebenden Arten, einen evolutionären Vorteil haben könnte oder aber die offensichtlichen Nachteile bezüglich der Vermehrungsraten durch andere Vorteile oder Verhaltensweisen kompensiert werden könnten. Verschiedene Thesen und Untersuchungsergebnisse werden erörtert: - Der Verzicht auf eigene Kinder könnte durch Verwandtenselektion der Sippe dienen, da sie dafür sorgt, dass sich eine größere Anzahl von Menschen um die Nachkommen kümmern kann. Dies könnte bewirken, dass der Verzicht auf eigene Kinder auch der Mitversorgung der Page 248
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt genetisch nahe verwandten Neffen und Nichten dient und somit auch den eigenen Genen den Fortbestand erleichtert (siehe auch Das egoistische Gen). Diese Theorie erklärt allerdings nicht den evolutionstheoretischen Nutzen der Homosexualität, da asexuelles Verhalten oder Veranlagung denselben Effekt hätten.¹¹6 - Weibliche Verwandte homosexueller Männer scheinen fruchtbarer zu sein. Eine Studie der Universität Padua kam zu dem Ergebnis, dass weibliche Verwandte mütterlicherseits mehr Nachkommen haben als der Durchschnitt. Unter der Voraussetzung, dass Gene, welche auch zur Ausbildung der Homosexualität beitragen, mütterlicherseits vererbt werden und auch für die höhere Fruchtbarkeit verantwortlich sind, könnte dies den Nachteil kompensieren oder sogar überkompensieren.¹¹7 ¹¹8 Homosexuelles Verhalten bei Tieren ? Hauptartikel: Homosexuelles Verhalten bei Tieren Homosexuelles Verhalten kommt auch bei Tieren vor¹¹? und kann im Tierreich „als nahezu universelles Phänomen" bezeichnet werden.¹²° Bei ca. 1500 Tierarten wurde gleichgeschlechtliches Verhalten festgestellt, wobei ca. ein Drittel dieser Fälle gut dokumentiert ist.¹²¹ Homosexuelles Verhalten lässt sich beispielsweise bei den Bonobos beobachten, die über eine für Menschenaffen ungewöhnliche matriarchale Organisationsstruktur verfügen. Page 249
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Darüber hinaus kann man Bonobos belegbar als grundsätzlich bisexuelle Tierart betrachten. Mehr als für männliche Homosexualität sind Bonobos vor allem für ihren Lesbianismus bekannt. Einige Trauerschwäne Australiens bilden sexuell aktive männliche Paare, die entweder Nester stehlen oder zeitweilige Dreierbeziehungen mit Weibchen eingehen, um in den Besitz von Eiern zu gelangen. Sobald die Eier gelegt sind, wird das Weibchen vertrieben. Der von homosexuellen Paaren aufgezogene Nachwuchs erreicht das Erwachsenenalter dabei häufiger als derjenige von gemischtgeschlechtlichen Paaren. Im Zoo von Bremerhaven lebten um 2006 drei homosexuelle Paare von Pinguinen, die auch nach dem Import mehrerer schwedischer Pinguinweibchen ihre Beziehung fortsetzen.¹²² Die Ankündigung des Versuchs erregte vor allem durch die unsensible Wortwahl weltweites Aufsehen und Proteste.¹²³ 2009 zog eines der Paare auch ein Küken groß.¹²4 Unter vielen Delfinarten gibt es zahlreiche Formen homosexuellen Verhaltens. Diese Verhaltensweisen treten unter anderem aus Gründen der Festigung von Beziehungen in einer Delfinschule sowie beim Dominanzkampf zwischen Männchen auf, zeigen sich also in verschiedenen sozialen Situationen. Die Fachzeitschrift Nature berichtete im Oktober 2006 von der ersten wissenschaftlichen Ausstellung über Page 250
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Homosexualität bei Tieren im Osloer Naturhistorischen Museum. Dort ist z. B. von zwei männlichen Walen (Südkaper) mit erigierten Penissen „bei Sexspielen" (engaged in sexual games)¹²5 und von zwei männlichen Giraffen beim erfolgreichen Versuch einer analen Penetration mit Ejakulation zu lesen. In einer Feldstudie unter männlichen Giraffen wurde sogar beobachtet, dass Homosexualität 94 Prozent der gesamten beobachteten sexuellen Aktivität (94 percent of all observed sexual activity) ausmachte (der Anteil liegt nie unter 30 %)¹²6 – ein Wert, der bei keiner anderen Art beobachtet wurde. Service, Hilfe und Lobbying für homosexuelle Menschen International - ILGA – International Lesbian and Gay Association USA - National Gay Pilots Association (NGPA) Deutschland Siehe auch Homosexualität in Deutschland#Vereine und Organisationen - Lesben- und Schwulenverband in Deutschland – größte Bürgerrechts-, Selbsthilfe- und Wohlfahrtsorganisation für Lesben und Schwule in Deutschland - Lambda – schwullesbischer Jugendverband Deutschlands - BEFAH – Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen - Maneo – schwules Überfalltelefon und Opferhilfe Page 251
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Berlin Österreich - HOSI – Die Homosexuellen Initiativen Österreichs – Wien, Linz, Salzburg, Tirol, Vorarlberg - Rosalila PantherInnen Graz /Steiermark - identity queer – LesBiSchwule Gruppe an den Wiener Universitäten - Wiener Antidiskriminierungsstelle – Informationen der Stadt Wien für Lesben, Schwule und TransGenderpersonen - Rechtskomitee Lambda – Lobbygruppe zur Verbesserung der rechtlichen Situation - Courage-Beratung – PartnerInnen-, Familien- und Sexualberatung (Wien) - HoMed – Homosexuelle im Gesundheitswesen - Rosa Lila Villa – Lesben- und Schwulenhaus Wien - Jugendgruppe aqueerium /Steiermark - Jugendprojekt Liebeist. /Steiermark Schweiz - Pink Cross – Nationaler Dachverband der homosexuellen Männer in der Schweiz - LOS – Lesbenorganisation Schweiz - ediagonal – Nationaler Dachverband lesbischwuler Jugendorganisationen Siehe auch: Homosexualität in der Schweiz, Geschichte der Homosexualität in der Schweiz Luxemburg - Rosa Letzebuerg - Cigale: Centre d'Information GAy et LEsbien Italien (Südtirol) - Centaurus – Schwul-lesbische Initiative Südtirol Beratungsstellen Es gibt in sehr vielen Städten Rosa Telefone, um Page 252
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt betroffene Menschen und Angehörige zu beraten. Die Beratung erfolgt anonym. Die meisten haben bundeseinheitlich die Nummer 19446. In einigen Städten gibt es auch sogenannte Überfalltelefone für Opfer antihomosexueller Gewalt. Die meisten haben bundeseinheitlich die Nummer 19228. Des Weiteren gibt es häufig Coming-out-Gruppen, auch speziell für Jugendliche. Eine große Bedeutung hat mittlerweile die Onlineberatung. Sie wird von verschiedenen Trägern angeboten. Beratungsstellen und Organisationen, die entgegen der in der Sexualwissenschaft und Psychologie weithin akzeptierten wissenschaftlichen Meinung an eine Veränderlichkeit der sexuellen Orientierung glauben und diese fördern wollen, sind eher selten. Sie gehören meist der sogenannten Ex-Gay-Bewegung an, die von christlichen Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten als Teil eines „Kulturkampfs" gegen die „Ausbreitung der Homosexualität" gegründet wurde, inzwischen aber auch in Deutschland unter anderem durch die Laienseelsorgeorganisation Wuestenstrom vertreten ist. Aufgrund ihres „Potentials, Schaden zuzufügen" (American Psychological Association) warnen viele größere psychologische und medizinische Fachverbände vor einer Teilnahme an solchen Programmen. Einige Teilnehmer solcher Programme sagen öffentlichkeitswirksam von sich, sie hätten Page 253
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Veränderungen in ihrer sexuellen Orientierung erfahren. Diese Veränderungen werden von Kritikern allerdings als unwahrscheinlich angesehen: Jeremy Marks, 14 Jahre lang einer der Wortführer der christlichen Ex-Gay-Bewegung in Großbritannien, hat seine Ansichten über die „Heilbarkeit" von Homosexualität revidiert. Marks hat geäußert, dass er niemals in der Lage gewesen sei, seine sexuelle Orientierung oder die Orientierung anderer Menschen zu verändern. „Keiner der Menschen, die ich betreut habe, hat seine sexuelle Orientierung geändert, egal wie viel Mühe und Gebete er auch investiert hat". Der ehrliche Weg bringe einen größeren Nutzen. – Selbst der wohl bekannteste Vertreter der Veränderungstheorie in Deutschland, Markus Hoffmann, Leiter der Laienseelsorgeorganisation Wüstenstrom, räumt ein, dass er auch nach längeren und erheblichen Veränderungsbemühungen immer noch homoerotische Gefühle hat. – Günter Baum, der Vorgänger von Markus Hoffmann als Leiter bei Wüstenstrom, sagt heute: „In all den Jahren bei Wüstenstrom hat sich an meinen schwulen Gefühlen nichts geändert. Ich habe mir wirklich viel Mühe gegeben". Die Therapien seien wie eine Haartönung: „Man kann sich so viel Blond ins Haar schmieren wie man will – die eigentliche Haarfarbe kommt immer wieder durch". In wissenschaftlicher Hinsicht berufen sich viele dieser Gruppen auf eine vielkritisierte Studie von Robert L. Spitzer¹²7 aus dem Jahr 2001. Spitzer Page 254
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt selbst hat im Jahr 2012 die Studie zurückgezogen und die daran geäußerte Kritik weitgehend bestätigt.¹²8 Der von der Ex-Gay-Bewegung häufig in ihrem Sinn zitierte Professor Gunter Schmidt, Sexualwissenschaftler, Sozialpsychologe und Psychotherapeut aus Hamburg, äußerte sich zur entsprechenden Verwendung eines seiner Aufsätze wie folgt: „…[aus meinem Aufsatz] abzuleiten, Homosexuelle sollten therapeutisch umgepolt werden, ist ein dreistes oder dummes, in jedem Fall manipulatives Unverständnis meines Aufsatzes. Ich halte solche (im übrigen: aussichtslosen) Versuche, seien sie psychotherapeutisch oder somatisch oder was auch immer, für zutiefst inhuman und entsprechend für unchristlich.¹²? " Finanzielle Hilfe für Gruppen und Initiativen - Homosexuelle Selbsthilfe e. V. - Hannchen-Mehrzweck-Stiftung Siehe auch Portal: Homo- und Bisexualität – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Homo- und Bisexualität - Geschichte der LGBT - Gesetze zur Homosexualität - Girlfag und Guydyke - Homosexualität und Religion - Lesben- und Schwulenverband in Deutschland - Liste von Filmen mit homosexuellem Inhalt - Liste von Magazinen für homosexuelle Männer Literatur Page 255
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Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt rechtlichen Folgen der Eintragung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. September 2002. [39] Kapitel 2 (f) „Toleranz" [40] Kapitel 3c „Durchsetzen", 2. Absatz [41] Kapitel I [42] Kapitel III, 1., 1. Absatz [43] SoldGG § 1 I [44] SoldGG § 2 I 1 [45] AHsAB e. V. Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr [46] Vgl. Alan Bray: The Friend. University of Chicago Press, Chicago 2006; sowie John Boswell: Same-Sex Unions in Premodern Europe. Villard Books, New York 1994. [47] Vgl. Treitinger, Otto, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938, 195. [48] Vgl. Agapius and Nicodemus: The Rudder (Pedalion). All the Sacred and Divine Canons. Chicago 1957, S. 997. [49] Caroline Sweetman (Hrsg.): Gender in the 21st Century, Oxfam 2000, ISBN 978-0-85598-427-4, S. 83. [50] Arnd Krüger: The Homosexual and Homoerotic in Sport. In: James Riordan, Arnd Krüger (Hrsg.): The International Politics of Sport in the 20th Century. London: Routledge 1999, 191–216. [51] BBC News: Thousands call for Turing apology. Abgerufen am 31. August 2009. [52] Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia Sexualis. 3. Auflage, Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1898, S. 216 (Digitalisiertes Buch) [53] R. Lautmann, W. Grikschat, E. Schmidt: Der rosa Winkel in den Page 269
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Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt vom 26. Oktober 2006, S. 895. [126] Bruce Bagemihl: Biologoical Exuberance. Animal Homosexuality and Natural Diversity. New York 2000, S. 392. [127] Robert L. Spitzer: Can Some Gay Men and Lesbians Change Their Sexual Orientation? 200 Participants Reporting a Change from Homosexual to Heterosexual Orientation. Presentation at the American Psychiatric Association Annual Convention. New Orleans, 9. Mai 2001. Später veröffentlicht in: Archives of Sexual Behavior. Band 32(5), Oktober 2003, S. 403–417. [128] Ted Thornhill: Psychiatrist retracts controversial study that claimed gay men and women can be turned heterosexual by therapy. In: Daily Mail. 12. April 2012. [129] V. Hinck: „Grotesk" – Ex-Gay-Literatur und die Wissenschaftler, auf die sie sich beruft, auf: zwischenraum.net, Juni 2005, abgerufen am 4. März 2015. Normdaten (Sachbegriff): GND: 4025798-8 Schutzhaft Unter dem euphemistisch formulierten Begriff Schutzhaft wurden in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland Regimegegner und andere missliebige Personen allein aufgrund polizeilicher Anordnung inhaftiert, ohne dass dies einer richterlichen Kontrolle unterlag, etwa im Wege der Haftprüfung. Dies geschah anfänglich überwiegend durch Mitglieder nationalsozialistischer Page 278
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Organisationen wie der SA und der SS, später durch die auch aus SS-Angehörigen bestehende Gestapo. Die Gefangenen wurden in – der nationalsozialistischen Partei unterstehenden – Haftstätten, den sogenannten Konzentrationslagern („KZ"s) festgehalten, misshandelt und ermordet. Grundsätzliches zum Verständnis Begriff Der Begriff „Schutzhaft" wurde nicht nur von den Nationalsozialisten gebraucht. Er ist weder mit der Schutzhaft im Königreich Preußen noch mit heutigen Begriffen des rechtsstaatlichen Polizeiund Ordnungsrechts zu verwechseln. Zu diesen Begriffen gehören der Schutzgewahrsam, der Polizeigewahrsam, auch der Unterbindungsgewahrsam oder die Sicherungsverwahrung. Diesen Begriffen ist gemein, dass es sich um Rechtsinstitute mit gesetzlich geregelten Vorgaben handelt, insbesondere einer richterlichen Überprüfung und dem Recht auf anwaltlichen Beistand. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurden von Kaiser Wilhelm II. unter dem Begriff „Schutzhaft" umfangreiche Zwangsmaßnahmen ohne gerichtliche Überprüfung verhängt, die im „Gesetz betreffend die Verhaftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegszustandes und des Belagerungszustandes" vom 4. Dezember 1916 nur leicht abgemildert wurden. Page 279
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Ein prominentes Opfer war Rosa Luxemburg. Auch nach der Novemberrevolution 1918 wurden unter dem SPD-Reichswehrminister Gustav Noske mit dem am 10. Februar 1919 in Kraft getreten Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt zahlreiche Personen in Schutzhaft genommen,¹ etwa streikende Arbeiter im Ruhrgebiet. Nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am 14. August 1919 verstand man in Deutschland unter „Schutzhaft" weiterhin eine Haftform mit minderen Rechten und unter verschärften Bedingungen.² ³ Im Nationalsozialismus waren die in „Schutzhaft" genommenen Personen, die Insassen der KZs,4 vollkommen rechtlos gestellt. Dies beruhte auf der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933, die praktisch alle individuellen Grundrechte außer Kraft setzte, von den Nazis während ihrer zwölfjährigen Diktatur niemals aufgehoben wurde und die Grundlage ihrer Herrschaft blieb. Gesetzliche Regelung Alle Artikel mit Freiheitsrechten wurden gem. Art. 48 Abs. 2 Satz 2 der Weimarer Verfassung „bis auf weiteres" durch die Reichstagsbrandverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg außer Kraft gesetzt. Der offizielle Name der Verordnung lautete: Verordnung zum Schutz von Volk und Staat. Page 280
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte" wurden gemäß § 1 aufgehoben: - Artikel 114 Verbot von Beschränkungen der persönlichen Freiheit - Artikel 115 Unverletzlichkeit der Wohnung - Artikel 117 Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis - Artikel 118 Meinungs- und Pressefreiheit - Artikel 123 Versammlungsfreiheit - Artikel 124 Vereinigungsfreiheit - Artikel 153 Recht auf Eigentum In § 2 wurde die Reichsregierung ermächtigt, alle zur „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen" zu treffen. Eine dieser Maßnahmen war der Runderlaß des Reichsminister des Inneren Dr. Wilhelm Frick über die Bestimmungen zur Anwendung der Schutzhaft (April 1934).5 Dieser bestimmte als die für die Verhängung von Schutzhaft zuständigen Stellen insbesondere die Geheime Staatspolizei. Die Kreis- und Ortspolizeibehörden (Ordnungspolizei) wurden zu Hilfsorganen der Gestapo und unterstanden seit dem Erlass über die Einsetzung eines Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 17. Juni 1936 ebenfalls dem Oberbefehl von Heinrich Himmler. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Zivil- und Strafverfahren blieb jedoch bestehen. Dagegen war bei Anordnung von Schutzhaft durch die Gestapo keine gerichtliche Überprüfung vorgesehen. Rechtsanwälte konnten sich also nicht Page 281
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt für die in Schutzhaft genommenen Mandanten einsetzen. Diesen brauchten noch nicht einmal die Gründe für ihre Verhaftung mitgeteilt zu werden. Die Polizei bzw. die Verantwortlichen für die Führung der Konzentrationslager hatten dagegen unumschränkte Macht. Ausdrücklich nicht befugt zur Inschutzhaftnahme waren dagegen Stellen der NSDAP und der SA. Diese konnten die Verhängung von Schutzhaft aber bei den zuständigen Stellen beantragen. Es war vorgesehen, die Schutzhaft ausschließlich in staatlichen Gefangenenanstalten oder Konzentrationslagern zu vollstrecken. Bereits am 12. März 1933 hatte Ministerpräsident Hermann Göring die Schließung sogenannter „wilder Konzentrationslager" verfügt,6 ein von dem ersten Chef der preußischen Gestapo Rudolf Diels geprägter Begriff, mit dem improvisierte Haftstätten der SA gemeint waren. Wenn eine Verhaftung vorgenommen wurde, war das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin als oberste Landesbehörde zu unterrichten, es sei denn, dieses hätte sie selbst veranlasst. Nur wenn das Staatspolizeiamt die Schutzhaft nicht angeordnet und nicht ausdrücklich bestätigt hatte, war der Häftling innerhalb von acht Tagen nach der Verhaftung zu entlassen; andernfalls sollte alle drei Monate eine behördliche Überprüfung erfolgen.7 Verschärft wurden die Regelungen mit dem Schutzhafterlaß vom 25. Januar Page 282
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1938. Die Reichstagsbrandverordnung und mit ihr die Anordnung von Schutzhaft sind erst nach Kriegsende mit Wirkung zum 9. Mai 1945 außer Kraft getreten. Polizeiliche Vorbeugehaft Ebenfalls auf Grundlage der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat erging am 14. Dezember 1937 der „Runderlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei" des Reichsministeriums des Innern, mit dem die Vorbeugende Verbrechensbekämpfung reichsweit vereinheitlicht werden sollte.8 Die aufgrund dieser Regelung verhängte polizeiliche Vorbeugehaft, irrtümlich auch als Befristete Vorbeugungshaft bezeichnet, betraf insbesondere vorbestrafte "Berufs- und Gewohnheitsverbrecher", die nicht durch die Gestapo, sondern durch die Ordnungspolizei überwacht und interniert werden konnten. Betroffen waren aber auch andere "asoziale" Personengruppen wie „Arbeitsscheue", Obdachlose, Sinti und Roma, Prostituierte und Homosexuelle. Diese Menschen sollten in „staatlichen Besserungs- und Arbeitslagern", sprich Konzentrationslagern zum Schutz der Allgemeinheit "unschädlich" gemacht werden. Funktion der Schutzhaft „Prävention" Page 283
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Im Nationalsozialismus wurde von dem Instrument der Schutzhaft als Mittel zur Prävention massenhaft Gebrauch gemacht. Es diente nicht irgendwelchen Schutzzwecken, schon gar nicht, wie oft behauptet wurde, dem Schutz der Betroffenen vor dem „Volkszorn", sondern der Verfolgung bzw. Vernichtung politisch und anderweitig missliebig gewordener Personen. Zunächst wurden vor allem Mitglieder linker Organisationen (vor allem von KPD und SPD) Opfer der „Schutzhaft", dann auch andere Personen, die sich mit ihren politischen und weltanschaulichen Überzeugungen gegen das Regime exponierten, etwa Angehörige der christlichen Konfessionen und Gemeinschaften (z. B. die Gruppe der Ernsten Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas). Es folgten die Angehörigen der aus ethnisch-rassistischen Motiven verfolgten Minderheiten der Juden, Sinti und Roma und anderer, die als „Asoziale" aus der „Volksgemeinschaft" ausgeschlossen werden sollten. Als „asozial" bzw. „gemeinschaftsfremd" war eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher, „deutschblütiger" sozialer Minderheiten etikettiert, so z. B. Alkoholiker, Prostituierte, Unterstützungsempfänger, „Landfahrer", „Arbeitsscheue" bzw. „Bummelanten" und Homosexuelle. Sie alle unterlagen der Gefahr, im individuellen Zugriff oder im Zuge umfangreicher Razzien wie der Aktion „Arbeitsscheu Reich" in „Schutzhaft" zu geraten. Ein nicht geringer Teil der KZ-Insassen waren auch „gewöhnliche" Page 284
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriminelle, gegen die beispielsweise polizeiliche Vorbeugehaft verhängt worden war. Diese Häftlingsgruppe war im Gegensatz zu den „politischen" Schutzhäftlingen nicht durch ein rotes Abzeichen, sondern durch einen grünen Winkel gekennzeichnet. Die SS rekrutierte vorzugsweise aus diesen "Grünen" ihre sog. Funktionshäftlinge, während die interne Häftlingshierarchie von den Kommunisten angeführt wurde. Als frühere Parteifunktionäre verfügten sie oft über besondere organisatorische Fähigkeiten.4 „Repression" Eine weitere Funktion hatte die „Schutzhaft" als Mittel des Strafvollzugs. Am 18. September 1942 vereinbarten Reichsführer SS Heinrich Himmler und der damalige Reichsjustizminister Otto Thierack Maßnahmen zur „polizeilichen Sonderbehandlung bei nicht genügenden Justizurteilen".? Danach sollten „asoziale Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit ausgeliefert" werden. Das betraf nach Entscheidung des Reichsjustizministers sämtliche in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe sowie Tschechen und Deutsche über 8 Jahre Strafe. Ferner bestand „Übereinstimmung darüber, daß in Rücksicht auf die von der Staatsführung für die Bereinigung der Ostfragen beabsichtigten Ziele in Zukunft Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr Page 285
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von den ordentlichen Gerichten, soweit es sich um Strafsachen handelt, abgeurteilt werden sollen, sondern [unmittelbar] durch den Reichsführer SS erledigt werden." Die genannten Personen wurden damit der Zuständigkeit der Strafjustiz überhaupt entzogen und konnten ohne jedes Verfahren direkt deportiert und in einem Konzentrationslager ermordet werden. Zum Verhältnis von Justiz und Polizei/SS Bereits im Mai 1933 hatte der preußische Justizminister Hanns Kerrl angeordnet, dass Personen, die wegen Verdachts auf staatsfeindliches Verhalten (von der Justiz) festgenommen worden waren, aber nicht mehr unter dringendem Tatverdacht standen (was Voraussetzung für die gerichtliche Anordnung von Untersuchungshaft war und ist), nicht ohne Zustimmung der politischen Polizei aus der Untersuchungshaft entlassen werden durften. Reichsjustizminister Franz Gürtner verpflichtete 1935 die Gerichte, die Gestapo unverzüglich zu benachrichtigen, wenn sie den Haftbefehl gegen eine Person, die eines politischen Delikt verdächtigt wurde, aufzuheben oder gar nicht erst zu erlassen beabsichtigte. Mit Kriegsbeginn nahm die Justiz in weiten Bereichen ihren Anspruch, allein zuständig zu sein, zurück. Die vorgenannte Vereinbarung vom 18. September 1942 führte dazu, dass allein in der Zeit vom 1. November 1942 bis 30. Page 286
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt April 1943 14.700 Strafgefangene in Konzentrationslager abtransportiert wurden. Schon am 1. April 1943 waren hiervon 5.900 zumeist an Epidemien verstorben. Noch deutlicher formulierte Reichsjustizminister Thierack seine Ziele in einem Schreiben vom 13. Oktober 1942 an Martin Bormann: „(…) beabsichtige ich, die Strafverfolgung gegen Polen, Russen, Juden und Zigeuner dem Reichsführer SS zu überlassen. Ich gehe hierbei davon aus, daß die Justiz nur im kleinen Umfang dazu beitragen kann, Angehörige dieses Volkstums auszurotten." In einer Besprechung mit den Präsidenten der Oberlandesgerichte am 29. September 1942 erklärte Thierack die Aufgabe des richterlichen Kompetenzanspruchs damit, dass nur die Polizei diese Aufgabe erledigen könne, zumal sie bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt habe. Die Richter hingegen würden innerlich zerbrechen, wenn man von ihnen verlangte, dass jedes Verfahren gegen einen Fremdvölkischen mit dem Todesurteil zu enden habe. Bei einer Besprechung mit den Oberlandesgerichtspräsidenten am 10./11. Februar 1943 äußerte Thierack, wenn ein höherer Polizeioffizier es für notwendig halte, einen Polen ohne Gerichtsverfahren zur Abschreckung zu hängen, werde er auch in Zukunft nicht intervenieren, da der Polizeioffizier nur seine Pflicht tue. Im Sinne des nationalsozialistischen Strafrechts Page 287
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt straffällig gewordene sogenannte „Asoziale" und „Fremdvölkische" durften nach einem geheimen Runderlass des RSHA von 1943 an die Justiz übergeben werden, wenn „ein öffentliches Gerichtsverfahren stimmungspolitisch sinnvoll schien und sichergestellt war, dass das Verfahren mit der Todesstrafe enden würde". Ansonsten kamen diese Personen sofort in Schutzhaft. Ermittlungsvorgänge gegen Polen wurden ohnehin, trotz der in der so genannten Polenstrafrechtsverordnung grundsätzlich vorgesehenen Todesstrafe, schon seit Januar 1942 nur noch in Ausnahmefällen an die Justiz abgegeben. Polnische und russische Zwangsarbeiter wurden, was der häufigste Exekutionsfall war, umstandslos von der Polizei erschossen, wenn sie mit deutschen Frauen ein Liebesverhältnis bzw. mit ihnen Geschlechtsverkehr ausgeübt hatten. Auf dieselbe Weise wurde Arbeitsverweigerung bei Verlassen des (Zwangs-)Arbeitsplatzes geahndet. Verhängung der Schutzhaft in Zahlen Die Zahl der in „Schutzhaft" genommenen Personen schwankte stark. Die erste Welle, vor allem gegen die Sozialdemokraten und Kommunisten gerichtet, fiel in die Monate März und April 1933. In diesen beiden Monaten wurden allein in Preußen mindestens 25.000 Personen von staatlichen Organen inhaftiert. Hinzu kamen die damals noch „wilden" Verhaftungen durch SA und Page 288
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt SS. Da die staatlichen Machtorgane 1934 nach den Ereignissen des sog. Röhm-Putsches vom 30. Juni 1934 durch Himmlers SS übernommen worden waren, sind in der Folgezeit sämtliche Inhaftierungen als staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu werten. Die frühen Konzentrationslager („KZ") unterstanden meist der „Parteiarmee" SA, wodurch sich in der Bevölkerung eine gewisse Furcht vor der SA ausbreitete. Die Hoffnung der bürgerlichen Schichten, die Entmachtung der SA nach dem Röhm-Putsch werde ein Ende der Willkür bringen, erfüllte sich nicht. Statt Röhms SA erlangte nun Himmlers SS die Möglichkeit, neue KZs in systematischer Art und Weise zu errichten. Auch diente die „Schutzhaft" nicht mehr, wie man der Reichstagsbrandverordnung entnehmen könnte, nur der Verfolgung von Kommunisten, sondern auch anderer Gruppen. Das Kammergericht wertete am 8. Dezember 1935 die Inhaftierung von Mitgliedern der katholischen Jugendbewegung ebenfalls als Kommunistenbekämpfung. Theodor Eicke, der spätere Kommandant des KZ Dachau nahm in Himmlers Auftrag eine Neugliederung der Konzentrationslager vor und systematisierte Willkür und Terror. Seine allgemeinverbindlich gewordene „Disziplinar- und Strafordnung für das Gefangenenlager" vom 1. Oktober 1933 ging von dem Grundsatz aus, dass der Häftling mit äußerster, aber unpersönlicher und Page 289
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt disziplinierter „Härte"¹° behandelt werden solle. In der Lagerordnung wurde auch eine brutale Prügelstrafe („Prügelbock") eingeführt, die unter den Häftlingen als „über den Bock gehen" bezeichnet wurde.4 In der sogenannten Postenpflicht war festgehalten, Wachposten hätten bei Anzeichen von Flucht sofort und ohne warnenden Aufruf von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, Warnschüsse waren verboten. Mord im KZ war damit straflos geworden. „Der Posten, der in Ausübung seiner Pflicht einen Gefangenen erschossen hat, geht straffrei aus." Diese Postenpflicht war für zahlreiche Todesfälle verantwortlich. Die Häftlinge wären angeblich „auf der Flucht erschossen" worden. 1935 gab es sieben Lager: KZ Dachau, KZ Esterwegen, KZ Lichtenburg, KZ Sachsenburg, KZ Columbia-Haus in Berlin, KZ Oranienburg und KZ Fuhlsbüttel. In ihnen wurden etwa 7.000 bis 9.000 Gefangene festgehalten. 1936/37 war der niedrigste Stand mit etwa 7.500 Gefangenen erreicht. Im Februar 1937 begannen sich die Lager wieder zu füllen. Himmler hatte sich entschlossen, die Lager zu Erziehungs- und vor allem zu Produktionsstätten umzufunktionieren. 1938 wurde hierzu die SS-Firma Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST) gegründet, die Ziegelwerke errichtete und Steinbrüche ausbeutete. Zunächst wurden 2.000 bislang in Strafhaft befindliche „Berufs- und Page 290
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gewohnheitsverbrecher" eingesetzt, die sog. „BV-Häftlinge".4 Anfang 1938 kamen erstmals in einem reichsweiten Zugriff festgenommene sogenannte asoziale und „arbeitsscheue Elemente" hinzu. Die Lagerinsassen wurden damit zu Zwangsarbeitern. Im Jahr 1938 wurden nach der Reichspogromnacht etwa 35.000 Juden zur Einschüchterung und um sie zur Aufgabe ihres Eigentums und zur Auswanderung zu veranlassen, vorübergehend interniert. Kurze Zeit später kamen die meisten wieder frei. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges weitete sich das System der Arbeitslager qualitativ und quantitativ sprunghaft aus. Die Zwangsarbeit trat immer mehr in den Vordergrund. Insassen der Konzentrationslager waren nunmehr vor allem Angehörige anderer Staaten, aber auch Vertreter der Kirchen, da Heydrich und Bormann im Kriegsbeginn die Gelegenheit sahen, auch den Kirchenkampf zu Ende zu führen. Ab Kriegsbeginn nahm die Polizei in nennenswertem Umfang auch Personen wegen Arbeitsverweigerung, insbesondere streikende Arbeiter in Schutzhaft. Ab Mitte 1941 wurden unter Beteiligung der Arbeitsämter sowjetische Zivilarbeiter in Schutzhaft genommen. Allein im Oktober 1941 nahm die Gestapo 15.000 Personen in „Schutzhaft". Insgesamt befanden sich im März 1942 100.000 Gefangene in „Schutzhaft". Im Page 291
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt August 1943 waren es 224.000. Ein Drittel davon war im KZ Auschwitz (Stammlager, Birkenau und Monowitz) gefangen. Im August 1944 befanden sich dann 524.000 Personen in „Schutzhaft", im Januar 1945 waren es 714.000. Die Stärke der Wachmannschaften betrug damals 40.000 Mann. Die Sterblichkeit war hoch (60 % aller Lagerinsassen in der zweiten Hälfte des Jahres 1942). Von den gegen Ende des Regimes noch lebenden 700.000 Insassen kamen mindestens noch ein Drittel auf Todesmärschen um. Die Gesamtzahl der in den Konzentrationslagern durch Entkräftung und Krankheiten umgekommenen Personen beläuft sich auf mindestens 500.000. Die Rechtlosigkeit der Gefangenen Gerichtlicher Schutz gegen die Inhaftierung stand dem Gefangenen nicht zu. § 7 des 3. Gestapo-Gesetzes vom 10. Februar 1936 ordnete ausdrücklich an, dass Verfügungen und Angelegenheiten der Gestapo nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegen.¹¹ Aber auch gegen die in der „Schutzhaft" regelmäßigen Misshandlungen bis hin zum Tod bestand kein Rechtsschutz. Der Aktenvermerk „RU" (Rückkehr unerwünscht) bei einem KZ-Häftling kam einem Todesurteil gleich.¹² Vereinzelte Einwirkungsversuche der Justiz Page 292
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Der Gestapoführung unter Heinrich Himmler gelang es, durch Einschaltung höherer politischer Entscheidungsträger, durch Sabotage der von der Justiz eingeleiteten Ermittlungsverfahren, durch Einschüchterung bis hin zur Drohung von Verhängung von Schutzhaft gegenüber den ermittelnden Beamten alsbald einen rechtsfreien Raum zu schaffen. Diese Entwicklung fand einen gewissen Abschluss in einer „Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz" vom 17. Oktober 1939. Mit dieser von Heinrich Himmler bei Hitler erwirkten Verordnung kontrollierte die für die Bewachung der Lager zuständige SS und deren SS-Totenkopfverbände sich selbst. Das Ergebnis war damit vorhersehbar. Hinzu kamen verschiedene Amnestiegesetze, von denen zugunsten der Täter, sofern die Justiz überhaupt die Taten aufgegriffen hatte, großzügigst Gebrauch gemacht wurde. Ermittlungen der Justiz waren, sofern die Opfer überhaupt noch lebten, bereits dadurch erschwert, dass die Betroffenen bei Entlassung aus dem KZ eine Erklärung unterschreiben mussten, mit der sie sich zu absolutem Schweigen über die Verhältnisse im Lager verpflichteten. Die Drohung mit erneuter „Schutzhaft" bewirkte, dass misshandelte Häftlinge nur ganz selten überhaupt bereit waren, als Zeugen zur Verfügung zu stehen. Page 293
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nur die hohen Todeszahlen sprachen für sich. Die Justiz war zumindest anfänglich mit diesen Todesfällen befasst, weil die Staatsanwaltschaft nach § 159 StPO bei allen Fällen eines nicht natürlichen Todes einzuschalten war (und ist). Anhand zweier typischer Einzelfälle aus der Anfangszeit sei die Behandlung der Gefangenen und das Verhalten der Justiz geschildert: Der Fall des Kaufmanns Schloß im KZ Dachau Am 16. Mai 1933 meldete der Lagerkommandant Hilmar Wäckerle, dass der Nürnberger Kaufmann Schloß sich in der Einzelhaftzelle erhängt hätte. Tatsächlich wies die Leiche ausgedehnte Blutunterlaufungen auf, der Tote war erst nach Ermordung aufgehängt worden, um einen Suizid vorzutäuschen. Am 17., 24. und 25. Mai 1933 wurden drei weitere unnatürliche Todesfälle aus dem KZ Dachau gemeldet. In einem der Fälle war der Betroffene angeblich auf der Flucht erschossen worden. Dies sollte künftig eine häufig gewählte Begründung für Todesfälle in den Konzentrationslagern werden. Erschießen auf der Flucht kam praktisch der Verhängung der Todesstrafe durch die SS gleich, eine Strafe ohne Rechtsgrundlage und ohne Gerichtsverfahren. Die Arbeitsbedingungen der Justiz waren bereits damals so schwierig geworden, dass der zuständige Staatsanwalt die Anträge im geschilderten Fall des Kaufmanns Schloß nur einer ihm Page 294
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt zuverlässig erscheinenden Schreibkraft nach Dienstschluss diktieren konnte und selbst zum Untersuchungsrichter bringen musste, weil er befürchtete, die Anträge würden sonst auf dem Dienstweg verschwinden. Der Untersuchungsrichter wollte so, wie es sonst üblich und gesetzlich geregelt war, die Verhaftung der Angeschuldigten mit Hilfe der Mordkommission der Münchener Polizeidirektion durchführen. Dort wurde ihm „lächelnd" bedeutet, dafür sei allein die Gestapo zuständig. Am selben Tag schaltete sich auf Betreiben des Leitenden Oberstaatsanwaltes das bayerische Justizministerium ein. Ergebnis war, dass der Oberstaatsanwalt angewiesen wurde, die genannten Fälle mit Heinrich Himmler, dem Chef der Organisation, die für die Morde verantwortlich war, zu besprechen. Eine Mitwirkung oder ein Mitspracherecht Himmlers war allerdings vom Gesetz nicht vorgesehen. Himmler sicherte zwar Kooperation bei der Aufklärung der Straftaten zu, sorgte jedoch dafür, dass die Akten, die er sich über Justiz- und Innenministerium besorgt hatte, in seiner Organisation verschwanden. Die Fälle wurden nicht aufgeklärt. Die SS war sich bereits damals ihrer Macht so sicher, dass der Lagerkommandant Hilmar Wäckerle eine Lagerordnung verfassen und der Justiz präsentieren konnte, wonach über das Lager das Standrecht verhängt sei und als Lagerstrafe vom Kommandanten sowie von ihm ausgewählten Offizieren gegen denjenigen die Todesstrafe verhängt werden Page 295
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt durfte, der den Gehorsam verweigerte. Eine Rechtsgrundlage gab es hierfür nicht. Wäckerle berief sich nur auf eine Genehmigung durch Heinrich Himmler. Der neue Lagerkommandant Theodor Eicke erließ am 1. Oktober 1933 eine „Disziplinar- und Strafordnung", wonach „kraft revolutionären Rechts" als Aufwiegler gehängt werden solle, der „wahre oder unwahre Nachrichten zum Zwecke der gegnerischen Greuelpropaganda über das Konzentrationslager (…) hinausschmuggelt". Staatsanwaltschaft und Gericht wurde mitgeteilt, dass sie bis auf Weiteres keinen Zugang mehr zum Lager erhielten. Straftaten im KZ Kemna In diesem bereits Anfang 1934 wieder aufgelösten KZ Kemna wurden Gefangene zur Vernehmung nackt auf besonderen Prügelbänken festgehalten und mit Gummiknüppeln, Peitschen und Stöcken blutig geschlagen. Sie wurden anschließend in einen engen Verschlag gesteckt, in dem sie weder stehen noch sitzen konnten. Zuvor hatten sie noch ungewässerte mit Staufferfett oder Kot beschmierte Salzheringe essen müssen und waren bei Erbrechen gezwungen worden, das Erbrochene aufzulecken. Mit den frischen Verletzungen wurden sie dann in die im Winter eiskalte Wupper getrieben und mussten die nassen Kleider anbehalten. Zwei Häftlinge starben nach Verlegung aus dem Konzentrationslager, einer davon in der Irrenanstalt Galkhausen. Page 296
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Diese Vorgänge waren auch der Staatsanwaltschaft bekannt geworden, die sich jedoch erst nach der Entmachtung der SA entschloss, in dieser Sache etwas zu unternehmen. Sie konnte sich dabei auf Informanten aus dem Kreis der SA stützen. Obwohl der im Justizministerium zuständige Beamte den Informanten regelrechte Schutzbriefe ausgestellt hatte, wurde einer von ihnen, sobald die Ermittlungen bekannt geworden waren, vom Kreisleiter der NSDAP in Schutzhaft genommen. Erst durch Intervention auf Ministeriumsebene kam dieser Informant nach fünf Tagen wieder frei. Die Gauleitung der NSDAP entfesselte gegen den ermittelnden Staatsanwalt ein Kesseltreiben, zog ihn, der selbst Parteigenosse war, gar vor das Parteigericht und erreichte bei dem Parteigenossen und Staatssekretär im Preußischen Justizministerium Freisler, dass die Ermittlungsakten an die Gauleitung abgegeben wurden. Damit war das Ermittlungsverfahren zunächst zerschlagen. Nach einer durch eine Vorsprache von örtlichen Parteiangehörigen beim persönlichen Adjutanten von Hermann Göring erzwungenen Wiederaufnahme des Verfahrens entledigte sich die Partei der Sache durch die Einleitung eines Verfahrens vor dem obersten Parteigericht gegen die in dieser Sache Hauptbeschuldigten. Das Gericht verhängte gegen sie am 1. April 1935 eine äußerst milde, kaum als solche zu bezeichnende Strafe, nämlich nur eine „Verwarnung". Zur Begründung führte das Gericht Page 297
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt aus, dass die bisherigen Ermittlungen höchst einseitig geführt worden seien; man habe nur unglaubwürdige Staatsfeinde angehört. Zwar seien die Angeschuldigten über das „zur Brechung des Widerstandes erforderliche Maß hinausgegangen" und hätten „damit gegen den vom Führer gegebenen Befehl, daß der nationalsozialistische Staat seine Gegner wohl unschädlich zu machen weiß, darüber hinaus aber auf jede Rache verzichtet, verstoßen" (…). Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass es die SA im Wuppertaler Industriegebiet mit besonders hartnäckigen kommunistischen Gegnern zu tun gehabt habe, die sich auch nach der Machtergreifung immer wieder illegal zu organisieren versucht hätten. Gerade das Verhalten der Staatsanwaltschaft habe diesen Elementen wieder Auftrieb gegeben. Damit war das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren praktisch kaltgestellt. Der ermittelnde Staatsanwalt Gustav Winckler wurde in der Folgezeit persönlich bedroht und nächtlich angerempelt und musste sich nach einem anderen Ort versetzen lassen. Den Schlusspunkt setzte Hitler mit einem Niederschlagungsbeschluss vom 10. Februar 1936. Ergebnis Die „Schutzhaft" ist Ausdruck einer völligen Ausschaltung des Rechts und der Gewaltenteilung (trotz des formalen Fortbestehens der Justiz und trotz der oben genannten vereinzelten Page 298
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einwirkungsversuche), die lediglich durch das vom NS-Regime nicht geplante Ende im Mai 1945 abrupt abgebrochen wurde. Die staatliche Gewalt lag allein in der Hand der Exekutivorgane Gestapo und SS, die beide über Heinrich Himmler nur Hitler selbst verantwortlich waren, der aber Himmler nicht „dreinredete" und auch keine schriftlichen Vorgaben machte. Die genannten Machtträger hatten daher freie Hand, das System der Unterdrückung Andersdenkender aufs grausamste zu verschärfen und ihre nationalsozialistische Ideologie zu verwirklichen. Damit hatte im Sinne der grundlegenden – und bereits zeitgenössisch getroffenen – Unterscheidung des Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel der „Maßnahmenstaat" auch in diesem Bereich über den „Normenstaat" gesiegt. Siehe auch -
Schubkastenverordnung Schutzhaftlagerführung Schutzhaftlager Heuberg Schutzhaftlager Welzheim
Literatur - Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart 2013. ISBN 3-89657-138-9 (grundlegend). - Martin Broszat: Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933–1945. In: Anatomie des SS-Staates. Band 2. ISBN 3-423-02916-1 (grundlegend). - Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich. 1933–1940. 3. Auflage. 2001, Page 299
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ISBN 3-486-53833-0, S. 353–362, 521–658. - Alexander Sperk: Schutzhaft und Justiz im „Dritten Reich" auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt. In: Justiz im Nationalsozialismus. Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes – Sachsen-Anhalt. Magdeburg 2008, ISBN 978-3-9812681-1-9, S. 16–27 (Begleitband zur Wanderausstellung). - Ralph Angermund: Deutsche Richterschaft 1919–1945. 1990, ISBN 3-596-10238-3. Weblinks Wiktionary: Schutzhaft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wikisource: Verfassung des Deutschen Reichs (1919), Art. 114 ff. – Quellen und Volltexte Wikisource: Reichstagsbrandverordnung – Quellen und Volltexte - Artikel „Schutzhaft" (LeMO des DHM, Berlin) - Wolfgang Schoen, Holger Hillesheim, Frank Gutermuth, Sebastian Kuhn: Hitlers Polizei. Ordnung und Vernichtung. Gemeinschaftsproduktion von tvschoenfilm Frankfurt/Main, rbb und WDR in Zusammenarbeit mit arte. Dokumentation, 2011, 81 Min. Einzelnachweise und Fußnoten [1] Weimar 1919: Chancen einer Republik, Böhlau Verlag Köln, 69. Sitzung der Nationalversammlung vom 29. Juli 1919. [2] Gustav Noske spricht in einer Rede von 22 Gefangenen in Berliner Schutzhaft, 94. Sitzung der Nationalversammlung Page 300
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt vom 9. Oktober 1919. [3] Beispiel in der Rede von Gustav Noske in der 112. Sitzung der Nationalversammlung vom 29. Oktober 1919. [4] Einzelheiten kann man Eugen Kogons Buch „Der SS-Staat" entnehmen. [5] Marlis Gräfe, Bernhard Post und Andreas Schneider: Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933-1945, I. Halbband, Quellen zur Geschichte Thüringens, 2. unveränderte Auflage 2005, S. 155 ff. ISBN 3-931426-83-1 [6] Marlis Gräfe, Bernhard Post und Andreas Schneider: Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933-1945, I. Halbband, Quellen zur Geschichte Thüringens, 2. unveränderte Auflage 2005, S. 155. ISBN 3-931426-83-1 [7] Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner. 3. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2001, S. 547ff. [8] Vgl. den Abdruck des "Grunderlasses" bei: Wolfgang Ayaß (Bearb.), "Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung von "Asozialen" 1933-1945, Koblenz 1998, Nr. 50. [9] Susanne Schott: „Curt Rothenberger – eine politische Biographie", Univ.-Diss Halle (Saale) 2001, Anlage 19, S. 215 [10] Wenn die Nationalsozialisten von „Disziplin" und „Härte" sprachen, war meistens „Unmenschlichkeit" und „Brutalität" gemeint, bis hin zur Tötung. [11] Marlis Gräfe, Bernhard Post und Andreas Schneider: Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933-1945, I. Page 301
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Halbband, Quellen zur Geschichte Thüringens, 2. unveränderte Auflage 2005, S. 92 ff. ISBN 3-931426-83-1 [12] Aktenvermerk „Rückkehr unerwünscht" Konzentrationslager Der Begriff Konzentrationslager steht seit der Zeit des Nationalsozialismus für die Arbeits- und Vernichtungslager des NS-Regimes. Die Konzentrationslager wurden im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten von Organisationen der NSDAP errichtet. Es waren schließlich rund 1000 Konzentrations- und Nebenlager sowie sieben Vernichtungslager.¹ ² Sie dienten der Ermordung von Millionen Menschen, der Beseitigung politischer Gegner, der Ausbeutung durch Zwangsarbeit, medizinischen Menschenversuchen und der Internierung von Kriegsgefangenen. Das Lagersystem stellte ein wesentliches Element der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft dar. Weite Zweige der deutschen Industrie profitierten direkt oder indirekt von ihm. Man nimmt heute an, dass etwa zwei Drittel der sechs Millionen Juden, die der deutschen Judenvernichtung, später Shoah bzw. Holocaust genannt, zum Opfer fielen, in Vernichtungs- und Konzentrationslagern direkt ermordet wurden oder dort an Folgen von systematischer Unterernährung, den Misshandlungen und an unbehandelten Krankheiten gestorben sind. Das verbleibende Drittel starb in – von der SS so Page 302
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt genannten – Ghettos, bei Massenerschießungen vor allem durch die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD und auf den so genannten Todesmärschen. Es wurden in den Konzentrationslagern auch viele andere Menschen ermordet, wie Kommunisten, Sozialisten, Pfarrer, Systemkritiker, Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, geistig Behinderte und angebliche „Asoziale". Die genaue Anzahl der Toten ist bis heute unklar, da die Mörder längst nicht über alle Opfer Akten führten, am Ende des Krieges keine Ermordungen mehr dokumentarisch festgehalten wurden und viele Unterlagen durch Kriegsereignisse unwiederbringlich verloren gingen. Ebenso wurden viele Zeugen bei Kriegsende gezielt ermordet. Zahlreiche Häftlinge, die von den alliierten Truppen befreit werden konnten, starben erst nach diesem Zeitpunkt an den Folgen der Haft. Vorgängereinrichtungen des Ersten Weltkriegs und der frühen Nachkriegszeit im Deutschen Reich Als Konzentrationslager wurden im Deutschen Reich, soweit heute bekannt, erstmals im März 1915 Internierungslager der zum Kruppkonzern gehörenden Friedrich-Albrecht-Hütte für polnische Arbeiter in Barmen und Elberfeld bezeichnet. Dem folgten zahlreiche Internierungslager und provisorische Gefängnisse für deportierte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und politische „Schutzhäftlinge" im Ersten Weltkrieg und in der Page 303
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt frühen Nachkriegszeit. Im Zuge der angestrebten massenhaften Ausweisung von „Ostjuden", zumeist Migranten und Migrantinnen, die vor antisemitischer Verfolgung aus Osteuropa ins Deutschen Reich geflohen waren, ließ die bayerische Regierung 1920 in Ingolstadt und die preußische Regierung 1921 in Cottbus-Sielow und in Stargard in Pommern jeweils ein „Konzentrationslager" einrichten. Dort wurden zur Abschiebung vorgesehene „Ostjuden" interniert.³ Nationalsozialistische Konzentrationslager in Europa Zunächst wurde von nationalsozialistischen Funktionären die Abkürzung KL für Konzentrationslager verwendet. Nach Eugen Kogon (Der SS-Staat) gaben SS-Wachmannschaften dann der Abkürzung KZ wegen ihres härteren Klanges den Vorzug. Man kann die Entwicklung der nationalsozialistischen Konzentrationslager in vier zeitlich zu trennende Phasen einteilen (1933–1935, 1936–1938, 1939–1941 und 1942–1945). Diese lassen sich durch die Gruppen der Inhaftierten, den Haftzweck, die Art der Durchführung und die Haftfolgen beschreiben. Stand in der ersten Phase die Einschüchterung und Verfolgung politischer und gesellschaftlicher Gegner der NSDAP im Vordergrund, wurde schließlich die massenhafte Ermordung jüdischer Bürger in ganz Europa (Shoah) zum Hauptziel. Page 304
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1933 bis 1935 Während der ersten Phase in den frühen Jahren der NS-Diktatur bis zum Frühsommer 1934 begannen der NSDAP nahestehende Organisationen, vor allem die Sturmabteilung (SA) damit, überall in Deutschland zusätzlich zu staatlichen Gefängnissen größere oder kleinere Inhaftierungsstätten aufzubauen. Im thüringischen Nohra wurde am 3. März 1933 in einer Militärschule das erste Konzentrationslager des Dritten Reiches eingerichtet.4 Am 13. März 1933 veranlasste der Münchner kommissarische Polizeipräsident Heinrich Himmler die Errichtung des Konzentrationslagers Dachau (bei München).5 Am 21. März 1933 wurde dann mit dem KZ Oranienburg (nördlich von Berlin) das erste der SA unterstehende Konzentrationslager eingerichtet.6 Die frühen KZs ähnelten zum Teil Gefängnissen, zumeist bestanden sie aber in improvisierten Folterstätten in Scheunen, Kneipen, Kellern oder anderen Liegenschaften, die von der SA „übernommen" worden waren. Hier wurden politische Gegner des Regimes außerhalb des normalen Rechtssystems in „Schutzhaft" genommen und misshandelt. Anfangs waren sie verschiedenen Institutionen unterstellt, unter anderem der zur Hilfspolizei ernannten SA, den verschiedenen nationalsozialistischen Polizeichefs und der SS.7 Im März 1933 waren in solchen regulären und wilden KZs über 100.000 Menschen inhaftiert und der Willkür ihrer Bewacher Page 305
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ausgesetzt, im Sommer 1933 waren es noch 26.000 Menschen.8 Seit Mai 1933 wurden diese so genannten „wilden KZs" in Preußen verstaatlicht und dem neu gegründeten Gestapa unter Rudolf Diels unterstellt.? Spätestens mit der Entmachtung der SA im so genannten Röhm-Putsch 1934 unterstanden alle Konzentrationslager der SS; Theodor Eicke wurde ihr Inspekteur. Auf ihn ging die räumliche Bauweise und die fast überall gleich geltende Lagerordnung zurück. Die Konzentrationslager wurden zum rechtsfreien Raum und waren von der Außenwelt abgeschirmt. Selbst die Feuerwehr durfte das Gelände nicht betreten, zum Beispiel um etwa die Einhaltung feuerpolizeilicher Vorschriften zu prüfen.¹° Im Sommer 1935 war die Herrschaft des Regimes gesichert und in den Lagern des Reichsgebietes befanden sich noch zirka 4.000 Häftlinge.¹¹ 1936 bis 1938 Die zweite Phase begann 1936 und dauerte bis 1938. In dieser Zeit stieg die Anzahl der Häftlinge an und ihre Zusammensetzung änderte sich grundlegend. Während in der ersten Phase noch hauptsächlich politische Gegner des Regimes inhaftiert waren, wurde in der zweiten Phase damit begonnen, diejenigen zu inhaftieren, die nicht dem nationalsozialistischen Bild der Volksgemeinschaft entsprachen: vor allem „Asoziale", „Arbeitsscheue", mehrfach Vorbestrafte, Homosexuelle und Zeugen Page 306
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Jehovas, die in den Lagern als „Bibelforscher" gekennzeichnet wurden. Nach dem Anschluss Österreichs stieg auch die Zahl der „politischen Schutzhäftlinge" auf etwa 7.000 an.¹² In dieser zweiten Phase wurden auch die Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald gebaut, die schon ein Zeichen des drohenden Krieges und damit verbundenen steigenden Häftlingszahlen waren. Das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde nach seinem Bau auch zum Zentrum der Konzentrationslager (Sitz des IKL). Im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich" wurden im April und Juni 1938 bei zwei Verhaftungswellen über 10.000 Personen als sogenannte Asoziale in Konzentrationslager verschleppt. Während der Novemberpogrome 1938 wurden 26.000 Juden inhaftiert, um sie zur Emigration zu zwingen und ihr Vermögen zu arisieren.¹³ Ende 1938 wurden fast 60.000 Menschen in Konzentrationslagern festgehalten.¹4 1939 bis 1941 Zur weiteren Entwicklung der Konzentrationslager in der dritten Phase, die nach Beginn des Polenfeldzugs bis Mitte 1941 bzw. Anfang 1942 andauerte, trugen mehrere Faktoren bei. Die Häftlinge wurden in SS-Produktionsstätten wie Steinbrüchen und Ziegeleien eingesetzt. Nach einer Inhaftierungswelle in Deutschland stiegen die Häftlingszahlen, die vor Kriegsbeginn auf 21.000 Page 307
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gesunken waren,¹4 rapide an und verdoppelten sich binnen kürzester Zeit. Ende 1940 befanden sich 53.000 Häftlinge in deutschen Konzentrationslagern.¹5 Zudem veränderte sich wieder die Zusammensetzung der Häftlinge. Waren es am Anfang vor allem noch Deutsche, so kamen mit Beginn des Krieges vor allem Menschen aus den von Deutschland eroberten Gebieten, also Zivilpersonen aus Polen, Frankreich, Tschechien, Jugoslawien, den Niederlanden, Belgien und Soldaten der Sowjetunion. Unter diesen Häftlingen waren viele Juden, Roma und Sinti. Auch in den eroberten Gebieten wurden viele neue Lager errichtet; bald waren mehr Häftlinge in diesen Lagern eingesperrt als im Reichsgebiet (Deutschland und Österreich). Mit Beginn der dritten Phase wurden die Konzentrationslager in drei Kategorien eingeteilt, welche die Härte der Behandlung und die Lebensbedingungen der Häftlinge anzeigten. Die Sterblichkeitsrate unter den Häftlingen vervielfachte sich in der dritten Phase: So in Dachau von 4 % auf 36 % im Jahre 1942; in Buchenwald von 10 % auf 19 % im Jahr 1941.¹6 1942 bis 1945 Die vierte Phase begann etwa Anfang 1942 und endete 1945. Sie war vor allem durch die massive Judenverfolgung und durch den Krieg gegen die Sowjetunion gekennzeichnet. In dieser letzten Phase lag die Verwaltung der Page 308
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslager beim SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) unter der Leitung von Oswald Pohl. Bedeutsamer als die Produktion in KZ-eigenen Betrieben wurde der Häftlingseinsatz in Privatunternehmen, so dass mehrere Tausend KZ-Außenlager entstanden. Die Anzahl der KZ-Häftlinge erreichte im August 1943 bereits 224.000, stieg im August 1944 auf 524.286 und lag kurz vor Kriegsende, im Januar 1945, bei 714.211 Menschen. Die Gefangenen kamen aus allen Teilen Europas. Deutsche und Österreicher umfassten am Ende des Krieges nur noch etwa 5–10 % der Häftlinge.¹7 Beim Ausbau von Stollen oder beim Arbeitseinsatz in unterirdischen Produktionsstätten starben zahlreiche Häftlinge schon binnen weniger Wochen. In der Endphase des Krieges ab Dezember 1944 kamen vermutlich 240.000 Häftlinge zu Tode.¹8 Zu der hohen Todesrate kam es durch Mangelernährung, unzureichende Bekleidung und Schwerstarbeit, durch Strapazen und Morde bei den Todesmärschen zur Räumung von Lagern, durch Fliegerangriffe und Seuchen. Auch nach der Befreiung starben trotz der „in vorbildlicher Weise" anlaufenden Versorgung durch das Sanitätspersonal noch tausende Häftlinge in den Lagern¹? an den Krankheiten, der Unterernährung oder dem Refeeding-Syndrom. Die Anzahl der Häftlinge, die für Wochen oder Jahre in einem der Konzentrationslager eingesperrt waren, wird Page 309
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt insgesamt auf zweieinhalb bis drei Millionen Menschen geschätzt.²° Die KZ-Systeme im Deutschen Reich und in den besetzten Ländern Insgesamt gab es unter der Inspektion der Konzentrationslager 24 KZ-Stammlager, denen zuletzt weit über 1.000 Außenlager, zum Teil unter der Bezeichnung „Außenkommando, -lager, Nebenlager", organisatorisch unterstellt waren. Eine entsprechende Auflistung wurde 1977 und 1982 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.²¹ In den Folgejahren wurden weitere Haftstätten, die nominell nicht in das System der NS-Konzentrationslager gehörten, nach den gesetzlichen Vorgaben ebenfalls als Lager eingestuft, so dass die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" von insgesamt 3.846 Lagern ausgeht.²² Experten des Holocaust Memorial Museums in Washington berechneten insgesamt rund 42.500 NS-Lager, einschließlich Außen-, Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager, sogenannte Ghettos und Judenhäuser, Zwangsbordelle sowie Heime für Euthanasieopfer.²³ ²4 Die Stammlager waren im Deutschen Reich die Konzentrationslager Arbeitsdorf (bei Wolfsburg), Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Groß-Rosen, Hinzert, Dora-Mittelbau (bei Nordhausen), KZ Mauthausen, Neuengamme, Ravensbrück, Sachsenhausen, Niederhagen-Wewelsburg und Stutthof, auf besetztem polnischem Gebiet Auschwitz I Stammlager, Page 310
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Auschwitz-Monowitz, Majdanek, Warschau und Plaszow, in Estland Waiwara, in Litauen Kauen, in Lettland Riga-Kaiserwald, in Frankreich (im annektierten Elsass) Natzweiler-Struthof sowie in den Niederlanden Herzogenbusch. Waren die Häftlinge als Arbeitskräfte nicht bzw. nicht mehr einsetzbar, wurden sie im KZ umgebracht oder in eines der sieben Vernichtungslager deportiert. „Außenkommandos" waren ansonsten Arbeitsstellen, zu denen die Gefangenen während der jeweiligen Arbeitstage vom KZ aus hinmarschieren mussten und danach dorthin auch wieder zurückkehrten. Diesem System waren Durchgangslager und Sammellager vorgeschaltet. Sammellager waren vom übrigen Ort abgetrennte Stadtteile, die sehr oft als „Jüdischer Wohnbezirk" bezeichnet wurden. Allein in Osteuropa richtete die SS etwa 600 seinerzeit so genannte „Ghettos" ein, in denen zwischenzeitlich mindestens vier Millionen Menschen interniert worden sind. Diese „Wohnbezirke" wurden von der SS meist von Anfang an nur für Einsatz im Rahmen der beabsichtigten Endlösung / Judenvernichtung eingerichtet. Sie dienten insbesondere als Pufferstation für die nicht immer zur Verfügung stehenden Transportkapazitäten der Reichsbahn. Überblick: Liste der KZ und ihrer Außenlager - Liste der Konzentrationslager des Deutschen Reichs - Listen von KZ-Außenlagern: Page 311
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt + Liste der Außenlager des KZ Auschwitz I (Stammlager) + Liste der Außenlager des KZ Buchenwald + Liste der Außenlager des KZ Dachau + Liste der Außenlager des KZ Flossenbürg + Liste der Außenlager des KZ Groß-Rosen + Liste der Außenlager des KZ Hinzert + Liste der Außenlager des KZ Majdanek + Liste der Außenlager des KZ Mauthausen + Liste der Außenlager des KZ Mittelbau + Liste der Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof + Liste der Außenlager des KZ Neuengamme + Liste der Außenlager des KZ Riga-Kaiserwald + Liste der Außenlager des KZ Sachsenhausen + Liste der Außenlager des KZ Stutthof Funktion der KZ Zwangsarbeit Die Inspektion der Konzentrationslager (IKL) war die zentrale Verwaltungsund Führungsbehörde innerhalb des SS-WVHA für alle nationalsozialistischen Konzentrationslager (s. u.). Im Unterschied zu Arbeitslagern des allgemeinen historischen Typus diente im nationalsozialistischen Deutschland die Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge in erster Linie der Vernichtung (insbesondere als „Endlösung") von verfolgten Bevölkerungsgruppen durch die Zwangsarbeit. Die Zustände, unter denen Menschen in Arbeitslagern interniert wurden, waren in dem von der IKL zentral bestimmten Rahmen von der jeweiligen Lagerkommandantur abhängig. Menschen, die keine Arbeit mehr leisten konnten, wurden, soweit Page 312
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sie nicht an den unmenschlichen Bedingungen oder der Willkür des Lagerpersonals zugrunde gingen, ermordet. Diejenigen Kranken, die nicht in voraussichtlich vier Wochen wieder arbeitsfähig waren, wurden vom medizinischen Personal mit Phenol oder anderen Mitteln zu Tode gespritzt oder in Sammeltransporten in die Vernichtungslager geschickt (Selektion). In den Arbeitslagern überlebten viele Gefangene nur kurze Zeit. Im Verlauf des Krieges erlangten die Arbeitslager zum Teil eine kriegswichtige Funktion, die zu dem Vernichtungsziel in einem partiellen Gegensatz stand. Die Lager waren Produktionsstätten der SS, zunächst zur Gewinnung von Natur- und Ziegelsteinen, später in vielen anderen Bereichen. Außerdem wurden Arbeitskräfte an die Rüstungsindustrie ausgeliehen. Der bekannteste Fall betrifft die I.G. Farben, die auf dem Gelände der Buna-Werke ein eigenes Zweigwerk in Auschwitz, das KZ Auschwitz III Monowitz, erstellen ließ. Praktisch die gesamte Großindustrie machte von solchen Zwangsarbeitern Gebrauch. Frauenlager In der Regel waren die KZ strikt nach Geschlechtern getrennt. Die meisten der Konzentrationslager waren Männerlager. Das KZ Moringen und KZ Lichtenburg waren zeitweise Frauenlager, danach das KZ Ravensbrück dann durchgehend ein Frauenlager. Frauen als Gestapo-Häftlinge wurden sehr oft Page 313
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in regulären Haftanstalten eingesperrt.²5 Nur in wenigen Konzentrationslagern gab es zeitweise oder durchgehend sowohl ein Männerals auch ein Frauenlager, wie im KZ Auschwitz-Birkenau. Dies hing wahrscheinlich mit dem vor Ort geplanten Arbeitseinsatz der Gefangenen zusammen.²6 Die männlichen und weiblichen KZ-Häftlinge wurden im gesamten Tagesablauf seitens der SS getrennt eingesetzt. Der Anteil der Frauen unter den KZ-Häftlingen stieg von 11,7 % (1939) auf 28 % im Januar 1945.²7 Jugend-Haftstätten ? Hauptartikel: Jugendkonzentrationslager Jugend-Haftstätten wurden zur Zeit des Nationalsozialismus euphemistisch als „Jugendschutzlager" oder „Jugendverwahrlager" bezeichnet. Sie glichen in gewisser Weise den Konzentrationslagern, da die Nationalsozialisten diese Jugendhaftorte zur Internierung und systematischen Umerziehung widerständiger, „schwer erziehbarer" oder nonkonformistischer Jugendlicher und auch Kinder aus ganz Europa nutzten: KZ Moringen (offiziell „Polizeiliches Jugendschutzlager"; Juni 1940; bei Göttingen) für Jungen, das KZ Uckermark (seit Juni 1942 in unmittelbarer Nähe des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück in Mecklenburg) für Mädchen und junge Frauen und das Lager im Ghetto Litzmannstadt (Lódz, offiziell: „Polenjugendverwahrlager") mit insgesamt drei Außenlagern. Die Page 314
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gefangenenkapazität betrug dort mindestens 3.000 heranwachsende Personen. Diese Lager unterstanden dem Reichssicherheitshauptamt und dienten offiziell der „Jugendfürsorge". Die Jugendlichen wurden zum Teil durch Robert Ritters „Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle" nach „rassischen" bzw. „kriminalbiologischen" Merkmalen und auf ihre „Entwicklungs- oder Erziehungsfähigkeit" begutachtet. Weiterhin gab es sogenannte „Ausländerkinderpflegestätten" für neugeborene Kinder von Zwangsarbeiterinnen, in denen unmenschliche Bedingungen herrschten. Direkt im KZ Litzmannstadt wurden mindestens 500 Jugendliche ermordet. Das KZ Uckermark wurde im Januar 1945 in der Endphase des Kriegs zu einem Todeslager für Erwachsene. Kinder und Jugendliche wurden auch in fast allen anderen Konzentrationslagern eingesperrt und ermordet. Vernichtungslager ? Hauptartikel: Vernichtungslager (vgl. auch den Artikel zum Begriff Aktion Reinhardt) Vernichtungs- oder Todeslager wurden zu dem einzigen Zweck errichtet, Juden, Roma und Sinti und auch andere Minderheiten, wie politisch Andersdenkende, Homosexuelle und sowohl psychisch Page 315
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt als auch physisch Kranke, zunächst mit Hilfe von Gaswagen, später vor allem in Gaskammern, massenhaft zu ermorden. Der nationalsozialistische Mordapparat konzentrierte sich dabei auf Juden. Andere Gruppen, insbesondere sowjetische Kriegsgefangene, zählten ebenfalls zu den Opfern und wurden teilweise dort ermordet. Lager dieses Typs wurden zwischen Dezember 1941 und Juli 1942 im besetzten Polen in Chelmno im sogenannten Wartheland bei Lódz, Belzec bei Lublin, Sobibor und Treblinka im sogenannten Generalgouvernement, sowie Maly Trostinez in Weißrussland errichtet. Etwas anders war die Entstehungsgeschichte der Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (bei Kraków) und Majdanek (ebenfalls bei Lublin). In beiden Konzentrationslagern wurden erst nach ihrer Inbetriebnahme zusätzlich Gaskammern zur Perfektion des Massenmords an den Juden eingerichtet. Auch Auschwitz-Birkenau und Majdanek werden wegen der ungeheuren Opferzahlen zu den Vernichtungslagern gezählt. Anders als die erstgenannten Vernichtungslager funktionierten sie für die SS durch die dort gleichzeitig praktizierte Vernichtung durch Arbeit ebenfalls als Konzentrationslager im sonst bei den Nationalsozialisten üblichen Sinn. Das Gebiet der Auschwitz-KZ wurde annektiert und zählte während der Besetzung als Reichsgebiet. Alle diese Vernichtungslager unterscheiden sich von den anderen Page 316
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslagern durch die enorme Zahl jüdischer Opfer (unabhängig von der jeweiligen Nationalität). Durchgangslager Die Durchgangslager lagen in der Regel an den Bahnlinien, die direkt zu „Todeslagern" führten. Organisatorisch waren einige Konzentrationslager direkt mit dem Betrieb der Vernichtungslager verknüpft. Insbesondere in besetzten Ländern ohne eigene Vernichtungslager, wie Frankreich, Italien, Niederlande und Griechenland dienten diese „Zwischenlager" vor allem dem Zusammenstellen von Transporten mit jeweils etwa 1.000 Gefangenen. Das war die Zahl, die von der SS als „Richtgröße für Todestransporte" angestrebt wurde, um die Vernichtungslager mit gleichmäßig großen Mengen an Opfern versorgen zu können. Im Unterschied dazu waren Konzentrationslager bestrebt, eine hohe Kontinuität in der Zusammensetzung ihrer Zwangsarbeiter zu erreichen. Dies schloss nicht aus, Häftlinge zur Ermordung an die Todeslager, zum Beispiel wegen Krankheit oder Kräfteverlust, auszusortieren („Selektion"). Dies konnte regelmäßig geschehen, zur Anpassung an neue Häftlings-Richtwerte („Belegung") oder im Rahmen von befohlenen „Aktionen". Auch wenn die Tötung nicht Zweck der Durchgangslager war und nicht systematisch betrieben wurde, starben dennoch schon dort zahlreiche Gefangene an Misshandlungen oder den Transportund Haftbedingungen. Page 317
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Liste von Durchgangslagern -
Durchgangslager Amersfoort Durchgangslager Bietigheim Durchgangslager Bozen Durchgangslager Fossoli Gefängnis Festung Hohenasperg, bei Stuttgart Durchgangslager Westerbork
Sammellager und Ghettos ? Hauptartikel: Liste der Ghettos in der Zeit des Nationalsozialismus Es gab zahlreiche Sammellager für Juden, die oft jüdischer Wohnbezirk oder, besonders in der Nachkriegszeit, Ghettos genannt wurden. Das Wort Wohnbezirk oder Ghetto wurde einzig aus Tarngründen verwendet, denn eine längere Überlebenszeit der dort gefangen gehaltenen Personen war von den Verantwortlichen nie beabsichtigt. Sie hatten organisatorisch den Vorteil, dass keine Züge, Wagenmaterial und Personal beim Warten auf Vernichtungskapazitäten durch die darin gefangenen Opfer blockiert wurden. Die Sammellager der Endlösungs-Aktion Reinhardt hatten einzig die Funktion, Transporte auf dem Weg in die Vernichtungslager so lange aufzunehmen, bis wieder Vernichtungskapazitäten in den Todes-/Vernichtungslagern zu ihrer fabrikmäßigen Ermordung und der Beseitigung der Leichen frei waren.²8 Organisation Verwaltung durch die SS Page 318
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ? Hauptartikel: Amtsgruppe D Die Inspektion der Konzentrationslager, d. h. die Verwaltung des KZ-Systems, wurde 1942 in das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (SS-WVHA) als Amtsgruppe D eingegliedert. Die KZ der SS waren nicht in staatliche Hierarchien eingebunden. Dadurch konnte die SS erbrachte Leistungen ihrer „Wirtschaftsbetriebe" in Rechnungen stellen, z. B. für Häftlingszwangsarbeit in KZ-Außenlagern. Interne Organisation der Lager Alle SS-Angehörigen zur Bewachung der Lager gliederten sich nach Aufgaben und Zuständigkeitsverteilung in fünf (andere Angabe: sechs) Bereiche: - Lagerkommandant, Adjutant als Leiter der Kommandantur mit Personalverwaltung, Waffenkammer und der Postzensurstelle. Hier lag auch die Kommandogewalt über die beim oder im Lager kasernierten Wachmannschaften. Darunter die anderen Abteilungen - Politische Abteilung und der Erkennungsdienst. Zuständigkeiten: Registrierung von Neuzugängen, Entlassungen, Verlegungen, Tod oder Flucht der Häftlinge, deren Vernehmung, Führung der Häftlingskartei. Leiter war immer ein Beamter der Geheimen Staatspolizei oder der Kriminalpolizei - Schutzhaftlagerführer und Adjutant. Zuständigkeiten: der „Betrieb" des Page 319
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Lagers im Sinne aller Befehle zur inneren Ordnung, Tagesablauf, Appelle etc. - Verwaltung; dazu gehörten die örtliche Bauleitung, Wirtschaftslager und evtl. SS-Landwirtschaft. - Sanitätswesen unter dem Standortarzt / Ersten Lagerarzt mit dem Krankenrevier für SS-Angehörige, evtl. der Apotheke und der Zuständigkeit für den Krankenblock - Abteilung VI: Fürsorge, Schulung und Truppenbetreuung der SS (nicht in jedem KZ als Abteilung vorhanden) Hierarchie der Bewachung Die Rapportführer, der Arbeitseinsatzführer und in Frauenlagern evtl. die Oberaufseherin unterstanden dem Schutzhaftlagerführer. Sie waren für die Ordnung im ganzen Lager und die Zuteilung der Häftlinge in Außenkommandos zuständig. Sie standen dabei den Blockführern vor, die jeweils einen oder wenige Blocks beaufsichtigten, für die sie gegenüber der Lagerleitung verantwortlich waren. Die Blockführer bestimmten die Zusammensetzung der Arbeitskommandos sowie die jeweiligen Blockältesten und Stubenältesten aus den Reihen der Häftlinge. Teile-und-Herrsche-Strategie Bei einer weiteren, Teile-und-Herrsche-Strategie genannten Führungsmethode wurden Funktionshäftlinge quasi als Hilfspolizei eingesetzt (siehe Kapo). Ein Kapo musste im Auftrag der SS die Arbeit der Häftlinge anleiten und Page 320
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurde für die Ergebnisse verantwortlich gemacht. Bei „erfolgreich" ausgeführtem „Auftrag" wurden sie mit „besonderen" Vergünstigungen, zum Beispiel Alkohol, besseren Essensrationen belohnt. Der Tagesablauf Der Tagesablauf für die Gefangenen war in den meisten Konzentrationslagern davon geprägt, dass ihre Arbeitskraft von Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit genutzt werden sollte. Hier ein Beispiel aus dem Konzentrationslager Flossenbürg bei Weiden.²? Es gab Konzentrationslager, in denen die Gefangenen in zwei gegenläufigen Schichten rund um die Uhr arbeiten mussten und abwechselnd in denselben Betten schliefen (Beispiel KZ Neckarelz). Häftlingsnummer, Verlust der Identität ? Hauptartikel: Kennzeichnung der Häftlinge in den Konzentrationslagern Bei der Aufnahme in ein KZ wurde den Häftlingen das Kopfhaar geschoren und die Privatkleidung abgenommen. Anstelle ihres Namens erhielten sie eine Häftlingsnummer. In einem Lagerbereich des KZ Auschwitz wurde diese auch eintätowiert. Dies geschah jedoch nicht bei jenen, die unverzüglich nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in die Gaskammern geschickt wurden. Page 321
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Wenn man es mit einem SS-Mann zu tun hatte, musste man als erstes die Mütze herunterreißen, und seine Nummer laut und deutlich, natürlich auf deutsch, angeben. Ich beginne zu begreifen, welches Glück im Unglück ich habe, fließend Deutsch zu sprechen. Die meisten griechischen und italienischen Juden verstehen keinen Befehl und können nicht einmal ihre Nummer aussprechen. Natürlich können sie auch keine deutschen Lieder singen, die wir, wie zum Hohn, beim Hin- und Rückmarsch von der Arbeit auch noch zum Besten geben müssen. Das ist ausreichend, um brutal geschlagen, manchmal auch totgeschlagen zu werden."³° Zählappelle ? Hauptartikel: Appellplatz Bei den täglichen Zählappellen auf dem Appellplatz kontrollierte die SS die Vollständigkeit der Gefangenen. Fehlten beim Appell Häftlinge, dann wurde Alarm wegen eines Fluchtversuchs ausgelöst. Die äußere Postenkette wurde dann nicht zurückgezogen, um eine Flucht in die Umgebung zu verhindern. Erst bei Vollständigkeit stand nachts die Postenkette nur noch um den inneren Lagerbereich. Die Appelle wurden auch als Kollektivstrafe für die Häftlinge eingesetzt. Arbeitskommandos der Häftlinge ? Hauptartikel: KZ-Kommando Siehe auch: NS-Zwangsarbeit Page 322
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Als Arbeitskommando oder KZ-Kommando bezeichnete die SS jene Gruppen, die zu verschiedenen Arbeiten eingeteilt wurden. Als Beispiele für den täglichen Arbeitseinsatz der KZ-Häftlinge wird hier eine Aufzählung der internen und externen Arbeitskommandos aus dem KZ Gusen I wiedergegeben: - I. Tätigkeiten für Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (SS-Betrieb): + Kommando Steinbruch Gusen, Kastenhof und Pierbauer (1940–1945): 2.800 Häftlinge + Kommando Ziegelwerk Lungitz + Kommando Rüstung Wien (1943): 300 Häftlinge + Kommando Rüstung Messerschmitt (BA II) (1943–1945): 6.000 Häftlinge + Kommando Rüstung Steyr-Daimler-Puch AG (Georgenmühle) (1942–1945): 6.500 Häftlinge + Kommando Siedlungsbau St. Georgen (1940–1942): etwa 300 Häftlinge + Kommando Gusenregulierung (1941): etwa 150 Häftlinge + Kommando Straßenbau + Kommando Gleisbau - II. für die Bauleitung der Waffen-SS und Deutschen Polizei Gusen bei St. Georgen a.d. Gusen: + Kommando Bauleitung + Kommando Entwässerung + Kommando Holzplatz + Kommando Bahnbau (1941–1943) + Kommando Donauhafen (1942–1943) - III. für die SS-Lagerverwaltungsführung (interne Arbeitskommandos): + Lager-Kommando (1940–1945): etwa 400 Häftlinge Page 323
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt + Kommando Barackenbau (1940–1944): etwa 100 Häftlinge - IV. für sonstige Auftraggeber: + Kommando Bombensucher bzw. Kommando Blindgänger (1944–1945) Die KZ-Häftlinge hatten von Beginn an Zwangsarbeit zu leisten, die SS wollte unter anderem sogenannte „Arbeitsscheue" erziehen. Häftlinge sollten nicht unbeschäftigt in KZ-Haft sein. Der SS-Betrieb, das jeweilige KZ, sollte wirtschaftlichen Nutzen bringen. Vor allem in späteren Jahren steigerte sich die Zwangsarbeit auch zur Vernichtung durch Arbeit. Die Einteilung zu einem leichteren oder körperlich schweren Kommando beeinflusste die Überlebenschancen der Häftlinge.³¹ Ein Kommando innerhalb eines Gebäudes, beispielsweise handwerkliche Arbeiten, war für Häftlinge erträglicher als Kommandos, die im Winter bei eisigen Temperaturen unter freiem Himmel stattfanden. Einige Arbeitskommandos wurden gezwungen sich am Mordvorgang oder bei der Beseitigung von Leichen zu beteiligen. So gab es beispielsweise im KZ Dachau ab 1940 ein Arbeitskommando Krematorium. Es wurde getrennt untergebracht und durfte keinen Kontakt zu anderen Häftlingen haben. Das Sonderkommando KZ Auschwitz-Birkenau hatte ähnliche Aufgaben. Manche Außenkommandos entwickelten sich zu neuen, eigenständigen KZ, beispielsweise das KZ Mauthausen, das KZ Page 324
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Niederhagen und das KZ Mittelbau-Dora. „Lagerszpracha" – eine Sprache der Gefangenen in den KZ Eine Besonderheit ist der Sprachgebrauch der Gefangenen in den Konzentrationslagern neben ihrer jeweiligen Muttersprache. In fast jedem KZ gab es als Opfer Angehörige von vielen bis zu 40 verschiedenen Völkern oder Volksgruppen. Jeder Gefangene brachte an diesen Ort seine eigene Muttersprache oder Nationalsprache mit. Mit den Bewachern musste jeder in der offiziellen Lagersprache Deutsch sprechen. Auch Gefangenenpost durfte nur in deutscher Sprache geschrieben werden. Um überleben zu können, musste ein Häftling wenigstens die allereinfachsten Befehle und Antworten auf Deutsch verstehen und sprechen können. Untereinander behalfen sich die Gefangenen mit einem multinationalen Sprachgemisch, das sich zum Teil zu einer deutsch-basierten Kreolsprache entwickelte. Sie bestand aus Schlüsselwörtern und sehr oft aus ergänzenden nonverbalen Zeichen.³² ³³ Um 1985 hat Wolf Oschlies vorgeschlagen, dafür den im KZ bereits zum Teil benutzten Begriff „Lagerszpracha" generell zu verwenden.³4 Medizinische Experimente ? Hauptartikel: Nürnberger Ärzteprozess Durch die Wehrmacht, die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe, die Page 325
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutsche Forschungsgemeinschaft, diverse Universitäten und die Pharmaindustrie wurden Menschenversuche finanziell, personell und mit Geräten gefördert. An als Probanden ausgewählten KZ-Häftlingen wurden von Ärzten und Ärzten der Wehrmacht (unterstützt von zwangsrekrutierten Funktionshäftlingen mit teilweise pflegerischer oder ärztlicher Ausbildung) medizinische Experimente vorgenommen, in deren Verlauf die Häftlinge meist qualvoll starben. Die überlebenden Versuchspersonen und das involvierte Personal wurden mitunter wie im Fall Bullenhuser Damm zur Vertuschung getötet. Bekannt sind Fleckfieberversuche,Malaria- und TBC-Versuche, Operationsversuche bei denen den Probanden verschmutzte Schuss-, Explosions- oder Brandbombenverletzungen zugefügt wurden. In Dachau erfolgten Salzwasserversuche und in Natzweiler-Struthof wurde mit chemischen Kampfstoffen in der Gaskammer experimentiert.³5 Der Nürnberger Ärzteprozess fand vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 vor dem Ersten Amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg statt. Angeklagt war unter anderem der Abteilungsleiter für Tropenmedizin am Robert-Koch-Institut in Berlin, Gerhard Rose, für die Fleckfieberversuche an „Zigeunern" in Buchenwald.³6 Weiterhin wurde der SS-Hauptsturmführer Waldemar Hoven, Lagerarzt im KZ Buchenwald, angeklagt. Quellengrundlage für die Experimente in Page 326
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Buchenwald sind das Stationstagebuch des SS-Hauptsturmführers Erwin Ding-Schuler, Aussagen von europäischen Medizinern, die im KZ inhaftiert waren, sowie Häftlingen wie dem österreichischen Soziologen und Philosophen Eugen Kogon, der 1946 unter dem Titel Der SS-Staat über das Leben in Buchenwald berichtete. Die Publikation der vollständigen Dokumentation, der Wortprotokolle, des Anklage- und Verteidigungsmaterials erfolgte erst 1999 durch den Saur-Verlag München. Die Analyse dazu lieferte 2001 Angelika Ebbinghaus/Klaus Dörner (Hg.): Vernichten und Heilen. Der Nürnberger Ärzteprozess und seine Folgen. Die Bundesärztekammer weigerte sich, diese Edition finanziell zu unterstützen. Erst Einzelspenden von 8000 Ärzten ermöglichten sie. Todesarten der KZ-Häftlinge Die Todesursachen der Häftlinge wurden im Aktenverkehr der NS-Organe zum Zweck der Geheimhaltung häufig chiffriert. Als Kürzel wurden die Aktenzeichen verwendet, unter denen der Aktenvorgang bei der übergeordneten Inspektion der Konzentrationslager (IKL) bearbeitet wurde. Folgende Chiffre-Formen wurden verwendet: - 14 f 1 – „natürliche Todesfälle" - 14 f 2 – „Freitod oder Tod durch Unglücksfall" - 14 f 3 – „Erschießung auf der Flucht" (vgl. sogenannte Postenpflicht der Wachposten) Page 327
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - 14 f I – „Exekution" - 14 f 13 – „Sonderbehandlung kranker und gebrechlicher Häftlinge" (siehe auch: Aktion 14f13, mit dem Tarnbegriff Sonderbehandlung war in der Regel die Ermordung (zum Beispiel durch Vergasen oder mittels Giftspritze) gemeint). Diese Morde fanden zum Teil in den Euthanasie-Tötungsanstalten statt. An die KZ waren zum Teil separate Standesämter angeschlossen, die auf Grund gefälschter ärztlicher Bescheinigungen der SS-Ärzte Totenscheine und Todesbenachrichtigungen erstellt haben. Die darin genannten Todesursachen hatten in der Regel keinen Zusammenhang mit der individuellen Todesursache. (Hinweis auf die spätere Beurkundung der Sterbefälle von Häftlingen der ehemaligen deutschen Konzentrationslager in der Nachkriegszeit; dafür ist laut § 38 des Personenstandsgesetzes i.d.F. von 2007³7 ausschließlich der Standesbeamte des Sonderstandesamtes in Bad Arolsen zuständig.) Bestrafungen, Lagerstrafen - Siehe dazu: Das offizielle Vorgehen bei Lagerstrafen, laut IKL Eine der ersten Verfügungen Himmlers zur Abschottung der Konzentrationslager von der Umwelt war die Bevollmächtigung der Kommandanten als Gerichtsherr. Vorausgegangen war eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung von Page 328
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Todesfällen im KZ Dachau. Nun konnten die KZ-Kommandanten über die meisten Bestrafungen selbst entscheiden. In bestimmten Fällen hatten sie die Weisung der IKL einzuholen. Der so genannte „Bunker" war die SS-Bezeichnung des Gefängnisses im KZ. Meistens wurde Haft in Form von Einzelhaft angeordnet, sehr oft ohne Nahrung. Zum Teil ohne Licht und in sog. Stehzellen, in denen Sitzen oder Liegen unmöglich war. Der „Bunker" wurde von der SS, bzw. der Lager-Gestapo oft als schallgedämpfter Ort für Folterungen benutzt. Der Ausdruck Bunker für Gefängnis kommt aus der Soldatensprache für das Militärgefängnis. Befreiung von Überlebenden Beim Vormarsch ihrer Truppen machten die Alliierten an den Fronten zu ganz verschiedenen Zeitpunkten die Erfahrung, wozu der Judenhass und die verbrecherischen Fähigkeiten der Nationalsozialisten beim Umgang mit der eigenen Zivilbevölkerung in der Lage waren: 1944 - Am 23. Juli 1944 befreit die Rote Armee das KZ Majdanek als erstes der großen Vernichtungslager in Polen. Wie bei allen folgenden Lagern sterben noch in den nächsten Wochen zu Skeletten abgemagerte Überlebende an den Folgen der Mangelernährung und dort erworbener Krankheiten. Im August 1944 gelangen westliche Journalisten zu Page 329
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt einer Besichtigung in das von der SS hastig geräumte Vernichtungslager Majdanek. Daraufhin wurden Darstellungen des Massenmords auf die Titelseiten US-amerikanischer Zeitungen und in US-Zeitschriften gesetzt (Life-Magazin 28. August und New York Times 30. August 1944). Nur wenige der SS-Wachen konnten direkt festgenommen werden. Der Großteil entkam vorher. Vereinzelt kam es durch befreite Häftlinge, aber auch durch Truppenteile der Alliierten zu Racheakten an den Festgenommenen. 1945 (hier nur wenige Eckdaten als Beispiel) - 27. Januar: Zuerst wurde das KZ Auschwitz-Monowitz am Vormittag durch sowjetische Truppen (322. Infanteriedivision der 60. Armee der I. Ukrainischen Front) befreit. - Das Stammlager Auschwitz I und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden – auch durch die Soldaten der 322. Division – am frühen Nachmittag des 27. Januar befreit.³8 In Birkenau waren bei der Räumung (Todesmarsch) fast 5.800 entkräftete und kranke Häftlinge, die meisten waren Frauen, unversorgt zurückgeblieben. - 7. April: erstmals von Truppen der 1. Französischen Armee wird ein KZ befreit, das KZ Wiesengrund bei Heilbronn. - 11. April: Konzentrationslager Buchenwald; die Leitung der Lagerwiderstandsbewegung setzte am 8. April 1945 über einen heimlich installierten Sender einen Hilferuf an die nahen amerikanischen Truppen Page 330
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ab. Die Amerikaner rieten zur Ruhe bis zur Befreiung. Am 11. April 1945 kam es zu Frontkämpfen in unmittelbarer Nähe des Lagers. Um etwa 14.30 Uhr erreichte ein Vortrupp der 6. Panzerdivision der 3. US-Armee den SS-Bereich des Konzentrationslagers. - Am 12. April wurde das KZ Westerbork in den Niederlanden von kanadischen Soldaten befreit. - Am 15. April erfolgte die Übergabe des KZ Bergen-Belsen an britische Truppen. - Am 29. April rückte die 45. Infanterie-Division der 7. US-Armee und die 42. Infanterie-Division von Westen zur Befreiung im KZ Dachau ein. Die amerikanischen Truppen befreiten zuerst das Konzentrationslager und marschierten einen Tag später in München ein. - Gegen Ende April 1945 werden die letzten 600 bis 700 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme von der SS abtransportiert. Am 2. Mai 1945 finden britische Truppen das KZ Neuengamme leer vor. - Am 3. Mai werden die Cap Arcona und die Thielbek in der Ostsee vor Neustadt durch einen Bombenangriff versenkt. Die Anzahl der dabei ertrunkenen KZ-Häftlinge wird auf 6400 bis 7300 geschätzt. - 10. Mai 1945: Die letzten Häftlinge können in Flensburg befreit werden.³? Nach der Befreiung wurden die KZ Buchenwald und Sachsenhausen, die auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone lagen, von der sowjetischen Militäradministration und der DDR bis 1950 als Speziallager weitergenutzt. Page 331
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vermisste Personen und Displaced Persons ? Hauptartikel: Internationaler Suchdienst ? Hauptartikel: Displaced Person Ab 1943 wurde durch das Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, SHAEF) die Situation der Inhaftierten untersucht. Zum Kriegsende mündete dies in die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) und im Juni 1947 in die International Refugee Organization (IRO) als deren Nachfolgeorganisation. Daraus entstand der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen, bei dem der Verbleib vermisster Personen erfragt werden kann. Die befreiten KZ-Häftlinge wurden als Displaced Persons durch die Alliierten in DP-Lagern untergebracht und durch die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) bzw. die Nachfolgeorganisation Internationale Flüchtlingsorganisation (IRO), das Joint Distribution Committee (JDC) und viele weitere Organisationen versorgt und betreut. In den ersten Monaten starben noch zahlreiche displaced Persons, da ihr Gesundheitszustand bei der Befreiung schlecht und die Versorgung mit Lebensmitteln, warmer Kleidung und Medikamenten durch die Alliierten mangelhaft war. Nach der Veröffentlichung des Harrison-Report besserten sich die Zustände. Leichen aus Massengräbern wurden exhumiert, Page 332
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt identifiziert und einzeln bestattet. Zeugen wurden befragt, Beweise und Dokumente festgehalten. Die im Rahmen der Ausländersuchaktion der UNRRA gewonnenen Erkenntnisse über Arbeits- und Konzentrationslager wurden 1949 erstmals im Catalogue of Camps and Prisons (kurz: CCP) veröffentlicht.4° Die Repatriierung der jüdischen, russischen, polnischen und südosteuropäischen KZ-Häftlinge gestaltete sich wegen ihrer Anzahl, der Verwüstungen in ihren Heimatländern und der politischen Umbrüche (Westverschiebung Polens, Ausbreitung kommunistischer Zwangsregime) schwierig. Das letzte DP-Lager in Deutschland (Föhrenwald) konnte erst 1957 geschlossen werden. Häftlingsvereinigungen Fast in allen befreiten Lagern entstanden Häftlingsvereinigungen, z. B. Comité International de Dachau (gegr. 29. April 1945), Internationales Sachsenhausen-Komitee, Amicale de Mauthausen, Fédération Internationale des Résistants. Weitere NS-Lager in besetzten Gebieten Eine amerikanische Holocaust-Studie über die NS-Lager legte im Jahr 2013 dar, dass es in Europa insgesamt etwa 42.500 Zwangsarbeits- und Gefangenenlager, KZ und Ghettos gab.4¹ Belgien Page 333
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Gestapo-Gefängnis im Brüsseler Gefängnis Saint-Gilles/Sint-Gillis, - das KZ Fort Breendonk bei Willebroek (ab September 1940; mindestens 3532 Inhaftierte, nur 458 davon überlebten), - Fort/Zitadelle von Huy (Juni 1941 bis September 1944; über 7000 Gefangene) und - Kamp/KZ Mechelen (SS-Sammellager Mecheln, von den 25.000 dorthin Deportierten überlebten 1207 den Zweiten Weltkrieg). Dänemark Horserødlejren in Nordsjælland, etwa sieben Kilometer von Helsingør; Frøslev (Gemeinde Bov) in Südjütland/Sønderjylland (als Gefangenenlager/Frøslevlejren II in der Nähe von Flensburg eröffnet am 13. August 1944 bis zur Befreiung am 5. Mai 1945, dt. Fröslee-Lager) Frankreich Im besiegten und teilweise besetzen Frankreich gab es – mit einer Ausnahme – keine Konzentrationslager, wenn man darunter ein Lager der Deutschen im Zweiten Weltkrieg versteht, dessen Wachmannschaften einer SS-Organisation unterstellt waren. Die eine Ausnahme, das KZ Natzweiler-Struthof, lag im CdZ-Gebiet Elsass, das faktisch ins Deutsche Reich eingegliedert war und in dem es keine französischen Verwaltungsorgane mehr gab. In Frankreich gab es aber Lager, die ähnliche Bezeichnungen trugen und deren Funktionen unterschiedlich, jedoch zumindest in einem Punkt Page 334
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ähnlich waren: Durchgangsund Sammellager (frz.: Camp de transit, Camp d'internement, Camp de réfugiés, aber auch Camp de prisonniers de guerre, Camp de prisonniers, Camp de concentration pour détenus politiques, Camp d'accueil, Camp de séjour, Centre de séjour surveillé.) Es konnte sich um seit Jahren bestehende Lager für Flüchtlinge aus Spanien, sogenannte Rotspanier handeln, die vor Franco geflüchtet waren und oft des Kommunismus verdächtigt wurden. In einigen Lagern wurden Roma (im frz. Sprachgebrauch „Tsiganes, Nomades" genannt) gefangen gehalten. Wieder andere waren ursprünglich Kriegsgefangenenlager, die als Internierungslager für „feindliche" Zivilisten genutzt wurden. Gesetzesgrundlage waren in der Regel neuere Bestimmungen des Petain-Regimes (État français). Allerdings dienten einige Lager aufgrund der Kollaboration des Petain-Regimes mit den deutschen Besatzern im Rahmen der Shoa, vor allem der Zusammenstellung von Deportationstransporten in die deutschen Vernichtungslager im besetzten Polen. Die Lager wurden unterschiedlich streng, meist von französischer Polizei, bewacht und organisiert. Meistens war die mangelnde Verpflegung und die Hygiene ein massives Krankheitsrisiko, das zu vielen Todesfällen in solchen Lagern führte. Französische und internationale Hilfsorganisationen versuchten das Verhungern durch Hilfslieferungen in die Lager zu bremsen. In Frankreich Page 335
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gibt es eine Diskussion um die Schuldfrage bei der Kollaboration und Mithilfe bei der Deportation (insbesondere von jüdischen Franzosen, aber auch von Ausländern, insbesondere Flüchtlingen aus Hitlers Machtsphäre) durch Politiker und Polizisten. Nach Razzien und Durchsuchungen mit Festnahmen wurden die Gefangenen nur zum Teil direkt an die Deutschen übergeben. Im Unterschied zu deutschen Konzentrationslagern kann der französischen Lagerleitung in der Regel nicht als Hauptgrund des Handelns ein Tötungswille an den Gefangenen zugeschrieben werden. Dort, wo deportiert wurde, war allerdings auch den französischen Stellen bekannt, dass es um Transporte in den Tod ging. Eine Besonderheit unter den vielen Opfergruppen waren deutsche Juden, die 1940 aus Baden und der Pfalz (Wagner-Bürckel-Aktion) zur Internierung zuerst in das Lager Camp de Gurs (via Agde) und von dort 1942 in die Vernichtungslager transportiert wurden. Zuvor waren 1940 jüdische Franzosen aus dem Elsass und aus dem CdZ-Gebiet Lothringen durch die Deutschen in das unbesetzte Frankreich deportiert worden. 1942 kam es aus diesen Lagern zur Übergabe eines großen Teils der Internierten an die Gestapo, die sie von Lagern bei Paris, meistens von Drancy, aus zugweise in die Vernichtungslager „im Osten" deportierten. Eine Liste von zirka 50 Lagern, von denen Gefangene, Internierte, Flüchtlinge vom Vichy-Regime an Deutschland ausgeliefert wurden: Page 336
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Das Internierungslager Camp d'Agde wurde im Frühjahr 1939 zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Spanien in der Nähe der französischen Stadt Agde errichtet. - Aincours, in Seine-et-Oise, war das Internierungslager in der Nördlichen Zone. Es wurde am 5. Oktober 1940 geöffnet und schnell mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) überfüllt. - Camp des Alliés, bei Angoulême, in der Charente, Landfahrer, Roma wurden hier gefangen gehalten - Königl. Saline von Arc-et-Senans (Saline royale d'Arc-et-Senans) in Doubs, vom 1. September 1941 bis 11. September 1943, Roma wurden hier gefangen gehalten. Die Familien wurden danach ins Internierungsgroßlager in Jargeau im Département Loiret überführt. - Avrillé-les-Ponceaux in Indre-et-Loire, Morellerie-Lager, Roma wurden hier gefangen gehalten - Le Barcarès im Roussillon - KZ Beaune-la-Rolande im Loiret. Etwa 18.000 jüdische Franzosen wurden von hier nach Auschwitz deportiert. - Bourg-Lastic im Département Puy-de-Dôme, in der ehemaligen Kaserne wurden jüdische Franzosen gefangen gehalten, unter anderem André Glucksmann für vier Jahre. Das Lager diente nach dem Krieg in den 1960er Jahren zur Unterbringung von Harkis und in den 1980er Jahren zur Unterbringung kurdischer Flüchtlinge aus dem Irak. - Lager Bram, Bram im Aude (1939–1940) - Lager Brens im Tarn, bei Gaillac (1939–1940) - Lager Choiseul, in Châteaubriant in Brittany, Page 337
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in der Loire-Atlantique (1941–1942) - Camp Colombes, Colombes bei Paris, in dem vorübergehend unter vielen anderen auch der Journalist Otto Leichter, der Schriftsteller Soma Morgenstern und der Künstler Erich Sauer interniert waren. - KZ Royallieu in Compiègne in Picardie (Juni 1941 bis August 1944). Im Januar 1943 wurden die bei der Schlacht von Marseille Gefangenen hierhergebracht. Unter anderem Robert Desnos (1900–1945) und Jean Moulin (1899–1943). - Coudrecieux im Département Sarthe, Roma wurden hier gefangen gehalten - Douadic im Department Indre/Kanton Le Blanc - Sammellager Drancy. Es gab in Paris drei Nebenlager dazu: das Lager Austerlitz, das Lévitanlager und Bassanolager. Von hier aus wurden etwa 63.000, hauptsächlich französische, Juden in die deutschen Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. - Fort-Barraux im Department Isère.4² Antoine Barnave war hier einer der Häftlinge. - Camp de Gurs, Gurs in den Pyrénées-Atlantiques - Jargeau, bei Orléans, Roma wurden hier gefangen gehalten. Ort einer Geiselerschießung.4³ - Lalande, Lalande in Yonne, - Camp de Lannemezan (Nach dem Décret-loi du 6 avril 1940 über die „Nomaden") - Linas-Montlhéry in Seine-et-Oise, Roma wurden hier gefangen gehalten - Marolles in Loir-et-Cher - Masseube im Département Gers - Les Mazures im Ardennes, als Judenlager von Page 338
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Juli 1942 bis Januar 1944 - Mérignac/Fort du Hâ, Mérignac in der Gironde. Deutsches Gefängnis für politische Gegner, unter anderen Édouard Daladier und Georges Mandel. - Meslay-du-Maine, in Mayenne (1939–1940) - Camp des Milles bei Aix-en-Provence im Departement Bouches-du-Rhône (auch: Camp de la Tuilerie des Milles), das größte Internierungslager im Südosten. 2.500 Juden wurden von hier deportiert (unter anderem der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, die surrealistischen Maler Hans Bellmer and Max Ernst). - Montceau-les-Mines, Saône-et-Loire, unter anderem Ort von Erschießungen von Resistance-Mitgliedern. - KZ Nexon, Nexon in Haute-Vienne - KZ Noé–Mauzac, im Département Haute-Garonne - Montreuil-Bellay in Montreuil, Département Maine-et-Loire, Roma wurden hier gefangen gehalten - KZ Pithiviers in Pithiviers (Camp de transit). Die jüdische Autorin Irène Némirovsky (1903–1942) war unter anderem hier interniert. - Poitiers im Departement Vienne, Roma wurden hier gefangen gehalten - Zitadelle von Port-Louis, dt. Gefängnis, Port-Louis im Morbihan, im Fort - Récébédou, im Haute-Garonne, ein Vorort von Toulouse - Camp de Rieucros in Lozère (Der Mathematiker Alexander Grothendieck war hier interniert) - Camp de Rivesaltes, in Rivesaltes in den Pyrénées-Orientales - Fort von Romainville bei Paris - Camp d´internement de Rouillé (1941–1944) - KZ/Lager Royallieu in Compiègne (camp de Page 339
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt détention de police allemand, Juni 1941 bis August 1944) - Internierungslager Saint-Cyprien, Saint-Cyprien im Roussillon. 90.000 Spanienflüchtlinge wurden hier interniert; März 1939, offiziell geschlossen am 19. Dezember 1940 aus „hygienischen Gründen", die Insassen wurden in das Camp de Gurs überstellt - Saint-Maurice-aux-Riches-Hommes in Yonne, Roma wurden hier gefangen gehalten - Saint-Paul d'Eyjeaux in Haute-Vienne - Saint-Sulpice-la-Pointe bei Toulouse - KZ Saliers (Camp de Saliers) bei Arles im Departement Bouches-du-Rhône (Nach dem Décret-loi du 6 avril 1940 über die „Nomaden"), Roma wurden hier gefangen gehalten - Septfonds - Thil in Meurthe-et-Moselle - Les Tourelles in Paris - KZ oder Internierungslager Le Vernet im Departement Ariège, ursprünglich eine Kaserne für Kolonialtruppen, in der im Zweiten Weltkrieg verschiedene Opfergruppen interniert wurden. Die Bezeichnungen sind uneinheitlich. Zeitweise direkt unter deutscher Leitung. - Vittel im Departement Vosges, US- und britische Bürger - Camp de Voves in Voves, im Département Eure-et-Loir, frz. verwaltetes Lager vom 5. Januar 1942 bis 6. Mai 1944. Danach Transport der Gefangenen durch die SS über Compiègne ins KZ Neuengamme (nur wenige Überlebende). - Woippy im Department Moselle, ab 1943 Italien Page 340
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In italienischen Konzentrationslagern im besetzten Dalmatien und der besetzten nordkroatischen Küste Bakar, Kraljevica, Molat, Rab, Zlarin wurden von 1941 bis 1943 einige zehntausend gefangener Zivilisten festgehalten. Zwangsarbeit und widrige Lebensumstände kosteten zahlreiche Insassen, die nicht gleich hingerichtet wurden, das Leben. Die Lager in Molat und in Rab (34 Prozent der Insassen überlebten nicht) waren als Todeslager besonders berüchtigt. Das KZ Villa Oliveto (Civitella) bei Siena wird in der italienischen WP als Juden-Sammellager und als KZ noch die Durchgangslager KZ Fossoli und das Sipo-Außenkommando Padua genannt. Ein Bewusstsein, dass es so etwas wie Konzentrationslager in Italien gab, ist selbst mehr als 60 Jahr nach Kriegsende in der italienischen Bevölkerung kaum vorhanden. Beispielsweise begegnet man Menschen in der Stadt Gonars, in deren unmittelbarer Nähe ein KZ lag, die vehement abstreiten, dass es sich beim Lager Gonars um ein Konzentrationslager handelte. Stattdessen betont man dort, dass es nur ein Internierungslager war. Im Jahr 2003 behauptete der damalige italienische Premierminister Silvio Berlusconi, dass es während der Zeit des italienischen Faschismus keine Page 341
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslager gegeben habe, Mussolini niemanden habe umbringen lassen und „Leute zum Urlaub in internes Exil" geschickt habe.44 Jugoslawien/Unabhängiger Staat Kroatien Zur Zeit der deutschen und italienischen Okkupation Jugoslawiens während des Zweiten Weltkrieges wurden vom faschistischen Ustascha–Regime und der italienischen Besatzungsmacht im besetzten Teil Kroatiens und von Kollaborateuren in Serbien und im Unabhängigen Staat Kroatien/NDH ab 1941 zirka zwanzig Konzentrationslager errichtet – unter anderem in Banjica, Molat, Rab, Šabac, und Topovske Supe. Ein weiteres Konzentrationslager auf dem Territorium des NDH-Staates war das KZ Sajmište am linksseitigen Saveufer bei Zemun, welches jedoch von den deutschen Besatzungstruppen betrieben wurde. Später wurden die meisten im Lagerkomplex Jasenovac zusammengefasst. Mit einer Gesamtausdehnung von 240 km² und seinen Opferzahlen wurde es das drittgrößte KZ Europas und das größte auf dem Balkan („Auschwitz des Balkans"). Es umfasste auch die drei Kinderlager KZ Sisak, Gornja Rijeka sowie das KZ Jastrebarsko. Die Gefangenen starben nicht durch Gas, sondern wurden erstochen bzw. geschlachtet, erschlagen, erhängt, ersäuft, lebend verbrannt oder vergraben. Die Zahl der Opfer von Jasenovac wird heute (auch von serbischen und jüdischen Historikern) auf etwa 70.000 bis 90.000 Personen geschätzt.45 Page 342
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Es ist unbestritten, dass die überwiegende Mehrheit darunter serbische Opfer waren. Jüdische Opfer wurden zur Zeit des kommunistischen Jugoslawiens gar nicht erwähnt. Auch die heute errichteten Mahnmale in den ehemaligen Konzentrationslagern erinnern ausschließlich an die serbischen Opfer. Dass es in Jasenovac auch jüdische Opfer gegeben hat, beweist eine Studie des Bosniakischen Institutes. Das von Adil Zulfikarpašic gegründete Bosniakische Institut in Zürich publizierte 1998 insgesamt 59.188 Opfer des Lagerkomplexes Jasenovac (einschließlich Stara Gradiška), darunter 33.944 Serben, 9.044 Juden, 6.546 Kroaten und 1.471 Roma. Der Rest verteilte sich auf Personen unterschiedlicher ethnischer bzw. religiöser Zuordnung sowie auf Opfer, deren Nationalität nicht eindeutig festgestellt werden konnte46 Das Museum der Gedenkstätte von Jasenovac veröffentlichte eine noch nicht vollständige Liste der Opfer von Jasenovac mit dem Stand der Nachforschungen bis zum 18. April 2010. In dieser Liste sind bisher 80.914 namentlich bekannte Personen aufgeführt, darunter rund 46.000 Serben, 16.000 Roma, 13.000 Juden und 4.000 Kroaten, die in Jasenovac zwischen Einrichtung des Lagers 1941 bis zur Befreiung 1945 zu Tode kamen.45 Griechenland In Griechenland wurde durch die deutschen Besatzer 1941 bei Thessaloniki das KZ Pavlos Melas und im Oktober 1943 das KZ Page 343
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Chaidari bei Athen eingerichtet, welches das wohl südlichste Konzentrationslager der Nazis in Europa war und der Unterbringung von Widerstandskämpfern sowie als Durchgangsstation für griechische Juden diente. Kanalinseln Das KZ Alderney (auch Lager Sylt genannt, von März 1943 bis Juni 1944) war ein Außenlager des KZ Neuengamme auf der von Großbritannien geräumten und seit 1940 besetzten Kanalinsel Alderney und damit das einzige deutsche Konzentrationslager in einem Gebiet des britischen Kronbesitzes. Niederlande Fünf Konzentrationslager: Herzogenbusch (Kamp Vught) und Westerbork (polizeiliches Judendurchgangslager), Kamp Amersfoort, Kamp Erika und Kamp Schoorl. Twilhaar war Rijkswerkkamp (Arbeitslager). Norwegen Grini fangeleir, Falstad bei Trøndelag, Svanviken Polen, Russland, Ukraine, Weißrussland Eine besonders hohe Dichte an Konzentrations-, Vernichtungs-, Durchgangslagern und Ghettos gab es im Generalgouvernement in Ostpolen. Dort befanden sich auch die bekanntesten Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Treblinka, Chelmno und Belzec. Das deutsch besetzte Polen war Page 344
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt geradezu „übersät" mit größeren und kleineren Konzentrations- und Außenlagern verschiedenster Art, denn zum einen war es das erste Land, das von den Nationalsozialisten erobert worden war. Außerdem war in Osteuropa allgemein die jüdische Bevölkerung größer als in West- oder Mitteleuropa. Ein weiteres Vernichtungslager, Maly Trostinez, lag im heutigen Weißrussland. Während der Zeit der deutschen Besatzung Weißrusslands starben dort Hunderttausende Juden; die jüdische Bevölkerung Weißrusslands wurde fast vollständig ausgelöscht. Auch die Ukraine war „übersät" mit größeren und kleineren Lagern und Ghettos. So gab es etwa ein Ghetto in Winniza. (In der Nähe dieser Stadt befand sich Adolf Hitlers Führerhauptquartier „Werwolf".) So weit das „eigentliche Russland" von den Deutschen besetzt worden war, wurden auch hier die Juden als Partisanen, verdächtigte Zivilisten und Kommunisten verschleppt oder erschossen. Allerdings gehörten die westlichen Gebiete des heutigen Russlands aufgrund der Kriegsereignisse zumeist zum „rückwärtigen Heeresgebiet". Aber nicht nur die Dichte an Konzentrationslagern und Ghettos unterschied die deutsch besetzten Gebiete Osteuropas von denjenigen Westeuropas. Denn nicht nur die Juden, sondern auch die nichtjüdische Bevölkerung war von den Repressionen direkt betroffen. So wurde zum Beispiel die Stadt Charkow 1942 von Angehörigen der Wehrmacht (nicht SS-Angehörigen) ausgehungert. Solche Page 345
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und ähnliche „Maßnahmen" hatten ihren Grund in der rassistischen Ideologie des NS-Regimes, für das die slawischen Völker nur „Untermenschen" waren. So hatte Reichsführer SS Heinrich Himmler vor Beginn des Russlandfeldzuges davon gesprochen, dass das Ziel des Feldzuges die Dezimierung der slawischen Völker um 30 Millionen bedeute. Nachkriegsdeutschland Konfrontation und Umerziehung ? Hauptartikel: Entnazifizierung Nach der Befreiung der KZ-Gefangenen und deren medizinischer Versorgung sahen die Alliierten die Notwendigkeit, die deutsche Bevölkerung mit den unter ihren Augen begangenen Verbrechen zu konfrontieren. In den Konzentrationslagern wurden die unglaublichen Verbrechen sichtbar – auch für Menschen, die nicht bereits Augenzeugen der Verbrechen gewesen waren. Die örtliche Bevölkerung aus der Nachbarschaft der KZs wurde gezwungen, Lagerteile und Leichen der dort Ermordeten anzusehen. Sie wurde mehrfach gezwungen, Tote in würdigen Gräbern zu bestatten. Dabei ging es um unbestattete Leichen oder Umbettungen von Leichen aus Massengräbern. Es wurden mehrfach Filmdokumentationen und Fotobände für Vorführungen im besetzten Deutschland und Österreich hergestellt (erstes Beispiel ist der Film Die Todesmühlen (Death Mills)). Er setzt sich überwiegend aus Filmmaterial zusammen, das in kurz zuvor Page 346
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt befreiten KZs gedreht wurde – unter anderem in Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Treblinka, Bergen-Belsen. Der Film ist nur mit ernster klassischer Musik unterlegt und hat keine Rahmenhandlung. Er geht auch auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Häftlinge ein. Die Dokumentationen wurden zum Teil auch als Beweismittel für Gerichtsverfahren gegen Beteiligte erstellt, insbesondere den Nürnberger Prozessen. Juristische Aufarbeitung ? Hauptartikel: NS-Prozesse Angesichts der Gräueltaten in den von den Achsenmächten Deutschland, Japan und Italien besetzten Ländern, wurde auf Initiative von neun Londoner Exilregierungen im Jahr 1943 die United Nations War Crimes Commission (UNWCC) ins Leben gerufen. Der Auftrag bestand in der Beweissicherung, Zusammenstellung von Täterlisten, Berichten an die Regierungen und Strafprozessvorbereitungen zu Kriegsverbrechen. Zu diesen Kriegsverbrechen zählte auch die Verschleppung, Versklavung, Misshandlung und Tötung von Zivilisten und Kriegsgefangenen in Arbeits- und Konzentrationslagern (Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Nach dem Krieg kam es zu vielen NS-Prozessen (siehe auch: Kategorieverzeichnis NS-Prozesse). Es wurden exemplarische Prozesse gegen das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (es hatte Zwangsarbeiter Page 347
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gegen Prämien an Firmen vermietet) und die Firmenverantwortlichen von Flick, I.G.-Farben und Krupp (sie hatten Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge zu tausenden von der SS gemietet) durchgeführt. Es kam in den Nürnberger Nachfolgeprozessen zu Verurteilungen wegen Versklavung, Misshandlung, Einschüchterung, Folterung und Ermordung der Zivilbevölkerung und wegen der planmäßigem Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Gefangenen. Weitere bedeutende Prozesse waren der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, die Rastatter Prozesse (u. a. zum KZ Natzweiler, KZ Dachau und Auschwitz), die Frankfurter Auschwitzprozesse, der Krakauer Auschwitzprozess, die Dachauer Prozesse, die Ravensbrück-Prozesse, der Bergen-Belsen-Prozess, Prozesse in der Sowjetunion durch den NKWD und Prozesse gegen Einzelpersonen wie Eichmann-Prozess und in Warschau gegen Rudolf Höß. Literatur - Angelika Benz und Marija Vulesica: Bewachung und Ausführung. Alltag der Täter in nationalsozialistischen Lagern. Metropol Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-86331-036-3. - Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.) und Angelika Königseder (Redaktion): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 9 Bände, C. H. Beck, München 2005–2009, ISBN 3-406-52960-7.47 Page 348
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt + 1: Die Organisation des Terrors. Mitherausgeberin Angelika Königseder. 2005; 2. Auflage 2006, ISBN 3-406-52961-5, 394 Seiten. + 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. 2005, ISBN 3-406-52962-3, 607 Seiten. + 3: Sachsenhausen, Buchenwald. 2006, ISBN 3-406-52963-1, 660 Seiten. + 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück. 2006, ISBN 3-406-52964-X, 644 Seiten. + 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme. 2007, ISBN 978-3-406-52965-8, 591 Seiten. + 6: Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof. 2007, ISBN 978-3-406-52966-5, 840 Seiten. + 7: Wewelsburg, Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora. 2008, ISBN 978-3-406-52967-2, 360 Seiten. + 8: Riga, Warschau, Kaunas, Vaivara, Plaszów, Klooga, Chelmo, Belzec, Treblinka, Sobibor. 2008, ISBN 978-3-406-57237-1, 576 Seiten. + 9: Arbeitserziehungslager, Durchgangslager, Ghettos, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager. 2009, ISBN 978-3-406-57238-8, 656 Seiten. - Jane Caplan, Nikolaus Wachsmann (Hrsg.): Concentration Camps in Nazi Germany. The New Histories. London 2009, ISBN 978-0-415-42651-0.48 - Ulrich Herbert, Karin Orth, Christoph Dieckmann (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-15516-9.4? Page 349
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Verlag Karl Alber, München 1946. 44. Auflage: Heyne Verlag, München 2006. ISBN 978-3-453-02978-1. - Französisches Büro des Informationsdienstes über Kriegsverbrechen (Hrsg.): Konzentrationslager Dokument F 321 für den Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg. Frankfurt am Main 1988, (Erstveröffentlichung Paris 1945 unter dem Titel Camps de Concentration. Crimes contre la personne humaine. Erste deutsche Buchausgabe 1947, hrsg. von Eugène Aroneanu) - Hermann Langbein: … nicht wie die Schafe zur Schlachtbank – Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1938–1945. Fischer, Frankfurt 1988, ISBN 3-596-23486-7. - Geoffrey Megargee (Hrsg. für das): The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945. Band 1: Early Camps, Youth Camps, Concentration Camps and Subcamps under the SS-Business Administration Main Office (WVHA). Indiana University Press, Bloomington 2009, ISBN 0-253-35328-9.5° Bd. 2 2012. - Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte. Pendo, Zürich/München 2002, ISBN 3-85842-450-1. - Karin Orth: Die Historiografie der Konzentrationslager und die neuere KZ-Forschung. In: Archiv für Sozialgeschichte 47, 2007: 579–598. - Gudrun Schwarz: SS-Aufseherinnen in nationalsozialistischen Page 350
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslagern (1933–1945). In: Dachauer Hefte. Nr. 10: Täter und Opfer. 1994. - Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager. S. Fischer, Frankfurt a.M. 1993, ISBN 3-596-13427-7. - Johannes Tuchel: Die Inspektion der Konzentrationslager 1938–1945. Edition Hentrich, Berlin 1994, ISBN 3-89468-158-6. - Nikolaus Wachsmann: KL: Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Siedler Verlag, München 2016, ISBN 9783886808274. (Ausführliche Rezension in der FAZ, 21. April 2016, S. 11.) Für weitere Literaturhinweise siehe auch die Artikel Holocaust sowie Konzentrationslager (historischer Begriff). Interviews mit Überlebenden - Boder-Interviews, 1946: Der Psychologe David Boder vom Illinois Institute of Technology interviewte zahlreiche Displaced Persons. Er stellte den Zeitzeugen frei, in welcher Sprache sie sich ausdrücken wollten. Boder sammelte rund 90 Stunden Magnetbandaufzeichnungen auf 200 Spulen und transkribierte rund 120 Interviews. Das Projekt Voices of the Holocaust macht Aufnahmen und Transkripte daraus zugänglich. Siehe David P. Boder: I Did not Interview the Dead. Urbana 1949 (französische Ausgabe als Je n'ai pas interrogé les morts). Hrsg. von Alan Rosen, Florent Brayard. Paris 2006; David P. Boder: Topical Page 351
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Autobiographies of Displaced People Recorded Verbatim in the Displaced Persons Camps, with a Psychological and Anthropological Analysis. 16 Bände, Chicago 1950–1957.5¹ - Archiv der Erinnerung, 1995–1998: Im 171 Stunden Material umfassenden Videoarchiv Leben mit der Erinnerung. Überlebende des Holocaust erzählen sind 82 der rund 850 ab 1979 entstandenen Interviews des Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies (Yale University, New Haven) aufbereitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Beteiligt sind unter anderem die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas5² und des Moses-Mendelssohn-Zentrums (Potsdam). Cathy Gelbin, Eva Lezzi u. a. (Hrsg.): Archiv der Erinnerung. Interviews mit Überlebenden der Shoah. Band 1: Videographierte Lebenserzählungen und ihre Interpretationen. Band 2: Kommentierter Katalog. Potsdam 1998.5¹ - Visual History Archive (VHA), 1994–1999: Die Shoah Foundation zeichnete 52.000 Videointerviews mit Opfern und Zeugen des Holocaust aus 56 Ländern in 32 Sprachen auf, finanziert von Steven Spielberg. Die Interviews sind online abrufbar, etwa bei der Freien Universität Berlin. Filmische Verarbeitung Spielfilme - Nackt unter Wölfen (1963): DEFA-Spielfilm von Frank Beyer nach dem gleichnamigen Roman von Bruno Apitz. Die Page 352
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Handlung basiert auf einer wahren Geschichte im Zeitraum Februar bis zur Befreiung Ende April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald. Ein dreijähriges Kind (Stefan Jerzy Zweig) wird in einem Koffer ins Lager geschmuggelt. Die Häftlinge retten das Kind, obwohl dadurch ihre eigene Existenz bedroht ist. Darsteller sind u. a. Armin Mueller-Stahl, Erwin Geschonneck, Fred Delmare sowie Buchautor und langjähriger Buchenwald-Häftling Bruno Apitz. - Schindlers Liste: Spielfilm von Steven Spielberg aus dem Jahr 1993 nach dem gleichnamigen Roman (im Original Schindler's Ark) von Thomas Keneally. - Die Fälscher: Österreichischer Spielfilm. Der vom Regisseur und Drehbuchautor Stefan Ruzowitzky inszenierte Film basiert auf einem realen Geschehen und handelt vom größten Geldfälschungsprogramm der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs, der Aktion Bernhard. - Die Grauzone: Film von Tim Blake Nelson aus dem Jahr 2001. Das Drama beschäftigt sich mit der Problematik der jüdischen Zwangsarbeiter im KZ Auschwitz-Birkenau, die niederste Arbeit verrichteten, um einige Wochen länger zu leben. - Jakob der Lügner: Jakob der Lügner ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans des Schriftstellers Jurek Becker. Diese Verfilmung stammt aus dem Jahr 1999; mit Robin Williams als Jakob. - Band of Brothers – Teil 9: Warum wir kämpfen: Angekommen in der Nähe der deutschen Stadt Landsberg entdeckt die Easy Page 353
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Company auf einem Kontrollgang das nahegelegene Konzentrationslager Kaufering IV. Die Episode skizziert das überwältigende Entsetzen, das die Soldaten ergreift und verweist auf das deutsche Wissen über jene Konzentrationslager. - Der Junge im gestreiften Pyjama: Britischer Film aus dem Jahr 2008 von Mark Herman. Er basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage von John Boyne. - Die Insel in der Vogelstraße: Die Insel in der Vogelstraße ist ein Roman des israelischen Schriftstellers Uri Orlev, das im Jahr 1985 veröffentlicht wurde. Es wurde im Jahr 1997 verfilmt. - Uprising – Der Aufstand: US-amerikanischer Fernsehfilm aus dem Jahr 2001. Das von Jon Avnet inszenierte Holocaust-Drama erzählt vom Aufstand im Warschauer Ghetto. - Das Leben ist schön: Italienischer Film von Roberto Benigni aus dem Jahr 1997. - Der Pianist: Holocaust-Drama nach der in London im Jahr 1999 publizierten Autobiografie Der Pianist – Mein wunderbares Überleben (Originaltitel: Smierc miasta) des polnischen Pianisten und Komponisten Wladyslaw Szpilman. - Fateless – Roman eines Schicksallosen: Internationale Koproduktion aus dem Jahr 2005 nach dem Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész. Der Film handelt von der Odyssee eines jüdischen Jungen durch mehrere deutsche Konzentrationslager. Page 354
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Dokumentationen - Nazi Murder Mills – Konzentrationslager 1945: US-Dokumentation aus dem Jahr 1945 über befreite nationalsozialistische Konzentrationslager und Terrorstätten (Hadamar, Ohrdruf, Buchenwald, Nordhausen), mit bewegenden Bildern der Opfer, der Ermordeten und Gequälten des NS-Terrors. - Die Todesmühlen (Death Mills): US-Dokumentation aus dem Jahr 1945, für Vorführungen im besetzten Deutschland und Österreich im Sinne der Reeducation zur Konfrontation der Bevölkerung mit den unter ihren Augen begangenen Verbrechen produziert. - Michael Kloft: Die Gesichter des Bösen – Hitlers Henker. Deutschland, 2009 (Länge 3:31): Vierteilige Serie einer Dokumentation über Konzentrationslager und Täter der NS-Judenvernichtung (Massenmörder wie Himmler, Heydrich, Kaltenbrunner, Lagerkommandanten, KZ-Ärzte) mit Filmmaterial aus verschiedenen Archiven und zwischen die Dokumentarszenen eingeschnittenen Interviews, Statements z. T. von Zeitzeugen. Siehe auch - Zeitgenössische Kenntnis vom Holocaust - Liste der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus (international) - Überlebenden-Syndrom Weblinks Commons: Konzentrationslager im Page 355
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nationalsozialismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Wiktionary: Konzentrationslager – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wikiquote: Konzentrationslager – Zitate - Linkkatalog zum Thema Konzentrationslager bei DMOZ - Literatur zum Schlagwort Konzentrationslager im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek - Die Amerikanische Armee entdeckt den Holocaust. In: Landsberg im 20. Jahrhundert. Hrsg. von der Europäischen Holocaustgedenkstätte Stiftung (Filmaufnahme der US-Streitkräfte, KZ-Kommando Kaufering IV, 27. April 1945). - Knut Mellenthin: Chronologie des Holocaust. In: holocaust-chronologie.de (tagesgenaue Chronik mit Quellenangaben und Artikeln zu Einzelaspekten). - Haftstättenverzeichnis der Stiftung EVZ - Karte der Konzentrationslager im Dritten Reich (PDF; 45 kB) Einzelnachweise [1] Eric Lichtblau: The Holocaust Just Got More Shocking. nytimes.com vom 1. März 2013, abgerufen am 2. März 2013. [2] Wolfgang Benz: Die 101 wichtigsten Fragen. Das Dritte Reich. 2. Aufl., Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-56849-7, S. 56–57. [3] Wolfgang Wippermann: 1920: Wie gehabt in: der freitag vom 26. August 2015. Abgerufen am 30. August 2015. [4] Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Page 356
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslager. Bd. 2, S. 174 ff.; Udo Wohlfeld: Das Netz. Die Konzentrationslager in Thüringen 1933–1937, Weimar 2000, Seitenzahl fehlt. [5] Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie. Siedler, München 2008, S. 161. [6] Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. C.H. Beck, München 1989, S. 174. [7] Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. C.H. Beck, München 1989, S. 172–179. [8] Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949 C.H. Beck, München 2003, S. 607; Ulrich Herbert et al.: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Geschichte. Erinnerung, Forschung. In: Ulrich Herbert, Karin Orth, Christoph Dieckmann (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-15516-9, Bd. 1, S. 25. [9] Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. C.H. Beck, München 1989, S. 179. [10] Zdenek Zofka: Die Entstehung des NS-Repressionssystems. Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit in Bayern, Aufruf vom 2. Februar 2007. [11] Ulrich Herbert et al.: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1, S. 26 / Bei Benz/Distel: Der Ort des Terrors, Bd. 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 243: Zu Beginn des Sommers 1935 nur 3555 Häftlinge, Page 357
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt davon etwa 1800 in Dachau. [12] Ulrich Herbert et al.: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1, S. 28 f. [13] Wolf-Arno Kropat: Kristallnacht in Hessen, Das Judenpogrom vom November 1938, Wiesbaden 1988, ISBN 3-921434-11-4, S. 167 ff. [14] Ulrich Herbert et al.: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1, S. 29. [15] Andrea Löw (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung), Band 3: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren, September 1939 – September 1941, München 2012, ISBN 978-3-486-58524-7, S. 30. [16] Ulrich Herbert et al.: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1, S. 29 f. [17] Vgl. Tabelle 7 in: Michael Grüttner, Das Dritte Reich. 1933–1939 (= Handbuch der deutschen Geschichte, Band 19). Klett-Cotta, Stuttgart 2014, S. 162, 167. [18] Eberhard Kolb: Die letzte Kriegsphase … In: Ulrich Herbert et al. (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 2, Frankfurt a.M. 2002, ISBN 3-596-15516-9, S. 1135. [19] Hans: Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Dokumentation. 4. Aufl. 2006, ISBN 3-7035-1235-0, S. 409. [20] Ulrich Herbert et al.: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1, S. 31. Page 358
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [21] BGBl. 1977 I S. 1786 und BGBl. 1982 I S. 1571 [22] Bundesarchiv: Haftstättenverzeichnis, abgerufen am 22. Juli 2012. [23] Amory Burchard, Tilmann Warnecke: „Niemand konnte wegsehen". In: Der Tagesspiegel. 5. März 2013, abgerufen am 6. März 2013. [24] Mehr als 40.000 Nazi-Zwangslager in Europa. In: Die Zeit, 2. März 2013, abgerufen am 6. März 2013. [25] Weibliche politische Gefangene wurden ab 1933 hauptsächlich in sechs Schutzhaftanstalten interniert: Gotteszell (Schwäbisch Gmünd), Stadelheim (München), das Frauengefängnis Barnimstraße (Berlin), Fuhlsbüttel (Hamburg), Brauweiler (Westfalen) und Burg Hohnstein (Bad Schandau, Sachsen). [26] Kurz vor Kriegsende existierten 34 Lager, in denen Frauen als Häftlinge von der SS in der Rüstungsindustrie eingesetzt wurden. Vom Beginn seines Bestehens bis Februar 1945 sind nach dem Verzeichnis der Nummernzuteilung 107.753 Frauen in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und seine Außenlager eingewiesen worden. Nach: Ino Arndt; in Dachauer Hefte 3, 1990, S. 145. [27] Vgl. Tabelle 7 in: Michael Grüttner, Das Dritte Reich. 1933–1939 (= Handbuch der deutschen Geschichte, Band 19), Klett-Cotta, Stuttgart 2014, S. 162. [28] deathcamps.org: Ghetto List. 2005. [29] Nach Peter Wilfahrt, 2005: entnommen aus Tafel im KZ. [30] Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Page 359
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Buchenwald. Ölbaum, Augsburg 2003, S. 60. Zitiert nach wollheim-memorial.de [31] Stanislav Zámecník: Das war Dachau. Luxemburg, 2002, ISBN 2-87996-948-4. S. 150, Kapitel „Überlebensbedingungen". [32] Oliver Lustig, selbst Überlebender, hat 1982 eine Sammlung solcher Begriffe veröffentlicht. Oliver Lustig: Camp Dictionary, online-Version, 2005, Concentration Camp Dictionary, 1982; mehrsprachig: ungar., de, eng., portug. und Italienisch. Bei isurvived.org.Das bedeutet aber nicht, dass es ein identisches Sprachgemisch in den verschiedenen Lagern gab. [33] Sprache/n im KZ Buna/Monowitz auf wollheim-memorial.de (unter anderem nach Primo Levi und Leonardo Debenedetti) [34] Wolf Oschlies: Sprache in nationalsozialistischen Konzentrationslager. Theorie und Empirie der „Lagerszpracha". Auf: shoa.de, abgerufen am 7. Juni 2015. [35] Ernst Klee: Deutscher Menschenverbrauch Zeit, 28. November 1997, abgerufen 30. Januar 2015. [36] Fleckfieberversuche: Schreibtischtäter Rose (1896–1992). [37] Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts (Personenstandsrechtsreformgesetz – PStRG) vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122) [38] Nikolai Politanow: „Wir trauten unseren Augen nicht". In: Spiegel Online, 27. Januar 2008, abgerufen am 6. März 2013. [39] Jerzy Giergielewicz: Endstation Neuengamme, Außenlager Drütte. Der Weg Page 360
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eines 17-jährigen aus Warschau durch vier Konzentrationslager. hg. v. d. KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte, Bremen 2002, ISBN 3-86108-798-7. [40] Liste der Unternehmen, die im Nationalsozialismus von der Zwangsarbeit profitiert haben. pdf, abgerufen 7. Dezember 2014. [41] Mehr als 40.000 Nazi-Zwangslager in Europa, Artikel auf zeit.de vom 02. März 2013. [42] Le Centre de séjour surveillé de Fort-Barraux (PDF; 120 kB) [43] Le camp de Jargeau 1941–1945 (franz. Projekt einer Schülergruppe) [44] Thomas Fuller: Survivors of war camp lament Italy's amnesia. In: The New York Times, 29. Oktober 2003, abgerufen am 6. März 2013. [45] JUSP Jasenovac – LIST OF INDIVIDUAL VICTIMS OF JASENOVAC CONCENTRATION CAMP. Abgerufen am 15. Mai 2011. [46] Rezension zu Josip Jurcévic: Die Entstehung des Mythos Jasenovac. Probleme bei der Forschungsarbeit zu den Opfern des II. Weltkrieges auf dem Gebiet von Kroatien. Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, 2007. [47] Vgl. die Rezensionen: - Sybille Steinbacher: Rezension zu: Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1–3. In: H-Soz-u-Kult, 12. Dezember 2006. - Marc Buggeln: Rezension zu: Benz, Wolfgang; Distel, Barbara; Königseder, Angelika (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der Page 361
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nationalsozialistischen Konzentrationslager Bd. 4. In: H-Soz-u-Kult, 29. Januar 2008. - Marc Buggeln: Rezension zu: Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 5–7. In: H-Soz-u-Kult, 20. November 2008. - Marc Buggeln: Rezension zu: Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 8–9. In: H-Soz-u-Kult, 24. März 2010. [48] Vgl. Marc Buggeln: Rezension zu: Caplan, Jane; Wachsmann, Nikolaus (Hrsg.): Concentration Camps in Nazi Germany. The New Histories. London 2009. In: H-Soz-u-Kult, 24. März 2010. [49] Vgl. Angela Schwarz: Rezension zu: Herbert, Ulrich; Karin Orth; Christoph Dieckmann (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Göttingen 1998. In: H-Soz-u-Kult, 11. Mai 1999. [50] Vgl. Marc Buggeln: Rezension zu: Megargee, Geoffrey P. (Hrsg.): The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945. Volume I: Early Camps, Youth Camps, Concentration Camps and Subcamps under the SS-Business Administration Main Office (WVHA), 2 Parts. Bloomington 2009. In: H-Soz-u-Kult, 24. März 2010. [51] Johanna Bodenstab: Tagungsbericht Stimmen aus der Vergangenheit. Interviews mit Überlebenden der Shoah: Das David-Boder-Archiv und das Page 362
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Archiv der Erinnerung". 7. Juni 2007 bis 8. Juni 2007, Berlin. In: H-Soz-u-Kult, 5. Oktober 2007. [52] Videoarchiv: Leben mit der Erinnerung. Überlebende des Holocaust erzählen der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Abgerufen am 30. September 2015. Arbeitslager Arbeitslager sind Stätten, an denen Menschen zur Zwangsarbeit festgehalten werden. Die ersten modernen Arbeitslager im 18. Jahrhundert waren britische Strafkolonien. Großbritannien nutzte zunächst die 13 nordamerikanischen Kolonien als Straflager. Nach der amerikanischen Revolution und der Unabhängigkeitserklärung der nordamerikanischen Kolonien mussten die Briten einen neuen Ort für die Verbringung ihrer Gefangenen suchen. Die Wahl fiel auf Australien, das die Briten bis 1868 als Sträflingskolonie nutzten. Der historische Hintergrund für die ab dem 18. Jahrhundert zunehmende Anzahl von Straflagern besteht in der europäischen Bevölkerungsexplosion¹ und dem damit entstandenen lohnabhängigen Industrieproletariat und der damit verbundenen sozialen Frage² und dem Pauperismus. Ein Mensch kann in ein Arbeitslager aus verschiedenen Gründen gesperrt werden: Auf der einen Seite ist es die Strafe für eine kriminelle Handlung, aber auch unerwünschte politische oder religiöse Betätigung, auf der anderen Seite beutet gleichzeitig der Einweisende die Arbeitskraft des Page 363
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Eingewiesenen aus. Am 24. November 1933 wurde im Deutschen Reich durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung die Maßregel Arbeitshaus eingeführt. Neben den heute noch zulässigen Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt oder in Sicherungsverwahrung war auch die Unterbringung in einem Arbeitshaus (StGB § 42d) vorgesehen. Arbeitslager hat es in verschiedenen Ausprägungen in der Geschichte gegeben. Beispiele Beispiele sind unter anderem: - Arbeitshäuser im Deutschen Kaiserreich,³ im europäischen Mittelalter und den Vorläufern - Vom Mittelalter teilweise bis ins 18. Jahrhundert, zum Beispiel Spanien, Galeerensklaven in den meist noch aus Galeeren und Galeassen bestehenden Flotten - Bagnos: französische Zuchthäuser, in denen Sträflinge Schwerstarbeit verrichten mussten. - Verbannungs-Arbeitslager und Zwangsarbeit in Gefängnissen in der russischen Zarenzeit (siehe Schilderungen in einigen Romanen von Dostojewski): Zarentum Russland (1547–1721), Russisches Kaiserreich (-1917) - In Irland wurden während der großen Hungersnot Page 364
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (1845–1849) Arbeitshäuser gebaut. Zu essen bekam nur, wer arbeitete (Näheres hier) - Sowjetische Arbeitslager: Gulag - Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus: NS-Zwangsarbeit innerhalb und kombiniert mit: + Arbeitserziehungslagern + Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern - Im März 1940 beschloss der Schweizerische Bundesrat, das Verbot der Erwerbstätigkeit für männliche Emigranten/Flüchtlinge aufzuheben und für sie Arbeitslager unter der Leitung der Polizeiabteilung zu errichten. - KZ Jasenovac im Unabhängigen Staat Kroatien - Umerziehungslager Goli otok in Jugoslawien - Arbeits- und Umerziehungslager in Vietnam, Nordkorea, Kambodscha - Arbeitslager in der Volksrepublik China4 , (China hat die Umerziehungslager zur Jahreswende 2013/14 abgeschafft) - Haftarbeitslager (HAL) in der DDR5 - Arbeitserziehungslager für Jugendliche 1966–1967 in Rüdersdorf bei Berlin (DDR)6 - Stätten der Zwangsarbeit im Strafvollzug der Vereinigten Staaten.7 Siehe auch - Vernichtung durch Arbeit als Euphemismus in der Sprache des Nationalsozialismus - Chain Gang Weblinks Wiktionary: Arbeitslager – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Page 365
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Übersetzungen - Lager-Arbeitslager-Konzentrationslager – eine Begriffsbestimmung (KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen: Siehe „Archivtexte / Geschichtliches") (PDF; 80 kB) - Gulagmuseum Literatur - Robert Castel: Die Metamorphosen der sozialen Frage: eine Chronik der Lohnarbeit (Originaltitel: Les métamorphoses de la question sociale, une chronique du salariat), 1995, übersetzt von Andreas Pfeuffer, 2. Auflage, UVK, Konstanz 2008, ISBN 978-3-86764-067-1 (= Édition discours, Band 44). - Gunnar Heinsohn, Rolf Knieper, Otto Steiger: Menschenproduktion: allgemeine Bevölkerungstheorie der Neuzeit. Suhrkamp 914, Frankfurt am Main 1979 (2. Auflage 1986), ISBN 3-518-10914-6. Einzelnachweise [1] Gunnar Heinsohn, Rolf Knieper, Otto Steiger: Menschenproduktion. Allgemeine Bevölkerungstheorie der Neuzeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979 (Inhalt) [2] Robert Castel: Die Metamorphosen der sozialen Frage. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2008 (Inhaltsangabe) [3] Vgl. Wolfgang Ayaß: Das Arbeitshaus Breitenau. Bettler, Landstreicher, Prostituierte, Zuhälter und Fürsorgeempfänger in der Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau (1874–1949). Jenior Page 366
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und Pressler, Kassel 1992 (zugleich Gesamthochschule Kassel, Dissertation, 1991. Digitalisat) [4] Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung über Tibeter in chinesischen Arbeitslagern [5] (PDF; 216 kB) [6] Gerichtsentscheid des KG Berlin vom 6. August 2010, Aktenzeichen 2 Ws 28/10 REHA [7] Army Regulation 210–35: Civilian Inmate Labor Program, freigegebenes Dokument des United States Department of the Army vom 14. Januar 2005, Zugriff am 25. Dezember 2013; Vicky Pelaez: The Prison Industry in the United States: Big Business or a New Form of Slavery?, auf globalresearch.ca, 8. Dezember 2013, Zugriff am 25. Dezember 2013. Normdaten (Sachbegriff): GND: 4002716-8 Misshandlung Als Misshandlung wird im deutschen Recht „jede üble und unangemessene Behandlung eines anderen Menschen" oder Tieres betrachtet, die dessen „körperliche Unversehrtheit oder das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt". Eine Misshandlung kann sich aber auch in einem psychisch traumatisierenden Verhalten zeigen und entsprechend ein psychisches Trauma bei der misshandelten Person auslösen. Nach deutschem Recht wird das körperliche Misshandeln bei den Delikten der Körperverletzung (§§ 223, 224, 226, 227 StGB) oder alternativ die Page 367
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gesundheitsschädigung vorausgesetzt. Besondere gesetzliche Regelungen bestehen zum Teilbereich Misshandlung von Schutzbefohlenen oder Kindesmisshandlung. Siehe auch -
Gewalttat Mobbing Sexueller Missbrauch Vernachlässigung
Literatur - Urte Finger-Trescher: Mißhandlung, Vernachlässigung und sexuelle Gewalt in Erziehungsverhältnissen. Psychoanalytische Pädagogik. Psychosozial-Verl., Gießen 2000, ISBN 3-89806-008-X - Wolfgang Meurer: Probleme des Tatbestandes der Mißhandlung Schutzbefohlener (§ 223 b StGB). Dissertation, Köln 1997 - Wiebke Jaenecke: Sexueller Mißbrauch und körperliche Mißhandlung in der Kindheit. Einfluss des Schweregrades und gemeinsamen Auftretens beider Mißhandlungsformen auf spätere Folgen. Dissertation an der Universität Hamburg, Hamburg 2003 urn:nbn:de:gbv:18-10036 Normdaten (Sachbegriff): GND: 4170137-9 Aktion „Arbeitsscheu Reich" Im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich" wurden im April und im Juni 1938 bei zwei Verhaftungswellen mehr als 10.000 Männer als sogenannte Asoziale in Konzentrationslager verschleppt. Während der Page 368
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sogenannten Juni-Aktion wurden dabei auch rund 2300 Juden inhaftiert, die aus mannigfaltigen Gründen Vorstrafen erhalten hatten. Bezeichnungen Die Bezeichnung „Aktion ‚Arbeitsscheu Reich'" lässt sich im dienstlichen Schriftverkehr, der im Zusammenhang mit der Massenverhaftung geführt wurde, nicht nachweisen. Im Konzentrationslager Buchenwald wurden die Inhaftierten zunächst als „Arbeitszwangshäftlinge Reich", kurze Zeit später als „Arbeitsscheue Reich" (ASR) bezeichnet.¹ Diese Bezeichnung wurde von Hans Buchheim aufgegriffen, von Wolfgang Ayaß für beide Verhaftungsaktionen übernommen und hat sich etabliert.² Die Bezeichnung „Juni-Aktion" für die zweite Verhaftungswelle, die auch vorbestrafte Juden einbezog, ist jedoch zeitgenössisch.³ Sie wird, teils mit der Jahreszahl 1938, häufig – jedoch keineswegs durchgängig – verwendet, wenn die Judenverfolgung im Vordergrund der Darstellung steht.4 Aktion im April 1938 Die Verhaftung und Verschleppung von „Asozialen" geht auf den „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei" des Innenministeriums vom 14. Dezember 1937 zurück. Damit wurde die Vorbeugehaft für sogenannte Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher reichsweit vereinheitlicht und erweitert auf Page 369
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Personen, die durch ihr asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährden würden.5 Ein Haftprüfungstermin war erst binnen des zweiten Haftjahres vorgesehen, danach jährlich neu und nach vier Jahren vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei vorzunehmen. Nach Heinrich Himmlers Plan vom 26. Januar 1938 sollte zunächst ein „einmaliger, umfassender und überraschender Zugriff" auf die „Arbeitsscheuen" erfolgen. Dies seien Männer im arbeitsfähigen Alter, die zweimal einen ihnen angebotenen Arbeitsplatz abgelehnt oder nach kurzer Zeit aufgegeben hätten. Mit der Durchführung dieser Aktion wurde die Gestapo beauftragt, die die nötigen Informationen im Zusammenwirken mit den Arbeitsämtern besorgte. Die Durchführung der Aktion war für den März vorgesehen, wurde aber durch den Anschluss Österreichs verschoben.6 Die Verhaftungsaktion lief reichsweit im Zeitraum vom 21. bis 30. April ab. Insgesamt wurden dabei zwischen 1500 und 2000 männliche „Arbeitsscheue" in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.7 Aktionen im Mai und Juni 1938 ? Hauptartikel: Juni-Aktion Der Personenkreis, der im Sinne der „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" inhaftiert werden sollte, war nicht auf die „Arbeitsscheuen" beschränkt, Page 370
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sondern wesentlich weiter gefasst. Eine Durchführungsrichtlinie der Reichskriminalpolizei vom April 1938 definiert als „asozial" eine Person, die durch gemeinschaftswidriges Verhalten oder geringfügige, aber wiederholte Gesetzesübertretungen zeigt, dass sie sich nicht in die Gemeinschaft einfügen und der „selbstverständlichen Ordnung" eines nationalsozialistischen Staates unterwerfen will.8 Dies waren namentlich Landstreicher, Bettler, Prostituierte, Zigeuner und Trunksüchtige. Auch Personen mit unbehandelten Geschlechtskrankheiten wurden dazugerechnet. Auf Hitlers persönliche Anordnung? wurden auch Juden einbezogen. Wolf Gruner zitiert die Anweisung Hitlers aus der letzten Maiwoche 1938 in folgender Schreibweise, nämlich dass „zur Erledigung von wichtigen Erdbewegungsarbeiten im gesamten Reichsgebiet asoziale und kriminelle Juden festgenommen werden sollen."¹° Wenn die Anordnung mündlich weitergegeben wurde, war sie missverständlich, weil sich der Sinn durch Groß- oder Kleinschreibung des Wortes „asoziale" entscheidend ändert. Tatsächlich ergriff die Staatspolizeileitstelle Wien „blitzartig" die Initiative und wies die Bezirkspolizeikommissariate am 24. Mai 1938 an, „unverzüglich unliebsame, insbesondere kriminell vorbelastete Juden festzunehmen und in das Konzentrationslager Dachau zu überführen."¹¹ Die ersten beiden Transporte vom 31. Mai und vom 3. Juni umfassten annähernd 1200 Juden und Page 371
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt werden von Wolf Gruner als „österreichische Sonderaktion" bezeichnet. Erst mit den nächsten Transporten wurden auch dort überwiegend „Asoziale" verschleppt. Die allgemein für das Reich geltende und umgesetzte Maßnahme betraf ausschließlich Juden, deren Strafregister Vorstrafen von mehr als vier Wochen enthielten. Bei dieser Verhaftungswelle, in der Literatur auch als Juni-Aktion bezeichnet, wurden von der Kriminalpolizei zwischen dem 13. bis 18. Juni 1938 mehr als 9.000 Männer¹² verhaftet. Bei der „Juni-Aktion" wurden mit rund 2300 Personen überproportional viele Juden inhaftiert. Ihre Vorstrafen gingen nicht allein auf „normale Delinquenz" zurück, sondern beruhten oftmals auf verfolgungsspezifischen Delikten wie zum Beispiel Devisenvergehen? oder gingen auf marginale Delikte wie Übertretung von Verkehrsvorschriften zurück.¹³ Ins Konzentrationslager Dachau wurden 211 jüdische Häftlinge eingeliefert.¹4 1256 jüdische Männer kamen ins KZ Buchenwald und 824 ins KZ Sachsenhausen, wo sie brutalen Schikanen ausgesetzt waren.? Einordnung Spätestens mit diesen Aktionen hatte sich der Schwerpunkt der sicherheitspolizeilichen Tätigkeit von der Bekämpfung politischer Gegner auf die Aussonderung von „Asozialen" verlagert, die aufgrund vermeintlich erblicher Veranlagung zu gesellschaftlich Page 372
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt schädlichem Verhalten neigten.¹5 Heydrich begründete die Aktion in einem Schnellbrief¹6 an die Kriminalpolizeileitstellen: Es sei nicht zu dulden, dass asoziale Menschen sich der Arbeit entziehen und somit den Vierjahresplan sabotieren.¹7 Wolfgang Ayaß zufolge war nicht die angebliche Gefährlichkeit des einzelnen „Asozialen", sondern dessen Arbeitsfähigkeit das ausschlaggebende Verhaftungskriterium. In vielen Konzentrationslagern bildete die mit einem Schwarzen Winkel gekennzeichnete Häftlingsgruppe der „Asozialen" bis Kriegsbeginn die Mehrheit. Martin Broszat weist darauf hin, dass zu dieser Zeit die SS-eigene Baustoffproduktion in und bei Konzentrationslagern einsetzte und dafür größere Häftlingskontingente benötigt wurden.¹8 Wesentlicher als die Arbeitsleistung dieser inhaftierten „Arbeitsscheuen" dürfte jedoch der abschreckende Effekt auf andere „Arbeitsbummelanten" gewesen sein.¹? Die „Juni-Aktion" war zugleich die erste von der Sicherheitspolizei in Eigenregie durchgeführte Aktion, bei der eine große Zahl von deutschen Juden in Konzentrationslager verschleppt wurde.²° Ihre Einbeziehung in die Juni-Aktion geht auf Hitlers persönliche Anordnung zurück, die zu einer Anweisung vom 1. Juni 1938 führte.? ²¹ Christian Dirks weist auf einen Zusammenhang mit antisemitischen Übergriffen in Berlin hin, die – im Mai beginnend – vom 13. bis 16. Juni 1938 kumulierten und in Boykottaufrufen, Page 373
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Markierung jüdischer Geschäfte, Razzien in Cafés und Festnahmen gipfelten.²² Auch Christian Faludi sieht einen Zusammenhang zwischen den von Joseph Goebbels und Wolf-Heinrich von Helldorff inszenierten „radauantisemitischen Straßenkrawallen" in Berlin und dem konkurrierenden Bemühen um eine „gesamtstaatlich zentralisierte ‚Lösung'" durch den Geheimdienstapparat Reinhard Heydrichs und Heinrich Himmlers.²³ Wolfgang Ayaß widerlegt anhand der Belegungszahlen die verbreitete Behauptung, die im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich" Inhaftierten seien zum überwiegenden Teil 1939 bei der Amnestie anlässlich des fünfzigsten Geburtstages von Hitler freigekommen.²4 Vergleichbare Massenverhaftungen wiederholten sich nicht; es wurden jedoch bis 1945 kontinuierlich „Asoziale" und „Arbeitsscheue" in die Konzentrationslager eingewiesen. Himmler selbst schätzte 1943 die Gesamtzahl der inhaftierten „Asozialen", „Berufsverbrecher" und Sicherungsverwahrten auf rund 70.000 Personen.²5 Julia Hörath weist darauf hin, dass die „Rassische Generalprävention" schon bald nach der Machtergreifung im Wechselspiel zwischen lokalen und zentralen Behörden betrieben und keineswegs ausschließlich zentral von SSund Gestapoführung gesteuert wurde.²6 Ähnliche Aktionen der Überstellung von Justizgefangenen an das Page 374
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt SS-Lagersystem gab es auch während des Krieges, siehe den Hauptartikel: Vernichtung durch Arbeit. Literatur - Wolfgang Ayaß: „Ein Gebot der nationalen Arbeitsdisziplin". Die „Aktion Arbeitsscheu Reich" 1938, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 6, Berlin 1988, S. 43-74. - Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7. - Wolfgang Ayaß: „Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung „Asozialer" 1933-1945, Koblenz 1998. - Christian Dierks: Die ‚Juni-Aktion' 1938 in Berlin. In: Beate Meyer, Hermann Simon: Juden in Berlin 1938-1945. (Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum"), Berlin 2000, ISBN 3-8257-0168-9. - Jens Kolata: Zwischen Sozialdisziplinierung und "Rassenhygiene". Die Verfolgung von "Asozialen", "Arbeitsscheuen", "Swingjugend" und Sinti, in: Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 2013, ISBN 3-89657-138-9, S. 321-337 (nicht eingesehen). - Stefanie Schüler-Springorum: Masseneinweisungen in Konzentrationslager. Aktion „Arbeitsscheu Reich", Novemberpogrom, Aktion „Gewitter". In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Page 375
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt München 2005, ISBN 3-406-52961-5,Bd. 1, S. 156–164. - Christian Faludi (Hrsg.): Die „Juni-Aktion" 1938. Eine Dokumentation zur Radikalisierung der Judenverfolgung. Campus, Frankfurt a. M./New York 2013, ISBN 978-3-593-39823-5. Weblinks - Ayaß: Aktion ‚Arbeitsscheu Reich' (PDF; 189 kB) - Deutsches Historisches Museum: Aktion „Arbeitsscheu Reich". - Bundeszentrale für politische Bildung: Hintergründe zum Begriff „Arbeitsscheu" Einzelnachweise [1] Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 165. [2] Hans-Dieter Schmid: Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich' 1938. In: Herbert Diercks (Red.): Ausgegrenzt. 'Asoziale und Kriminelle' im nationalsozialistischen Lagersystem, Bremen 2009, ISBN 978-3-8378-4005-6, S. 33. [3] Z.B. Erlaß Heydrichs an die Kriminalpolizeileitstellen vom 18.6.1940, abgedruckt bei Wolfgang Ayaß, „Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung von „Asozialen", Koblenz 1998, Nr. 102. [4] Das Stichwort fehlt bei Wolfgang Benz u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. München 1997, ISBN 3-423-33007-4 und Israel Gutman u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust.München und Zürich 1995, ISBN Page 376
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 3-492-22700-7.; dort in Bd. IV S. 1679 unter Datum erwähnt als „Asozialen-Aktion". [5] Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 139. [6] Christian Faludi (Hrsg.): Die „Juni-Aktion" 1938. Eine Dokumentation zur Radikalisierung der Judenverfolgung. Campus, Frankfurt a. M./New York 2013, ISBN 978-3-593-39823-5, S. 34. [7] Stefanie Schüler-Springorum: Masseneinweisungen in Konzentrationslager. Aktion „Arbeitsscheu Reich", Novemberpogrom, Aktion „Gewitter". In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. München 2005, ISBN 3-406-52961-5,Bd. 1, S. 158. [8] Zitiert nach Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 147/148. [9] Stefanie Schüler-Springorum: Masseneinweisungen in Konzentrationslager.... In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Der Ort des Terrors... München 2005, ISBN 3-406-52961-5,Bd. 1, S. 159. [10] Wolf Gruner: Zwangsarbeit und Verfolgung – Österreichische Juden im NS-Staat 1938-1945, Innsbruck u.a. 2000, ISBN 3-7065-1396-X, S. 33. [11] Zitiert nach Wolf Gruner: Zwangsarbeit und Verfolgung..., Innsbruck u.a. 2000, ISBN 3-7065-1396-X, S. 34. [12] Stefanie Schüler-Springorum: Masseneinweisungen in Konzentrationslager.... In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Der Ort des Terrors... München 2005, ISBN 3-406-52961-5,Bd. 1, S. 156 Page 377
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt / Genaue Zahl 9497 angegeben bei Hans-Dieter Schmid: Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich' 1938. In: Herbert Diercks (Red.): Ausgegrenzt. 'Asoziale und Kriminelle' im nationalsozialistischen Lagersystem, Bremen 2009, ISBN 978-3-8378-4005-6, S. 36. [13] Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung) Band 2: Deutsches Reich 1938 – August 1939 (hrsg. von Susanne Heim), München 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 188. [14] Hans-Dieter Schmid: Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich' 1938. In: Herbert Diercks (Red.): Ausgegrenzt. 'Asoziale und Kriminelle' im nationalsozialistischen Lagersystem, Bremen 2009, ISBN 978-3-8378-4005-6, S. 37. [15] Ulrich Herbert: Von der Gegnerbekämpfung zur „rassischen Generalprävention". In: Ulrich Herbert u. a. (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager.Frankfurt/M. 2002, ISBN 3-596-15516-9, Bd. 1, S. 81. [16] Dokument VEJ 2/39 = Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945 (Quellensammlung) Band 2: Deutsches Reich 1938 – August 1939 (hrsg. von Susanne Heim), München 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 160f. [17] zitiert nach Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 149. [18] Martin Broszat: Nationalsozialistische Page 378
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslager 1933-1945. In: Anatomie des SS-Staates. München 1967, Bd. 2, S. 77. [19] Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 164. [20] Christian Dierks: Die ‚Juni-Aktion' 1938 in Berlin. In: Beate Meyer, Hermann Simon: Juden in Berlin 1938 – 1945. (Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum") Berlin 2000, S. 34. [21] Dokument 33 bei Christian Faludi (Hrsg.): Die „Juni-Aktion" 1938. Eine Dokumentation zur Radikalisierung der Judenverfolgung. Campus, Frankfurt a. M./New York 2013, ISBN 978-3-593-39823-5, S. 201. [22] Christian Dierks: Die ‚Juni-Aktion' 1938 in Berlin. In: Beate Meyer, Hermann Simon: Juden in Berlin 1938 – 1945, Berlin 2000, S. 34–41 / Saul Friedländer:Das Dritte Reich und die Juden: Bd. 1., Die Jahre der Verfolgung: 1933–1939, durchgeseh. Sonderausgabe München 2007, ISBN 978-3-406-56681-3, S. 282–284. [23] Christian Faludi (Hrsg.): Die „Juni-Aktion" 1938. Eine Dokumentation zur Radikalisierung der Judenverfolgung. Campus, Frankfurt a. M./New York 2013, ISBN 978-3-593-39823-5, S. 9. [24] Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 170–172. [25] Wolfgang Ayaß: „Asoziale" im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91704-7, S. 172. [26] Julia Hörath: Terrorinstrument der „Volksgemeinschaft". KZ-Haft für Page 379
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Asoziale" und „Berufsverbrecher" 1933 bis 1937/38. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 60, 2012, H. 6., S. 532. Service du travail obligatoire Der Service du travail obligatoire (STO, „Pflichtarbeitsdienst") war eine Organisation zur Aushebung französischer Facharbeiter durch das Vichy-Regime zum Einsatz in der deutschen Kriegswirtschaft. Der STO wurde im Februar 1943 gegründet, nachdem die Vorgängerorganisation Relève (frz. für Ablösungsmannschaft, Nachwuchs) aus dem Jahre 1942, die ebenfalls auf Gesetzen des Vichy-Regimes beruhte, fehlgeschlagen war, da sich auf Fritz Sauckels ursprüngliche Aufforderung nur 50.000 Arbeiter gemeldet hatten. Im Gegenzug gegen allein im Jahr 1942 angeforderte 150.000 französische Facharbeiter sollten dafür 50.000 französische Kriegsgefangene in ihre Heimat entlassen werden. Diese scheinbar humanitäre Geste wurde sowohl durch die schlechten Arbeits- bzw. Ernährungsbedingungen (Ausnahme: Landwirtschaft), als auch durch die langdauernde Entwurzelung von der Heimat als Zwangsmaßnahme demaskiert. Sie diente der deutschen Kriegsmaschinerie, denn tatsächlich wurden alle Versprechen von deutscher Seite nicht eingehalten, stattdessen weitere Arbeiter und Fachkräfte gefordert. So waren Tausende z. B. bei der Reichsbahn beschäftigt, die eines der Page 380
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bevorzugten Ziele der taktischen alliierten Bombenangriffe war. Meist in Baracken in der Nähe von Instandsetzungswerken oder Eisenbahnknotenpunkten untergebracht, fielen auch zahlreiche französische Arbeiter, wenn für sie kein Platz in den Luftschutzbunkern war, den Bomben zum Opfer. Für viele junge Franzosen bedeutete der STO, sich zwischen der Zwangsarbeit im Deutschen Reich und dem Abtauchen in den französischen Untergrund, bis hin zur Beteiligung an den bewaffneten Kämpfen im Maquis, entscheiden zu müssen. Die immer häufigere Entscheidung für letzteres bedeutete eine erhebliche personelle Verstärkung der Maquisards. Französische Zwangsarbeiter beteiligten sich (wie die anderer Nationen) auch am aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland, z. B. in Berlin mit dem Netz Europäische Union (Widerstandsgruppe). In Frankreich gilt der Begriff seitdem als Synonym für die Bedarfswirtschaft. Literatur - Helga Bories-Sawala: Franzosen im "Reichseinsatz". Deportation, Zwangsarbeit, Alltag; Erfahrungen und Erinnerungen von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern Lang, Frankfurt 1996 ISBN 3-631-50032-7 (zugl. Univ. Diss. Bremen 1995) 3 Bände - dies. & Rolf Sawala: "J'écris ton nom: Liberté!" La France occupée et la Page 381
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Résistance Schöningh, Paderborn (2002) ISBN 3140455003 (Quellensammlung in Frz., Einordnung des STO in die nazistische Kriegspolitik, Plakat des STO, Flugblatt der Résistance dagegen) - Harry R. Kedward: In Search of the Maquis. Rural Resistance in Southern France 1942 - 1944 (engl.) 2. Aufl. Oxford Univ Press 1994 ISBN 0198205783 (auch in Google Book Search) - The Relève through the filter of propaganda, from the Photographic Collection of Vichy in: Collaboration and resistance. Images of life in Vichy France Hg. Documentation Française. Engl.: Harry N. Abrams, NY 2000 (zuerst frz. 1988) ISBN 0810941236, Appendix 2, S. 249 - 253 (zahlreiche Bilder) Weblinks Commons: Zwangsarbeit im Dritten Reich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung umfasst das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (Föderation) sowie die nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften.¹ Alle diese Organisationen sind voneinander rechtlich unabhängig und innerhalb der Bewegung durch gemeinsame Grundsätze, Ziele, Symbole, Statuten und Organe miteinander verbunden. Die weltweit gleichermaßen Page 382
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt geltende Mission der Bewegung – unabhängig von staatlichen Institutionen und auf der Basis freiwilliger Hilfe – sind der Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Würde sowie die Verminderung des Leids von Menschen in Not ohne Ansehen von Nationalität und Abstammung oder religiösen, weltanschaulichen oder politischen Ansichten der Betroffenen und Hilfeleistenden. Das 1863 gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz besteht aus bis zu 25 Schweizer Staatsbürgern und ist die einzige Organisation, die im humanitären Völkerrecht erfasst und als dessen Kontrollorgan genannt ist. Es ist die älteste Organisation der Bewegung und neben dem Heiligen Stuhl sowie dem Souveränen Malteser-Ritterorden eines der wenigen originären nichtstaatlichen Völkerrechtssubjekte. Seine ausschließlich humanitäre Mission ist, basierend auf den Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit, der Schutz des Lebens und der Würde der Opfer von Kriegen und innerstaatlichen Konflikten. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, Nachfolgeorganisation der 1919 entstandenen Liga der Rotkreuz-Gesellschaften, koordiniert innerhalb der Bewegung die Kooperation zwischen den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften und leistet Unterstützung beim Aufbau neuer nationaler Gesellschaften. Auf internationaler Ebene leitet und organisiert sie, Page 383
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in Zusammenarbeit mit den nationalen Gesellschaften, Hilfsmissionen nach nicht kriegsbedingten Notsituationen wie zum Beispiel Naturkatastrophen und Epidemien. Die nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften sind Organisationen in fast allen Ländern der Welt, die jeweils in ihrem Heimatland im Sinne des humanitären Völkerrechts sowie der Statuten der Internationalen Bewegung tätig sind und die Arbeit des IKRK sowie der Föderation unterstützen. Ihre wichtigsten Aufgaben in ihren Heimatländern sind die Katastrophenhilfe und die Verbreitung der Genfer Konventionen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten können sie darüber hinaus weitere soziale und humanitäre Aufgaben wahrnehmen, die nicht unmittelbar durch völkerrechtliche Bestimmungen oder die Prinzipien der Bewegung vorgegeben sind. Hierzu zählen in vielen Ländern beispielsweise das Blutspendewesen und der Rettungsdienst sowie die Altenpflege und andere Bereiche der Sozialarbeit. Von der Gründung im Jahr 1928 als Dachorganisation des IKRK und der Föderation bis zur Umbenennung 1986 lautete der offizielle Name der Bewegung Internationales Rotes Kreuz. Diese bis in die Gegenwart weit verbreitete Bezeichnung und die daraus resultierende Abkürzung IRK sollten jedoch nach Möglichkeit nicht mehr verwendet werden, da sie zu Problemen bei der Unterscheidung zwischen dem IKRK und der Page 384
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Föderation in der öffentlichen Wahrnehmung führen können. Geschichte Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) Solferino, Henry Dunant und die Gründung des IKRK Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es keine auch nur annähernd systematische Kriegskrankenpflege, keine gesicherten Einrichtungen zur Unterbringung und Behandlung von Verwundeten, geschweige denn eine Vorsorge durch Bereitstellung von Hilfskräften in ausreichender Zahl und mit angemessener Ausrüstung und Ausbildung. Im Jahre 1859 reiste der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant nach Italien, um dort mit dem französischen Kaiser Napoléon III. über seine Probleme beim Erhalt von Landkonzessionen im französisch besetzten Algerien zu sprechen. Dabei wurde er am 24. Juni 1859 in der Nähe des kleinen Ortes Solferino Zeuge der Schlacht von Solferino und San Martino, in deren Verlauf an einem einzigen Tag rund 6.000 Soldaten getötet und etwa 25.000 verwundet wurden. Die völlig unzureichende medizinische Versorgung und Betreuung sowie das Leid der verwundeten Soldaten entsetzten ihn so sehr, dass er den ursprünglichen Zweck seiner Reise völlig vergaß und sich mehrere Tage lang der Versorgung der Verwundeten sowie der Organisation von Hilfsmaßnahmen widmete. Unter dem Eindruck dieser Erlebnisse schrieb er ein Buch, das er 1862 unter dem Page 385
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Titel Eine Erinnerung an Solferino auf eigene Kosten veröffentlichte und an führende politische und militärische Persönlichkeiten in ganz Europa verschickte. Neben einer sehr eindringlichen Schilderung dessen, was er 1859 erlebt hatte, regte er in diesem Buch die Bildung von freiwilligen Hilfsorganisationen an, die sich in Friedenszeiten auf Hilfe für Verwundete im Krieg vorbereiten sollten. Des Weiteren forderte er den Abschluss von Verträgen, in denen die Neutralität und der Schutz der Kriegsverwundeten und der sie versorgenden Personen sowie aller für sie getroffenen Einrichtungen gesichert werden sollte. In seiner Heimatstadt Genf gründete Henry Dunant am 9. Februar 1863 mit vier weiteren Bürgern – dem Juristen Gustave Moynier, den Ärzten Louis Appia und Théodore Maunoir sowie dem Armeegeneral Guillaume-Henri Dufour – als Kommission der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft ein Komitee der Fünf zur Vorbereitung einer internationalen Konferenz zur Umsetzung seiner Ideen. Bereits acht Tage später beschlossen die fünf Gründungsmitglieder die Umbenennung der Kommission in Internationales Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege. Vom 26. bis zum 29. Oktober des gleichen Jahres fand auf Anregung des Komitees eine Internationale Konferenz in Genf statt, „die über die Mittel beraten soll, mit denen man der Unzulänglichkeit der Sanitätsdienste im Felde abhelfen könnte".² Insgesamt 36 Personen nahmen an dieser Konferenz Page 386
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt teil, und zwar 18 offizielle Delegierte von Regierungen ihrer jeweiligen Länder, sechs Delegierte verschiedener Vereine und Verbände, sieben nicht offizielle ausländische Teilnehmer und die fünf Mitglieder des Internationalen Komitees. Die auf dieser Konferenz durch offizielle Delegierte vertretenen Länder waren Baden, Bayern, Frankreich, Großbritannien, Hannover, Hessen-Darmstadt, Italien, Niederlande, Österreich, Preußen, Russland, Sachsen, Schweden und Spanien. Zu den Beschlüssen und Forderungen dieser Konferenz, die am 29. Oktober 1863 in Form von Resolutionen angenommen wurden, zählten unter anderem: - die Gründung nationaler Hilfsgesellschaften für Kriegsverwundete - die Neutralität der Verwundeten - die Entsendung freiwilliger Pflegekräfte für Hilfeleistungen auf das Schlachtfeld - die Organisation und Durchführung weiterer internationaler Konferenzen - die Einführung eines Kenn- und Schutzzeichens in Form einer weißen Armbinde mit rotem Kreuz Bereits ein Jahr später kam es auf Einladung der Schweizer Regierung an alle europäischen Länder sowie an die Vereinigten Staaten von Amerika, Brasilien und Mexiko zu einer diplomatischen Konferenz, an der 26 Delegierte aus 16 Staaten teilnahmen. Am 22. August 1864 wurde während dieser Konferenz die erste Genfer Konvention „betreffend die Linderung des Page 387
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen" durch Vertreter von zwölf Staaten unterzeichnet. In dieser Konvention wurden in zehn Artikeln die Vorschläge zum Schutz und zur Neutralisierung der Verwundeten, des Hilfspersonals und der entsprechenden Einrichtungen verbindlich festgelegt. Zum Ende des Jahres 1863 wurde mit dem Württembergischen Sanitätsverein in Stuttgart die erste nationale Gesellschaft gegründet, kurz danach gefolgt vom Verein zur Pflege verwundeter Krieger im Großherzogtum Oldenburg und weiteren 1864 gegründeten Gesellschaften in Belgien, Preußen, Dänemark, Frankreich und Spanien. 1864 bis 1914 Ihre erste Bewährungsprobe erlebte die Organisation im Deutsch-Dänischen Krieg: Am 16. April 1864 nahmen an den Düppeler Schanzen erstmals Hilfskräfte und, mit Louis Appia und dem holländischen Hauptmann Charles van de Velde, auch offizielle Delegierte unter dem Zeichen des Roten Kreuzes an einem Krieg teil.³ Bereits gut zwei Monate zuvor war nach der Schlacht von Oeversee das erste Feldlazarett unter dem Banner des Roten Kreuzes aufgeschlagen worden. 1866 ist das Rote Kreuz auf dem Schlachtfeld bei Langensalza aktiv geworden.4 1867 fand unter Beteiligung von Vertretern von neun Regierungen, 16 nationalen Rotkreuzgesellschaften und des Internationalen Komitees die Page 388
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt erste Internationale Rotkreuzkonferenz statt. Im gleichen Jahr musste Henry Dunant aufgrund des desolaten Verlaufs seiner Geschäfte in Algerien seinen Bankrott erklären und Genf verlassen. Nachdem Gustave Moynier bereits 1864 den Vorsitz des Internationalen Komitees übernommen hatte, wurde Henry Dunant nun auch vollständig aus dem Komitee ausgeschlossen. In den folgenden Jahren kam es in nahezu allen Ländern Europas zur Gründung von nationalen Rotkreuz-Gesellschaften – der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 demonstrierte eindrücklich deren Notwendigkeit. Preußen verfügte über eine gut mit Personal und Material ausgestattete Rotkreuz-Gesellschaft, die organisatorisch eng mit dem preußischen Heer zusammenarbeitete. Aufgrund dessen lag die Zahl der preußischen Soldaten, die an Krankheit oder Verwundung starben, unter der Zahl der im Feld Gefallenen. Auf der anderen Seite verfügte Frankreich nur über eine unzureichend vorbereitete Rotkreuz-Gesellschaft, was zur Folge hatte, dass auf französischer Seite die Zahl der durch Krankheit oder Verwundung verstorbenen Soldaten dreimal höher war als die Zahl der gefallenen Soldaten. In diesem Krieg beteiligten sich auch erstmals andere Rotkreuz-Gesellschaften wie die Russlands, der Schweiz, Irlands und Luxemburgs durch die Entsendung von Ärzten und Sanitätern in größerem Umfang an der sanitätsdienstlichen Versorgung. Page 389
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Clara Barton, die spätere Gründerin des Amerikanischen Roten Kreuzes, erhielt für ihren Einsatz in diesem Krieg von Kaiser Wilhelm I. das Eiserne Kreuz verliehen. In der Folge des Krieges fand die für 1873 in Wien geplante Internationale Rotkreuzkonferenz nicht statt, und erst 1888 kam es in Genf wieder zu einer solchen Konferenz. 1876 bekam das Internationale Komitee den noch heute gültigen Namen Internationales Komitee vom Roten Kreuz (franz. Comité international de la Croix-Rouge, CICR – engl. International Committee of the Red Cross, ICRC). Zwei Jahre später kam es erstmals zu Hilfsaktionen des IKRK und einiger nationaler Rotkreuz-Gesellschaften zugunsten von Zivilisten, als die erst kurz zuvor gegründete Türkische Rothalbmond-Gesellschaft zum Ende der Balkankrise im Jahr 1878 einen Aufruf zur Unterstützung bei der Versorgung von Flüchtlingen an das Komitee richtete. Drei Jahre später wurde in den Vereinigten Staaten von Amerika auf Initiative von Clara Barton das Amerikanische Rote Kreuz gegründet. Während des Spanisch-Amerikanischen Krieges 1898 wurden mit den drei Schiffen Moynier, Red Cross und State of Texas erstmals Hospitalschiffe unter der Flagge des Roten Kreuzes in einem bewaffneten Konflikt zur See eingesetzt. Bis zur Jahrhundertwende unterzeichneten immer mehr Staaten die Genfer Konvention und respektierten diese auch weitestgehend in kriegerischen Page 390
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Auseinandersetzungen. Im Jahr 1901 erhielt Henry Dunant, zusammen mit dem französischen Pazifisten Frédéric Passy, den erstmals verliehenen Friedensnobelpreis. Die Glückwünsche, die das Komitee anlässlich der Preisverleihung übermittelte, bedeuteten für ihn nach 34 Jahren die späte Rehabilitierung und ausdrückliche Anerkennung seiner Verdienste für die Entstehung des Roten Kreuzes. Neun Jahre später starb Henry Dunant am 30. Oktober 1910 in Heiden (Schweiz), zwei Monate nach Gustave Moynier. 1906 wurde die Erste Genfer Konvention von 1864 erstmals überarbeitet. Unmittelbar vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914, fünfzig Jahre nach der Annahme der Ersten Genfer Konvention, gab es 45 nationale Gesellschaften. Neben Gesellschaften in fast allen europäischen Ländern und den USA existierten weitere Gesellschaften unter anderem auch in Mittelund Südamerika (Argentinien, Brasilien, Chile, Kuba, Mexiko, Peru, El Salvador, Uruguay, Venezuela), Asien (China, Japan, Korea, Siam) und Afrika (Republik Südafrika). Das IKRK während des Ersten Weltkrieges Der Erste Weltkrieg stellte das IKRK vor große Herausforderungen, die es nur in Zusammenarbeit mit den nationalen Rotkreuz-Gesellschaften bewältigen konnte. Selbst aus den USA und Japan waren Rotkreuzschwestern zur Unterstützung der Sanitätsdienste der betroffenen europäischen Länder im Page 391
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einsatz. Am 15. Oktober 1914, unmittelbar nach Kriegsbeginn, richtete das IKRK seine Internationale Zentralstelle für Kriegsgefangene ein, die Ende 1914 bereits 1.200 vorwiegend freiwillige Mitarbeiter beschäftigte. Von 1916 bis 1919 war die Zentralstelle im Musée Rath untergebracht. Im Verlauf des gesamten Krieges übermittelte die Zentralstelle ca. 20 Millionen Briefe und Mitteilungen, fast 1,9 Millionen Pakete und Geldspenden in Höhe von ca. 18 Millionen Schweizer Franken an Kriegsgefangene aller beteiligten Staaten. Ferner kam es durch Vermittlung der Zentralstelle zum Austausch von ca. 200.000 Gefangenen. Die Kartei der Zentralstelle, die in den Jahren von 1914 bis 1923 entstand, enthält rund sieben Millionen Karteikarten. Sie führte in ca. zwei Millionen Fällen zur Identifizierung von Gefangenen und damit zu einem Kontakt zwischen den Gefangenen und ihren Angehörigen. Die gesamte Kartei kann heutzutage als Leihgabe des IKRK im Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf besichtigt werden, wobei eine Einsichtnahme weiterhin dem IKRK vorbehalten bleibt. Das IKRK überwachte während des gesamten Krieges die Einhaltung der Genfer Konvention in der Fassung von 1906 und leitete Beschwerden über Verstöße an die beteiligten Staaten weiter. Des Weiteren protestierte das IKRK gegen die Verwendung von chemischen Kampfstoffen, die im Ersten Weltkrieg erstmals zum Einsatz kamen. Ohne Mandat durch die Genfer Konvention setzte Page 392
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sich das IKRK auch für die vom Krieg betroffene Zivilbevölkerung ein, insbesondere in besetzten Territorien, wo das IKRK auf die Haager Landkriegsordnung als rechtsverbindliche Vereinbarung zurückgreifen konnte. Ebenfalls basierend auf der Haager Landkriegsordnung waren die Aktivitäten des IKRK in Bezug auf Kriegsgefangene, wozu neben dem bereits beschriebenen Suchdienst und Informationsaustausch vor allem der Besuch von Kriegsgefangenenlagern gehörte. Insgesamt wurden im Kriegsverlauf 524 Lager in ganz Europa durch 41 Delegierte des IKRK besichtigt. Zwischen 1916 und 1918 veröffentlichte das IKRK mehrere Ansichtskarten mit Motiven der von seinen Delegierten besuchten Lager. Dafür wurden Bilder ausgewählt, welche die Gefangenen bei alltäglichen Tätigkeiten wie zum Beispiel der Postverteilung zeigten. Ziel der Veröffentlichung dieser Karten war es, den Angehörigen der Gefangenen Hoffnung zu vermitteln und sie zu beruhigen. Nach Kriegsende organisierte das IKRK die Rückführung von ca. 420.000 Kriegsgefangenen in ihre Heimatländer. Für seine Aktivitäten während des Ersten Weltkriegs erhielt das IKRK 1917 den Friedensnobelpreis, den einzigen, der in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918 vergeben wurde. Die weitere Repatriierung der Gefangenen wurde ab 1920 vom neu gegründeten Völkerbund unter der Verantwortung seines Hochkommissars für die Heimschaffung der Kriegsgefangenen Fridtjof Page 393
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nansen übernommen. Sein Mandat wurde später ausgeweitet auf die Unterstützung und Versorgung von Kriegsflüchtlingen und Vertriebenen. Zu seiner Unterstützung für diese Tätigkeiten wählte er zwei Delegierte des IKRK als seine Stellvertreter. 1923 entschied sich das Komitee, das seit der Gründung nur Genfer Bürgern die Mitgliedschaft gestattete, diese Festlegung zugunsten einer Einschränkung auf Schweizer Staatsangehörige aufzuheben. Als direkte Folge des Ersten Weltkrieges im Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht kam es durch das Genfer Protokoll von 1925 zum Verbot des Einsatzes von erstickenden und giftigen Gasen sowie bakteriellen Kampfstoffen zur Kriegsführung. Des Weiteren wurde 1929 die Erste Genfer Konvention erneut überarbeitet und ein neues Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen angenommen. Die Ereignisse des Ersten Weltkrieges und die entsprechenden Aktivitäten des IKRK hatten für das Komitee eine deutliche Aufwertung seines Ansehens und seiner Autorität gegenüber der Staatengemeinschaft und eine Ausweitung seiner Kompetenzen zur Folge. Bereits auf der Internationalen Rotkreuzkonferenz 1934 wurde erstmals ein Entwurf für eine Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung während eines Krieges angenommen. Die meisten Regierungen zeigten nicht genug Interesse an einer Umsetzung, so dass es vor dem Beginn des Page 394
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zweiten Weltkriegs nicht zu einer entsprechenden diplomatischen Konferenz zur Annahme dieser Konvention kam. Das IKRK und der Zweite Weltkrieg Basis der Tätigkeit des IKRK während des Zweiten Weltkrieges waren die Genfer Konventionen in der Fassung von 1929. Die Aktivitäten des IKRK im Zweiten Weltkrieg konzentrierten sich wie im Ersten Weltkrieg auf die Überwachung der Kriegsgefangenenlager, die Hilfe für die Zivilbevölkerung und den Informationsaustausch über Gefangene und vermisste Personen. Im gesamten Kriegsverlauf kam es zu 12.750 Besuchen von Kriegsgefangenenlagern in 41 Ländern durch 179 Delegierte. In der Zentralauskunftsstelle für Kriegsgefangene waren während dieses Krieges ca. 3.000 Menschen beschäftigt. Ihre Kartei umfasste ca. 45 Millionen Karten, ca. 120 Millionen Nachrichten wurden vermittelt. Ein großes Problem für die Arbeit des IKRK war die Gleichschaltung des Deutschen Roten Kreuzes in der Zeit des Nationalsozialismus und die damit verbundenen massiven Einschränkungen in der Zusammenarbeit mit dem DRK in Bezug auf die Deportation der Juden aus Deutschland und den Massenmord in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern. Erschwerend kam auch die Tatsache hinzu, dass mit der Sowjetunion und Japan zwei Hauptmächte des Krieges nicht der Genfer Konvention „über die Behandlung von Kriegsgefangenen" von 1929 beigetreten Page 395
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt waren. Es gelang dem IKRK während des gesamten Krieges nicht, bei den nationalsozialistischen Machthabern die Gleichstellung der in den Konzentrationslagern internierten Menschen mit Kriegsgefangenen zu erreichen. Aufgrund der Befürchtung, durch ein weiteres Beharren auf entsprechenden Forderungen seine Aktivitäten für Kriegsgefangene und damit seine völkerrechtlich legitimierte Mission zu gefährden, unterließ das IKRK weiterführende Bemühungen in dieser Hinsicht. Aus dem gleichen Grund, und wegen einer möglichen Gefährdung seiner Neutralität, unternahm das IKRK nur zögerliche und unzureichende Schritte bei den Alliierten im Hinblick auf seine Kenntnisse über die Existenz der Vernichtungslager und die Deportation der jüdischen Bevölkerung. Ein weiterer Grund war der damals bestehende Einfluss der Schweizer Regierung auf das Komitee und die daraus resultierende Unterordnung des IKRK unter Vorgaben der Regierung, die den Sicherheitsinteressen der Schweiz entsprachen. So war Philipp Etter, Schweizer Bundesrat im Departement des Innern von 1934 bis 1959 und Bundespräsident in den Jahren 1939, 1942, 1947 und 1953, zur damaligen Zeit auch Mitglied im IKRK. Ein wichtiges Ziel der Schweizer Politik während des Krieges war es, unter allen Umständen die Neutralität und Souveränität der Schweiz zu wahren, die zeitweise vollständig von den Achsenmächten umschlossen war. Die daraus resultierende Page 396
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vermeidung aller Handlungen, die Deutschland oder seine Verbündeten hätte brüskieren können, wirkte sich auch auf die Aktivitäten des IKRK aus und wurde nach dem Ende des Krieges von den Siegermächten als illegitime Kooperation mit den Nazis angesehen. Erst ab November 1943 war es dem IKRK erlaubt, Pakete an diejenigen KZ-Insassen zu schicken, deren Namen und Aufenthaltsort dem Komitee bekannt waren und die keinen verschärften Haftbedingungen unterlagen. Durch die Empfangsbestätigungen, die neben den Empfängern oft auch von mehreren anderen Insassen unterzeichnet waren, gelang es dem IKRK, ca. 105.000 Menschen in den Lagern zu registrieren und insgesamt 1,1 Millionen Pakete zu verschicken, vorwiegend in die Lager Dachau, Buchenwald, Ravensbrück und Oranienburg-Sachsenhausen. Am 12. März 1945 erhielt der damalige IKRK-Präsident Carl Burckhardt von SS-General Ernst Kaltenbrunner die Zusage, dass IKRK-Delegierten Zugang zu den Konzentrationslagern gewährt werden würde. Dies galt allerdings unter der Voraussetzung, dass diese Delegierten bis zum Ende des Krieges in den Lagern verblieben. Zehn Delegierte, unter ihnen Louis Häfliger (Mauthausen), Paul Dunant (Theresienstadt) und Victor Maurer (Dachau) erklärten sich zu einer solchen Mission bereit. Louis Häfliger verhinderte durch seinen persönlichen Einsatz die Sprengung des Lagers Mauthausen und rettete damit tausenden Gefangenen das Leben. Er wurde vom IKRK für sein Page 397
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eigenmächtiges Handeln verurteilt und erst 1990 durch den damaligen Präsidenten Cornelio Sommaruga rehabilitiert. Herausragend aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges sind darüber hinaus die Aktivitäten des IKRK-Delegierten Friedrich Born für die jüdische Bevölkerung in Ungarn. Er rettete durch seinen Einsatz ca. 11.000 bis 15.000 Menschen das Leben und wurde am 5. Juni 1987 posthum als Gerechter unter den Völkern in die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen. Ein weiterer bekannter Delegierter des IKRK im Zweiten Weltkrieg war der Genfer Arzt Marcel Junod, dessen Erlebnisse in seinem Buch Kämpfer beidseits der Front nachzulesen sind. Im Jahr 1944 erhielt das IKRK erneut den Friedensnobelpreis, der seit Beginn des Krieges nicht vergeben worden war. Nach Ende des Krieges organisierte das IKRK, in Zusammenarbeit mit verschiedenen nationalen Rotkreuz-Gesellschaften, Hilfsmaßnahmen in den vom Krieg betroffenen Ländern. In Deutschland wurde dies vor allem vom Schwedischen Roten Kreuz unter Leitung von Folke Bernadotte übernommen. Weitere umfangreiche Hilfsaktionen nationaler Gesellschaften waren die Operation Shamrock des Irischen Roten Kreuzes sowie die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes. Auch die jüdische Fluchthilfe Beriha wurde bei der Rettung von etwa 5000 Juden aus Polen nach Rumänien im Januar 1945 vom IKRK unterstützt. 1948 veröffentlichte das IKRK einen Page 398
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz über sein Wirken während des Zweiten Weltkriegs (1. September 1939 – 30. Juni 1947)". Seit dem 17. Januar 1996 ist das Archiv des IKRK für die Öffentlichkeit zugänglich. Das IKRK nach dem Zweiten Weltkrieg Am 12. August 1949 wurden grundlegende Neufassungen der bestehenden zwei Konventionen angenommen, die seitdem als Genfer Abkommen I und III bezeichnet werden. Zwei neue Abkommen, das Genfer Abkommen II „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See" und als wichtigste Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg das Genfer Abkommen IV „über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten", erweiterten darüber hinaus den Schutz des humanitären Völkerrechts auf weitere Personengruppen. Weitere wesentliche Ergänzungen in mehreren Bereichen brachten die zwei Zusatzprotokolle vom 8. Juni 1977. Zum einen integrierten beide Protokolle erstmals auch Regeln für zulässige Mittel und Methoden der Kriegführung und damit Vorschriften für den Umgang mit den an den Kampfhandlungen beteiligten Personen, den sogenannten Kombattanten, in den Kontext der Genfer Konventionen. Zum zweiten verwirklichte das Protokoll II eines der am längsten verfolgten Ziele des IKRK: die Ausdehnung der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auch auf Situationen in Page 399
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nichtinternationalen, bewaffneten Konflikten wie beispielsweise Bürgerkriegen. Heute umfassen die vier Genfer Konventionen und ihre zwei Zusatzprotokolle über 600 Artikel. Zum hundertjährigen Jubiläum seiner Gründung erhielt das IKRK, diesmal gemeinsam mit der Liga, im Jahr 1963 zum dritten Mal den Friedensnobelpreis. Trotz dieser Anerkennung und der Erfolge des Internationalen Komitees bei der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts war seine Tätigkeit während der Konflikte des Kalten Krieges stark eingeschränkt durch eine weitestgehend ablehnende Haltung der kommunistischen Staaten, die auf grundsätzlichen Zweifeln an der Neutralität des Komitees beruhte. So konnte das IKRK weder im Indochinakrieg noch im Vietnamkrieg aktiv werden, da dies von den Regierungen der jeweiligen Länder strikt abgelehnt wurde. Erst die gemeinsame Hilfsmission mit UNICEF in Kambodscha nach dem Einmarsch Vietnams 1978/1979 verbesserte die Beziehungen zwischen dem IKRK und der kommunistischen Staatengemeinschaft. In den Konflikten zwischen den arabischen Staaten und Israel sowie zwischen Indien und Pakistan war die Tätigkeit des Komitees hingegen nicht von solchen Problemen betroffen. Im Biafra-Krieg von 1967 bis 1970 um die Unabhängigkeit des Gebietes Biafra von Nigeria offenbarten sich Schwierigkeiten innerhalb der Führungsebene des Komitees hinsichtlich der Einsatztätigkeit Page 400
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und der Zusammenarbeit mit den nationalen Rotkreuz-Gesellschaften vor Ort. Französische Ärzte um Bernard Kouchner, die unzufrieden waren mit den Beschränkungen, die sich aus dem Prinzip der Neutralität für die Arbeit des Komitees und des Französischen Roten Kreuzes ergeben hatten, gründeten darüber hinaus 1971 die Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen). Innerhalb des IKRK führten die Ereignisse während des Konfliktes in Biafra zu einer grundlegenden Neuordnung der Rollenverteilung zwischen den Mitgliedern des Komitees und dem Präsidenten auf der einen und den Angestellten auf der anderen Seite. Insbesondere im Bereich der praktischen Einsatztätigkeit erhielten die Mitarbeiter des Komitees deutlich mehr Kompetenzen und Einfluss. Der Falklandkrieg zwischen Argentinien und Großbritannien im Jahr 1982 war von Seiten beider Konfliktparteien durch eine beispielhafte Kooperation mit dem IKRK sowie eine nahezu vollumfängliche Einhaltung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts gekennzeichnet. Dem Komitee war es dadurch möglich, die rund 11.700 Kriegsgefangenen in diesem Konflikt den Genfer Konventionen entsprechend zu registrieren und angemessen zu betreuen. Hinsichtlich der Versorgung der Verwundeten stellte der Falklandkrieg aufgrund der Seekriegsführung die bei weitem umfangreichste Anwendung des entsprechenden Genfer Abkommens seit dem Abschluss im Jahr 1949 dar. Page 401
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Darüber hinaus gelang es dem Komitee, eine schriftliche Vereinbarung beider Konfliktparteien zur Einrichtung einer neutralen Sanitäts- und Sicherheitszone für Zivilpersonen im Bereich um die Kirche der Falkland-Hauptstadt Stanley zu erreichen. Neun Jahre nach dem Ende des Konflikts kam es durch Vermittlungen des IKRK zu einem vom Komitee organisierten Besuch von Gräbern gefallener argentinischer Soldaten auf den Falklandinseln durch rund 300 Angehörige. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) beschloss am 16. Oktober 1990, das IKRK als Beobachter (engl. observer) zu ihren Tagungen und den Sitzungen ihrer Komitees einzuladen. Die entsprechende Resolution (A/RES/45/6)6 wurde von 138 Mitgliedsländern eingebracht und auf der 31. Plenarsitzung ohne Abstimmung angenommen. Aus historischen Gründen – mit Bezug auf die Schlacht von Solferino – wurde die Resolution von Vieri Traxler, dem damaligen UN-Botschafter der Republik Italien, vorgestellt. Mit dieser Entscheidung wurde der Beobachter-Status in der UN-Generalversammlung erstmals einer privaten Organisation zuerkannt. Ein am 19. März 1993 mit dem Schweizerischen Bundesrat geschlossenes Abkommen garantiert dem IKRK bei seinen Aktivitäten in der Schweiz volle Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit; die Unverletzlichkeit seiner Räumlichkeiten, Archive und sonstigen Unterlagen; weitgehende rechtliche Immunität für das Komitee und seine Mitglieder, Page 402
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Delegierten und sonstigen Mitarbeiter; die Befreiung von allen direkten und indirekten Steuern sowie sonstigen Gebühren auf Bundes-, Kantons- oder lokaler Ebene; freien Zollund Zahlungsverkehr; Begünstigungen hinsichtlich seiner Kommunikation, die mit denen für in der Schweiz ansässigen internationalen Organisationen und ausländischen diplomatischen Vertretungen vergleichbar sind; sowie weitgehende Erleichterungen für seine Mitglieder, Delegierten und Mitarbeiter bei der Ein- und Ausreise. Seit 1993 können auch Personen anderer Nationalität als der Schweizerischen für das IKRK tätig sein, sowohl vor Ort im Hauptquartier in Genf als auch als Delegierte bei Auslandseinsätzen. Der Anteil von Mitarbeitern ohne Schweizer Staatsangehörigkeit ist seitdem kontinuierlich angestiegen und liegt derzeit bei etwa 35 Prozent. Die Zeit seit 1990 war für das IKRK aber auch durch eine Reihe von tragischen Ereignissen gekennzeichnet. So viele Delegierte wie nie zuvor in der Geschichte des Komitees verloren bei ihren Einsätzen ihr Leben. Dieser Trend ist vor allem auf den Anstieg der Zahl lokaler und oft innerstaatlicher Konflikte sowie mangelnden Respekt der beteiligten Konfliktparteien vor den Bestimmungen der Genfer Konventionen und ihrer Schutzzeichen zurückzuführen. Präsidenten des IKRK Derzeitiger Präsident des IKRK ist seit Juli 2012 Peter Maurer, der das Amt Page 403
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von Jakob Kellenberger übernahm. Vizepräsidenten sind seit 2006 Olivier Vodoz und seit 2008 Christine Beerli. Bisherige Präsidenten des IKRK waren: -
von von von von von von von von von von von von von
1863 1864 1910 1928 1945 1948 1955 1964 1969 1973 1976 1987 2000
bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis
1864: 1910: 1928: 1944: 1948: 1955: 1964: 1969: 1973: 1976: 1987: 1999: 2012:
Guillaume-Henri Dufour Gustave Moynier Gustave Ador Max Huber Carl Jacob Burckhardt Paul Ruegger Léopold Boissier Samuel Gonard Marcel Naville Eric Martin Alexandre Hay Cornelio Sommaruga Jakob Kellenberger
Eine ausführliche Gesamtübersicht mit Lebensdaten, biographischen Informationen und wichtigen Ereignissen während der jeweiligen Amtszeit ist in der Liste der Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu finden. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften Von der Gründung bis 1945 Am 5. Mai 1919 gründeten die nationalen Rotkreuz-Gesellschaften Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Japans und der USA auf Anregung des damaligen Präsidenten des Amerikanischen Roten Kreuzes, Henry P. Davison, in Paris die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften. Die Ausdehnung der Rotkreuz-Aktivitäten über die strikte Mission des Page 404
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt IKRK hinaus auch auf die Hilfe für Opfer von nicht kriegsbedingten Notsituationen (wie nach technischen Unglücken und Naturkatastrophen), die auf internationaler Ebene Aufgabe der Liga werden sollte, geschah ebenfalls auf Initiative des Amerikanischen Roten Kreuzes. Dieses war bereits seit seiner Gründung auch in Friedenszeiten mit Hilfsaktionen aktiv, eine Idee, die auf seine Gründerin Clara Barton zurückging. Die Gründung der Liga, als weitere international tätige Rotkreuz-Organisation neben dem IKRK, war aus mehreren Gründen zunächst umstritten. Zum einen gab es von Seiten des IKRK zum Teil berechtigte Befürchtungen hinsichtlich einer Konkurrenz zwischen beiden Organisationen. Die Gründung der Liga wurde als Versuch angesehen, den Führungsanspruch des Komitees in Frage zu stellen und die meisten seiner Aufgaben und Befugnisse einer multilateralen Institution zu übertragen. Das IKRK war nach Meinung der Führung des Amerikanischen Roten Kreuzes zu zurückhaltend in seinem Vorgehen und nicht einflussreich genug hinsichtlich seiner internationalen Bedeutung. Zum anderen waren an der Gründung der Liga ausschließlich nationale Gesellschaften aus Staaten der Entente beziehungsweise mit ihren alliierten oder assoziierten Ländern beteiligt. Die im Mai 1919 ursprünglich beschlossenen Statuten der Liga gewährten darüber hinaus den fünf an der Gründung beteiligten Gesellschaften einen Sonderstatus sowie, Page 405
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt auf Betreiben von Henry P. Davison, das Recht, die nationalen Rotkreuz-Gesellschaften der Mittelmächte Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und der Türkei sowie das Russische Rote Kreuz dauerhaft auszuschließen. Dieser Passus widersprach jedoch den Rotkreuz-Prinzipien der Universalität und der Gleichberechtigung zwischen allen nationalen Gesellschaften. Auch der Aufbau des Völkerbundes spielte eine Rolle bei der Gründung der Liga. So finden sich z. B. in Art. 25 der Völkerbundsatzung von 1919 als eine Verpflichtung der Staaten, die Errichtung und Zusammenarbeit anerkannter freiwilliger nationaler Organisationen des Roten Kreuzes zur Hebung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und Milderung der Leiden in der Welt zu fördern und zu begünstigen.7 Die erste durch die Liga organisierte Hilfsaktion unmittelbar nach ihrer Gründung war die Versorgung der Betroffenen einer Typhus-Epidemie und Hungersnot in Polen. Bereits in den ersten fünf Jahren nach ihrer Gründung erließ die Liga 47 Spendenappelle für Hilfsaktionen in 34 Ländern. Auf diesem Wege gelangten Hilfsgüter im Wert von ca. 685 Millionen Schweizer Franken unter anderem an die Opfer von Hungersnöten in Russland, Deutschland und Albanien, Erdbeben in Chile, Persien, Japan, Kolumbien, Ecuador, Costa Rica und der Türkei und an Flüchtlinge in Griechenland und der Türkei. Ein weiteres wichtiges Anliegen der Liga war die Unterstützung Page 406
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der nationalen Gesellschaften bei der Schaffung von Jugendsektionen. Der erste große Katastropheneinsatz der Liga war das Erdbeben in Japan im Jahr 1923, bei dem ca. 200.000 Menschen ums Leben kamen. Durch Vermittlung der Liga erhielt das Japanische Rote Kreuz Hilfeleistungen von anderen nationalen Gesellschaften im Gesamtwert von ca. 100 Millionen Dollar. Mit dem Einsatz der Liga zusammen mit dem IKRK im Russischen Bürgerkrieg (1917–1922) wurde die Bewegung erstmals in einem innerstaatlichen Konflikt aktiv. Während die Liga mit Unterstützung von mehr als 25 nationalen Gesellschaften vor allem die Verteilung von Hilfsgütern und die Versorgung der hungernden und von Seuchen betroffenen Zivilbevölkerung übernahm, unterstützte das IKRK durch seine Neutralität das Russische und später das Sowjetische Rote Kreuz bei seinen Aktivitäten gegenüber den Konfliktparteien. Zur Koordinierung der Aktivitäten zwischen dem IKRK und der Liga und zur Beilegung der zwischen beiden Organisationen bestehenden Rivalitäten wurde 1928 das Internationale Rote Kreuz als Dachverband beider Organisationen gegründet. Ein International Council fungierte dabei als Leitorgan des IRK. Die Aufgaben des Councils wurden später von der Ständigen Kommission (engl. Standing Commission) übernommen. Im gleichen Jahr wurden erstmals gemeinsame Statuten der Rotkreuz-Bewegung beschlossen, welche die jeweiligen Aufgaben des IKRK und der Liga beschrieben. Dabei Page 407
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt setzte sich das IKRK hinsichtlich seines Führungsanspruches innerhalb der Bewegung gegen entsprechende Bestrebungen der Liga durch. Ein Jahr später wurden mit dem Roten Halbmond und dem Roten Löwen mit roter Sonne zwei weitere, mit dem Roten Kreuz gleichberechtigte, Schutzzeichen in die Genfer Konventionen aufgenommen. Während der Iran das einzige Land war, das (bis 1980) den Roten Löwen mit roter Sonne verwendete, entwickelte sich der Rote Halbmond zum Symbol nahezu aller nationalen Gesellschaften in islamischen Ländern. Während des Krieges zwischen Äthiopien und Italien (1935/1936) erbrachte die Liga Hilfeleistungen im Umfang von ca. 1,7 Millionen Schweizer Franken, die aufgrund der Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz durch Italien ausschließlich der äthiopischen Seite zukamen. Vorwiegend durch Angriffe der Italienischen Armee verloren in diesem Konflikt 29 Menschen, die unter dem Schutz des Roten Kreuzes tätig waren, ihr Leben. Während des Spanischen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939 war die Liga erneut zusammen mit dem IKRK aktiv und wurde dabei von 41 nationalen Gesellschaften unterstützt. In den Jahren 1937 und 1939 wurde die Liga vom damaligen IKRK-Präsidenten Max Huber in seiner Funktion als Mitglied des Institut de Droit international (Institut für Völkerrecht) für den Friedensnobelpreis nominiert. 1939 verlegte die Liga aufgrund des Beginns des Zweiten Weltkrieges ihren Hauptsitz von Paris Page 408
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nach Genf, um für ihre Aktivitäten den sich aus der Schweizer Neutralität ergebenden Schutz in Anspruch nehmen zu können. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges forderten sowohl einige Regierungen als auch einzelne Rotkreuz-Gesellschaften die Auflösung des IKRK und die Übertragung seiner Befugnisse an die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften. Alternativ dazu schlug der damalige Präsident des Schwedischen Roten Kreuzes Folke Bernadotte vor, die Aufgaben des Komitees und der Liga dadurch zusammenzuführen, dass jede nationale Gesellschaft ein Mitglied des Internationalen Komitees stellen sollte. Das IKRK begegnete diesen Vorschlägen zum einen durch verstärkte Hilfsaktivitäten. Zum anderen bezog es im Rahmen von zwei Konferenzen 1946 die nationalen Gesellschaften und 1947 die Regierungen der Staatengemeinschaft in eine Überarbeitung der Genfer Konventionen ein und betonte auf diese Weise seine besondere Stellung im Bereich des humanitären Völkerrechts. Die Verabschiedung der Neufassungen der Genfer Konventionen im Jahr 1949 stärkte somit die Position des Komitees gegenüber der Liga und den nationalen Gesellschaften. Drei Jahre später wurden die 1928 beschlossenen Statuten der Bewegung erstmals überarbeitet. Von 1960 bis 1970 verzeichnete die Liga einen starken Anstieg in der Zahl der anerkannten nationalen Page 409
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, von denen es zum Ende des Jahrzehnts mehr als 100 gab. Dieser Trend war zum Teil auf die Unabhängigkeit von früheren Kolonien in Afrika und Asien zurückzuführen. Am 10. Dezember 1963 erhielt die Liga, zusammen mit dem IKRK, den Friedensnobelpreis. Am 11. Oktober 1983 wurde die Liga umbenannt in Liga der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. 1986 fanden die 1965 beschlossenen sieben Grundsätze der Bewegung Eingang in die Statuten, die im selben Jahr erneut überarbeitet wurden. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Überarbeitung der Statuten die Bezeichnung Internationales Rotes Kreuz aufgegeben zugunsten des neuen offiziellen Namens Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Am 27. November 1991 erhielt die Liga den heute gültigen Namen Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (engl. International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, IFRC). Am 19. Oktober 1994 wurde während der 38. Plenartagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen auch die Föderation als Beobachter zu den Tagungen der UN und den Sitzungen ihrer Komitees eingeladen (Resolution A/RES/49/2? ). Das 1997 zwischen der Föderation und dem IKRK geschlossene Abkommen von Sevilla definiert die Zuständigkeiten beider Organisationen bei internationalen Page 410
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einsätzen. Das IKRK gab dabei einige Zuständigkeiten an die Föderation ab, beispielsweise bei der Betreuung von Flüchtlingen in Ländern ohne bewaffnete Konflikte. Die bisher umfangreichste Hilfsaktion unter Leitung der Föderation ist mit Beteiligung von rund 22.000 Helfern von mehr als 40 nationalen Rotkreuzund Rothalbmond-Gesellschaften der Einsatz nach der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean am 26. Dezember 2004. Präsidenten der Föderation Präsident der Föderation ist seit November 2009 der Japaner Tadateru Konoé. Vizepräsidenten sind Pierre de Senarclens kraft seines Amtes als Vertreter des Schweizerischen Roten Kreuzes sowie als Vertreter der verschiedenen Weltregionen Bengt Westerberg (Schweden), Mohamed Al Maadheed (Katar), Jaslin U. Salmon (Jamaika) und Paul Birech (Kenia). Bisherige Präsidenten, die bis 1977 als „Chairman" bezeichnet wurden, waren: - 1919–1922: Staaten) - 1922–1935: Staaten) - 1935–1938: Staaten) - 1938–1944: - 1944–1945: - 1945–1950: - 1950–1959: - 1959–1965: - 1965–1977:
Henry P. Davison (Vereinigte John Barton Payne (Vereinigte Cary Travers Grayson (Vereinigte Norman Davis (Vereinigte Staaten) Johannes von Muralt (Schweiz) Basil O'Connor (Vereinigte Staaten) Emil Sandström (Schweden) John A. MacAulay (Kanada) José Barroso Chávez (Mexiko) Page 411
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - 1977–1981: Joseph Adetunji Adefarasin (Nigeria) - 1981–1987: Enrique de la Mata (Spanien) - 1987–1997: Mario Villarroel Lander (Venezuela) - 1997–2001: Astrid N. Heiberg (Norwegen) - 2001–2009: Juan Manuel Suárez Del Toro Rivero (Spanien) Aktivitäten Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung Struktur und Organisation Mitglieder der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sind das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften sowie die nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. Diese Organisationen sind innerhalb der Bewegung durch die Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, den Delegiertenrat der Bewegung sowie die ständige Kommission des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes als gemeinsame Organe miteinander verbunden. Die Internationale Konferenz ist das oberste Organ der Bewegung. Hier kommen die Vertreter der nationalen Gesellschaften, des IKRK und der Föderation sowie die Vertreter der Vertragsstaaten der Genfer Abkommen etwa alle vier Jahre zusammen. Sie „trägt zur Einheit der Bewegung sowie zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts und anderer internationaler Abkommen von besonderem Interesse für die Page 412
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bewegung bei" und verabschiedet ihre Beschlüsse, Empfehlungen und Deklarationen in Form von Resolutionen. Die Teilnehmer der Konferenz wählen darüber hinaus die Mitglieder der Ständigen Kommission und können dem IKRK oder der Föderation im Rahmen der Statuten Mandate übertragen. Die Teilnehmer müssen die Grundsätze der Bewegung achten und sich als Redner jeglicher kontroverser politischer, rassistischer, religiöser oder ideologischer Stellungnahmen enthalten.¹° Die Vertreter der Nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, des IKRK und der Föderation bilden den Delegiertenrat. Im Rahmen der Statuten „äußert sich der Rat zu jeder die Bewegung betreffende Frage und fasst, sofern nötig, entsprechende Beschlüsse" im Konsensverfahren. Der Rat tritt in der Regel vor einer Internationalen Konferenz zusammen. Vertreter neuer nationaler Gesellschaften im Anerkennungsverfahren haben die Möglichkeit, den Sitzungen beizuwohnen.¹¹ Zwischen den Internationalen Konferenzen ist die Ständige Kommission Sachverwalter der Konferenz. Sie setzt sich dafür ein, dass die Organisationen der Bewegung harmonisch zusammenarbeiten, bemüht sich um die Umsetzung der Resolutionen der Konferenz und behandelt Angelegenheiten, welche die Bewegung in ihrer Gesamtheit betreffen. Ihr gehören neun Mitglieder an, davon fünf Mitglieder der nationalen Gesellschaften, zwei Vertreter des IKRK sowie zwei Vertreter der Page 413
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Föderation. Die Kommission ist zuständig für die Festlegung des Konferenzortes, des Datums, des Programms sowie der vorläufigen Tagesordnung. Darüber hinaus hat sie die Aufgabe, Meinungsverschiedenheiten, die durch Auslegung oder Anwendung der Statuten der Bewegung entstehen, zu entscheiden.¹² Zusammengefasst unter der Bezeichnung „Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung" sind für das IKRK, die Föderation und die nationalen Gesellschaften weltweit gegenwärtig etwa 97 Millionen Mitglieder aktiv, davon ca. 300.000 Menschen hauptberuflich. Grundsätze ? Hauptartikel: Grundsätze der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung Die am 8. Oktober 1965 auf der XX. Internationalen Konferenz vom 2. bis 9. Oktober 1965 verkündeten sieben Grundsätze der Bewegung wurden durch die XXV. Internationale Konferenz vom 23. bis 31. Oktober 1986 angepasst und lauten: -
Menschlichkeit (engl. Humanity) Unparteilichkeit (engl. Impartiality) Neutralität (engl. Neutrality) Unabhängigkeit (engl. Independence) Freiwilligkeit (engl. Voluntary Service) Einheit (engl. Unity) Universalität (engl. Universality).¹³
Diesen Grundsätzen sind alle Mitglieder und Organisationen des Roten Page 414
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kreuzes oder Roten Halbmondes verpflichtet. Motto, Gedenktag und Sehenswürdigkeiten Der erste Wahlspruch des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz lautete „Inter Arma Caritas" (deutsch: „Inmitten der Waffen Menschlichkeit"). Es wurde erstmals 1888 durch Gustave Moynier anlässlich der Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen der Rotkreuz-Bewegung verwendet.¹4 Er beschrieb dabei ein Bild, das einen Rotkreuz-Helfer inmitten des Kriegsgeschehens darstellte und in der Jubiläumsschrift des IKRK abgebildet war.¹5 Das Motto wurde ab 1889 auf den jeweiligen Ausgaben des Bulletin International verbreitet.¹6 Es wurde 1961 für die gesamte Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung ergänzt um die Losung „Per Humanitatem ad Pacem" (deutsch: „Durch Menschlichkeit zum Frieden").¹7 In diesen Losungen kommt somit auch die historisch bedingte Ausrichtung beider Organisationen auf ihre vorrangigen Aufgaben zum Ausdruck. Das aus den Erfahrungen der Neunziger Jahre hervorgegangene Mission Statement der von der Föderation beschlossenen „Strategie 2010" lautet: "To improve the lives of vulnerable people by mobilizing the power of humanity" „Das Leben von Menschen in Not und sozial Schwachen durch die Kraft der Menschlichkeit verbessern." Page 415
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Von 1999 bis 2004 standen deshalb alle Aktivitäten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung unter dem Slogan "The power of Humanity" (deutsch: „Die Kraft der Menschlichkeit"). Während der 28. Internationalen Konferenz in Genf im Dezember 2003 wurde das Konferenzmotto "Protecting human Dignity" (deutsch: „Schutz der Menschenwürde") zur neuen Losung für die Aktivitäten der Bewegung gewählt. Auf der 16. Internationalen Rotkreuz-Konferenz in London im Jahr 1938 wurde beschlossen, den Geburtstag von Henry Dunant am 8. Mai alljährlich als Gedenk- und Feiertag der Internationalen Bewegung zu begehen. Seit 1984 trägt dieser Tag den Namen „Weltrotkreuz- und Rothalbmondtag". In Solferino befindet sich neben einem kleinen Museum, das sich hauptsächlich der Schlacht von Solferino und der Geschichte der Italienischen Befreiungskriege widmet, die Knochenkapelle Ossario di Solferino, in der die Schädel von 1.413 Gefallenen der Schlacht und Knochen von ca. 7.000 weiteren Opfern aufbewahrt sind, sowie das 1959 eingeweihte Denkmal des Roten Kreuzes. Im benachbarten Castiglione delle Stiviere wurde im gleichen Jahr das Internationale Museum des Roten Kreuzes eröffnet. Direkt neben dem Hauptsitz des IKRK in Genf ist das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum zu finden. Das Henry-Dunant-Museum in Heiden am Bodensee, das sich mit dem Leben und Wirken von Henry Dunant Page 416
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt beschäftigt, wurde in dem Spital eingerichtet, in dem er die letzten 18 Jahre seines Lebens verbrachte. Aktivitäten und Organisation des IKRK Mission und Aufgaben Die Mission des IKRK als unparteiische, neutrale und unabhängige Organisation ist der Schutz des Lebens und der Würde von Opfern von Kriegen und innerstaatlichen Konflikten sowie ihre Unterstützung. Es leitet und koordiniert die internationalen Hilfsaktivitäten der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung bei bewaffneten Konflikten und ist damit nach dem Abkommen von Sevilla das verantwortliche Organ (engl. Lead Agency) der Bewegung für entsprechende Situationen. Zu den durch die Genfer Konventionen sowie das Statut des Komitees definierten originären Aufgaben des IKRK gehören die Organisation und die Durchführung folgender Maßnahmen in Kriegs- und Krisensituationen: - Überwachung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts, insbesondere der Genfer Konventionen - Pflege und Versorgung von Verwundeten - Überwachung der Behandlung von Kriegsgefangenen sowie ihre Versorgung - Familienzusammenführung sowie die Suche nach vermissten Personen (Suchdienst) - Schutz und Versorgung der Zivilbevölkerung - Vermittlung zwischen den Konfliktparteien Im Jahr 2006 besuchten Delegierte des IKRK rund Page 417
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 478.000 Gefangene an etwa 2.600 Orten in 71 Ländern, davon wurden fast 25.400 Gefangene erstmals besucht und registriert. Etwa 300.000 Rotkreuz-Mitteilungen zwischen voneinander getrennten Familienmitgliedern wurden ausgetauscht. Für etwa 11.600 Menschen konnte erstmals der Verbleib ermittelt werden, für fast 1.100 Kinder gelang die Zusammenführung mit ihren Familien. Rund 2,6 Millionen Menschen erhielten durch das IKRK Hilfe in Form von Lebensmitteln, rund vier Millionen in Form von Zelten, Decken, Hygieneartikeln und ähnlichem Material, 15,9 Millionen in Form von Wasser und sanitären Anlagen und rund 2,4 Millionen in Form von Gesundheitsstationen und ähnlichen Einrichtungen. Rund 18.000 Angehörige von Militär-, Sicherheits- und Polizeieinheiten in mehr als 100 Ländern erhielten durch das IKRK in mehr als 300 Kursen Unterweisungen zum humanitären Völkerrecht. Struktur und Organisation Das IKRK hat seinen Hauptsitz in Genf und Niederlassungen in ca. 80 weiteren Ländern. Für die internationalen Aktivitäten des Komitees waren 2006 rund 12.500 Menschen weltweit im Einsatz, davon ca. 800 im Hauptquartier in Genf, ca. 1.500 sogenannte Expatriates, je zur Hälfte Delegierte zur Leitung internationaler Missionen sowie Spezialisten wie Ärzte, Ingenieure, Logistiker, Übersetzer und andere, und etwa 10.200 Page 418
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mitglieder nationaler Gesellschaften vor Ort. Entgegen weit verbreiteter Annahmen ist das IKRK in Bezug auf seine Struktur und Organisationsform weder eine nichtstaatliche Organisation, noch, wie der Name vermuten ließe, eine internationale Organisation. Das Wort „international" im Namen bezieht sich auf sein durch die weltweite Staatengemeinschaft in den Genfer Abkommen erteiltes Mandat und rührt aus der Begrifflichkeit „inter nationes" (zwischen den Staaten) her. Die Genfer Abkommen sind damit die völkerrechtliche Grundlage und zusammen mit den Statuten des Komitees die rechtliche Basis für seine Aktivitäten. Es besitzt darüber hinaus durch Verträge mit einzelnen Staaten und internationalen Organisationen sowie durch nationale Gesetze in einzelnen Ländern weitergehende Rechte, Privilegien und Immunitätsschutz zur Durchführung seiner Aufgaben. Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen für seine Existenz und Organisation ist das IKRK eine private Vereinigung nach Schweizer Vereinsrecht. Laut seinen Statuten setzt es sich aus 15 bis 25 Schweizer Staatsbürgern zusammen, die durch das Komitee selbst für die Dauer von jeweils vier Jahren kooptiert werden. Eine mehrfache Wiederwahl ist möglich, nach Ablauf von drei Perioden ist für jede zukünftige Wiederwahl eine Dreiviertelmehrheit aller Komitee-Mitglieder notwendig. Die beiden wesentlichen Organe des IKRK sind das Direktorat (engl. Directorate) und die Versammlung (engl. Page 419
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Assembly). Das Direktorat ist das ausführende Organ des Komitees und besteht aus einem Generaldirektor und fünf Direktoren für die Bereiche „Operationen", „Personal", „Ressourcen und operative Unterstützung", „Kommunikation" sowie „Internationales Recht und Kooperation innerhalb der Bewegung". Die Mitglieder des Direktorats werden von der Versammlung für vier Jahre ernannt. Die Versammlung, bestehend aus allen Mitgliedern des Komitees, tritt regelmäßig zusammen und ist für die Festlegung von Zielen, Richtlinien und Strategien, die Überwachung der Aktivitäten des Komitees und die Kontrolle des Haushalts zuständig. Ihr Präsident ist der für jeweils vier Jahre gewählte Präsident des Komitees. Ihm zur Seite stehen zwei Vizepräsidenten. Während einer der beiden Vizepräsidenten ebenfalls vier Jahre lang amtiert, ist die Amtszeit des zweiten nicht befristet, sondern endet mit dem Rücktritt vom Amt oder dem Ausscheiden aus dem Komitee. Die Versammlung wählt darüber hinaus einen aus fünf Mitgliedern bestehenden Versammlungsrat (engl. Assembly Council). Diesem werden von der Versammlung Entscheidungsbefugnisse in bestimmten Angelegenheiten übertragen. Darüber hinaus bereitet der Versammlungsrat die Zusammenkünfte der Versammlung vor und dient als Verbindungsorgan zwischen der Versammlung und dem Direktorat. Bedingt durch die Lage Genfs im französischsprachigen Teil der Schweiz agiert das IKRK im Regelfall unter seinem französischen Namen Comité Page 420
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt international de la Croix-Rouge bzw. dem sich daraus ergebenden Kürzel CICR. Als Symbol verwendet das IKRK das Rote Kreuz auf weißem Grund mit der im Kreis umlaufenden Beschriftung „COMITE INTERNATIONAL GENEVE". Finanzierung Das Budget des IKRK wird zum größten Teil durch die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Abkommen und deren Vertragsstaaten sowie die nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, und in kleinerem Umfang durch internationale Organisationen wie die Europäische Union und durch Spenden von Firmen, Vereinen und Privatpersonen aufgebracht. Alle diese Zahlungen erfolgen freiwillig auf der Grundlage von Spendenaufrufen getrennt für die Bereiche interne Betriebskosten und Hilfseinsätze (engl. Headquarters Appeal und Emergency Appeals). Diese Aufrufe werden vom IKRK jährlich an Repräsentanten möglicher Unterstützer übergeben. Die Finanzplanungen des IKRK gelten in diplomatischen Kreisen aufgrund ihrer Gründlichkeit als Frühwarnsystem für humanitäre Krisen. Das geplante Gesamtbudget für das Jahr 2011 beläuft sich auf etwa 1,23 Milliarden Schweizer Franken, der höchste Stand in der Geschichte des Komitees. Es verteilt sich auf 1,05 Milliarden Schweizer Franken (85,1 Prozent) für Hilfseinsätze und 183,5 Millionen Schweizer Franken (14,9 Prozent) für interne Kosten. Der Anstieg im Page 421
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vergleich zum Vorjahr beträgt ca. 11,6 Prozent bei den geplanten Ausgaben für Hilfseinsätze und 6,1 Prozent bei den voraussichtlichen internen Kosten. Mit einem prognostizierten Gesamtbedarf von 385,5 Millionen Schweizer Franken, rund 37 Prozent der geplanten Ausgaben für Hilfseinsätze, liegt der Schwerpunkt der Einsatztätigkeit wie in den Jahren zuvor in Afrika. Der Einsatz des IKRK in Afghanistan ist mit voraussichtlichen Kosten von 89,4 Millionen Schweizer Franken dessen umfangreichste Mission, gefolgt von den Einsätzen im Irak (85,8 Millionen Schweizer Franken) und im Sudan (82,8 Millionen Schweizer Franken). Aktivitäten und Organisation der Föderation Mission und Aufgaben Die Föderation koordiniert innerhalb der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gesellschaften und unterstützt die Gründung und den Aufbau neuer nationaler Gesellschaften in Ländern, in denen noch keine entsprechende Gesellschaft existiert. Auf internationaler Ebene organisiert und leitet die Föderation insbesondere Hilfseinsätze in nichtkriegerischen Notsituationen, wie zum Beispiel nach Naturkatastrophen, technischen Unglücken, Epidemien, bei Massenfluchten und nach dem Ende eines bewaffneten Konflikts. Nach dem Abkommen von Sevilla ist die Föderation damit das verantwortliche Organ der Bewegung (engl. Lead Agency) Page 422
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt für entsprechende Einsätze. Sie arbeitet dabei sowohl mit den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften der betroffenen Länder (engl. Operating National Societies, ONS) als auch nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften anderer Länder (engl. Participating National Societies, PNS) zusammen. Von den derzeit 187 nationalen Gesellschaften, die entweder als Mitglieder oder als Beobachter (engl. Observer) der Generalversammlung der Föderation angehören, sind etwa 25 bis 30 regelmäßig als PNS in anderen Ländern im Einsatz. Zu den aktivsten nationalen Gesellschaften auf internationaler Ebene gehören unter anderem das Amerikanische Rote Kreuz, das Britische Rote Kreuz, das Deutsche Rote Kreuz und die nationalen Rotkreuz-Gesellschaften Schwedens und Norwegens. Die Föderation unterstützt außerdem das IKRK bei dessen Missionen. Ein aktueller Schwerpunkt der Arbeit der Föderation ist der Einsatz für ein Verbot von Landminen und die medizinische, psychologische und soziale Betreuung von Minenopfern. Die Aufgaben der Föderation lassen sich demzufolge zu den folgenden Schwerpunkten zusammenfassen: - Verbreitung humanitärer Prinzipien und Werte - Reaktion auf Katastrophen und andere Notsituationen durch Hilfsmaßnahmen - Katastrophenvorsorge durch Aus- und Weiterbildung von Hilfskräften sowie Bereitstellung und Verteilung von Hilfsgütern - Gesundheitsvorsorge und sozialmedizinische Page 423
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Betreuung auf lokaler Ebene Struktur und Organisation Die Föderation hat ihren Hauptsitz ebenfalls in Genf und darüber hinaus 14 Regionalbüros in verschiedenen Regionen sowie etwa 350 Delegierte in mehr als 60 Ländern. Die verbindliche Rechtsgrundlage der Föderation hinsichtlich ihrer Ziele, ihrer Struktur, ihrer Finanzierung und ihrer Kooperation mit anderen Organisationen inklusive des IKRK ist ihre Verfassung. Ausführendes Organ der Föderation ist das Sekretariat unter Leitung des Generalsekretärs (engl. Secretary General). Dem Sekretariat sind vier Abteilungen (engl. divisions) für „Unterstützende Dienste" (engl. Support Services), „Unterstützung der nationalen Gesellschaften und der Arbeit vor Ort", (engl. National Society and Field Support), „Strategie und Kontakte" (engl. Policy and Relations) und „Kooperation innerhalb der Bewegung" (engl. Movement Cooperation) unterstellt. Der letztgenannten Abteilung obliegt dabei die Zusammenarbeit mit dem IKRK. Das höchste Organ der Föderation ist die Generalversammlung (engl. General Assembly), die alle zwei Jahre zusammentritt und aus Delegierten aller nationalen Gesellschaften besteht. Darüber hinaus ernennt sie den Generalsekretär. Zwischen den Zusammenkünften der Generalversammlung ist der Verwaltungsrat (engl. Governing Board) das leitende Organ und verfügt Page 424
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt als solches auch über Entscheidungsbefugnisse in bestimmten Angelegenheiten. Der Verwaltungsrat besteht aus dem Präsidenten und den Vizepräsidenten der Föderation, dem Vorsitzenden der Finanzkommission und gewählten Repräsentanten nationaler Gesellschaften. Ihm unterstellt sind vier weitere Kommissionen für „Gesundheits- und Gemeinschaftsdienste", „Jugendarbeit", „Katastrophenhilfe" und „Entwicklung". Die Föderation verwendet für ihre Aktivitäten die Kombination aus Rotem Kreuz (links) und Rotem Halbmond (rechts) auf weißem Grund (in der Regel umgeben von einem roten Rand) und ohne weitere Beschriftung als Kennzeichen. Finanzierung Die Föderation finanziert die regulären Kosten ihrer Tätigkeit durch Beitragszahlungen der ihr als Mitglieder angehörenden nationalen Gesellschaften sowie durch Erträge aus Investitionen und Finanzgeschäften. Die Höhe der Beitragszahlungen wird durch die Finanzkommission festgelegt und durch die Generalversammlung bestätigt. Weitere Einnahmen, insbesondere für unvorhergesehene Sonderausgaben, ergeben sich vor allem aus freiwilligen Zahlungen durch nationale Gesellschaften, Regierungen, andere Organisationen, Firmen der freien Wirtschaft und Einzelpersonen. Von der Föderation werden dazu je nach konkretem Bedarf, vor allem für sich Page 425
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt kurzfristig ergebende Hilfseinsätze, Spendenaufrufe veröffentlicht. Im Jahr 2009 erzielte die Föderation Einnahmen in Höhe von 36,0 Millionen Schweizer Franken aus Beitragszahlungen, 4,6 Millionen Schweizer Franken aus nicht zweckgebundenen Spenden, 14,2 Millionen Schweizer Franken aus Investitionen und Finanzgeschäften sowie rund 17,6 Millionen Schweizer Franken aus anderen Zahlungen. Hinzu kamen zweckgebundene Spenden aufgrund von Aufrufen in Höhe von 282,6 Millionen Schweizer Franken sowie 33,0 Millionen Schweizer Franken in Form von anderen zweckgebundenen Leistungen. Demgegenüber standen Ausgaben von insgesamt 475,6 Millionen Schweizer Franken. Der sich daraus ergebende Fehlbetrag wurde vollständig aus Rücklagen finanziert, deren Höhe im Jahr 2009 bei 442,6 Millionen Schweizer Franken lag, darunter 249,4 Millionen Schweizer Franken in Form von Barmitteln. Aktivitäten und Organisation der nationalen Gesellschaften Mission und Aufgaben Zu den originären, sich aus den Genfer Konventionen und den Statuten der Bewegung ergebenden Aufgaben einer nationalen Gesellschaft gehört die humanitäre Hilfeleistung im Fall von bewaffneten Konflikten und anderen Notsituationen von großem Ausmaß wie Naturkatastrophen, sowie die Verbreitung der Kenntnisse des humanitären Page 426
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Völkerrechts. Sowohl das IKRK als auch die Föderation kooperieren bei ihren jeweiligen Aktivitäten mit den nationalen Gesellschaften, insbesondere im Hinblick auf die personelle, materielle und finanzielle Ausstattung von Hilfseinsätzen. Im Rahmen ihrer jeweiligen personellen, finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten nehmen die meisten nationalen Gesellschaften darüber hinaus weitere humanitäre Aufgaben in ihrem Heimatland wahr. Viele Gesellschaften spielen beispielsweise in ihrem Heimatland eine wichtige Rolle im Blutspendewesen, im zivilen Rettungsdienst oder in den sozialen Diensten wie der Alten- und Krankenpflege. In diesen Ländern wirken die nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften somit auch als Dienstleister im Gesundheitswesen und als Wohlfahrtsverbände. Struktur und Organisation Nationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften existieren in fast allen Ländern der Welt. Sie nehmen dabei grundsätzlich in ihrem Heimatland die sich aus den Genfer Konventionen ergebenden Aufgaben, Rechte und Pflichten einer nationalen Gesellschaft wahr. Die Anerkennung einer Hilfsorganisation als nationale Gesellschaft im Sinne der Konventionen erfolgt durch das IKRK auf der Basis der Statuten der Bewegung und durch die Regierung des Heimatlandes. Artikel 4 dieser Statuten enthält dafür zehn Voraussetzungen Page 427
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt für die Anerkennung durch das IKRK: - Die Organisation ist auf dem Territorium eines unabhängigen Staates, der die Genfer Konventionen unterzeichnet haben muss, tätig. - Die Organisation wird durch ein zentrales Organ geführt, das als alleiniges Entscheidungsgremium der Organisation und als Ansprechpartner für die Bewegung fungiert, und ist die einzige nationale Rotkreuz- oder Rothalbmond-Gesellschaft in ihrem Heimatland. - Die jeweilige Regierung hat die Organisation als freiwillige Hilfsgesellschaft im Sinne der Genfer Konventionen anerkannt. - Die Organisation ist rechtlich unabhängig und in der Lage, jederzeit in voller Übereinstimmung mit den Prinzipien der Bewegung zu handeln. - Die Organisation verwendet einen Namen und ein Symbol in Übereinstimmung mit den Genfer Konventionen und ihren Zusatzprotokollen. - Die Organisation ist so organisiert, dass sie jederzeit die in ihren eigenen Statuten festgelegten Aufgaben erfüllen kann, inklusive der sich aus den Genfer Konventionen ergebenden Verpflichtung zur Vorbereitung in Friedenszeiten auf humanitäre Hilfeleistung im Fall eines bewaffneten Konflikts. - Die Organisation ist auf dem gesamten Staatsgebiet ihres Heimatlandes aktiv. - Die Aufnahme ihrer freiwilligen Mitglieder erfolgt ohne jede Berücksichtigung von Rasse, Geschlecht, Klassenzugehörigkeit, Religion Page 428
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt oder politischen Ansichten. - Die Organisation folgt den Statuten der Bewegung und ist bereit, mit allen Mitgliedern der Bewegung zu kooperieren. - Die Organisation respektiert die fundamentalen Grundsätze der Bewegung und arbeitet nach den Prinzipien des Internationalen Völkerrechts. Nach der Anerkennung durch das IKRK erfolgt die Aufnahme in die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. Mit Stand vom November 2013 sind 189 nationale Gesellschaften als Vollmitglieder der Bewegung anerkannt. Zwei weitere, nämlich die nationalen Gesellschaften Eritreas und Tuvalus, haben derzeit Beobachter-Status in der Generalversammlung der Föderation. Als bisher letzte nationale Gesellschaften wurden während der Generalversammlung im November 2013 die Rotkreuz-Gesellschaften von Zypern und Südsudan in die Föderation aufgenommen.¹8 Trotz ihrer formalen Unabhängigkeit ist jede nationale Gesellschaft hinsichtlich ihrer Organisation und Tätigkeit an die Rechtslage in ihrem Heimatland gebunden. In vielen Ländern genießen die nationalen Gesellschaften aufgrund von Abkommen mit ihren Regierungen oder entsprechenden Gesetzen Sonderstatus in bestimmten Punkten, um die von der Bewegung geforderte volle Unabhängigkeit zu gewährleisten. Es hat jedoch im Laufe der Geschichte immer wieder Beispiele gegeben von nationalen Page 429
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gesellschaften, die von staatlicher Seite institutionalisiert und insbesondere für militärische Zwecke instrumentalisiert wurden. Eine solche Einbindung in staatliche Strukturen und Aktivitäten steht jedoch im Widerspruch zu den Prinzipien der Unabhängigkeit und Neutralität. Finanzierung Die nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften finanzieren ihre Tätigkeit vorwiegend durch staatliche Zuschüsse der Regierungen und Behörden ihrer jeweiligen Heimatländer, durch Spenden von Privatpersonen, Firmen und anderen Institutionen sowie durch Einnahmen aus wirtschaftlicher Betätigung, insbesondere der Erbringung von Dienstleistungen im Gesundheitssektor und im sozialen Bereich. Je nach Rechtslage sind sie in der Regel als gemeinnützig tätige Organisation anerkannt. Symbole Unterscheidung zwischen Schutzzeichen und Kennzeichen Die im Folgenden beschriebenen Symbole besitzen eine doppelte Funktion. Zum einen dienen sie in bestimmten Situationen als Schutzzeichen im Sinne der Genfer Abkommen (Rotes Kreuz, Roter Halbmond, Roter Löwe mit roter Sonne, Roter Kristall), zum anderen als Kennzeichen von Organisationen, die zur Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung gehören. Page 430
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Als Schutzzeichen dienen sie der Markierung von Personen und Objekten (Gebäuden, Fahrzeugen etc.), die im Fall eines bewaffneten Konflikts zur Umsetzung der in den Genfer Abkommen vereinbarten Schutzregelungen und Hilfsmaßnahmen im Einsatz sind. Diese Verwendung wird als „protektiv" (engl. protective use) bezeichnet. Als Schutzzeichen dürfen diese Symbole insbesondere auch von entsprechenden Organisationen und Einrichtungen, die nicht Teil der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sind, genutzt werden, wie zum Beispiel den militärischen Sanitätsdiensten oder zivilen Krankenhäusern. Sie sind bei protektiver Verwendung möglichst weithin sichtbar, beispielsweise durch Fahnen, und ohne Zusätze zu verwenden. Bei einer Verwendung als Kennzeichen zeigen diese Symbole an, dass die betreffenden Personen oder Einrichtungen Teil einer bestimmten Rotkreuzoder Rothalbmond-Organisation wie dem IKRK, der Föderation oder einer nationalen Gesellschaft sind. Eine solche Nutzung wird als „indikativ" (engl. indicative use) bezeichnet. Die Symbole sollen in diesem Fall kleiner und mit einem entsprechenden Zusatz wie zum Beispiel „Deutsches Rotes Kreuz" verwendet werden. Die missbräuchliche Verwendung der Zeichen des Roten Kreuzes ist in vielen Ländern durch nationale Regelungen verboten, so etwa in Deutschland durch § 125 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und durch das DRK-Gesetz, in der Page 431
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schweiz durch das Bundesgesetz betreffend den Schutz des Zeichens und des Namens des Roten Kreuzes (SR 232.22) oder in Österreich durch das Rotkreuzgesetz. Rotes Kreuz auf weißem Grund Als ursprüngliches Schutz- und Kennzeichen wurde das Rote Kreuz auf weißem Grund bestimmt. Es handelt sich dabei um die Umkehrung der Schweizer Flagge, eine Festlegung, die zu Ehren des Rotkreuz-Gründers Henry Dunant und seines Heimatlandes angenommen wurde. Die Idee für ein einheitliches Schutzzeichen sowie für seine Gestaltung geht zurück auf die Gründungsmitglieder des Internationalen Komitees Louis Appia und General Guillaume-Henri Dufour. Als Schutzzeichen wird das Rote Kreuz in Artikel 7 der Genfer Konvention von 1864 bzw. Artikel 38 des I. Genfer Abkommens (vom 12. August 1949) „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde" beschrieben. Bei der Gestaltung des Kreuzes als Kennzeichen wird in der Regel aus praktischen Gründen ein aus fünf Quadraten zusammengesetztes Kreuz verwendet. Dies ist jedoch nur eine Rotkreuz-interne Vereinbarung, offiziell ist – für die Verwendung als Schutzzeichen – jedes rote Kreuz auf weißem Grund anzuerkennen, unabhängig von Formvorschriften. Von den 189 anerkannten nationalen Gesellschaften verwenden derzeit 152 das rote Kreuz als Kennzeichen, darüber hinaus die nationale Gesellschaft von Tuvalu, die ihre Page 432
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Anerkennung beantragt hat. Roter Halbmond Im Russisch-Osmanischen Krieg (1876–1878) benutzte das Osmanische Reich anstelle des Roten Kreuzes den Roten Halbmond, da die osmanische Regierung der Meinung war, dass das Rote Kreuz das religiöse Empfinden ihrer Soldaten verletzen würde.¹? 1877 verpflichtete sich Russland auf Anfrage des IKRK, die Unantastbarkeit aller mit dem Roten Halbmond versehenen Personen und Einrichtungen anzuerkennen, woraufhin die osmanische Regierung im gleichen Jahr die volle Anerkennung des Roten Kreuzes bekannt gab. Nach dieser De-facto-Gleichstellung des Roten Halbmondes mit dem Roten Kreuz erklärte das Internationale Komitee im Jahr 1878, dass prinzipiell die Möglichkeit bestände, für nichtchristliche Staaten ein weiteres Schutzzeichen in die Bestimmungen der Genfer Konvention aufzunehmen, da Grundsätze der Menschlichkeit Vorrang haben müssten vor religiösen Überzeugungen. Formal wurde der Rote Halbmond im Jahr 1929 durch eine diplomatische Konferenz der Unterzeichnerstaaten der Genfer Konventionen als gleichberechtigtes Schutzzeichen anerkannt (Artikel 19 der I. Genfer Konvention in der Fassung von 1929) und damals durch Ägypten sowie die neu gegründete Republik Türkei als solches genutzt. Seit der offiziellen Anerkennung nutzen die nationalen Gesellschaften fast aller islamisch geprägten Länder seit ihrer jeweiligen Gründung den Roten Halbmond als Schutz- und Page 433
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kennzeichen. Die nationalen Gesellschaften einiger Länder, wie zum Beispiel Pakistan (1974), Malaysia (1975) und Bangladesch (1989), wechselten hinsichtlich ihres Namens und des Zeichens vom Roten Kreuz zum Roten Halbmond. Der Rote Halbmond wird derzeit von 33 der 186 anerkannten nationalen Gesellschaften als Kennzeichen verwendet. Roter Löwe mit roter Sonne Der Iran und seine entsprechende Hilfsgesellschaft, die iranische Gesellschaft vom Roten Löwen mit Roter Sonne, verwendete von 1924 bis 1980 einen roten Löwen mit roter Sonne in Anlehnung an die alte Flagge und das alte Wappen des Irans unter der Herrschaft des Schahs.²° Die formale Anerkennung als Schutzzeichen erfolgte 1929 gemeinsam mit dem roten Halbmond durch die Überarbeitung der Genfer Konventionen. Trotz des Wechsels zum roten Halbmond im Jahr 1980²¹ behält sich der Iran weiterhin ausdrücklich das Recht zur Verwendung des Roten Löwen mit roter Sonne vor, der deshalb weiterhin den Status eines offiziell anerkannten Schutzzeichens besitzt. Roter Kristall: das Zeichen des dritten Zusatzprotokolls Bereits im Jahr 2000 gab es nach einer über mehrere Jahre geführten Diskussion erstmals einen Versuch, ein weiteres Zeichen neben dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond einzuführen. Page 434
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hintergrund war die Debatte um die Anerkennung der israelischen Gesellschaft Magen David Adom mit ihrem Roten Davidstern, die zahlreiche islamische Staaten seit Jahrzehnten blockieren. Weitere Versuche zur Einführung neuer Schutzzeichen bzw. gesonderter Regelungen waren beispielsweise Anträge der nationalen Gesellschaften Thailands (1899 und 1906) für eine Kombination aus Rotem Kreuz und einer Roten Flamme (in Anlehnung an buddhistische Symbolik), Afghanistans (1935) nach Anerkennung eines Roten Torbogens (Mehrab-e-Ahmar) in Anlehnung an seine damalige Landesflagge, sowie Sri Lankas (1957) und Indiens (1977) nach Verwendung einer roten Swastika. Die nationalen Gesellschaften Kasachstans (derzeit Roter Halbmond) und Eritreas (derzeit Rotes Kreuz) streben darüber hinaus an, eine Kombination aus Rotem Kreuz und Rotem Halbmond verwenden zu dürfen, ähnlich der Kombination aus beiden Symbolen, die von der Allianz der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften der Sowjetunion bis zu ihrer Auflösung verwendet wurde. Die nationale Gesellschaft Eritreas hat zurzeit nur Beobachter-Status in der Generalversammlung der Föderation. Für Änderungen und Ergänzungen bezüglich der Schutzzeichen und damit der Genfer Konventionen ist eine diplomatische Konferenz unter Teilnahme aller 192 Unterzeichnerstaaten notwendig. Die für das Jahr 2000 geplante Konferenz wurde jedoch aufgrund des Beginns der Zweiten Intifada in den Page 435
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt palästinensischen Gebieten abgesagt. Fünf Jahre später lud die Regierung der Schweiz erneut zu einer solchen Konferenz ein. Diese sollte ursprünglich am 5. und 6. Dezember 2005 stattfinden, wurde dann jedoch bis zum 7. Dezember verlängert. Nachdem Magen David Adom im Vorfeld der Konferenz ein Abkommen mit dem Palästinensischen Roten Halbmond geschlossen hatte, das die Zuständigkeiten und die Zusammenarbeit bei Einsätzen in den palästinensischen Gebieten regelte, forderte Syrien ein ähnliches Abkommen für den Zugang seiner Rothalbmond-Gesellschaft zu den Golanhöhen. Entsprechende Verhandlungen mit MDA führten jedoch trotz Kompromissangeboten des IKRK an Syrien zu keinem einvernehmlichen Ergebnis. In der Folge wurde das dritte Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen, das die Einführung des neuen Schutzzeichens regelt, nicht wie bisher üblich im Konsens beschlossen. In einer Abstimmung stimmten von den anwesenden Staaten 98 dem Protokoll zu, 27 lehnten es ab und zehn enthielten sich ihrer Stimme. Da die notwendige Zweidrittelmehrheit damit erreicht wurde, ist das Protokoll angenommen. Das damit neu eingeführte Symbol ist ein auf einer Spitze stehendes rotes Quadrat, in das bei einer Verwendung als Kennzeichen einer nationalen Gesellschaft zusätzlich eines der anderen Embleme oder eine Kombination aus diesen eingefügt werden kann. Die offizielle Bezeichnung ist „Zeichen des dritten Zusatzprotokolls". Für den Page 436
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt umgangssprachlichen Gebrauch wird vom IKRK und der Föderation im Gegensatz zu früheren Vorschlägen wie „Rote Raute" (engl. Red Lozenge) oder „Roter Diamant" (engl. Red Diamond) die Bezeichnung „Roter Kristall" favorisiert, da die Abkürzung „RC" für dessen englische Übersetzung Red Crystal identisch ist mit den Abkürzungen für Red Cross (Rotes Kreuz) und Red Crescent (Roter Halbmond). Gleiches gilt für die Abkürzung „CR" der französischen Begriffe Croix Rouge (Rotes Kreuz), Croissant Rouge (Roter Halbmond) und Cristal Rouge (Roter Kristall). Während der 29. Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Konferenz in Genf stimmten am 21. Juni 2006 von den anwesenden 178 Delegationen nationaler Gesellschaften und 148 Delegationen von Vertragsparteien der Genfer Konventionen insgesamt 237 einer Änderung der Statuten der Bewegung zur Aufnahme des Roten Kristalls zu. 54 Delegationen votierten dagegen, 18 enthielten sich der Stimme. Die für die Änderung notwendige Zweidrittelmehrheit wurde damit klar erreicht. Das IKRK beschloss auf der Grundlage dieser Entscheidung, Magen David Adom und den Palästinensischen Roten Halbmond als nationale Gesellschaften anzuerkennen. Infolgedessen wurden beide Gesellschaften als Vollmitglieder in die Föderation aufgenommen. Roter Davidstern Die nationale Gesellschaft Israels, Magen David Page 437
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Adom (MDA), verwendete seit ihrer Gründung 1930 den Roten Davidstern als Emblem. Nach der Gründung des MDA wurden entsprechende Bemühungen von Seiten der Organisation, das Symbol den anerkannten Schutzzeichen der Genfer Konventionen gleichzustellen, vom IKRK aufgrund von Befürchtungen einer unpraktikablen Verbreitung neuer Kennzeichen abgelehnt. Ein Antrag Israels, den Roten Davidstern als zusätzliches Schutzzeichen in die Genfer Konventionen aufnehmen zu lassen, wurde bei der Neufassung der Abkommen im Jahr 1949 mit 21 Gegenstimmen, 10 Ja-Stimmen und 8 Stimmenthaltungen abgelehnt.²² ²³ Konsequenterweise unterzeichnete Israel die vier Genfer Konventionen von 1949 unter gleichzeitiger Anerkennung der bisherigen Schutzzeichen nur unter dem Vorbehalt, dass es selbst den roten Davidstern als Schutzzeichen gebrauche.²4 Da die Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung jedoch die Verwendung eines anerkannten Schutzzeichens als eine Bedingung für die Anerkennung einer nationalen Gesellschaft enthalten, war Magen David Adom bis zur Verabschiedung des dritten Zusatzprotokolls die Vollmitgliedschaft in der Bewegung verwehrt. Die Organisation hat sich bereit erklärt, bei Auslandseinsätzen den Roten Kristall zu verwenden, je nach Situation mit oder ohne Davidstern innerhalb des Kristalls. Die Regeln des dritten Zusatzprotokolls ermöglichen es Magen David Adom, innerhalb der Page 438
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Grenzen Israels weiterhin den Roten Davidstern zu nutzen. Trotz der früher bestehenden Einschränkungen besitzt Magen David Adom bereits seit vielen Jahren ein hohes Ansehen innerhalb der Bewegung und ist im Rahmen von Kooperationen mit dem IKRK und der Internationalen Föderation in vielfältige internationale Aktivitäten eingebunden. Nicht anerkannte Kennzeichen nationaler Gesellschaften Neben den bereits erwähnten Symbolen wurde im Laufe der Rotkreuzgeschichte eine Vielzahl von Zeichen für Nationale Gesellschaften vorgeschlagen: - Afghanistan: Hilfsgesellschaft Mahrab-e-Ahmar (Roter Torbogen) - Zypern: Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaft - Indien: rotes Wagenrad; analog zum Rad in der Nationalflagge Indiens - Japan: Hilfsgesellschaft Hakuaisha, roter Punkt und Strich übereinander - Libanon: rote Zeder; analog zur heutigen Libanon-Zeder in der Nationalflagge des Libanon - Sudan: rotes Nashorn - Sri Lanka: Gesellschaft des Shramadana: Rote Swastika (Vorschlag 1957); roter Löwe, der ein Schwert trägt (1965 vorgeschlagen) - Syrien: rotes Palmblatt - Thailand: Sabha Unalome Deng; Gesellschaft der roten Flamme (1899 und 1906) beantragt - Sowjetunion: Allianz der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften Page 439
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Zaire: Gesellschaft vom roten Lamm von Zentralkongo. Alle angegebenen Gesellschaften haben sich später den Anerkennungsbedingungen des Roten Kreuzes unterworfen und eines der völkerrechtlich anerkannten Schutzzeichen als Kennzeichen gewählt.²5 Einheitliches Symbol für die gesamte Bewegung Im April 2016 teilte das IKRK mit, dass ein einheitliches Logo für die gesamte Rotkreuz-Bewegung entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um die beiden Schutzzeichen Rotes Kreuz und Roter Halbmond umgeben von einem Dreiviertelkreis mit der Beschriftung "INTERNATIONALE BEWEGUNG" (engl. "INTERNATIONAL MOVEMENT"). Weitere Beschriftungen in den Sprachen der Bewegung (arabisch, chinesisch, französisch, russisch und spanisch) wurden ebenfalls verabschiedet. Dieses einheitliche Logo soll bei gemeinsamen Aufrufen o.ä. von IKRK, Föderation und Nationalen Gesellschaften, zum Beispiel bei Spendenaufrufen für humanitäre Krisen, Kampagnen oder globalem Interesse verwendet werden.²6 Literatur Deutschsprachige Bücher - Jean-Claude Favez: Das Internationale Rote Kreuz und das Dritte Reich: War der Holocaust aufzuhalten? Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1989, ISBN 3-85823-196-7 (und Bertelsmann, München Page 440
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1989, ISBN 3-570-09324-7). - Jean Pictet: Die Grundsätze des Roten Kreuz – Kommentar. Institut Henry-Dunant, 1990. - Hans Haug, Hans-Peter Gasser, Francoise Perret, Jean-Pierre Robert-Tissot: Menschlichkeit für alle. Die Weltbewegung des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds. 3. Auflage. Haupt Verlag AG, Bern 1995, ISBN 3-258-05038-4. - Henry Dunant: Eine Erinnerung an Solferino. Eigenverlag des Österreichischen Roten Kreuzes, Wien 1997, ISBN 3-9500801-0-4. - Roger Mayou (Hrsg.): Cornelia Kerkhoff (dt. Übers.): Internationales Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum. Eigenverlag des Museums, Genf 2000, ISBN 2-88336-009-X. - Hans M. Enzensberger: Krieger ohne Waffen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Eichborn Verlag, Frankfurt 2001, ISBN 3-8218-4500-7. - Dieter Riesenberger: Für Humanität in Krieg und Frieden. Das Internationale Rote Kreuz 1863–1977. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-01348-5. - Gerald Steinacher: Hakenkreuz und Rotes Kreuz. Eine humanitäre Organisation zwischen Holocaust und Flüchtlingsproblematik. StudienVerlag, Innsbruck [u.a.] 2013, ISBN 978-3-7065-4762-8. - Robert Dempfer: Das Rote Kreuz : von Helden im Rampenlicht und diskreten Helfern. Deuticke, Wien 2009, ISBN 978-3-552-06092-0. - Daniel-Erasmus Khan: Das Rote Kreuz : Geschichte einer humanitären Page 441
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Weltbewegung. Verlag Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-64712-3. Englischsprachige Bücher - David P. Forsythe: Humanitarian Politics: The International Committee of the Red Cross. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1978, ISBN 0-8018-1983-0. - Georges Willemin, Roger Heacock: International Organization and the Evolution of World Society. Volume 2: The International Committee of the Red Cross. Martinus Nijhoff Publishers, Boston 1984, ISBN 90-247-3064-3. - Pierre Boissier: History of the International Committee of the Red Cross. Volume I: From Solferino to Tsushima. Henry-Dunant-Institut, Genf 1985, ISBN 2-88044-012-2. - André Durand: History of the International Committee of the Red Cross. Volume II: From Sarajevo to Hiroshima. Henry-Dunant-Institut, Genf 1984, ISBN 2-88044-009-2. - International Committee of the Red Cross: Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement. 13. Auflage. IKRK, Genf 1994, ISBN 2-88145-074-1. - John F. Hutchinson: Champions of Charity: War and the Rise of the Red Cross. Westview Press, Boulder 1997, ISBN 0-8133-3367-9. - Caroline Moorehead: Dunant's dream: War, Switzerland and the history of the Red Cross. HarperCollins, London 1998, ISBN 0-00-255141-1 (gebundene Ausgabe); HarperCollins, London 1999, ISBN 0-00-638883-3 Page 442
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (Taschenbuch-Ausgabe). - François Bugnion: The International Committee of the Red Cross and the protection of war victims. IKRK & Macmillan (Ref. 0503), Genf 2003, ISBN 0-333-74771-2. - Angela Bennett: The Geneva Convention: The Hidden Origins of the Red Cross. Sutton Publishing, Gloucestershire 2005, ISBN 0-7509-4147-2. - David P. Forsythe: The Humanitarians. The International Committee of the Red Cross. Cambridge University Press, Cambridge 2005, ISBN 0-521-61281-0. - International Committee of the Red Cross: Study on the use of the emblems – Operational and commercial and other non-operational issues. ICRC (Ref. 4057), Genf 2011, ISBN 978-2-940396-21-4 (PDF; 3,3 MB). Französischsprachige Bücher - Catherine Rey-Schyrr: Histoire du Comité International de la Croix-Rouge 1945–1955. De Yalta à Dien Bien Phu. Georg Editeur S.A./ IKRK, Genf 2007, ISBN 978-2-8257-0933-7. Artikel - François Bugnion: The emblem of the Red Cross: a brief history. ICRC (Ref. 0316), Genf 1977. - François Bugnion: From the end of the Second World War to the dawn of the third millennium: the activities of the International Committee of the Red Cross during the Cold War and its aftermath: 1945–1995. In: Page 443
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt International Review of the Red Cross. 305/1995. ICRC, S. 207–224, ISSN 1560-7755 - Jean-Philippe Lavoyer, Louis Maresca: The Role of the ICRC in the Development of International Humanitarian Law. In: International Negotiation. 4(3)/1999. Brill Academic Publishers, S. 503–527, ISSN 1382-340X - Neville Wylie: The Sound of Silence: The History of the International Committee of the Red Cross as Past and Present. In: Diplomacy and Statecraft. 13(4)/2002. Routledge/ Taylor & Francis, S. 186–204, ISSN 0959-2296 - David P. Forsythe: The International Committee of the Red Cross and International Humanitarian Law. In: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften. 2/2003, DRK-Generalsekretariat und Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht, S. 64–77, ISSN 0937-5414 - Jakob Kellenberger: Reden und Schweigen in der humanitären Tätigkeit. In: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften. 1/2005, DRK-Generalsekretariat und Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht, S. 42–49, ISSN 0937-5414 - François Bugnion: Towards a comprehensive Solution to the Question of the Emblem. Revised fourth edition. ICRC (Ref. 0778), Genf 2006. - Sven Peterke: The special status of the International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC) in Page 444
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt public international law. In: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften. 19/2006. DRK-Generalsekretariat und Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht, S. 268–274, ISSN 0937-5414 Weblinks Commons: Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien - International Red Cross and Red Crescent Movement (engl., franz., span.) - International Committee of the Red Cross (ICRC) (engl., franz., span.) - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC) (engl., franz., span.) - Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1917 an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (englisch) - Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1944 an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (englisch) - Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1963 an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sowie die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften (englisch) - Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz - International Review of the Red Cross Vom IKRK herausgegebene Zeitschrift (engl., franz.) - Yves Sandoz / ANS: Rotes Kreuz im Historischen Lexikon der Schweiz Page 445
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung in der Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz Einzelnachweise [1] Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, 2006, Artikel 1. [2] Zitat aus der Einladung zu dieser Konferenz. [3] [4] Klaus Pfeifer: Historisches Stichwort. Langensalza: Erstes Auftreten des Roten Kreuzes im Kriege. In: Rotes Kreuz. Nr. 3/2001, S. 32–33. [5] Bernhard von Arx: Konfrontation – Die Wahrheit über die Bourbaki-Legende. Verlag NZZ, Zürich 2010, ISBN 3-03823-618-7. [6] Resolution der Generalversammlung vom 16. Oktober 1990, A/RES/45/6, abgerufen am 8. Mai 2015. [7] Cécile M. Ringgenberg: Die Beziehungen zwischen dem Roten Kreuz und dem Völkerbund. Bern 1970. [8] Quelle: www.redcross.int [9] Resolution der Generalversammlung vom 19. Oktober 1994, A/RES/49/2, abgerufen am 8. Mai 2015. [10] Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, 2006, Artikel 8 ff. [11] Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, 2006, Artikel 12 ff. [12] Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, 2006, Artikel 16 ff. [13] Auszüge der Revue Internationale de la Croix-Rouge, Band XLI, Mai-Juni 1990, Nr. 3. Page 446
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [14] Bulletin International des Societes de la Croix-Rouge, Jahrgang 19, Ausgabe 76, Oktober 1888, S. 140. [15] IKRK: Mémorial des vingt-cinq premières années de la Croix-Rouge : 1863-1888. Genf 1888; ebenfalls abgedruckt in: Bulletin International des Societes de la Croix-Rouge, Jahrgang 20, Ausgabe 77, Januar 1889. [16] Bulletin International des Societes de la Croix-Rouge, Jahrgang 20, Ausgabe 77, Januar 1889, Umschlagsseite. [17] Statuten des IKRK, Artikel 3, Stand 2003; Statuten der Föderation, Präambel, Stand 2007. [18] Two new members join IFRC family [19] Gustave Moynier: Das Rothe Kreuz, seine Vergangenheit und seine Zukunft. Minden 1883 [20] Parwiz Payandeh: Roter Löwe und Rote Sonne: ein Beitrag zur Emblematik der Iranischen Gesellschaft vom Roten Löwen und der Roten Sonne. Düsseldorf 1972. [21] Adoption of the red crescent by the Islamic Republic of Iran [22] Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949. Band II, A, S. 92. [23] Ernst Birnbaum: Roter Davidstern über Israel: Die Geschichte des Magen David Adom. Eine humanitäre Dokumentation. Velbert und Kettwig 1969, S. 65 ff. [24] Anton Schlögel: Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949 und die beiden Zusatzprotokolle vom 10. Juni 1977. 8, Auflage, Bonn 1988, S. 40. [25] Alle Angaben und Abbildungen in: Jean Pictet: Das Wahrzeichen des Page 447
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Roten Kreuzes – Geschichtlicher Überblick. Genf 1977. [26] A logo for the International Red Cross and Red Crescent Movement, 15. April 2016 Normdaten (Körperschaft): GND: 5058989-1 | LCCN: n92806020 | VIAF: 134278611 Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg gab es auf Seiten der alliierten Streitmächte und der Achsenmächte. Hiervon zu unterscheiden sind Internierungen. Rechtsstatus „Kriegsgefangen" stellt einen völkerrechtlichen Status dar, der Gefangene schützen soll. Der Personenkreis umfasst Kombattanten der feindlichen Streitkräfte, aber auch Ärzte, Sanitäter und Geistliche, soweit sie ihnen angehören. Geregelt und vertraglich vereinbart wurde dieser Schutz in der Haager Landkriegsordnung, den Haager Abkommen, dem Genfer Protokoll und den Genfer Konventionen. In Europa unterschied sich die Situation auf dem östlichen Kriegsschauplatz von der auf dem westlichen dadurch, dass bei der Kriegführung die Einhaltung der Haager Landkriegsordnung und der beiden Genfer Konventionen über die Behandlung der Kriegsgefangenen und der Verwundeten vom Deutschen Reich und von der Sowjetunion nicht angestrebt Page 448
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurde. Die „sowjetischen Vorschriften über die Behandlung der Kriegsgefangenen" entsprachen allerdings in vielen Punkten dem Kriegsvölkerrecht, obwohl die Sowjetunion im Unterschied zum Deutschen Reich weder der Genfer Konvention über die Kriegsgefangenen noch der Haager Landkriegsordnung beigetreten war.¹ Hilfe durch Dritte Nicht am Krieg beteiligte Staaten und internationale Organisationen leisteten nach den Regeln des Kriegsvölkerrechts Hilfe, um das Schicksal der Kriegsgefangenen zu erleichtern. Zu den Hilfeleistungen gehörten: - Interessenvertretung durch eine Schutzmacht - Betreuung durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz - Austausch von Kriegsgefangenen und Verwundeten Soldaten der Achsenmächte Kriegsgefangene der Achse im Gewahrsam der Westmächte Etwa 3.630.000 Soldaten der Wehrmacht befanden sich in britischen Lagern in Großbritannien, Deutschland, Italien, Kanada, Malta, Madagaskar und anderen Ländern. Darunter waren auch 58.600 Österreicher. Ungefähr 3.100.000 deutsche Kriegsgefangene befanden sich in amerikanischen Lagern, davon rund 371.000² in den USA. 135.000 wurden 1943 in Tunesien gefangengenommen, 10.000 in Italien und 182.000 1944 bei der Invasion der Page 449
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Normandie.³ Jeder Kriegsgefangene erhielt sofort nach seiner Gefangennahme sowie bei jedem Adresswechsel eine Postkarte, auf der er seinen Angehörigen Angaben über seinen Gesundheitszustand machen sowie seine gegenwärtige Anschrift und Gefangenennummer mitteilen konnte (siehe Abbildungen). Die Gefangenen wurden auf zahlreiche Lager verteilt. „Fraternisation" war nicht erwünscht; in den Südstaaten wurden die Soldaten in der Landwirtschaft eingesetzt, wo sie zum Teil mit Afroamerikanern konkurrierten, die häufig Arbeiten unter schlechten Arbeitsbedingungen, niedrigem Prestige und mit geringem Lohn leisteten. Viele Kriegsgefangene entwickelten zu den US-Bewachern ein „fast freundschaftliches" Verhältnis;4 die Farmer bedankten sich häufig mit kleinen Zuwendungen oder Einladungen zum Essen;5 viele blieben nach der Repatriierung in brieflichem Kontakt zu den Farmern und erhielten auch Paketsendungen.6 Die Verpflegung in den Lagern war anfangs besser als vorher in der Wehrmacht und auch besser als für die US-Zivilbevölkerung;7 nach Kriegsende von Juli bis August 1945 wurden die Rationen drastisch reduziert, Zigaretten und Alkohol waren nicht erhältlich,8 wurden dann aber wieder erhöht. Die Deutschen erhielten amerikanische Armeekleidung mit der Kennzeichnung „POW" (prisoner of war); sie hatten aber auch das Recht, ihre Uniform, Rangabzeichen und Orden zu tragen.? Sie konnten Sportveranstaltungen organisieren, Theater- und Musikgruppen bilden.¹° Page 450
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Viele waren mit Vorbehalten „gegen das angeblich kulturlose und oberflächliche Amerika" gekommen¹¹ und machten nun auch andere Erfahrungen. Die US-Behörden begannen eine reeducation und ein kleiner Teil von Freiwilligen genoss spezielle Schulungen, um nach der Rückkehr als „Vorhut des neuen, demokratischen Deutschland" am Aufbau des Landes teilnehmen zu können.¹² Nach Kriegsende wurden viele der Deutschen zu potentiellen Konkurrenten der demilitarisierten US-Veteranen auf dem Arbeitsmarkt und wurden darum schnell repatriiert.¹³ Die USA begannen ab Mitte Mai 1945 mit der Entlassung von Kriegsgefangenen, überstellten jedoch wegen des Arbeitskräftebedarfs auch 740.000 Gefangene an Frankreich, 123.000 an Großbritannien, 14.000 an die Niederlande, 30.000 an Belgien und 5.000 an Luxemburg. Zur Wiedergutmachung wurden Gefangene auch an Polen und die Tschechoslowakei übergeben. Frankreich zwang etwa 50.000 deutsche Kriegsgefangene zur hochriskanten Zwangsarbeit als Minenräumer.¹4 General George S. Patton schrieb: „I am also opposed to sending PW's to work as slaves in foreign lands [in particular, to France] where many will be starved to death."¹5 Im Frühjahr 1946 wurde dem IKRK schließlich erlaubt, Besuche abzuhalten und den Kriegsgefangenen in der amerikanischen Zone begrenzte Mengen an Nahrungsmitteln zukommen zu lassen.¹6 Während der Moskauer Konferenz im März und April Page 451
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1947 befanden sich in Großbritannien 435.295, in Frankreich 641.483 und in den USA 14.000 Gefangene. Die Konferenz einigte sich darauf, bis zum 31. Dezember 1948 alle Gefangenen nach Deutschland zu entlassen. Für deutsche Kriegsgefangene in Frankreich bestand die Möglichkeit, für ein Jahr als freier Zivilarbeiter weiter zu arbeiten, z. B. in der Landwirtschaft.¹7 Verluste unter den deutschen Kriegsgefangenen Die folgende Tabelle zeigt die Zahl der Kriegsgefangenen der Wehrmacht und Waffen-SS in Gefangenschaft des jeweiligen Landes und die Quote der Kriegsgefangenen, die in der Gefangenschaft umkamen.¹8 Die Zahlen zeigen, dass die Todesquoten für Kriegsgefangene der Ostfront immens hoch waren im Vergleich mit den Todesquoten in den Lagern der Westalliierten. Aber auch unter den Westalliierten gab es deutliche Unterschiede. Die Todesquoten der deutschen Kriegsgefangenen im Gewahrsam der Frei-Franzosen, vor allem in Nordafrika, waren deutlich höher als den Lagern der USA oder Großbritanniens. Laut den Angaben des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes ist das Schicksal von weiteren 1.300.000 deutschen Militärangehörigen ungeklärt, sie gelten als vermisst. In amerikanischen Lagern in Frankreich und in Deutschland (zum Beispiel in den Rheinwiesenlagern) gab es aufgrund Page 452
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt mangelhafter Versorgung und Unterbringung eine Todesquote von 0,5 bis 1 Prozent,¹? allerdings wurden diese Lager recht schnell aufgelöst. In Gefangenenlagern in den USA war die Sterblichkeit weitaus geringer. Siehe auch: Disarmed Enemy Forces und Deutsche Zwangsarbeiter nach 1945 Deutsche Soldaten in sowjetischem Gewahrsam Zwischen 1941 und 1945 gerieten 3,15 Millionen²° Soldaten der Wehrmacht in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1,11 Millionen deutsche Kriegsgefangene kamen dabei um.²¹ Kriegsgefangene der Sowjetunion wurden nach Einlieferung ins Lager registriert und es wurde über sie eine Personalakte nach nebenstehendem Muster angelegt. Die mit der Heimkehr der Gefangenen abgeschlossenen Personalakten befinden sich in Verwahrung des Föderalen Archivdienstes Russlands – Reichsstiftung – Russisches Reichskriegsarchiv (RGWA) in Moskau. Die letzte größere Entlassung von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion („Heimkehr der Zehntausend") fand 1955 statt. Vorangegangen war ein Staatsbesuch des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer vom 8. bis 14. September 1955 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und der Freilassung deutscher Kriegsgefangener.²² Ebenso kam in Österreich der letzte Heimkehrerzug erst nach Abschluss des Page 453
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Staatsvertrages von 1955 an. Siehe auch: Liste sowjetischer Kriegsgefangenenlager des Zweiten Weltkriegs Deutsche Soldaten in jugoslawischem Gewahrsam Nach einer Analyse von Böhme²³ starben etwa 80.000 deutsche und österreichische Soldaten in jugoslawischer Gefangenschaft. Wegen der unübersichtlichen Lage der letzten Kriegstage lässt sich die Zahl der bei der Kapitulation der Wehrmachteinheiten in Jugoslawien in Gefangenschaft geratenen Soldaten nicht genau bestimmen. Schmider, der sich auf das Zahlenmaterial von Böhme stützt, schätzt, dass es zwischen 175.000 und 200.000 waren. Berücksichtigt man, dass in den Jahren 1948/1949 vom Roten Kreuz nur etwa 85.000 Rückkehrer gezählt wurden, überlebten weniger als die Hälfte der Kriegsgefangenen die Gefangenschaft.²4 Japanische Soldaten in alliiertem Gewahrsam Der erste japanische Kriegsgefangene im Pazifikkrieg war Sakamaki Kazuo. Fred Fedorowich nennt zwischen 19.500 und 50.000 japanische Kriegsgefangene, die Australien und die USA zwischen 1942 und 1945 im Südwestpazifik gemacht haben.²5 Yamamoto Taketoshi zählt etwa 208,000 japanische Kriegsgefangene insgesamt,²6 inklusive der Gefangenen der kommunistischen und nationalistischen Armeen Chinas und der Page 454
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sowjetunion.²7 Etwa 600.000 Japaner gerieten am Ende des Zweiten Weltkrieges im Rahmen der Operation Auguststurm in sowjetische Gefangenschaft; von diesen kamen viele beim Arbeitsdienst in sibirischen Bergwerken um.²8 Alliierte Soldaten Sowjetische Soldaten in deutschem Gewahrsam Zwischen 1941 und 1945 gerieten weit über 5 Millionen sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene kamen dabei um.²? Annähernd 80.000 jüdische kriegsgefangene Angehörige der Roten Armee wurden ermordet.³° Arbeitseinsätze sowjetischer Gefangener fanden schon vor dem Führerbefehl vom 31. Oktober 1941 statt.³¹ Obwohl das Oberkommando der Wehrmacht schon im März 1941 für die Wochen nach dem Überfall, den Sommer und Herbst 1941, mit zwei bis drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen gerechnet hatte, waren keine wenigstens einigermaßen ausreichenden Vorbereitungen für deren existenzsichernde Unterkunft und Versorgung getroffen worden.³² Die Gefangenen kampierten überwiegend unter desaströsesten Bedingungen im Freien. Hinzu kam eine absolut unzureichende Ernährung, schlechte Hygiene und kaum medizinische Versorgung, so dass viele an Krankheiten wie Ruhrund Fleckfieberepidemien umkamen. Schon vor Kriegsbeginn hatte man im Page 455
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sogenannten Hungerplan den Hungertod so vieler sowjetischer Soldaten einkalkuliert.³³ Das Lager Zeithain z. B. wird auch Sterbelager genannt, da die nicht mehr arbeitsfähigen Verwundeten oder Kranken in Lazaretten weiter unterversorgt waren.³4 Sowjetische Kriegsgefangene wurden auch in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert, etwa im KZ Sachsenhausen.³5 Sie wurden auf zahlreiche Arten ermordet, wie z. B. mittels Genickschussanlage, Hängen, tödlicher Injektionen verschiedener Substanzen und Massenerschießungen (KZ Dachau, KZ Buchenwald). Menschenversuche mit sowjetischen Kriegsgefangenen sind für das KZ Neuengamme (Tuberkulose) und für das KZ Auschwitz (Vergiftungsversuch an 600 Gefangenen mit Zyklon B) belegt.³6 Hunderttausende von ihnen liegen heute – ebenso wie gefallene Soldaten der Roten Armee und sowjetische Zwangsarbeiter der NS-Zeit – auf sowjetischen Kriegsgräberstätten in Deutschland, unzählige wurden in Massengräbern verscharrt. Ihre Leichname kommen teilweise nach und nach zum Vorschein.³7 Die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen, die von der Wehrmacht nach Juli 1941 als „politisch Untragbare" zur Ermordung an die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD übergeben wurden, wird auf weit über 140.000 geschätzt (siehe auch Kommissarbefehl).³8 1.836.000 sowjetische Kriegsgefangene kehrten in die Sowjetunion zurück. Da von Stalin die Gefangennahme als Verrat angesehen Page 456
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurde, war ein Teil dieser Rückkehrer Repressionen ausgesetzt. So wurden 16–17 Prozent von ihnen in Strafbataillone eingegliedert und weitere 16–17 Prozent in den Lagern des GULag inhaftiert. Etwa zwei Drittel der ehemaligen Kriegsgefangenen wurden demnach nicht bestraft. Ein Teil von diesen hatte jedoch Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche oder wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen.³? Im Mai 2015 beschloss der Deutsche Bundestag, die noch lebenden früheren sowjetischen Kriegsgefangenen, die erst nach dem Ende der UdSSR in ihren Heimatländern vollständig rehabilitiert wurden, finanziell zu entschädigen. Man geht von ca. 4000 früheren Soldaten aus. In dem entsprechenden Beschluss heißt es: „Ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen soll ohne Anerkennung einer Rechtspflicht/eines Rechtsgrundes ein symbolischer finanzieller Anerkennungsbetrag gewährt werden."4° 4¹ 4² 4³ Westalliierte Soldaten in deutschem Gewahrsam Diese Soldaten stammten insbesondere aus Belgien, Frankreich, Holland, Norwegen, Polen, Großbritannien, den USA, Serbien und nach dem Bruch des Bündnisses auch aus Italien. Im Gegensatz zur Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen, war die Behandlung west-alliierter Kriegsgefangener in der Regel gut und man hielt sich dabei an die Genfer Konvention. Von den Page 457
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 232.000 US-amerikanischen, britischen, kanadischen und weiteren Soldaten überlebten 8.348 den Krieg nicht, was 3,5 % entspricht.44 Man kannte als Bezeichnungen „Stalag" (Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager, im Wesentlichen der Wehrmacht unterstellt), „Stalag Luft" (Luftwaffen-Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlage r, der Luftwaffe unterstellt) und „Marlag" (Kriegsmarine-Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammla ger, unterstellt dem Allgemeinen Marinehauptamt), ferner „Oflag" (Kriegsgefangenen-Offizierslager), „Dulag" (Kriegsgefangenen-Durchgangslager), „Heilag" (Kriegsgefangenen-Heimkehrerlager) und „Ilag" (Internierungslager). Zum Teil wurden einige alliierte Soldaten, nachdem sie pro forma aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurden, unter völkerrechtswidrigen Voraussetzungen und Bestimmungen erschossen oder in Konzentrationslager verbracht. Der Arbeitseinsatz in Industriezweigen, im Bergbau oder bei Aufräumarbeiten war üblich. Gegen das Völkerrecht verstieß ihr Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie. Angehörige von Kommandoeinheiten sollten nach dem Kommandobefehl Hitlers vom 18. Oktober 1942 völkerrechtswidrig bis auf den letzten Mann niedergemacht werden und falls in Ausnahmefällen doch Gefangene gemacht würden, wären sie zur späteren Exekution an den Page 458
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sicherheitsdienst des Reichsführers SS zu übergeben. Siehe auch: Militärinternierter Alliierte in japanischem Gewahrsam Während des Pazifikkriegs gerieten britische, niederländische, australische, neuseeländische und amerikanische Soldaten in japanische Kriegsgefangenschaft. Da die Japaner die zweite Genfer Konvention von 1929 und auch die Haager Landkriegsordnung nicht anerkannten, behandelten sie ihre Kriegsgefangenen nach ihrer eigenen Ordnung. Kriegsgefangene galten als Menschen ohne Ehre, da sie nicht in Ehre für ihr Land gefallen waren, das heißt, dass sie nicht bis in den Tod gekämpft hatten. In aller Regel waren sie daher mit „minderwertiger Arbeit" zu betrauen, die zwar für die Japaner von Wichtigkeit war, in deren Augen aber nur von ehrlosen Menschen ausgeführt werden konnte. In den japanischen Gefangenenlagern verstarben auf Grund von Wasser- und Nahrungsmangel, sowie der unmenschlichen Behandlung eine große Anzahl alliierter Soldaten. Kriegsverbrechen der Japaner an alliierten Gefangenen: - Todesmarsch von Bataan – ca. 16.000 Tote - Death Railway – ca. 16.000 alliierte und ca. 100.000 asiatische Tote - Kriegsgefangenenlager Sandakan / Todesmärsche von Sandakan – ca. 2700 australische und britische Tote Page 459
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Weitere Soldaten Polnische Soldaten in sowjetischem Gewahrsam Nach dem Angriff der UdSSR auf Polen am 17. September 1939 wurden mehr als 240.000 polnische Soldaten gefangen genommen. Etwa 42.400 einfache Soldaten und Unteroffiziere wurden innerhalb der ersten drei Wochen wieder entlassen, weitere 43.000 der deutschen Wehrmacht überstellt, weil ihr Wohnort im Westteil Polens lag, der vom Deutschen Reich im Polenfeldzug erobert worden war.45 ? Hauptartikel: Massaker von Katyn Im April 1940 wurden 22.000 bis 25.000 Berufsund Reserveoffiziere, Polizisten und andere Staatsbürger Polens erschossen. Polnische Soldaten in deutschem Gewahrsam Etwa 400.000 polnische Soldaten (darunter etwa 16.000 Offiziere) gerieten in deutsche Gefangenschaft. Ferner wurden 200.000 polnische Zivilisten wegen angeblicher Verdachtsmomente inhaftiert. Ungefähr 10.000 polnische Kriegsgefangene starben.46 Das Deutsche Reich stellte sich auf den Standpunkt, der polnische Staat sei untergegangen, stelle also kein Völkerrechtssubjekt mehr dar, und folglich wären die Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 auf sie nicht anzuwenden. Die polnischen Kriegsgefangenen verloren dadurch den Schutz dieser Konvention Page 460
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und waren aus NS-Sicht nur noch Zivilisten. 200.000 wurden anschließend als Zwangsarbeiter eingesetzt, die nach den rassistischen Polen-Erlassen diskriminiert wurden.47 Italienische Soldaten in deutschem Gewahrsam ? Hauptartikel: Militärinternierte 600.000 italienische Soldaten wurden in der Zeit zwischen September 1943 und Mai 1945 interniert. Bei den Massakern auf Kefalonia und auf Kos wurden gefangen genommene italienische Soldaten ermordet. Das deutsche Reich verweigerte den Soldaten des ehemaligen Verbündeten Italien den Status von Kriegsgefangenen, verlieh ihnen den Status von Militärinternierten und setzte sie als Zwangsarbeiter ein.48 Etwa 45.000 italienische Kriegsgefangene verloren ihr Leben.4? Ausstellungen zu den Haftbedingungen Im Gegensatz zu vielen literarischen Zeugnissen hat sich von den Lagern, in denen die Kriegsgefangenen untergebracht waren, relativ wenig erhalten. Eher ein Zufallsfund waren die Funde im „Haus Molz" im Zuge dessen Translozierung in das Volkskunde- und Freilichtmuseum Roscheider Hof Anfang der 1990er-Jahre. Im Zuge weiterer Forschungsarbeiten konnte auch anhand erhaltener Bilder nachgewiesen werden, dass dieses Haus während des Zweiten Weltkrieges eine Außenstelle des Trierer Kriegsgefangenenlagers – hauptsächlich für französische Kriegsgefangene – Page 461
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gewesen ist. Als Folge dessen wurde 2008 im Flur des Hauses eine thematische Ausstellung eingerichtet. Im Obergeschoss wurde nach alten Fotografien die Vergitterung der Fenster und die Ausstattung des Schlafraums mit aus rohem Holz zusammen gezimmerten Betten für die Kriegsgefangenen rekonstruiert. Suche nach ehemaligen Kriegsgefangenen Die Deutsche Dienststelle (WASt) gibt Auskunft über das Schicksal von deutschen Wehrmachtangehörigen, darunter auch Kriegsgefangenen. Seit dem Jahr 2000 gibt auch die Dokumentationsstelle Dresden (Stiftung Sächsische Gedenkstätten) Auskünfte zu sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Gefangenschaft. Im November 2009 veröffentlichte die Dokumentationsstelle auf ihrer Internetseite eine Datenbank,5° in der nach sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs recherchiert werden kann.5¹ 5² 5³ Rezeption Die Kriegsgefangenschaft deutscher Soldaten und deren Heimkehr wurde vielfach literarisch aufgearbeitet. Am bedeutendsten hiervon ist das Drama Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert. Die amerikanische Sitcom Ein Käfig voller Helden befasst sich – ohne Anspruch auf historische Genauigkeit – mit alliierten Kriegsgefangenen in einem deutschen Lager. Page 462
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Spielfilme In folgenden Spielfilmen wurde die Situation in Kriegsgefangenenlagern des Zweiten Weltkriegs dargestellt (Auswahl): -
Die Brücke am Kwai Stalag 17 Gesprengte Ketten Colonel von Ryans Express So weit die Füße tragen Das Tribunal
Dokumentarfilme - Liebe unerwünscht, dreiteiliger Dokumentationsfilm (Thema: heimliche Liebesbeziehungen zwischen deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich und Französinnen). - Kriegsgefangenschaft (1/4): Verschleppt und ausgebeutet. Produktion Österreich 2011. Gezeigt in 3sat am 20. Januar 2013, von 20:15–21:05 Uhr. (Französische und sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter in der Kriegsproduktion, Kinder schwangerer Zwangsarbeiterinnen bewusst benachteiligt mit hoher Sterberate, sowjetische Kriegsgefangene nach der Befreiung weiter in sowjetische Lager). - Kriegsgefangenschaft (2/4): Der goldene Westen? Produktion Österreich 2011. Gezeigt in 3sat am 20. Januar 2013, von 21:05–22:00 Uhr. (Deutsche Kriegsgefangene in USA nach Genfer Konvention behandelt. Nach Kriegsende in UK, F, Sowjetunion zur Beseitigung der Kriegsschäden eingesetzt). - Kriegsgefangenschaft (3/4): Endstation Sibirien? Produktion ORF und preTV Page 463
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 2012. Gezeigt in 3sat am 21. Januar 2013, von 20:15–21:05 Uhr. (Deutsche/österreichische Kriegsgefangene nach Sowjetunion zur Zwangsarbeit). - Kriegsgefangenschaft (4/4): Heimkehr. Produktion ORF und preTV 2012. Gezeigt in 3sat am 21. Januar 2013, von 21:05–22:00 Uhr. (Sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter nach Kriegsende in UdSSR wieder in Zwangsarbeit und Ächtung. Französische Kriegsgefangene nach Kriegsende in Frankreich der Kollaboration verdächtigt. Deutsche/österreichische Heimkehrer aus der Sowjetunion finden in der Heimat keine Arbeit mehr). Literatur - Kurt W. Böhme, Erich Maschke (Hrsg.): Zur Geschichte der Deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Wissenschaftliche Kommission für deutsche Kriegsgefangenengeschichte. 15 Bände. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962 bis 1974. - Hans Coppi: Sowjetische Kriegsgefangene im Konzentrationslager Sachsenhausen. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Heft I/2003. - Alexander Haritonow, Klaus-Dieter Müller: Die Gesamtzahl sowjetischer Kriegsgefangener – Eine weiterhin ungelöste Frage. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Jg. 58, Heft 3, S. 393–401. R. Oldenbourg Verlag, München 2010, ISSN 0042-5702 (PDF). - Andreas Hilger, Ute Schmidt, Mike Schmeitzner (Hrsg.): Sowjetische Page 464
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Militärtribunale (= Schriften des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Band 17). Band 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953. Böhlau, Köln u. a. 2001, ISBN 3-412-06701-6. - Sophie Jackson: Churchill's Unexpected Guests: Prisoners of War in Britain in World War II. The History Press, Stroud 2010, ISBN 978-0-7524-5565-5. - Rolf Keller: Sowjetische Kriegsgefangene im Deutschen Reich 1941/42: Behandlung und Arbeitseinsatz zwischen Vernichtungspolitik und kriegswirtschaftlichen Zwängen. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0989-0. - Rolf Keller, Silke Petry (Hrsg.): Sowjetische Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz 1941–1945: Dokumente zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen in Norddeutschland. Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-1227-2. - Kontakte-Kontakty e.V. (Hrsg.): Ich werde es nie vergessen. Briefe sowjetischer Kriegsgefangener 2004–2006. Berlin 2007. (erster Sammelband in deutscher Sprache). - Klaus-Dieter Müller, Konstantin Nikischkin, Günther Wagenlehner (Hrsg.): Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und in der Sowjetunion 1941–1956 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Band 5). Böhlau, Köln u. a. 1998, ISBN 3-412-04298-6. - Reinhard Otto: Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42. (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte Page 465
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt für Zeitgeschichte. Band 77). R. Oldenbourg Verlag, München 1998, ISBN 3-486-64577-3 – Otto beschreibt, unter Benutzung auch von Dokumenten aus ehemals sowjetischen Archiven, detailliert die Selektionen sowjetischer Kriegsgefangener aus den Lagern der Wehrmacht durch Einsatzkommandos der Gestapo und die von der Polizei begangenen Massenmorde im Reichsgebiet. - Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945. In: Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939–1945. Band 9, Zweiter Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung.(= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 9/1–2). Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Jörg Echternkamp. DVA, München 2005, ISBN 3-421-06528-4, S. 729–875. - Rüdiger Overmans, Andreas Hilger, Pavel Polian (Hrsg.): Rotarmisten in deutscher Hand. Dokumente zu Gefangenschaft, Repatriierung und Rehabilitierung sowjetischer Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Schöningh, Paderborn u. a. 2012, ISBN 978-3-506-76545-1. - Robin Quinn: Hitler's Last Army: German POWs in Britain. The History Press, Stroud 2015, ISBN 978-0-7524-8275-0. - Matthias Reiß: „Die Schwarzen waren unsere Freunde." Deutsche Kriegsgefangene in amerikanischem Gewahrsam 1942–1946. Schöningh, Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 2001, ISBN 3-506-74479-8. - Dmitri Stratievski: Sowjetische Kriegsgefangene in Deutschland 1941–1945 und ihre Rückkehr in die Sowjetunion. Osteuropa-Verlag, Berlin 2008, ISBN Page 466
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 978-3-940452-51-1. - Alfred Streim: Die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener im „Fall Barbarossa". Eine Dokumentation. C.F. Müller Juristischer Verlag, Heidelberg/ Karlsruhe 1981, ISBN 3-8114-2281-2 – Ergänzung zu Streit wegen der starken Einbeziehung deutscher Strafverfahren. - Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. Verlag J.H.W. Dietz. Nachf., Bonn 1997, ISBN 3-8012-5023-7. Aktualisierte Neuausgabe des Standardwerks von 1978. - Gabriele Hammermann (Hrsg.): Zeugnisse der Gefangenschaft : aus Tagebüchern und Erinnerungen italienischer Militärinternierter in Deutschland 1943–1945. De Gruyter Oldenbourg, 2014, ISBN 978-3-11-036373-9. - Dmitri Stratievski: Sowjetische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft. Menschenschicksale in Selbstzeugnissen. Anthea-Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-943583-64-9. - Jon Sutherland, Diane Sutherland: Prisoner of War Camps in Britain During the Second World War. War in Britain Series. Golden Guides Press, Newhaven 2012, ISBN 978-1-78095-013-6. Weblinks Commons: Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Die deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges Page 467
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Stefan Manners: Die demographische Dimension der Wanderungsbewegungen in Deutschland 1945. - Kriegsgefangene: Viele kamen nicht zurück. In: Stern. Heft 11/2005 - Kriegsgefangenenlager: Literatur. im Moosburg-Bürgernetz - Deutsche Kriegsgefangene in ausländischem Gewahrsam - Ausführliche Literaturliste - Oberkommando der Wehrmacht, Anordnungen für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener in allen Kriegsgefangenenlagern, 8. September 1941, in: 1000dokumente.de - Berliner Verein, der sich für Rechte ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener einsetzt sowie ihre Erinnerungen und wissenschaftliche Beiträge zum Thema publiziert - Dokumentationsstelle Dresden: Auskünfte zu sowjetischen Kriegsgefangenen - Tanja Penter: Späte Entschädigung für die Opfer einer kalkulierten Vernichtungsstrategie für Zeitgeschichte-online, November 2015 Einzelnachweise [1] Rüdiger Overmans, Andreas Hilger, Pavel Polian: Rotarmisten in deutscher Hand. Dokumente zu Gefangenschaft, Repatriierung und Rehabilitierung sowjetischer Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Schöningh, Paderborn 2012, S. 15; siehe weiterhin Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945. In: Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939–1945. Zweiter Halbband: Ausbeutung, Page 468
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutungen, Ausgrenzung. (= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 9/2). Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Jörg Echternkamp. Deutsche Verlagsanstalt, München 2005, S. 729–875, hier S. 799–804. [2] Reiß, S. 48. [3] Reiß 48. [4] Reiß 316 [5] Reiß 119 [6] Reiß 322 [7] Reiß 321 [8] Reiß 155 [9] Reiß 144 [10] Reiß 165. [11] Reiß 321 [12] Reiß 282 [13] Reiß 99 [14] Georg Bönisch: Zwangsarbeit als Minenräumer: Rudi war total durchlöchert. In: Der Spiegel 35/2008. Online auf bei einestages auf Spiegel Online, 27. August 2008. [15] George Smith Patton, Martin Blumenson: The Patton Papers: 1940–1945. S. 750. [16] Staff, ICRC in WW II: German prisoners of war in Allied hands, 2. Februar 2005. [17] Liebe unerwünscht. dreiteiliger Dokumentationsfilm: 1. Kriegsgefangener in Frankreich. Gezeigt in: Phoenix am 20. Februar 2010, von 20:15–21:00 Uhr. [18] alle Zahlen nach Rüdiger Overmans, Die Rheinwiesenlager 1945. In: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau. Herausgegeben im Auftrag des Page 469
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München 1995, ISBN 3-492-12056-3, S. 278. [19] Rüdiger Overmans: Die Rheinwiesenlager 1945. In: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau. Herausgegeben im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München 1995, ISBN 3-492-12056-3, S. 277. [20] Sowjetunion ließ deutsche Kriegsgefangene frei. auf: einestages.spiegel.de [21] Albrecht Lehmann: Gefangenschaft und Heimkehr. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion. C.H. Beck, München 1986, ISBN 3-406-31518-6, S. 29. Sowjet-Union: Nichts vergessen. In: Der Spiegel. 27/1983, 4. Juli 1983, S. 90–92. [22] Hanns Jürgen Küsters: Moskaureise 1955. Konrad-Adenauer-Stiftung, abgerufen am 17. November 2015. Eliese Berresheim: Diplomatie 1955: Adenauers Moskau-Reise war ein guter Schachzug. Welt Online, 8. September 2009. [23] Kurt W.Böhme: Die deutschen Kriegsgefangenen in Jugoslawien.Band I/1 der Reihe: Kurt W. Böhme, Erich Maschke (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Bielefeld 1976, ISBN 3-7694-0003-8, S. 42–136, 254. [24] Klaus Schmider: Der jugoslawische Kriegsschauplatz (Januar 1943 bis Mai 1945). In: Karl-Heinz Frieser (Hrsg.): Die Ostfront 1943/44 – Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten. Page 470
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-421-06235-2, S. 1069. [25] Fred Fedorowich: Understanding the Enemy: Military Intelligence, Political Warfare and Japanese Prisoners of War in Australia, 1942–45. In: Philip Towle, Margaret Kosuge, Yoichi Kibata: Japanese prisoners of war. London 2000, Continuum International Publishing Group. ISBN 1-85285-192-9, S. 61 [26] Brian Victoria: Zen War Stories. Routledge 2012, ISBN 1-13612-762-3, S. 106 [27] Sean Brawley, Chris Dixon, Beatrice Trefalt: Competing Voices from the Pacific War. Greenwood Press/ABC-CLIO 2009, ISBN 1-84645-010-1, S.196 [28] Fumiko Halloran: Rezension des Buches „Japanese POWs in Siberia, Unfinished Tragedy" von Toshio Kurihara und Iwanami Shinsho. 2009, ISBN 4-00431-207-8. [29] Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. Verlag J.H.W. Dietz. Nachf., Bonn 1997, S. 10. [30] Yad Vashem: Widerstand und Kampf – Jüdische Soldaten in den Armeen der Alliierten. abgerufen 29. Januar 2015. [31] Reinhard Otto: Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42. München 1998. [32] Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945. In: Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939–1945. Zweiter Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung. (= Das Deutsche Reich und Page 471
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Zweite Weltkrieg. Band 9/2). Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Jörg Echternkamp. Deutsche Verlagsanstalt, München 2005, S. 729–875, hier S. 804 f. [33] Timothy Snyder: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin. C.H. Beck, ISBN 978-3-406-62184-0, S. 188–198. [34] V. Selemenov, Ju. Zverev, K.-D. Müller, A. Haritonow (Hrsg.): Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene in den Jahren des Zweiten Weltkriegs. 2004, ISBN 3-934382-12-6. [35] Hans Coppi: Sowjetische Kriegsgefangene im Konzentrationslager Sachsenhausen. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Heft I/2003. [36] WDR: Befreiung des KZ Auschwitz: Systematischer Massenmord, abgerufen 29. Januar 2015. [37] Mario Bandi: deutschlandfunk.de: Das Metall des Krieges oder: 100 Briefe aus Pleskau. Deutschlandfunk, Feature, 12. September 2014. [38] Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen, auf: kontakte-kontakty.de, abgerufen am 21. Juni 2010. [39] Miriam Dobson: Prisoners of War and Purge Victims: Attitudes Towards Party Rehabilation, 1956–1957. In: The Slavonic and East European Review. Band 86, Nr. 2, April 2008, S. 328–345, hier S. 331. [40] Sowjetische Kriegsgefangene erhalten Entschädigung. In: sueddeutsche.de. Abgerufen am 16. August 2015. [41] Deutschland entschädigt sowjetische Kriegsgefangene. In: zeit.de. Page 472
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Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt goerlitzer-anzeiger.de [53] Eine Liste wider das Vergessen: Die Dresdener Stiftung Sächsische Gedenkstätten gibt Rehabilitierten einen Namen. auf: mdz-moskau.eu, 4. Dezember 2009. Haager Landkriegsordnung Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) ist die Anlage zu dem während der ersten Friedenskonferenz in Den Haag beschlossenen zweiten Haager Abkommen von 1899 „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", das 1907 im Rahmen der Nachfolgekonferenz als viertes Haager Abkommen in leicht geänderter Fassung erneut angenommen wurde. Sie ist das wichtigste der im Rahmen dieser Konferenzen entstandenen Haager Abkommen und damit neben den Genfer Konventionen ein wesentlicher Teil des humanitären Völkerrechts. Die Haager Landkriegsordnung enthält für den Kriegsfall Festlegungen zur Definition von Kombattanten, zum Umgang mit Kriegsgefangenen, zu Beschränkungen bei der Wahl der Mittel zur Kriegführung, zur Verschonung bestimmter Gebäude und Einrichtungen von sozialer und gesellschaftlicher Bedeutung, zum Umgang mit Spionen, für Kapitulationen und Waffenstillstandsvereinbarungen sowie zum Verhalten einer Besatzungsmacht in einem besetzten Territorium. Zum Umgang mit verletzten und erkrankten Soldaten verweist die Haager Landkriegsordnung auf die erste Genfer Konvention in den Fassungen von 1864 beziehungsweise 1906. Page 474
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Der Haupttext des zugehörigen Abkommens umfasst fünf (1899) beziehungsweise neun (1907) Artikel, in denen neben anderen verfahrensrechtlichen Aspekten die Anwendbarkeit sowie die Umsetzung reguliert sind. Die Haager Landkriegsordnung als Anlage dazu ist mit 60 (1899) beziehungsweise 56 (1907) Artikeln deutlich umfangreicher und enthält die Festlegungen zu den Gesetzen und Gebräuchen des Landkrieges. Vertragspartei der Fassung von 1899 wurden 51 Staaten, der Fassung von 1907 traten 38 Staaten bei. Insgesamt sind 53 Länder mindestens einer der beiden Fassungen beigetreten. Depositar aller Haager Abkommen sind die Niederlande. Die Haager Landkriegsordnung ist für die Vertragsparteien und ihre Nachfolgestaaten in den Beziehungen untereinander weiterhin gültiges Vertragsrecht. Ihre Prinzipien gelten darüber hinaus seit einigen Jahrzehnten als Völkergewohnheitsrecht. Sie sind damit auch für Staaten und nichtstaatliche Konfliktparteien bindend, die dem Abkommen nicht explizit beigetreten sind. Darüber hinaus sind wesentliche Teile der Haager Landkriegsordnung in den später abgeschlossenen vier Genfer Abkommen von 1949, ihren zwei Zusatzprotokollen von 1977 sowie der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 erweitert und präzisiert worden. Die Haager Landkriegsordnung ist damit neben ihrer gewohnheitsrechtlichen Bedeutung auch der Page 475
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt historische Ausgangspunkt wesentlicher vertragsrechtlicher Teile des gegenwärtigen humanitären Völkerrechts. Rechtshistorische Entwicklung Siehe: Chronologische Entwicklung des humanitären Völkerrechts Die Brüsseler Konferenz von 1874 Der erste Versuch, Regeln zur Kriegführung in Form eines völkerrechtlichen Vertrages festzulegen, war die Brüsseler Konferenz von 1874. Zehn Jahre zuvor war mit der Genfer Konvention von 1864 erstmals ein verbindliches Abkommen abgeschlossen worden, das kriegführende Staaten zur Behandlung und Versorgung von verwundeten Soldaten verpflichtete. Krieg wurde zur damaligen Zeit beim Vorliegen eines Kriegsgrundes noch als gerechtfertigtes Mittel zur Lösung von zwischenstaatlichen Konflikten angesehen, ein als „ius ad bellum" bezeichnetes Recht zum Kriege galt als unbestritten. Darüber hinaus herrschte allgemein die Auffassung, dass die nähere Zukunft eine Reihe von unvermeidbaren Kriegen bringen würde. Aus dem Erfolg der Genfer Konferenz von 1864 resultierte bei vielen führenden Persönlichkeiten in Politik und Militär in Europa aber auch die Haltung, dass – auch unter militärischen Gesichtspunkten – eine Regulierung und „Humanisierung" des Krieges durch ein „ius in bello", ein Recht im Kriege, sinnvoll wäre. Page 476
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vom 27. Juli bis zum 27. August 1874 fand dann auf Initiative des russischen Zaren Alexander II. in Brüssel eine Konferenz statt, an der Vertreter von insgesamt 15 Staaten Europas teilnahmen. Der russische Völkerrechtsexperte Friedrich Fromhold Martens hatte für diese Konferenz einen aus 71 Artikeln bestehenden Entwurf für eine Konvention ausgearbeitet. Die auf der Konferenz anwesenden Delegierten nahmen schließlich eine auf diesem Vorschlag basierende Deklaration „über die Gesetze und Gebräuche des Krieges" an, die aus 56 Artikeln bestand. Sie wurde jedoch in den folgenden Jahren von keinem Land ratifiziert und erlangte damit nie den Status eines völkerrechtlichen Vertrages. Dies lag zum einen am Charakter und der Bewertung der Konferenz selbst. Diese war von der russischen Regierung einseitig und ohne vorherige Konsultationen mit anderen Staaten organisiert worden und hatte letztendlich mehr der Selbstdarstellung der europäischen Königshäuser gedient als weniger dem ernsthaften Unterfangen, eine völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung abzuschließen. Sinn und Zweck der Konferenz waren deshalb zum Teil unklar geblieben, so dass auch die teilnehmenden Länder der Konferenz aus verschiedenen Gründen mehrheitlich skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. Zum anderen befürchteten die meisten kleineren Länder, dass die in der Deklaration von Brüssel enthaltenen Regeln einseitig den Interessen der Großmächte dienen würden. Page 477
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Das ein Jahr vor der Brüsseler Konferenz gegründete Institut de Droit international (Institut für Völkerrecht) versuchte diese Probleme zu lösen, indem es 1880 unter dem Titel „Manuel des lois de la guerre sur terre" ein als Oxford Manual bezeichnetes Handbuch zu den Regeln des Landkrieges veröffentlichte, das vom Genfer Juristen Gustave Moynier ausgearbeitet worden war. Es war im Wesentlichen eine Zusammenfassung der Brüsseler Deklaration von 1874, der Genfer Konvention von 1864 sowie einiger weiterer gewohnheitsrechtlicher Regelungen. Das Handbuch sollte als Vorlage dienen für entsprechende gesetzliche Regelungen im nationalen Recht der einzelnen Staaten, wurde jedoch diesbezüglich nahezu vollständig ignoriert. Die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 Vom 18. Mai 1899 bis zum 29. Juli 1899 fand dann auf Einladung der niederländischen Königin Wilhelmina in Den Haag die erste Haager Friedenskonferenz statt, an der 108 Vertreter von insgesamt 29 Staaten teilnahmen. Den Anstoß zu dieser Konferenz hatte der russische Zar Nikolaus II. gegeben. Die russische Wirtschaft war durch den Rüstungswettlauf mit Deutschland und England immens belastet; wahrscheinlich erhoffte der Zar sich von erfolgreichen Verhandlungen, diese Belastung abmildern zu können. Die Öffentlichkeit in den europäischen Ländern zeigte im Vorfeld der Konferenz ein erhebliches Interesse. Dies galt Page 478
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt insbesondere für die in verschiedenen Gesellschaften und Initiativen organisierte Friedensbewegung unter der Führung von Bertha von Suttner, aber auch für diverse religiöse Gruppen und in einigen Fällen auch einfache Volksinitiativen auf der Ebene von Gemeinden und Städten, die sich in unzähligen Resolutionen und Aufrufen an ihre Regierungen wandten und die Einberufung der Konferenz befürworteten. Den Teilnehmern der Konferenz wurden Sammlungen von rund 100.000 Unterschriften aus Belgien und rund 200.000 Unterschriften aus den Niederlanden vorgelegt, die das Anliegen der Konferenz im Bereich der Rüstungsbegrenzung und gewaltfreien Konfliktlösung unterstützten. Ein Rundschreiben der russischen Regierung von Dezember 1898 nannte die Revision und die Annahme der Deklaration von Brüssel ausdrücklich als Ziele der Konferenz. Friedrich Fromhold Martens war an der Organisation der Haager Friedenskonferenz wesentlich beteiligt und während der Konferenz Präsident des Komitees zu den Regeln und Gebräuchen des Krieges. Da die später von der Konferenz verabschiedete Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", die in ihrer Anlage die Haager Landkriegsordnung enthielt, nahezu vollständig auf der Brüsseler Deklaration von 1874 und damit auf dem Entwurf von Martens basierte, gilt er als geistiger Vater der Haager Landkriegsordnung und damit als Begründer des Haager Zweiges des humanitären Völkerrechts. Page 479
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Ein zweites wichtiges Abkommen neben der Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", das in diesem Rahmen abgeschlossen wurde, war eine Konvention „betreffend die Anwendung der Grundsätze der Genfer Konvention vom 22. August 1864 auf den Seekrieg". Drei weitere Beschlüsse der Konferenz betrafen ein auf fünf Jahre befristetes Verbot des Einsatzes von Geschossen und Sprengstoffen aus der Luft, ein Verbot der Verwendung von erstickenden oder giftigen Gasen, sowie ein Verbot des Gebrauchs von Deformationsgeschossen. Der Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", bestehend aus fünf Artikeln im Haupttext und 60 Artikeln zu den Durchführungsbestimmungen im Anhang, traten nach und nach 51 Staaten als Vertragsparteien bei, davon 25 als Unterzeichnerstaaten des Abkommens am 29. Juli 1899. Neben Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Russland und den USA gehörten auch das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn zu den Unterzeichnerstaaten. Beide wurden am 4. September 1900 Vertragspartei, die Schweiz trat dem Abkommen am 20. Juni 1907 bei. Das Inkrafttreten der Haager Landkriegsordnung etablierte im humanitären Völkerrecht drei grundlegende Prinzipien: - auch in einem bewaffneten Konflikt existiert zu keinem Zeitpunkt ein völlig rechtsfreier Raum oder eine Situation ohne jegliche Gesetze, - es existieren Beschränkungen bei der Wahl der Mittel zur Kriegführung und Page 480
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Zivilpersonen, andere Nichtkombattanten und zivile Einrichtungen sind so weit wie möglich zu verschonen. Die Initiative zur Zweiten Haager Friedenskonferenz ging 1903 von einer Petition der Amerikanischen Friedensgesellschaft aus. Der Petition folgte eine Resolution des Senats und des Repräsentantenhauses des Staates Massachusetts. Diese enthielt eine Aufforderung an den US-Kongress, den amerikanischen Präsidenten zu beauftragen, die Regierungen der Welt zur Etablierung eines regelmäßig stattfindenden Kongresses zu verschiedenen Fragen des Allgemeinwohls einzuladen. Auf der Tagung der Interparlamentarischen Union 1904 in St. Louis wurde diese Idee aufgegriffen in Form einer Empfehlung, die auf der Konferenz von 1899 nicht gelösten Probleme zum Thema einer Folgekonferenz zu machen. Diese kam dann drei Jahre später auf Initiative des damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt zustande, obgleich sie offiziell wieder vom russischen Zaren formal einberufen wurde. Im Gegensatz zu den Vorstellungen der Vereinigten Staaten, die im Rahmen der Konferenz erneut Verhandlungen zur Abrüstung beziehungsweise Rüstungsbegrenzung vorsahen, beschränkten sich die Vorschläge der russischen Seite auf Verbesserungen im Bereich der friedlichen Lösung von internationalen Streitfällen und des humanitären Völkerrechts. Während der zweiten Haager Friedenskonferenz vom Page 481
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 15. Juni bis zum 18. Oktober 1907 wurde die Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs" nur geringfügig überarbeitet. Siebzehn Vertragsparteien der Fassung von 1899 – Argentinien, Bulgarien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Griechenland, Italien, Korea, Montenegro, Paraguay, Persien, Peru, Serbien, Spanien, die Türkei, Uruguay und Venezuela – unterzeichneten die überarbeitete Version allerdings nicht. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn zählten, wie die Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA am 18. Oktober 1907 zu den Unterzeichnerstaaten. Für Deutschland und Österreich-Ungarn trat das Abkommen am 26. Januar 1910 in Kraft, für die Schweiz am 11. Juli 1910. Die Weiterentwicklung nach 1907 Die Haager Landkriegsordnung blieb in der 1907 beschlossenen Fassung unverändert. Die Mehrzahl der Vertragsparteien trat ihr bereits vor dem Ersten Weltkrieg bei. Zwischen den beiden Weltkriegen wurden nur noch Finnland (1918), Polen (1925) und Äthiopien (1935) Vertragspartei, nach dem Zweiten Weltkrieg noch die Dominikanische Republik (1958), Weißrussland (1962), die Fidschi-Inseln (1973) und Südafrika (1978). Neben Finnland, Äthiopien, und Polen zählt noch Liberia (1914) zu den Ländern, die als Vertragspartei der Fassung von 1907 nicht der Fassung von 1899 beigetreten waren. Hauptgrund für die zögerliche Akzeptanz in der Zwischenkriegszeit Page 482
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und nach dem Zweiten Weltkrieg war die Tatsache, dass sich die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung in beiden Weltkriegen als äußerst unzulänglich erwiesen. Dies galt während des Ersten Weltkrieges insbesondere für das Schicksal der Kriegsgefangenen, während im Zweiten Weltkrieg vor allem die Zivilbevölkerung unter der rücksichtslosen Kriegführung zu leiden hatte. Darüber hinaus schränkte die sogenannte Allbeteiligungsklausel, welche die Gültigkeit der Haager Landkriegsordnung regulierte, deren Akzeptanz bei den kriegführenden Mächten deutlich ein. Aufgrund der genannten Unzulänglichkeiten wurde eine Reihe der in der Haager Landkriegsordnung enthaltenen Bestimmungen in neu abgeschlossenen Abkommen oder in überarbeiteten Fassungen der Genfer Konventionen erweitert und präzisiert. Vom 11. Dezember 1922 bis zum 6. Februar 1923 diskutierte eine international besetzte Juristenkommission aus 52 Sachverständigen über die völkerrechtliche Regelung der seit dem Ersten Weltkrieg relevanten Gebiete des Fernmeldewesens und des Luftkrieges. Ein 62 Artikel umfassender Entwurf zum Luftkriegsrecht („Haager Luftkriegsregeln") erlangte mangels Ratifizierungen jedoch keine Rechtskraft. Keine der adressierten Regierungen folgte der Empfehlung, das Abkommen zu unterzeichnen. Gründe hierfür lagen wahrscheinlich in der mangelnden Bereitschaft, sich in einem entscheidenden Sektor der Verteidigung gesetzliche Grenzen setzen zu lassen, sowie der Überzeugung, dass entsprechende Page 483
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Inhalte bereits durch die Landkriegsordnung abgedeckt seien.¹ Mit dem Genfer Protokoll von 1925 wurde das in Artikel 23 der Haager Landkriegsordnung enthaltene Verbot des Gebrauchs von giftigen Substanzen explizit bekräftigt und auf bakteriologische Waffen ausgeweitet. Im Jahr 1929 wurde mit dem Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen ein separates Abkommen zur Behandlung der Kriegsgefangenen verabschiedet, das 1949 überarbeitet und erweitert wurde. Trotz dieser neuen Konvention kam der Haager Landkriegsordnung während des Zweiten Weltkrieges eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Behandlung der Kriegsgefangenen zu. Mit der Sowjetunion und Japan waren zwei Hauptmächte des Krieges nicht der Genfer Kriegsgefangenen-Konvention von 1929 beigetreten, jedoch Vertragsparteien der Haager Landkriegsordnung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1949 mit dem Genfer Abkommen „über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten" auch für die Behandlung der Zivilpersonen ein eigenständiges Regelwerk geschaffen, das in vielen Bereichen weit über die Vorgaben der Haager Landkriegsordnung hinausgeht. Insbesondere die Einschränkung, dass die in der Haager Landkriegsordnung enthaltenen Regeln zum Umgang mit Zivilpersonen nur für eine Besatzungsmacht in einem besetzten Gebiet galten, entfiel mit dem Genfer Abkommen. Die Allbeteiligungsklausel war in den Genfer Abkommen von 1929 Page 484
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und 1949 nicht mehr enthalten. Wesentliche Teile aus der Haager Landkriegsordnung, die Beschränkungen hinsichtlich der Wahl der Mittel zur Kriegführung enthielten, gelangten schließlich mit dem Zusatzprotokoll I von 1977 „über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte" ebenfalls in den Rechtsrahmen der Genfer Abkommen. Der Aspekt des Schutzes von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten, der in der Haager Landkriegsordnung lediglich in zwei Artikeln ansatzweise enthalten ist, wurde 1954 in wesentlich erweiterter Form in der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten umgesetzt. Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Haager Landkriegsordnung war darüber hinaus die Akzeptanz der Gültigkeit der in ihr formulierten Prinzipien als Völkergewohnheitsrecht. Auch wenn hierfür kein exaktes Datum ausgemacht werden kann, wurde diese Rechtsauffassung erstmals 1946 in einer Entscheidung des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg explizit bestätigt. Dies bedeutet, dass die Prinzipien der Haager Landkriegsordnung auch für Staaten und nichtstaatliche Konfliktparteien bindend sind, die dem Abkommen selbst nicht beigetreten sind. Das am 17. Juli 1998 verabschiedete und am 1. Juli 2002 in Kraft getretene Rom-Statut für den Internationalen Strafgerichtshof definiert in Artikel 8 Kriegsverbrechen in internationalen Konflikten als „schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August Page 485
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1949" sowie „schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche". Hierzu zählen unter anderem Verletzungen von wichtigen Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung. Wichtige Bestimmungen Haupttext der Konvention Der Haupttext der Haager Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs" umfasst in den Fassungen von 1899 und 1907 in fünf beziehungsweise neun Artikeln einige allgemeine Formulierungen und Ausführungsbestimmungen. Bereits in der Präambel enthält die Konvention einen als Martens'sche Klausel bezeichneten Grundsatz. Dieser gibt für Situationen in bewaffneten Konflikten, die nicht ausdrücklich durch geschriebenes internationales Recht geregelt sind, die Maßstäbe Brauch, Gewissen und Menschlichkeit zur Bewertung von Handlungen und Entscheidungen vor. Diese Klausel wurde von Friedrich Fromhold Martens während der Haager Friedenskonferenz von 1899 vorgeschlagen als Kompromisslösung für die Frage der Behandlung von Zivilisten, die an Kampfhandlungen teilnehmen. Sie ist seitdem jedoch in eine Reihe von weiteren Abkommen aufgenommen worden und gilt heute als wichtiger Grundsatz des humanitären Völkerrechts. Page 486
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Der Artikel 1 verpflichtet die Vertragsparteien, die in der Anlage enthaltenen Bestimmungen ihren Landheeren als Verhaltensmaßregeln zu geben. Die in Artikel 2 enthaltene und auch als Allbeteiligungsklausel bezeichnete Festlegung zur Gültigkeit besagt, dass die Bestimmungen der Konvention im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehr Vertragsparteien gelten und nur bindend sind, solange alle beteiligten Konfliktparteien dem Abkommen beigetreten sind. Der Kriegseintritt eines Landes, das nicht Vertragspartei der Konvention ist, setzt also deren Gültigkeit für alle beteiligten Staaten außer Kraft. Ziel der Aufnahme einer solchen Klausel war es, eine zweigeteilte Rechtslage hinsichtlich der Verpflichtungen der Konvention zu verhindern. Diese könnte entstehen durch die Beteiligung eines kleineren Landes, das nicht Vertragspartei der Konvention wäre. Basierend auf den Erfahrungen mit den Kriegen der damaligen Zeit, an denen in der Regel zwei Konfliktparteien mit nur wenigen Staaten auf beiden Seiten teilnahmen, galt eine solche Regelung als sinnvoll. Vor allem in den beiden Weltkriegen erwies sie sich jedoch als äußerst problematisch hinsichtlich der Akzeptanz der Haager Landkriegsordnung. Der Artikel 3 beziehungsweise 5 in den Fassungen von 1899 beziehungsweise 1907 bestimmt die Niederlande zur Depositarmacht des Abkommens. In den Artikeln 5 beziehungsweise 8 sind Regelungen zur Kündigung des Abkommens durch eine Vertragspartei enthalten. Page 487
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bestimmungen der Anlage Die Anlage zur Haager Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs" enthält in den Fassungen von 1899 und 1907 in 60 beziehungsweise 56 Artikeln die eigentlichen Festlegungen zu den Regeln und Gebräuchen des Landkrieges. Der Artikel 1 legt die Gültigkeit der Gesetze, der Rechte und Pflichten des Krieges für die Angehörigen des Heeres, von Milizen und von Freiwilligenkorps unter den Bedingungen fest, dass (1) an ihrer Spitze jemand steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist, (2) sie ein festes und erkennbares Abzeichen tragen, (3) sie ihre Waffen offen führen und (4) sie die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachten. Der Artikel enthielt somit erstmals in der Militärgeschichte eine international verbindliche Definition von Kombattanten. Im Artikel 2 wird darüber hinaus auch der Bevölkerung von nicht besetzten Gebieten der Kombattantenstatus zugestanden, sofern ihr keine Zeit geblieben ist, sich entsprechend den Vorgaben des Artikels 1 zu organisieren. Darüber hinaus müssen kriegführende Zivilpersonen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachten und laut der Fassung von 1907 ihre Waffen offen führen. Die Artikel 4 bis 20 legen verschiedene Grundsätze zur Behandlung von Kriegsgefangenen fest. Diese sind entsprechend Page 488
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Artikel 4 menschlich zu behandeln. Kriegsgefangene dürfen zur Arbeit herangezogen werden (in der Fassung von 1907 mit Ausnahme der Offiziere). Die gefangennehmende Partei hat für den Unterhalt der Kriegsgefangenen zu sorgen (Artikel 7) und dabei die Kriegsgefangenen in Bezug auf Nahrung, Kleidung und Unterbringung wie die eigenen Truppen zu behandeln. Kriegsgefangene unterstehen den Gesetzen, Vorschriften und Befehlen des Staates, in dessen Gewalt sie sich befinden (Artikel 8). Sie können für einen misslungenen Fluchtversuch disziplinarisch bestraft werden, nicht jedoch bei erneuter Gefangennahme nach einer vorherigen erfolgreichen Flucht. Entsprechend Artikel 9 sind Kriegsgefangene verpflichtet, auf Nachfrage ihren Namen und Dienstgrad zu nennen. Kriegskorrespondenten, Journalisten, Marketender, Lieferanten sowie andere nicht unmittelbar zum Heer gehörende Personen haben Anspruch auf eine Behandlung als Kriegsgefangene, wenn sie sich durch einen Ausweis der Militärbehörde ihres Heimatlandes entsprechend legitimieren können (Artikel 13). Jede am Konflikt beteiligte Partei ist verpflichtet, eine Auskunftsstelle über die Kriegsgefangenen einzurichten (Artikel 14). Kriegsgefangene Offiziere haben Anspruch auf Zahlung ihres Soldes (Artikel 17), und zwar in der Fassung von 1899 in einer Höhe entsprechend den Vorgaben ihres Heimatlandes, in der Fassung von 1907 analog zu den Page 489
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Offizieren gleichen Ranges des Landes, in dem sie gefangen gehalten werden. Die Regierung des Heimatlandes ist zur Erstattung der entsprechenden Kosten verpflichtet. Nach einem Friedensschluss sind die Kriegsgefangenen „binnen kürzester Frist" zu entlassen (Artikel 20). Der Artikel 21 verweist für die Behandlung von Kranken und Verwundeten auf die Genfer Konvention. Artikel 23 verbietet eine Reihe von Mitteln zur Kriegführung. Zu diesen Festlegungen zählt beispielsweise ein Verbot der Verwendung von giftigen Substanzen, ein Verbot der meuchlerischen Tötung oder Verwundung, ein Verbot der Tötung oder Verwundung eines Feindes, der sich ergeben hat, sowie ein Verbot des Befehls, kein Pardon zu geben, und ein Verbot von Waffen und Geschossen, die unnötiges Leid verursachen. Ebenso verboten sind der Missbrauch der Parlamentärsflagge, der Nationalflagge und Uniformen des Gegners sowie der Schutzzeichen der Genfer Konvention. Die Fassung von 1907 enthält darüber hinaus ein Verbot, Angehörige der Gegenpartei zu Kriegshandlungen gegen ihr eigenes Land zu zwingen. Unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnungen oder Gebäude dürfen nicht angegriffen werden (Artikel 25). Bei Belagerungen und Angriffen sind religiöse und wissenschaftliche Einrichtungen sowie Gebäude, die der Kunst oder der Wohltätigkeit dienen, ebenso wie historische Denkmäler und Krankenhäuser, so weit wie möglich zu schonen Page 490
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (Artikel 27). Die Belagerten sind verpflichtet, solche Einrichtungen entsprechend zu kennzeichnen. Städte und Siedlungen dürfen nicht geplündert werden (Artikel 28). Die Artikel 29 bis 31 regeln den Umgang mit Spionen, die Artikel 32 bis 34 den besonderen Status und Schutz von Parlamentären. Nähere Bestimmungen zur Kapitulation und zu einem Waffenstillstand sind in den Artikeln 35 bis 41 enthalten. In den Artikeln 42 bis 56 sind Regelungen zum Verhalten einer Besatzungsmacht auf besetztem feindlichen Gebiet festgelegt. Ein Besatzer ist unter anderem verpflichtet, die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten (Artikel 43). Die Bevölkerung eines besetzten Gebietes darf nicht zu Kriegshandlungen gegen ihr eigenes Land gezwungen werden (Artikel 44 beziehungsweise 45 in den Fassungen von 1899 beziehungsweise 1907). Entsprechend Artikel 44 der Fassung von 1907 ist es darüber hinaus verboten, die Bevölkerung eines besetzten Territoriums zu Herausgabe von Informationen über das eigene Heer oder über dessen Verteidigungsmittel zu zwingen. Die Einziehung von Privateigentum ist ebenso verboten wie Plünderungen (Artikel 46 und 47). Kollektivstrafen an der Bevölkerung für die Taten Einzelner sind verboten (Artikel 50). Die Artikel 57 bis 60 der Fassung von 1899 regeln die Behandlung von Page 491
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Internierten und Verwundeten durch neutrale Staaten. Sie sind in der Fassung von 1907 nicht enthalten. Umsetzung in der Praxis Ahndung von Verstößen Die Haager Landkriegsordnung enthält für Verstöße gegen die in ihr enthaltenen Regeln keine Festlegungen zu Sanktionen für Personen oder Personengruppen. Lediglich der Artikel 3 des zugehörigen Abkommens in der Fassung von 1907 schreibt für den Fall der Verletzung durch eine Vertragspartei eine allgemein formulierte Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz vor. Schwerwiegende Verstöße sind in Deutschland jedoch seit dem Jahr 2002 auf der Basis des Völkerstrafgesetzbuchs strafbar, insbesondere durch die §§ 9 bis § 12 VStGB. In der Schweiz sind entsprechende Regelungen im 1927 verabschiedeten Militärstrafgesetz, derzeit in der Fassung von 2004, enthalten. In Österreich bilden Art. 9 des Bundes-Verfassungsgesetzes sowie § 64 Strafgesetzbuch die rechtliche Grundlage für die Strafbarkeit von Verletzungen der Regeln der Haager Landkriegsordnung. In der DDR regelte § 93 Strafgesetzbuch vom 12. Januar 1968 die Strafbarkeit von Kriegsverbrechen und § 84 einen entsprechenden Ausschluss der Verjährung. Nach dem Ersten Weltkrieg erließ die Deutsche Nationalversammlung am 18. Dezember 1919 ein Gesetz zur Verfolgung von Page 492
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen zur Verfolgung von Straftaten, „die ein Deutscher im In- und Ausland während des Krieges bis zum 28. Juni 1919 gegen feindliche Staatsangehörige oder feindliches Vermögen begangen hat". Für insgesamt rund 900 Personen, die von Seiten der Alliierten eines Kriegsverbrechens beschuldigt wurden, verpflichtete sich die Reichsregierung, diese statt einer Auslieferung selbst vor Gericht zu stellen. Insgesamt wurde bis 1927 in rund 1.500 Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Zu Gerichtsverfahren vor dem Reichsgericht in Leipzig kam es jedoch in lediglich 17 Fällen, davon endeten zehn mit einer Verurteilung und sieben mit einem Freispruch. Die höchste ausgesprochene Strafe von fünf Jahren gab es für eine Verurteilung wegen Plünderung. Ein Fall, in dem es um die Erschießung gefangengenommener französischer Soldaten ging, endete mit einer Verurteilung eines Majors wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Für Körperverletzung beziehungsweise schwere Körperverletzung gab es Urteile zwischen sechs und zehn Monaten. Die Bilanz der Leipziger Prozesse wird im Allgemeinen als Scheitern einer effektiven Strafverfolgung von Kriegsverbrechen nach dem Ersten Weltkrieg angesehen. Den Einsatz von chemischen Kampfstoffen zur Gaskriegsführung rechtfertigten die Konfliktparteien durch entsprechende Interpretationen der in Artikel 23 der Haager Landkriegsordnung enthaltenen Verbote. So Page 493
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt würde das Verbot von giftigen Substanzen in Artikel 23a nach dieser Sichtweise nicht für Geschosse gelten, die Gift freisetzten, sondern nur für das Vergiften beispielsweise von Wasser, Lebensmitteln oder Böden. Dem in Artikel 23e formulierten Verbot von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die unnötige Leiden verursachen, wurde die Notwendigkeit chemischer Kampfstoffe zur Erlangung von potentiellen militärischen Vorteilen entgegengehalten. Rechtsgrundlage einer Verurteilung von Verstößen im Rahmen des Zweiten Weltkrieges bildete vor allem das am 8. August 1945 beschlossene Londoner Statut des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg. Dieses definierte in Art. 6 Kriegsverbrechen als Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges und nannte unter anderem die Ermordung oder Misshandlung von Zivilisten und ihre Deportation zur Zwangsarbeit, die Ermordung und Misshandlung von Kriegsgefangenen, die Tötung von Geiseln, Plünderung von gemeinnützigem und privatem Eigentum und Maßnahmen, die nicht durch die militärische Notwendigkeit gerechtfertigt waren. Im Gegensatz zu den Leipziger Prozessen nach dem Ersten Weltkrieg diente der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg vor allem der Verfolgung ranghoher Verantwortlicher aus Politik, Militär und Wirtschaft. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, als dem ersten und wichtigsten der Nürnberger Prozesse, wurden von den 24 Angeklagten Page 494
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt insgesamt 16 im Anklagepunkt Kriegsverbrechen schuldig gesprochen. In allen diesen Fällen erfolgte jedoch der Schuldspruch in Einheit mit anderen Anklagepunkten wie Verbrechen gegen den Frieden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Keiner der Angeklagten wurde allein wegen Kriegsverbrechen angeklagt oder entsprechend nur in diesem Punkt verurteilt. Das Gesamtstrafmaß lag in den betreffenden Fällen zwischen Todesurteilen und Freiheitsstrafen von 15 beziehungsweise 20 Jahren. Eine genaue Gewichtung entsprechend den einzelnen Anklagepunkten ist jedoch nur schwer möglich. Internationale Akzeptanz und beteiligte Organisationen Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag hat durch das Inkrafttreten des Rom-Statuts als seiner völkerrechtlichen Grundlage seit dem 1. Juli 2002 unter bestimmten Umständen die Möglichkeit, Kriegsverbrechen strafrechtlich zu verfolgen. Der Art. 8 des Rom-Statutes enthält in der Definition von Kriegsverbrechen auch entsprechende Bezüge auf „schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche", wozu unter anderem Verletzungen von wichtigen Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung zählen. Der Internationale Strafgerichtshof wird aber hinsichtlich einer Strafverfolgung nur aktiv, wenn keine angemessene nationale Gerichtsbarkeit existiert Page 495
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt oder diese nicht fähig oder willens ist, die Strafverfolgung für die betreffenden Straftaten selbst auszuüben. Aus verschiedenen Gründen wird der Internationale Strafgerichtshof jedoch von einer Reihe von Ländern nicht anerkannt. Hierzu zählen unter anderem die USA, Russland, die Volksrepublik China, Indien, Pakistan und Israel. Beziehungen zu den Genfer Konventionen Innerhalb des humanitären Völkerrechts entwickelte sich neben dem Haager Recht, dessen zentrale Komponente die Haager Landkriegsordnung ist, noch das in den Genfer Konventionen formulierte Genfer Recht. Dieses regelt, ausgehend von seinen historischen Ursprüngen, vor allem den Umgang mit den sogenannten Nichtkombattanten, also Personen, die im Fall eines bewaffneten Konflikts nicht an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Dabei handelt es sich um verwundete, erkrankte und gefangengenommene Soldaten sowie Zivilpersonen. Demgegenüber enthält das Haager Recht überwiegend Festlegungen zu zulässigen Mitteln und Methoden der Kriegführung und damit vor allem Regeln für den Umgang mit den an den Kampfhandlungen beteiligten Personen, den Kombattanten. Wesentliche Teile des Haager Rechts sind jedoch im Rahmen der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts in das Genfer Recht integriert worden. Darüber hinaus war die Trennung dieser beiden Bereiche in Bezug auf die Behandlung von Kombattanten und Nichtkombattanten Page 496
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von Beginn an nicht strikt und konsistent. Die Genfer Abkommen III und IV legen in den Artikeln 135 beziehungsweise 154 fest, dass die in ihnen enthaltenen Regeln die entsprechenden Abschnitte der Haager Landkriegsordnung ergänzen sollen. Eine analoge Festlegung war auch in Artikel 89 der Genfer Kriegsgefangen-Konvention von 1929 enthalten. Wie dies im Einzelfall anhand von allgemein gültigen Auslegungsgrundsätzen wie lex posterior derogat legi priori („das spätere Gesetz geht dem früheren vor") und lex specialis derogat legi generali („die Spezialnorm geht dem allgemeinen Gesetz vor") zu erfolgen hätte, bleibt jedoch offen. Einzelnachweise [1] Eintrag Luftkriegsregeln, Haager von 1923. In: Karl Strupp (Hrsg.), Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.): Wörterbuch des Völkerrechts. Zweite Auflage. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1961, ISBN 3-11-001031-3; Band 2, S. 441/442. Literatur Deutschsprachige Bücher - Deutsches Rotes Kreuz (Hrsg.): Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949 und die beiden Zusatzprotokolle vom 10. Juni 1977 sowie das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 und Anlage (Haager Page 497
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Landkriegsordnung). 8. Auflage. Schriften des Deutschen Roten Kreuzes, Bonn 1988. - Dieter Fleck (Hrsg.): Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten. Verlag C. H. Beck, München 1994, ISBN 3-40-638139-1. - Jana Hasse, Erwin Müller, Patricia Schneider: Humanitäres Völkerrecht: politische, rechtliche und strafgerichtliche Dimensionen. Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001, ISBN 3-78-907174-9. - Hans-Peter Gasser: Humanitäres Völkerrecht. Eine Einführung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2802-5. Englischsprachige Bücher - Geoffrey Best: Humanity in Warfare: The Modern History of the International Law of Armed Conflicts. Columbia University Press, New York 1980, ISBN 0-23-105158-1. - Dietrich Schindler, Jirí Toman (Eds.): The laws of armed conflicts: a collection of conventions, resolutions, and other documents. Sijthoff & Noordhoff International Publishers, Alphen aan den Rijn 1984, ISBN 9-02-860199-6. - Frédéric de Mulinen: Handbook on the Law of War for Armed Forces. IKRK, Genf 1987, ISBN 2-88-145009-1. - Michael Reisman: The Laws of War: A Comprehensive Collection of Primary Documents on International Laws Governing Armed Conflict. Vintage Books/ Random House, Inc., New York 1994, ISBN 0-67-973712-X. Page 498
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Adam Roberts, Richard Guelff: Documents on the Laws of War. 3rd Edition. Oxford University Press, Oxford und New York 2000, ISBN 0-19-876390-5. - Frits Kalshoven, Liesbeth Zegveld: Constraints on the waging of war: an introduction to international humanitarian law. 3. Auflage. IKRK, Genf 2001, ISBN 2-88-145115-2. - International Committee of the Red Cross (Hrsg.): Rules of international humanitarian law and other rules relating to the conduct of hostilities. Collection of treaties and other instruments. IKRK, Genf 2005, ISBN 2-88-145014-8. Artikel - Karma Nabulsi: The Modern Laws of War from 1874 to 1949. In: Traditions of War. Occupation, Resistance and The Law. Oxford University Press, Oxford und New York 1999, S. 4–19, ISBN 0-19-829407-7. Weblinks Wikisource: Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs. Vom 29. Juli 1899. – Quellen und Volltexte - Internationale Übereinkunft vom 29. Juli 1899 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (mit Reglement) in der amtlichen Schweizer Übersetzung - International Humanitarian Law – Hague Convention II 1899 englische Fassung, mit Liste der Vertragsparteien - Abkommen vom 18. Oktober 1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Page 499
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Landkriegs (mit Ordnung) in der amtlichen Schweizer Übersetzung - International Humanitarian Law – Hague Convention IV 1907 englische Fassung, mit Liste der Vertragsparteien - Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung), 18. Oktober 1907, in: 1000dokumente.de - Suche nach Haager Landkriegsordnung im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek - Suche nach Haager Landkriegsordnung in der Deutschen Digitalen Bibliothek - Suche nach "Haager Landkriegsordnung" im Portal SPK digital der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Normdaten (Werk): GND: 4158623-2 Zeit des Nationalsozialismus Als Zeit des Nationalsozialismus (abgekürzt NS-Zeit) wird die Regierungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Deutschen Reich bezeichnet. Sie begann am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht vor den Alliierten und ihren Verbündeten (bzw. am 23. Mai 1945 mit der Verhaftung der Flensburger Regierung). Die Nationalsozialisten errichteten in Deutschland eine Diktatur nach dem Führerprinzip und entfesselten mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg. Page 500
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Neben der Verfolgung und Ermordung politisch Andersdenkender verübten sie zahlreiche weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegenüber ethnischen, religiösen und anderen Minderheiten. Etwa sechs Millionen europäische Juden wurden im historisch beispiellosen Holocaust, bis zu 500.000 Sinti und Roma im Porajmos und etwa 100.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen im Rahmen der „Aktion T4" und der „Aktion Brandt" ermordet. Nach der Strategie des sogenannten Hungerplans ließen die deutschen Besatzer in der Sowjetunion zwischen 1941 und 1944 geschätzt 4,2 Millionen Menschen bewusst verhungern und rund 3,1 Millionen sowjetische Soldaten starben in deutscher Kriegsgefangenschaft. Die Ära der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und über weite Teile Europas wird in einem ethisch-moralischen Sinn als Zivilisationsbruch und als Tiefpunkt insbesondere der deutschen, aber auch der europäischen Geschichte insgesamt angesehen.² Überblick Die Zeit des Nationalsozialismus wird oft einer Epoche des Faschismus zugeordnet. Dieser entstand in Italien und herrschte dort von 1922 bis 1943. Beide hatten wesentliche Merkmale gemeinsam: die Diktatur einer einzigen, zentralistisch aufgebauten Partei, einen Führerkult, Militarismus, aggressiven Nationalismus und Page 501
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt antidemokratische, antikommunistische Tendenzen sowie den Anspruch auf eine „Einheit von Volk und Staat". Vom italienischen Faschismus unterschied sich der Nationalsozialismus jedoch durch einen fundamentalistischen Rassismus und Antisemitismus, mit dem seine weiträumigen Eroberungs- und Vernichtungsziele begründet wurden. Das NS-Regime begann mit der Machtübergabe, als der deutsche Reichspräsident Paul von Hindenburg den NSDAP-Führer Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannte und dieser das Kabinett Hitler aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten zur neuen Regierung berief. Es wurde bis 1934 durch Terrormaßnahmen gegen politische Gegner, gesetzliche Aufhebung großer Teile der Weimarer Reichsverfassung, Verbot aller anderen Parteien und Gleichschaltung fast aller politisch-gesellschaftlichen Kräfte durchgesetzt und gefestigt. Von Anfang an verfolgte das Regime eine Innenund Außenpolitik, die Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg vergessen machen und seine damals verlorene Großmachtstellung erneuern und erweitern sollte. Dazu wurden von deutscher Seite bis 1936 mit dem Austritt aus dem Völkerbund, der Aufrüstung der Wehrmacht sowie der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands wichtige Teile des Versailler Vertrags außer Kraft gesetzt. 1938 Page 502
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt folgte der Anschluss Österreichs an das nunmehr „Großdeutsche Reich". Im selben Jahr erlaubte das Münchner Abkommen Deutschland die Eingliederung des Sudetenlandes. Dieser Politik stimmten die meisten Deutschen zu. Volksabstimmungen ergaben 1935, 1936 und 1938 große Mehrheiten für damalige Entscheidungen Hitlers. Dies hatte vier Hauptgründe: - Gleichschaltung und Terror gegen alle Andersdenkenden schüchterten die Bevölkerung ein. - Ein beginnender Aufschwung der Weltkonjunktur, staatliche Investitionsprogramme, vor allem für Aufrüstung und militärisch nutzbare Infrastrukturen, belebten die Wirtschaft und bewirkten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre Vollbeschäftigung, wobei die Löhne auf dem niedrigen Niveau der Weltwirtschaftskrise verharrten. - Die Ideologie der Volksgemeinschaft vermittelte vielen Deutschen das Gefühl, in einer zunehmend egalitären Gesellschaft ohne Klassengegensätze zu leben. - Sie erlebten die außenpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten als Erfolge und Wiedergutmachung vergangener nationaler Demütigungen. Mit dem Überfall auf Polen begann das NS-Regime, seine jahrelang vorbereitete Eroberungs- und Germanisierungspolitik mit Krieg durchzusetzen. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs beging das Page 503
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nationalsozialistische Deutschland millionenfachen Völkermord. Am 27. September 1940 schlossen Deutschland, das faschistisch regierte Italien und das Kaiserreich Japan – die sogenannten Achsenmächte – den Dreimächtepakt als politische und militärische Koalition. Nach raschen Siegen über die Niederlande, Belgien, Frankreich und Norwegen 1940 brach das NS-Regime den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 und griff am 22. Juni 1941 die Sowjetunion an („Unternehmen Barbarossa"). Am 11. Dezember 1941 erfolgte die Kriegserklärung Deutschlands und Italiens an die Vereinigten Staaten. Die Kriegswende begann im Herbst und Winter 1942/1943 mit den deutschen Niederlagen in den Schlachten von El Alamein und Stalingrad. Mitte 1943 war der Wendepunkt des deutschen U-Boot-Kriegs im Atlantik. Die britischen und US-amerikanischen Luftstreitkräfte erreichten ab Frühjahr/Sommer 1944 fast die völlige Luftherrschaft über Deutschland und zerstörten im Bombenkrieg ganze Städte. Anfang Juni 1944 landeten westalliierte Truppen in der Normandie (Operation Overlord) und eröffneten damit die zweite Front im Westen mit dem Ziel, die Truppen der Wehrmacht auf deutsches Gebiet zurückzudrängen und das NS-Regime schließlich zu stürzen. Die alliierten Truppen erreichten die Grenzen des „Altreichs" im Oktober 1944. US-amerikanische und sowjetische Truppen trafen sich in Page 504
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mitteldeutschland am 25. April 1945 („Elbe Day"). Nach Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 endete zwei Tage später die Schlacht um Berlin. Daraufhin kapitulierte die Wehrmacht am 8. Mai 1945 bedingungslos vor den Alliierten und ihren Verbündeten. Der Zweite Weltkrieg kostete weltweit über 62 Millionen Menschen das Leben.³ In seinem Verlauf ermordeten Nationalsozialisten und ihre Helfer etwa ein Drittel aller europäischen Juden (Shoah), etwa 3,5 Millionen nichtjüdische Sowjetbürger und Polen (siehe dazu Verbrechen der Wehrmacht), mindestens 100.000, eventuell über 500.000 Sinti und Roma (Porajmos), etwa 200.000 Behinderte (u. a. „Aktion T4"), eine unbekannte Zahl deutscher „Asozialer" und etwa 5.000 Homosexuelle (? Rosa Winkel). In der nationalsozialistischen Rassenhygiene galten diese Gruppen als „minderwertige" bzw. „lebensunwerte" „Rassenschädlinge". Vor dem Krieg waren bereits etwa 20.000 als gefährlich eingestufte politische Regimegegner, meist Angehörige der Linksparteien, und etwa 1.200 Zeugen Jehovas ermordet worden. Deserteure, Plünderer und Saboteure erhielten als „Volksschädlinge" in der Regel die Todesstrafe. Entstehung des Nationalsozialismus Aufstiegsbedingungen Die politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen für den Aufstieg des Page 505
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nationalsozialismus wurden im und durch den Ersten Weltkrieg geschaffen. Sie belasteten und begleiteten die Weimarer Republik seit ihrer Gründung: - die Novemberrevolution 1918, die mit der Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg verbunden war und mit bürgerkriegsartigen Zuständen einherging; - die Auflagen des Friedensvertrages von Versailles und seiner Reparationsforderungen, die zu tragen die Siegermächte der Entente den demokratischen Kräften Deutschlands aufbürdeten und die sie später mit Ruhrbesetzung, Dawesplan und Youngplan durchzusetzen versuchten. Ab 1919 kamen hinzu: - die Dolchstoßlegende, aufgrund derer weite Bevölkerungsteile für die Kriegsniederlage die republikanischen Parteien und nicht etwa militärische Gründe oder die Oberste Heeresleitung (OHL) verantwortlich machten; - rechts- und linksradikale Kräfte, die die parlamentarische Demokratie ablehnten, verachteten und destabilisierten und Putschversuche unternahmen (etwa auf rechter der Kapp-Putsch und der Hitlerputsch, auf linksradikaler Seite der Spartakusaufstand und der Ruhraufstand); - eine weitgehend aus dem Kaiserreich beibehaltene Verwaltung und Justiz, die die Weimarer Verfassung nicht aktiv und ausreichend schützten und deren Feinde nicht wirksam in die Schranken Page 506
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wiesen; - Wirtschaftskrisen, die Inflation, Lohndeflation und Massenarbeitslosigkeit bewirkten; - fortwährend instabile und handlungsunfähige Regierungen, die den Wirtschaftskrisen nicht rechtzeitig und energisch genug gegensteuerten und diese teilweise noch verschärften; - das Versäumnis und die Unfähigkeit der demokratischen, liberalen und linksgerichteten Kräfte, sich auf ein gemeinsames Handeln gegen die Antidemokraten und Nationalsozialisten zu verständigen; - Aushöhlung der Demokratie durch ein Präsidialsystem, das Konstruktionsmängel der Weimarer Verfassung wie den Notverordnungsparagrafen 48 ausnutzte und damit schließlich die Nationalsozialisten an die Macht brachte. Erster Weltkrieg Für den Ersten Weltkrieg waren primär die Berliner und Wiener Regierungen und deren Militärstäbe verantwortlich. Die Niederlage Deutschlands war vor allem Folge verfehlter Kriegsziele und Kriegsführung der dritten kaiserlichen OHL unter Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg. Ihr Streben nach einem „Siegfrieden" und weitreichenden Eroberungen, der bedingungslose U-Boot-Krieg, der den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika bewirkte, und die Ablehnung von inneren Friedensbemühungen und äußeren Verhandlungsangeboten bewirkten zuletzt eine vollständige Page 507
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Niederlage und eine soziale Revolution. Nach der gescheiterten Frühjahrsoffensive 1918 an der Westfront versuchten die beiden Generäle, ihr Versagen den liberalen und demokratischen Kräften im Reichstag aufzubürden, indem sie empfahlen, diese in die Regierung einzubinden und die zuvor abgelehnten Waffenstillstandsbedingungen des US-Präsidenten Woodrow Wilson anzunehmen. Dies geschah in der Oktoberreform 1918. Damit schoben sie zugleich die Verantwortung für die Folgen der Niederlage den demokratischen Kräften zu, die nun statt ihrer die Kapitulationsbedingungen des 10. November 1918 und später den Versailler Vertrag akzeptieren und unterzeichnen mussten. Das bereitete die seit 1919 verbreitete Propagandalüge der Dolchstoßlegende vor. Von 1880 bis 1914 etablierte sich der Antisemitismus in Deutschland, so in der Deutschen Turnerschaft, dem Offizierskorps, den meisten Studentenverbindungen und einigen nationalistischen und rassistischen Parteien. Diese Gruppen radikalisierten sich während des Krieges. Das Programm der Deutschvölkischen Partei erklärte die „Vernichtung des Judentums" zur „Weltfrage des 20. Jahrhunderts". Zu Deutschbund, Gobineaugesellschaft, Reichshammerbund kamen im Kriegsverlauf u. a. die Thulegesellschaft und der Alldeutsche Verband hinzu. Dessen Vorsitzender Heinrich Claß wollte die nahe Kriegsniederlage den Juden anlasten und sie Page 508
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nach Kriegsende gewaltsam vertreiben lassen. Anhänger dieser Ziele sammelten sich dann vielfach in der NSDAP. Novemberrevolution ? Hauptartikel: Novemberrevolution Die Novemberrevolution beendete die faktisch bestehende Militärdiktatur in Deutschland und ermöglichte die Gründung einer parlamentarischen Republik. Doch in ihrem Verlauf stützte sich die SPD-Führung um Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Gustav Noske auf das kaiserliche Militär, um weitergehende Forderungen der Revolutionäre abzuwehren. Dazu schloss Ebert am 9. November 1918 den geheimen Ebert-Groener-Pakt mit der OHL. Den Spartakusaufstand und Anläufe zu einer Räterepublik in einigen Großstädten ließ er mit Hilfe zurückgekehrter kaiserlicher Fronttruppen und republikfeindlicher Freikorps niederschlagen. Diese blutigen, bürgerkriegsartigen Kämpfe überschatteten die Entstehung der Weimarer Demokratie und begünstigten auch bei Teilen der linken Wählerbasis eine republikfeindliche Einstellung. Die kaiserlichen Militärs behielten trotz der Kriegsniederlage ihre bisherige Stellung und wurden nicht demokratisiert. Die Strukturen und das Personal der Kaiserzeit mit oft rechtsextremer Einstellung in weiten Teilen von Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Militär wurden in die Weimarer Republik übernommen. Die Weimarer Reichsverfassung schützte ausdrücklich einige Page 509
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Privilegien des kaiserlichen Beamtenapparats. In dieser innenpolitischen Situation entstand die NSDAP. Sie war weder die einzige noch die erste rechtsextreme Partei, die die Republik von Grund auf ablehnte und bekämpfte. Diese Haltung verband sie mit einer Reihe von national-konservativen und nationalistischen Parteien, die sich um 1918/1919 neu gründeten, vor allem die DNVP. Sie vertrat die antidemokratische Grundhaltung von großen Teilen des konservativen, das heißt monarchistisch-kaisertreuen Bürgertums. Seit 1919 begingen Rechtsextremisten einige politische Morde an bedeutenden Vertretern der Arbeiterbewegung wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Eisner. Die Münchner Räterepublik wurde durch die Freikorps brutal niedergeschlagen, und auch liberale und konservative „Erfüllungspolitiker" (Walter Rathenau, Matthias Erzberger) wurden ermordet. Rechtsextreme Täter entgingen häufig einer Strafverfolgung oder wurden milde bestraft, gegen politisch motivierte Straftaten von Sozialisten und Kommunisten ging die Justiz dagegen mit äußerster Härte vor. Die Weimarer Justiz ließ auch die massenwirksame Propaganda von der Kriegsschuldlüge, den Novemberverbrechern und der Dolchstoßlegende zu, die rechtsextreme, rechtskonservative und sogar Teile der liberalen Parteien und Medien vertraten. Ebert hatte bei der Rückkehr der Fronttruppen vom „im Page 510
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Felde unbesiegten" deutschen Heer gesprochen; Hindenburg behauptete 1920 vor dem Untersuchungsausschuss für Kriegsschuldfragen, das Heer sei „von hinten… erdolcht" worden. Der Vorwurf sollte die demokratischen und linken Kräfte treffen, deren Revolution das von den Generälen hinausgezögerte Kriegsende erzwungen hatte. Die Dolchstoßlegende wurde von zahlreichen Medien, vor allem des Hugenberg-Pressekonzerns, aufgegriffen und propagiert. Die Demokraten in der Verwaltung der Weimarer Republik wurden zum Teil systematisch verunglimpft – so z. B. der Berliner Polizeipräsident Bernhard Weiß, der gegen Rechtsbrüche der SA vorging. Die Bildung solcher paramilitärischen Verbände wurde ebenfalls von den Behörden geduldet: Die SA begleitete die Versammlungen und Kundgebungen ihrer Partei und begann auch bei anderen Parteiversammlungen immer wieder Straßen- und Saalschlachten. Ferner verhinderten institutionelle Probleme der Weimarer Republik eine tragfähige, demokratisch legitimierte Politik. Da im Parlament selten konstruktive parlamentarische Mehrheiten entstanden, wurden mehrfach Neuwahlen ausgerufen. Gerade dies führte am Ende der Republik zu einer Politik, die von Notverordnungen des mächtigen Reichspräsidenten geprägt war. All dies lähmte den demokratischen Willensbildungsprozess und verstärkte die Unzufriedenheit der Bürger mit den Page 511
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt etablierten politischen Parteien in den Zeiten der Krise. Entwicklung der NSDAP 1920–1925: Gründung, Verbot und Neuaufbau Die NSDAP ging am 24. Februar 1920 aus der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) in München hervor. Sie vertrat in ihrem 25-Punkte-Programm von Anfang an entschieden antidemokratische, völkisch-nationalistische und rassistische, vor allem antisemitische Positionen. Ende des Jahres erwarb sie den Münchner Beobachter und machte ihn zum Völkischen Beobachter (VB), dem „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands". Adolf Hitler war bis dahin ein in der Öffentlichkeit unbekannter, erfolgloser österreichischer Kunstmaler. Er war im Ersten Weltkrieg einfacher Gefreiter in einem bayerischen Regiment gewesen. Im Auftrag des Militärs besuchte er unter anderem Veranstaltungen der DAP (Deutsche Arbeiterpartei) und wurde zunächst von ihr als Redner angeworben. In dieser Funktion kam er zum Ruf eines „Trommlers" und „Einpeitschers" der Partei, der er in Bayern schnell einen gewissen Zulauf aus völkischen Kreisen verschaffen konnte. Hitler wurde 1921 Vorsitzender der NSDAP. Der Organisation schlossen sich auch ehemals führende kaisertreue Militärs an, so zum Beispiel der ehemalige OHL-General Erich Ludendorff. Page 512
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die NSDAP-Mitglieder gehörten von Beginn an zu den entschiedensten Gegnern der Republik, obwohl auch sie in ihrem Rahmen Wähler zu gewinnen versuchten. Anfangs konnte die neue rechtsextreme Partei die antidemokratische Grundströmung nicht auf ihre Mühlen lenken. Aber sie nutzte die allgemeine Ablehnung des Versailler Vertrages, um die von ihr so bezeichneten „Novemberverbrecher" an den öffentlichen Pranger zu stellen. Wie allen Rechtsextremen galten ihr besonders die führenden SPD-Politiker, denen 1918 die Macht übergeben worden bzw. „zugefallen" war (Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann), als Erfüllungsgehilfen der alliierten Siegermächte des Ersten Weltkrieges. Sie diffamierte die Demokratie als vorübergehende Erscheinung und nannte sie „Systemzeit". Diese Propaganda wurde durch die Reparationsforderungen der Alliierten begünstigt. Der Kapp-Putsch vom März 1920 stellte die Republik auf eine erste Bewährungsprobe. Freikorps unter General von Lüttwitz besetzten das Berliner Regierungsviertel und ernannten den ehemaligen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp zum Reichskanzler. Die legale Regierung zog sich zunächst nach Dresden und anschließend nach Stuttgart zurück und rief von dort aus zum Generalstreik gegen die Putschisten auf. Der Putsch scheiterte rasch; entscheidend für die Niederlage war die Weigerung der Ministerialbürokratie, den Anordnungen Kapps Folge zu Page 513
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt leisten. Die Reichswehr hatte sich demgegenüber abwartend verhalten (Hans von Seeckt: „Truppe schießt nicht auf Truppe."). Die NSDAP gewann zunächst vor allem in München eine gewisse Anhängerschaft, spielte aber in Bayern während der ersten Jahre der Republik ansonsten kaum eine wichtige politische Rolle. Außerhalb Bayerns wurde Hitler Anfang der 1920er Jahre nicht wirklich ernst genommen. Dennoch versuchten nationalsozialistische Putschisten unter der Führung von Hitler und Ludendorff am 9. November 1923 mit dem sogenannten Hitler-Ludendorff-Putsch die Regierung in Bayern und im Reich abzusetzen. Mitglieder und Anhängerschaft der nationalsozialistischen Bewegung kamen in hohem Maße aus den von der Inflation ruinierten und von anhaltender Deklassierung bedrohten Mittelschichten. Der von der nationalsozialistischen Propaganda so bezeichnete „Marsch auf die Feldherrnhalle" in München wurde von der bayerischen Landespolizei niedergeschlagen. Im anschließenden Hitler-Prozess wurde Hitler zur gesetzlichen Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft in der Festung Landsberg verurteilt. Ludendorff wurde freigesprochen. Die NSDAP wurde verboten. Es entstanden daraufhin zugelassene Ersatzorganisationen. Hitler konnte den Prozess als Propagandaveranstaltung nutzen. In der Haft, während der Hitler viele Vergünstigungen genoss, entschloss sich Hitler, die Macht in Deutschland auf legalem Wege zu erringen. Er Page 514
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt diktierte seinem damaligen Sekretär und späteren Stellvertreter Rudolf Heß seine programmatische Autobiografie „Mein Kampf", in der er seine Ziele und Vorhaben formulierte. Schon am 20. Dezember 1924 wurde Hitler wieder aus der Haft entlassen. Der Putsch war der vorläufige Höhepunkt der Rechtsextremen gewesen, mit einem wirtschaftlichen Aufschwung fiel ihre Bedeutung. Auf dem Markt erschienen Neuheiten wie der für alle zugängliche Rundfunk oder erschwingliche Autos aus der Massenproduktion. Die nationalsozialistische Bewegung zerbrach in mehrere Parteien, von denen aber nur zwei eine gewisse Bedeutung erreichten und die auch insgesamt an Stimmen verloren. Eine der beiden bedeutenderen war die Großdeutsche Volksgemeinschaft unter dem von Hitler ausgewählten Alfred Rosenberg, der im Juli 1924 von Julius Streicher und Hermann Esser abgelöst wurde. Sie konkurrierte mit der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Großdeutschlands mit Gregor Strasser und Erich Ludendorff. 1925–1929: die NSDAP als Splitterpartei Am 27. Februar 1925 wurde die NSDAP in München neu gegründet, und die meisten nationalsozialistischen Gruppen und Parteien vereinigten sich in ihr unter der unumschränkten Führung Hitlers. Die Strukturen der Partei wurden in den folgenden Jahren geprüft und ihre Organisation verbessert. Page 515
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Als 1924 dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert durch das Urteil im Magdeburger Prozess vorgeworfen wurde, durch seine Beteiligung an den Streiks während des Weltkrieges habe er Landesverrat begangen, ließ er eine Blinddarmentzündung nicht rechtzeitig behandeln und starb 1925. Die folgende Wahl gewann der trotz gegenteiliger öffentlicher Bekundungen noch immer seinem ehemaligen Kaiser treue parteilose Paul von Hindenburg, der von den meisten Rechtsparteien, ihnen voran der DNVP, unterstützt wurde. Für die Wahl hatte die NSDAP mit Erich Ludendorff ebenfalls einen Kandidaten aufgestellt, der aber mit 1,1 % im ersten Wahlgang scheiterte. Hitler, der im selben Jahr seine österreichische Staatsbürgerschaft abgelegt hatte und somit vorerst (bis 1932) als staatenlos firmierte, hatte jedoch zunächst in einigen deutschen Ländern noch öffentliches Redeverbot, das zuletzt 1928 in Preußen aufgehoben wurde, nachdem er nun bekundete, die Machtübernahme auf legalem Weg erreichen zu wollen. 1926 konnte sich Hitler auf dem zweiten Reichsparteitag der NSDAP, der in Weimar stattfand, gegen die Brüder Gregor und Otto Strasser durchsetzen, die als Angehörige des linken Parteiflügels einen nationalen Sozialismus sowie eine außenpolitische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion verlangten. Im Dezember 1926 erschien der zweite Band von Mein Kampf, mit dem Hitler Page 516
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die NS-Bewegung endgültig auf antisowjetische Ziele festlegte: den Kampf gegen den jüdischen Bolschewismus und die Eroberung von Lebensraum im Osten.4 Fortan setzte Hitler seine Hoffnungen insbesondere in die Wählerschichten des Mittelstandes und der Landbevölkerung, die mit der herrschenden Politik aufgrund wirtschaftlicher Belastungen und entsprechender Einbußen besonders unzufrieden waren. Allerdings war die NSDAP bis zur Reichstagswahl 1930 kaum mehr als eine Splitterpartei und nur eine von vielen im Reichstag vertretenen völkischen Parteien am politisch rechten Rand. Die lange Zeit größte und einflussreichste unter ihnen, die den völkischen Block anführte, war die DNVP. Bei der Reichstagswahl am 20. Mai 1928 verlor die NSDAP sogar zwei Mandate und kam mit 2,6 % der Wählerstimmen auf nur 12 Sitze im Reichstag. Nachdem sich die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Deutschland, die seit 1924 relativ stabil geworden waren, ab Mitte 1929 innerhalb weniger Monate wieder dramatisch verschlechterten, änderte sich die politische Parteienlandschaft in kurzer Zeit zugunsten der ideologischen Pole des links- und rechtsextremen Spektrums, was sich gerade auch auf die NSDAP begünstigend auswirkte. 1929–1933: Weltwirtschaftskrise und Demokratiekrise Page 517
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1929 fand ein Volksentscheid zu „Young-Plan und Kriegsschuldlüge" statt. Im Mittelpunkt stand eine Neuregelung der Reparationszahlungen. Getragen wurde der Volksentscheid von einem Bündnis aus DNVP, Stahlhelm, NSDAP und Deutschvölkischer Freiheitsbewegung. Die NSDAP durfte sich an der Seite ihrer Bündnispartner als politisch rehabilitiert betrachten. Der Volksentscheid scheiterte, die NSDAP aber hatte mit ihrer Propaganda neue Wählerkreise erreichen können. In den folgenden Jahren gewann die NSDAP immer mehr an Bedeutung. Grund war vor allem die Weltwirtschaftskrise, die auch durch die starken Finanzverflechtungen in Verbindung mit den Reparationszahlungen Deutschlands verstärkt wurde. Im Kontext der Weltwirtschaftskrise stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland sprunghaft an. So verstärkte sich bei vielen Wählern nun der Ruf nach einem „starken Mann". Vor diesem Hintergrund gewann die Propaganda der NSDAP innerhalb kurzer Zeit ungeahnte Überzeugungskraft: Hitlers Wahlkampfparole, sein Ziel sei es, die „politischen Parteien aus Deutschland hinweg zu fegen", stieß nun bei vielen Unzufriedenen, besonders aus der Mittelschicht, auf offene Ohren. Sie trieb ihm viele Wähler zu, nicht nur aus dem völkisch-nationalen, sondern auch dem bürgerlich-konservativen Lager. Die Nationalsozialisten verstanden es, die Massen Page 518
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt durch Großveranstaltungen für sich zu gewinnen und nutzten modernste Wahlkampfmittel, zum Beispiel die konsequente Emotionalisierung und die Nutzung von Flugzeugen. Ihre Angriffe richteten sich gegen alles, was mit dem Weimarer System in Verbindung gebracht wurde – vom Parteiensystem, bestehend aus verschiedenen relativ kleinen Parteien und Splitterparteien, bis hin zum eigentlichen demokratisch-parlamentarischen Prinzip. Auf die am 28. März 1930 an der Frage der Regelung der Arbeitslosenversicherung gescheiterten SPD-geführten Regierung Hermann Müller folgte ein Kabinett unter der Führung von Heinrich Brüning vom rechten Flügel des Zentrums. Er beabsichtigte eine drastische Senkung der Einkommen der Lohnabhängigen und der Sozialleistungen. Nachdem er sich damit im Parlament nicht durchsetzen konnte, regierte er durch die mit Art. 48 der Weimarer Verfassung mögliche Notverordnung. Mit dem Ernennungsrecht nach Art. 53 der Weimarer Verfassung war in Verbindung mit dem Notverordnungsrecht nach Art. 48 WRV und dem Parlamentsauflösungsrecht nach Art. 25 ein Präsidialkabinett möglich, also eine Minderheitsregierung, die nur auf das Vertrauen des Präsidenten und dessen Notstandsvollmachten gestützt war. Ein solches Präsidialkabinett wurde unter Brünings Führung etabliert. SPD, KPD, NSDAP und Teile der DNVP verlangten Aufhebung der Notverordnung. Dem folgte der Reichspräsident. Bei den anschließenden Page 519
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wahlen konnte die NSDAP die Zahl ihrer Abgeordneten von 12 auf 107 erhöhen und wurde damit zur zweitstärksten Partei. Es kam zum zweiten Präsidialkabinett Brüning, nun von der SPD toleriert. Die Regierung verfügte Lohn- und Gehaltskürzungen, beschränkte die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, hob aber gleichzeitig die Beitragssätze an. Zugleich erhöhte sie die Steuern auf Löhne und Einkommen, die Umsatzsteuer sowie die Steuern auf Bier, Tabak und Zucker. Die Präsidialkabinette Brüning (1930–1932) trugen wesentlich zur Entfremdung der Bevölkerung von der Weimarer Demokratie bei und gewöhnten sie an nichtdemokratische politische Verhältnisse. In einem Prozess gegen Offiziere der Reichswehr, denen die Verbreitung von nationalsozialistischer Propaganda vorgeworfen wurde, bezeugte Hitler in seinem öffentlichkeitswirksamen Legalitätseid, dass er die Macht „nicht mit illegalen Mitteln" anstrebe, und trat damit Gerüchten über einen Putsch entgegen. Die NSDAP brauche „noch zwei bis drei Wahlen", dann werde sie „in der Mehrheit sitzen" und „den Staat so gestalten, wie wir ihn haben wollen". Innerhalb des rechten Parteispektrums vollzog sich eine Verschiebung von der Mitte hin zum Rechtsradikalismus. Massenhaft gingen Wähler aus den Parteien der bürgerlichen Mitte wie der DStP und der DVP nach rechtsaußen. Traditionelle Wähler der rechtsradikalen DNVP Page 520
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gingen über zur noch weiter rechts stehenden NSDAP. Geringere Verschiebungen gab es innerhalb der Linken. Die Sozialdemokraten blieben die linke Mehrheitskraft, verloren zwar Stimmen an die KPD, die jedoch bis in die erste Jahreshälfte 1932 über etwa 13 % nicht hinauskam. Inzwischen hatte sich die politische Auseinandersetzung stark in den außerparlamentarischen Raum verlagert. Die Wehrverbände der Parteien – die SA der NSDAP, der der DNVP nahestehende Stahlhelm, der an die KPD angelehnte Rotfrontkämpferbund, das sozialdemokratisch dominierte Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold – begegneten sich in militant ausgetragenen Konflikten auf den Straßen und in den Versammlungssälen. Es ereigneten sich bürgerkriegsähnliche Szenen. Sie verstärkten vor allem innerhalb der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten das dort traditionell starke Verlangen nach „Ruhe und Ordnung" und kamen so den Nationalsozialisten entgegen, die dort vermehrt als die Kraft betrachtet wurden, die mit einer Beseitigung demokratischer Verhältnisse die Ordnung wiederherstellen würde. Am 11. Oktober 1931 vereinigten sich auf Initiative der DNVP unter ihrem Vorsitzenden, dem Mediengroßunternehmer Alfred Hugenberg, DNVP, Stahlhelm, NSDAP und weitere rechtsradikale Organisationen zur kurzlebigen Harzburger Front. Zu einer stabilen Kooperation zwischen Nationalsozialisten und konservativen Nationalisten kam es vor 1933 nicht. Als Reaktion bildeten Page 521
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die republiktreuen Organisationen unter dem Fahnensymbol der drei Pfeile die Eiserne Front. Der NSDAP gelang es, die Stimmung der Bevölkerung durch populäre Parolen gegen den Parlamentarismus aufzugreifen. Am 27. Januar 1932 hielt Hitler einen Vortrag im Düsseldorfer Industrieclub, wo er sowohl das auf Privateigentum gegründete freie Unternehmertum als auch das nationalsozialistische Führerprinzip auf das Leistungsprinzip zurückführte. Die Kontakte zwischen NSDAP und Industrie sollten zudem durch zwei miteinander rivalisierende Beraterstäbe gefördert werden, durch die vom ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht gegründete Arbeitsstelle Dr. Schacht sowie den vom Chemieunternehmer Wilhelm Keppler geleiteten Industrieausschuss für Wirtschaftsfragen. Die Spenden der Industrie blieben aber wenig bedeutend. Zwar erhielt die Partei mitunter beträchtliche Zuwendungen von einzelnen Großunternehmern, etwa von Friedrich Flick, Albert Vögler und vor allem Fritz Thyssen. Ihre wichtigsten Geldquellen blieben aber Mitgliedsbeiträge und der Verkauf von Eintrittskarten zu Parteiversammlungen. Erst nach der Machtübernahme kooperierte die Großindustrie verstärkt mit der nationalsozialistischen Führung.5 Hitler, der ab 1925 auf eigenes Betreiben staatenlos war, erlangte Ende Februar 1932 die deutsche Staatsangehörigkeit (? Einbürgerung Adolf Hitlers). Dadurch konnte er bei der Reichspräsidentenwahl 1932 kandidieren. Page 522
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bezeichnend für die Situation der Republik war, dass keiner der Kandidaten Thälmann, Hitler, Hindenburg und Theodor Duesterberg ein Demokrat war. Die Parteien der Mitte bis zur SPD unterstützten den Sieger Hindenburg, um einen Erfolg Hitlers zu verhindern. Das gelang, Hindenburg wurde wiedergewählt. Weil dies aber nur mit Unterstützung der von ihm verachteten Sozialdemokraten gelungen war, war der alte Herr verstimmt. Reichskanzler Brüning hatte sich zudem mit seinem Verbot der SA und der Osthilfeverordnung, die von den ostpreußischen Grundbesitzern – zu denen auch Hindenburg gehörte – stark kritisiert wurde, beim Reichspräsidenten in Misskredit gebracht. Hindenburg nahm ihm zudem übel, dass er auf sein Betreiben auch von den Anhängern der SPD zum Reichspräsidenten gewählt worden war. Er entzog ihm sein Vertrauen, und Brüning, der aufgrund seiner Sparpolitik in der Bevölkerung ohnehin kaum Rückhalt besaß, musste zurücktreten. Der Kanzler wurde nach eigenem Bekunden „hundert Meter vor dem Ziel" gestürzt, da seine Deflationspolitik noch keine Wirkung entfalten konnte. Auch sein Ziel der Gleichberechtigung Deutschlands und der endgültigen Aufhebung der Reparationen hatte er nicht erreicht. Sein Nachfolger Franz von Papen ersuchte Hindenburg sofort um Auflösung des Parlaments. Er wollte die Unterstützung der Nationalsozialisten und hob dafür das Verbot der SA und der SS wieder auf. Hitler hatte die Wahl zum Page 523
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reichspräsidenten verloren, aber einen großen Popularitätsanstieg erreicht. Bei der nächsten Reichstagswahl am 31. Juli 1932 erhielt die NSDAP 230 Mandate und war damit die stärkste Fraktion im Reichstag. Dies war das höchste Wahlergebnis der NSDAP bei demokratischen Wahlen. Hitler wollte von Hindenburg zum Kanzler ernannt werden, die angebotene Vizekanzlerschaft lehnte er ab. Da die Kommunisten 89 Mandate errungen hatten, hatten die beiden extremen Flügelparteien eine negative Mehrheit erreicht, die jede parlamentarische Arbeit unmöglich machte. Papen löste den gerade erst gewählten Reichstag nach einem mit großer Mehrheit gegen ihn gerichteten Misstrauensvotum durch eine vorbereitete Order Hindenburgs wieder auf. Bereits am 20. Juli hatte er die Regierung von Preußen abgesetzt, die letzte Bastion der Republik. Als Vorwand für den „Preußenschlag", der häufig als Staatsstreich bezeichnet wurde, diente das angebliche Versagen der preußischen Polizei am „Altonaer Blutsonntag", heftigen Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und der von Papen wieder erlaubten SA. Die Neuwahlen vom November des Jahres brachten einen Rückgang der Stimmen für die NSDAP. Die meisten Beobachter interpretierten dies als Anfang vom Ende der NSDAP. Eine regierungsfähige Mehrheit existierte weiterhin nicht. Papen, der inzwischen Konjunkturprogramme gestartet hatte, trat zurück, nachdem ihm klar geworden war, dass er die Unterstützung der Reichswehr bei Page 524
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Absicherung einer Diktaturregierung nicht besaß. Zudem hatte es der Reichstag aufgrund eines Verfahrensfehlers Papens geschafft, ihm rechtlich wirkungslos, aber öffentlichkeitswirksam das Misstrauen auszusprechen. Aufgrund der fehlenden Unterstützung durch Wehrminister General Kurt von Schleicher, die im Zuge einer militärischen Simulation eines möglichen Aufstandes (des „Planspiels Ott") sichtbar geworden war, verweigerte Hindenburg die geforderte Auflösung des Reichstags ohne Festsetzung von Neuwahlen. Diese Ausschaltung des Parlaments, gestützt auf das Argument des Staatsnotstands, hätte einen offensichtlichen Verfassungsbruch dargestellt. Papens Nachfolger wurde Kurt von Schleicher, der bis dahin im Hintergrund die Fäden gezogen hatte und für Papens Sturz verantwortlich war. Doch auch sein Konzept, einen Ausweg aus der Krise zu finden, scheiterte. Er hatte eine breite „Querfront" von den Gewerkschaften bis zum linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser erstrebt, Strasser musste aber vor Hitler kapitulieren. Am 28. Januar 1933 musste auch Schleicher zurücktreten, nachdem er zuletzt selbst von Hindenburg erfolglos die Ausrufung des Staatsnotstands gefordert hatte. Schleicher selbst war kein Demokrat, sein Verhältnis zur NSDAP wandelte sich mehrmals, zuletzt empfahl er Hindenburg ein Kabinett unter Hitler (Akten der Reichskanzlei, Dok. Nr. 72 vom 28. Januar 1933). Page 525
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schleicher konnte nicht wissen, dass ausgerechnet er, Meister der Intrigen, nun selbst Opfer einer Intrige geworden war: Schon am 4. Januar 1933 hatte sich sein ehemaliger Schützling Franz von Papen mit Hitler zu Geheimverhandlungen im Privathaus des Kölner Bankiers Kurt von Schröder getroffen. Diesem Gespräch folgten weitere, zuletzt auch unter Anwesenheit des Staatssekretärs des Reichspräsidenten, Otto Meissner, und des Sohnes des Reichspräsidenten, Oskar von Hindenburg, beides einflussreiche Berater in der Kamarilla des greisen Paul von Hindenburg. Sie vereinbarten eine Koalitionsregierung aus Deutschnationalen und NSDAP, der außer Hitler nur zwei weitere Nationalsozialisten, nämlich Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich und kommissarischer preußischer Innenminister, angehören sollten. Papen selbst war als Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen vorgesehen. Hindenburg, der sich bis zuletzt gegen eine Kanzlerschaft des „böhmischen Gefreiten" Hitler gesträubt hatte, konnte mit dem Hinweis, dass ein von einer konservativen Kabinettsmehrheit „eingerahmter" NSDAP-Führer nur eine geringe Gefahr bedeute, beruhigt werden. Ein weiteres zentrales Argument für Hindenburg war die formale Verfassungskonformität der Lösung Hitler. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bedeutete faktisch das Ende der Weimarer Republik – auch wenn die Weimarer Verfassung Page 526
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt formal nie außer Kraft gesetzt wurde. Paul von Hindenburg war in diesen Wochen von verschiedenen Lobbyistenverbänden und den Beratern seiner Kamarilla bearbeitet worden. So forderten ihn im November 1932 in der berühmten Industrielleneingabe mehrere Agrarier, Bankiers und Industrielle auf, Hitler zum Kanzler zu ernennen, während im selben Monat ein DNVP-naher „Deutscher Ausschuss" sich unter der Überschrift „Mit Hindenburg für Volk und Reich!" für die Regierung Papen, für die DNVP und damit klar gegen die NSDAP aussprach. Hinzu kamen Pressionen im Zusammenhang mit der Osthilfe. Inwieweit all dies das seine Entscheidung wirklich beeinflusste, ist schwer zu sagen – Hindenburg hatte zu diesem Zeitpunkt das 86. Lebensjahr erreicht. Vorkriegszeit Errichtung der Diktatur ? Hauptartikel: Chronologie der nationalsozialistischen Machtergreifung Die Nationalsozialisten feierten die Übergabe der politischen Gewalt an sie und ihre rechtskonservativen Verbündeten, die mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 erfolgt war, als „Machtübernahme", „Machtergreifung" und „nationale Revolution",6 wovon aber nicht die Rede sein kann; vielmehr war Hitler formell mit der Regierungsbildung beauftragt worden, weshalb man in der modernen Page 527
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Geschichtswissenschaft von „Machtübertragung" o. Ä. spricht.7 Auch viele nicht-nationalsozialistische Deutsche begrüßten die Machtübertragung. In den Folgemonaten begann die Durchsetzung und Festigung der NS-Diktatur. Mit seiner Regierungsbildung („Kabinett Hitler") setzte Hitler auf ein Bündnis mit alten Eliten: Nur drei Minister kamen aus der NSDAP, die übrigen waren Mitglieder der DNVP und des Stahlhelms. Hindenburg löste den Reichstag am 1. Februar 1933 auf und setzte Neuwahlen an. In der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes am 4. Februar wurde die KPD verboten und erste Notverordnungen erlassen, die vor allem gegen Kommunisten und Sozialisten gerichtet waren und die Presse-, Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit einschränkten. Nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 erließ Hindenburg die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, die diese Grundrechte der Weimarer Verfassung noch stärker beschnitt. Die Nationalsozialisten sahen zunächst in der organisierten Arbeiterbewegung ihren Hauptgegner, weshalb sie in einem ersten Schritt zur Machtfestigung deren Organisationen verboten und zerschlugen. Viele Mitglieder der KPD, der SPD und der kleineren kommunistischen und sozialistischen Parteien sowie der freien Gewerkschaften wurden misshandelt und in „Schutzhaft" genommen. Überall im Reich entstanden in Turnhallen, Page 528
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Scheunen oder Kellern provisorische Haftorte der SA, in denen politische Gegner festgehalten und gefoltert wurden. Ein erstes Konzentrationslager des später dann planmäßig und zentralstaatlich eingerichteten Lagersystems der SS wurde in Dachau errichtet. Es wurde in den Medien bekannt gemacht und gegenüber der Bevölkerung als „Polizeimaßnahme" für „politische Kriminelle" begründet. Eine große Zahl der in den Lagern Inhaftierten fiel den Haftbedingungen zum Opfer, zu denen auch Folter und Mord gehörten. Kommunisten und Sozialdemokraten versuchten, sich im Untergrund zu organisieren oder flohen ins Ausland. Dort bildeten sie neue Leitungen, so die SPD in Prag mit ihrer Exilorganisation Sopade. Die vorher verfeindeten Parteien traten nun in einen Dialog. Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933, zu der die Industrie der NSDAP beim Geheimtreffen vom 20. Februar 1933 drei Millionen Reichsmark gespendet hatte, verfehlte die NSDAP die absolute Mehrheit, verschaffte sich diese aber, indem die von der KPD gewonnenen Sitze vor der ersten Reichstagssitzung annulliert wurden. SA-Mitglieder in den Reichstagssitzungen dienten der Einschüchterung der verbliebenen Abgeordneten. Am 21. März 1933 inszenierten die Nationalsozialisten den Tag von Potsdam, um damit die Verbrüderung mit den Traditionen und Eliten Preußens zu Page 529
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt demonstrieren und so weiteren Rückhalt im In- und Ausland zu gewinnen. Das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom 23. März gab der Regierung zunächst für die Frist von vier Jahren fast uneingeschränkte Gesetzgebungsbefugnisse. Es entmachtete die noch bestehenden anderen Parteien, die außer der SPD im Reichstag alle selbst dafür gestimmt hatten. Im Juli wurden auch sie verboten, die anderen Parteien hatten sich aufgelöst und mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 war die NSDAP die einzig zugelassene Partei in Deutschland. Dementsprechend gab es bei der nächsten Reichstagswahl am 12. November 1933 nur eine Einheitsliste aus NSDAP-Mitgliedern und ausgesuchten Gästen. Der Reichstag verkam zu einem reinen Akklamationsgremium. Die NS-Propaganda ersetzte die freie Presse und Kultur in allen Lebensbereichen. Die NSDAP erhielt viele neue Mitglieder, die die älteren Nationalsozialisten nach dem Wahltermin spöttisch als „Märzgefallene" bezeichneten. „Gleichschaltung" Nachdem die NSDAP die Macht übernommen hatte, begann die Gleichschaltung, das heißt Unterwerfung, Selbstunterwerfung und Angleichung aller gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen unter das NS-Regime. Somit ist dieser Begriff der NS-Propaganda eine verharmlosende Umschreibung. Erster Schritt war die Page 530
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Gleichschaltung der Länder", die alle hoheitlichen Aufgaben verloren. Ähnliche Maßnahmen betrafen bis Ende 1934 die meisten Vereine, Verbände, Gewerkschaften, die Handwerkerschaft, Studentenverbindungen, Medien, Kultureinrichtungen und die Justiz. Viele der betroffenen Organisationen ordneten sich oft lieber unter, statt von dem neuen System aufgelöst oder verboten zu werden. In Vereinen wurde das „Führerprinzip" Mitte des Jahres 1933 umgesetzt. Dies äußerte sich formal darin, dass der Vorsitzende des Vereins „entsprechend der Gleichschaltung neugewählt" wurde. Seine Vertreter ernannte er dann, was „der Genehmigung der höheren Stellen unterlag". Danach nannte er sich nicht mehr „Vorsitzender", sondern „Führer".8 Parteiorganisationen der NSDAP übernahmen in vielen Bereichen die vormaligen Aufgaben staatlicher Stellen und nichtstaatlicher Interessenverbände. Auf der anderen Seite entstanden innerhalb der nationalsozialistischen und der staatlichen Strukturen zahlreiche neue Ämter sowie Untergliederungen, deren Kompetenzen sich oft überschnitten. Am 10. Mai 1933 fanden vielerorts in Deutschland Bücherverbrennungen statt; dabei wurden Bücher von linksgerichteten, liberalen oder als „entartet" angesehenen Autoren öffentlich verbrannt. Die beiden großen Kirchen waren anfangs von der organisatorischen Gleichschaltung ausgenommen. Die katholischen Bischöfe behielten durch das Page 531
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reichskonkordat ihre Ämter und Bistümer, die evangelischen Landeskirchen schlossen sich vorbeugend im Juni/Juli 1933 zu einer Reichskirche unter Leitung eines Reichsbischofs zusammen. Jedoch spaltete sich dann die evangelische Kirche in von Deutschen Christen beherrschte sogenannte „zerstörte" Landeskirchen einerseits und in Gemeinden der Bekennenden Kirche andererseits. Die Deutschen Christen propagierten ein „judenreines" Evangelium und waren dem Führer ergeben. In der Bekennenden Kirche sammelten sich Christen, die Übergriffe des Staates auf den Glauben und den Ausschluss von Mitgliedern jüdischer Herkunft ablehnten. Dennoch bildeten diese keine einheitliche Opposition gegen das NS-Regime, vielmehr blieben große Teile dem „Führerstaat" treu und bejahten den Zweiten Weltkrieg. Nach anfänglichen Erfolgen wurde auch die Bekennende Kirche etwa ab 1937 zunehmend verfolgt. Judenverfolgung 1933–1938 Die Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden begann direkt nach Hitlers Machtübernahme, zunächst mit gezieltem Straßenterror der SA. Ab März 1933 wurden jüdische Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker, Bademeister usw. aus ihren Freiberufen gedrängt, von ihren Verbänden ausgegrenzt und erhielten Berufsverbote. Am 1. April 1933 organisierte die SA den ersten Boykott jüdischer Geschäfte. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 wurden Page 532
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt missliebige Beamte aus dem Staatsdienst entfernt. Der darin enthaltene Arierparagraph war das erste rassistische Gesetz für „Nicht-Arier" und betraf Anhänger des jüdischen Glaubens oder vermuteter jüdischer Herkunft. Sie wurden zuerst aus dem öffentlichen Dienst, dann auch aus Vereinen, Berufsverbänden und evangelischen Landeskirchen entfernt, die ähnliche Regelungen einführten. Sie wurden dann auch gesetzlich aus allgemeinen Schulen und allmählich aus dem gesamten öffentlichen Leben ausgeschlossen. Nur ehemaligen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs bot das Frontkämpferprivileg bis 1935 einen geringen Schutz. Das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zielte auf die Ausschaltung jüdischer Rechtsanwälte und wurde ebenfalls am 7. April 1933 erlassen. Infolgedessen wählten etwa 200.000 politisch oder rassisch Verfolgte den Weg der Emigration. Das NS-Regime begrüßte dies als „Flucht von Systemgegnern". Gleichzeitig ließ es Konzentrationslager – zuerst das KZ Dachau – einrichten, in denen vor allem politische Gegner, aber auch religiöse Minderheiten massenhaft interniert wurden. Damit wurde der diktatorische Charakter des Regimes im In- und Ausland offensichtlich. 1935 entzog das Reichsbürgergesetz sämtlichen deutschen Juden ihre Bürgerrechte. Dennoch emigrierten daraufhin nur wenig mehr von ihnen als zuvor. Die meisten hatten sich auf die Page 533
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Diskriminierungen eingestellt und hofften auf Ablösung des Regimes; dies stellte sich in den Folgejahren als tödlicher Irrtum heraus. 1938 setzte sich die systematische Entrechtung der deutschen Juden mit den Arisierungen, der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben und der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens fort. Mit administrativen Maßnahmen wie z. B. durch einen zusätzlichen Vornamen, einem „J" im Reisepass, Kennkarten und Meldelisten wurden alle Juden erfasst. Die Novemberpogrome 1938 vernichteten reichsweit die jüdische Kultur in Deutschland. Juden wurde unmittelbar nach der Reichskristallnacht durch die Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden vom 11. November 1938 (RGBl. I, 1573) jeder Waffenbesitz verboten. Erstmals wurden zehntausende Juden in Konzentrationslagern inhaftiert. Im Verlauf der nächsten Tage und Wochen wurden Hunderte von ihnen misshandelt, ermordet oder in den Tod getrieben. Entmachtung des Röhm-Flügels und Machtkonzentration In ihrem 25-Punkte-Programm hatte die NSDAP unter anderem die Enteignung und Verstaatlichung von Großbetrieben gefordert. Hitler ignorierte dies jedoch, um die Unterstützung der Großindustrie und Reichswehr nicht zu verlieren. Dies rief in der NSDAP Unzufriedenheit und Konflikte über das weitere Vorgehen hervor. Die Sturmabteilung (SA) unter Hitlers Duzfreund Page 534
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Ernst Röhm wollte die Reichswehr übernehmen und trat für eine soziale Umgestaltung der Gesellschaft ein. Dies war mit Hitlers Kriegsplänen nicht vereinbar. Auf Rat von Himmler, Goebbels und Göring ließ Hitler zwischen 30. Juni und 1. Juli 1934 reichsweit etwa 200 Gegner und mögliche Konkurrenten in der NSDAP als vermeintliche Teilnehmer eines – angeblich – durch Röhm geplanten Putsches ermorden. Unter den Opfern waren Gregor Strasser, von Bredow, von Schleicher, von Kahr und Röhm. Damit entschied Hitler den innerparteilichen Machtkampf. Eine gerichtliche Untersuchung dieser Taten fand nie statt. Der Mörder amnestierte sich und die Mittäter öffentlich mit einem Sondergesetz. Es wird vermutet, dass die Reichswehr Hitlers Ernennung zum Reichspräsidenten und damit auch zu ihrem Oberbefehlshaber förderte und dafür Hitlers Zusage erhielt, sie werde der einzige Waffenträger im Reich bleiben. Nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934 übernahm Hitler nach einem Gesetz, das ebenfalls seine Regierung beschlossen hatte, das Amt des Reichspräsidenten und trug nun die Titel Führer und Reichskanzler. Durch ein Plebiszit ließ er sich sein Vorgehen nachträglich bestätigen. Kriegsminister Werner von Blomberg, den Hindenburg noch vor Hitler gegen die Verfassung zum Minister ernannt hatte und der mit anderen dessen Macht im Konzept der Konservativen „einrahmen" Page 535
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (relativieren) sollte, ließ die Reichswehr nun auf Hitlers Person vereidigen. Auch die Beamten mussten einen „Führereid" ablegen. Aus den öffentlichen Verwaltungen wurden regimekritische Mitarbeiter entfernt. Damit hatte Hitler seine Herrschaft innenpolitisch durchgesetzt, stabilisiert und dauerhaft abgesichert. Krankenpflege und Medizin ? Hauptartikel: Krankenpflege im Nationalsozialismus und Medizin im Nationalsozialismus Propaganda und Personenkult Die Mittel der Nationalsozialisten zur Machtsicherung waren Propaganda, Personenkult um Hitler und populistische Maßnahmen auf der einen Seite, Überwachung und Unterdrückung auf der anderen. Ein Teil der Bevölkerung stimmte den Maßnahmen der NSDAP zu, ein weiterer Teil passte sich an, um sein eigenes Leben ungestört führen zu können. Die Propaganda wurde im neu gegründeten Propagandaministerium unter Joseph Goebbels sowie in der Reichskulturkammer gebündelt und mit großer Effektivität betrieben. Die Presse wurde durch wirtschaftliche Mittel wie der Förderung genehmer Verlage sowie mit direkten Presseanweisungen gesteuert. Massenorganisationen wie die Hitler-Jugend, der BDM, die Deutsche Arbeitsfront und Kraft durch Freude erfassten und beeinflussten fast alle Page 536
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Lebensbereiche. Der Nationalsozialismus war öffentlich z. B. durch Aufmärsche, Rituale und Gesten wie dem Hitlergruß ständig und überall präsent. Polizeistaat Ein Unterdrückungsapparat aus Gestapo, SS, SD und Sicherheitspolizei wurde aufgebaut. Zum Wesen der gewaltsamen Unterdrückung gehörten die Inhaftierungen und die Einrichtung ungesetzlicher Konzentrationslager als einer Polizeimaßnahme im Jahr 1933 direkt nach der Parlamentswahl im März (als „Schutzhaft" deklarierte Vorbeugehaft). Der Stahlhelm und die Sturmabteilungen (SA) der NSDAP wurden zur „Hilfspolizei" gemacht, die ihre bisherigen Gegner willkürlich erniedrigte und misshandelte. In Bremerhaven wurden Gefangene auf dem „Gespensterschiff" gefoltert. Die Gestapo war in den folgenden Jahren vor allem für die Bekämpfung „staatsfeindlicher Bestrebungen" zuständig und hatte 32.000 Mitarbeiter; dies war verhältnismäßig wenig, jedoch konnte das Regime auf die vielen NS-Sympathisanten und Denunzianten setzen. Rechtspolitik Siehe auch: Justiz im Deutschen Reich 1933 bis 1945 An Aufbau, Aufgaben und grundsätzlicher Struktur der Gerichte änderte sich im Übergang von der Weimarer Republik zum Page 537
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nationalsozialismus nichts. Auch ein Großteil der Gesetze, wie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) oder das Strafgesetzbuch (StGB), wurde allenfalls in Teilen verändert. Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) blieb offiziell die Verfassung des Deutschen Reiches. Faktisch wurde sie jedoch durch eine Vielzahl von Gesetzen ausgehebelt. Dies betraf insbesondere die Grundrechte, die Gewaltenteilung und die Gesetzgebung. Viele Gesetze und Verordnungen standen im direkten Widerspruch zur WRV. Geänderte Strafgesetze galten rückwirkend. Als neue Rechtsquelle trat neben Parlamentsgesetze und Ministerialverordnungen der sog. Führererlass, von NS-Juristen als Rechtsquelle sui generis angesehen, die über allen anderen Rechtsquellen stand. Zur Umsetzung wurden Sondergerichte eingeführt. Das BGB wurde kaum geändert, aber durch die „Einfallstore" der Generalklauseln der §§ 138, 242, 826 BGB wurde die nationalsozialistische Ideologie auch im Zivilrecht umgesetzt. Beispielsweise war jeder Vertrag i. S. d. BGB, der mit einem Homosexuellen oder Juden geschlossen wurde, gemäß § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig. Die WRV wurde nicht offiziell aufgehoben, aber materiell (vgl. das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" (Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 1933 und „VO zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933, die sog. Page 538
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reichstagsbrandverordnung) bzw. von der NS-Rechtslehre nicht anerkannt (vgl. etwa Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 1933: „in Wahrheit ist [das] Ermächtigungsgesetz ein vorläufiges Verfassungsgesetz des neuen Deutschland"). Die durch die „Einheit von Partei und Staat" sehr häufigen Überlagerungen von NSDAP-Richtlinien und Verwaltungsrecht führten zur Marginalisierung des Letzteren. Als neuer Verwaltungszweck galt die Erfüllung eines Gemeinschaftszwecks. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Ausschaltung der subjektiv-öffentlichen Rechte (Abwehrrechte des Bürgers gegen das Staatshandeln) und zu einem Kompetenzverlust der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Durch die sogenannte Schutzhaft (Inhaftierung durch SA und SS vollkommen ohne Verfahren) wurden im Vorfeld von Strafprozessen Zeugen und Angeklagte gezielt unter Druck gesetzt oder ausgeschaltet. Folter galt als legitimes Mittel der Beweiserhebung u. a. durch die Gestapo. Ein Schuldeingeständnis zu Beginn des Prozesses (ähnlich dem guilty plea im anglophonen Rechtskreis) zur Verkürzung des Verfahrens wurde eingeführt und auch angewendet. Strafgesetze wurden mittels der analogen Gesetzesanwendung (§ 2a StGB a.F.) auf eine Vielzahl von Tatbeständen erstreckt. Als erweitertes Gewohnheitsrecht galt das „gesunde Volksempfinden". Spezielle Straftatbestände für Minderheiten oder Page 539
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Personengruppen (Juden, Zwangsarbeiter, Ausländer) wurden ins Strafrecht aufgenommen. Auch die Verfolgung der Homosexuellen verschärfte sich in der Zeit des Nationalsozialismus. 1935 wurde § 175 RStGB in Tatbestandsfassung wie Strafmaß massiv verschärft und somit die Totalkriminalisierung von männlicher Homosexualität verordnet. 1936 wurde eine „Reichzentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" eingerichtet. Mit der schrittweisen Ausdehnung des Deutschen Reiches wurden für die unterworfenen Völker (besonders in Ost- und Südosteuropa) besondere „Rechtsgrundsätze" angewandt. Die nationalsozialistische Hierarchie von „Über-" und „Untermenschen" fand während des Zweiten Weltkriegs ihren Ausdruck in zahlreichen Erlassen, Führerbefehlen und Vorschriften, am konsequentesten durchgesetzt in den Ostgebieten (u. a. dem Generalgouvernement, siehe auch unter: Polen-Erlasse, Polenstrafrechtsverordnung). Das Strafrecht des Dritten Reiches war größtenteils nicht tatbezogen, sondern auf den Täter fokussiert (vgl. das Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 und die Verordnung gegen Volksschädlinge von 1939). Dies bedeutete, dass die Strafe nicht vorrangig nach der Schwere der Tat bestimmt wurde, sondern danach, welche Gefahr vom Täter für das Volk vermeintlich ausging. Im Vordergrund des Strafvollzuges im nationalsozialistischen Deutschland Page 540
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt stand die „Sühne" der Schuld sowie die Abschreckung im Sinne der Generalprävention. Spezialprävention spielte nur eine untergeordnete Rolle. Ab 1944 wurden im ganzen Reichsgebiet verstärkt Standgerichte eingesetzt, um „Wehrkraftzersetzer" und Deserteure abzuurteilen. Diese waren im Allgemeinen durch Laienrichter besetzt (z. B. durch den Bürgermeister eines Ortes). 1934 wurde der Volksgerichtshof (VGH) geschaffen. Er diente vor allem dazu, politische Schauprozesse abzuwickeln. Von 1934 bis Juni 1944 wurden vom VGH 5375 Todesurteile verhängt. Für die Zeit von Juli 1944 bis April 1945 gehen Schätzungen von ca. 2.000 weiteren Todesurteilen aus. Auch die Mitglieder der Weißen Rose und die Attentäter vom 20. Juli 1944 wurden vom VGH zum Tode verurteilt. Die Rechtswissenschaft wandelte ihre grundsätzliche Ausrichtung von der Interessenjurisprudenz hin zur Weltanschauungsjurisprudenz. Damit einher ging eine strikte Ablehnung eines Naturrechts. In der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft galt Rechtsetzung durch Interpretation (Umgehung der Gesetzgebung, „Führerwort") als allgemein anerkannt. Wirtschaftspolitik ? Hauptartikel: Wirtschaft im Nationalsozialismus Das Wirtschaftsleben im NS-Staat gründete auf Page 541
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Anreiz und Verpflichtung. Dabei blieb die privatwirtschaftliche Verfügung über die Unternehmen grundsätzlich unangetastet. Zugleich investierte das Regime, wie bereits vor 1933 seinen Förderern in der Großwirtschaft angekündigt und zugesagt, in die Aufrüstung der Wehrmacht sowie in die militärisch-zivile Infrastruktur (Autobahn-, Kasernenbau) und profitierte von der bereits vor der Machtübergabe eingetretenen Erholung der Weltkonjunktur mit der allseits begrüßten Folge einer Verminderung, dann Beendigung der allgemeinen Arbeitslosigkeit. Während die Arbeiterbewegung mit allen Mitteln unterdrückt und verfolgt wurde, wurde zugleich beschränkt auf „deutschblütige" Arbeitskräfte eine Reihe sozialpolitischer Verbesserungen eingeführt. So wurde symbolisch-demagogisch bereits 1933 der 1. Mai als traditioneller „Kampftag" der Arbeiterbewegung zum arbeitsfreien Feiertag umgewidmet und die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude" bot Urlaubsmöglichkeiten und Kulturveranstaltungen an. Teile der Wirtschaft spielten eine wichtige Rolle für die Machtübernahme und die Ziele Hitlers. Eine Gruppe von Industriellen, darunter der Reichsbankpräsident und spätere Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht, richtete 1932 eine Eingabe an Reichspräsident Hindenburg, in der sie die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler forderten. Außerdem erhielt Hitler von Großindustriellen wie Flick und Krupp und Page 542
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bankiers (Keppler-Kreis) vor und insbesondere nach der Machtübernahme Spenden, z. B. die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft. Für den Erfolg der Nationalsozialisten war die allgemeine Zustimmung in weiten und wachsenden Teilen der „deutschen Volksgemeinschaft" wichtig, zunächst aufgrund politischer und weltanschaulicher Übereinstimmung und im weiteren Verlauf aufgrund ökonomischer Erfolge und sozialpolitischer Verbesserungen, die als Privilegierung gegenüber Minderheiten zu verstehen waren. Einen wesentlichen Beitrag zur allgemeinen Zufriedenheit und zu deren wirtschaftlicher Absicherung bewirkten seit Kriegsbeginn die anfänglichen militärischen Erfolge, vor allem der Sieg über Frankreich. Eine der dringendsten Aufgaben Hitlers nach der Machtübernahme war die Überwindung der Wirtschaftskrise, die ihm zur Erringung der Macht verholfen hatte, ihn bei einem Misserfolg aber auch gefährdet hätte. Dies erreichte er vor allem durch deficit spending, also mit Krediten (den Mefo-Wechseln) finanzierte Konjunkturprogramme und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Auch das Ende der Reparationszahlungen noch während der Weimarer Republik begann zu wirken, und die erste Besserung der Konjunktur hatte es schon vor Hitler gegeben. Mit der Abkehr von der deflatorischen Politik Brünings waren entgegen weitverbreiteter Meinung bereits unter den vorhergehenden Regierungen Franz von Papen und Kurt von Page 543
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schleicher Maßnahmen zur Konjunkturbelebung eingeleitet worden, die nicht in erster Linie der Kriegsvorbereitung dienten, wie der Bau der Autobahnen. Kriegsvorbereitungen spielten zunächst für die Öffentlichkeit keine große Rolle bei der Belebung der Konjunktur. Augenscheinlicher waren beispielsweise eher bevölkerungspolitisch gedachte Maßnahmen wie Ehestandsdarlehen: Dabei wurde einem Paar bei der Heirat ein Darlehen von tausend Reichsmark angeboten, wenn die Frau dann dauerhaft aus dem Berufsleben ausschied. Eine Rolle spielten auch diktatorische Schritte, wie die Abschaffung der Gewerkschaften oder die Ermordung des antikapitalistisch gesinnten SA-Stabschefs Ernst Röhm, der eine soziale Revolution nach dem 25-Punkte-Programm forderte. Eine wichtige Maßnahme war die Erzeugungsschlacht in der Landwirtschaft. Im September 1933 wurden alle landwirtschaftlichen Betriebe, Genossenschaften und Landwirtschaftskammern im Reichsnährstand zwangsvereinigt. Der Nährstand wurde verherrlicht und als Quelle der rassischen Erneuerung popularisiert, in der Realität verlor er aber an Bedeutung. Der durchschnittliche Lohn in der Landwirtschaft fiel stetig, und der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten fiel ebenfalls ab. Auch die Industrie sollte unabhängiger vom Ausland werden, sodass die Gewinnung einheimischer Rohstoffe verstärkt wurde. Die Page 544
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einrichtung des Reichsarbeitsdienstes verband hierbei den propagandistischen Zweck, kurzfristig augenscheinlich die jugendlichen Arbeitslosen „von der Straße zu holen" mit dem Autarkiebestreben, neue landwirtschaftliche Flächen durch z. B. Trockenlegung von Mooren und Sümpfen zu gewinnen. Mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit wurde am 20. April 1934 auch in den Unternehmen das Führerprinzip eingeführt. In der Betriebsgemeinschaft war der Betriebsführer für seine „Gefolgschaft" verantwortlich; diese war ihm zu Treue verpflichtet. Um wichtige Industrielle an die Wehrmacht zu binden, wurden sie zu Wehrwirtschaftsführern ernannt. Treuhänder der Arbeit kontrollierten schon seit Mai 1933 die Betriebe und sorgten für die Gleichschaltung der Wirtschaft, sie regelten auch den Erlass der Tarifordnungen. Zu einer Erhöhung des Lebensstandards kam es für die meisten Berufstätigen nicht, da bald die Rüstung Priorität erhielt. So mussten z. B. eine verdeckte Inflation, Einschränkungen bei der Berufswahl, bei der freien Wahl des Arbeitsplatzes und eine Verlängerung der Arbeitszeiten akzeptiert werden. Das Wachstum basierte auf Planwirtschaft und diente der systematischen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933, der Entlassung von Page 545
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt jüdischen Beamten und Richtern aufgrund des „Arierparagraphen", der bald auf Ärzte und Apotheker, Anwälte und Journalisten, Universitätsprofessoren und Künstler ausgedehnt wurde, und der Arisierung von Betrieben, Vermögensgegenständen, Wohnungen und Mobiliar kam eine gigantische Arbeitsplatz- und Vermögensumverteilung in Gang, von der bald auch solche Deutsche profitierten, die während der Weltwirtschaftskrise nicht arbeitslos geworden waren. Drei Tage vor dem auf 1. September 1939 festgelegten Angriff auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurde mit der Verteilung von Lebensmittelkarten begonnen. Bald wurden Kriegsgefangene und immer mehr verschleppte Zivilisten teilweise unter unmenschlichen Bedingungen als Zwangsarbeiter eingesetzt; bei Kriegsende waren es ca. neun Millionen (siehe auch unter: Polen-Erlasse, Polenstrafrechtsverordnung, Ostarbeiter, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel). Da die Männer im Krieg gebraucht wurden, arbeiteten in den Fabriken, im Widerspruch zu den Aussagen von Mein Kampf, immer mehr Frauen. Erst nach den ersten Niederlagen gegen die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 kam es zu einer deutlichen Umstellung hin zur Kriegswirtschaft; der totale Krieg mit dem Ziel der vollen Ausnützung des wirtschaftlichen und personellen Potenzials für die Kriegsführung wurde erst am 18. Februar 1943 von Joseph Goebbels ausgerufen. Page 546
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Am Ende des Krieges brach die Industrie durch die Bombardierung der Infrastruktur (Eisenbahn) und Industrieanlagen und die fehlende Rohstoffversorgung zusammen, die Versorgung mit Lebensmitteln wurde problematisch, der Schwarzmarkt blühte auf. Zu einer allmählichen Erholung kam es erst mit den Darlehen des Marshallplans und der Währungsreform. Siehe auch: I.G. Farben Sozialpolitik ? Hauptartikel: Sozialpolitik im Nationalsozialismus Das Regime sicherte sich die Unterstützung der Bevölkerung durch folgende Maßnahmen: - 1933: Schuldenbereinigungsgesetz (Schuldnerschutz größer als Gläubigerschutz) - Einführung des 1. Mai als Tag der Arbeit (gesetzlicher Feiertag) - 1934: Steuerreform und Verdopplung der Urlaubstage - 1940: Abschaffung der Steuern auf Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit - 1941: Integration der Rentner in die Krankenkasse - 1941: 15-prozentige Rentenerhöhung Die gesellschaftspolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten dienten dazu, die Menschen zu „erfassen" und sie in Organisationen wie dem Page 547
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutschen Jungvolk, der Hitler-Jugend, der Reichswehr oder dem Reichsarbeitsdienst zu beeinflussen. Schon für die Kleinkinder gab es nationalsozialistische Kindergärten mit ausgebildeten Erziehern, für uneheliche oder überzählige Kinder gab es die Einrichtung Lebensborn, wo sie in staatlichen Heimen erzogen wurden. Die einzelnen Berufe wurden in nationalsozialistischen Organisationen zusammengefasst, so zum Beispiel dem Deutschen Kraftfahrerbund, dem Reichslehrerbund oder dem Deutschen Ärztebund. Auch die Freizeit wurde „organisiert". Reisen, Ferienlager und sonstige Veranstaltungen der Organisation Kraft durch Freude (KdF) sollten die Leute für den Nationalsozialismus einnehmen. Die sozialen Leistungen, wie zum Beispiel die Ausweitung der Sozialversicherungen, die Einbeziehung der Rentner in die Krankenversicherung, staatliche Darlehen für Hausbauer, Einführung von Kindergeld, Konzertaufführungen in Betrieben, Maßnahmen des Arbeitsschutzes und Arbeitspausen, dienten vor allem der Überzeugung und Gewinnung der Bevölkerung sowie der Stärkung der Arbeitskraft. Der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, verglich den Berufstätigen mit einer „Maschine, die von Zeit zu Zeit überholt werden muss", damit sie gut arbeiten kann. Natürlich galten all diese sozialen Leistungen nur für „erbtüchtige", Page 548
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „gesunde" und „leistungsbereite" „Volksgenossen". Angehörige von als „schädlich" beurteilten „Fremdrassen" wie Juden, Sinti, Roma, Slawen und Schwarze, körperlich oder geistig Behinderte sowie die zahlreichen Gruppen des subproletarischen Rands der deutschen Mehrheitsbevölkerung („Asoziale") blieben davon ausgeschlossen. Siehe auch: Erziehung im Nationalsozialismus, Eintopfsonntag, Mutterkreuz und Muttertag, Reichsnährstand, Pflichtjahr Frauen- und Familienpolitik In der Folgezeit wurden Frauen aus dem Arbeitsleben verdrängt, um Arbeitsplätze für Männer zu schaffen („Die Welt der Frau ist das Heim."). Das nationalsozialistische Frauenbild wurde im BDM früh vermittelt. Frauen mussten ein Pflichtdienstjahr ohne Ausbildung absolvieren, um sich auf die Ehe vorzubereiten. Frauen, die heirateten, wurden finanziell unterstützt. 1941 wurde die Produktion von Verhütungsmitteln verboten. Auf Schwangerschaftsabbrüche stand ab 1943 die Todesstrafe. Religionspolitik Die Kirchen- und Religionspolitik des Nationalsozialismus war uneinheitlich und voller Widersprüche. Während die ältere Forschung noch von einem einheitlichen Willen zur Vernichtung von Kirchen und Christentum ausging, standen sich sowohl in Partei als auch in Page 549
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Regierungsstellen Gegner, Sympathisanten und Neutralisten von Kirchen und Christentum gegenüber.¹° Abgesehen vom Verbot des Schächtens im April 1933 wurden die Gesetze der jüdischen Religion zwar im Wesentlichen nicht beeinträchtigt.¹¹ Doch wurden die jüdischen Gemeinden im Zuge der allgemeinen, rassisch begründeten Judenverfolgung sukzessive ihres Schutzes und Rechtsstatus beraubt.¹² Den beiden Großkirchen hatte Hitler in seiner Regierungserklärung vom März 1933 eine staatstragende Rolle zugesprochen. Er setzte dann zunächst auf die Deutschen Christen, die bei den Kirchenwahlen im Juni 1933 einen Erdrutschsieg erreichten und dann einen Teil der Landeskirchen beherrschten. Daraufhin wählten auch die unterlegenen Gruppen Ludwig Müller zum Reichsbischof. Gegen den Ausschluss von getauften Juden entstand der Pfarrernotbund, aus dem 1934 die Bekennende Kirche hervorging. Diese kämpfte auf der Basis der Barmer Theologischen Erklärung gegen staatliche Übergriffe auf kirchliche Angelegenheiten und gegen den totalen Staat ohne Rechtsbindung. Praktisch wurden daraus nur ansatzweise Konsequenzen gezogen, z. B. die Bildung einer eigenen Organisationsstruktur mit der Vereinigten Kirchenleitung, eine Denkschrift an Hitler gegen Entrechtung von Minderheiten und KZs, später die Einrichtung des Büros Grüber als Hilfe für verfolgte Judenchristen und Juden. Ab 1937 wurden die Tätigkeiten der BK immer stärker staatlicher Kontrolle Page 550
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt unterworfen und viele ihrer Vertreter inhaftiert, ab 1939 wurden die meisten BK-Pastoren zum Wehrdienst eingezogen. In der Regel zeigten sich aber die evangelischen Kirchen und ihre Hierarchien als willfährige Unterstützer und Sympathisanten des Regimes.¹³ Die katholische Kirche distanzierte sich bis 1933 vom Rassismus der NSDAP. Am 22. Juli 1933 aber schloss der Vatikan überraschend das Reichskonkordat mit der neuen Reichsregierung, um so die deutschen katholischen Bischöfe, ihre Bistümer und Strukturen vor Zugriffen des Regimes zu schützen. Im Gegenzug wurden Priester und Bischöfe verpflichtet, sich nicht in Politik einzumischen. Damit gab die bis dahin recht starke Zentrumspartei ihre Oppositionshaltung auf und verlor dann ihre Existenzberechtigung. Hitler gewann durch das Konkordat auf diplomatischer Bühne internationales Ansehen. Trotzdem kam es zu Angriffen auf katholische Orden, die Kolpingjugend und andere katholische Gruppen. In den Jahren 1936 und 1937 organisierte der NS-Staat eine Serie von rund 250 Strafprozessen gegen katholische Priester und Ordensleute, die verschiedener Sexualdelikte wie homosexueller Handlungen unter Männern oder Kindesmissbrauch angeklagt wurden. Die Prozesse, die zum Teil sehr nachlässig vorbereitet worden waren – ein Zeuge wollte im Sommer 1937 beispielsweise in dem Vorsitzenden Richter statt in Page 551
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt dem Angeklagten seinen angeblichen Belästiger erkennen – wurden auf Anweisung von Propagandaminister Goebbels in der Presse mit hämischen Kommentaren begleitet. Ziel war eine Diskreditierung der Kirche und eine Aufweichung ihrer im Reichskonkordat zugesagten Rechte.¹4 Papst Pius XI. wandte sich 1937 mit seiner Enzyklika Mit brennender Sorge scharf gegen die deutsche Kirchenpolitik und wies auf den von den Nationalsozialisten nicht erfüllten Teil der Konkordatsvereinbarungen, aber auch auf Gegensätze zwischen christlichem Glauben und NS-Ideologie hin. Die Enzyklika prangerte die systematische Entrechtung der Juden oder anderer Religions- und Bevölkerungsgruppen nicht direkt an, verurteilte aber eine Unterscheidung nach Rassen. Der Nationalsozialismus hatte auch eigene religiöse Elemente, vor allem den Führerkult und rituelle Massenaufmärsche mit gottesdienstartigen Formen, Führergruß, Fackeln, feierlichen Proklamationen und Hymnen.¹5 Der „Parteiphilosoph" Alfred Rosenberg wollte nach dem „Endsieg" durch „Gegenpäpste" die katholische und die evangelische Kirche in einander bekämpfende Gruppen spalten und versuchte, die altgermanische, persische und indische Religion wiederzubeleben, um „der vergehenden biblischen Tradition eine noch ältere und bessere unterzuschieben". Der Privatsekretär Hitlers, Martin Bormann, arbeitete einen nationalsozialistischen Page 552
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Katechismus aus, dessen Lehren allmählich die Zehn Gebote der Bibel ersetzen sollten. Reichsführer SS Heinrich Himmler hatte weitreichende Vorstellungen über die Einführung eines altgermanisch-heidnischen Götterglaubens und über die „Befriedung" der slawischen Völker durch die „Lehre der Ernsten Bibelforscher". Gegenüber den meisten kleineren Religionsgemeinschaften hegten die offiziellen Stellen Vorbehalte. Verbindungen ins Ausland, insbesondere in die USA, Verweigerung von Eidesleistung und grundsätzliche Distanz zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft" machten solche Gruppierungen suspekt; Pazifismus und Ablehnung der nationalsozialistischen Rassenlehre ließen sie als Gegner des Regimes erscheinen. Der Sicherheitsdienst forderte deshalb die Vernichtung des weit überwiegenden Teils des „Sektenwesens", während „harmlose" Gruppen bestehen bleiben sollten, um die „Zersplitterung im kirchlich-religiösen Gebiet" zu fördern. Manche Stellen wie das Auswärtige Amt warnten jedoch mit Rücksicht auf deren internationale Verbindungen vor der Auflösung einiger Religionsgemeinschaften wie der Mormonen oder der Christlichen Wissenschaft. Der nationalsozialistische Staat verfuhr deshalb auf Grund politischer Rücksichten und abhängig vom Grad der Anpassung unterschiedlich mit den einzelnen kleinen Religionsgemeinschaften. Besonders scharf verfolgt wurden von Anfang an die Zeugen Page 553
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Jehovas¹6 (siehe auch: Zeugen Jehovas in der Zeit des Nationalsozialismus). Als angeblich dem Judentum nahestehend, aus den USA fremdbestimmt und pazifistisch wurden die Zeugen Jehovas 1933 verboten. Etwa 10.000 von ihnen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus inhaftiert, 2.000 davon in Konzentrationslagern; 1.200 Zeugen Jehovas wurden hingerichtet oder ermordet.¹7 Die Christliche Wissenschaft wurde in ihrer Betätigung zwar schrittweise eingeschränkt, aber erst 1941 verboten.¹6 Die Siebenten-Tags-Adventisten wurden zwar 1933 verboten, vielleicht auch, weil sie mit den pazifistischen Reformadventisten verwechselt wurden. Das Verbot wurde aber nach zehn Tagen wieder aufgehoben, woraufhin die Kirchenführung versuchte, sich dem Staat anzupassen, um die Kirchenauflösung zu vermeiden.¹8 Die Reformadventisten wurden dagegen im Jahre 1936 verboten. Ganze Gemeinden standen vor Gericht und viele ihrer Glieder wurden verurteilt. Junge Männer wie Anton Brugger wurden wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt. Bis zum Ende der NS-Herrschaft blieben die Reformadventisten im Untergrund. Andere Gemeinschaften wie die Mormonen konnten hingegen unbeschränkt fortbestehen.¹6 Forschung und Medizin ? Hauptartikel: Medizin im Nationalsozialismus und Psychologie und Psychotherapie im Nationalsozialismus Page 554
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hauptanliegen vieler nationalsozialistisch gesinnter Ärzte und Professoren im Deutschen Reich war die „Heranzüchtung kerngesunder Körper" (Zitat Adolf Hitler) und die „Ausmerzung des Schwachen und Kranken" bzw. der Juden. Diesen Zwecken dienten z. B. die Lebensborn-Heime, in denen arische Kinder geboren und aufgezogen wurden, die Rassenhygiene sowie die eugenischen Maßnahmen (der Mord an Kranken und Behinderten: siehe Euthanasie und Aktion T4). Auch andere Bereiche der Wissenschaft und Forschung wurden instrumentalisiert und im Sinne des Nationalsozialismus organisiert. Ein Beispiel ist die Soziologie im Nationalsozialismus. Kulturpolitik ? Hauptartikel: Kunst im Nationalsozialismus Das kulturelle Leben war geprägt von der Politik und diente propagandistischen Zwecken. Die meisten Werke entstanden von regimekonformen Künstlern und dienten der NS-Propaganda oder vermittelten zumindest die Auffassungen der Nationalsozialisten. So wurden häufig eine von der modernen Technik unberührte landwirtschaftliche Idylle oder auch germanische Götter dargestellt. Die bildende Kunst war antimodernistisch und folgte einem Konzept des Realismus des 19. Jahrhunderts, in dem Page 555
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt beispielsweise heroisch überzeichnete Motive oder solche von kleinbürgerlicher Idylle im Vordergrund standen. Pathetische Darstellungen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie verklärten die landwirtschaftliche Arbeit (Blut-und-Boden-Ideologie), Mutterschaft oder den Krieg. In der Bildhauerei und der Architektur standen monumentale Darstellungen, die sich wesentlich am Klassizismus orientierten, oft im Vordergrund. Moderne Kunst wie beispielsweise Bilder aus den Bereichen Neue Sachlichkeit oder aus dem Expressionismus wurden als „entartet" verurteilt und verbrannt, die Schöpfer der Werke zunächst deklassiert, dann verfolgt. Siehe auch: Entartete Kunst, Architektur im Nationalsozialismus, Nationalsozialistische Filmpolitik, Bücherverbrennung 1933 in Deutschland, Reichsmusikkammer, Literatur in der Zeit des Nationalsozialismus Naturschutz ? Hauptartikel: Naturschutz im Nationalsozialismus Der Naturschutz im Nationalsozialismus begann 1933 mit der Gleichschaltung der Naturschutzverbände und dem Ausschluss der Mitglieder jüdischen Glaubens aus den Vereinen. Umfassende gesetzliche Neuregelungen in den Jahren 1933 bis 1935 des NS-Regimes im Bereich des Natur- und Umweltschutzes, allen voran das Page 556
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reichsnaturschutzgesetz (RNG), regelten erstmals den Ausgleich nach privaten Eingriffen und führten den schwächer geschützten „Landschaftsschutz" als neue Kategorie ein. In der Praxis hielt das NS-Regime sich nicht an den anfangs gesetzlich vorgezeichneten Weg eines umfassenden Naturschutzes. Siehe auch: Tierschutz im Nationalsozialismus Organisation des Militärs Mit der Reichswehr übernahmen die Nationalsozialisten die Streitkräfte der Weimarer Republik. Die Reichswehr war staatstreu und unterstützte die NSDAP bis zur Machtübernahme nicht aktiv, viele Soldaten waren aber selbst keine Anhänger der Republik, sodass sie diese auch nicht verteidigten. Die Reichswehr hoffte unter Hitler auch auf einen Fortschritt bei der Revision des Versailler Vertrages, die Führung der Reichswehr war schon am 3. Februar über die Pläne Hitlers informiert worden, Befürchtungen hatte sie gegenüber der SA. Bestrebungen innerhalb der SA, die Reichswehr zu übernehmen, beendete Hitler durch die Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches, bei dem er die SA ausschaltete, da er die Reichswehr als für den Krieg besser geeignet ansah. An dieser Aktion war auch die Reichswehr beteiligt, sie tolerierte sogar die Ermordung zweier ihrer Generäle. Am 3. August wurde die Reichswehr nach dem Tod des bisherigen Oberbefehlshabers, Reichspräsident von Page 557
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hindenburg, auf die Person Hitlers vereidigt und damit zu einem Instrument Hitlers. Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht am 16. März 1935 wurde die Reichswehr in Wehrmacht umbenannt. Die Wehrmacht wurde ausgebaut und modernisiert, 1939 hatte sie eine Stärke von 2,75 Millionen Mann. Den Widerstand innerhalb der Wehrmachtführung gegen seine Kriegspläne, mehr aus Zweifel an der Machbarkeit der Pläne als aus ideologischen Gründen, schaltete er durch die Blomberg-Fritsch-Krise aus und schuf das Oberkommando der Wehrmacht. Der weiter vorhandene Widerstand konnte sich, insbesondere nach den ersten Kriegserfolgen, nicht durchsetzen. Die Wehrmacht tolerierte den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, Teile der Wehrmacht waren auch an Exekutionen beteiligt. Erst als Deutschland Niederlagen wie in der bei Stalingrad hinnehmen musste, versuchten Mitglieder der Wehrmacht im Attentat vom 20. Juli 1944 durch eine Beseitigung Hitlers ein Ende des Krieges zu erreichen. Außen- und Rüstungspolitik Der Vertrag von Versailles wurde schrittweise gebrochen und aufgehoben. Zugleich beteuerte Hitler seinen Friedenswillen. Dies wurde im Ausland, vor allem in der Appeasement-Ära Großbritanniens, zunächst geglaubt; man versuchte, Hitler durch Entgegenkommen zu „zähmen" und einen neuen Weltkrieg zu vermeiden. Page 558
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1935 wurde das Saarland wieder ins Deutsche Reich integriert, nachdem eine unter internationaler Kontrolle durchgeführte Volksabstimmung eine überwältigende Zustimmung dafür (90,8 %) ergab. Die Reichswehr wurde mit Einführung der Wehrpflicht in die Wehrmacht umgewandelt, gleichzeitig wurde die Existenz der Luftwaffe enthüllt. Beide Schritte verletzten den Versailler Vertrag. Auch der Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland am 7. März 1936 stellte einen Bruch des friedensnobelpreisgekrönten Locarno-Paktes dar, was Hitler mit der Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspakts durch Frankreich begründete, welcher einen Bruch des Locarno-Paktes seitens Frankreichs dargestellt hätte.¹? Auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1935 wurden die Nürnberger Rassengesetze beschlossen, die die schon 1933 begonnene Ausgrenzung und Isolierung der deutschen Juden als Staatsgesetze verankerten und ihnen mit rassistischer Begründung einen Großteil ihrer staatsbürgerlichen Rechte raubte. Himmler hielt vor SS-Mitgliedern 1935 seine Rede Der Untermensch, in der er den angeblichen Gräueltaten der Juden die guten und großen Kulturtaten der Menschen gegenüberstellte. Im August 1936 benutzte Hitler die Olympischen Spiele in Berlin als Propagandabühne für die Weltöffentlichkeit. Der Vierjahresplan sollte das Page 559
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutsche Reich bis spätestens 1940 kriegsbereit machen. Das Regime unterstützte nun zusammen mit Mussolinis Italien den faschistischen General Franco im Spanischen Bürgerkrieg gegen die dortige Republik auch militärisch. Dies bot Hitler die Gelegenheit, die Einsatzfähigkeit seines Militärs im Kriegsfall zu testen. Die Legion Condor der deutschen Luftwaffe zerstörte 1937 bei einem ersten Flächenbombardement die baskische Stadt Guernica. In einer in der Hoßbach-Niederschrift festgehaltenen Besprechung stellte Hitler am 5. November 1937 den wichtigsten Vertretern der Wehrmacht und dem Außenminister seine Pläne zur deutschen Kriegs- und Außenpolitik vor. Am 20. Februar 1938 verkündete Hitler in einer Rede sein Ziel, alle Deutschen Mitteleuropas in einem Staat zu vereinen. Am 12. März 1938 kam er einer beabsichtigten Volksabstimmung in Österreich zuvor und verkündete nach dem Einmarsch der Wehrmacht (Unternehmen Otto), unter dem Jubel der auf dem Heldenplatz versammelten Wiener, den „Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich". Ein weiteres vor allem von Deutschen bewohntes Gebiet außerhalb des Reiches war das tschechische Sudetenland. Durch das praktisch unerfüllbare Karlsbader Programm provozierte Hitler die Sudetenkrise, die am 29. September 1938 im Münchner Abkommen zur Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich führte. Hitler hatte beabsichtigt, die Krise für den Beginn eines Krieges zu nutzen, und Page 560
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt war von Mussolini und Göring zum Abkommen gedrängt worden, das er als politische Niederlage empfand. Nach dem Anschlag auf Ernst Eduard vom Rath am 7. November 1938 in Paris inszenierten die Nationalsozialisten die Novemberpogrome. Zum Teil als Zivilpersonen auftretende ortsbekannte SA- und SS-Angehörige legten in zahlreichen Synagogen Feuer, misshandelten und ermordeten viele deutsche Juden vor den Augen der Polizei, die befehlsgemäß nicht einschritt, und deportierten ab dem 10. November Zehntausende Juden in die KZs. Die den Opfern auferlegte „Judenbuße" von über einer Milliarde Reichsmark wurde zur Finanzierung der Aufrüstung als unmittelbare Kriegsvorbereitung genutzt. Mitte März 1939 wurde die Slowakei als selbständiger Staat ausgerufen. Das danach von der ehemaligen Tschechoslowakischen Republik verbliebene Gebiet wurde als Protektorat Böhmen und Mähren vom Deutschen Reich abhängig. Eine Woche später wurde auch das Memelland dem Deutschen Reich angegliedert. Um sich den Rücken für seine Expansionsziele im Osten freizuhalten, schloss Hitler mit der Sowjetunion im August 1939 den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. In dessen geheimem Zusatzprotokoll wurde Polen für den Fall eines Krieges zwischen den beiden Staaten aufgeteilt. Dagegen versprach Hitler, nicht gegen Stalin zu agieren, falls dieser sich Page 561
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Finnlands bemächtige, was er daraufhin auch tat. Siehe auch: Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges in Europa und Aufrüstung der Wehrmacht Sportpolitik In der Weimarer Zeit gab es zwar separate Sportorganisationen der Kommunisten, der Sozialdemokraten, der Katholiken, der Protestanten, aber keine nationalsozialistischen. Bei Gregor Strasser als dem Organisationsleiter der NSPAP wurde daher im Herbst 1932 angefragt, ob man eine solche gründen solle. Er schrieb, es sei hierfür zu spät so etwas vernünftig zu machen, die Zeit bis zur Machtübernahme sei zu kurz, man würde den faschistischen Weg des Staatssports wie in Italien gehen.²° Da sich keine Persönlichkeit der NSDAP als potenzieller Reichssportführer hervorgetan hatte, wurde daher Hans von Tschammer und Osten ausgewählt, der als gewaltbereiter Kommissar in Mitteldeutschland für die Aufgabe seiner marodierenden SA-Leute entschädigt werden musste. Die Sportpolitik verlief in mehreren Schritten:²¹ Im Frühjahr 1933 wurden Juden und Demokraten aus den Vereinen und Verbänden herausgedrängt, Arbeitersportorganisationen wurde geschlossen, eine Einheitssportorganisation mit Gleichschaltung wurde gegründet. Im Sommer folgte die Aufnahme des Betriebssports in Kraft durch Freude, im Herbst wurde der Fokus auf die Olympischen Spiele 1936 gelegt. Im Sommer 1935 folgte die Schließung der Page 562
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt kirchlichen Sportorganisationen sowie die Durchführung der Olympischen Spiele. Die gesamte sportliche Jugendarbeit wurde fortan von der Hitlerjugend übernommen, 1938 erfolgte die Übernahme der Sportorganisationen durch die NSDAP (NSRL). Jüdische Vereine wurden verboten.²² Der Sport erlebte in nationalsozialistischen Diktatur eine "Aufwertung wie nie zuvor in der Geschichte. Vor allem die junge Generation wurde in der Schule und in der HJ in einem Ausmaß sportlich gedrillt, das beispiellos war."²³ Körperliche Fitness galt als Grundlage militärischer Leistungsfähigkeit. Zudem sahen die Nationalsozialisten im Sport ein Instrument, um militärische Tugenden wie Härte, Mut und Disziplin zu fördern. Und schließlich war Sport auch ein Mittel, um die Volksgesundheit zu stärken. Daher erfuhr auch der Frauensport im NS-Staat einen kräftigen Aufschwung.²4 Kriegszeit Eroberungen (1939–1942) ? Hauptartikel: Zweiter Weltkrieg und Chronologie des Zweiten Weltkrieges Der deutsche Angriff auf Polen ohne Kriegserklärung am 1. September 1939 löste den Zweiten Weltkrieg aus. Am 3. September erklärten zunächst Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg. Nach dem Sieg der Wehrmacht über Polen wurde dessen Westteil Page 563
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (Großpolen, Westpreußen, Oberschlesien) von Deutschland annektiert und die Mitte zum Generalgouvernement erklärt. Am 17. September besetzte die Rote Armee fast kampflos Ostpolen; Polen wurde, wie im Hitler-Stalin-Pakt vereinbart, aufgeteilt. Am 8. November 1939 verübte Georg Elser ein monatelang vorbereitetes Bombenattentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller. Dieses scheiterte jedoch, weil Hitler bei dieser jährlichen NS-Propagandaveranstaltung, anders als sonst, sofort nach seiner Rede und wenige Minuten vor der Explosion den Saal verließ. Elser wurde noch vor der Bombenexplosion beim Versuch, in die Schweiz zu gelangen, festgenommen, dann interniert und im April 1945 auf Hitlers Befehl im KZ Dachau ermordet. 1940 besetzte die Wehrmacht Dänemark und Norwegen und besiegte dann im so genannten „Blitzkrieg", der nur sechs Wochen dauerte, die Staaten Luxemburg, Niederlande, Belgien und Frankreich. Frankreich wurde nach dem Westfeldzug in zwei Zonen geteilt. Nur der Norden und Westen Frankreichs blieb unter deutscher Besatzung. Marschall Pétain verlegte den Regierungssitz nach Vichy im unbesetzten Teil Frankreichs. Hitlers Popularität erreichte durch die „Auslöschung der Schande von Versailles" ihren Höhepunkt. Die geplante Invasion Großbritanniens – das „Unternehmen Seelöwe" – wurde von Hitler abgesagt, da die Page 564
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt deutsche Luftwaffe in der Luftschlacht um England trotz zahlenmäßiger Überlegenheit bei den Piloten (6:1) nicht die Lufthoheit über England erringen konnte. 1940/1941 besetzte Deutschland zusammen mit dem faschistischen Italien die Länder Jugoslawien und Griechenland. Beide Länder wurden unter den verbündeten Diktaturen aufgeteilt. Ihrer Eroberung folgte jedoch ein zermürbender Partisanenkrieg. Ungarn, Rumänien und Bulgarien wurden als Verbündete des Großdeutschen Reiches gewonnen. Auf Bitten Mussolinis wurden die italienischen Truppen in Nordafrika ab Januar 1941 durch deutsche Verbände unterstützt, das Deutsche Afrikakorps, bekannt geworden durch Generalfeldmarschall Erwin Rommel, den „Wüstenfuchs". Am 22. Juni 1941 marschierte die Wehrmacht in den sowjetisch besetzten Teil Polens ein und überfiel unmittelbar danach unter Bruch des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts die Sowjetunion selbst. In dem als Vernichtungskrieg geplanten „Unternehmen Barbarossa" gelangten die deutschen Streitkräfte bis vor Moskau, Leningrad und Stalingrad. Die Schlacht von Stalingrad markierte einen Wendepunkt im Krieg gegen die Sowjetunion. Die besetzten Gebiete im Osten wurden auf Weisung der Nationalsozialisten systematisch ausgeplündert. Das besetzte sowjetische Gebiet wurde in Page 565
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt verschiedene Reichskommissariate aufgeteilt, die jeweils einem Reichskommissar unterstellt waren. Der Gesamtplan sah die Aufteilung der UdSSR und ihre Zerstörung als selbständigen Staat vor. Dieses Endziel wurde nur durch den weiteren Kriegsverlauf verhindert, aber mit der systematischen Ausplünderung, Unterdrückung und Ermordung der Zivilbevölkerung wurde begonnen. Der von Reichsführer SS Heinrich Himmler ausgearbeitete „Generalplan Ost" sah die Dezimierung der slawischen Völker um insgesamt 30 Millionen und die Unterdrückung der Übrigen vor, die als Bauarbeiter, Hilfsarbeiter, Fabrikarbeiter, Hauspersonal, als Landarbeiter, in der Rüstungsindustrie, beim Straßenbau etc. arbeiten sollten. Gewissermaßen als „ein Vorspiel zum ‚Generalplan Ost'" wurden nach dem deutschen Hungerplan vom Mai 1941 landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der Ukraine und aus Südrussland in großem Umfang nach Deutschland geschafft.²5 Während dabei bis zu 30 Millionen Hungertote einkalkuliert wurden, verhungerten auf Grund des fehlgeschlagenen Blitzkriegs mindestens vier Millionen Menschen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion.²6 Zu den Opfern des „Hungerplans" werden auch die 2,6 Millionen sowjetischen Soldaten gerechnet, die in deutscher Kriegsgefangenschaft verhungerten.²7 Die jüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten wurde erfasst und in Konzentrationslager deportiert, unzureichend Page 566
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ernährt, zur Zwangsarbeit herangezogen und in dafür eigens eingerichteten Gaswagen und Gaskammern in Vernichtungslagern ermordet. Besonders in den besetzten Ostgebieten wurden auch viele Tausende Juden von den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD sowie von SS-Einheiten erschossen und anschließend in Massengräbern verscharrt. Die Zahl der im Holocaust insgesamt durch Erschießungen, Vergasungen, Hunger, Misshandlung, Zwangsarbeit und Krankheiten umgekommenen Juden wird auf ungefähr sechs Millionen geschätzt. Ihr Besitz wurde enteignet und zu Reichseigentum erklärt. Auf diese Weise standen den Besatzungstruppen finanzielle Mittel in Landeswährung zur Verfügung. Von Stalingrad bis zur Kapitulation (1942–1945) Im Winter 1941/1942 geriet die Offensive der Wehrmacht in der Sowjetunion ins Stocken. Am 11. Dezember 1941 erklärte Hitler, nach dem Angriff des deutschen Verbündeten Japan auf den amerikanischen Stützpunkt Pearl Harbor, den USA den Krieg, die Großbritannien mit Gütern versorgten. In der Schlacht von Stalingrad musste die Wehrmacht durch Fehlentscheidungen Hitlers ihre erste (kriegsentscheidende) Niederlage hinnehmen. Bis Ende 1943 konnte die Rote Armee der Sowjetunion, die auch von den USA mit Waffenlieferungen unterstützt wurde, weite Gebiete zurückerobern. Am 13. Mai 1943 mussten die Achsenmächte in Nordafrika Page 567
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt kapitulieren. Inzwischen war der seit 1924 ideologisch angekündigte und seit 1933 politisch angebahnte Holocaust an den Juden im Gang. 1943 begann der Bombenkrieg der Alliierten auf deutsche Städte, bei dem etwa 300.000 Zivilisten ums Leben kamen. Am 18. Februar 1943 verkündete Goebbels in der Sportpalastrede den „Totalen Krieg". Ab Ende 1944 flohen viele Deutsche aus ihrer angestammten Heimat im Osten vor der anrückenden Roten Armee. 1944 eroberte diese weite Teile von Südosteuropa. Am 6. Juni begann die Invasion der westlichen Alliierten in der Normandie, nachdem sie schon zuvor nach der Landung auf Sizilien von Süden her Italien eroberten und gegen Deutschland im Vormarsch waren. Am 20. Juli scheiterten ein Attentat und ein Putschversuch von Wehrmachtangehörigen und Mitgliedern der Widerstandsgruppe des „Kreisauer Kreises" gegen Hitler. Anfang 1945 beschlossen die Alliierten auf der Konferenz von Jalta die Aufteilung des Reiches nach dem Krieg. Um den Alliierten keine brauchbare Infrastruktur zu hinterlassen, erteilte Hitler am 19. März 1945 den Nerobefehl, der aber nur teilweise ausgeführt wurde. Im April erreichten die sowjetischen Truppen die Reichshauptstadt und es kam zur Schlacht um Berlin. Hitler tötete sich am 30. April im Bunker der Reichskanzlei, nachdem er testamentarisch Admiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger als Page 568
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reichspräsident und Oberbefehlshaber der Wehrmacht bestimmt hatte. Neben Hitler töteten sich in der Folge auch andere führende Funktionäre, so Joseph Goebbels und Heinrich Himmler – dieser jedoch erst später in Gefangenschaft, nachdem er mit gefälschten Ausweisen gestellt wurde. In den frühen Morgenstunden des 7. Mai 1945 schließlich unterzeichnete Generaloberst Jodl – von Dönitz hierzu autorisiert – die bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte, die durch Unterzeichnung einer weiteren Kapitulationsurkunde ratifiziert am nächsten Tag in Kraft treten sollte. Kurz nach der bedingungslosen Kapitulation wurde außerdem die sogenannte geschäftsführende Reichsregierung mit Karl Dönitz in Flensburg-Mürwik verhaftet. Der Zweite Weltkrieg dauerte in Südostasien noch bis zum 2. September an. Er forderte insgesamt etwa 60 Millionen Tote. In den letzten Kriegsmonaten und im Anschluss an die Besetzung des Reichs wurden die meisten noch verbliebenen Deutschen aus Osteuropa vertrieben. Widerstand gegen den Nationalsozialismus ? Hauptartikel: Widerstand gegen den Nationalsozialismus Schon vor der Machtübernahme begann der Widerstand verschiedenster Gruppen gegen die Nationalsozialisten. In der Zeit des Nationalsozialismus selbst beschränkte sich der Widerstand, der immer mit Lebensgefahr verbunden war, Page 569
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt auf eine verschwindend kleine Minderheit der deutschen Bevölkerung, wohingegen dieser Widerstand in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten, beispielsweise im Partisanenkrieg, größere Ausmaße angenommen hatte. Kurz nach der Machtübernahme der NSDAP waren vor allem kommunistische, sozialdemokratische und andere linke Gruppen aktiv. Diese wurden jedoch innerhalb weniger Jahre durch die Gestapo und die SS stark geschwächt. Im Reich konnte beispielsweise der katholische Bischof von Münster und Kardinal Clemens August Graf von Galen durch seine öffentliche Verurteilung der Morde an den Behinderten dazu beitragen, dass die Aktion T4 von den Nationalsozialisten eingestellt wurde. Einzelpersonen der evangelischen Bekennenden Kirche wie etwa Pastor Martin Niemöller oder Dietrich Bonhoeffer schlossen sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Widerstandskreisen an. Bonhoeffer musste wie viele andere NS-Gegner seinen Mut im KZ mit dem Leben bezahlen. Der kommunistische Einzelkämpfer Georg Elser verübte am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Hitler, das dieser aber überlebte, weil er den Saal unerwartet kurz vor der mit einem Zeitzünder eingestellten Detonation der Bombe verließ. Elser wurde bald gefasst und im April 1945 im KZ Dachau ermordet. Die Münchner studentische Widerstandsgruppe Weiße Rose um die Geschwister Hans und Sophie Scholl rief in Page 570
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt mehreren Flugblättern zum Widerstand gegen das NS-Regime auf. Außerdem suchte diese Gruppe Kontakt zu Widerstandskreisen in der Wehrmacht. Die bedeutendsten Mitglieder der Gruppe wurden im Februar 1943 gefasst und vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des berüchtigten Richters Roland Freisler zum Tode verurteilt und kurze Zeit später hingerichtet. Im Kölner Raum traten die Edelweißpiraten auf, einige Gruppen von aus der bündischen und kommunistischen Tradition kommenden Jugendlichen, die sich zunächst gegen die Uniformität der Hitler-Jugend wandten, im Lauf des Krieges aber auch zu konkreten Widerstandsaktionen übergingen, die bis hin zu Sabotageakten reichten. Die Widerstandsgruppe Rote Kapelle bestand aus verschiedenen unabhängigen Gruppen, die auf mehreren Ebenen gegen das Regime arbeitete. Der vereinzelt und vergleichsweise selten vorkommende Widerstand von Privatpersonen, der sich eher im Stillen abspielte, entsprang oft einer moralischen Abscheu gegen die Taten des Regimes oder aus Mitleid mit den Opfern. Er reichte von der Verweigerung des Hitlergrußes bis hin zur verbotenen Versorgung mit Lebensmitteln für Zwangsarbeiter oder dem Verstecken von Verfolgten, meist Juden. Hitler überlebte mehrere Anschläge, darunter das bis heute bekannteste Attentat vom 20. Juli 1944, das vom militärischen Widerstand, der auch Kontakt zur Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis Page 571
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt hatte, organisiert worden war. Im Anschluss an das Sprengstoffattentat, das von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg durchgeführt wurde, kam es in Berlin in der „Operation Walküre" zu einem Putschversuch, der aber nach dem Bekanntwerden von Hitlers Überleben schnell in sich zusammenfiel und niedergeschlagen wurde. Die unmittelbaren Akteure des Putschversuchs, Mitglieder der Wehrmacht, unter ihnen auch Stauffenberg selbst, wurden noch in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 erschossen. Im Zuge der folgenden Ermittlungen kam es zur Entdeckung weiterer Umsturzpläne aus den Jahren 1938 bis 1944. Bis zum Kriegsende wurden in Prozessen vor dem Volksgerichtshof, die anfangs in Ausschnitten in der Wochenschau gezeigt wurden, über 200 Personen im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli zum Tode verurteilt. Mehreren populären Generälen (u. a. Erwin Rommel, Günther von Kluge), die in den Verdacht der Mitwisserschaft gerieten, wurde der Ehrensuizid nahegelegt. Wichtige exekutive Instanzen der Verfolgung vor allem des innerdeutschen Widerstands waren die Gestapo – Kurzwort (Akronym) für die Geheime Staatspolizei – und der Volksgerichtshof. Widerstand leisteten auch in Deutschland oder im Exil lebende Künstler wie der kritische Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht und andere, die sich mit ihren Mitteln – meist publizistisch – gegen das NS-Regime wandten. Page 572
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Neben dem Widerstand in Deutschland entstanden nach Kriegsbeginn auch in den besetzten Gebieten Widerstandsgruppen wie zum Beispiel die Polnische Heimatarmee oder die Résistance in Frankreich. Sie lieferten den Deutschen unter deren Besatzung erbitterten Widerstand im Partisanenkrieg, der vor allem in den Balkanstaaten Jugoslawien, Albanien und Griechenland sowie in Polen (Warschauer Aufstand) besonders effektiv war, allerdings auch äußerst grausame Vergeltungsaktionen der deutschen Besatzer nach sich zog – wie etwa massenhafte Geiselerschießungen von Zivilisten. Insbesondere im besetzten Polen wurde sehr häufig wahllos die Bevölkerung ganzer Dörfer und Städte als Vergeltungsakte für geleisteten Widerstand ermordet. Von den Alliierten wurde der Widerstand in Deutschland selbst, anders als der in den besetzten Gebieten, so gut wie nicht unterstützt, vielmehr führte das alliierte Kriegsziel einer bedingungslosen Kapitulation zu einer indirekten Solidarisierung mit der Führung und ließ auch nach einem Staatsstreich kaum günstigere Friedensbedingungen erwarten. Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anhänger der Linksparteien, Zeugen Jehovas und oppositionell eingestellte Jugendliche waren schon vor Kriegsbeginn als politisch unerwünschte Gruppen verfolgt und zu Tausenden ermordet worden. Page 573
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Ermordung von Bevölkerungsgruppen aus Gründen der „Rassenhygiene" begann noch vor dem Krieg mit dem Massenmord an deutschen Behinderten. Die „Aktion T4" wurde ab Kriegsbeginn auch mit Mangel an Lazarettplätzen begründet und als „Euthanasie" verschleiert. Die „Behandlung" – Ermordung – der dazu ausgesuchten Behinderten wurde mit ihrer Arbeitsunfähigkeit begründet. Dazu wurden Fachabteilungen psychiatrischer Anstalten an etwa 30 Orten für die Tötungen umgebaut. Die Ermordung geschah auch auf dem Transport in abgedichteten LKWs („Gaswagen") mit deren Abgasen oder mit Kohlenstoffmonoxid. Die Leichen wurden verbrannt, ihre Angehörigen erhielten falsche Todesbescheinigungen. Die Täter wurden danach als Spezialisten in den Todesfabriken in Osteuropa eingesetzt. Der Holocaust, der systematische Völkermord an etwa sechs Millionen Juden und „Judenmischlingen", darunter über drei Millionen Polen und 1,8 Millionen Kindern, war das größte Verbrechen der Nationalsozialisten. Er begann mit Massenerschießungen von Juden und polnischen Führungskräften durch besondere „Einsatzgruppen" im Polenfeldzug. Es folgten großangelegte Deportationen (unter der Tarnbezeichnung „Umsiedlung"²8 ) und Internierungen in Ghettos und Arbeitslager, wo bereits Hunderttausende als Zwangsarbeiter umkamen. Dorthin wurden auch deutsche und österreichische Juden deportiert; mit Massakern wie dem in Babyn Page 574
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Jar (29./30. September 1941) und Riga (29. November–1. Dezember 1941) wurden überfüllte Ghettos für nachrückende Judentransporte geleert. Mit dem Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945 weiteten sich die Judenmorde zum flächendeckenden Völkermord aus. Zur Durchführung der Aktion Reinhardt ab Juni 1941 wurden drei Vernichtungslager eingerichtet; ab Dezember 1941 begannen die ersten Morde in Gaswagen nach dem Vorbild der Aktion T4. Damit sollte die Wirkung von Giftgas getestet werden, um effektiver töten zu können und moralische Skrupel der Mörder bei Massenerschießungen zu vermeiden. Auf der geheimen Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 organisierten Vertreter aller wichtigen NS-Behörden die begonnene „Endlösung der Judenfrage" im Detail und verabredeten europaweite Deportationen von bis zu 11 Millionen Juden in die osteuropäischen Ghettos und Lager. Bis Sommer 1942 waren die Krematorien im KZ Auschwitz-Birkenau fertiggestellt; nun wurden die Massenmorde auf industrielle Vergasung konzentriert. Die Verwertung des Eigentums der etwa drei Millionen Vergasten wurde bis ins Detail geregelt. Außer den Juden betrachtete die nationalsozialistische Rassenpolitik auch „Zigeuner", Slawen oder Homosexuelle als „lebensunwert" bzw. als „rassisch minderwertig". Diese Gruppen – die größte unter ihnen etwa 2,5 bis 4 Millionen sowjetische Kriegsgefangene – wurden ebenfalls massenhaft Page 575
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ermordet, teilweise ebenfalls in den Vernichtungslagern. Diese Menschen, so Timothy Snyder, wurden „gezielt umgebracht, oder es lag die bewusste Absicht vor, sie den Hungertod sterben zu lassen. Wäre der Holocaust nicht gewesen, man würde dies als das schlimmste Kriegsverbrechen der Neuzeit erinnern."²5 Hauptgrund für diese Verbrechen war die Rassen- und Lebensraum-Ideologie, die Hitler 1924 in Mein Kampf dargelegt hatte und die seit 1939 in einem Weltkrieg verwirklicht wurde. Die NS-Täter versuchten, ihre Verbrechen möglichst geheim zu halten und mit Euphemismen wie Umsiedlung oder Sonderbehandlung zu tarnen. Die Deutschen erfuhren durch private Berichte und Andeutungen in Medien dennoch genug Details, um auf den organisierten Judenmord schließen zu können. Das spurlose Verschwinden jüdischer Nachbarn, das Ziel ihrer öffentlichen Abtransporte wurde wahrgenommen, aber nicht weiter hinterfragt. Der Satz „du kommst sonst ins KZ" war ab 1933 ein Drohwort für fast jeden. Gerüchte über die Lager „im Osten" kamen mit den Fronturlaubern praktisch in jedes Dorf; alliierte Rundfunksender (die gehört wurden, obwohl das Hören von Feindsendern verboten war und teils drakonisch bestraft wurde) meldeten die Massenmorde. Der polnische Geheimdienst lieferte den Briten bereits 1942 den Beweis für den Massenmord in Auschwitz. Auch der damalige Papst Pius XII. wusste früh davon. Die ständigen Angriffe gegen jüdische Page 576
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bevölkerungsteile ab April 1933 wurden zum Teil passiv akzeptiert und von Nutznießern begrüßt. Enteignungsartige „Arisierungen" selbst kleinster Geschäfte oder Betriebe hatten immer Nutznießer und geschahen vor den Augen der örtlichen Bevölkerung. Rettungsaktionen für Juden waren eine seltene Ausnahme; Mittäterschaft oder Gleichgültigkeit waren die Regel.Oskar Schindler bewahrte rund 1200 jüdische Zwangsarbeiter aus Krakau vor der Ermordung. Das von der Bekennenden Kirche 1938 eingerichtete Büro Grüber verhalf vor allem Judenchristen bis zu seiner Schließung 1940 heimlich zur Ausreise. In den Nürnberger Prozessen wurden nur führende Personen unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrecher verurteilt. Eine wirkliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen und ihrer Ermöglichung begann in Westdeutschland erst um 1960. Seit 1945 hat die Holocaustleugnung eine dauerhafte und internationale Tradition. Am United States Holocaust Memorial Museum wird seit dem Jahr 2000 an einer Encyclopedia of Camps and Ghettos geschrieben (Leitung: Geoffrey Megargee und Martin Dean).²? 2013 nannten sie über 42.500 Orte der Gewalt, die es im Dritten Reich im besetzten Europa gab (darunter Konzentrationslager, Arbeitslager, Gettos, Judenhäuser und Orte, an denen Frauen zur Prostitution gezwungen wurden).³° Bis dahin war diese Zahl weit geringer geschätzt worden.³¹ Page 577
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zwangsarbeiter und Beutekinder Hunderttausende Menschen aus den besetzten Gebieten, insbesondere aus Polen, den Balkanländern und der Sowjetunion, wurden ins Reichsgebiet als Zwangsarbeiter entführt. Viele von ihnen überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht. Die Kinder der Zwangsarbeiterinnen wurden in auf Himmlers Befehl eingerichtete „Ausländerkinderpflegestätten" gebracht, die kein anderes Ziel hatten, als diese „unerwünschten" Kinder unbemerkt von der Öffentlichkeit verkümmern zu lassen. Daneben wurden zehntausende polnische Kinder, die die „rassischen Merkmale" erfüllten, ihren Familien weggenommen und nach Deutschland deportiert, von denen die wenigsten nach dem Krieg zu ihren Eltern zurückkehren konnten. Andere, die die rassischen Merkmale nicht erfüllten, wurden massenhaft in Konzentrationslagern ermordet. Der bekannteste Fall dürfte der der Deportation zehntausender Kinder aus der Gegend um Zamosc – in der Deutsche aus dem Baltikum und Bessarabien angesiedelt wurden – nach Auschwitz sein. Siehe auch Portal: Nationalsozialismus – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Nationalsozialismus - Sprache des Nationalsozialismus - Nationalsozialistische Europapläne - Faschismus - NS-Forschung Page 578
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Deutscher Kolonialismus in der Zeit des Nationalsozialismus Literatur - Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel: Ordnung durch Terror. Gewaltexzesse und Vernichtung im nationalsozialistischen und im stalinistischen Imperium. Dietz, Bonn 2006, ISBN 3-8012-0368-9. - Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. dtv, München 1997, ISBN 3-423-33007-4. (kompaktes Handbuch und Lexikon). - Wolfgang Benz: Geschichte des Dritten Reiches. Beck, München 2000; dtv, München 2003, ISBN 3-423-30882-6. (knappes Überblicks- und Standardwerk) - Karl Dietrich Bracher: Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1993, ISBN 3-462-02249-0. (ausführliches Standardwerk) - Martin Broszat: Der Staat Hitlers (= dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts), München 1969 (zahlreiche Neuauflagen, ISBN 3-423-04009-2). - Martin Broszat, Norbert Frei: Das Dritte Reich im Überblick. Chronik – Ereignisse – Zusammenhänge. 3. Auflage. Piper, München 1992, ISBN 3-492-11091-6. - Michael Burleigh: Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung. 2. Auflage. Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-10-009005-5. (Die englische Originalausgabe erhielt 2001 den Samuel Johnson Prize for Non-Fiction; Rezensionen.) Page 579
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Richard J. Evans: Das Dritte Reich. In 3 Bänden. DVA, München 2004–2009. (umfassende und fundierte Gesamtdarstellung in 3 Bänden) Richard J. Evans: Das Dritte Reich. Band 1: Aufstieg. DVA, München 2004, ISBN 3-421-05652-8. Richard J. Evans: Das Dritte Reich. Band 2/I–II: Diktatur. DVA, München 2006, ISBN 3-421-05653-6. Richard J. Evans: Das Dritte Reich. Band 3: Krieg. DVA, München 2009, ISBN 978-3-421-05800-3. - Jürgen W. Falter: Hitlers Wähler. München 1991, ISBN 3-406-35232-4. (das Standardwerk zur Zusammensetzung der NSDAP-Wählerschaft) - Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945. Neuausgabe, Beck'sche Reihe, München 2013, ISBN 978-3-406-64449-8. - Michael Grüttner: Das Dritte Reich. 1933–1939 (= Handbuch der deutschen Geschichte, Band 19). Klett-Cotta, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-608-60019-3. - Ludolf Herbst: Das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-518-11285-6. - Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 17). 7. Auflage, München 2009, ISBN 978-3-486-59200-9. (Standardwerk) - Ian Kershaw: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. 3. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002, ISBN 3-499-60796-4. (Wegweiser durch die Veröffentlichungen zum Thema). Page 580
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Ernst Piper: Kurze Geschichte des Nationalsozialismus von 1919 bis heute. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, ISBN 978-3-455-50024-0. - Michael Ruck: Bibliographie zum Nationalsozialismus. Bund-Verlag, Köln 1995, ISBN 3-7663-2355-5. - Christoph Studt: Das Dritte Reich in Daten. C.H. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47635-X. - Dietmar Süß, Winfried Süß (Hrsg.): Das 'Dritte Reich'. Eine Einführung. Pantheon, München 2008, ISBN 978-3-570-55044-1. - Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. Beck, München 2003, ISBN 3-406-32264-6. - Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-13086-7. - Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8252-2914-6. Weblinks Commons: Nationalsozialismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Wiktionary: Nationalsozialismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wiktionary: Hitlerzeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wiktionary: Nazizeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Page 581
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Das NS-Regime (1933–1939), Deutsches Historisches Museum Online - Linkkatalog zum Thema Nationalsozialismus bei DMOZ - Nationalsozialismus II (Memento vom 9. September 2011 im Internet Archive). Informationen zur politischen Bildung, Heft 266, Bonn 2004. - Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005. - Übersichtskarten zum Stimmenanteil der NSDAP bei den Reichstagswahlen in den einzelnen Wahlkreisen während der Weimarer Republik Einzelnachweise [1] Leo Foitzik: Rauden, das Dorf meiner Kindheit, S. 51. [2] Vgl. Christa Berg (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band 6: 1945 bis zur Gegenwart. Beck, München 1998, ISBN 3-406-32467-3, S. 1. [3] Jörg Echternkamp: Die 101 wichtigsten Fragen. Der Zweite Weltkrieg. Beck, München 2010, S. 139 f.; Christian Hartmann: Unternehmen Barbarossa. Beck, München 2011, S. 115 f. [4] Norbert Kapferer: Der „Totale Krieg" gegen den „jüdischen Bolschewismus". Weltanschauliche und propagandistische Einlassungen der NS-Elite und deren Interpretation durch Carl Schmitt. In: Uwe Backes (Hrsg.): Rechtsextreme Ideologien in Geschichte und Gegenwart. Böhlau, Köln 2003, S. 164 f. [5] Henry Ashby Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. Page 582
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Siedler Verlag, Berlin 1985. [6] Machtübernahme. In: Hilde Kammer, Elisabeth Bartsch (Hrsg.): Nationalsozialismus. Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933–1945. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1992, S. 121 ff. [7] Vgl. Machtergreifung. In: Georg Stötzel, Thorsten Eitz (Hrsg.): Zeitgeschichtliches Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hildesheim 2002, S. 232 ff.; zusammenfassend siehe Regierungsübertragung auf die NSDAP bei der Bundeszentrale für politische Bildung. [8] dokumentiert beispielsweise in: „Gleichschaltung" im Protokollbuch der Kameradschaft ehemaliger Soldaten Lunestedt (online) oder „Gleichschaltung" im Protokollbuch des Turnvereins Westerbeverstedt (online) [9] Wolfgang Benz: Die Juden in Deutschland 1933–1945. 3. Auflage, Beck, München 1993, ISBN 3-406-37325-9, S. 738. [10] Kurt Nowak: Kirchen und Religion. In: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Klett-Cotta, Stuttgart 1997, S. 195 f. [11] Otto Dov Kulka (Hrsg.): Deutsches Judentum unter dem Nationalsozialismus. Band 1: Dokumente zur Rechtsvertretung der deutschen Juden 1933–1939. Mohr Siebeck, Tübingen 1998, S. 99. [12] Avraham Barkai, Paul Mendes-Flohr, Steven M. Lowenstein (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Band 4: 1918–1945. Beck, München 1997, S. 250–262. Page 583
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [13] Evangelische Kirche und Drittes Reich. V&R, Göttingen 1983, ISBN 3-525-61319-9, S. 110. [14] Hans Günter Hockerts: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1971. [15] Sendung im Deutschlandfunk über Hitlers Gottesvorstellung und Stellungnahme dazu [16] Wolfgang Dierker: „Niemals Juden, niemals Sektierer". Die Religionspolitik des SD gegenüber „Sekten" und völkisch-religiösen Gruppen. In: Uwe Puschner, Clemens Vollnhals (Hrsg.): Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 47). 2. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-647-36996-9, S. 364 f. [17] Wolfgang Benz: Die 101 wichtigsten Fragen. Das Dritte Reich. 2. Auflage, Beck, München 2008, S. 111. [18] Daniel Heinz: Missionarische Offenheit in der Welt, ideologische Anpassung in Deutschland. Siebenten-Tags-Adventisten und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Daniel Heinz (Hrsg.): Freikirchen und Juden im Dritten Reich (= Kirche – Konfession – Religion 54). V&R unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-690-0, S. 284–286. [19] Hans-Adolf Jacobsen: Nationalsozialistische Page 584
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Außenpolitik 1933–1938. Metzner, Frankfurt am Main 1969, S. 416–421. [20] Arnd Krüger: "Heute gehört uns Deutschland und morgen…"? Das Ringen um den Sinn der Gleichschaltung im Sport in der ersten Jahreshälfte 1933, in: Wolfgang Buss & Arnd Krüger (Hrsg.): Sportgeschichte: Traditionspflege und Wertewandel. Festschrift zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Wilhelm Henze (= Schriftenreihe des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte, Bd. 2). Mecke, Duderstadt 1985, S. 175–196. [21] Hajo Bernett: Sportpolitik im Dritten Reich. Hofmann, Schorndorf 1971. [22] Arnd Krüger: „Wenn die Olympiade vorbei, schlagen wir die Juden zu Brei". Das Verhältnis der Juden zu den Olympischen Spielen von 1936. In: Menora 5. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1994. Piper, München, 331–348. [23] Michael Grüttner: Brandstifter und Biedermänner. Deutschland 1933–1939, Klett-Cotta, Stuttgart 2015, S. 431. [24] Michael Grüttner: Brandstifter und Biedermänner. Deutschland 1933–1939, Klett-Cotta, Stuttgart 2015, S. 424–431. [25] Timothy Snyder: Der Holocaust. Die ausgeblendete Realität, in: Eurozine, 18. Februar 2010; abgedruckt in: Transit, Heft 38, 2009, S. 6–19, Zitat S. 9. [26] Wigbert Benz: Der Hungerplan im „Unternehmen Barbarossa" 1941. Berlin 2011, S. 63. [27] Timothy Snyder: Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. Beck, München 2011, S. 196. Page 585
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [28] Vgl. Hans Hesse, Jens Schreiber: Vom Schlachthof nach Auschwitz. Die NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhaven und Nordwestdeutschland. Tectum Verlag, Marburg 1999, ISBN 3-8288-8046-0, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche. [29] www.ushmm.org About the encyclopiedia (Memento vom 27. August 2013 im Internet Archive) [30] Holocaust-Studie: Mehr als 40.000 Nazi-Zwangslager in Europa. In: zeit.de. 2. März 2013, abgerufen am 25. Dezember 2014. [31] Dagny Lüdemann: Holocaust-Studie: "Wir haben nicht einmal alle Nazi-Lager erfasst". In: zeit.de. 5. März 2013, abgerufen am 25. Dezember 2014. Rassenschande Rassenschande (auch Blutschande) war im nationalsozialistischen Deutschen Reich ein verbreiteter Propagandabegriff, mit dem sexuelle Beziehungen zwischen Juden – nach der Definition der NS-Rassegesetze – und Staatsangehörigen „deutschen oder artverwandten Blutes" verunglimpft wurden. Ehen zwischen Juden und „Deutschblütigen" wurden als Rassenverrat bezeichnet. 1935 wurden Eheschließungen und sexuelle Kontakte dieser Art verboten und mit Haftstrafen bedroht. Eine wenig später erlassene Verordnung weitete das Eheverbot auf andere Gruppen aus: Es sollten grundsätzlich alle Ehen unterbleiben, die die Page 586
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Reinerhaltung des deutschen Blutes" gefährdeten. Ein Rundschreiben zählte dazu „Zigeuner, Neger und ihre Bastarde" auf.¹ Geschlechtsverkehr zwischen Angehörigen verschiedener „Rassen" wurde zeitweilig auch in anderen Ländern unter Strafandrohung gestellt.² Ideologiegeschichtlicher Hintergrund Die Begriffe „Rassen-" und „Blutschande" waren bereits populäre Topoi in der völkischen Bewegung, die diese im Rahmen der eugenischen Rassentheorien diskutierte und propagierte. So ermahnte der geschäftsführende Bundesvorsitzende des Deutschvölkischen Schutzund Trutzbundes, Gertzlaff von Hertzberg, auf dem Deutschen Tag in Weimar im Oktober 1920 die Deutschen, keine Rassenschande zu begehen.³ In einer von der Ortsgruppe Meißen des Schutz- und Trutzbundes herausgegebenen Broschüre mit dem Titel Eine unbewußte Blutschande – der Untergang Deutschlands. Naturgesetze über die Rassenlehre aus dem Jahr 1921 hieß es: „Mischung der Rassen und Arten ist Sünde wider das Blut und führt zum Verderben. Blutschande hat die Völker der Erde vernichtet."4 Der Führer der deutschvölkischen Freiheitspartei und zeitweiliger NSDAP-Landesleiter von Thüringen, Artur Dinter, nahm 1924 mit seiner Forderung wesentliche Inhalte der Nürnberger Gesetze vorweg: Page 587
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Das deutsche Volk muß gegen jüdische Schändung und Bastardisierung geschützt werden. Ehen zwischen Deutschen und Juden sind gesetzlich zu verbieten. Ein Jude, der ein deutsches Mädchen oder eine deutsche Frau verführt [...], wird mit Zuchthaus bestraft."5 Prominenz hatten die Begriffe auch während der völkischen Agitation gegen die alliierte Rheinlandbesetzung nach Ende des Ersten Weltkriegs. Da hierbei auch französische Soldaten afrikanischer Herkunft zum Einsatz kamen, wurde von völkischer Seite eine regelrechte Propagandakampagne gegen die sogenannte „Schwarze Schmach" geführt, worin die Kolonialsoldaten als brutale Wilde dargestellt wurden, die durch sexuelle Übergriffe auf deutsche Mädchen und Frauen das „deutsche Blut" besudeln würden (vgl. „Rheinlandbastard").6 In den Deutschvölkischen Blätter des Schutz- und Trutzbundes hieß es zu diesem Thema unter anderem: „Was sagt die Welt zu den sich immer mehr häufenden Verbrechen der wilden Bestien an wehrlosen deutschen Frauen und Kindern? Wissen die weißen Völker der Welt darum? Es muß bezweifelt werden, denn man kann nicht glauben, daß sie alle gar kein Gefühl für die Rassenschande haben, die uns und damit auch ihnen als weißen Völkern angetan wird."7 Gesetze und Verordnungen Das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und Page 588
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der deutschen Ehre" vom 15. September 1935 (RGBl. I S. 1146; auch kurz „Blutschutzgesetz" genannt) ist eines der beiden Nürnberger Rassengesetze. Das Gesetz wurde in großer Hast formuliert und kam für die Öffentlichkeit überraschend. In antisemitischen Kreisen war der Grundgedanke aber nicht neu und lässt sich weit vor das Jahr 1933 zurückverfolgen. Nach der „Machtergreifung" wurden „Rasseschänder" öffentlich angeprangert; es kam in Einzelfällen zu Übergriffen der SA und zu Verschleppungen in „Schutzhaft". Vorschläge und Gesetzentwürfe „zur Regelung der Stellung der Juden", wie ihn zum Beispiel Rudolf Heß am 6. April 1933 an Julius Streicher schickte, nahmen schon Bestimmungen des späteren „Blutschutzgesetzes" vorweg und enthielten teils schärfere Bestimmungen als die Nürnberger Gesetze.8 Das Blutschutzgesetz verbot Eheschließungen zwischen Juden und „Deutschblütigen". Die „Erste Verordnung des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" vom 14. November 1935? präzisierte, dass auch die Eheschließung zwischen Juden und „jüdischen Mischlingen zweiten Grades" mit nur einem jüdischen Großelternteil untersagt sei, da diese den „Deutschblütigen" zugerechnet werden sollten. „Jüdische Mischlinge ersten Grades", die von zwei jüdischen Großeltern abstammten, durften „Deutschblütige" oder „jüdische Mischlinge zweiten Page 589
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Grades" nur mit besonderer Genehmigung heiraten. Für die Entscheidung waren die „körperlichen, seelischen und charakterlichen Eigenschaften des Antragstellers, die Dauer der Ansässigkeit seiner Familie in Deutschland, seine oder seines Vaters Teilnahme am Weltkrieg und seine sonstige Familiengeschichte" zu beurteilen. Eine Ehe zwischen zwei Vierteljuden „soll nicht geschlossen werden." Die im Rahmen des Gesetzes für illegal erklärten Eheschließungen zwischen Juden und „Deutschblütigen", welche unter Umgehung des Verbots im Ausland geschlossen wurden, konnten für nichtig erklärt werden und waren für die Beteiligten mit Zuchthausstrafe bedroht. Für den außerehelichen Geschlechtsverkehr lautete die Strafbestimmung im § 5(2): „Der Mann […] wird mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft." Die Bestimmung, dass nur der Mann einer Bestrafung unterliegt, soll auf eine Anweisung Hitlers eingefügt worden sein. Im maßgeblichen Kommentar des Gesetzes wird als Begründung angeführt, dass zur Überführung die Zeugenaussage der Frau erforderlich sei und dieser bei Straffreistellung kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr zustehe. Die Strafrahmen des Gesetzes waren ungenau und weit gefasst. Die Formulierung eröffnete Richtern gewollt die Möglichkeit, Juden strenger zu bestrafen als die „deutschblütigen" Männer ("Gummiparagraph"). Mildernde oder erschwerende Tatbestände waren in diesem Page 590
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gesetz nicht definiert und die Strafhöhe reichte von einem Tag Gefängnis bis zu Zuchthausstrafe von 15 Jahren. In der antisemitischen Zeitung Der Stürmer wurde weiterhin sogar die Todesstrafe gefordert. Strafurteile Zwischen 1935 und 1943 wurden 2.211 Männer wegen „Rassenschande" verurteilt.¹° Die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren war erheblich höher;¹¹ meist löste eine Denunziation die Ermittlungen aus. Eine regionale Auswertung der Urteile erweist, dass jüdische Männer deutlich höhere Strafen erhielten als „Deutschblütige". Bei einem Drittel der Urteile gegen Juden wurden Zuchthausstrafen zwischen zwei und vier Jahren verhängt; annähernd ein Viertel der Abgeurteilten wurde noch strenger bestraft. Eine Höchststrafe von 15 Jahren wurde nur selten ausgesprochen. Eine bereits 1936 erfolgte ausufernde Interpretation des Reichsgerichts zum Begriff „außerehelicher Verkehr" stellte auch „solche Betätigungen" unter das Gesetz, „durch die der eine Teil seinen Geschlechtstrieb auf einem anderen Wege als durch Vollziehung des Beischlafs vollziehen will." Diese Auslegung machte es möglich, sogar Zärtlichkeiten und Küsse als Rassenschande zu bestrafen.¹² Im berüchtigten Todesurteil gegen Leo Katzenberger zogen die Richter dann noch die „Verordnung gegen Volksschädlinge" heran, weil die angebliche Tat Page 591
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt im Schutze der Verdunklung stattgefunden habe. Es sind fünf weitere Fälle aus den Jahren 1941 bis 1943 bekannt, in denen Richter die eigentlich im Blutschutzgesetz nicht vorgesehene Todesstrafe verhängten, indem sie verschärfende Bestimmungen gegen „Verdunklungsverbrecher" oder „gefährliche Gewohnheitsverbrecher" (wie im Fall Werner Holländer) heranzogen. Obwohl dem Gesetz nach die Frau straflos gestellt war, konnte sie wegen Begünstigung oder Meineides bestraft werden, wenn sie ihren Partner zu schützen versuchte. Häufig wurde die Frau bis zum Abschluss des Verfahrens in Schutzhaft genommen, teils unter dem Vorwand, damit eine Wiederholungsgefahr ausschließen zu müssen. Dadurch wurde die Bestimmung des Gesetzes unterlaufen, bis Hitler selbst eingriff und am 16. Februar 1940 eine Ergänzungsverordnung erlassen wurde, nach der die Frauen wegen des Vorwurfs der Begünstigung ausdrücklich straffrei bleiben sollten. Davon unberührt blieb die Strafdrohung bei Meineid und Beihilfe. Die Gestapo war ab Mitte 1937 dazu übergegangen, ihr zu milde erscheinende Gerichtsurteile zu korrigieren und die „jüdischen Rasseschänder" in Haft zu nehmen. Auch einige jüdische Frauen wurden ab 1937 nach Abschluss eines Verfahrens offenbar in ein Konzentrationslager eingewiesen,¹³ wo es für diesen Personenkreis ein eigenes Kennzeichen gab. Das Blutschutzgesetz trug maßgeblich zur wachsenden sozialen Isolierung der Page 592
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt jüdischen Deutschen bei. Es legte damit ein Fundament für die spätere Verfolgung und Massenvernichtung im Holocaust. Siehe auch - Nationalsozialistische Rassenhygiene - Polen-Erlasse - Das Urteil von Nürnberg Literatur - Cornelia Essner: Die "Nürnberger Gesetze" oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933 - 1945. Schöningh, Paderborn 2002, ISBN 3-506-72260-3. (grundlegende wissenschaftliche Untersuchung) - Irene Eckler (Hrsg.): A family torn apart by "Rassenschande". political persecution in the Third Reich; documents and reports from Hamburg in German and English. Überarb. und erg., zweisprachige Auflage. Horneburg, Schwetzingen 1998, ISBN 3-9804993-1-6 (Originaltitel: Die Vormundschaftsakte 1935 - 1958.). - Jörg Friedrich: Freispruch für die Nazi-Justiz. Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948. Eine Dokumentation. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1983, ISBN 3-499-15348-3, S. 261–321. - Lothar Gruchmann: „Blutschutzgesetz" und Justiz. Zur Entstehung und Auswirkung des Nürnberger Gesetzes vom 15. September 1935. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 31, Nr. 3, 1983, S. 418–442 (PDF). - Gerhard Henschel: Neidgeschrei. Antisemitismus und Sexualität. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, ISBN Page 593
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 978-3-455-09497-8. (auch: historische Herleitung der Globke-Gesetze) - Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. Kindler, München 1987, ISBN 3-463-40038-3, S. 105–123. - Alexandra Przyrembel: "Rassenschande". Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-525-35188-7. - Hans Robinsohn: Justiz als politische Verfolgung. Die Rechtsprechung in Rasseschandefällen beim Landgericht Hamburg 1936–1943. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1977, ISBN 3-421-01817-0. - Franco Ruault: "Neuschöpfer des deutschen Volkes". Julius Streicher im Kampf gegen "Rassenschande". Lang, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-631-54499-5. - "Von Gewohnheitsverbrechern, Volksschädlingen und Asozialen ..." Hamburger Justizurteile im Nationalsozialismus / Justizbehörde Hamburg (Hg.). 1. Auflage. Ergebnisse, Hamburg 1995, ISBN 3-87916-023-6, S. 105 ff. (Zahlenangaben, Daten, Zitat Reichsgericht)¹4 - Irene Eckler (Hrsg.): Die Vormundschaftsakte 1935 - 1958. Verfolgung einer Familie wegen "Rassenschande"; Dokumente und Berichte aus Hamburg. Horneburg, Schwetzingen 1996, ISBN 3-9804993-0-8. - Hrsg.: Friedrich August Knost, Franz Maßfeller¹5 : Das neue Personenstands- und Familienrecht nebst den Staatsangehörigkeitsvorschriften für die neuen deutschen Gebiete. Page 594
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Textausgabe der neuen Gesetzgebung mit Verweisungen und Sachverzeichnis für den standesamtlichen Handgebrauch. Verlag für Standesamtswesen, Berlin 1940 + Frühere Auflage Ernst Brandis/Maßfeller, Das neue Personenstandsgesetz vom 3. November 1937. Mit Einführung, amtlichen Begründungen, kurzen Bemerkungen und einer vergleichenden Zusammenstellung der alten und neuen Vorschriften. Verlag für Standesamtswesen, 1937 - Arthur Gütt, Herbert Linden, Franz Maßfeller: Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz. Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre und Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes; nebst Durchführungsverordnungen sowie einschlägigen Bestimmungen. Dargestellt, medizinisch und juristisch erläutert.-- Anhang: Reichsbürgergesetz mit Übersichtstafeln und Erläuterungen. J. F. Lehmanns, München 1936 Weblinks Wiktionary: Rassenschande – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wiktionary: Blutschande – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Wikisource: Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre – Quellen und Volltexte - Plakat für das antisemitische Blatt Der Stürmer (Anm.: Die in der Schlagzeile genannte Todesstrafe für R. gab es Page 595
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt weder 1935 noch später) - Birthe Kundrus: "Verbotener Umgang": Liebesbeziehungen zwischen Ausländern und Deutschen 1939-1945 (PDF) Belegstellen [1] Saul Friedländer: Das Dritte Reich und Die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933 - 1939. München 2000, ISBN 3-406-43506-8, S. 170. [2] en:Anti-miscegenation laws [3] Walter Jung: Ideologische Voraussetzungen, Inhalte und Ziele außenpolitischer Programmatik und Propaganda in der deutschvölkischen Bewegung der Anfangsjahre der Weimarer Republik: das Beispiel Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund (PDF; 5,4 MB). Universität Göttingen 2001, S. 70f. [4] Zitiert nach Jung 2001, S. S. 65. [5] Zitiert nach Cornelia Essner: Die Alchemie des Rassenbegriffs und die ‚Nürnberger Gesetze'. S. 201 in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4(1995), Frankfurt/M, ISBN 3-593-35282-6 [6] Iris Wigger: „Schwarze Schmach", in: Historisches Lexikon Bayerns. [7] Deutschvölkische Blätter Nummer 21 vom 26. Mai 1921, S. 82, zitiert nach Jung 2001, S. 141. [8] Wolf Gruner (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 1., Deutsches Reich 1933–1937. München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, Dok. 27, S. 123–129. [9] 1. VO des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Page 596
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Ehre (1935, RGBl I, 1334f) [10] Alexandra Przyrembel: "Rassenschande". Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Göttingen 2003, ISBN 3-525-35188-7, S. 499. [11] Nach A. Przyrembel: "Rassenschande"... ISBN 3-525-35188-7, S. 499, gab es in Berlin 5.152 Ermittlungsverfahren, die zu 694 Strafverfahren führten. [12] hierzu Ingo Müller: Furchtbare Juristen... München 1987, S. 107f. [13] A. Przyrembel: "Rassenschande"... ISBN 3-525-35188-7, S. 507 führt für Düsseldorf 7 Fälle Schutzhaft und 2 Fälle KZ an. [14] Leseprobe hier [15] Ministerialrat im Bundesministerium für Justiz, lebte 1902 - 1966 Oberkommando der Wehrmacht Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zählte mit dem Oberkommando des Heeres (OKH), dem Oberkommando der Marine (OKM) und dem Oberkommando der Luftwaffe (OKL) zu den höchsten Stabsorganisationen der Wehrmacht. Das OKW und die Oberkommandos der drei Teilstreitkräfte übernahmen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Planungsaufgaben. Sie waren dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, Adolf Hitler, unterstellt. Einen Befehlsweg vom OKW zu den anderen Oberkommandos, die über eigene Generalstäbe verfügten, gab es nicht. Der Hauptsitz des OKW war in Wünsdorf bei Zossen in der Bunkeranlage Page 597
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Maybach II", südlich von Berlin. Am jeweiligen Standort des Führerhauptquartiers gab es eine Feldstaffel. Am Ende des Krieges verlegte das OKW seinen Sitz nach Krampnitz und anschließend nach Neuroofen am Stechlinsee in Brandenburg.¹ Gründung Adolf Hitler nutzte die Blomberg-Fritsch-Krise, die mit der Demission des Reichswehrministers Blomberg endete, um die Führungsspitze der Wehrmacht stärker auf seine Person und die NSDAP zu verpflichten. Er übernahm selbst die Funktion des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers und gliederte das Wehrmachtamt um zum „Oberkommando der Wehrmacht" in der Funktion eines militärischen Stabes. An seine Spitze setzte er die ihm treu ergebenen Generale Wilhelm Keitel und Alfred Jodl. Gleichzeitig erhielt das Heer mit Walther von Brauchitsch einen neuen Oberbefehlshaber, der direkten Zugang zu Hitler erhielt. Weitere sechzehn Generale wurden von ihren Kommandostellen abgelöst. Weil die Oberbefehlshaber aller Teilstreitkräfte Vortragsrecht bei Hitler erhielten, konnte Keitel nicht mehr die Belange der Wehrmacht als Ganzes vertreten. Keitel konnte nur partiell die Funktionen des Stellvertretenden Kriegsministers übernehmen, nur insoweit, wie es die Oberbefehlshaber der Teilstreitkräfte Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe zuließen. Page 598
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die rechtliche Grundlage wurde am 4. Februar 1938 mit einem Führererlass geschaffen. Darin heißt es: „Erlaß über die Führung der Wehrmacht vom 4. Februar 1938. Die Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht übe ich von jetzt an unmittelbar persönlich aus. Das bisherige Wehrmachtamt im Reichskriegsministerium tritt mit seinen Aufgaben als „Oberkommando der Wehrmacht" und als mein militärischer Stab unmittelbar unter meinen Befehl. An der Spitze des Stabes des Oberkommandos der Wehrmacht steht der bisherige Chef des Wehrmachtamts als „Chef des Oberkommandos der Wehrmacht". Er ist im Range den Reichsministern gleichgestellt. Das Oberkommando der Wehrmacht nimmt zugleich die Geschäfte des Reichskriegsministeriums wahr, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht übt in meinem Auftrage die bisher dem Reichskriegsminister zustehenden Befugnisse aus. Dem Oberkommando der Wehrmacht obliegt im Frieden nach meinen Weisungen die einheitliche Vorbereitung der Reichsverteidigung auf allen Gebieten. Berlin, den 4. Februar 1938" Verurteilung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht wurden im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zwar als Organisationen angeklagt, konnte aber aus formalen Gründen nicht, wie etwa Page 599
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die Waffen-SS, als verbrecherische Organisation verurteilt werden. Das Gericht empfahl, den Mitgliedern einzeln den Prozess zu machen, da es häufige personelle Fluktuationen in Generalstab und OKW gab. Wilhelm Keitel und Alfred Jodl wurden aufgrund individueller Anklagen für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Im Nürnberger Folgeprozess wurden dann vor dem amerikanischen Militärgericht in Nürnberg (Prozess Oberkommando der Wehrmacht) OKW-Generäle und Oberbefehlshaber von Armee- und Heeresgruppen individuell angeklagt und verurteilt. Zentrale Anklagepunkte waren u. a. die Weitergabe verbrecherischer Befehle wie des Kommissarbefehls, des Sühnebefehls, des Kommandobefehls, des Nacht-und-Nebel-Erlasses, des Kugel-Erlasses, die Ermordung von Kriegsgefangenen, die Verschleppung von Zivilisten zur Zwangsarbeit und die Beteiligung am Holocaust. Elf Angeklagte wurden zu Haftstrafen zwischen drei Jahren und lebenslänglich verurteilt, zwei wurden freigesprochen.² Gliederung Das OKW gliederte sich in sechs Ämter, die Adjutantur beim Führer und den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht: - Amtsgruppe Allgemeines Wehrmachtamt (AWA) (Chef: 1939–1945 General der Infanterie Hermann Reinecke) + Abteilung Inland Page 600
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt + Allgemeine Abteilung + Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsabteilung + Wehrmachtfachschulunterricht + Wissenschaft + Wehrmachtverwaltungsabteilung + General zu besonderen Verfügung für Kriegsgefangenenwesen + Abteilung Wehrmachtverlustwesen (WVW) * Wehrmachtauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegsgefangene (WaSt) - Amtsgruppe Ausland/Abwehr (militärische Spionage) (Chef: 1. September 1939 bis 12. Februar 1944 Admiral Wilhelm Canaris; 13. Februar bis 1. Juni 1944 Oberst i.G. Georg Hansen, 1. Juni 1944 bis 4. Mai 1945 SS-Brigadeführer Walter Schellenberg, ab 5. Mai 1945 SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny) + Chef des Stabes + Zentralabteilung (Chef: 1. September 1939 bis Januar 1944 Generalmajor Hans Oster, Januar bis Juni 1944 Oberst Jacobsen) + Abteilung Ausland (Chef: 1. September 1939 bis 30. Juni 1944 Vizeadmiral Leopold Bürkner) * Gruppe I: Außen- und Wehrpolitik * Gruppe II: Beziehung zu fremden Wehrmächten * Gruppe III: Fremde Wehrmachten, Meldesammelstelle des OKW * Gruppe IV: Etappenorganisation der Kriegsmarine * Gruppe V: Auslandspresse * Gruppe VI: Militärische Untersuchungsstelle für Kriegsvölkerrecht * Gruppe VII: Kolonialfragen * Gruppe VIII: Wehrauswertung + Abteilung Nachrichtenbeschaffung (Chef: 1. September 1939 bis März 1943 Page 601
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Oberst Hans Piekenbrock, März 1943 bis Februar 1944 Oberst Georg Hansen) * Gruppe H: Geheimer Meldedienst Heer * Gruppe M: Geheimer Meldedienst Marine * Gruppe L: Geheimer Meldedienst Luftwaffe * Gruppe G: Technische Arbeitsmittel * Gruppe wi: Geheimer Meldedienst Wirtschaft * Gruppe P: Presseauswertung * Gruppe i: Funknetz Abwehr Funkstelle + Abteilung Sonderdienst (Chef: 1. September 1939 bis Juli 1943 Oberst Erwin von Lahousen, Juli 1943 bis Juni 1944 Oberst Wessel Freiherr von Freytag-Loringhoven) * Gruppe I: Minderheiten * Gruppe II: Sondermaßnahmen + Abteilung Abwehr (Chef: 1. September 1939 bis August 1943 Oberst Franz Eccard von Bentivegni, August bis 20. September 1943 Oberst Heinrich, 20. September 1943 bis März 1944 Oberst Franz Eccard von Bentivegni) * Führungsgruppe W: Abwehr in der Wehrmacht * Gruppe Wi: Abwehr Wirtschaft * Gruppe C: Abwehr Inland * Gruppe F: Abwehr Ausland * Gruppe D: Sonderdienst * Gruppe S: Sabotageabwehr * Gruppe G: Gutachten * Gruppe Z: Zentralarchiv + Auslands(telegramm)prüfstelle * Gruppe I: Sortierung * Gruppe II: Chemische Untersuchung * Gruppe III: Privatbriefe * Gruppe IV: Handelsbriefe * Gruppe V: Feldpostbriefe * Gruppe VI: Kriegsgefangenenbriefe * Gruppe VII: Zentralkartei * Gruppe VIII: Auswertung * Gruppe IX: Page 602
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsgefangenen-Brief-Auswertung - Wehrmacht-Führungsamt (ab 1940 Wehrmachtführungsstab) (Chef: 1. September 1939 bis 8. Mai 1945 Generaloberst Alfred Jodl) + Abteilung Landesverteidigung + stellv. Chef WFSt (Chef: 1. September 1939 bis 6. September 1944 Generalmajor/Generalleutnant/General der Artillerie Walter Warlimont, 6. September bis 30. November 1944 Generalmajor Horst Freiherr Treusch von Buttlar-Brandenfels, 1. Dezember 1944 bis 23. April 1945 General der Gebirgstruppe August Winter, 23. April bis 8. Mai 1945 Oberstleutnant Kleyser) + Abteilung Wehrmachtpropaganda (Chef: 1. September 1939 bis 8. Mai 1945 Generalmajor Hasso von Wedel) + Heeresstab (Chef: 15. Februar 1942 bis 8. Mai 1945 General der Infanterie Walter Buhle) + Inspekteur der Wehrmachtnachrichtenverbände - Wehrmacht-Zentral-Abteilung + Gruppe I Mobile Gruppe + Gruppe II Personalgruppe + Gruppe III Allgemeines + Referat IV Personalangelegenheiten + Registratur + Verwaltungsreferat + Bürodirektor der OKW + Bücherei der OKW + Stabsquartier der OKW - Wehrwirtschaftsamt + Wehrwirtschaftliche Abteilung + Rüstungswirtschaftliche Abteilung + Rohstoffabteilung + Abteilung Vertrags- und Preisprüfwesen - Justizdienststelle beim Chef des OKW mit Wehrmacht-Rechtsabteilung (WR), dort auch die Wehrmacht-Untersuchungsstelle Page 603
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (WUSt) + Gruppe I Wehrstrafrecht + Gruppe II Völkerrecht + Gruppe III öffentliches und privates Recht Außerdem waren das Reichskriegsgericht und das Reichsfürsorge- und Versorgungsgericht dem OKW organisatorisch zugeordnet. Ab 1942 kamen ferner der Stab z.b.V. unter General der Infanterie Walter von Unruh sowie am 17. Mai 1942 der Beauftragte des Führers für die militärische Geschichtsschreibung Walter Scherff hinzu. Kriegstagebuch Die Kriegstagebücher des OKW wurden von 1940 bis 1945 von der Abteilung Landesverteidigung im Wehrmachtführungsstab geführt. Darin werden die Strategien, Schlachten, Truppenbewegungen, Frontverläufe, Kriegsziele und -pläne sowie Lageeinschätzungen der obersten Wehrmachtführung beschrieben. Schriftführer des KTB/OKW waren Helmuth Greiner (bis 1943) und Percy Ernst Schramm. Von 1961 bis 1965 wurden die Kriegstagebücher des Oberkommandos der Wehrmacht nach Bearbeitung durch Historiker und im Auftrag des Arbeitskreises für Wehrforschung in vier Bänden im Bernard & Graefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt am Main, herausgegeben: - Hans-Adolf Jacobsen: Band I (1965): 1. August 1940 bis 31. Dezember 1941 - Andreas Hillgruber: Band II (1963): 1. Januar bis 31. Dezember 1942 Page 604
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Walther Hubatsch: Band III (1963): 1. Januar bis 31. Dezember 1943 - Percy Ernst Schramm: Band IV (1961): 1. Januar 1944 bis 22. Mai 1945 Bei der Originalausgabe bestehen die Bände II bis IV jeweils aus zwei Teilbänden; bei der Studienausgabe ist auch der I. Band in zwei Teilbände aufgeteilt, die dann neu durchnummeriert wurden als Band 1 bis 8. Siehe auch - Wehrmachtbericht Literatur - Waldemar Erfurth: Die Geschichte des deutschen Generalstabes von 1918 bis 1945. Muster-Schmidt, Göttingen 1957, ISBN 978-3-941960-20-6. - Geoffrey P. Megargee: Hitler und die Generäle. Das Ringen um die Führung der Wehrmacht 1933–1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-75633-6. + orig. Inside Hitler's High Command, Lawrence: Univ. Press of Kansas 2000, ISBN 0-7006-1015-4. - Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.): Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. Bd. 1: 1. August 1940–31. Dezember 1941, Augsburg 2005, DNB. - Percy Ernst Schramm (Hrsg.): Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab) 1940–1945. Bde. 1–8, Bernard u. Graefe Verlag München; Lizenzausgabe für den Pawlak Verlag, Herrsching 1982, ISBN 3881990739. Page 605
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Weblinks Commons: Standarten des OKW – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/obe rkommando/ - Artikel zum OKW bei Shoa.de Einzelnachweise [1] Manfred Weißbecker Wilhelm Keitel " ... man ist so ein Lump geworden" In: Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker (Hg.) Stufen zum Galgen. Lebenswege vor den Nürnberger Urteilen, Militzke-Verlag, Leipzig 2004, S. 113. [2] Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse. C.H. Beck, München 2006, ISBN 3-406-53604-2, S. 80–84. Normdaten (Körperschaft): GND: 2035304-2 | VIAF: 123642106 Endphaseverbrechen Als Endphaseverbrechen oder Verbrechen der Endphase werden nationalsozialistische Verbrechen bezeichnet, die in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkrieges begangen wurden; meist wird dabei Endphase definiert als Zeitraum zwischen Januar 1945 und dem örtlich unterschiedlichen Ende der Kriegshandlungen.¹ Der Begriff wurde im Umfeld der Strafverfolgung dieser Verbrechen in Deutschland und Österreich nach 1945 geprägt. In der Gerichtsurteilssammlung Justiz und NS-Verbrechen werden 410 Urteile zum Tatkomplex „Verbrechen der Page 606
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Endphase" dargestellt. Täter und Opfer Typische Täter waren Angehörige staatlicher Organe und nationalsozialistischer Organisationen wie Gestapo, SS sowie der Wehrmacht, nach Blatmans zusammenfassender Studie oft Zivilisten aus HJ, Volkssturm, Wachmänner irgendwelcher Herkunft und auch unorganisierte Bürger. Typische Opfer waren Zivilisten und Soldaten, die der Wehrkraftzersetzung oder der Fahnenflucht beschuldigt wurden, KZ-Häftlinge auf ihren Todesmärschen sowie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus anderen Ländern. Ferdinand Schörner, von Hitler am 30. April 1945 in seinem politischen Testament zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt, wurde als der „blutige Ferdinand" bekannt; er galt und gilt als „der brutalste von Hitlers Feldmarschällen"² Regelmäßig riss er zurückweichenden Offizieren Orden und Rangabzeichen herunter und verurteilte versprengte Soldaten zum Tode. Viele Soldaten und Volkssturmmänner schickte er auf sogenannte Himmelfahrtskommandos. Im März 1945 wollte Schörner General Hanns von Rohr hinrichten lassen, weil dieser sich weigerte, Soldaten, die vor sowjetischen Panzern geflüchtet waren, zu erschießen. Das OKH milderte das Todesurteil zu Degradierung und Bewährungseinsatz. Juristische Aufarbeitung Page 607
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 20. Oktober 1945³ zur Umgestaltung des deutschen Gerichtswesens war es deutschen Gerichten ermöglicht worden, auch eine Strafverfolgung von Verbrechen der NS-Zeit aufzunehmen, aber nur im begrenzten Umfang. Verbrechen gegen Staatsangehörige der Alliierten durften zunächst noch nicht verfolgt werden, diesen Bereich behielten sich die alliierten Militärbehörden noch selbst vor. Ihre Hauptprozesse, der Nürnberger Prozess sowie dessen Folgeprozesse, die gegen die hochrangigen Täter geführt wurden, begannen etwa zur selben Zeit. Mit diesem Kontrollratsgesetz war die Zuständigkeit deutscher Gerichte und Staatsanwälte zunächst vorwiegend auf Verbrechen an Deutschen oder Österreichern beschränkt. Bedingt durch die zeitliche Nähe, die die Beweislage begünstigte, kamen daher in den ersten Jahren viele Verbrechen der letzten Kriegswochen, die sogenannten Endphaseverbrechen, vor Gericht. Angeklagt wurden dabei in der Regel zunächst diejenigen, die die Verbrechen ausgeführt hatten. Verfahren gegen Schreibtischtäter wurden erst in späteren Jahren in größerer Zahl angestrengt.4 Viele westdeutsche Gerichte stellten heraus, dass die Endphaseverbrechen in einer „allgemeinen Untergangs- und Endzeitstimmung", einer „Endkampf- und Massenpsychose", einer Stimmung des Terrors und des Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung stattfanden und werteten dieses als schuldentlastend Page 608
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und strafmildernd. Ein Straffreiheitsgesetz von 1954 sah eine teilweise Amnestie vor für Straftaten, die „unter dem Einfluß der außergewöhnlichen Verhältnisse zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere auf Grund eines Befehls" begangen worden waren.5 Verfahren, in denen Freiheitsstrafen unterhalb von drei Jahren zu erwarten waren, wurden eingestellt. Die Strafbefreiung bzw. Verfahrenseinstellung nach § 6 betraf im ersten Jahr 77 Fälle, darunter 44 wegen Totschlags bzw. Totschlags in minderschweren Fällen.6 Der Gesetzestext nahm das Motiv „auf Grund eines Befehls" auf und beflügelte die Kontroverse um den so genannten Befehlsnotstand. Der Historiker Norbert Frei sieht als Folge der Amnestie eine „politische und gesellschaftliche Deligitimation von Strafverfolgungsbemühungen", die sich in einem „dramatischen Rückgang der neu eingeleiteten Ermittlungsverfahren" gegen NS-Täter abzeichnete.7 Die Verbrechen Die Gestapokommandos und SS-Führungen wurden im Januar 1945 von den Gestapoleitstellen auf Anweisung des Reichsführers SS Heinrich Himmler und des Gestapo-Chefs Heinrich Müller vom Berliner Reichssicherheitshauptamt (RSHA) angewiesen, „umstürzlerischer" Betätigung deutscher Linker und ausländischer Arbeiter vorzubeugen. „Die Page 609
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Betreffenden sind zu vernichten", hieß es in Befehlen dazu. So wurden folgende Aktionen durchgeführt: - standrechtliche Erschießung von etwa 8000 deutschen Soldaten als „Fahnenflüchtige" in den letzten Kriegsmonaten 1945, - Hinrichtung von KZ-Insassen, die bis dahin der „Vernichtung durch Arbeit" entkommen waren, - die Todesmärsche aus den Konzentrationslagern in Richtung Westen und Süden (Alpenfestung), - Hinrichtungen in Zuchthäusern, - Ermordung von Kriegsgefangenen. Dies entsprach dem Nachkriegs- und Überlebenskonzept des Nationalsozialismus. Die Befehlshaber, Kommandeure und Unterführer sollten den feindlichen Armeen nur verbrannte Erde hinterlassen (Politik der Verbrannten Erde). Außerdem sollten keine Demokraten, Kommunisten, Sozialdemokraten, „widerspenstige" Pfarrer und sonstige Dissidenten übrig bleiben. Auch die Spuren der NS-Verbrechen (zum Beispiel die Gaskammern in Auschwitz, die Konzentrationslager im Reich) sollten verwischt werden. Gestapo-Chef Heinrich Müller: „Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, der 1918 begangen wurde; wir werden unsere innerdeutschen Feinde nicht am Leben lassen." Der erste Prozess Page 610
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Der erste NS-Prozess wegen eines Endphaseverbrechens in der späteren Bundesrepublik Deutschland begann am 6. September 1945 vor dem Landgericht Gießen. Fünf Männer wurden beschuldigt, am 10. April 1945 einen 64 Jahre alten Postbeamten durch Genickschuss ermordet zu haben, weil er mit den vorrückenden amerikanischen Truppen Kontakt gesucht hatte. Die Angeklagten wurden zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Beispiele Beispiele für Kriegsendphasenverbrechen in Deutschland und Österreich sind (alphabetisch nach Ort): Aachen 25. März 1945: Franz Oppenhoff, nach der Einnahme Aachens durch die US-Armee von den Amerikanern als Oberbürgermeister eingesetzt, wurde auf Befehl Heinrich Himmlers vor seinem Haus von einem Kommando (SS-Männer und Luftwaffe) ermordet. Das Kommando hatte mit einem erbeuteten US-Flugzeug die Frontlinie überquert. Apolda Im April 1945 wurden auf dem Sportplatz Bismarck-Höhe sechs fahnenflüchtige Wehrmachtsdeserteure erschossen. Zum Gedenken an die drei namentlich bekannten jungen Soldaten Gerd Funke, Anton Müller und Gerhard Volk wurden am 18. August 2009 unweit des Tatortes drei Stolpersteine gelegt. Page 611
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Aschaffenburg 28. März 1945: Friedel Heymann wurde als angeblicher Fahnenflüchtiger öffentlich hingerichtet. Aschendorfer Moor, Emslandlager 12. bis 19. April 1945: Im Aschendorfer Moor wurden etwa 150 Häftlinge aus den Emslandlagern durch eine Truppe um den selbsternannten Hauptmann Willi Herold erschossen. Berlin - Prinz-Albrecht-Straße und Invalidenstraße8 + 22./23. April 1945: 15 Häftlinge des Zellengefängnis Lehrter Straße, meist Angehörige des Kreises vom 20. Juli 1944, wurden zu nächtlicher Stunde auf einem Trümmergelände in der Invalidenstraße von einem SS-Kommando unter Führung von Kurt Stawizki durch Genickschuss umgebracht: * Albrecht Haushofer (geb. 7. Januar 1903) * Max Jennewein (geb. 4. August 1903) * Carlos Wilhelm Moll (geb. 16. April 1900) * Ernst Munzinger (Offizier) (geb. 6. Juli 1887) * Hans Victor von Salviati (geb. 23. August 1897) * Sergej Sossimow (geb. unbekannt, sowjetischer Kriegsgefangener) * Wilhelm Staehle (geb. 20. November 1877) * Klaus Bonhoeffer (geb. 5. Januar 1901) * Hans John (Widerstandskämpfer) (geb. 1. August 1911) * Herbert Kosney (überlebte den Genickschuss schwer verletzt) Page 612
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Richard Kuenzer (geb. 6. September 1875) Carl Adolf Marks (geb. 14. Februar 1894) Wilhelm zur Nieden (geb. 29. August 1878) Friedrich Justus Perels (geb. 13. November
* * * * 1910) * Rüdiger Schleicher (geb. 14. Januar 1895) * Hans Ludwig Sierks (geb. 24. Juli 1877) + 23./24. April 1945: Auf dieselbe Weise enden * Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg * Albrecht Graf von Bernstorff * Ernst Schneppenhorst. + 28. April 1945: 35 Häftlinge aus dem Gefängnis der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße wurden in einer Ruine an der Puttkamerstraße von der SS ermordet. + 1. Mai 1945: Am Kreuzberger Teil des Landwehrkanals kam es immer noch zu Kämpfen. Vor dem Haus Tempelhofer Ufer 34, wo sich heute eine Tankstelle befindet, half Karl Schippa verwundeten sowjetischen Soldaten. Dabei fällt er einer versprengten Gruppe von SS-Männern in die Hände und wurde – nur wenige Stunden vor der Kapitulation Berlins – an Ort und Stelle erschossen.? Bezirk Scheibbs (Niederösterreich) Im Bezirk Scheibbs im Mostviertel in Niederösterreich fanden in mehreren Orten Endphaseverbrechen statt. In Göstling wurden am 13. April 1945 76 jüdische Zwangsarbeiter durch Mitglieder der SS ermordet. In Randegg wurden am 15. April 1945 100 jüdische Zwangsarbeiter durch Mitglieder der SS und der Hitlerjugend ermordet. In Gresten wurden am 19. April 1945 16 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter von der Page 613
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Waffen-SS in einem Wassergraben ermordet. Blankenhain Bei der Annäherung US-amerikanischer Truppen an den Ort am 8. April 1945 versuchte Bürgermeister Konrad Fuß eine weiße Fahne zu hissen, wobei er erschossen wurde. Bremen Frühjahr 1945: 15 Deportierte aus dem Dorf Meensel-Kiezegem/Belgien kommen im KZ Neuengamme/Nebenlager Bremen-Blumenthal ums Leben. Am 1. August und 11. August 1944 wurde das Dorf von SS und belgischen Faschisten überfallen, viele Dorfbewohner wurden deportiert, darunter 22 nach Blumenthal zur Zwangsarbeit im Stahlwerk. 61 Einwohner wurden ins KZ Neuengamme deportiert. Auf der AG Weser starben 15 von ihnen. In Bremen gab es schon im März 1944 Evakuierungslisten der SS, nach denen alle Zwangsarbeiter (nicht nur der KZ-Außenlager) in größere Sammelpunkte getrieben werden sollten, um von dort beim Anrücken der Alliierten in Marsch gesetzt zu werden. Kein Gefangener sollte lebend in die Hände der Alliierten fallen. Im ersten Quartal 1945 sind einem Arztbericht vom März 1945 zufolge in den sieben Bremer Neuengamme-Außenkommandos 515 KZ-Häftlinge ums Leben gekommen (verhungert, an Entkräftung verstorben, erfroren, erschlagen), 249 alleine im Kommando Schützenhof namentlich belegt, 55 im Kommando Blumenthal, 203 Page 614
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt im KZ Farge, 68 Tote im Lager Rießpott/Osterort. Bei einem Transport von 100 KZ-Häftlingen am 11. Januar 1945 aus diesem Außenlager kamen drei Häftlinge lebend in Neuengamme an. Der Todesmarsch von 2500 bis 3000 Häftlingen begann am 9. April 1945 in Farge und führte über Neuengamme an die Lübecker Bucht, wo die Überlebenden zusammen mit anderen Opfern der „Evakuierungsmärsche" auf die Cap Arcona, Thielbek und Athen verladen wurden. Die Schiffe wurden durch britische Bomben versenkt, die Insassen kamen zumeist ums Leben. Ein Teil der Transportunfähigen wurde im Kriegsgefangenenlager Sandbostel mit Flecktyphus und Ruhr zurückgelassen. Alleine in Brillit (Kreis Rotenburg) wurden über 300 Tote begraben. Siehe auch: Gedenkmarsch Farge–Sandbostel Brettheim und Reubach ? Hauptartikel: Männer von Brettheim Drei Bürger des Dorfes Brettheim bei Rot am See wurden von SS und Wehrmacht unmittelbar vor Kriegsende erhängt. Sie hatten HJ-Mitgliedern, die weiterkämpfen wollten, die Waffen abgenommen. Celle ? Hauptartikel: Celler Hasenjagd 8. April 1945: Während der Bombardierung des Celler Güterbahnhofs befand sich dort auch ein KZ-Häftlingstransport. Die flüchtenden Überlebenden Page 615
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden verfolgt und von SS-Leuten erschossen, dabei beteiligten sich auch Polizei und Zivilpersonen an diesem Massaker von Celle. Augenzeugen verglichen die Angriffe auf die flüchtenden Häftlinge mit einer „Hasenjagd". Chemnitz 27. März 1945: Chemnitzer Gestapoleute erschossen im Wald bei Neukirchen sieben aus der Haft geflohene Antifaschisten. Deutsch Schützen 29. März 1945: Massaker von Deutsch Schützen Dortmund - 9. Februar 1945: Eine Verhaftungswelle begann; vom 7. März 1945 bis zum 12. April 1945 fanden Exekutionen im Rombergpark und in der Bittermark statt. - 16. März 1945: Das Arbeitserziehungslager auf dem Gelände des Hörder Bergwerks- und Hütten-Vereins (oder der Union, AG für Bergbau, Eisen- und Stahl-Industrie) wurde aufgelöst. Die Gefangenen wurden nach Bergen-Belsen gebracht, einige wurden in der Bittermark erschossen.¹° - 12. April 1945: Letzte Exekution in Dortmund am Eisenbahngelände beim evangelischen Friedhof Hörde. Bis Kriegsende starben tausende Kriegsgefangene im Stalag VI D, Westfalenhalle. Sie wurden schutzlos den Luftangriffen ausgesetzt. An diese Verbrechen erinnert das Mahnmal Page 616
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bittermark. Düsseldorf - Am 15. April 1945 wurde auf dem Oberbilker Markt der 72-jährige Jude Moritz Sommer von einer Heeresstreife aufgehängt.¹¹ - 16. April 1945: Versuch einiger Düsseldorfer Bürger, darunter der stellvertretende Polizeipräsident Franz Jürgens, die lokalen nationalsozialistischen Autoritäten festzusetzen, um Düsseldorf kampflos den amerikanischen Truppen zu übergeben. Fünf Bürger wurden nach Urteil eines Standgerichts und auf Befehl des Gauleiters Friedrich Karl Florian erschossen. Das Urteil des Standgerichts wurde 1952 vom Bundesgerichtshof bestätigt und erst 1999 infolge des Gesetzes „zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile" aufgehoben. Siehe auch Hauptartikel Aktion Rheinland. Emslandlager und Leer/Ostfr. - Der Gefreite Willi Herold, „der Henker vom Emsland" genannt, wurde von seiner Einheit getrennt und „beförderte" sich selbst zum Hauptmann. Er tötete zwischen dem 11. April und dem 8. Mai 1945 zusammen mit anderen 125 Menschen u. a. im Lager II der Emslandlager und in Leer/Ostfr. Essen - 21. Februar 1945: Die Jüdinnen Klara Adolph und Page 617
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Julie Risse aus Essen wurden verhaftet und am 6. April 1945 im Dortmunder Rombergpark (Bittermark) erschossen. - Montagsloch, 12. März 1945: 35 sowjetische Zwangsarbeiter und möglicherweise noch weitere Personen wurden von der Essener Gestapo ermordet und vergraben. Frankfurt am Main - 24. März 1945: Todesmarsch von etwa 400 Häftlingen des KZ Adlerwerke, ein Außenlager des KZ Natzweiler, nach Buchenwald. Der Zug ging über Hanau, Gelnhausen, Schlüchtern, Neuhof, Eichenzell, Fulda nach Hünfeld. Mit dem Zug wurden sie von Hünfeld nach Buchenwald transportiert. Am 30. März 1945 trafen dort 280 Häftlinge ein. Nach einem weiteren Marsch nach Dachau kamen dort noch nicht einmal 40 Häftlinge aus den Adlerwerken lebend an und wurden später befreit. - 26. März 1945: 82 Frauen aus dem Gefängnis Frankfurt am Main wurden nach Hirzenhain transportiert und dort von der SS erschossen. Freistadt - Am 24. April 1945 wurden die so genannten Sozialistenmorde in Freistadt (Oberösterreich) verübt. Vier Freistädter und ein polnischer Landarbeiter wurden am 24. April vom Volkssturm unter Geheimhaltung festgenommen und noch in der Nacht zum 25. April an der Jaunitzbrücke im Süden der Stadt ermordet. Page 618
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Im Oktober 1944 wurden einige Freistädter der Widerstandsgruppe Neues freies Österreich verhaftet und insgesamt wurden 16 Personen verurteilt, davon 8 zum Tode. Am 1. Mai 1945 wurden sieben Freistädter und ein Linzer in Treffling von einem Volkssturm-Kommando erschossen. Götting - Am 28. April 1945 ermordeten SS-Leute den Pfarrer Josef Grimm und den Lehrer Georg Hangl aus Götting zur Niederschlagung der Freiheitsaktion Bayern. Hagen - 12. April 1945: Die Gestapo erschoss in der Donnerkuhle bei Hagen zwölf Gefangene aus Hagener Gefängnissen, es waren acht deutsche und vier sowjetische Gefangene. Unter den deutschen Häftlingen befanden sich zwei „fahnenflüchtige" Wehrmachtsangehörige, ferner Bürger aus Altena, Düsseldorf, Wermelskirchen und Wuppertal.¹² Hagen-Rummenohl Sterbeckerhammer, 5. April 1945: 118 Zwangsarbeiter des Stalag VI A in Hemer aus Montenegro/Jugoslawien wurden auf Befehl des Gauleiters Albert Hoffmann „abgeführt". Ziel (so die Akten im Lüdenscheider Stadtarchiv) „unbekannt". Später gehörten 107 Jugoslawen, die erst kurz zuvor angekommen waren, zu den Mitte April 1945 von den US-Truppen befreiten rund 23.000 Page 619
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsgefangenen. Wenn es sich um die Häftlinge von Sterbeckerhammer handelte, so ist von mindestens elf auf Befehl Hoffmanns Ermordeten auszugehen. Die von einem Journalisten und damaligen VVN-Funktionär im Stadtarchiv recherchierten Quellen wurden hinsichtlich ihrer Ansprache als Endphasenverbrechen von Fachhistorikern angezweifelt. Hamburg - Bullenhuser Damm, Rothenburgsort: Am 20. April 1945 töteten SS-Männer in der Schule Bullenhuser Damm 20 jüdische Kinder, die von NS-Ärzten zu grausamen Tuberkulose-Versuchen missbraucht worden waren. - 21./23. April 1945: Bei einem Verbrechen der Endphase im KZ Neuengamme wurden 13 Frauen und 58 Männer aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in das KZ Neuengamme gebracht und von der SS auf Befehl der Gestapo ermordet. Es waren vornehmlich Menschen aus dem Widerstand, die in sogenannter Schutzhaft saßen und gegen die keine Anklage erhoben worden war. Unter ihnen waren die Angehörigen der Weißen Rose Margarete Mrosek und Kurt Ledien, elf Mitglieder der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, die Schauspielerin Hanne Mertens, sechs Mitglieder der Widerstandsgruppe Kampf dem Faschismus, darunter Rudolf, Annemarie und Carl-Rudolf Ladewig, sowie zwei Mitglieder der tschechischen Gruppe Svornost. Hannover Page 620
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Am 6. April 1945 befanden sich etwa 850 Häftlinge im KZ-Außenlager Hannover-Ahlem. Die SS trieb 600 Häftlinge in einem Todesmarsch in das KZ Bergen-Belsen. Rund 250 nicht marschfähige Häftlinge blieben zurück. Auf dem Marsch wurden mehrere Häftlinge erschossen. Am 8. April erreichten die überlebenden Häftlinge Bergen-Belsen. Am 6. April 1945 trafen in Fuhrberg drei „Todesmärsche" aus KZ-Außenstellen Hannovers ein. Die entkräfteten Gefangenen „übernachteten" in Fuhrberg in mehreren Scheunen und wurden am nächsten Tag zum Konzentrationslager Bergen-Belsen weitergetrieben.¹³ ¹4 ¹5 Angehörige der Gestapo-Dienststelle in der früheren Israelitischen Gartenbauschule Ahlem trieben vorwiegend sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auf den Seelhorster Friedhof in Hannover und töteten 154 Menschen. Am 10. April 1945 erreichten amerikanische Truppen Ahlem und befreiten die verbliebenen Häftlinge. Am 2. Mai 1945 wurden „belastete Nazis" von der US-Armee gezwungen, das Massengrab in Seelhorst auszuheben: 526 Leichen wurden entdeckt. 386 wurden in einem Trauerzug zum Maschsee gefahren und am Nordufer bestattet. Hemer 10./11. April 1945: Acht Gefangene wurden in Hemer von der Dortmunder Gestapo, die sich nach Hemer abgesetzt hatte, erschossen. Page 621
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Herne Ende März 1945: Verbringung von Gefangenen nach Dortmund. Dort erfolgte vermutlich ihre Exekution im Rombergpark. Herten 29. März 1945: Acht sowjetische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden im Hertener Wald von der SS erschossen und in einem Bombentrichter verscharrt. Gauleiter Albert Hoffmann soll dafür verantwortlich sein. Hessentaler Todesmarsch 5. April 1945: Evakuierungsmarsch (Hessentaler Todesmarsch) von Häftlingen der Konzentrationslager Hessental und Kochendorf. Hildesheim Am 26. und 27. März 1945 wurden ca. 30 bis 50 ausländische Zwangsarbeiter auf dem Hildesheimer Marktplatz erhängt, darunter zum größten Teil italienische Zwangsarbeiter. Weiterhin wurden zwischen dem 4. und 6. April 1945, kurz vor der Befreiung der Stadt durch die US-Armee am 7. April 1945, alle Gefangenen des Polizei-Ersatzgefängnisses auf dem Nordfriedhof durch die Hildesheimer Gestapo hingerichtet. Insgesamt wurden in Hildesheim in den letzten Kriegstagen 209 Menschen ermordet.¹6 ¹7 Hirzenhain Page 622
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 23. März 1945: 49 Frauen wurden aus dem Arbeitserziehungslager Frankfurt-Heddernheim zur Außenstelle nach Hirzenhain transportiert. Während des Transports flohen fünf Frauen. Die verbliebenen 44 wurden mit 37 weiteren Frauen und sechs Häftlingen aus dem Lager am 26. März 1945 durch die SS erschossen. Isenschnibbe bei Gardelegen April 1945: Massaker in einer Scheune bei Isenschnibbe bei Gardelegen. 1016 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, darunter 63 jüdische Häftlinge, wurden dabei ermordet. 24 Stunden vor der Befreiung durch die US Army wurden die Häftlinge am Ende eines Todesmarsches in eine steinerne Scheune eingepfercht. Die SS-Wachmannschaften steckten diese anschließend in Brand. Bei einem ersten Versuch konnten die Gefangen das Feuer austreten, doch beim zweiten Versuch wurden alle, die zu entkommen versuchten, mit Maschinengewehren erschossen. Zusätzlich warf man Handgranaten in die Scheune.¹8 Iserlohn Mitte Februar 1945: Verhaftungen französischer Zwangsarbeiter in Iserlohn, Exekution im Rombergpark/Bittermark. Jasenovac 22. April 1945: Während eines Ausbruchsversuchs aus dem KZ Jasenovac südöstlich von Zagreb wurden 520 Menschen Page 623
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt getötet. Die übrigen der ca. 1050 Gefangengehaltenen wurden ermordet, kurz bevor Partisanen das Lager am 5. Mai befreien und auflösen konnten. Kassel Karfreitag 1945: Es wurden zwölf Gefangene des Zuchthauses Kassel-Wehlheiden, unter ihnen ein Wehrmachtsdeserteur, von der Gestapo liquidiert. Am Tag zuvor ermordeten Gestapo und Polizei italienische Zwangsarbeiter, die sich am Bahnhof Wilhelmshöhe mit Lebensmitteln aus einem bombardierten Güterzug versorgt hatten. Köln - 30. Januar 1945: An diesem Tag berichtet die Gestapo aus Köln, sie habe 500 Personen, darunter 220 Deutsche, verhaftet. Von Januar bis März 1945 wurden in Köln 1800 in- und ausländische Widerstandskämpfer ermordet. Koselitz 17. April 1945: Ungefähr 180 Zwangsarbeiter aus dem KZ Flossenbürg, welche im Außenlager Gröditz eingesetzt waren, wurden nahe der sächsischen Gemeinde Koselitz zusammengeschossen und verscharrt. Krems an der Donau 6. April 1945, Massaker in der Strafanstalt Stein: Der Leiter der Strafanstalt Stein an der Donau, Franz Kodré, Onkel des Ritterkreuzträgers Page 624
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Heinrich Kodré, verfügt die Freilassung der Gefangenen. Waffen-SS, Wehrmacht, Polizei und Volkssturm erschossen unter dem Vorwand, eine Revolte niederzuschlagen, in der Anstalt selbst 229 Menschen.¹? Rund um Krems beginnt eine regelrechte Jagd auf entkommene Häftlinge, die als Kremser Hasenjagd bezeichnet wird.²° Allein in Hadersdorf wurden am 7. April 61 Häftlinge von der Waffen-SS ermordet. Leipzig - 12. April 1945: 53 deutsche und ausländische Häftlinge aus zwei Leipziger Gefängnissen wurden am Stadtrand ermordet. - 13. April 1945: 32 deutsche, französische, österreichische und tschechoslowakische Polizeihäftlinge wurden in einer Leipziger Wehrmachtskaserne ermordet. - 18. April 1945: Mindestens 80 Häftlinge des KZ-Außenlagers Leipzig-Thekla wurden beim Massaker von Abtnaundorf erschossen oder bei lebendigem Leib verbrannt. Lippstadt - 17. Dezember 1944: Verhaftungen in Lippstadt; drei Tage später Verbringung der Gefangenen nach Herne, von dort Ende März 1945 nach Dortmund zur Exekution im Rombergpark/Bittermark. Lüdenscheid - 4. Februar 1945: Exekution von mindestens 14 sowjetischen Page 625
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gestapo-Häftlingen im Arbeitserziehungslager Hunswinkel bei Lüdenscheid. Die Lüdenscheider Bürger Paul Anton Weber und Alex Usseler wurden nach Dortmund gebracht und dort im März/April 1945 ermordet. - 9. April 1945: Exekution der drei deutschen Soldaten Alex Kamp, Fritz Gass, Heini Wiegmann, denen Fahnenflucht vorgeworfen wurde, in Lüdenscheid. Ihre Leichen wurden zur „Abschreckung" öffentlich zur Schau gestellt. Noch eine halbe Stunde vor Einmarsch der US-Truppen tötete ein Zahlmeister der Wehrmacht den als Gegner des NS-Regimes bekannten Friseur Hermann Massalsky, weil er Soldaten zur Desertion aufgefordert hatte. Lüneburg In den Tagen vom 7. bis 11. April 1945 kamen 256 KZ-Häftlinge in Lüneburg ums Leben. Sie kamen aus einem KZ-Außenlager in Wilhelmshaven und waren auf dem Weg nach Neuengamme. Die Häftlinge waren größtenteils antifaschistische Widerstandskämpfer der französischen Résistance. Ein Teil der Häftlinge starb am 7. April 1945 bei einem Bombenangriff auf den Lüneburger Bahnhof zusammengepfercht in Viehwaggons oder wurde in den Tagen danach durch Marinesoldaten und einen SS-Mann erschossen. Allein am 11. April 1945 fielen 60 bis 80 Männer einer Hinrichtung zum Opfer. Geflohene Häftlinge wurden von Polizei und einigen Lüneburger Bürgern gejagt und wieder gefasst und so einige Tage vor Kriegsende noch ermordet. Page 626
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Toten wurden später in einem Waldstück bestattet, wo das Mahnmal im Tiergarten die Toten ehrt und die Geschichte dieses Verbrechens wachhält. Meinerzhagen 29. März 1945 (Gründonnerstag): Verhaftungen in Meinerzhagen; die Opfer (acht Mitglieder der Meinerzhagener antifaschistischen Widerstandsgruppe, Arbeiter bei der Fa. Otto Fuchs des Wehrwirtschaftsführers Hans Joachim Fuchs) wurden später in Dortmund ermordet. „Mühlviertler Hasenjagd" ? Hauptartikel: Mühlviertler Hasenjagd 1./2. Februar 1945: Ungefähr 500 Häftlinge unternahmen einen Fluchtversuch aus dem Todesblock 20 des KZs Mauthausen. Nur 150 von ihnen gelang vorerst die Flucht. Alle, die nicht in die Wälder entkommen konnten, und 75 im Block zurückgebliebene Kranke wurden in derselben Nacht noch exekutiert. Der Großteil der Flüchtigen wurde aufgegriffen und meist an Ort und Stelle erschossen oder erschlagen. Nur elf Geflohene überlebten.²¹ München 29. April 1945: Im Perlacher Forst wurden etwa 150 Gestapohäftlinge von ihren Bewachern ermordet. Neuss Anfang Mai 1945: Der Neusser Bürger Heinrich Page 627
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Glasmacher, Maat auf dem Minensucher „M 612", wurde mit zehn weiteren jungen Matrosen in Sønderborg/Dänemark auf Anweisung der Marineleitung erschossen. Unter Führung von Glasmacher hatten die Matrosen das Auslaufen des Schiffes verhindert, um den Kampf nicht weiter fortzusetzen. Nierstein (Kornsandverbrechen) 21. März 1945: Auf dem Nierstein gegenüberliegenden Rheinufer , dem Kornsand, wurden Georg Eberhardt, Cerry Eller, Johann Eller, Nikolaus Lerch, Jakob Schuch (alle Nierstein) und Rudolf Gruber (Oppenheim) von NS Aktivisten ermordet, die aus Nierstein vor den anrückenden amerikanischen Truppen auf die andere Rheinseite geflüchtet waren. Vor der Hinrichtung wurden mehrere Opfer grausam misshandelt. Die Opfer wurden erschossen, als die amerikanischen Panzer die Weinberge von Nierstein und Oppenheim zum Rhein hinunterrollten. Ohrdruf 30. Januar 1945: Eintausend Zwangsarbeiter wurden nach Bergen-Belsen transportiert, unzählige starben bei der Räumung des Außenkommando Ohrdruf S III vom KZ Buchenwald. Die Zwangsarbeiter hatten seit November 1944 ein unterirdisches Hauptquartier für Adolf Hitler gebaut. Die Spuren der Gräueltaten versuchte man durch gezielte Brände zu beseitigen. Page 628
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Oschatz In der Nacht zum 1. Mai 1945 wurden im Dorf Ganzig nahe Oschatz zehn polnische und ukrainische Zwangsarbeiter von einer Wehrmachtseinheit erschossen. Palmnicken in Ostpreußen 31. Januar 1945: Ermordung mehrerer Tausend weiblicher KZ-Gefangener an der Bernsteinküste in Palmnicken durch ihre Wärter. War der erste Plan, die Frauen lebendig in einen Stollen einzugraben, an örtlichem Widerstand gescheitert, so jagte die SS die Gefangenen Ende Januar 1945 auf das brüchige Ostsee-Eis und erschoss sie dort. Sehr wenige (ca. 15) Überlebende, keine Sühne für die Täter. Das Verbrechen wurde nach 1994 öffentlich bekannt, Zeitzeugen hatten bis dahin geschwiegen.²² Penzberg Ende April 1945: Angesichts der bevorstehenden Verwüstung der oberbayerischen Bergwerksstadt Penzberg übernahmen Antifaschisten im Zusammenhang mit der „Freiheitsaktion Bayern" gewaltsam die Verwaltung, um die Stadt kampflos zu übergeben. Wehrmacht, SS und „Werwölfe" gingen gegen die Antifaschisten vor und ermordeten 16 Bürger. Das Verbrechen wurde als Penzberger Mordnacht bekannt. Plettenberg Page 629
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Anfang März 1945: Zwei Arbeiter aus Plettenberg wurden verhaftet, nach Dortmund gebracht und dort exekutiert. Ratingen 6. April 1945: Elf Personen wurden im Kalkumer Wald bei Ratingen von Düsseldorfer Gestapobeamten erschossen. Die Opfer, zehn Männer und eine Frau, stammten - soweit bekannt - aus der Sowjetunion und den Niederlanden. Sechs Opfer sind namentlich bekannt. Bei ihnen handelte es sich um Zwangsarbeiter. Kriminalkommissar Dr. Victor Harnischfeger war der Exekutionsleiter. Harnischfeger wurde 1947 vom britischen Militärgerichtshof Hamburg zunächst freigesprochen, 1948 wegen anderer Morde zum Tode verurteilt, auf lebenslänglich begnadigt und 1952 amnestiert; später wurde er leitender Kriminalkommissar in einer deutschen Großstadt.²³ Rechnitz 24./25. März 1945: Beim Massaker von Rechnitz im österreichischen Burgenland wurden ungefähr 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in der Nähe des sogenannten Kreuzstadls ermordet. Regensburg Am 22. April 1945 forderte Gauleiter (Gau Bayreuth) und Reichsverteidigungskommissar Ludwig Ruckdeschel in einer fanatischen Rede bzw. Rundfunkansprache im Velodrom die Page 630
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verteidigung der Stadt bis zum letzten Stein. Regensburg war 1944 zur „Festung" erklärt worden. Als amerikanische Truppen anrückten, wollte Domprediger Johann Maier der Stadt und den Bewohnern einen aussichtslosen Kampf mit vielen Toten ersparen. Daher erbat er am 23. April 1945 auf einer Kundgebung die kampflose Übergabe Regensburgs an die Amerikaner. Maier wurde sofort verhaftet und noch am gleichen Abend in einem Scheinverfahren, als Standgericht bezeichnet, wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung zum Tode durch den Strang verurteilt. Am folgenden Tag wurde er zusammen mit dem Regensburger Bürger Josef Zirkl und dem pensionierten Gendarmeriebeamten Michael Lottner auf dem Moltkeplatz (heute Dachauplatz) öffentlich gehängt; um den Hals trug er ein Pappschild mit der Aufschrift „Ich bin ein Saboteur". An der Hinrichtungsstelle am Dachauplatz wurde ein Mahnmal errichtet und Maiers Gebeine 2005 in den Regensburger Dom überführt. In der Nacht des 26. April verließen der Kampfkommandant der Wehrmachteinheiten und der NSDAP-Kreisleiter Wolfgang Weigert Regensburg in Richtung Süden. Am 27. April leitete Major Othmar Matzke in Absprache mit Oberbürgermeister Otto Schottenheim die kampflose Übergabe Stadt Regensburg an die 3. US-Armee in die Wege. Rinteln 5. April 1945: Friedrich-Wilhelm Ande, der sich während der Kämpfe um Page 631
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rinteln beim deutschen Kampfkommandanten der Stadt für die Freilassung zweier festgesetzter amerikanischer Parlamentäre einsetzte, die von der 5th Armoured Division der US-Army zu Übergabeverhandlungen nach Rinteln gesandt worden waren, wurde von anwesenden höheren NS-Parteifunktionären und SS-Offizieren wegen „Feigheit vor dem Feind" verhaftet und später erschossen in Garbsen in der Nähe von Hannover aufgefunden. Römhild Beim Arbeitserziehungslager Römhild[Anm. 1] wurden kurz vor Kriegsende 25 bis 92²4 marschunfähige Häftlinge in einer Sandhöhle am Osthang des Großen Gleichbergs erschossen. Anschließend wurde der Höhleneingang gesprengt.²5 Ende Januar 1947 wurde das Massengrab gefunden. Sandbostel In den letzten Kriegswochen bis April 1945: 3000 Insassen des KZ Neuengamme wurden in das Strafgefangenen- und KZ-Auffanglager Sandbostel, nordöstlich von Bremen, gebracht und kamen dort ums Leben. Siehe auch: Gedenkmarsch Farge–Sandbostel Schwerin Am 2. Mai 1945 wurde in Schwerin, eine Stunde vor dem Einmarsch der US-Truppen, Marianne Grunthal von SS-Männern auf dem Bahnhofsvorplatz gehängt. Sie hatte sich positiv über Hitlers Tod und den nahenden Frieden Page 632
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt geäußert. Schwetig 31. Januar 1945: Die Häftlinge des Gestapo-Arbeitserziehungslagers „Oderblick" wurden mit dem Ziel KZ Sachsenhausen deportiert und auf Transport, d. h. Todesmarsch geschickt. Etwa 70 kranke Häftlinge wurden in die Krankenbaracke eingeschlossen und verbrannt. Danach wurden auch alle anderen Baracken niedergebrannt. Siegen-Wittgenstein - Am 3. April 1945 wurde in Klafeld Ignatz Bruck wegen Hissens einer weißen Fahne von Volkssturmangehörigen festgenommen, misshandelt und öffentlich erschossen, nachdem die Täter zunächst erfolglos versucht hatten, ihn zu erhängen. - Im April 1945 wurden in Eiserfeld drei Zwangsarbeiter, die angeblich versuchten, zu den herannahenden US-Truppen überzulaufen, durch Genickschuss hingerichtet. Weitere Tötungen von Zwangsarbeitskräften in der Endphase sind überliefert aus Aue, dem Raum Berleburg, aus Erndtebrück, Feudingen, Netphen, Niederschelden, Siegen, Steinbach, Weidenau, Womelsdorf. Täter waren Angehörige der Gestapo, der SS und der Wehrmacht.²6 Sonnenburg 31. Januar 1945: Mehr als 810 Häftlinge des Zuchthauses Sonnenburg wurden Page 633
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ermordet. Sprockhövel Im Waldgebiet Hilgenpütt an der Stadtgrenze zu Wuppertal wurden zwei Tage vor Einmarsch der Amerikaner in einem heute zugeschütteten Steinbruch zwei bislang unbekannte fahnenflüchtige deutsche Soldaten von der Feldgendarmerie erschossen und liegengelassen.²7 St. Oswald in Freiland Auf dem Gelände des Arbeitsdienst-Lagers in St. Oswald wurden am 1. April 1945 fünf gefangengenommene Partisanen auf Geheiß des Kreisleiters von Deutschlandsberg nach einem Verhör erschossen, einer von ihnen war vorher noch trotz schwerer Verletzungen hilflos liegengelassen worden.²8 ²? Die Tat wurde im Grazer Partisanenmordprozess behandelt. St. Pölten Am 13. April 1945 wurden knapp zwei Tage vor Einmarsch der Roten Armee 13 Mitglieder der Widerstandsgruppe Kirchl-Trauttmansdorff ohne fairen Prozess zum Tode verurteilt und noch am selben Tag erschossen. Stukenbrock 31. März 1945 (Ostermontag): Das Stalag 326 Stukenbrock wurde von den Deutschen geräumt. Vorher wurden Teile der Lagerbelegschaft nach Osten verlegt. Page 634
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Treuenbrietzen ? Hauptartikel: Massaker von Treuenbrietzen 23. April 1945: 131 italienische Militärinternierte, die als Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik in Treuenbrietzen arbeiten mussten, wurden von Wehrmachtsangehörigen in ein nahegelegenes Waldstück getrieben, wo sie bis auf vier Überlebende erschossen wurden. Warstein, Langenbachtal, Eversberg ? Hauptartikel: Massaker im Arnsberger Wald 20.–22. März 1945: 57 ausländische Zwangsarbeiter aus dem Lager in Warstein wurden auf Befehl des SS-Generals Hans Kammler am 20. März erschossen. Am nächsten Tag wurden 71 Arbeiter aus dem Lager Sauerlandhalle geholt und erschossen. Am 22. März wurden 80 Ausländer aus demselben Lager abgeholt und bei Eversberg ermordet. Anschließend wurde die Sauerlandhalle von der SS angezündet. Französischen Arbeitern gelingt es, tausende eingeschlossene Russen aus der Halle zu befreien. Kammler hatte nach einer Reise nach Berlin verkündet: „Das Fremdarbeiterproblem wurde für die deutsche Bevölkerung existenzbedrohend. Wir müssen jetzt Vergeltung üben. Wir müssen die Zahl der Fremdarbeiter dezimieren." Wedel Frühjahr 1945: Zehn Männer aus dem niederländischen Putten kommen im Page 635
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Außenlager Wedel des KZ Neuengamme ums Leben. Am 2. Oktober 1944 hatten SS und Wehrmacht in Putten eine „Vergeltungsaktion" durchgeführt: 661 Männer wurden aus dem zuvor zerstörten Dorf bei Amersfoort entführt, nur 49 überlebten die Deportation, alle anderen wurden in Deutschland ermordet, darunter viele im KZ Neuengamme. Weimar 5. April 1945: Gestapobeamte brachten 149 Insassen des Polizeigefängnisses in Weimar um. Unter dem Kommando von Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer Hans-Helmut Wolff betrieb die Gestapo die „planmäßige" Auflösung der Dienststelle Weimar. Kriminalkommissar und SS-Obersturmführer Felix Ritter exekutierte zusammen mit zehn weiteren Beamten die Gefangenen, darunter sieben Frauen, und verscharrte sie notdürftig in Bombentrichtern. Danach begab sich die Weimarer Gestapo auf den „geordneten Rückzug" nach Böhmen. Unterwegs erschossen sie noch weitere 13 Menschen, Militär- und Zivilpersonen, geflohene Zwangsarbeiter und Häftlinge. Bei der Exhumierung der Toten konnten im Juli 1945 noch 43 Personen namentlich identifiziert werden. Die Opfer wurden im Juli 1945 eingeäschert und im August 1946 in einem Grabfeld auf dem Weimarer Hauptfriedhof beigesetzt. Der Gedenkstein wurde am 3. August 1963 im Webicht eingeweiht, später versetzte man ihn an die Tiefurter Allee nahe dem Ortseingangsschild Tiefurt. Page 636
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 5. April 1945: Einen Tag nach der Kapitulation Gothas wurde Josef Ritter von Gadolla³° in der Weimarer Mackensen-Kaserne wegen der „Aufgabe des festen Platzes Gotha" zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen. Als seine letzten Worte sind überliefert: „Damit Gotha leben kann, muss ich sterben!" Mit dem Todesurteil wurde von Gadolla ein Opfer der NS-Militärjustiz. Das Urteil wurde 1997 aufgehoben und er damit rehabilitiert.³¹ Wenzelnbergschlucht in Langenfeld 13. April 1945: 71 Gefangene wurden drei Tage vor dem Einmarsch der Alliierten auf Befehl von SS-Obergruppenführer Karl Gutenberger und Generalfeldmarschall Walter Model, unterstützt vom Wuppertaler Gestapochef Josef Hufenstruhl, in der Wenzelnbergschlucht in den Sandbergen im zu Langenfeld (Rheinland) gehörenden Wiescheid an der Stadtgrenze zu Solingen umgebracht. Die Täter: Ein Kommando aus Solinger und Wuppertaler Gestapoleuten und Kripobeamten. 60 Ermordete kamen aus dem Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen. (Direktor Dr. Karl Engelhardt versuchte, entgegen den Anweisungen eine möglichst geringe Zahl von Menschen zu benennen. Aus eigenen Antrieb wählte er statt politischer Gefangene ersatzweise mehrheitlich schwere unpolitische Straftäter aus und gab sie gegenüber der Gestapo als politische Gefangene aus,³² vier aus dem Gefängnis Page 637
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wuppertal-Bendahl, vier Zwangsarbeiter aus dem Polizeigefängnis Ronsdorf, drei waren Unbekannte.) Wuppertal Ende Februar/Anfang März 1945: Auf dem Burggrafenberg im Staatsforst Burgholz auf einer Lichtung nahe dem Schießstand der Wuppertaler Polizei wurden unter Beihilfe der Wuppertaler Kriminalpolizei sechs Frauen und 24 Männer von der Gestapo erschossen. Es handelte sich um Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. Die Namen der Erschossenen blieben unbekannt, mit Ausnahme von Helena Matrosova, einer ukrainischen Lehrerin. Literatur - Sven Keller: Volksgemeinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944/45. Oldenbourg, München 2013, ISBN 978-3-486-72570-4. - Gerhard Paul: „Diese Erschießungen haben mich innerlich gar nicht mehr berührt". Die Kriegsendphasenverbrechen der Gestapo 1944/45. In: Gerhard Paul, Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront" und besetztes Europa. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, ISBN 3-89678-188-X. - Sven Keller: Verbrechen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges – Überlegungen zu Abgrenzung, Methodik und Quellenkritik. In: Cord Arendes, Edgar Wolfrum, Jörg Zedler (Hrsg.): Terror nach Innen. Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkrieges. (= Dachauer Symposien Page 638
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt zur Zeitgeschichte. Band 6). Wallstein, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0046-6. - Edgar Wolfrum: Widerstand in den letzten Kriegsmonaten und Endphasenverbrechen. In: Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933–1945. Lukas, Berlin 2004, ISBN 3-936872-37-6. - Ulrich Sander: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende. Papyrossa Verlagsgesellschaft, Köln 2008, ISBN 978-3-89438-388-6. - Daniel Blatman: Die Todesmärsche 1944/45. Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords. Aus dem Französischen v. Markus Lemke. Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 978-3-498-02127-6. + Rezension: Jan Friedmann: Jagd an der Heimatfront. In: Der Spiegel. 2, 10. Jan. 2011, S. 29f. (mit 1 Abb. aus Neunburg vorm Wald) - Ian Kershaw: Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944–1945. DVA, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-421-05807-2. (auch: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2011, ISBN 978-3-8389-0194-7) (Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung 2012) Einzelnachweise [1] Sven Keller: Volksgemeinschaft am Ende. München 2013, ISBN 978-3-486-72570-4, S. 5f. [2] Mark Mazower: Militärische Gewalt und nationalsozialistische Werte – Die Wehrmacht in Griechenland 1941 bis 1944. Page 639
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hamburg 1995, S. 172. [3] Kontrollratsgesetz Nr.4 [4] Justiz und NS-Verbrechen. Schwerpunkte der Strafverfolgung in Westdeutschland 1945–1997 [5] Gesetz über den Erlaß von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren vom 17. Juli 1954, (RGBl I, S. 204), § 6. [6] Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. dtv 30720, München 2003, ISBN 3-423-30720-X, S. 127. [7] Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. dtv 30720, München 2003, ISBN 3-423-30720-X, S. 128. [8] Die Mordaktionen zwischen dem 22. und 24. April 1945 gedenkstaettenforum.de (PDF; 274 kB) [9] Karl Schippa im Kreuzbergmuseum [10] Ausschuß der Hinterbliebenen und Mitgefangenen der Opfer im Rombergpark (Hrsg.): Katyn im Rombergpark. o. O. o. J. (um 1951); Ulrich Sander: Mord im Rombergpark. Tatsachenbericht. Grafit, Dortmund 1993; Lore Junge: Mit Stacheldraht gefesselt. Die Rombergparkmorde. Opfer und Täter. Bochum 1999. [11] Landeshauptstadt Düsseldorf Stadtbezirk 3 (Hrsg.): 1933-1945. Einzelschicksale und Erlebnisse, Band II, Moritz Sommer, Düsseldorf 1986. [12] Der Hagener Gestapoprozeß 1946/1996. Essen 1996. [13] Rainer Fröbe, Claus Füllberg-Stollberg, Christoph Gutmann, Rolf Keller, Herbert Obenaus, Hans Herrmann Page 640
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schröder: Konzentrationslager in Hannover: KZ-Arbeit und Rüstungsindustrie in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs. Teil II. Verlag August Lax, Hildesheim 1985, ISBN 3-7848-2422-6, S. 407–647. [14] Todesmärsche auf „Netzwerk Erinnerung + Zukunft in der Region Hannover" [15] Vom Bildungs- und Freizeitzentrum in Hannover-Mühlenberg wurde später jährlich ein Gedenkmarsch über Isernhagen, Burgwedel, Fuhrberg, Wietze und Winsen/A. zur katholischen Sühnekirche vom Kostbaren Blute in Bergen durchgeführt. Der Gedenkmarsch von Hannover nach Bergen-Belsen fand erstmals vom 12. bis 14. April 1985 statt und endete mit einer Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen KZs, siehe Frankfurter Rundschau vom 15. April 1985 und Antifaschistische Rundschau vom März 1985. [16] Markus Roloff: Nur Plünderer mußten sterben? Die Massenhinrichtungen der Hildesheimer Gestapo in der Endphase des Zweiten Weltkrieges. In: Hildesheimer Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim. Band 69, 1997, S. 183–220. [17] Vernetztes-Erinnern-Hildesheim: Die Massenhinrichtungen der Hildesheimer Gestapo. [18] Gardelegen-Lexikon: Gardelegen Isenschnibbe-Feldscheune (Memento vom 4. August 2012 im Webarchiv archive.is), abgerufen am 14. Juni 2010. [19] Stein, 6. April 1945. Das Urteil des Volksgerichts Wien (August 1946) gegen die Verantwortlichen des Massakers im Page 641
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zuchthaus Stein – Eine Veröffentlichung des Bundesministeriums für Justiz, hrsg. von Gerhard Jagschitz und Wolfgang Neugebauer, Wien 1995, ISBN 3-901142-24-X. [20] Der Dokumentarfilm Kremser Hasenjagd von Gerhard Pazderka und Robert Streibel befasst sich mit diesem Endphaseverbrechen; Die Kremser Hasenjagd www.kremser-hasenjagd.at [21] Alphons Matt: Einer aus dem Dunkel. Die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch den Bankbeamten H. Zürich 1988; Thomas Karny: Die Hatz. Bilder zur Mühlviertler „Hasenjagd". Grünbach, 1992; Walter Kohl: Auch auf dich wartet eine Mutter. Die Familie Langthaler inmitten der „Mühlviertler Hasenjagd". Grünbach, 2005; Linda DeMeritt: Representations of History. The Mühlviertler Hasenjagd as Word and Image. In: Modern Austrian Literature. Nr. 32.4, 1999, S. 134–145. [22] Leonberger Kreis-Zeitung (Memento vom 8. Dezember 2012 im Internet Archive). Lit. im Lemma Jantary [23] Stadtarchiv Ratingen (Hrsg.): Menschen wie wir. Mahnmal für die im Kalkumer Wald ermordeten Zwangsarbeiter. Ratingen 2000; Erika Münster-Schröer: Frühjahr 1945: Exekutionen im Kalkumer Wald und anderswo. Die Ermittlungen der britischen War Crimes Group im Wehrkreis VI – Raum Düsseldorf. In: Ratinger Forum. Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte.. In: Heft. 6, 1999, S. 145–184; Erik Kleine Vennekate: 1945 – Luftangriff, Mord und Einmarsch. Die letzten Wochen des Page 642
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zweiten Weltkriegs in Ratingen. In: Romerike Berge. Zeitschrift für das Bergische Land. Heft 2/2015, S. 29–36. [24] Gert Stoi: Das Arbeitslager Römhild 1943–1945 Dokumentation eines Verbrechens. Salier Verlag, Leipzig und Hildburghausen 2010, ISBN 978-3-939611-41-7, S. 93. [25] Gert Stoi: Das Arbeitslager Römhild 1943–1945 Dokumentation eines Verbrechens. Salier Verlag, Leipzig/ Hildburghausen 2010, ISBN 978-3-939611-41-7, S. 101. [26] Siegerland: Hans Klappert: An der Bunkermauer erschossen. Nadja Potemkinas Weg nach Siegen ohne Wiederkehr. In: Siegener Zeitung. 12. März 1994; Ulrich Opfermann: HeimatFremde. „Ausländereinsatz" im Siegerland, 1939 bis 1945: wie er ablief und was ihm vorausging. Siegen 1991, S. 106–110; Dieter Pfau (Hrsg.): Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005. Bielefeld 2005, S. 147–158. Wittgenstein: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, NW 1.091–17.390 (Hugo Feige), Aussage Hugo Feige, 16. August 1948; Ernst Born: Kriegsereignisse in Aue im Zweiten Weltkrieg. In: Albert Hof: Aue-Wingeshausen, am Südrand des Rothaargebirges. Wingeshausen 1995, S. 598?f; Heinz Strickhausen: Eine Kleinstadt am Rande des Krieges. 1945–1949. Bad Berleburg 1999, S. 167 f., 346; Wilhelm Völkel: Vom Kriegsgeschehen im Wittgensteiner Land. In: Krieg und Elend im Siegerland. Siegen 1981, S. 189–230, vor allem S. 197 , 206; Edgar Dietrich: Als die Bomben vom Himmel fielen. Erndtebrück Page 643
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1995; Heinz Strickhausen: Berleburg. Eine Kleinstadt in der Nachkriegszeit. Bad Berleburg 2002, S. 479. [27] Stad(t)tplan Sprockhövel im Nationalsozialismus 1933–1945, Herausgeber: Arbeitskreis Antifaschismus Ennepe-Ruhr und Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN /Bund der Antifaschisten Kreisverband Ennepe-Ruhr unter Mitarbeit des Stadtarchivs Sprockhövel. Onlineversion (PDF; 201 kB) [28] Martin F. Polaschek: Im Namen der Republik Österreich! Die Volksgerichte in der Steiermark 1945 bis 1955. (= Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchivs. Band 23). Graz 1998, ISBN 3-901938-01-X, S. 160. (PDF; 996 kB) [29] Christian Fleck: Koralmpartisanen - Über abweichende Karrieren politisch motivierter Widerstandskämpfer. (= Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft, Materialien zur Historischen Sozialwissenschaft. Band 4). Verlag Böhlau, Wien/ Köln 1986, ISBN 3-205-07078-X, S. 162, S. 306. [30] Bericht und Bild auf gotha.de [31] Richter heben NS-Urteil auf. In: Die Welt. 21. Januar 1998, abgerufen am 19. August 2014. [32] Dieter Nelles, Fritz Beinersdorf: Die Morde in der Wenzelnbergschlucht am 13. April 1945. Anmerkungen [1] Eine Außenstelle in Poppenhausen (Hellingen) wird von Gert Stoi: Das Arbeitslager Römhild 1943–1945 Dokumentation Page 644
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eines Verbrechens nicht erwähnt. Todesmärsche von KZ-Häftlingen Als Todesmärsche von KZ-Häftlingen (teils auch euphemistisch Evakuierungsmärsche genannt) werden verschiedene „Räumungsaktionen" der SS-Wachmannschaften in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Dabei löste die SS ab 1944 frontnahe Konzentrationslager, so auch z. B. das berüchtigte Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, auf und zwang die meisten KZ-Häftlinge zum Abmarsch in Richtung Reichsmitte oder sperrte sie als Passagiere zum Abtransport in Eisenbahnwagen ein. Sehr oft wurden nicht marschfähige Häftlinge in großer Zahl erschossen. Viele Lagerteile wurden von der SS in Brand gesetzt. Zahlreiche KZ-Häftlinge überlebten die tage- und wochenlang dauernden Märsche bzw. Transporte nicht: Sie erfroren, verhungerten oder brachen geschwächt zusammen und wurden dann von den SS-Wachmannschaften erschossen. Einzelne Züge gerieten zufällig unter Beschuss durch im Bodenkampf eingesetzte Kampfflieger der alliierten Truppen, andere blieben unversorgt auf Ausweichstrecken liegen; manche Todesmärsche endeten mit einer Katastrophe wie in Zusammenhang mit der Versenkung der Cap Arcona oder in einem Massaker wie bei der Isenschnibber Feldscheune. Begriff Page 645
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Bezeichnung „Todesmarsch" wurde im Nachhinein von Opfern geprägt und ist in der wissenschaftlichen Literatur ein geläufiger Begriff geworden. Das Standardwerk Enzyklopädie des Nationalsozialismus definiert Todesmarsch als ein „Phänomen im Dritten Reich, v. a. gegen Ende des Krieges, als die Häftlinge etlicher KZ evakuiert, d. h. in großer Zahl gezwungen wurden, unter unerträglichen Bedingungen und brutalen Misshandlungen über weite Entfernungen zu marschieren, wobei ein großer Teil von ihnen von den Begleitmannschaften ermordet wurde."¹ Bei einigen Märschen schloss sich für die Überlebenden ein Weitertransport in Zügen an. Manchmal wurden die Häftlinge bei der Räumung von Lagern auch von Lastwagen abgeholt oder unmittelbar in Eisenbahnwagen verfrachtet. Auch diese Transporte, die gleichfalls tagelang dauerten, unter widrigen Umständen stattfanden und zahlreiche Todesopfer forderten, werden oft als Todesmärsche bezeichnet. Im Zusammenhang mit der Auflösung der Konzentrationslager wird häufig der Ausdruck „Evakuierung" verwendet. Dieser Begriff bezieht sich gemeinhin jedoch auf eine Rettungsmaßnahme, bei der Menschen angesichts drohender Gefahr vorübergehend an einen sicheren Ort gebracht werden. Bei den hier angesprochenen „Evakuierungen" verhinderte die SS die rettende Befreiung durch alliierte Truppen und verursachte mit dem schonungslosen Abtransport Page 646
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt weitere Todesopfer. Daher erscheinen die Begriffe „Räumung" oder „Auflösung" der Lager treffender.² Die Historikerin Katrin Greiser weist darauf hin, dass ‚Evakuierung' keine Tätersprache sei, sondern in Texten von Überlebenden gebräuchlich und durch die deutschsprachige Übersetzung der Nürnberger Prozesse-Protokolle weit verbreitet (evacuation³ ). Ehemalige SS-Angehörige hätten von 'Räumung', 'Rückführung', 'Umquartierung', 'auf Transport schicken' oder 'Bergung von Menschen' gesprochen.4 Bei den meisten Todesmärschen wurden zahlreiche erschöpfte Häftlinge am Wegesrand von den Wachmannschaften erschossen. Besonders diese willkürlichen Tötungen führten zur Bezeichnung Todesmarsch. Diana Gring definiert „Todesmarschverbrechen" als „nichtstationär verübte NS-Gewalttaten in der Kriegsendphase, die im Zusammenhang mit den Räumungen der Konzentrationslager standen und während der Märsche bzw. an den entsprechenden Aufenthalts- und Endpunkten des Routenverlaufs verübt wurden."5 Die Verbrechen in dieser Zeitspanne insgesamt werden als Endphase-Verbrechen (1944/1945) bezeichnet. Systematische vergleichende Analysen liegen erst im Ansatz vor. Als wichtige gemeinsame Merkmale der Todesmärsche stellt Diana Gring heraus: Zufälligkeit des Tatortes, Heterogenität der Tätergruppen und Abtrennung der oberen von der unteren Befehlsebene.6 Katrin Page 647
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Greiser hat herausgearbeitet, dass die Todesmärsche und -transporte als Fortsetzung des Systems der Konzentrationslager zu sehen sind. Dessen grundlegenden Strukturen haben auch in seiner letzten Phase weiterfunktioniert und sich wieder, wie schon mehrfach seit 1933, flexibel angepasst.7 Zeitliche Einordnung Der erzwungene Rückzug der deutschen Truppen führte ab Sommer 1944 dazu, dass die in Frontnähe geratenen Konzentrationslager mit ihren zahlreichen Außenlagern aufgelöst und geräumt wurden. Mit der Räumung der Lager von Auschwitz im Januar 1945 begannen die Todesmärsche der Gefangenen. Beim Herannahen der Roten Armee beziehungsweise der westalliierten Truppen wurden die Häftlinge in Marschkolonnen „evakuiert" oder mit Eisenbahnzügen – oftmals in offenen Güterwagen abtransportiert. Zuletzt wurden vom KZ Neuengamme aus noch Mitte April 1945 mehr als 10.000 Häftlinge von der SS auf einen Marsch gezwungen. Bei der Räumung von Konzentrationslagern lassen sich drei Phasen unterscheiden: In einer ersten Phase zwischen August 1944 und Mitte Januar 1945 wurden die Lager weitgehend geordnet aufgelöst. Meist wurden die Häftlinge der Außenlager im Stammlager zusammengezogen und ein Teil schon Wochen vor der Auflösung des Lagers abtransportiert. Es folgte bis Anfang April 1945 eine Zeitspanne, Page 648
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in der es zu immer hektischeren und kaum vorbereiteten Räumungen kam. Oft ermordete die SS-Wachmannschaft vor dem Aufbruch die „marschunfähigen" Häftlinge wie auch viele meist deutsche politische Funktionshäftlinge, denen man eine Widerstandshandlung zutraute.8 In der letzten Phase kam es zu überstürzten und chaotischen Abmärschen, für die es kaum noch Ausweichlager als Zielorte gab.? Kontroverse Deutungen Der Entscheidungsprozess zur Räumung der Lager lässt sich wegen der lückenhaften Quellenlage nicht rekonstruieren. Ob ein „Führerbefehl" zur „Vernichtung aller Häftlinge samt Wachen", der in den Memoiren von Felix Kersten erwähnt wird, tatsächlich gegeben wurde, ist höchst zweifelhaft; auch angeblich örtlich erteilte entsprechende Vernichtungsbefehle, über die zu fast jedem Konzentrationslager berichtet wird, lassen sich nicht belegen und wurden auch in keinem Konzentrationslager durchgeführt.¹° Möglicherweise gab Heinrich Himmler schon am 17. Juni 1944 einen Befehl aus, die KZ-Häftlinge nicht einfach in die Hände der alliierten Befreier fallen zu lassen. Die höheren SS- und Polizeiführer erhielten die Befugnis, bei unmittelbar bevorstehendem Angriff eine Evakuierung anzuordnen.¹¹ Offenbar verfolgten die Verantwortlichen „eine Politik voller Widersprüche".¹² Himmlers „Judenpolitik" war in Page 649
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt den letzten Kriegsmonaten wechselhaft und inkonsequent.¹³ Himmler selbst versuchte, Kontakte zu den Westalliierten zu knüpfen, und hielt darum jüdische Häftlinge lange in Geiselhaft zurück.¹4 Noch im März 1945 schickte er Oswald Pohl mit dem unmissverständlichen Auftrag in verschiedene Lager, das Massensterben einzudämmen und insbesondere verbliebene jüdische Häftlinge zu verschonen.¹5 Am 15. April 1945 erreichte ein Kurier den Leiter eines „Evakuierungsmarsches" aus Helmbrechts und übermittelte den ausdrücklichen Befehl Himmlers, die Juden nicht zu töten.¹6 Andererseits gab Himmler am 18. April 1945 – oftmals wird fälschlich der 14. April genannt – einen nicht im Original überlieferten Befehl an das KZ Flossenbürg, die Häftlinge unter keinen Umständen lebend der US-Armee zu überlassen, da sich in Buchenwald die befreiten Häftlinge „grauenhaft gegen die Zivilbevölkerung benommen" hätten und eine Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellten.¹7 Dem Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann wird zugeschrieben, er habe KZ-Häftlinge aus der Stadt entfernen lassen, weil er befürchtet habe, dass die Siegermächte beim Anblick halbverhungerter Gefangener eine sofortige strenge Bestrafung angeordnet hätten.¹8 Als „faktisches Geschehen" stellte die Historikerin Karin Orth heraus, dass die SS die KZ-Häftlinge bis zum Schluss in ihrer Gewalt halten wollten: „Zu welchem Zweck auch immer – als Arbeitssklaven, die eine uneinnehmbare Festung Page 650
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt für den 'Endkampf' errichten sollten, als Opfer eines […] apokalyptischen Untergangs, als Geiseln für etwaige Verhandlungen mit den Westmächten oder als Verfügungsmasse für den erwarteten antikommunistischen Neubeginn."¹? Für Daniel Goldhagen stellen die Todesmärsche die bewusste Fortsetzung des Holocaust mit anderen Mitteln und eine planvolle Strategie zur Vernichtung des jüdischen Volkes dar.²° Andere Historiker weisen darauf hin, dass die Mehrzahl der Evakuierten nichtjüdische Häftlinge waren, und führen die zahlreichen Opfer auf das vollständige Chaos der letzten Kriegsmonate und den Zusammenbruch der Versorgung zurück. Der Historiker Eberhard Kolb kommt zum Schluss: Nicht zentrale Anordnungen, sondern „niedrige SS-Chargen haben auf den Todesmärschen über das Schicksal Tausender von Häftlingen entschieden."²¹ Karin Orth stellt als wesentliche Motive für das ungezügelte mörderische Tun der Begleitmannschaft heraus: „Sie töteten, um die eigene Flucht zu beschleunigen – und weil das Leben der KZ-Häftlinge in ihren Augen keinerlei Wert besaß."²² Opfer An vielen Orten, besonders in Ostdeutschland, sind Stellen, an denen Menschen auf Todesmärschen starben, auf den Straßen mit Gedenksteinen markiert. Diese – meist in der unmittelbaren Nachkriegszeit errichteten – Mahnmale geben keinen Hinweis darauf, um welche Menschen es sich jeweils Page 651
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt handelte. Zur Anzahl der auf diesen Todesmärschen zu Tode gekommenen Menschen gibt es nur weit auseinanderliegende Schätzungen. Von den im Dezember 1944 registrierten 714.000 KZ-Häftlingen kamen bis Mai 1945 wahrscheinlich mindestens ein Drittel²³ ²4 ums Leben: Durch erschöpfende Zwangsarbeit, durch Hunger, Kälte und Erschöpfung während der Todesmärsche sowie durch gezielte Tötungen, die sich nicht allein auf geschwächt Zurückbleibende beim Fußmarsch beschränkten, durch Seuchen und Mangelernährung in überfüllten Aufnahmelagern oder als Opfer von Kampfhandlungen. Die Todesopfer wurden, sofern sie nicht sofort verscharrt worden waren, auf Befehl der Siegermächte nach deren Eintreffen auf Friedhöfen der umliegenden Orte bestattet. Diese meist anonymen Gräber tragen oft Tafeln oder Kreuze mit der Inschrift „Opfer des Nationalsozialismus". Meist fehlt jeglicher Hinweis auf den Grund des Todes und den genauen Todesort. Einzelne Märsche - Am 10. April 1945 aus KZ Börgermoor und KZ Esterwegen. Etwa 1.100 Häftlinge mussten nach Collinghorst marschieren, die Überlebenden erreichten am 11. April 1945 das Emslandlager Aschendorfermoor - Von Celle nach Bergen-Belsen, sogenannte Celler Hasenjagd - Am 23. April 1945 wurde das KZ-Außenlager Page 652
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Colosseum in Regensburg mit ca. 400 Personen aufgelöst. Schätzungen zufolge überlebten ca. 50 Personen. Sie wurden am 2. Mai in Laufen (Salzach) befreit. - Vom KZ Hannover-Stöcken nach Gardelegen (siehe nächsten Marsch) - Von Heimkehle - Von Hannover-Ahlem nach Bergen-Belsen - Januar 1945 wurden ca. 1000 Frauen von dem Außenlager Grünberg des KZ Groß-Rosen sowie weitere 3000 aus anderen Lagern, aufgeteilt in zwei Gruppen a 2000 Personen, zunächst zum Lager Christianstadt (Krzystkowice) getrieben. Nach einem dreitägigen Aufenthalt mussten sie weiter marschieren. Der Weg führte über Dresden, Freiberg, Chemnitz, Zwickau, Reichenbach, Plauen zu einem Lager in Helmbrechts, Bayern, wo sie am 20. März 1945 nach fast 500 Kilometern eintrafen. Von hier mussten sie nach Volary marschieren (siehe Marsch Helmbrechts)²5 - Von Außenlager Helmbrechts (über 1.000 Frauen des KZ Flossenbürg) in das besetzte Wallern (Volary) (siehe Gedenkstätte Langer Gang; ca. 200 km, vom 13. April bis 4. Mai 1945; via Schwarzenbach, Franzensbad, Marienbad) - Vom KZ Lieberose (bei Cottbus, Februar 1945) - Massaker in Lüneburg beim Räumungstransport eines Außenlagers aus Wilhelmshaven nach Bergen-Belsen am 11. April 1945 (siehe Mahnmal im Tiergarten) - Vom KZ Wöbbelin, Anfang Mai 1945 - Vom KZ-Außenlager Schwarzheide nach Theresienstadt, 18. April bis 8. Mai 1945 Page 653
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vom KZ Buchenwald - Todesmarsch vom KZ Dora-Mittelbau mit Ende in der Isenschnibber Feldscheune bei Gardelegen am 13. April 1945: Massaker in einer Scheune (Isenschnibber Feldscheune) bei Gardelegen. 1.016 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, darunter 63 jüdische Häftlinge, wurden dabei ermordet. 24 Stunden vor der Befreiung durch die US-Armee wurden die Häftlinge am Ende des Todesmarsches in eine steinerne Scheune eingepfercht, dort durch Beschuss und Handgranaten getötet und die Scheune angezündet. - Verschiedene Außenlager des KZ Buchenwald über Roßleben, Nebra - Vom Außenlager Leipzig-Abtnaundorf nach Wurzen - Vom Buchenwald-Außenkommando Berga/Elster über Teichwolframsdorf, Gottesgrün, Neumark, Hauptmannsgrün, Irfersgrün, Stangengrün, Obercrinitz, Bärenwalde, Bockau, Sosa, Fällbach (18./19. April 1945, 7 Häftlinge bei der Flucht erschossen), Breitenbrunn/Erzgeb., Rittersgrün, Gottesgab, Schmiedeberg nach Theresienstadt und Manetin bei Pilsen - Vom Buchenwald-Außenkommando Berga/Elster wurden am 5. April u. a. amerikanische Kriegsgefangene über Greiz, Mühltroff, Dobareuth, Zedtwitz, Trogen, Rehau, Schirnding, Waldsassen(Kondrau) bis in die Nähe von Cham getrieben, wo sie am 19. April die amerikanische Front erreichten. - Vom Außenlager Neustaßfurt, u. a. über Lommatzsch, Wilsdruff, Kurort Hartha, Grillenburg, Klingenberg und Naundorf, nach Annaberg-Buchholz (u. Page 654
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt a. Mahnmale auf den Friedhöfen in Tharandt und Naundorf) - Vom Außenlager Markkleeberg, u. a. über Meißen, Niederau, Dresden, Freital, Tharandt, Höckendorf und Dippoldiswalde, zum KZ Theresienstadt (u. a. Mahnmal auf dem Friedhof in Tharandt) - Vom KZ Außenkommando Sonneberg am 4. April 1945 mit 467 KZ-Häftlingen in zwei Marschrouten. Der größere von ihnen führte über die Sonneberger obere Stadt, zum Schusterhieb nach Steinach, dann über den Rennsteig durch Geraer Gebiet bis auf böhmisches, beziehungsweise tschechisches Gebiet. Der Rest des Zuges verlief sich am 7. Mai in Praseles, 50 km vor Prag, nachdem die SS-Männer vor der nahen Roten Armee geflohen waren. Die zweite Marschroute führte wahrscheinlich über Friedrichsthal nach Bad Elster. 111 Häftlinge sollen dort von den Amerikanern befreit worden sein. Zur Ostsee - Von Königsberg Ende Januar 1945 nach Palmnicken – Der Todesmarsch endete am 31. Januar mit einem Massaker an den verbliebenen 3.000 überwiegend weiblichen Häftlingen an der Ostsee. Nur 15 Menschen überlebten den Massenmord. - Todesmarsch Bremen-Blumenthal - -Farge – Sandbostel und weiter: Vom KZ Neuengamme zu Schiffen an der Ostsee. Der Todesmarsch begann am 9. April 1945 mit 2.500 bis 3.000 Häftlingen in Farge; Ziel war das Stammlager Neuengamme. Alleine in Brillit / Kreis Page 655
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rotenburg wurden über 300 Tote begraben. Von Neuengamme aus marschierten rund 10.000 Häftlinge an die Lübecker Bucht, wo die Überlebenden auf die Cap Arcona, Thielbek und Athen verladen wurden. Die Schiffe wurden versehentlich durch britische Bomber beschossen. 6.400 der Häftlinge kamen ums Leben. - Der KZ Fürstengrube-Todesmarsch von 1.283 Gefangenen, der mit einer Erschießungsaktion an 250 Personen begann, führte zunächst in das schleswig-holsteinische Ahrensbök, den Heimatort des Lagerleiters. Die überlebenden 400 Häftlinge wurden auf die Cap Arcona verbracht, die am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht von Flugzeugen der Alliierten versenkt wurde. - Von KZ Sachsenhausen und KZ Ravensbrück nach Raben Steinfeld südlich von Schwerin wurden 16.000 Menschen geschickt. Entlang der Hauptrouten sind seit 1976 200 Gedenktafeln angebracht. Im Stadtforst von Wittstock/Dosse, wo Tausende von Häftlingen gelagert hatten und vermutlich Hunderte von Toten verscharrt sind, wurde 1975 die Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald eröffnet. - Vom KZ Barth - Vom KZ-Außenlager Fuhlsbüttel wurden am 14. April die Häftlinge, hierunter auch Gefangene aus dem Ghetto Riga, nach Kiel getrieben, wo sie am 17. April im Arbeitserziehungslager Nordmark in Kiel-Hassee ankamen. Zum und vom KZ Dachau, München Page 656
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Der Hessentaler Todesmarsch aus dem KZ Hessental (Gemeinde Schwäbisch Hall, Württemberg) in das Außenlager Allach des KZ Dachau, 5. - 14. April 1945, vermutlich 150-200 Tote. - Vom KZ Flossenbürg nach Dachau: Hier geht die nur in Ansätzen vorhandene historische Forschung von rund 15.000 Häftlingen aus, die unter anderem in fünf großen Gruppen nach Süden getrieben wurden.²6 Der spätere DDR-Wirtschaftsminister Fritz Selbmann beschreibt in seinem Buch Die lange Nacht den Todesmarsch aus Flossenbürg, auf dem er fliehen konnte. Veranlasst hatte den Marsch der Lagerkommandant Max Koegel. Nach Kriegsende wurden über 5.000 Tote entlang der Routen entdeckt. ? Hauptartikel KZ Flossenbürg - Vom KZ Neckarelz (Nordbaden) via Waldenburg nach Dachau. - Vom KZ Buchenwald über Flossenbürg nach Dachau: Dieser Marsch nahm nach den vorliegenden Zeugenaussagen am 4. April 1945 seinen Ausgang im Konzentrationslager Buchenwald. Er soll zu Beginn etwa 1.500 Häftlinge umfasst haben und über Flossenbürg nach Oberbayern gelangt sein, wo er am 29. April bzw. 1. Mai 1945 in zwei Kolonnen in Kraiburg ankam. Es ließ sich feststellen, dass eine Marschkolonne KZ-Häftlinge am 29. oder 30. April und eine weitere wahrscheinlich am 1. Mai 1945 durch Kraiburg zog. Die erste Kolonne marschierte von Kraiburg über Ensdorf, Oberneukirchen mit dem Ziel, über Laufen nach Österreich zu gelangen, während die zweite von Page 657
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kraiburg aus in Richtung Wasserburg zog. Auf ihrem Weg wurden laufend marschunfähige Häftlinge von der SS-Bewachungsmannschaft erschossen. Die Leichen wurden jeweils neben der Straße liegen gelassen oder nur ganz oberflächlich mit Erde überdeckt.²7 - Vom KZ-Außenlager Obertraubling (zu Flossenbürg) nach Dachau am 16. April beginnend. Evtl. 100 Überlebende. - Vom KZ Dachau aus fanden ab dem 22. April mehrere Todesmärsche statt. Die Häftlinge sollten ins Tiroler Ötztal marschieren (vgl. Alpenfestung), um dem Regime ggf. als Verhandlungsmasse zu dienen. Einzelne Märsche gelangten bis an den Tegernsee. Eine Übersichtskarte findet sich hier. Es kam unter anderem zu Opfern bei den Landsberger Außenlagern, deren Zahl umstritten ist. Österreich - Von Auschwitz nach Loslau und weiter nach Mauthausen: Peter van Pels, einer der mit Anne Frank Versteckten, wurde am 16. Januar 1945 auf einen Todesmarsch von Auschwitz nach Mauthausen geschickt, wo er drei Tage vor der Befreiung am 5. Mai 1945 starb. - Von der burgenländischen Grenze nach Mauthausen: In den letzten Kriegsmonaten wurden tausende ungarische Juden, die beim Bau des sogenannten Südostwalls eingesetzt waren, in Todesmärschen durch die Steiermark in das KZ Mauthausen getrieben. Allein im Bezirk Oberwart wurden im März 1945 Hunderte jüdische Zwangsarbeiter im Massaker von Page 658
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rechnitz und im Massaker von Deutsch Schützen erschossen. Im April 1945 feuerten am Präbichl Mitglieder des Eisenerzer Volkssturms in die Reihen der ausgehungerten Menschen. Dieses Massaker forderte etwa 200 Tote, die Anzahl der bei den Märschen ums Leben gekommenen bzw. ermordeten Menschen ist aber ungleich höher. 1946 wurden 12 Männer für diese Verbrechen von britischen Militärgerichten in drei Prozessen zum Tode verurteilt. Seit Juni 2004 erinnert ein Mahnmal am Präbichl an die Opfer des Massakers. Serbien und Ungarn Im September 1944 wurde mit der Auflösung des Zwangsarbeitslagers in Bor begonnen. Am 17. September 1944 verließ eine Kolonne von ca. 3600 Häftlingen mit ungarischer Wachmannschaft (ca. 100 Mann) das Lager. Die Kolonne wurde nach Zemun, dann nach Novi Sad, Sombor, Mohács bis nach Szentkirályszabadja (Balaton) getrieben. Von dort wurden sie in die Konzentrationslager Flossenbürg, Sachsenhausen und Oranienburg deportiert. Während des Gewaltmarsches kam es zu mehreren Angriffen von Partisanen auf die Wachmannschaft. Einige Häftlinge konnten dadurch während der Angriffe zu den Partisanen flüchten und lebensrettenden Schutz finden. Am 19. September 1944 verließ eine Kolonne von ca. 2500 Häftlingen mit ungarischer Wachmannschaft das Lager. Die Kolonne wurde über Žagubica, Petrovac und Smederevo nach Belgrad, dann weiter nach Pancevo, Opovo, Perlez, Titel, Page 659
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Crvenka bis Szentkirályszabadja (Balaton) getrieben. Von Pancevo bis Titel wurde die Kolonne mit ungarischer Wachmannschaft zusätzlich von einer Wachmannschaft der paramilitärischen Volksgruppenformation Deutsche Mannschaft eskortiert. In Titel wurde die ungarische Wachmannschaft mit weiteren Ungarn verstärkt und übernahm wieder das alleinige Kommando. In Szentkirályszabadja angekommen, musste ein Teil der Kolonne wieder zurück ins südliche Baja marschieren, wo sie dann weiter in die Konzentrationslager Flossenbürg und Buchenwald deportiert wurden. Ein anderer Teil wurde zum Bau des Südostwalls nach Westen getrieben. Eine hohe Anzahl von Häftlingen wurde bereits während der Todesmärsche misshandelt und erschossen. Überlebende Zeitzeugen waren u.a. Gyula Trebitsch und László Lindner.²8 Den Gewaltmarsch zum Bau des Südostwalls beschrieb Miklós Radnóti in einem Gedicht: Verrückt, wer niederstürzt dann aufsteht, weitergeht, als wandelnder Schmerz Füße und Knie bewegt und trotzdem geht, als ob ihn Flügel tragen, und vergebens ruft der Graben, zu bleiben wagt er nicht.²? Literatur - Cord Arendes, Edgar Wolfrum, Jörg Zedler (Hrsg.): Terror nach Innen. Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkrieges. (= Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte. Band 6). Göttingen 2006. - Daniel Blatman: Die Todesmärsche 1944/45. Das Page 660
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011, ISBN 978-3-498-02127-6; Rezension von Wolfram Wette in der Badischen Zeitung, 23. Juli 2011: badische-zeitung.de, Nachrichten, Literatur, Wolfram Wette: Vernichtung vor der eigenen Haustür. (23. Juli 2011) - Thomas Buergenthal: Ein Glückskind: Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein zweites Leben fand. bzw. … ein neues Leben …. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-009652-4 (Lizenzausgabe Büchergilde, Frankfurt; Rezensionen von shoa.de, Wilfried Weinke: Tag für Tag. In: Die Zeit. 13/2006, S. 45; von Soraya Levin: Kindheit im Holocaust. bei rezensionen.ch am 14. Mai 2007; Autobiographie eines Überlebenden) - Joseph Freeman: The road to hell: recollections of the Nazi death march. Paragon House, St. Paul, Minn. 1998, ISBN 1-55778-762-X. - Katrin Greiser: Die Todesmärsche von Buchenwald. Räumung, Befreiung und Spuren der Erinnerung. Wallstein Verlag, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0353-9. - Netzwerk für demokratische Kultur e. V. (Hrsg.): Verschleppt, gequält, ausgebeutet, vertrieben. Netzwerk, Wurzen 2002, ISBN 3-9808903-2-5. - Martin Bergau: Todesmarsch zur Bernsteinküste. Das Massaker an Juden im ostpreußischen Palmnicken im Januar 1945. Zeitzeugen erinnern sich. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006, Page 661
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ISBN 3-8253-5201-3. - Erich Selbmann: Die lange Nacht. Roman. 4. Auflage. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1979. - Heimo Halbrainer, Christian Ehetreiber (Hrsg.): Todesmarsch Eisenstraße 1945. Terror, Handlungsspielräume, Erinnerung. Menschliches Handeln unter Zwangsbedingungen. CLIO – Verein für Geschichts- u. Bildungsarbeit, Graz 2005, ISBN 3-9500971-9-8. - Ernö Lazarovits, Heimo Halbrainer, Ingrid Hauseder: Mein Weg durch die Hölle: Ein Überlebender erzählt vom Todesmarsch. Verlag Geschichte der Heimat, 2009, ISBN 978-3-902427-65-6. - Christine Schmidt: April 1945 in Tharandt. In: Rund um den Tharandter Wald. Amtsblatt der Stadt Tharandt. Ausgabe 02, 13. Jgg., 15. Februar 2011, S. 8–9. - Zwischen Harz und Heide. Todesmärsche und Räumungstransporte im April 1945. Herausgegeben von Regine Heubaum und Jens-Christian Wagner i.A. der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Wallstein Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1713-0. Weblinks Commons: Todesmärsche von KZ-Häftlingen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten - LZPB Thüringen (PDF-Datei; 4 kB) - Gedenkstätte Flossenbürg - Text Todesmarsch Flossenbürg - Mahnmal zum Massaker am Präbichl Page 662
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Todesmärsche durch den Westharz - Todesmärsche bei der Räumung und Teilräumung der Konzentrationslager Dachau, Kaufering und Mühldorf Ende April - Der letzte Weg der KZ-Häftlinge: Das Ende der Konzentrationslager um Landsberg/Kaufering 1945 - Internetseite über den Todesmarsch von Dachau - BR2-Weitwinkel: Sendung zum Todesmarsch aus dem KZ Flossenbürg - Andreas Wagner: Todesmarsch. Die Räumung und Teilräumung der Konzentrationslager Dachau, Kaufering und Mühldorf Ende April 1945; 1995 - Jens-Christian Wagner: Inferno und Befreiung. Auschwitz im Harz; in: Die Zeit, Ausgabe vom 20. Januar 2005 - Uwe Fentsahm: Der „Evakuierungsmarsch" von Hamburg-Fuhlsbüttel nach Kiel-Hassee (12.-15. April 1945) - (Bildungs-)Material zu den Todesmärschen (Lernen aus der Geschichte) - Die Todesmarsch-Stele in Weimar - Der Todesmarsch nach Volary Einzelnachweise [1] Wolfgang Benz (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 1997 ff, ISBN 3-608-91805-1, S. 759. [2] Katharina Hertz-Eichenrode (Hrsg.): Ein KZ wird geräumt. Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Bremen 2000, ISBN 3-86108-764-2, S. 33. [3] leo.org [4] Katrin Greiser: Die Todesmärsche von Buchenwald. Räumung des Lagerkomplexes im Frühjahr 1945 und Spuren der Erinnerung. Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0353-9, S. 10 in Anm. 8 Page 663
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [5] Diana Gring: Das Massaker von Gardelegen. Ansätze zur Spezifizierung von Todesmärschen am Beispiel Gardelegen. In: Detlef Garbe, Carmen Lange: Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Bremen 2005, ISBN 3-86108-799-5, S. 155. [6] Diana Gring: Das Massaker von Gardelegen. S. 159ff. [7] Katrin Greiser: Die Todesmärsche von Buchenwald. Räumung des Lagerkomplexes im Frühjahr 1945 und Spuren der Erinnerung. Wallstein, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0353-9, S. 133 ff. u. 452. [8] Karin Orth: Planungen und Befehle der SS-Führung zur Räumung des KZ-Systems. In: Detlef Garbe: Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Die Auflösung des KZ Neuengamme und seiner Außenlager durch die SS im Frühjahr 1945. Bremen 2005, ISBN 3-86108-799-5, S. 36f. [9] Katharina Hertz-Eichenrode (Hrsg.): Ein KZ wird geräumt…. S. 32 (mit Lit. und Karte S. 72). [10] Joachim Neander: Vernichtung durch Evakuierung? Die Praxis der Auflösung der Lager – Fakten, Legenden und Mythen. In: Detlef Garbe, Carmen Lange (Hrsg.): Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Bremen 2005, ISBN 3-86108-799-5, S. 45f; ausgeliefert mit ISBN 3-86106-779-5. [11] Karin Orth: Planungen und Befehle der SS Führung zur Räumung des KZ-Systems. S. 34. [12] Daniel Blatman: Die Todesmärsche… . S. 1068 in: Ulrich Herbert, Karin Orth, Christoph Dieckmann: Die Page 664
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nationalsozialistischen Konzentrationslager. Fischer TB, Frankfurt 1998, ISBN 3-596-15516-9. [13] Karin Orth: Planungen und Befehle der SS Führung zur Räumung des KZ-Systems…. S. 33–44. [14] Daniel Blatman: Die Todesmärsche… . S. 1069. [15] Karin Orth: Planungen und Befehle der SS Führung zur Räumung des KZ-Systems, S. 39. [16] Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Taschenbuchausgabe Berlin 1998, ISBN 3-442-75500-X, S. 418. [17] Daniel Blatman: Die Todesmärsche… . S. 1076 / Zum Befehl: Herbert Diercks, Michael Grill: Die Evakuierung des KZ Neuengamme und die Katastrophe am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht. Eine Sammelrezension. In: Kriegsende und Befreiung. Bremen 1995, ISBN 3-86108-266-7 (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 2 / 1995) S. 175–176. [18] Christina Weiss in: Katharina Hertz-Eichenrode (Hrsg.): Ein KZ wird geräumt. S. 11. [19] Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager Hamburg 1999, ISBN 3-930908-52-2, S. 332. [20] Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Kapitel 13 und 14. [21] Eberhard Kolb: Die letzte Kriegsphase… . S. 1133. [22] Karin Orth: Planungen und Befehle der SS-Führung zur Räumung des KZ-Systems, S. 35. [23] Eberhard Kolb: Die letzte Kriegsphase… . In: Ulrich Herbert, Karin Page 665
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Orth, Christoph Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Fischer TB, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-15516-9, S. 1135. [24] Diskussion neuer Forschungsergebnisse zu Todesmärschen Internationaler Suchdienst, its-arolsen.org, abgerufen am 1. Dezember 2011. [25] Gerda Weissmann-Klein: Nichts als das nackte Leben Gerlingen 1999. [26] Constanze Werner: KZ-Friedhöfe und -Gedenkstätten in Bayern, Schnell und Steiner, Regensburg 2011, hier 15 -36. [27] Angaben aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten beim Landgericht München I, 119 b u. JS 3/71. [28] Randolph L. Braham: The Politics of Genocide. The Holocaust in Hungary. Band 1. Columbia University Press, New York City 1981, ISBN 0-231-05208-1, Seiten 335-337; Erhard Roy Wiehn (Hrsg.): Zwangsarbeit, Todesmarsch, Massenmord. Erinnerungen überlebender ungarischer Zwangsarbeiter des Kupferbergwerks Bor in Jugoslawien 1943-1944. Hartung-Gorre, Konstanz 2007, ISBN 978-3-86628-129-5, S. 53, 54, 78 u. 79. [29] Miklós Radnóti: Gewaltmarsch. http://das-blaettchen.de/2013/11/gewaltmarsch-273 54.html (abgerufen am 17. März 2016). Normdaten (Sachbegriff): GND: 4576551-0 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Page 666
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitslosenversicherung (RAfAuA) war die erste selbständige Behörde in Deutschland, der die öffentliche Arbeitsvermittlung und Berufsberatung oblag und die Träger der Arbeitslosenversicherung war. Sie gilt als Vorläufer der heutigen Bundesagentur für Arbeit. Die Reichsanstalt wurde 1927 in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet und 1938 weitgehend in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert; 1945 kam jegliche Aktivität zum Erliegen. Geschichte Bereits vor dem Ersten Weltkrieg existierten in Deutschland private Selbsthilfeeinrichtungen in einzelnen Betrieben, Kommunen und gewerkschaftlichen Organisationen, die als Arbeitslosenversicherung organisiert waren und die manchmal staatlich subventioniert wurden. Im Ersten Weltkrieg und auch nachher bei der Demobilisierung entstand politisch der Bedarf, zwischen arbeitsfähigen und arbeitswilligen Erwerbslosen und Armenunterstützung zu unterscheiden und die Erwerbslosen separat zu unterstützen. Zu einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, wie sie 1911 bereits in Großbritannien geschaffen wurde, kam es zunächst jedoch nicht. Nicht nur die Arbeitslosenversicherung, sondern auch die Arbeitsvermittlung wurde lokal vorbereitet. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg organisierten Page 667
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bestimmte Kommunen und Länder eine öffentliche Arbeitsvermittlung (z. B. Bayern) in sog. "Arbeitsnachweisämtern". Während des Krieges stiegen die Arbeitslosenzahlen an, und ab 1916 forderte das Militär eine Arbeitspflicht, was zur Einführung des "Hilfedienstgesetzes" führte. Die Erfahrungen des Krieges, aber auch der Wunsch der Gewerkschaften, die Arbeitsvermittlung im ganzen Reich einheitlich zu regeln, führten 1920 zu der Errichtung des "Reichsamts für Arbeitsvermittlung" und 1922 zum Arbeitsnachweisgesetz (ANG), das die Arbeitsvermittlung auf kommunaler Ebene organisierte und das Reichsamt für Arbeitsvermittlung in der "Reichsarbeitsverwaltung" unterbrachte. Die Koppelung von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, wie sie heute noch in Deutschland charakteristisch ist, kam erst mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 1927 (Reichsgesetzblatt I, Seite 187) zustande, das auch die gesetzliche Grundlage für die Errichtung der Reichsanstalt darstellte. Frühere Versuche waren aus finanziellen Gründen gescheitert. Wegen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und des damit einhergehenden rasanten Anstiegs der Arbeitslosenzahl geriet die Reichsanstalt bald nach ihrem Entstehen in große finanzielle Schwierigkeiten. In der NS-Zeit wurde die Selbstverwaltung aufgelöst, und die Reichsanstalt Page 668
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt erhielt einen rein behördlichen Charakter. Die Anstalt organisierte ab 1938 im Rahmen eines geheimen Erlasses die systematische Erfassung und Rekrutierung von reichsdeutschen Juden zur Zwangsarbeit.¹ Durch den Führererlass vom 21. Dezember 1938 (RGBl. 1938, 1892) wurden die Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten der Reichsanstalt auf den Reichsarbeitsminister übertragen und die Hauptstelle in Berlin mit der Abteilung II c (Arbeitsvermittlung und Arbeitseinsatz) des Reichsarbeitsministeriums (RAM) zur neuen Hauptabteilung V vereinigt. Die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter wurden als unmittelbare Reichsbehörde dem RAM unterstellt. Der Präsident führte seine Aufgaben als Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium weiter. Die bisherige Reichsanstalt verwaltete als "Reichsstock für Arbeitseinsatz" das Beitragseinkommen der Arbeitslosenversicherung weiter. Organisatorischer Aufbau Die Reichsanstalt hatte ihren Sitz in Berlin. Sie gliederte sich in die Hauptstelle, die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter. Diese Struktur übernahm es vom alten Reichsamt für Arbeitsvermittlung. Auf der Ebene der Arbeitsämter und der Landesarbeitsämter gab es als Organe der Selbstverwaltung die Verwaltungsausschüsse, die sich aus dem Vorsitzenden des Amtes und zu je gleichen Teilen aus den Page 669
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften zusammensetzten. Auf der Ebene der Hauptstelle gab es einen entsprechend zusammengesetzten Verwaltungsrat. Oberstes Organ der Reichsanstalt war der Vorstand, der aus dem Präsidenten als Vorsitzendem und aus 15 Beisitzern bestand (je 5 aus jeder der genannten Gruppen). Der Präsident war dem Reichsarbeitsminister unterstellt. Zu ihrem ersten Präsidenten wurde am 20. August 1927 von Reichspräsident Paul von Hindenburg der Präsident der Reichsarbeitsverwaltung, Geheimer Regierungsrat Friedrich Syrup ernannt. Damit war er oberster Chef von 13 Landesarbeitsämtern und 361 Arbeitsämtern im Deutschen Reich. Er wurde später als Reichsarbeitsminister ins Kabinett Schleicher berufen (3. Dezember 1932 bis 28. Januar 1933). Am 18. Februar 1933 wurde Friedrich Syrup zurück auf die Stelle des Präsidenten der Reichsanstalt versetzt. Landesarbeitsämter 1927 Literatur - Armin Michaelsen: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Marburg/Lahn 1929. Univ. Diss., Erlangen 1929. - Fritz Schröder: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: ihr Aufbau und ihre Aufgaben. Berlin [ca. 1929]. (Fortbildungsschriften für das Personal der Arbeitsämter; 1). Page 670
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Verzeichnis der Dienststellen der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung / Zsgest. für den Dienstgebrauch der Reichsanstalt von der Hauptstelle nach dem Stande vom 1. März 1934. Berlin 1934. - Zehn Jahre Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: 1927-1937. Hauptstelle der Reichsanstalt, Berlin 1937. - Julius Scheuble (Hrsg.): Hundert Jahre staatliche Sozialpolitik 1839 -1939 : aus dem Nachlass von Friedrich Syrup. Bearb. von Otto Neuloh. Stuttgart 1957. - Rita Fingerhut: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Nationalsozialismus. In: Handreichungen für die Aus- und Fortbildung. Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 1991, Heft 2, S. [1]-23. - Dieter G. Maier: Arbeitseinsatz und Deportation. Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938-1945. Band 4. Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 1994. - Dieter G. Maier: Arbeitsverwaltung und NS-Zwangsarbeit. In: Ulrike Winkler (Hrsg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln 2000, S. 67–84. - Hans-Walter Schmuhl: Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002 : zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt. (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung; BeitrAB Page 671
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 270). Nürnberg 2003. - Michael Stolleisl: Geschichte des Sozialrechts in Deutschland: ein Grundriss. Stuttgart 2003. - Dieter G. Maier: Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung bis 1952 : zugleich ein kaum bekanntes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte. (Schriftenreihe der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung; 43). Brühl 2004, ISBN 3-930732-93-9. - Jürgen Nürnberger, Dieter G. Maier: Präsident, Reichsarbeitsminister, Staatssekretär: Dr. Friedrich Syrup; Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung; Leben, Werk, Personalbibliografie. 2., wesentl. erw. Aufl. Ludwigshafen 2007, ISBN 978-3-929153-81-1 (Gestalter der Arbeitsmarktpolitik: Bibliografie und Biografie; Band 1; 1. Aufl. 2006, ISBN 3-929153-80-7). Siehe auch - Bundesagentur für Arbeit Weblinks - Reinhard Krämer: Die Berufsberatung in Deutschland von den Anfängen bis heute. Eine historische Skizze. (PDF) In: IBV, 16, 2001. Einzelnachweise [1] Götz Aly, Susanne Heim: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, 1933-1945, Band 2, Page 672
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Oldenbourg Verlag 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 50ff Reichsarbeitsministerium Das Reichsarbeitsministerium war während der Weimarer Republik und zur Zeit des Nationalsozialismus zuständig für die Regelung des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik im Deutschen Reich. Eine wichtige untergeordnete Mittelbehörde war die Reichsarbeitsverwaltung. Weimarer Republik Im Jahr 1919 wurde das 1918 gegründete Reichsarbeitsamt in das Reichsarbeitsministerium umgewandelt. Kompetenzen und Aufgaben Eine zentrale Aufgabe des Reichsarbeitsministeriums war ab 1919 die Regelung des Arbeitsrechts. Das Ziel war anfangs die Erarbeitung eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches. Zu diesem Zweck wurde beim Reichsarbeitsministerium ein Arbeitsrechtsausschuss eingerichtet. Geregelt wurden aber nur Teilbereiche. Im weiteren Verlauf des Jahres 1919 und in der Folgezeit kamen weitere Aufgabenbereiche hinzu. Schließlich umfassten diese fast das gesamte Gebiet der Sozialpolitik. Dazu zählten die Sozialstatistik, das Wohnungs- und Siedlungswesen, das Versorgungswesen und wichtige Bereiche des Fürsorgewesens. Im Bereich des Fürsorgewesens gab es Überschneidungen mit Page 673
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt dem Reichsinnenministerium. Hinzu kamen Kompetenzstreitigkeiten mit den zuständigen Stellen der Kommunen und Länder. Wegen seiner vielfältigen Aufgaben entstand einer der größten Reichsbehörden. Vor allem wegen der Versorgungsleistung für die ehemaligen Kriegsteilnehmer und die Hinterbliebenen war der Etat des Ministeriums der größte aller Ressorts. Geleitet wurde das Ministerium streng zentralistisch. Dies verstärkte noch einmal die Spannungen mit dem föderalen Anspruch der Länder. Reichsversicherungsamt und Reichsarbeitsverwaltung Zur Entlastung der Zentralbehörde wurden verschiedene Mittelbehörden geschaffen. Neben dem bereits bestehenden Reichsversicherungsamt entstand 1920 die Reichsarbeitsverwaltung. Diese hieß anfangs noch Reichsamt für Arbeitsvermittlung, wurde aber wegen der wachsenden Aufgaben 1922 umbenannt. Aufgaben der Reichsarbeitsverwaltung waren die Arbeitsmarktbeobachtung, die Arbeitsmarktlenkung, die Erwerbslosenfürsorge, die Berufsberatung sowie die Bearbeitung des Tarifvertragswesens. Seit 1922 gehörte dazu auch das Recht, Tarifverträge für verbindlich zu erklären. Mit dem Erlass des Arbeitsnachweisgesetzes wurde die Arbeitsverwaltung zudem die Zentralstelle für Arbeitsnachweise. Page 674
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Behördengliederung Nach der Entlastung des Ministeriums von unmittelbaren Verwaltungsaufgaben durch die Schaffung von Mittelbehörden wurde das Reichsarbeitsministerium selbst in mehrere Abteilungen untergliedert. Deren Bezeichnungen und Aufgaben änderten sich dabei teilweise im Zeitverlauf. An ihrer Spitze stand jeweils ein Ministerialdirektor. Im Jahr 1923 war im Reichsarbeitsministerium die Herausbildung der Struktur einer zentralen Reichsbehörde für das Sozialwesen weitgehend abgeschlossen. Im Rahmen der Reichsverwaltung hatte diese neben dem Reichsfinanzministerium eine besonders starke Stellung und hatte wie sonst kaum eine andere Reichsbehörde mittelbaren und unmittelbaren Einfluss auf zahlreiche Lebensbereiche. Zentrale Regelungen In den 1920er Jahren wurden wichtige Grundlagen der Sozialpolitik gelegt: - 1919: die Versorgung der Kriegsinvaliden geht an der Ministerium über - 1920: das Betriebsrätegesetz - 1923: die Arbeitszeitverordnung - 1923: der Vorgänger der Arbeitslosenversicherung, die Erwerbslosenfürsorge, wird fortan von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam getragen - 1926: das Arbeitszeitgesetz - 1927: die Arbeitslosenversicherung wurde Page 675
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eingeführt. Mit der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise brach jedoch die Finanzierung zusammen, worüber am 27. März 1930 mit Reichskanzler Hermann Müller die letzte parlamentarisch kontrollierte Regierung der Weimarer Republik stürzte. Zeit des Nationalsozialismus Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten veränderte sich die Rolle des Ministeriums. Zwei wichtigen Gegenständen des Ministeriums – Arbeitspolitik und Sozialpolitik – maßen auch die Nationalsozialisten große Bedeutung zu. Auch in diesen Politikfeldern wollte man nach Möglichkeit die nationalsozialistischen „Volksgemeinschaftsideen" realisieren. Zudem rückte die Mobilisierung des Arbeitsmarktes in den Mittelpunkt, zunächst für die „Arbeitsschlachten", mit denen die Massenarbeitslosigkeit abgebaut werden sollte. Ab 1936 suchten Arbeitsverwaltungen Arbeitskräfte, die für die militärische Aufrüstung des Regimes eingesetzt wurden. Disziplinierung und Dirigismus kamen durch die Einführung von Arbeitsbüchern hinzu – Gewerkschaften und Betriebsräte waren bereits wenige Wochen nach der „Machtergreifung" abgeschafft worden. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wirkte das Reichsarbeitsministerium maßgeblich an der Rekrutierung von Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten mit, in denen darüber hinaus neue Verwaltungsstrukturen im Arbeits- und Sozialbereich etabliert werden sollten.¹ Page 676
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Als Nachfolger des Reichsarbeitsministeriums entstand 1949 in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesministerium für Arbeit, während es in der DDR nur in den 1950er Jahren ein Arbeitsministerium gab. Die Rolle des Reichsarbeitsministeriums zwischen 1933 und 1945 gilt als noch weitgehend unerforscht. Im April 2013 berief Ursula von der Leyen, damals Bundesministerin für Arbeit und Soziales, eine internationale Kommission von Historikerinnen und Historikern, die bis 2017 die Geschichte des Ministeriums und seine Einbettung in die nationalsozialistische Herrschaftspraxis erforschen sollte.² Ressortchefs Staatssekretäre -
Franz Erich Caspar (1919) Hermann Geib (1919–1932) Andreas Grieser (1932–1933) Johannes Krohn (1933–1938) Friedrich Syrup (1938–1942) Hans Engel (1942–1945)
Literatur - Ludwig Preller: Sozialpolitik in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1978, [Erstdruck 1949] Weblinks - Geschichte der Vorläufer des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Page 677
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einzelnachweise [1] Alexander Nützenadel Das Reichsarbeitsministerium im NS-Staat. Grundlagen und Perspektiven der Forschung (PDF, Abruf am 25. Januar 2015). [2] Website der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus (Abruf am 25. Januar 2015). Reichsarbeitsminister des Deutschen Reiches (1919 bis 1945) Normdaten (Körperschaft): GND: 35218-4 | LCCN: n81135036 | VIAF: 143664410 Arbeitsamt Ein Arbeitsamt ist eine Behörde, welche für die Arbeitsvermittlung zuständig ist. Heute wird diese Aufgabe in Deutschland von der Bundesagentur für Arbeit sowie privaten Arbeitsvermittlern wahrgenommen. Geschichte der Arbeitsvermittlung in Deutschland Die Arbeitsvermittlung in Deutschland blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück, in der sie nicht immer unumstritten war: Eine zentrale Organisation zur Arbeitsvermittlung gab es in Deutschland zunächst nicht, es wurden lediglich regionale Strukturen z. B. durch die „Arbeitsnachweisämter" geschaffen. 1918: Reichsarbeitsamt Page 678
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Obwohl bereits im Ersten Weltkrieg seitens des Militärs gefordert, um die Arbeitsprozesse fern der Front in Gang halten zu können, wurde erst am 4. Oktober 1918 das Reichsarbeitsamt geschaffen, welches für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsschutz, nicht aber für Arbeitsvermittlung zuständig war. 1919: Reichsarbeitsministerium Das Reichsarbeitsamt bestand nur kurz und wurde am 13. Februar 1919 in das Reichsarbeitsministerium umgewandelt, der Vorstand des Reichsarbeitsamtes, Staatssekretär Gustav Bauer, wurde Reichsarbeitsminister. 1920: Reichsamt für Arbeitsvermittlung Am 15. Januar 1920 folgte die Errichtung des Reichsamts für Arbeitsvermittlung, seit 1922 in der Reichsarbeitsverwaltung als Mittelbehörde des Reichsarbeitsministeriums organisatorisch eingegliedert. Erster Präsident des Reichsamtes war Friedrich Syrup. Die Organisationsstruktur war bereits in 13 Landesarbeitsämter und 361 Arbeitsämter als regionale Stellen aufgeteilt. 1927: Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Am 16. Juli 1927 ging mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) das Reichsamt für Arbeitsvermittlung in die neu gegründete „Reichsanstalt für Page 679
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" (RAfAuA) über, in deren Aufgaben der Zusammenschluss von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung festgelegt wurde. Präsident blieb Friedrich Syrup. Die RAfAuA enthielt Organe der Selbstverwaltung. 1938 wurde sie wieder weitgehend in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert und die Selbstverwaltung aufgehoben, 1945 praktisch aufgelöst. Zweiter Weltkrieg Während des Zweiten Weltkriegs unterhielten die Landesarbeitsämter in den besetzten Ländern und in den abhängigen Staaten einen Rekrutierungsapparat für Fremdarbeiter, die in den meisten Fällen Zwangsarbeiter waren. In Deutschland teilten die Arbeitseinsatzverwaltungen diese Arbeiter gemäß Anforderungslisten der Industrie, Agrarwirtschaft, Bahn, Post, Gemeinden, Familienbetrieben und Landwirten bestimmten Arbeitslagern und Arbeitsstellen zu.¹ Im Jahr 1942 wurde der durchsetzungsstarke Fritz Sauckel von Hitler zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz berufen. Er wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wegen seiner Rolle bei der systematischen Verschleppung und Ausbeutung von Zwangsarbeitern zum Tode verurteilt und gehängt. 1952: Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Erst im Gesetz über die Errichtung einer Page 680
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. März 1952 wurde wieder die paritätische Beteiligung der Sozialpartner und der Vertreter der öffentlichen Körperschaften, neben Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen, an der Selbstverwaltung festgelegt. Hier wurde der Grundstock für die heutige Bundesagentur für Arbeit (BA) gelegt. 1969: Bundesanstalt für Arbeit Die B.f.A.u.A. erhielt mit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes am 1. Juli 1969 einen neuen Namen: „Bundesanstalt für Arbeit": Zusätzlich zu Berufsberatung, Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde den Arbeitsämtern die Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung zugewiesen, es trat also die Vorsorge für einen quantitativen und qualitativen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in den Vordergrund. 2003 traten die Hartz I- und Hartz II-Gesetze in Kraft. 2004: Bundesagentur für Arbeit Am 1. Januar 2004 trat der neue Name „Bundesagentur für Arbeit" in Kraft, was die Dienstleistungsorientierung der Arbeitsverwaltung in den Vordergrund rücken sollte; im gleichen Jahr trat das „Hartz-III"-Gesetz in Kraft, das den Umbau der Arbeitsverwaltung zu einer „modernen, Page 681
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt kundenorientierten Dienstleistungsbehörde" vorsah. 2005 trat das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in Kraft, kurz „Hartz IV".² Arbeitsvermittlung in anderen Staaten Heute oder historisch: - Deutschland: Bundesagentur für Arbeit, ehemals Bundesanstalt für Arbeit bzw. Landesarbeitsämter - Österreich: Arbeitsmarktservice (AMS), 1994 aus der Arbeitsmarktverwaltung (AMV) des Arbeits- (und Wirtschafts-)ministeriums ausgegliedert - Schweiz: Regionales Arbeitsvermittlungszentrum - Belgien: Arbeitsamt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (ADG) Siehe auch - Arbeitsministerium - Internationale Arbeitsorganisation (Internationales Arbeitsamt), Sonderorganisation der Vereinten Nationen - Arbeitsamt des Apostolischen Stuhls - Arbeitsamt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens Wiktionary: Arbeitsamt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Einzelnachweise [1] Ute Vergin: Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung und ihre Funktionen beim Page 682
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs, Osnabrück 2008 [2] www.arbeitsagentur.de - Kurze Chronik der Bundesagentur für Arbeit Deutsche Arbeitsfront Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) war in der Zeit des Nationalsozialismus der Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die DAF wurde am 10. Mai 1933 nach Auflösung der freien Gewerkschaften gegründet. Deren Vermögen wurde zugunsten der DAF beschlagnahmt und das Streikrecht abgeschafft. Die Berufsverbände der Angestellten und der Arbeiter wurden durch staatliche Anordnung zusammengeführt. Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 legitimierte die DAF rechtlich. Im Oktober 1934 wurde die DAF offiziell der NSDAP angeschlossen. Sie war nach dem Führerprinzip, bis hinab zum Blockwart, gegliedert. Der DAF-Führer war der Reichsleiter der NSDAP, Robert Ley. Die DAF bestand aus 18 Reichsbetriebsgemeinschaften (später reorganisiert in 16 Fachämter) und 33 Gauwaltungen. Sie bestand de facto bis zum Kriegsende im Mai 1945 und hatte 22 Millionen Mitglieder. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945 wurde die Deutsche Arbeitsfront durch den Alliierten Kontrollrat verboten und ihr Eigentum beschlagnahmt. Der Zweck der DAF Die DAF sollte die deutschen Arbeiter in das neue Page 683
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Dritte Reich" integrieren und damit ihren bisherigen Organisationen den Boden entziehen. Vor 1932 hatte die NS-Betriebszellenorganisation (NSBO) nur geringe Erfolge. Viele ehemalige Anhänger des Strasser-Flügels, die nun in der NSBO waren, waren antikapitalistisch eingestellt und forderten, aus der NSBO eine nationalsozialistische Gewerkschaft zu machen. Nach der Reichstagswahl März 1933 besetzten sie in mehr als 160 Städten die Gewerkschaftsgebäude. Anfang April übertrug Hitler Robert Ley die Aufgabe, die wilden Aktivitäten der NSBO zu beenden und die bisherigen Gewerkschaften zu zerschlagen. Ley beauftragte die NSBO, SA, SS und Gauleiter mit einer Aktion gegen die Gewerkschaftsführer, die daraufhin am 2. Mai in ganz Deutschland festgenommen wurden. Obwohl jeder Arbeitnehmer zur Kontrolle ein Arbeitsbuch haben musste und es eine Verordnung gab, einen Beitrag von jedem Arbeiter direkt vom Lohnkonto (im Durchschnitt monatlich 1,5 bis 2 Reichsmark) abzuziehen, bejahten die Arbeiter und Angestellten die DAF: Die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Reglementierung aller Schichten bewirkte eine psychische Egalisierung, welche von unteren Sozialklassen als positiv bewertet wurde. Allerdings gab es erhebliche Widerstände gegen die anfänglichen Versuche der DAF, sozialpolitische Besserungen durchzusetzen. Im Juni 1933 wurden „Treuhänder der Arbeit" eingeführt, die der Dienstaufsicht des Page 684
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reichsarbeitsministeriums unterstanden. Im November 1933 wurde ein „Aufruf an alle schaffenden Deutschen" veröffentlicht zur Eingrenzung der Ambitionen von Robert Ley, der außerdem von Reichsarbeitsminister Franz Seldte, Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt und dem Parteibeauftragten für Wirtschaftsfragen Wilhelm Keppler unterzeichnet wurde. „Damit wurden endgültig alle Hoffnungen auf eine berufsständische oder gewerkschaftliche Interessenvertretung bzw. Kompetenzen in der Arbeits- und Sozialpolitik durch die DAF begraben."¹ Am 24. Oktober 1934 unterschrieb Hitler eine von Ley vorgelegte Verordnung: „Das Ziel der Deutschen Arbeitsfront ist die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, dass jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzen für die Volksgemeinschaft gewährleistet" – Hitler, Verordnung über Wesen und Ziel der DAF, 1934, § 2 Am 29. August 1936 wurde der Leistungskampf der deutschen Betriebe vom Amt für soziale Selbstverantwortung der DAF „ins Leben gerufen".² Dieser „Leistungskampf" diente zur Prämierung „nationalsozialistischer Musterbetriebe". Dabei wurden die Kriterien von Page 685
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Jahr zu Jahr immer mehr ausgerichtet auf die Umstellung der Betriebe auf Rüstungsproduktion. Aus dem Hauptsitz in der Potsdamer Straße in Berlin³ lenkte die DAF diverse Unterorganisationen, die einerseits für das Wohl, andererseits für die Kontrolle der Arbeiterschaft zuständig waren (Auswahl von Unterorganisationen):4 - Amt Bau - Amt für Leistungsertüchtigung, Berufserziehung und Betriebsführung - Amt für Rechtsberatungsstellen - Amt für Schönheit der Arbeit (bis 1939) - Amt für technische Wissenschaften - Amt für Volksgesundheit - Amt Heer - Amt Kriegsmarine - Amt Luftwaffe - Amt Werkschar und Schulung - Arbeitswissenschaftliches Institut AWI - Frauenamt - Jugendamt - Kraft durch Freude (KdF) - Reichsarbeitskammer5 - Berufswettkampf aller schaffenden Deutschen - Reichsheimstättenamt - Sozialamt Die DAF gründete auch eine Reihe von Unternehmen wie zum Beispiel das Volkswagenwerk (für ihre Unterorganisation KdF) sowie die Bank der Deutschen Arbeit und das Heimstättensiedlungswerk. Zur Schulung ihrer Funktionäre unterhielt die DAF eine Reihe von Schulungszentren, die Reichsschulungsburgen. Page 686
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Für die DAF gab der Verleger Otto Karl Stollberg die Zeitung „Der Deutsche – die Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront" heraus. Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront (GW) Das Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront (GW), das im Wesentlichen aus ehemals konsumgenossenschaftlichen Betriebsstätten bestand, übernahm im Anschluss an die Verordnung zur Anpassung der verbrauchergenossenschaftlichen Einrichtungen an die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse vom 18. Februar 1941 am 1. April den Geschäftsbetrieb von Konsumgenossenschaften und ihren Großeinkaufsgesellschaften. DAF-Funktionäre Siehe Kategorie:DAF-Funktionär Arbeitsfrontempfänger DAF1011 Die Deutsche Arbeitsfront ließ auch einen Rundfunkempfänger entwickeln: Den Deutschen Arbeitsfrontempfänger DAF1011, dessen Bezeichnung an eine Rede Hitlers in den Berliner Siemens-Werken am 10. November 1933 erinnern sollte. Es handelt sich um einen, im Vergleich mit dem Volksempfänger VE301 aufwendigeren, mehrkreisigen Geradeausempfänger mit kräftiger Endstufe. Das Gerät war zum Gemeinschaftsempfang von Rundfunksendungen in Firmen und Gemeinden konstruiert, die DAF warb mit dem Slogan Rundfunk in alle Betriebe dafür. Page 687
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Siehe auch - Flaggen der Deutschen Arbeitsfront (1933–1945) - DINTA, Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung, Kooperationspartner der DAF mit älterem Gründungsdatum Literatur Quellen - Claus Selzner: Die Deutsche Arbeitsfront. Idee und Gestalt ; Kurzer Abriß des Wollens des Reichsorganisationsleiters der NSDAP, Dr. Robert Ley. Junker & Dünnhaupt, Berlin 1935. - Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront. Quellen. Mikrofiche, Hg. Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. K. G. Saur, München 1989 ff. - Hermann Textor: Völkische Arbeitseignung und Wirtschaftsstruktur. Hg. Forschungs-Institut für Arbeitsgestaltung, für Altern und Aufbrauch. Wilhelm Limpert, Berlin 19396 - Bollwerk im Westen. Hg. DAF, Gau Saarpfalz, Gauwaltung, Bearbeiter R. Schneider. Baumbauer, Neustadt 19387 + ähnlich: Bollwerk im Westen. Das Land zwischen Saar und Rhein grüsst seine KdF-Gäste auf das herzlichste! Deutsche Arbeitsfront, Gauwaltung Saarpfalz, R. Schneider. Baumbauer, Neustadt an der Weinstrasse, 1938 Sekundär - Matthias Frese: Betriebspolitik im „Dritten Reich": Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Page 688
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Großindustrie 1933–1939. Schöningh, Paderborn 1991, ISBN 978-3506795748 - Karl Heinz Roth: Intelligenz und Sozialpolitik im „Dritten Reich". Eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront. K. G. Saur, München 1993. Online lesbar - Ronald Smelser: Robert Ley, Hitlers Mann an der Arbeitsfront. Schöningh, Paderborn, 1989. ISBN 3506774816. - Hans-Ulrich Thamer: Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz, zuerst in: Nationalsozialismus, 2, Informationen zur politischen Bildung, 266. Hg. Bundeszentrale für politische Bildung, BpB8 - Michael Flagmeyer: Die Architekturen der Deutschen Arbeitsfront. Eine nationalsozialistische Kontrollorganisation als Planungsinstrument. Diss. TU Braunschweig, 2009 - Rüdiger Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933–1945. Wallstein, Göttingen 2012, ISBN 978-3835310377.? Weblinks Commons: Deutsche Arbeitsfront – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Artikel zur DAF bei Shoa.de - DAF bei Lebendiges Museum Online - Arbeitstagung des „Arbeitswissenschaftlichen Instituts" der DAF 19. März 1944 Schlussprotokoll. – Über Nationalsozialistische Europapläne - DAF 1011 – Der Arbeitsfrontempfänger „Beschreibung, Bedienungsanleitung, Schaltung", ein Radio¹° Page 689
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einzelnachweise [1] Hans-Ulrich Thamer: auf shoa.de [2] Musterbetriebe der DAF bei Lebendiges Museum Online [3] David Koser et al.: Deutsche Arbeitsfront, In: Hauptstadt des Holocaust. Orte nationalsozialistischer Rassenpolitik in Berlin, Berlin: Stadtagentur 2009, Ort 85, S. 204, ISBN 978-3-9813154-0-0. [4] Otto Mönckmeier, Jahrbuch der nationalsozialistischen Wirtschaft 1937, S. 454, nennt als Beispiele für „Hauptarbeitsgebiete": „Sicherung des sozialen Friedens. Hebung des Lebensstandards" (zu letzterem gehören: Heimstättenamt, KdF sowie „Internationales Büro Freude und Arbeit"" mit einer gleichnamigen Zeitschrift bei Georg von Holtzbrinck). [5] Personalunion mit der DAF: Die Reichsarbeitskammer wird vom Leiter der Deutschen Arbeitsfront geleitet. Er beruft als Mitglieder die Leiter der Reichsbetriebsgemeinschaften, die Gauwalter der Deutschen Arbeitsfront, Einzelpersonen und die Leiter der Ämter des Zentralbüros der Deutschen Arbeitsfront und überträgt der Reichsarbeitskammer die von ihr zu bearbeitenden Aufgaben. Ein gleichzeitiger Erlaß regelt die Bildung der Arbeitskammern in den 18 Wirtschaftsbezirken. Mitglieder der Arbeitskammer sind: außer dem durch Sonderverfügung berufenen Leiter alle zum Gebiet der Arbeitskammer noch gehörenden Gauwalter, von jeder Reichsbetriebsgemeinschaft, die im Gebiete der Page 690
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitskammer vorkommt, je ein Gaubetriebsgemeinschaftswalter, auf Vorschlag des Leiters der Arbeitskammer Kreiswalter der Deutschen Arbeitsfront, Einzelmitglieder und je ein Abteilungsleiter der bzw. einer Gauleitung der Deutschen Arbeitsfront. Quelle: Jahrbuch für das Bergund Hüttenwesen in Sachsen. Jg. 1936,-- Hauptgeschäftsführer: Jäckel, Vorname unbek., nach 1945 FDP [6] Textor versteht "völkisch" hier als „rassisch". Von diesem NS-Arbeitssoziologen und häufigen Schulbuchschreiber gibt es zahlreiche Schriften für die DAF, auch als Mskr. gedruckt, bei der DNB. Über ihn Hans-Christian Harten u.a. Hgg.: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch. Akademie, Berlin 2006 ISBN 3050040947 Online les- und durchsuchbar. Er faselt von der „erbbiologischen Struktur" von Arbeitern [7] Auf den Vortitel gedruckt: "Ihren Männern vom Westwall gewidmet zu Weihnachten 1938 von Hoch-Tief.". Anderes Exemplar: Vorspruch Ihren Männern vom Westwall gewidmet zu Weihnachten 1938 von Dyckerhoff & Widmann Pirmasens. Einleitung "Dieses Buch wurde für die Westwallmänner geschrieben. Es will den Männern, die zum Schutze des Reiches in harter Arbeit den Westwall aufrichteten, den geschichtlichen Sinn ihres Werkes deuten." [8] identisch mit dem Art. auf shoa.de, siehe Weblinks. Als Print nicht mehr erhältlich. Online auch bei BpB in Abschnitt 6 von "Wirtschaft und Page 691
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gesellschaft unterm Hakenkreuz" [9] Rezension Deutschlandradio Kultur, 15. Juli 2012. [10] Am 10. November (daher = 1011) 1933 fand der erste reichsweite Radio-Gemeinschaftsempfang anlässlich der Übertragung einer Rede Hitlers aus der Maschinenhalle der Siemenswerke statt. Gewerbeaufsicht Die Gewerbeaufsicht ist die zuständige Behörde für die Einhaltung von Vorschriften des Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzes. In einzelnen Bundesländern wird die Gewerbeaufsicht auch als Amt für Arbeitsschutz oder als Staatliches Umweltamt bezeichnet. Ihr obliegt die Überwachung und die Erteilung von Genehmigungen der ihr zugewiesenen Vorschriften. Sie ist nicht zu verwechseln mit Ordnungsämtern bzw. dem Gewerbeamt. In anderen Ländern werden die Namen Arbeitsinspektion oder Arbeitsschutzinspektion verwendet. Deutschland Geschichte Mit zunehmender Industrialisierung in Deutschland entwickelten sich Fragen zum Arbeitsschutz, Dampfkesselaufsicht und zur Umsetzung der entsprechenden Gesetze und Verordnungen. Im Jahre 1853 wurde die Gewerbeaufsicht als Behörde zunächst im Ruhrgebiet gegründet. Zu Beginn wurden die Fabrikinspektoren mit den Aufgaben des Page 692
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitsschutzes beauftragt.¹ In Bayern wurde 1879 der erste Fabrikinspektor für die Oberpfalz und Franken eingestellt. In Deutschland wird die Gewerbeaufsicht von verschiedenen Behörden wahrgenommen. - In Baden-Württemberg wurden im Rahmen der Verwaltungsreform die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter zum 1. Januar 2005 aufgelöst und in die vier Regierungspräsidien sowie in 44 Land- und Stadtkreise eingegliedert. - In Bayern wurden die sieben Gewerbeaufsichtsämter 2005 an die Regierungen der Bezirke angegliedert. - In Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) seit 1998 die staatliche Arbeitsschutzbehörde. Sie überwacht den Schutz von Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit der ca. 1,4 Mio. Berliner Beschäftigten, die technische Sicherheit von ca. 150.000 Berliner Betrieben und Anlagen und den technischen Verbraucherschutz für ca. 3,5 Mio. Berliner Verbraucherinnen und Verbraucher. - In Hessen wurden die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter mit Wirkung vom 1. April 1993 aufgelöst und an ihrer Stelle Staatliche Ämter für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik errichtet.² Diese wurden mit Wirkung vom 1. Juli 2002 zunächst in die drei Regierungspräsidien des Landes eingegliedert³ und mit Wirkung vom 22. Dezember 2007 als eigenständige Page 693
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Behörden aufgelöst.4 Heute teilen sich die Aufgaben nach der Gewerbeordnung in Hessen mehrere Behörden, u. a. die Gemeinden (Gemeindevorstand), die kreisfreien Städte und Kreise (Magistrate und Kreisausschüsse), die Regierungspräsidien und die Industrie- und Handelskammern5 - Die Niedersächsische Gewerbeaufsichtsverwaltung nimmt mit ihren zehn Staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern Aufgaben im Arbeits-, Gefahren-, Umwelt- und Verbraucherschutz wahr. Im Rahmen der Auflösung der Bezirksregierungen zum 1. Januar 2005 sind diese Ämter nunmehr direkt dem Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz und dem Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration unterstellt. - In Nordrhein-Westfalen wurden die Staatlichen Ämter für Arbeitsschutz und die Staatlichen Umweltämter zum 1. Januar 2007 aufgelöst und in die fünf Bezirksregierungen eingegliedert. - In Rheinland-Pfalz werden die Aufgaben der Gewerbeaufsicht durch die Struktur- und Genehmigungsdirektionen wahrgenommen. - In Schleswig-Holstein informiert und berät seit 2008 die Staatliche Arbeitsschutzbehörde bei der Unfallkasse Nord die Betriebe und ihre Beschäftigten bezüglich der Rechtsvorschriften zum Arbeitsschutz und kontrolliert deren Einhaltung. Sie ist als Landesbehörde integriert in eine Unfallkasse. Abgrenzung zu den Berufsgenossenschaften Page 694
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die ebenfalls auf dem Feld der Arbeitssicherheit und des beruflichen Gesundheitsschutzes tätigen Berufsgenossenschaften befassen sich vorrangig mit den Belangen der bei ihnen versicherten Arbeitnehmer und ihrer Arbeitsbedingungen. Demgegenüber erfasst das Arbeitsfeld der Gewerbeaufsicht darüber hinaus den Schutz der breiten Öffentlichkeit. In Deutschland gibt es ein duales System seitens des Arbeitsschutzes. Einerseits werden von den Gewerbeaufsichtsämtern (bzw. Ämtern für Arbeitsschutz) und andererseits von den Berufsgenossenschaften hoheitliche Aufgaben im Arbeitsschutz übernommen. In den letzten Jahrzehnten hat es immer wieder Bestrebungen gegeben, diese "doppelte Aufgabenwahrnehmung" in nur einer Behörde zu vereinen. Dies scheiterte aber bisher an der unterschiedlichen Struktur und an der Finanzierung. Als Alternative wurde die "gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA)" ins Leben gerufen, die mit der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz auch eine zuständige Institution besitzt. Die GDA sieht gemeinsame Aktionen im Bereich des Arbeitsschutzes vor, die zum Teil Pflicht, zum Teil freiwillig sind. Es gibt Regelungen, um Doppelprüfungen (von Berufsgenossenschaften und staatlichen Arbeitsschutzbehörden) zu vermeiden und Vereinbarungen zum Datenaustausch, die bisher aber noch nicht in vollem Page 695
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Umfang wirksam sind. Die Berufsgenossenschaften setzen bundeseinheitlich vorwiegend das branchenspezifische berufsgenossenschaftliche Vorschriften- und Regelwerk um (z. B. Beurteilung einer Wurstaufschnittmaschine), während die Gewerbeaufsichtsämter den staatlichen Arbeitsschutz auf Ebene der Bundesländer vollziehen (z.B. Arbeitsschutzgesetz, Betriebssicherheitsverordnung, Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz, Arbeitszeitgesetz). Grundsätzlich können aber Defizite im Arbeitsschutz sowohl von der Berufsgenossenschaft wie auch von der Gewerbeaufsicht beanstandet werden. Österreich In Österreich gibt es verschiedene Kompetenzen: - für das Baurecht: die Gemeinde - für das Gewerberecht: die Bezirkshauptmannschaft oder der Magistrat - für den Arbeitsschutz das Arbeitsinspektorat - für den Umweltschutz die Landesregierung Weblinks - Zur Geschichte der Gewerbeaufsicht in Deutschland - kurze Chronik der Gewerbeaufsicht in Bayern Einzelnachweise [1] Zur Fabrikinspektion im 19. Jahrhundert vgl. Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis Page 696
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1914, I. Abteilung: Von der Reichsgründungszeit bis zur Kaiserlichen Sozialbotschaft (1867-1881), 3. Band: Arbeiterschutz, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Stuttgart/ Jena/ New York 1996; Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, II. Abteilung: Von der Kaiserlichen Sozialbotschaft bis zu den Februarerlassen Wilhelms II. (1881-1890), 3. Band: Arbeiterschutz, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Darmstadt 1998; Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, III. Abteilung: Ausbau und Differenzierung der Sozialpolitik seit Beginn des Neuen Kurses (1890-1904), 3. Band, Arbeiterschutz, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Darmstadt 2005. [2] Art. 1 und 2 des Gesetzes zur Neuorganisation der Gewerbeaufsichtsverwaltung in Hessen vom 25. Februar 1993 (GVBl. I S. 49). [3] Art. 2 des Ersten Gesetzes zur Verwaltungsstrukturreform vom 20. Juni 2002 (GVBl. I S. 342). [4] Art. 9 Nr. 24 des Gesetzes zur Aufhebung von Rechtsvorschriften und zur Auflösung der Kursmaklerkammer Frankfurt am Main vom 17. Dezember 2007 (GVBl. I S. 911). [5] Im Einzelnen vgl. Verordnung über Zuständigkeiten nach der Gewerbeordnung und dem Gaststättengesetz sowie über den Betrieb von Straußwirtschaften vom 20. Juni 2002 (GVBl. I S. 395). Friedrich Krupp AG Page 697
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Friedrich Krupp AG war ein deutsches Schwerindustrie-Unternehmen mit Sitz in Essen. Es entstand Anfang des 20. Jahrhunderts unter der Führung des Chemnitzers Gustav Hartmann aus dem Krupp'schen Familienunternehmen. Die offizielle Schreibweise, die sich auf Aktien, Briefbögen usw. fand, lautete Fried. Krupp AG. Durch den Erwerb der Mehrheit an der Hoesch AG bildete sich 1992 die Friedrich Krupp AG Hoesch-Krupp. Seit der Fusion mit der Thyssen AG im Jahr 1999 ist das Unternehmen Teil der ThyssenKrupp AG. Unternehmensgeschichte Siehe auch Krupp Gussstahlfabrik und die Artikel zu den Personen. Entwicklung des Familienunternehmens Die Vorgeschichte der Friedrich Krupp AG begann Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Herstellung von Gussstahl in der damaligen preußischen Rheinprovinz gelegenen Essen. Hier gründete Friedrich Krupp am 20. November 1811¹ zusammen mit den Brüdern Georg Karl Gottfried und Wilhelm Georg Ludwig von Kechel die Firma Friedrich Krupp zur Verfertigung des Englischen Gussstahls und aller daraus resultierenden Fabrikationen, aus der die Krupp Gussstahlfabrik entstand. Als es zu Problemen mit den beiden Teilhabern kam, erreichte Friedrich Krupp 1816 gerichtlich, zum Alleininhaber zu werden. Page 698
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nach Friedrich Krupps Tod 1826 führte zunächst seine Ehefrau Theresia Krupp das Unternehmen. Der gemeinsame Sohn Alfred Krupp begann etwa ab 1830 den weiteren Ausbau der Firma zum zeitweise größten Industrieunternehmen Europas. Nach Alfred Krupps Tod 1887 übernahm dessen Sohn Friedrich Alfred Krupp. Er war verheiratet mit Margarethe Freiin von Ende, mit der er zwei Töchter hatte. Er verstarb 1902 ohne männlichen Erben. In seinem Testament verfügte er deswegen, dass das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden sollte. Die ältere Tochter Bertha erbte im Alter von 16 Jahren das Unternehmen durch Fideikommiss, das auch für die folgenden zwei Generationen verbindlich sein sollte. Ihre Mutter Margarethe vertrat die Erbin bis zur Volljährigkeit treuhänderisch. Friedrich Alfred Krupps Testament wurde durch Ernst Theodor Haux und Gustav Hartmann vollstreckt. Die Aufgabe der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft entfiel hauptsächlich auf Gustav Hartmann, da zwischen den Familien Krupp und Hartmann eine jahrelange geschäftliche und familiäre Verbindung bestanden hatte. So hatte Gustav Hartmanns Tochter Elisabeth 1891 den Bruder von Margarethe Krupp geheiratet. Außerdem hatte Gustav Hartmann bereits 1870 die Umwandlung der Firma seines Vaters in eine Aktiengesellschaft miterlebt (Sächsische Maschinenfabrik vormals Richard Hartmann AG). Unter seiner Leitung wurden 1903 Page 699
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 160.000 Aktien ausgestellt, die aber nie an der Börse gehandelt wurden: Die ältere Tochter Bertha bekam alle Aktien bis auf vier, die an andere Verwandte und Firmenangehörige gingen, und erbte somit das Unternehmen. Nach ihrer Heirat 1906 mit Gustav von Bohlen und Halbach übernahm dieser den Vorsitz im Aufsichtsrat der Friedrich Krupp AG. In der Funktion als Vorsitzender des Direktoriums der Finanzwesen ab 1. Oktober 1909 bis 1918 führte jedoch Alfred Hugenberg den Rüstungskonzern durch den Ersten Weltkrieg. Hugenberg wurde später Hitlers erster Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister im Kabinett 1933. Zeit des Nationalsozialismus Direktor und Leiter aller Werke war ab 1938 der Metallurg Friedrich Badenheuer (1902–1965).² Während des Zweiten Weltkrieges beschäftigte Krupp Zwangsarbeiter. Aufgrund der stetigen Fluktuation ist eine Gesamtzahl nicht zu ermitteln, der höchste Personalstand an Kriegsgefangenen und ausländischen Zivil- bzw. Zwangsarbeitern zu einem Stichtag lag am 1. Januar 1943 bei ungefähr 25.000. Im Frühsommer 1944, forderte die Friedrich Krupp AG, nachdem keine Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeiter mehr zur Verfügung standen, die Zuteilung von 2000 männlichen KZ-Häftlingen zur Arbeit an. Dem wurde im Juni entsprochen, aber stattdessen wurden der Firma jüdische Page 700
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Frauen zugesagt, die man zuvor, meist aus Ungarn, in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert hatte. Von einer Krupp-Delegation aus Personalverwaltung und Betriebsführung wurden daraufhin 500 rund zwanzigjährige junge Frauen ausgewählt. Zusätzlich wählte man noch 20 sogenannte Funktionshäftlinge aus. Alle Frauen wurden im August in das KZ-Außenlager Humboldtstraße des KZ Buchenwald in Essen-Fulerum verbracht (offiziell: SS-Arbeitskommando Fried. Krupp, Essen). ³ Die Arbeitskräfte wurden in verschiedenen Krupp-Betrieben eingesetzt. 1942 übertrug Gustav von Bohlen und Halbach aus gesundheitlichen Gründen die Leitung der Firma an seinen Sohn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Am 12. November 1943 erließ Adolf Hitler eigens ein Reichsgesetz, die sogenannte Lex Krupp, mit dem der Konzern von einer Aktiengesellschaft in ein Familienunternehmen mit besonders geregelter Nachfolge umgewandelt wurde. Mit diesem Gesetz wurde es der Firma (bzw. der Familie) Krupp ermöglicht, 400 Millionen Reichsmark an Erbschaftsteuer zu sparen. 1943 wurde ein Teil der kriegswichtigen Rüstungsproduktion der Krupp AG in die Räume der Maschinenfabrik Johannisberg in Geisenheim ausgelagert. Um den kriegsbedingten Arbeitermangel auszugleichen, wurde 1944 in Geisenheim ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof errichtet, in dem 200 Arbeiterinnen, überwiegend polnische Jüdinnen, Page 701
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt untergebracht wurden. Am 18. März 1945 wurde das Lager geräumt, die Frauen in das Dachauer Außenlager Allach bei München verbracht.4 Die gelegentlich angeführte Zünderfabrik bei Auschwitz war zwar von der Firma Krupp geplant und auch schon zwei Millionen Reichsmark für den Bau bewilligt, aber ab 1943 produzierte die Firma Weichsel-Metall-Union Sils und Co. dort. Die Zünderpoduktion wurde stattdessen in Wüstegiersdorf im damaligen Schlesien mit 250 Häftlingsfrauen des KZ-Auschwitz, nach Auslagerung aus Essen, verwirklicht.5 Im Dezember 1944 beschäftigte die Firma Krupp hier 224 Kriegsgefangene, 1029 ausländische Zwangsarbeiter, zudem 200 ungarische und kroatische weibliche KZ-Häftlinge.6 Während des Zweiten Weltkriegs wurden weite Teile des Betriebsgeländes in Essen durch alliierte Luftangriffe auf das Ruhrgebiet zerstört. Zur Abwendung und Täuschung alliierter Luftangriffe betrieb die Luftwaffe auf dem Rottberg bei Velbert eine Nachtscheinanlage. Nachkriegszeit Nach Kriegsende konnte Gustav Krupp von Bohlen und Halbach im Rahmen der Nürnberger Prozesse aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr abgeurteilt werden. Sein Sohn Alfried wurde 1948 im sogenannten Krupp-Prozess zu zwölf Jahren Haft verurteilt sowie zehn von elf mit ihm angeklagte Manager. Sie wurden allesamt mit einer Ausnahme im Zeitraum Page 702
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bis 1952 begnadigt. Während der Haft des designierten Unternehmensnachfolgers Alfried Krupp von Bohlen und Halbach vertrat sein Bruder Berthold von Bohlen und Halbach zeitweilig die Familieninteressen, weil sein Vater Gustav nach mehreren Schlaganfällen bettlägerig krank war und seine Mutter Bertha ihm Generalvollmacht übertragen hatte. Bei Alfrieds vorzeitiger Haftentlassung im Februar 1951 holte ihn sein Bruder Berthold am Landsberger Gefängnistor ab.7 Der freigelassene Alleininhaber Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wollte danach bei der Wahrnehmung seiner Gesamtinteressen einen Vertrauten an seiner Seite haben, der nicht zur Familie gehört. Daraufhin trat Berthold Beitz 1953 in das Unternehmen ein und wurde Generalbevollmächtigter des Konzernchefs. Nach dessen Tod 1967 ging der Krupp-Konzern 1968 vollständig in den Besitz der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung über. Berthold Beitz leitete die Gründung der Stiftung. Von 1970 bis 1989 war Beitz Vorsitzender des Aufsichtsrates bei Krupp, danach Ehrenvorsitzender. Am 17. Juli 1974 beteiligte sich der Staat Iran unter Schah Mohammad Reza Pahlavi zu 25,04 Prozent an der Fried. Krupp Hüttenwerke AG.8 Das Angebot deutscher Banken wurde abgelehnt, um eine damit verbundene Bedingung, Sitze im Aufsichtsrat an die Banken abzugeben, zu umgehen. Im Zuge der Page 703
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Islamischen Revolution erwirkte die US-amerikanische Citibank im Dezember 1979 beim Amtsgericht Essen einen Pfändungsbeschluss für die iranischen Anteile an der Fried. Krupp GmbH. Erst zuvor im November hatte die US-Bank Morgan Guaranty Trust Company Pfändungen veranlasst. 1983 übernahm die Krupp Stahl AG 45 Prozent der Anteile an dem Stahlunternehmen Wuppermann in Leverkusen. Fusionen mit Hoesch und Thyssen 1986 berief Berthold Beitz Gerhard Cromme dazu, die Vorbereitungen zur Zusammenführung der Unternehmen der Industriedynastie Krupp unter der Firma ThyssenKrupp AG zu treffen.? 1992 fusionierte die Fried. Krupp AG nach einer feindlichen Übernahme vom 10. Oktober 1991 mit der Hoesch AG zur Fried. Krupp AG HoeschKrupp.¹° Die ThyssenKrupp AG entstand schließlich 1999 aus der Fusion der Thyssen AG mit Friedr. Krupp AG HoeschKrupp. 2004 wurden auf Druck der USA Beteiligungen durch die iranische Holding Ific an der mittlerweile fusionierten ThyssenKrupp AG von 7,8 auf 4,5 Prozent reduziert und zum vierfachen Preis des damaligen Marktwerts zurückgekauft. Der iranische Außenhandelsgesandte Mohammad-Mehdi Navab-Motlagh wurde nicht mehr zur Wiederwahl im Aufsichtsrat im Januar 2005 aufgestellt. Filmprojektoren Page 704
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Das Dresdner Unternehmen Ernemann ging 1920 eine Interessengemeinschaft mit der F. Krupp AG ein. Die daraus entstandene „Krupp-Ernemann Kinoapparate AG" beschäftigte sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Filmprojektoren. Das bisher genutzte Ernemann-Warenzeichen, die Lichtgöttin, wurde durch ein dreiteiliges Malteserkreuzgetriebe auf den drei Krupp-Ringen ersetzt. Siehe auch - Lokomotiv- und Waggonbaufabrik Krupp (1916–1997) - „Hart wie Kruppstahl" (Redewendung im Nationalsozialismus) Literatur - Achim Dresler, Uwe Fiedler, Gert Richter, Jörn Richter (Red.): Mythos Hartmann. (Zum 200. Geburtstag des sächsischen Lokomotivenkönigs Richard Hartmann). Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz 2009, ISBN 978-3-910186-72-9. - Wolfgang Ibel, Lothar Petzold (Red.): 200 Jahre Krupp. Weltunternehmen mit Tradition. Eine Sonderveröffentlichung der ThyssenKrupp AG in Zusammenarbeit mit der WAZ Mediengruppe. ThyssenKrupp AG, Essen 2011, Digitalisat (PDF; 5,16 MB). Veröffentlicht am 20. November 2011, abgerufen am 15. Januar 2015. - Wilhelm Muehlon: Ein Fremder im eigenen Land. Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen eines Krupp-Direktors Page 705
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1908–1914. Herausgegeben und eingeleitet von Wolfgang Benz. Donat, Bremen 1989, ISBN 3-924444-44-7. - Frank Stenglein: Krupp. Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens. Überarbeitete und aktualisierte Neuauflage. Klartext Verlag, Essen 2011, ISBN 978-3-8375-0518-4. Weblinks Commons: Krupp-Lastwagen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Geschichte der Kruppschen Nachtscheinanlage in Velbert - Selbstdarstellung 200 Jahre Krupp (PDF) Einzelnachweise [1] Harold James: Krupp. Deutsche Legende und globales Unternehmen. Aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-62414-8. [2] Antek Schwarz: Stahl schreibt Geschichte. stahl und eisen 135 (2015) Nr. 10, S. 90. [3] Ulrich Herbert: Von Auschwitz nach Essen. Die Geschichte des KZ-Außenlagers Humboldtstraße. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Red.): Sklavenarbeit im KZ (= Dachauer Hefte. H. 2 = dtv 4607). Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1993, ISBN 3-423-04607-4, S. 13–34. [4] „Geisenheim, KZ-Außenkommando Geisenheim, Maschinenfabrik Johannisberg GmbH". Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). (Stand: 2. Page 706
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Dezember 2015) [5] Harold James: Krupp. Deutsche Legende und globales Unternehmen. Aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-62414-8, S. 225. [6] Werner Abelshauser: Rüstungsschmiede der Nation? Der Kruppkonzern im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit 1933 bis 1951. In: Lothar Gall (Hrsg.): Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung. Siedler, Berlin 2002, ISBN 3-88680-742-8, S. 267–472, hier S. 424, 439. [7] Frank Stenglein: Krupp. Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens. 2011, S. 199 mit Foto. [8] Nina-Firouzeh Nowkam: Iran. Chronik des 20. Jahrhunderts. Books on Demand, Norderstedt 2008, ISBN 978-3-8334-7332-6, S. 246. [9] Frank Stenglein: Krupp. Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens. 2011, S. 245 ff., 257. [10] Heute vor 20 Jahren schluckte Krupp das Unternehmen Hoesch. In: Westfälische Rundschau, vom 10. Oktober 2011. Daimler-Benz Die Daimler-Benz Aktiengesellschaft war ein Vorgängerunternehmen der heutigen Daimler AG. Daimler-Benz entstand 1926 durch die Fusion der Daimler-Motoren-Gesellschaft mit der Benz & Cie. Im Jahr 1998 fusionierten die Daimler-Benz AG und die amerikanische Chrysler Corporation zur neu gegründeten DaimlerChrysler AG, die seit 2007, Page 707
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nach dem mehrheitlichen Verkauf von Chrysler, nunmehr als Daimler AG firmiert. Die Vorläufer der Daimler-Benz AG, die Daimler-Motoren-Gesellschaft sowie Benz und Cie., gelten als älteste Kraftfahrzeug-Unternehmen der Welt. Geschichte Von der Firmengründung bis 1933 1883 ließ sich Gottlieb Daimler erstmals Patentrechte für einen Gasmotor mit Glührohrzündung sowie für die Regulierung der Geschwindigkeit des Motors durch Steuerung des Auslassventils sichern. Die beiden Patente waren die Grundlage für den weltweit ersten schnell laufenden Verbrennungsmotor. Am 29. Januar 1886 ließ sich Carl Friedrich Benz das Automobil, ein dreirädriges Fahrzeug mit Verbrennungsmotor und elektrischer Zündung, patentieren. Im Juni 1919 erschien im Stuttgarter Daimler-Werk die erste deutsche Werks-Zeitung. Sie entstand nach dem Vorschlag vom Soziologen Eugen Rosenstock-Huessy. Mit seiner Denkschrift Über die geistige Sanierung des Daimlerwerks hatte er sich als Publizist angeboten. In 14 Monaten erschienen 19 Ausgaben bis sie am 25. August 1920 wegen eines Streiks kommunistischer Arbeitergruppen eingestellt wurde.² In den 1920er Jahren kämpften fast alle Page 708
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Automobilproduzenten ums Überleben. Die Deutsche Bank regte einen Zusammenschluss von Benz und Daimler an, auch weil sie so Forderungen in Anteile an dem neuen Konzern tauschen konnte. Die aus den Arbeiten beider Automobilpioniere hervorgegangenen Unternehmen Benz & Co Rheinische Gasmotorenfabrik Mannheim (ab 1899: Benz & Cie.) und Daimler-Motoren-Gesellschaft fusionierten am 28. Juni 1926 zur Daimler-Benz AG mit Sitz in Berlin. Seit dieser Zeit stellt die Deutsche Bank stets den Vorsitzenden des Aufsichtsrats bei Daimler-Benz, ab 1998 dann auch bei DaimlerChrysler. Wilhelm Friedle, bis 1935 Betriebsdirektor im Werk Sindelfingen, brachte die Fließbandfertigung zu Daimler-Benz. Daimler-Benz zur Zeit des Nationalsozialismus Nach der Machtergreifung der NSDAP engagierte sich die Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschen Reich verstärkt im Bereich Rüstung, um von der Aufrüstung der Wehrmacht zu profitieren. Daimler-Benz entwickelte und produzierte Militärfahrzeuge, Panzer, Schiffs- und Flugmotoren. Der Konzern besaß damals die drei Werke der früheren Daimler-Motoren-Gesellschaft in Stuttgart-Untertürkheim, Sindelfingen und Berlin-Marienfelde, das in drei Teilwerke gegliedert war, und die ehemaligen Werke von Benz & Cie in Mannheim und Gaggenau sowie ab 1938 das neue Werk Königsberg. Das Flugmotorenwerk Genshagen der Tochterfirma Daimler-Benz Motoren GmbH entstand 1936; die Flugmotorenwerke Ostmark Page 709
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden 1941 von den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken übernommen. Um die Flugmotorenwerke mit Teilen zu versorgen, wurden 1940 in Colmar, 1941 in Reichshof und 1942 in Neupaka Zulieferwerke übernommen oder gegründet. In Backnang entstand ein Entwicklungswerk für Flugzeugtriebwerke. Die neuen Werke in Genshagen und Backnang gehörten Daimler-Benz. Bei den übrigen Werken außerhalb Deutschlands trat der Konzern als Pächter oder Minderheitsgesellschafter auf. 1932 war das Unternehmen nach der Adam Opel AG und der Auto Union drittgrößter Automobilproduzent in Deutschland. Es beschäftigte Ende 1932 nur noch 9148 Mitarbeiter, 1928 waren es noch 14.281. Bis 1944 wuchs die Belegschaft auf 74.198 Personen, davon waren zirka 6,6 % Kriegsgefangene und 37 % angeworbene oder zwangsverschleppte Ausländer. 1941 arbeiteten 150 KZ-Häftlinge für Daimler-Benz. 1944 waren es 5648 KZ-Häftlinge.³ In den Betrieben waren verstärkt auch Frauen tätig, da die Männer an der Front standen. Der Konzernumsatz wuchs von 65 Millionen Reichsmark im Jahr 1932 auf 942 Millionen Reichsmark im Jahr 1943. Über ein Drittel des Umsatzes wurde 1943 mit Flugmotoren erwirtschaftet. 1941 machten 76 % des Umsatzes der Aktiengesellschaft, d. h. ohne die Beteiligungsgesellschaften, Wehrmachtaufträge aus, der Rest der Aufträge war von Behörden, Parteiorganisationen, der Kriegswirtschaft und für den Export. Page 710
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Am Ende des Krieges gingen im Osten Deutschlands die Niederlassungen sowie die Werke Königsberg und Genshagen verloren. Auch die in den besetzten Ländern im Krieg gegründeten Werke Colmar, Neupaka, Reichshof und das Flugmotorenwerk Ostmark musste der Konzern abschreiben. Im Westen waren die Produktionsstätten teilweise stark beschädigt. Das Stammwerk Untertürkheim wurde bei einem Luftangriff auf Stuttgart am 5. September 1944 durch alliierte Bomber zerstört.4 Im Werk Sindelfingen war außer dem Presswerk kein überdachtes Gebäude mehr vorhanden und das Werk Mannheim war zu einem Drittel zerstört. Nachkriegszeit Daimler-Benz hat in der Nachkriegszeit zahlreiche Innovationen auf dem Gebiet 'Sicherheit im Automobil' entwickelt und auf den Markt gebracht, zum Beispiel 1949 das Sicherheits-Zapfenschloss, 1951 die Sicherheitsfahrgastzelle („gestaltfeste Fahrgastzelle") mit Knautschzonen, 1959 das Keilzapfen-Türschloss, 1978 das elektronische Bosch-Antiblockiersystem (ABS) und 1981 den Airbag sowie den Gurtstraffer. Nach bereits in Südamerika eingerichteten Produktionsstätten (Buenos Aires in Argentinien und São Paulo in Brasilien) wurde 1955 in New York als selbstständiges Tochterunternehmen die Daimler-Benz of North America Inc. gegründet. In den USA sollten hauptsächlich Nutzfahrzeuge produziert Page 711
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt werden.5 1962 beschäftigte die Daimler-Benz AG 90.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Jahresumsatz von 4,4 Milliarden DM. 1972 waren 149.800 Mitarbeiter bei Daimler-Benz beschäftigt und erzielten einen Jahresumsatz von 13,3 Milliarden DM. 1977 kaufte Daimler-Benz den amerikanischen Muldenkipper-Produzenten Euclid Trucks. Ab Mitte der 1980er Jahre expandierte das Unternehmen unter seinem Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter in andere Bereiche: Der Konzern erwarb die Dornier GmbH, die MTU Motoren- und Turbinen-Union, Fokker sowie die AEG. Aus Teilen dieser Tochterunternehmen wurde die Deutsche Aerospace AG (DASA) gebildet. Neu gegründete Tochterunternehmen waren die Deutsche Airbus GmbH und die Daimler-Benz Inter Services (debis), so dass der Konzern inklusive der Automobilsparte nunmehr aus vier Konzernbereichen bestand. In Zusammenarbeit mit der Carl Geringhoff GmbH entwickelte das Unternehmen den ersten europäischen selbstfahrenden Mais-Ernter, verbaut mit einem Unimog mit dem Kraftfahrzeugkennzeichen „RA-E 953". 1986 feierte Daimler-Benz sein 100-jähriges Bestehen. Die Ausstellung „100 Jahre Automobil" wurde in Stuttgart eröffnet und Page 712
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt danach in mehreren europäischen Ländern gezeigt. Das Unternehmen ließ sich diese Präsentation einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Der von Daimler-Benz betriebene Aufwand für das Ereignis stieß auch auf Kritik in der Öffentlichkeit: So geriet die bei der Eröffnungsvorstellung gezeigte zirka 20 Millionen DM teure Fernsehshow Die Zukunft hat Geburtstag – 100 Jahre Automobil des Klimbim-Regisseurs Michael Pfleghar über die Geschichte des Automobils zum Fiasko.6 1989 beschäftigte die Daimler-Benz AG (mit der AEG) 368.200 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Jahresumsatz von 76,392 Milliarden DM. 1990 erhöhte sich der Umsatz auf 85,5 Milliarden DM. In der Ära Reuter wurde eine neue Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen errichtet. Das Hauptquartier auf einem 120.000-Quadratmeter-Grundstück besteht aus 13 Gebäuden mit einem elfgeschossigen Hochhaus und soll etwa 300 Millionen Euro gekostet haben. Rund 3000 Mitarbeiter zogen dort 1990 ein. Reuter liebte die neue Zentrale, seine Nachfolger verachteten sie.7 Nach der Übernahme des CEO-Postens durch Jürgen Schrempp 1995 erfolgte eine stetige Abkehr von Reuters Traum des „integrierten Technologiekonzerns". Verlustbringer wie Fokker, AEG, Adtranz und Dornier wurden (teilweise unter enormen Kosten) abgestoßen, obwohl Schrempp z.B. den Kauf von Fokker als DASA-Chef einst selbst in die Wege geleitet Page 713
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt hatte. Die Unternehmensleitung schloss die konzerneigene immer noch unter AEG firmierende Verkehrstechnik-Sparte mit derjenigen von ABB zur ABB Daimler Benz Transportation zusammen, die besser unter ihrem Markennamen Adtranz bekannt war. Am 17. November 1998 fusionierten Daimler-Benz und Chrysler zur neuen DaimlerChrysler AG. Die Daimler-Benz AG selbst existierte noch einen Monat weiter und wurde am 21. Dezember 1998 auf die DaimlerChrysler AG als übernehmende Gesellschaft fusioniert. Die neue Unternehmenszentrale in Möhringen nannte Schrempp „Bullshit Castle", sein Nachfolger Dieter Zetsche (2006) ordnete kurz nach seinem Amtsantritt gar den Auszug des Vorstands und den Verkauf der Liegenschaft an (DaimlerChrysler hatte im Rahmen einer Prüfung seines Immobilienbestandes die Gebäude „als nicht betriebsnotwendig" eingestuft). Die Stuttgarter selbst nennen die Zentrale emotionslos „Daimler City". Seitdem sitzt der Vorstand wieder im Stammwerk Untertürkheim.7 Übernahmen Nach dem Krieg entwickelte sich der Konzern durch Erwerb zahlreicher Unternehmen (z. B. 1985 MTU Motoren- und Turbinen-Union München, Dornier, AEG; 1989 Messerschmitt-Bölkow-Blohm; 1992 Fokker) zum größten deutschen Page 714
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Industriekonzern, der seit 1990 folgende Unternehmensbereiche umfasste: Mercedes-Benz AG (gegründet 1989; Pkw und Nutzfahrzeuge), Daimler Benz Aerospace (DASA) AG (gegründet 1989; Luft- und Raumfahrt, Antriebe), AEG Daimler-Benz Industrie (elektrotechnische und elektronische Anlagen), Daimler-Benz InterServices (debis) AG (gegründet 1990, Dienstleistungen) und ABB Daimler Benz Transportation (Adtranz) (gegründet 1996, Schienenverkehrstechnik). Eine Übernahme der BMW AG scheiterte 1959 am Widerstand der Kleinaktionäre und dem Hauptaktionär Herbert Quandt. Vorsitzende Als Aktiengesellschaft hatte die Daimler-Benz AG einen Vorstand und einen Aufsichtsrat. Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG Literatur - Sebastian Bamberg: „… und morgen die ganze Welt": Daimler-Benz – ein Rüstungskonzern auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Pax Christi, Bad Vilbel 1990, ISBN 3-928082-11-6. - Wilfried Feldenkirchen: Vom Guten das Beste: von Daimler und Benz zur DaimlerChrysler AG, Band 1: Die ersten 100 Jahre (1883–1983). Herbig, München 2003, ISBN 3-7766-2254-7. - Jürgen Grässlin: Daimler-Benz. Der Konzern und seine Republik. Droemer Knaur, München 2002, ISBN 3-426-80064-0. Page 715
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Peter Grohmann, Horst Sackstetter: Plakat: 10 Jahre Betriebsarbeit bei Daimler-Benz. Rotbuch-Verlag, Hamburg 1982, ISBN 3-88022-213-4. - Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (Hrsg.): Das Daimler-Benz-Buch. Ein Rüstungskonzern im „Tausendjährigen Reich". Franz-Greno-Verlag, Nördlingen 1987, ISBN 3-89190-950-0. - Klaus Heidel: Kein guter Stern für die Schwarzen : die Geschäfte von Daimler-Benz im Land der Apartheid. Christen für Arbeit u. Gerechtigkeit Weltweit, Heidelberg 1987, ISBN 3-925910-01-8. - Barbara Hopmann; Mark Spoerer; Birgit Weitz; Beate Brüninghaus: Zwangsarbeit bei Daimler Benz, Franz Steiner, Stuttgart 1994, ISBN 3-515-06440-0. Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beiheft 78. - Max Kruk, Gerold Lingnau: Hundert Jahre Daimler Benz. V. Hase und Koehler, Mainz 1986, ISBN 3-7758-1117-6. - Hans Pohl, Stephanie Habeth, Beate Brüninghaus: Die Daimler-Benz AG in den Jahren 1933 bis 1945. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, herausgegeben von Hans Pohl und Wilhelm Treue, Beiheft 47, Franz-Steiner-Verlag 1987, ISBN 3-515-04733-6. - Karl Heinz Roth: Die Daimler-Benz AG 1916–1948: Schlüsseldokumente zur Konzerngeschichte. Greno, Nördlingen 1987, ISBN 3-89190-955-1. - Angelina Sörgel: Daimler-Benz – der Multi im Musterländle. PIW, Bremen 1986, ISBN 3-925139-06-0. - Gaby Weber: Daimler-Benz und die Argentinien-Connection: von Rattenlinien und Nazigeldern. Assoz. A, Berlin 2004, ISBN Page 716
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 3-935936-33-8. Weblinks Commons: Daimler-Benz AG – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Audioporträt über die Anfänge von Daimler und Benz auf Bayern2Radio – radioWissen Einzelnachweise [1] Daimler.com: Jahresabschluss zum 31. Dezember 1997. (PDF; 7,0 MB) [2] Ein eigenes Magazin für Mitarbeiter – Vor 90 Jahren schloss die erste Werkszeitung Deutschlands. Deutschlandfunk, Kalenderblatt vom 25. August 2010. [3] Barbara Hopmann u. a.: Zwangsarbeit bei Daimler Benz. Franz Steiner, Stuttgart 1994, ISBN 3-515-06440-0, S. 98 f. [4] Kriegswirtschaft [5] Eine amerikanische Tochter von Untertürkheim. In: Motor-Rundschau NKZ, Heft 11/1955, S. 392 [6] Auto-TV-Show: Das paßte unter den Teppich. In: Der Spiegel. Nr. 7, 1986 (online). [7] Immobiliendeal: DaimlerChrysler verkauft Stuttgarter Konzernzentrale. In: Spiegel Online, 27. Oktober 2006, abgerufen am 22. Februar 2014. Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG / DaimlerChrysler AG / Daimler AG Normdaten (Körperschaft): GND: 2007419-0 | LCCN: n81013648 | VIAF: 140192733 Dynamit Nobel Page 717
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Koordinaten: 50° 49' 11? N, 7° 8' 59? O Die Dynamit Nobel AG war ein deutsches Chemieund Rüstungsunternehmen, dessen Sitz sich zuletzt in Troisdorf befand. Das Unternehmen wurde 2004 vom ehemaligen Mutterkonzern MG technologies (heute GEA Group AG) in Teilen an verschiedene Unternehmen verkauft. Den größten Teil aller vormaligen Dynamit Nobel-Unternehmen führt die amerikanische Rockwood Inc. weiter. In der letzten Jahresbilanz 2003 wies Dynamit Nobel einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro aus und beschäftigte rund 13.000 Mitarbeiter. Vom 1. Januar 2003 bis zum Verkauf am 31. Juli 2004 wurde das Unternehmen von Jürg Oleas als Vorstandsvorsitzendem, der diese Funktion zugleich auch beim Mutterkonzern innehatte, geleitet. Geschichte 1865 bis 1918 Die Dynamit Nobel AG geht auf das am 21. Juni 1865 von dem schwedischen Chemiker und Industriellen Alfred Nobel in Hamburg gegründete Unternehmen Alfred Nobel u. Co zurück. Anfangs wurde Sprengstoff auf Basis von Nitroglycerin in der Dynamitfabrik Krümmel in Geesthacht bei Hamburg hergestellt. Bei dieser Fabrik handelte es sich um die erste Nitroglycerinfabrik außerhalb Schwedens. Nobel verfolgte den Plan, Nitroglycerin an vielen Standorten in Europa zu produzieren, da der Transport des Sprengstoffs Page 718
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wegen dessen Stoßempfindlichkeit ein überaus riskantes Unterfangen war. Da sich die Handhabung von Nitroglycerin als sehr gefährlich erwies, begann Nobel damit, einen Sicherheitssprengstoff, das Dynamit, zu entwickeln. Noch während der Erprobungsphase kam es 1866 zu einem schweren Explosionsunglück, bei dem das Werk in Krümmel fast vollständig zerstört wurde. Kurz darauf erzielte er dennoch den Durchbruch, indem er Nitroglycerin mit Kieselgur mischte und es so gegen Stoßeinwirkungen unempfindlicher machte. Im Oktober 1867 ließ er sich den neuen Sprengstoff, der auch unter dem Namen Nobel's Sicherheits-Sprengpulver vertrieben wurde, patentieren. Um die Hauptabnehmer, die Bergwerke des Ruhrgebiets, besser beliefern zu können, übernahm das Unternehmen 1874 die Sprengstoff-Fabrik Kaiser & Edelmann in Manfort (seit 1930 ein Stadtteil von Leverkusen), die 1870 von einer Explosion zerstört wurde. Nobel war 1872 an deren Wiederaufbau beteiligt und hatte dort auch zeitweilig die Produktion geleitet. Wegen der benachbarten Bahnstation wurde sie Werk Schlebusch genannt. Im Jahr 1876 wurde Nobels Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und nannte sich von da an Dynamit AG, vormals Alfred Nobel & Co (auch abgekürzt als DAG). Nun wurde auch die Produktion von Rüstungsgütern aufgenommen und schon bald stieg die DAG zum größten Pulver- und Munitionsproduzenten im Deutschen Reich auf. Page 719
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Unter Führung der DAG schlossen sich, wie auch in anderen europäischen Ländern, die größten deutschen Pulverproduzenten 1884 zu einem Kartell zusammen, das Pulvergruppe I genannt wurde. Bis 1889 folgten alle größeren Pulverproduzenten des Deutschen Reichs in diesen Zusammenschluss, der durch Preisabsprachen und Kooperationen Wettbewerb untereinander unterbinden sollte. In der Folgezeit kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit dem britischen Pulverkartell Nobel Dynamite Trust Coy und anschließend zur gemeinsamen Bildung des sogenannten „Generalkartells" deutscher und britischer Pulverfabriken. Durch den Rüstungswettlauf vor dem Ersten Weltkrieg konnten die Pulverproduzenten enorme Gewinne erzielen, die durch die Kartellstruktur noch erhöht wurden. Zudem unterstützten die Staaten in dieser Zeit massiv die Rüstungsentwicklung und -produktion. Das DAG-Werk in Saarwellingen eröffnete 1910. Da Unternehmensgründer Nobel kinderlos blieb, verfügte er, dass mit seinem Vermögen die nach ihm benannte Nobel-Stiftung gegründet werden sollte, was im Jahre 1900 geschah. Die wichtigste Aufgabe der Stiftung ist die jährliche Verleihung der Nobelpreise. Die Stiftung finanziert sich bis in die Gegenwart aus den Zinsen und den Erlösen aus den anfangs gehaltenen Unternehmensbeteiligungen, die kurz nach Nobels Tod abgestoßen wurden, so dass sich die an der Berliner Börse notierte DAG danach vollständig im Streubesitz befand. Page 720
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs wuchs die DAG durch Übernahme kleinerer Konkurrenten zum größten europäischen Sprengstoffhersteller heran. Während des Krieges setzte die DAG in ihren Werken auch Kriegsgefangene ein - vorwiegend russische Kriegsgefangene in dem 1912 von der Sprengstoffwerke Dr. R. Nahnsen & Co. AG übernommenen Werk Dömitz. 1918 bis 1945 Nach Kriegsende wurden Teile der Produktionsanlagen demontiert und mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags dem Unternehmen zunächst die Produktion von Rüstungsgütern untersagt. Fortan stellte es vorwiegend Bergwerkssprengstoffe, Sprengkapseln, Zündhütchen sowie Jagd- und Sportmunition (Flintenmunition/Schrot) her. Der Verzicht auf die Produktion lukrativer Rüstungsgüter bedeutete für die DAG große finanzielle Einbußen, so dass einige Werke geschlossen und die Produktionskapazität verringert werden musste. Das Unternehmen war bestrebt, durch die Produktion von chemischen Grund- und Zwischenprodukten seine Abhängigkeit von Rüstungsgütern zu verringern. Von der zur BASF gehörenden Chemische Werke Lothringen GmbH wurde 1925 die ehemalige Egestorffsche Zündhütchenfabrik in Empelde bei Hannover übernommen, die Produktion dort allerdings 1928 eingestellt und erst 1938 im Rahmen der Aufrüstung der Wehrmacht wieder begonnen. In den 1920er Jahren arbeitete die DAG Page 721
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eng mit der Siegener Dynamitfabrik AG sowie der Rheinisch-Westfälischen Sprengstoff-AG Köln – Troisdorf (RWS) zusammen. Letztere produzierte in ihrem Troisdorfer Werk bereits ab 1905 Zelluloid, einen auf Basis des Sprengstoffs Cellulosenitrat („Schießbaumwolle") entwickelten Kunststoff, und begann 1923 mit der Herstellung von Kunststoff-Formteilen aus Zelluloid. Später gründete die RWS dafür 1930 in Köln die Rheinische Spritzguß-Werk GmbH (heute Dynamit Nobel Kunststoff GmbH). Anfang 1931 fusionierten DAG, RWS, Deutsche Sprengstoff-AG Hamburg, Rheinische Dynamitfabrik Opladen, Westdeutsche Sprengstoffwerke, Siegener Dynamit-Fabrik (beide mit Sitz Köln) und die Dresdner Dynamitfabrik zur neuen Dynamit AG mit Firmensitz Troisdorf. Zusammen mit der bereits 1925 gegründeten I.G. Farben, in der die Köln-Rottweil AG mit Sitz in Köln (bis 1919 Vereinigte Köln-Rottweiler Pulverfabriken AG) aufgegangen war, entstand so ein Kartell, welches im Deutschen Reich der Weimarer Republik annähernd eine Monopolstellung für die Sprengstoffherstellung innehatte. Nach der Machtergreifung der NSDAP und durch deren Bestreben nach einer starken deutschen Rüstungsindustrie wurde von der Reichswehr (ab 1935: Wehrmacht) größere Produktionskapazität für Munition gefordert. Dazu gründete die DAG 1934 zusammen mit der Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff-AG (WASAG, Teil des Page 722
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt I.G.-Farben-Konzerns) die Deutsche Sprengchemie GmbH, welche mit Unterstützung der staatseigenen Verwertungsgesellschaft für Montan-Industrie mbH (kurz: Montan G.m.b.H.) neue Sprengstoff- und Munitionswerke auf staatlichem Grund und Boden errichtete (? Montan-Schema). Später wurde die Deutsche Sprengchemie GmbH ein alleiniges Tochterunternehmen der WASAG. Die DAG führte dieselben Tätigkeiten in der Gesellschaft zur Verwertung chemischer Erzeugnisse m.b.H. (kurz: Verwertchemie) weiter. Diese betrieb mehr als 30 Fabriken, unter anderem in Hessisch Lichtenau, Empelde und Allendorf (heute Stadtallendorf). Das Werk Allendorf war damals größter Hersteller von TNT in Europa. Dort mussten während des Zweiten Weltkriegs über 15.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge arbeiten. 1938 wurde in Aschau am Inn ein weiteres Werk zur Herstellung von Nitrocellulose errichtet, welches nach dem Krieg im Rahmen der Entflechtung der I.G. Farben AG in den Besitz der WASAG überging. 1945 bis 1992 Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die DAG im Westteil Deutschlands wieder mit der Produktion von Kunststoffen, Wehrtechnik und Munition. Die in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen Werke wurden enteignet und teilweise demontiert. Ab 1953 versuchte sich die DAG in der Entwicklung organischer Zwischensubstanzen, um neben den Kunststoffen ein weiteres ziviles Page 723
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Standbein aufzubauen. Nach der Entscheidung zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik wurde 1957 durch die Gesellschaft zur Verwertung chemischer Erzeugnisse mbH, welche den Krieg überstanden hatte und jetzt wie zuvor Grund und Boden von der nun bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG) bereitgestellt bekam, beginnend im Werk Liebenau die Produktion von Rüstungsgütern wieder aufgenommen. Zu Beginn der 1960er Jahre erreichte das Unternehmen in der Pulverherstellung wieder die Marktführerschaft in Deutschland. Dazu trug auch die 1963 erfolgte Übernahme des Munitionsherstellers Gustav Genschow & Co. AG aus Karlsruhe bei. Mit ihr war Dynamit Nobel nun der größte Munitionsproduzent sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke in Deutschland. Daneben trieb man vorwiegend die Produktion von Minen voran. So wurden ab 1958 in Liebenau mit Lizenz des schwedischen Unternehmens LIAB etwa 2 Millionen Stück Panzerabwehrminen vom Typ DM-11 produziert. Daneben beteiligte sich die DAG zusammen mit Bölkow und Dornier auch an Forschungsprojekten des damaligen Ministeriums für Atomkernenergie (heute Bundesministerium für Bildung und Forschung) zu einer möglichen deutschen Raketenrüstung. Ende der 1950er Jahre begann der bereits in Vorkriegszeiten im Aufsichtsrat sitzende Friedrich Flick mit teils rüden Methoden gegenüber Kleinaktionären die DAG aufzukaufen. Mit Unterstützung des Bremer Aktienspekulanten Hermann Krages erwarb er, zum Teil durch komplizierte Page 724
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Aktientausche mit der Feldmühle AG, an der Flick ebenfalls beteiligt war, bis 1958 die Aktienmehrheit des Unternehmens und wurde Aufsichtsratsvorsitzender. Nun bediente sich Flick, der nun 82 Prozent der Anteile besaß, einer umstrittenen Regelung des Umwandlungssteuergesetzes, die zum 31. Dezember 1959 auslief, um Kleinaktionäre gegen eine Abfindung aus dem Unternehmen zu drängen (ähnlich dem heutigen Ausschluss von Minderheitsaktionären). Nach Protesten von Aktionärsgruppen gegen die im Dritten Reich eingeführte Regelung entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht zu Gunsten Flicks. Bezugnehmend auf den positiv wahrgenommenen Unternehmensgründer wurde 1959 die Firma Dynamit-Actien-Gesellschaft, vormals Alfred Nobel & Co. in Dynamit Nobel AG geändert. Ab 1962 verhandelte das nun zum Flick-Konzern gehörende Unternehmen auf Druck der Jewish Claims Conference über eine Entschädigung für die 1.300 (jüdischen) Zwangsarbeiter, die in den Jahren 1944 und 1945 im Troisdorfer Werk zur Arbeit gezwungen wurden. Die Einigung auf eine Zahlung über fünf Millionen DM (5000 DM je Opfer) wurde von Friedrich Flick persönlich blockiert, so dass bis zu seinem Tod 1972 keine Zahlungen erfolgten. Im Januar 1970 ließ er zu diesem Thema eine abschließende Erklärung veröffentlichen, in der er „… nicht zu erkennen (vermag), dass humanitäre oder moralische Gründe eine Auszahlung Page 725
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt rechtfertigen könnten."¹ Flick verwies stets darauf, dass eine Zahlung seinen Unschuldsbeteuerungen im sogenannten Flick-Prozess widersprechen und als spätes Schuldeingeständnis gewertet werden könnten und außer ihm auch noch der Schweizer Dieter Bührle (Oerlikon-Bührle) mit 18 Prozent an der DAG beteiligt sei. Nachdem die Ausrüstung der Bundeswehr mit der Panzermine DM-11 Ende der 1960er Jahre abgeschlossen war, wurde das Werk in Liebenau 1977 an den holländischen Munitionshersteller Eurometaal abgetreten, an dem Dynamit Nobel zu einem Drittel beteiligt war. Die späteren großen Minenprojekte wurden in Troisdorf und in Burbach-Würgendorf realisiert. 1986 wurde der Flick-Konzern von der Deutschen Bank für rund fünf Milliarden DM aufgekauft, umstrukturiert und in Teilen wieder veräußert oder an die Börse gebracht. Die Deutsche Bank stimmte schließlich einer Entschädigung der Zwangsarbeiter der Dynamit Nobel AG im Rahmen der in den 1960er Jahren ausgearbeiteten Bedingungen zu. Im Zuge einer Umstrukturierung wurde schon 1985 die Dynamit Nobel AG mit der ebenfalls zum Flick-Konzern gehörenden Feldmühle AG sowie der Buderus AG zur Feldmühle Nobel AG zusammengeschlossen. Nachdem die Enkel Friedrich Flicks (Friedrich Christian Flick und dessen Bruder Gert Rudolf Flick) 1988 mit dem Versuch scheiterten, die Feldmühle Nobel AG zurückzuerwerben, übernahm Page 726
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1990 das schwedische Unternehmen Stora Kopparbergs bergslag (seit 1998 Stora Enso) das Unternehmen. Im darauffolgenden Jahr wurde der geplante Verkauf von Teilen des Unternehmens an die Metallgesellschaft (heute GEA) bekannt.² Nach Abschluss eines positiven Fusionskontrollverfahrens durch die Europäische Kommission erfolgte zum 1. Januar 1992 die Übernahme der Unternehmensteile Dynamit Nobel AG und Buderus durch die Metallgesellschaft Industriebeteiligungen AG, einer Tochtergesellschaft der Metallgesellschaft, während der Bereich Forstwirtschaft (die ehemalige Feldmühle AG) unter dem Namen Feldmühle Nobel AG bei Stora verblieb.³ Bereits 1988 schlossen die Gesellschaft zur Verwertung chemischer Erzeugnisse mbH, die zuvor nur als Beteiligung geführt wurde, und Dynamit Nobel einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Das Tochterunternehmen wurde schließlich 1990 mit einem anderen Tochterunternehmen, der Dynamit Nobel Explosivstoff- und Systemtechnik GmbH, verschmolzen. Seit 1992 Zu Beginn der 1990er Jahre war das Unternehmen in den Bereichen chemische Grundstoffe, chemische Zwischenprodukte, Kunststoff- und Faserrohstoffe, Spezialchemieprodukte (Siliziumwafer) und in der Kunststoffverarbeitung (insbesondere von PVC) aktiv. Etwa ein Viertel des Umsatzes entfiel weiterhin auf die traditionelle Page 727
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sprengmittel-Sparte sowie den Wehrtechnik-Bereich, der sich allerdings als stark von Rüstungsprojekten der Bundeswehr abhängig erwies. Im Jahr 1992 wurden die Cerasiv GmbH und die Chemetall GmbH übernommen. 1994 kamen die Sachtleben Chemie GmbH und die Chemson GmbH hinzu. Im Jahr 1996 wurde die zur Hoechst AG gehörende CeramTec AG akquiriert und mit der Cerasiv GmbH zur CeramTec Innovative Ceramic Engineering AG verschmolzen. 1997 übernahm Dynamit Nobel zur Stärkung des Kunststoff-Bereichs die Phoenix Kunststoff GmbH. 1999 wurden die Dynamit Nobel und das Chemieunternehmen Solvadis zum Geschäftsbereich MG chemical group zusammengefasst. Das Aktivitätsportfolio der Chemetall GmbH (Bereich Chemiespezialitäten) wurde kontinuierlich optimiert, wie die Zukäufe von Cyprus Foote (1998)4 und Brent (1999)5 sowie die Trennungen von Chemson GmbH (1999)6 und dem Galvanikgeschäft (2000) (heute: Coventya GmbH)7 belegen. 2001 wurde aus der „Dynamit Nobel Explosivstoff und Systemtechnik GmbH" der Bereich der gewerblichen Sprengmittel von der Orica übernommen. 2002 übernahm die Schweizer RUAG die zuvor aus der Dynamit Nobel Explosivstoff und Systemtechnik GmbH ausgegliederte Dynamit Nobel Ammotec GmbH. In dieser Gesellschaft wurde das Geschäft mit kleinkalibriger Munition gebündelt. Mit dem Verkauf des einstigen Stammgeschäfts begann die Zerschlagung des Konzerns. Page 728
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 2004 verkaufte die MG technologies AG im Zuge ihrer Konzentration auf den Anlagenbau ihre Chemiesparte. Dabei wurde die Dynamit Nobel AG zerschlagen und in Teilen von verschiedenen Unternehmen übernommen. Die amerikanische Rockwood Specialties Group Inc übernahm (zum Stichtag 31. Juli 2004) über ihr Luxemburger Tochterunternehmen Knight Lux 1 S.A.R.L. für 2,25 Milliarden € den größten Teil in Form der Dynamit Nobel-Spezialchemikalientöchter Sachtleben Chemie GmbH, Chemetall GmbH, CeramTec Innovative Ceramic Engineering AG und DNSC GmbH.8 Als ein Teil der DNSC GmbH entstand die Dynamit Nobel GmbH ES in Leverkusen. Rockwood selbst ist eine Holding für Chemieunternehmen, die der Finanzinvestor Kohlberg Kravis Roberts & Co. erworben hat. Die Dynamit Nobel Kunststoff GmbH wurde 2004 für 915 Mio. € von der schwedischen Plastal Holding AB übernommen. Der Wehrtechnikbereich wurde in die Dynamit Nobel Defence GmbH mit Sitz in Würgendorf (Burbach) ausgegliedert. Diese Firma ist heute eine Tochtergesellschaft des staatlichen israelischen Wehrtechnikkonzerns Rafael.? Das Geschäft mit kleinkalibriger Munition für Militär, Behörden, Jäger und Sportschützen sowie den Industriekomponenten wurde von der Schweizer RUAG 2002 übernommen und mit den Munitionsbereichen zusammengefasst. Als RUAG Ammotec GmbH (Fürth) werden die ehemaligen Dynamit Nobel Marken RWS, Rottweil und Geco weitergeführt. Die Zerschlagung Page 729
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt des Konzerns geschah größtenteils im Einklang mit den Arbeitnehmervertretern, die stets auch an den Verkaufsverhandlungen beteiligt waren. Zwar präferierte der Gesamtbetriebsrat der damaligen mg technologies AG den Erhalt der Chemiesparte im Konzern, jedoch fand die letztlich umgesetzte Lösung seine Zustimmung, da die Rockwood Inc. langfristige Interessen verfolge und die deutschen Arbeitsplätze gesichert scheinen.¹° Nach der Auflösung 2004 Nach der Auflösung 2004 ging aus Dynamit Nobel die Dynamit Nobel Defence hervor, eine eigenständige GmbH mit Standort in Burbach-Würgendorf. Rüstungsprojekte nach dem Zweiten Weltkrieg Ab 1958 wurde bei der Dynamit Nobel-Tochter Gesellschaft zur Verwertung chemischer Erzeugnisse mbH/Verwertchemie in Liebenau in Lizenz die schwedische Panzerabwehrmine DM-11 des Unternehmens LIAB produziert. Die Panzerabwehrmine AT-2 wurde von Dynamit Nobel entwickelt. Insgesamt sind etwa 1,3 Millionen Exemplare dieses Typs produziert worden. Die Bundeswehr orderte für das Leichte Artillerie-Raketen-System, das bis in das Jahr 2000 in Betrieb war, 300.000 Stück, für das Minenwurfsystem Skorpion etwa 640.000 Minen und für das Mittlere Artillerieraketensystem (MARS) 226.000 Exemplare. Zwischen 1981 und 1986 wurden von der Bundeswehr Page 730
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 564,7 Millionen DM in das Minenprojekt investiert.¹¹ Neben der Anti-Panzermine AT-2 wurde auch die baugleiche, nur gering modifizierte Anti-Personenmine AP-2, eine Antimaterialmine, eine Signalmine und eine Flachwassermine entwickelt. Das neuartige, mit hülsenloser Munition ausgestattete Sturmgewehr G11 wurde zusammen mit dem Waffenhersteller Heckler & Koch von 1968 bis 1990 entwickelt, wobei Dynamit Nobel die Entwicklung der hülsenlosen Munition übernahm. Das Projekt, welches bis zur Einsatzreife vorangetrieben wurde, scheiterte letztlich an der für die Bundeswehr nicht mehr tolerablen Kostenentwicklung. Dynamit Nobel vermarktet die schwedische Panzerabwehrmine FFV 028SN des Unternehmens FFV und übernahm die Umrüstung von 125.000 Anti-Personen-Minen des Typs DM-31, die von 1962 bis 1967 von den damals zur Quandt-Gruppe gehörenden Industriewerke Karlsruhe (heute IWKA AG) gefertigt wurden, zu einer Anti-Panzermine gemäß den Ottawa-Konventionen. Hierbei wurde allerdings der Zünder nicht ausreichend modifiziert, so dass die Mine auch weiterhin gegen Personen gerichtet werden könnte, obwohl sie offiziell als Anti-Panzer-Mine zählt.¹² Dynamit Nobel ist Hauptauftragnehmer der Panzerfaust 3, die im Rahmen eines Vertrages aus dem Jahre 1989 bei Dynamit Nobel in Würgendorf samt Munition und Übungspatronen gefertigt wird und Page 731
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt schrittweise bei der Bundeswehr und anderen Armeen als primäre Panzerabwehrwaffe der Infanterie eingeführt wurde. Derzeit werden neue Varianten für die Bundeswehr produziert. Kritik an Rüstungsprojekten Wiederholt wurde die Dynamit Nobel AG, wie jetzt auch ihr Nachfolgeunternehmen im Bereich Wehrtechnik, die Dynamit Nobel Defence GmbH, aufgrund der von ihnen produzierten Minensysteme scharf kritisiert. Seit Bestehen der Bundeswehr hat Dynamit Nobel geschätzte 3,2 Millionen Landminen geliefert. Noch 1992 warb das Unternehmen mit dem Spruch „Dynamit Nobel – Bei Minen die erste Adresse" in einer Fachzeitschrift.¹³ Nach wie vor befinden sich in den Beständen der Bundeswehr umstrittene Anti-Panzerminen aus der Produktion von Dynamit Nobel, welche im Verdacht stehen, auch gegen Personen eingesetzt werden zu können. Dies wäre nach der Ottawa-Konvention verboten. 2003 belief sich ihre Zahl auf 1,2 Mio. Stück.¹4 Vinylchlorid-Vergiftungen in Troisdorf Bis in die 1970er Jahre wurde am Standort Troisdorf von Dynamit Nobel, dem Industriestadtpark auf der ehemaligen Troisdorfer Heide,¹5 das Monomer Vinylchlorid (VC) zum Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC) polymerisiert. Zu dieser Zeit kamen regelmäßig etwa 130 bis 140 Mitarbeiter mit diesem Stoff in Kontakt, wobei über die Jahre seit Aufnahme Page 732
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Produktion in Troisdorf in den 1940ern geschätzte 3600 Personen in diesem Bereich tätig waren. Entgegen geltenden gewerbehygienischen Auflagen wurden die Mitarbeiter bei Dynamit Nobel über Jahre hinweg dem gesundheitsschädlichen und, wie sich später herausstellte, auch krebserregenden Stoff teilweise ungeschützt ausgesetzt. So wurden sie durch ausströmendes VC-Gas oder beim Reinigen von Druckkesseln erheblich kontaminiert. Die meisten anderen PVC-Produzenten hatten zu jener Zeit ihre Produktion bereits auf weniger gesundheitsgefährdende Systeme umgestellt, was bei Dynamit Nobel aus Kostengründen unterblieb. Zudem wurden regelmäßig Kontrollen umgangen, teilweise manipuliert oder deren Ergebnisse verschwiegen, wodurch das für die Region bedeutende Unternehmen regelmäßig Aufschübe für die Umsetzung von Richtlinien erhielt. Die VC-Kontamination war bei Dynamit Nobel über Jahre so hoch, dass die betroffenen Mitarbeiter über Leberschäden, Verminderung der Blutkörperchen (Anämie) und Durchblutungsstörungen der Finger, die zu Akroosteolyse (Absterben der vorderen Fingerglieder) führten, sowie Migräne und Schwindel klagten; als Spätfolgen kamen noch Krebserkrankungen hinzu. Nach den ersten 13 Meldungen von schweren Erkrankungen im Frühjahr 1972 ordnete das Gewerbeaufsichtsamt in Bonn für Dynamit Nobel Maßnahmen zur Verbesserung der gewerbehygienischen Bedingungen Page 733
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt an, welche vom Unternehmen allerdings verschleppt wurden. In der Folge gründete sich die Interessengemeinschaft der VC-Geschädigten, die im Namen von 40 betroffenen Chemiearbeitern eine Klage wegen Amtspflichtverletzung gegen das Land Nordrhein-Westfalen initiierte und Entschädigungen, ähnlich dem Contergan-Prozess, einforderte. Die Troisdorfer DKP-Ortsgruppe stellte eine Strafanzeige wegen Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung und Tötung gegen den Vorstand der Dynamit Nobel AG. Beide Initiativen blieben erfolglos. Nachdem immer mehr Details des Skandals an die Öffentlichkeit gelangten, kam es zu Protesten von Mitarbeitern und Bürgern von Troisdorf. Im Jahr 1975 beschloss die Unternehmensleitung, den dortigen PVC-Polymerisationsbetrieb zu schließen, um aufwändigen Modernisierungsund Sicherungsmaßnahmen zu entgehen. Seit den ersten Meldungen über Gesundheitsgefährdungen versuchte das Unternehmen stets, den Skandal zu vertuschen. Hierzu setzte das Unternehmen Journalisten und Verleger massiv unter Druck. In den folgenden Jahren verstarben einige der kontaminierten Mitarbeiter an den Folgen ihrer Erkrankungen, ohne dass der Konzern Entschädigungen leistete.¹6 Literatur - Bernd Klewitz: Die Arbeitssklaven der Dynamit Nobel. Ausgebeutet und Page 734
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vergessen. Sklavenarbeiter und KZ-Häftlinge in Europas größten Rüstungswerken im 2. Weltkrieg. Engelbrecht, Schalkmühle 1986, ISBN 3-925211-02-0 - Thomas Ramge: Die Flicks. Eine deutsche Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik. Campus-Verlag, Frankfurt 2004, ISBN 3-404-61593-X, S. 157–162, 167–172 Siehe auch - Deutsche Wildermannwerke Chemische Fabriken in Lülsdorf Weblinks - Website der Dynamit Nobel GmbH ES - Website der Dynamit Nobel Defence GmbH - Bilder der ehemaligen Dynamit AG Frauenwald in Landsberg/Lech - Bilder der ehemaligen Dynamit AG FBromberg Einzelnachweise [1] Clemens Krümmel: Heil dich doch selbst – Die Flick-Collection wird geschlossen. In: taz, 1. April 2005 (Beilage). [2] Der Spiegel 25/1991: Feldmühle Nobel wird zerlegt [3] Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Fusionskontrollverfahren – Entscheidung nach Artikel 6 Absatz 1b, Fall Nr. IV/M.119 – Metallgesellschaft/Feldmühle [4] MG kauft amerikanische Chemie-Gesellschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 98, 28. April 1998.. [5] Unternehmensnachrichten(de). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. Page 735
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 221, 23. September 1999.. [6] MG: Konzerngewinn wächst zweistellig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 164, 18. Juli 2000.. [7] Chemieunternehmen gekauft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 34, 9. Februar 2001.. [8] Dynamit Nobel cédé à Rockwood Specialities (fr). In: L'usine nouvelle. Nr. 2914, 22. April 2004. Abgerufen am 23. Oktober 2010. [9] Handelsblatt vom 29. November 2012: Deutschland beliefert Israel massiv mit Waffen [10] „Wir hatten einen konstruktiven Dialog." Interview mit Konzernbetriebsrat und Aufsichtsrat der MG technologies AG Reinhold Siegers in: Magazin Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung, April 2005. Nachzulesen unter: boeckler.de. [11] Landmine Monitor Report Germany '99 der Mines Action Canada (MAC), Ottawa 1999 icbl.org (englisch); Website der MAC: minesactioncanada.org. [12] Bundeswehr-Verstoß gegen Minen-Abkommen? In: Der Spiegel. Nr. 19, 2001 (online). [13] Annette Jensen: Millionengeschäft mit Minen. taz, 20. November 1997, abgerufen am 17. September 2011. [14] Markus Haake, Thomas Küchenmeister: Deutsche Hersteller handeln weiter mit tödlichen Minen. AG Friedensforschung der Uni Kassel, September 2003, abgerufen am 17. September 2011. [15] http://www.industriestadtpark.de/historie-industr iestadtpark/ [16] Andrea Westermann: PVC, Dynamit Nobel und die Stadt Troisdorf. Lokale Page 736
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Deutungen von industriellen Gesundheitsgefahren und ihre Verallgemeinerung. In: F.-J. Brüggemeier, I. Engels (Hrsg.): Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konflikte, Konzepte, Kompetenzen. Campus, Frankfurt am Main 2005, S. 249–267, ISBN 3-593-37731-4. Normdaten (Körperschaft): GND: 2009135-7 | LCCN: n89665578 | VIAF: 139682880 Friedrich Flick Friedrich Flick (* 10. Juli 1883 in Ernsdorf, heute zu Kreuztal; † 20. Juli 1972 in Konstanz) war ein deutscher Unternehmer. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges hielt sein Flick-Konzern umfangreiche Firmenbeteiligungen, besonders im Rüstungsbereich. Im Flick-Prozess wurde er als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt. In der Nachkriegszeit begann sein Wiederaufstieg, wobei er zu einem der reichsten Männer der Bundesrepublik Deutschland wurde. Seine Söhne waren Otto-Ernst Flick, Rudolf Flick (1919–1941) und Friedrich Karl Flick. Der zweitgeborene Sohn Rudolf kam als Soldat am 28. Juni 1941, sechs Tage nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, ums Leben.¹ Leben Bis zum Ersten Weltkrieg Friedrich Flick kam am 10. Juli 1883 als Sohn Page 737
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eines Landwirts und finanziell abgesicherten Grubenholzhändlers, der auch einige Anteile an Siegerländer Erzgruben hielt,² in Ernsdorf (heute Ortsteil von Kreuztal, Kreis Siegen-Wittgenstein) zur Welt. Flick besuchte das Realgymnasium (das heutige Gymnasium „Am Löhrtor") in Siegen, absolvierte eine Lehre zum Kaufmann bei der Bremerhütte im heutigen Siegener Stadtteil Geisweid³ , leistete seinen Wehrdienst ab und begann ein Studium an der Handelshochschule Köln. Seit seiner Jugend las Flick eifrig Unternehmensbilanzen. Flick war einer der ersten Studenten, die nicht nur ein Betriebswirtschaftsstudium, sondern auch ein Studium der Volkswirtschaft absolvierten. Einer seiner Lehrer war dort Eugen Schmalenbach, der „Entwickler" der dynamischen Bilanztheorie. Seine erste Anstellung bekam er, nachdem er 1906 seinen Abschluss als Diplom-Kaufmann erhalten hatte, wieder bei der Bremer Hütte. Zum 1. Juli 1913 wechselte er dann in den Vorstand der Eisenindustrie zu Menden und Schwerte in Schwerte/Ruhr, einem kombinierten Werk mit Stahlerzeugung und Weiterverarbeitung. Bereits zum 31. März 1915 verließ er das Unternehmen auf eigenen Wunsch. Sein Aufstieg begann 1915 als Vorstandsmitglied bei der Charlottenhütte in Niederschelden, in die er sich mit der Zeit einkaufte. Dies finanzierte er durch Gewinne an Betrieben, die er überteuert als Vorstandsmitglied kaufte, Page 738
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nachdem er sich zuvor an ihnen beteiligt hatte, oder indem er privat Schrott aufkaufte und an seine eigene Firma weiterverkaufte. Im Ersten Weltkrieg mit seinem Rüstungsboom führte er den Betrieb zu großen wirtschaftlichen Erfolgen und wurde schließlich 1919 sein Generaldirektor.4 Weimarer Republik Der Versuch, sich einen Stand im Ruhrgebiet zu verschaffen, scheiterte zunächst an den dortigen Industriemagnaten. Allerdings konnte Flick verhindern, dass sich diese ihrerseits im Siegerland etablierten. Über Betriebsaufkäufe in Oberschlesien und Mitteldeutschland, die er dank der hohen Inflation durch günstige Kredite finanzierte, baute er sein Unternehmen aus. Als Friedrich Flick den Firmensitz im September 1923 nach Berlin verlegte, kaufte er in der Zeit der Inflation nicht wahllos Unternehmen auf, sondern baute zielstrebig das Kerngeschäft im Eisen- und Stahlgewerbe sowie in der Kohlebranche aus.5 Die Bismarckhütte, die Kattowitzer AG für Bergbau und der Eisenhüttenbetrieb, der wichtigste Kohleförderer der Region Oberschlesien, sowie die Oberschlesische Eisenindustrie AG waren weitere Meilensteine auf dem Weg zu einem der größten Stahlkonzerne Deutschlands.6 Das Engagement in Oberschlesien erwies sich jedoch als Fehlentscheidung, und Schulden häuften sich auf. In der Folge gerieten weitere Werke Flicks Page 739
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Im Tausch gegen die verschuldeten mitteldeutschen und oberschlesischen Werke erlangte Flick 1926 von Hugo Stinnes Anteile, die ihm schließlich zur Mehrheitsbeteiligung in der neuen Vereinigte Stahlwerke AG verhalfen.7 Die Charlottenhütte blieb als Holding in Flicks persönlichen Besitz und übernahm 1929 die Aktienmehrheit der Maxhütte. 1931 erfolgte der Konzernaufbau der Unternehmen Maxhütte und Mitteldeutsche Stahlwerke in der Holdinggesellschaft Charlottenhütte AG, und er trennte sich von den Vereinigten Stahlwerken. Infolge dieser Maßnahmen, der Weltwirtschaftskrise und der hohen Verschuldung drohte Flick nach dem rasanten Aufstieg die Zahlungsunfähigkeit: "Had the great business depression of 1930 not interrupted his speculative sprint to power, Flick might have consolidated his position and replaced Fritz Thyssen as the dominant power in United Steel." – George W. F. Hallgarten8 Es gelang Flick, der Reichsregierung im Juli 1932 die Aktienmehrheit der Gelsenkirchener Bergwerks-AG, die die Mehrheit an den Vereinigten Stahlwerken hielt, zu einem mehr als dreifach überhöhten Verkehrswert zu verkaufen.? Später erklärte Flick diesen sensationellen Verkauf mit dem Verweis darauf, dass die Reichsregierung habe verhindern wollen, dass er an Page 740
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die Franzosen verkaufe.¹° Im Nürnberger Flick-Prozess sagte Flick jedoch über den Hintergrund der Affäre aus, er habe seit 1926 als geheimer Mittelsmann für das Deutsche Reich versucht, die Kontrolle über die oberschlesischen Bergbaugesellschaften aufrechtzuerhalten, die im Versailler Vertrag größtenteils an Polen gefallen waren. Daher, so folgerte George W. F. Hallgarten, sei Flicks Drohung mit dem Verkauf nach Frankreich eine Art politischer Erpressung gewesen.¹¹ Damit war Flick saniert. Dieses Geschäft, die Gelsenberg-Affäre, wurde in der Presse nicht nur wegen des Börsengeschäfts ein Skandal, sondern auch wegen der Wahlkampfspenden an Parteien im Spektrum von SPD bis NSDAP (wobei die bürgerlichen Parteien bevorzugt wurden). Sechsstellige Wahlkampfspenden erhielten Kurt von Schleicher (parteiloser Reichswehrminister ab 1. Juni 1932), Alfred Hugenberg (Medienunternehmer; DNVP) und Heinrich Brüning (Zentrumspartei, Reichskanzler bis 30. Mai 1932).¹² Die Regierungsmitglieder des Kabinetts Brüning II erhielten zusammen 450.000 Reichsmark an Spenden für den Reichspräsidentenwahlkampf 1932 und ihren Kandidaten Paul von Hindenburg.¹³ Ebenfalls 1932 wurde Flicks Privatsekretär Otto Steinbrinck Mitglied im Keppler-Kreis.¹4 Nationalsozialismus Der Erwerb der Essener Steinkohlenwerke bot nicht nur die Ausgangsbasis für Page 741
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt den Einstieg in die Herstellung von synthetischem Benzin,¹5 sondern war für die Verhüttung von Erzen als Selbstversorgung der eigenen Stahl- und Eisenwerke von strategischer Bedeutung. 1933 kauften die Mitteldeutschen Stahlwerke die Allgemeine Transportanlagen-Gesellschaft (ATG), die nach dem Ersten Weltkrieg aus den Deutschen Flugzeug-Werken hervorgegangen war. Damit war Flick für das aufkommende Rüstungsgeschäft mit den Nationalsozialisten positioniert. Flick war Mitglied des konservativen Deutschen Herrenklubs. 1934 wurden die Mitteldeutschen Stahlwerke Pflichtmitglied in der „Pflichtgemeinschaft in der Braunkohlenwirtschaft" und damit Gründungsunternehmen der BRABAG. Nach 1933 konzentrierte er die Spenden, rund 100.000 Reichsmark im Jahr, auf die NSDAP. Nach Ablauf der vierjährigen Eintrittssperre trat er 1937 der NSDAP bei. 1934 oder 1935 wurde er Mitglied des etwa 40 Personen umfassenden Freundeskreises Reichsführer SS. Am 20. Februar 1933 wurde er zusammen mit Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Georg von Schnitzler, Fritz Springorum, Ernst Tengelmann, Albert Vögler und anderen Vertretern der deutschen Wirtschaft zum neuen Reichskanzler Adolf Hitler eingeladen. (Geheimtreffen vom 20. Februar 1933) Dieser wollte den Anwesenden seine Wirtschaftspolitik erläutern und gleichzeitig Bedenken gegen ihn aus dem Weg räumen. So war er sehr darum bemüht, das Image des Bierzelt-Agitators Page 742
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt abzulegen und versicherte den Wirtschaftsvertretern, entgegen nur propagandistisch gemeinten Enteignungsankündigungen würden die Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft bei einer Machtübernahme unangetastet bleiben. Zudem sicherte er zu, den Einfluss der Arbeiterbewegung zu beseitigen und umfangreiche Rüstungsmaßnahmen einzuleiten. Nachdem den Nationalsozialisten und ihren Verbündeten durch das Ermächtigungsgesetz im März 1933 die Macht übertragen worden war („Kabinett Hitler" aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm), schickte Flick im April des Jahres 1933 den Aufsichtsratsvorsitzenden der Mitteldeutschen Stahlwerke, Heinrich Koppenberg, in das Reichsluftfahrtministerium. Dort wurden ihm größere Aufträge in Aussicht gestellt. Im Dezember war der Aufbau der Luftwaffe beschlossene Sache, und die dem Konzern gehörende ATG erhielt die ersten Aufträge für den Bau von Flugzeugen. Es folgte im März 1934 ein Auftrag für die Herstellung von Bomben, Granaten und Munition. Am 15. März desselben Jahres besuchte Friedrich Flick den Stabschef des Heereswaffenamtes, Georg Thomas. Im Januar 1934 erhielt Friedrich Flick den Aufsichtsratsposten der Harpener Bergbau AG. Nach Erwerb dieser AG war der Konzern in der Lage, Werke mit ausreichend eigener Kohle zu versorgen. 1934 wurde die Siegener Eisenindustrie AG in die Firmen Mittelstahl, Page 743
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Maxhütte und Harpener Bergbau AG überführt.¹6 1937 wandelte er die Siegener Eisenindustrie AG in die Friedrich Flick KG um. Dies bedeutete, dass an der Spitze kein Vorstand einer AG, sondern eine Personengesellschaft stand, die zu 95 Prozent Eigentum der Familie Flick war. Teilhabe an der Enteignung jüdischer Unternehmen Bereits 1934 verfolgten das Preußische Innenministerium, Wilhelm Keppler und Heinrich Himmler das Ziel, das Waffenwerk Simson dem jüdischen Eigentümer zu nehmen, um es in „deutschblütige" Hände zu überführen. Der Verhandlungsführer des Übernahmeinteressenten Flick, Otto Steinbrinck, war zu dieser Zeit nur an einer juristisch einwandfreien Überführung in das Eigentum Flicks interessiert, denn es gab damals keine gesetzliche Grundlage für Enteignungen. Deshalb wurde durch die Thüringer Gauleitung (unter Federführung von Gauleiter Fritz Sauckel) so lange politischer Druck auf den jüdischen Eigentümer Simson erzeugt, bis dieser einem Verkauf zustimmte. Die einer Enteignung gleichkommende Übernahme vollzog der Staat. Flick erreichte auf diesem Weg, dass er nicht als potentieller Käufer von Simson auftrat bzw. diesen zum Verkauf genötigt hatte. Ein weiteres Beispiel für die von der nationalsozialistischen Politik so genannten Arisierungen in diesem von Flick geprägten Stil war die Übernahme des Essener Bankhauses Hirschland 1938, wobei die Page 744
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Essener Gauleitung den Verkaufsdruck ausübte und die Essener Steinkohlenwerke Aktienanteile übernahmen, während Flick seinerseits den Steinkohlenwerken den erforderlichen Kredit zum Kaufabschluss gewährte, also wiederum nur indirekt mit den Geschehnissen in Verbindung gebracht werden konnte.¹7 Aufgrund dieser Anfangserfahrungen mit der Übernahme jüdischer Unternehmen in kleinerem Maßstab durch den Flick-Konzern arbeitete 1938 Hugo Dietrich, der Jurist des Flick-Konzerns, die Verordnung über das jüdische Vermögen vom 3. Dezember 1938 für die Nationalsozialisten aus¹8 , mit deren Hilfe die Enteignung im großen Stil und auf gesetzlicher Grundlage möglich wurde. Der Flick-Konzern forcierte anschließend skrupellos die Enteignung der Hochofenwerke Lübeck AG (s.u.) und der Fabriken der Petschek-Gruppe, um seine Interessen im Stahl- und Braunkohlesektor zu stärken und seine Besitztümer damit zu erweitern. Die guten Kontakte zu Hermann Göring trugen dazu bei, dass Flick stärker als mancher seiner Konkurrenten von der Enteignung der jüdischen Minderheit profitierte. Als einziger deutscher Industrieller unterstützte er die Pläne zum Aufbau der Reichswerke Hermann Göring in Salzgitter. Er lieferte im Gegensatz zu den Unternehmen von Rhein und Ruhr Steinkohle an die konkurrierenden Hermann-Göring-Werke. Dafür erhielt er die schriftliche Zusage, dass er bei „Arisierungen" begünstigt Page 745
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt werde. Flick war schon vor dem Dritten Reich an der Hochofenwerke Lübeck AG der jüdischen Familie Hahn und an der damit verbundenen Erzimportfirma Rawack & Grünfeld AG der jüdischen Familie Eisner interessiert gewesen. Beide Familien hielten 80 Prozent der Aktienanteile der Hochofenwerke Lübeck, die hochwertiges Roheisen herstellte. Bereits 1927 versuchte Flick durch zweifelhafte Aktiengeschäfte vergeblich eine Übernahme. 1937 erwirkte er zusammen mit dem Heereswaffenamt, dass die Firma für den Preis von 3,4 Millionen Reichsmark von ihm übernommen werden konnte. Drei Jahre zuvor hatte der Aktienwert noch 14,3 Millionen betragen. Weitere Beispiele umfangreicher Teilhabe an Großenteignungen sind die Übernahme des Julius-Petschek-Konzerns (1938) und des Ignaz-Petschek-Konzerns (1939) mit u. a. einem Drittel der mitteleuropäischen Braunkohlefelder. Besetzte Gebiete - Im besetzten Polen wollte Flick die Bismarckhütte in Kattowitz, die sich früher in seinem Besitz befand, nach der Besetzung Polens als Treuhänder übernehmen. Dieses Werk schlug die Reichsregierung allerdings dem Krupp-Konzern zu.¹? - Nach langen Verhandlungen mit der Reichsregierung über die Aufteilung der Stahlunternehmen in der besetzten Ukraine, in Page 746
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt denen vor allem die Hermann-Göring-Werke berücksichtigt wurden, konnte im Januar 1943 die Dnjepr-Stahl-GmbH neu gegründet werden, wobei die Flick KG und die Reichswerke Hermann Göring je zur Hälfte am Kapital beteiligt waren. Das Werk musste aufgrund der Kriegslage nach kurzer Zeit nach Oderberg in Oberschlesien verlagert werden. - Ebenso wenig erfolgreich war die beabsichtigte Expansion im Baltikum in der Firma Vairog, die Eisenbahnwaggons und Lafetten produzieren sollte.²° - Im besetzten Westen war der Flick-Konzern betriebswirtschaftlich erfolgreicher. Nach der Besetzung Frankreichs im Juni 1940 konzentrierte sich Flick auf die Rombacher Hütte, die Karl Raabe durch einen früheren Aufenthalt in Frankreich kannte, und wurde am 1. März 1941 als Treuhänder eingesetzt. Rombach brachte Flick einen bedeutenden Kapazitätszuwachs. Das Werk wurde am 31. August 1944 vor den Alliierten geräumt.²¹ Insgesamt konnte Flick seinen Firmenanteil nicht wesentlich in den eroberten Gebieten, bis auf Lothringen, mit Erfolg erweitern. Dennoch boten die Firmen in den besetzten Gebieten für Flick eine Basis für seine in Deutschland erweiterte Kapazitätsausweitung durch die erfolgten Firmenkäufe und -erweiterungen. Erstmals zog die Flick KG in der Stahlproduktion im Jahre 1941 mit seinem Konkurrenten Krupp gleich, dies war vor allem durch das Produktionsvolumen im Rombacher Hüttenwerk möglich geworden. Page 747
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zwangsarbeit Im Verlauf des Krieges stieg der Anteil der Zwangsarbeiter stetig an. Innerhalb des Flick-Konzerns waren im Kriegsjahr etwa 1944 insgesamt zirka 130.000 Arbeitnehmer und davon waren etwa die Hälfte als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge beschäftigt und wurden ausgebeutet. Nach Einbezug der Fluktuation unter den Zwangsarbeitern dürften 80.000 – 100.000 beschäftigt gewesen sein.²² Anfänglich bestand, wie bei anderen Unternehmungen, aus verschiedenen Gründen weniger Interesse an der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer. Dies änderte sich im Verlauf des Krieges durch den entstehenden Arbeitskräftemangel ab Ende 1939/40. Der Anteil ausländischer Arbeiter stieg laufend an. Besonders in den Unternehmungen, die Rüstungsgüter herstellten oder im Kohleabbau tätig waren, war der Anteil der Zwangsarbeiter ab 1942 besonders hoch und bereits im November 1943 erreichte die Maxhütte der Flick KG einen Anteil von 44 Prozent.²³ Während des Zweiten Weltkriegs wurden in den zahlreichen Betrieben Flicks zehntausende Zwangsarbeiter vor allem aus Osteuropa und Sklavenarbeiter aus Konzentrationslagern eingesetzt (darunter Ignatz Bubis). Schätzungen gehen von über 10.000 Opfern aus, die in diesen Jahren mit Unterernährung und brutaler Behandlung zu Tode geschunden wurden. Die Bedingungen hier waren Page 748
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt äußerst schlecht und die Behandlungen sehr brutal. Selbst die Behörden wiesen auf diese besonders unmenschlichen Bedingungen hin. So schrieb eine staatliche Untersuchungskommission im Dezember 1942 nach einer Besichtigung der Essener Steinkohle AG: „Die Ostarbeiter sind gegenwärtig in Baracken für Kriegsgefangene mit schwerstem Stacheldraht und vergitterten Fenster untergebracht. Entwesung mangelhaft. Viel Ungeziefer. Strohmatratzen mussten entfernt werden, daher Schlafen nur auf Drahtmatratzen. Zuweilen Prügel. Lohnfrage ungeklärt. Essen nicht besonders." Seit 1938 war Flick Wehrwirtschaftsführer. Zudem gelangte er in einigen Großbetrieben der Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie in die Aufsichtsräte und Verwaltungsvorstände. Er war Mitglied im vierköpfigen Verwaltungsrat der Berg- und Hüttenwerke Ost (BHO), einer staatlich-privaten Monopolgesellschaft, die in den besetzten Gebieten der Sowjetunion die systematische Ausschlachtung der Rohstoffvorkommen und die Aufnahme einer gewaltigen Kriegsproduktion mit erbeuteten Produktionsmitteln zu organisieren hatte. Friedrich Flick war einer der größten Profiteure des von den Nationalsozialisten eingeleiteten Rüstungsbooms und der anschließenden Kriegskonjunktur. Das Konzernvermögen erhöhte sich im Zeitraum von 1933 bis 1943 von 225 Millionen auf 953 Millionen Reichsmark.²4 Die Flick KG wuchs Page 749
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt im Laufe des Zweiten Weltkriegs auf 132 Gesellschaften mit einem Jahresumsatz von 550 Millionen Reichsmark an. Sein privates Vermögen wurde auf rund zwei bis drei Milliarden Reichsmark geschätzt. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus Entnazifizierung und Dekartellierung Als sich das Ende des Krieges abzeichnete, versuchte Flick, der die Nr. 3 auf der Liste des Kilgore Committee der 42 an den NS-Verbrechen am meisten schuldigen Industriellen war, sich auf die Folgen vorzubereiten. Seinen Söhnen Otto-Ernst und Friedrich Karl, die bereits 1941 die Mehrheit des Flick-Konzern hielten, stockte Flick den Anteil bis auf 90 Prozent auf.²5 Noch in den letzten Kriegstagen verlegte er die Konzernzentrale von Berlin in den von den Westalliierten kontrollierten Teil Deutschlands nach Düsseldorf, verlagerte die Zentralakten in den Westen und ließ belastende Akten in großen Mengen vernichten. Um darüber hinwegzutäuschen, wie tief er in den Nationalsozialismus involviert war, ließ er bereits ab 1944 die Spendenquittungen für die demokratischen Weimarer Parteien sammeln. Am 8. Mai 1945 verschwand er auf seinen Landsitz, dem Hof Sauersberg, in Wackersberg in Oberbayern. Diesen hatte Flick 1937 von Ignatz Nacher, dem Konzernchef und Mehrheitsaktionär der Engelhardt-Brauerei, dem damals zweitgrößten deutschen Brauereikonzern, „übernommen".²6 Dort wurde er am Page 750
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 13. Juni 1945 verhaftet. Nach dem Sieg der Alliierten verlor der Flick-Konzern etwa 75 Prozent seines industriellen Eigentums, das er in der Zeit des Nationalsozialismus besaß. Im Rahmen der Nürnberger Prozesse wurde Flick sowie fünf seiner Führungsleute in dem nach ihm benannten „Flick-Prozess" angeklagt. Mithilfe seines Rechtsanwaltes Rudolf Dix stellten Flick und auch die Mitangeklagten sich als Leidtragende des NS-Systems dar. Flick wurde am 22. Dezember 1947 wegen Sklavenarbeit, Verschleppung zur Sklavenarbeit, Ausplünderung der besetzten Gebiete und Teilnahme an Verbrechen der SS zu sieben Jahren Haft verurteilt. Aufgrund der glimpflichen Verurteilung und der vorzeitigen Entlassungen im Rahmen der allgemeinen Begnadigungswelle unter dem amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy hatten die Verurteilten Zeit, nach der Haft in der Justizvollzugsanstalt Landsberg die Neuordnung des früheren Flick-Besitzes vorzunehmen. Nachdem Flick schon im Frühjahr 1950 entlassen wurde, flüchtete er sich in eine Opferrolle. Die Alliierten hatten in der letzten Kriegskonferenz in Potsdam im August 1945 beschlossen, eine Entnazifizierung und Dekartellierung vorzunehmen, die sich vor allem gegen die Montanunternehmen richtete, um die Rüstungsindustrie zu zerschlagen. Dies sahen die Zonengesetze der Briten und Angloamerikaner in der Präambel 75 und die Nachfolgeregelung Nr. 27 des Page 751
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gesetzes zur Umgestaltung des Deutschen Kohlenbergbaus und der deutschen Stahl- und Eisenindustrie vor. Die Konzernführung argumentierte, dass der Flick-Konzern keine mächtige Wirtschaftsmacht war, keine Gefahr für Frieden und für Marktfreiheit darstelle, und Flick und der Führungsstab hätten die Nationalsozialisten in keiner Weise unterstützt.²7 Dabei wies die Führungsriege auf das milde Urteil von Friedrich Flick hin, und da Flick inhaftiert war, führte Konrad Kaletsch ab 1948 die Verhandlungen mit den Alliierten. Als die amerikanischen Behörden die Liquidierungsplanung der Friedrich Flick KG fertiggestellt hatten, intervenierte Kaletsch bei der Bundesregierung erfolgreich. 1952 wurde eine Einigung erzielt, die lediglich den Verkauf der Steinkohlegesellschaften vorsah, und dies innerhalb von fünf Jahren zu üblichen Marktpreisen. Die Eisen- und Stahlwerke blieben voll in der Verfügungsgewalt der Flick KG, und die Entflechtungsmaßnahmen erbrachten liquide Geldmittel in Höhe von insgesamt einer Viertelmilliarde DM.²8 Nach der Entflechtung hatte der Flick-Konzern nahezu alle Verfügungsrechte seines westdeutschen Besitzes gewahrt, und der Aufstieg zu einem der größten Nachkriegskonzerne war vorgezeichnet. Enteignung und Rückforderungsansprüche Nachdem die Entflechtung im Sinne des Konzerns geregelt war, mussten die Page 752
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Rückerstattungsansprüche der enteigneten jüdischen Unternehmer befriedigt werden. - Die Familie Hahn und Eisner, die früheren Besitzer der Hochofenwerke Lübeck, wurden nach einer Restitutionsforderung von Aktien im Wert von etwa 1,6 Millionen DM in Form von Aktien befriedigt, was hinsichtlich ihres früheren Einflusses eine unbedeutende Minderheitsbeteiligung war.²? - Nach langen rechtlichen Auseinandersetzungen über eine Dauer von 10 Jahren einigte man sich auf die Rückgabe der Aktien der Anhaltischen Kohlenwerke und der Salzdetfurth AG an die Erben von Julius Petschek. Die Kohlewerke lagen damals in der DDR und damit waren diese Aktien nicht valutierbar. Der nominale Wert der Salzdetfurther Aktien betrug 2,5 Millionen DM.³° - Beim Eigentum von Ignaz Petschek kam es im Jahre 1957 zu einem Ausgleich zwischen drei Parteien, wobei der Flick-Konzern den Reichswerken Aktien in Höhe von 47,5 Millionen DM und die Hälfte des Stammkapitals der Anhaltischen Kohlenwerke abgab, wovon die Petscheks 60 Prozent erhielten. Im Gegenzug erhielt der Flick-Konzern die Zeche Victoria-Lünen, die er für 45,5 Millionen DM an die Harpener Bergwerke AG verkaufte. Damit hatte der Konzern auch hier die Abgabe der an sich wertlosen Kohlewerke-Aktien durch den Liquidationszufluss mehr als kompensiert.³¹ Im Ergebnis dieser Verhandlungen waren die Page 753
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt früheren jüdischen Besitzer großer und bedeutsamer Konzerne der Vorkriegszeit in ihrem Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen, im Vergleich zu früher, bedeutungslos geworden und der Flick-Konzern hatte mit diesen Vergleichslösungen kein Schuldgeständnis seiner Verflechtung mit dem NS-Regime und Erpressung der ehemaligen Besitzer gegeben. Im Gegenteil: Der Konzern konnte mit dem Überschuss an Barmitteln aus dem Ignaz-Petschek-Vergleich seine Zukunft zu Beginn der 1960er Jahre weiter wirtschaftlich gestalten. Ein weiterer bedeutsamer Aspekt dieser erzielten Vergleichsregelungen im Sinne von Flick war, dass die Entschädigung der jüdischen Zwangsarbeiter durch den Flick-Konzern mit dem Hinweis auf die erfolgten Vergleiche stets mit dem Argument zurückgewiesen wurde, dass keinerlei Schuldeingeständnis vorliege. Wiederaufstieg Friedrich Flick war in den 1950er Jahren wieder einer der reichsten Männer Westdeutschlands geworden. Er wurde bald zum größten Aktionär bei Daimler-Benz und hatte Beteiligungen bei der Feldmühle, Dynamit Nobel, Buderus und Krauss-Maffei. 1955 besaß er wieder 100 Firmen mit einem Umsatz von rund 8 Milliarden DM. Sein persönliches Vermögen war wieder auf 88 Millionen DM angewachsen. Bis Ende der 1960er Jahre wurde Flick unumstritten der reichste Mann Deutschlands. Zu Beginn der 1960er Jahre Page 754
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bestimmte er seinen jüngsten Sohn Friedrich Karl zu seinem Nachfolger. Der älteste Sohn Otto Ernst klagte erfolglos dagegen und schied schließlich 1966 aus der Unternehmensführung aus. Nachdem in jenem Jahr auch seine Frau Marie verstorben war, zog sich Flick wegen einer Bronchialerkrankung nach Konstanz zurück. Dort lebte er abwechselnd im Steigenberger Inselhotel auf der Dominikanerinsel und im Schloss Ebersberg im benachbarten Kreuzlingen (Kanton Thurgau, Schweiz). 1963 wurde ihm das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen. Die enge Verquickung von Politik und Wirtschaft beleuchtet der im Spätherbst 1974 erschienene Tatsachenroman Großes Bundesverdienstkreuz von Bernt Engelmann. Als er am 20. Juli 1972 in Konstanz starb, hinterließ er seinem Sohn und seinen beiden Enkeln Gert Rudolf Flick und Friedrich Christian Flick einen Konzern mit 330 Unternehmen, rund 300.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von circa 18 Milliarden DM. Flick wurde vier Tage nach seinem Tod in seiner Geburtsstadt Kreuztal beerdigt.³² Dort steht auch noch sein Geburtshaus, das nach dem Tod von Friedrich Karl Flick von seinen Erben am 4. April 2007 an die Kreuztaler Stiftung Diakoniestation verkauft wurde. Als im Jahre 1981 der Flick-Konzern eine Steuerermäßigung in Höhe von knapp 1 Milliarde DM beim Bundeswirtschaftsministerium beantragte und er eine Page 755
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Genehmigung erhielt, fanden Steuerfahnder heraus, dass der Flick-Konzern an Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien Zahlungen geleistet hatte. Es kam zur sogenannten Flick-Affäre und in einem Prozess wegen Bestechlichkeit vor dem Landgericht Bonn wurden Hans Friderichs, Otto Graf Lambsdorff (beide Wirtschaftsminister der FDP) zu Geldstrafen und Eberhard von Brauchitsch zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Aufsehen erregte in den 1980er Jahren ein Artikel des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, der von Kreuztal als der gekauften Stadt sprach. In seiner Heimatstadt Kreuztal war er zu Lebzeiten zum Ehrenbürger ernannt worden. Zudem war bis 2008 das dortige städtische Gymnasium nach ihm benannt („Friedrich-Flick-Gymnasium"), welches er mit 3 Millionen DM über eine Stiftung teilweise finanzierte. Nachdem im April 2008 ehemalige Schüler eine Initiative gegründet hatten, um eine Debatte über den Namen der Schule anzustoßen,³³ wurde das Gymnasium am 6. November 2008 durch Ratsbeschluss in „Städtisches Gymnasium Kreuztal" umbenannt.³4 In mehreren deutschen Kommunen, darunter im siegerländischen Burbach und im oberpfälzischen Teublitz, sind Straßen nach ihm benannt. Der Rat der Stadt Maxhütte-Haidhof hat eine Umbenennung der dortigen Friedrich-Flick-Straße am 12. Juni 2009 einstimmig mit 24 zu 0 Stimmen abgelehnt. Die CSU-Fraktion im Rat führte als Begründung an, die Bevölkerung sähe bei Flick »zu Recht Page 756
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die positiven Dinge«. Die SPD-Fraktion meinte, »Kein Ortsansässiger hat etwas gegen den Namen, und deshalb soll er auch bleiben«.³5 Bürger anderer Meinung formierten sich in der Projektgruppe „Zwangsarbeit". In Rosenberg sind das dortige Stadion des ehemaligen Landesligavereins TuS Rosenberg, das Dr.-Friedrich-Flick-Stadion, und ein Park nach ihm benannt. Literatur - Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel, Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin in Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Oldenbourg Verlag, München 2008, ISBN 978-3-486-58683-1.³6 - Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky: Flick. Der Konzern. Die Familie. Die Macht. Blessing Verlag, München 2009, ISBN 978-3-89667-400-5.³7 - Günter Ogger: Friedrich Flick der Grosse. 3. Auflage. Scherz Verlag, Bern-München-Wien 1971. - Manfred Ohlsen: Milliarden für den Geier oder der Fall des Friedrich Flick. 3., erweiterte Auflage. Verlag der Nation, Berlin 1985. - Kim Christian Priemel: Flick – Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Wallstein Verlag, Göttingen 2007, ISBN 3-8353-0219-1 (zugleich Dissertation). - Thomas Ramge: Die Flicks. Eine deutsche Page 757
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Familiengeschichte um Geld, Macht und Politik. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37404-8. - Tim Schanetzky: Regierungsunternehmer. Henry J. Kaiser, Friedrich Flick und die Staatskonjunkturen in den USA und Deutschland. Wallstein Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1767-3. Film - Flick. Teil 1: Der Aufstieg. Teil 2: Das Erbe. Fernseh-Dokumentation und Doku-Drama, Deutschland, 2010, 90 Min., Buch und Regie: Thomas Fischer, Produktion: arte, SWR, Erstsendung: 26. Mai 2010, Film-Dossier bei arte mit Video-Ausschnitten, Besprechung Weblinks Commons: Friedrich Flick – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Kurzer Überblick über das Leben und Wirken Friedrich Flicks, flick-ist-kein-vorbild.de - Totaler Krieg, totaler Profit, Die Zeit, 12. August 2004, Nr. 34, Thomas Ramge - Besprechung des Buches «Der Flick-Konzern im Dritten Reich», Deutschlandfunk, 28. Juli 2008 Kreuztal - Internetpräsenz der Bürgerinitiative zur Umbenennung des Friedrich-Flick-Gymnasiums in Kreuztal - Friedrich Flick und Kreuztal, die gekaufte Stadt (2004) und Der alte Mann und die Stadt (2008), Reportagen von Thilo Page 758
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schmidt im Deutschlandradio - Der Spender. Im westfälischen Kreuztal gibt es ein Friedrich-Flick-Gymnasium. Absolventen wollen den Namen des Kriegsverbrechers tilgen – die Stadt hält dagegen. Berliner Zeitung, 14. Mai 2008, Seite 3 - Das große Vergessen – Kriegsverbrecher als Namenspatron (Memento vom 7. Januar 2014 im Internet Archive), einestages, 13. September 2008 Einzelnachweise [1] daserste.de: Flick – zweiteiliger Dokumentarfilm vom Mai/Juni 2010 (Memento vom 25. Mai 2012 im Internet Archive) [2] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 4. [3] Horst G. Koch: Erzväter. Berg- und Hüttenleute, Gruben und Hochofenwerke im Siegerland und Westerwald., 1982; S. 130/131 [4] Winfried Ranke/Gottfried Korff: Hauberg und Eisen – Landwirtschaft und Industrie im Siegerland um 1900, Verlag Schirmer/Mosel, München 1980. [5] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich, Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 10f. [6] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Page 759
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 13f. [7] George W. F. Hallgarten: Adolf Hitler and German Heavy Industry, 1931–1933. In: The Journal of Economic History 12, No. 3, 1952, S. 222–246, hier S. 233. [8] George W. F. Hallgarten: Adolf Hitler and German Heavy Industry, 1931–1933. In: The Journal of Economic History 12, No. 3, 1952, S. 222–246, hier S. 233. [9] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 47. Vgl. George W. F. Hallgarten: Adolf Hitler and German Heavy Industry, 1931–1933. In: The Journal of Economic History 12, No. 3, 1952, S. 222–246, hier S. 234: "Reich Finance Minister Dietrich, who concluded the deal, consented to pay Flick 90 per cent of the par value for the Gelsenkirchen shares, though their market value was only 22 per cent at the time." [10] „Flick later tried to explain this fantastic happening by pointing out that the Reich cabinet wanted to prevent him from selling out to the French." George W. F. Hallgarten: Adolf Hitler and German Heavy Industry, 1931–1933. In: The Journal of Economic History Page 760
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 12, No. 3, 1952, S. 222–246, hier S. 234. [11] George W. F. Hallgarten: Adolf Hitler and German Heavy Industry, 1931–1933. In: The Journal of Economic History 12, No. 3, 1952, S. 222–246, hier S. 235. [12] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 52. [13] George W. F. Hallgarten: Adolf Hitler and German Heavy Industry, 1931–1933. In: The Journal of Economic History 12, No. 3, 1952, S. 222–246, hier S. 236 f. [14] Henry Ashby Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. Siedler Verlag, Berlin 1985, S. 299 f. [15] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 75. [16] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 82. [17] Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel, Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin Page 761
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 302 ff. [18] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 730. [19] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 466. [20] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, 430 ff. [21] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 463 f. [22] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 511 und 531. [23] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Page 762
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 524. [24] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 740. [25] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 90. [26] Der Revolver lag schon auf dem Tisch. In: Die Zeit, 21. April 1989, Nr. 17, abgerufen am 18. März 2016. [27] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 663. [28] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 677. [29] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Page 763
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 684. [30] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 692. [31] Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim Christian Priemel/Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, S. 711. [32] Siegerländer Heimatkalender 1990, S.18, 65. Ausgabe, Hrsg. Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein e.V., Verlag für Heimatliteratur [33] flick-ist-kein-vorbild.de – Internetseite der Initiative zur Umbenennung des Friedrich-Flick-Gymnasiums [34] Boris Schopper: „Schule heißt künftig Städtisches Gymnasium Kreuztal. Aus für Flick-Gymnasium", in: Westfälische Rundschau, 6. November 2008 [35] „Trotz Kriegsverbrechen: Straße bleibt nach Friedrich Flick benannt", in: Mittelbayerische Zeitung, 12. Juni 2009 [36] Rezension Nils Klawitter: Freiwillige Zwangsarbeit? In: Der Spiegel. Nr. 23, 2008, S. 96 (online 2. Juni 2008). [37] Buchbesprechung Normdaten (Person): GND: 118533959 | LCCN: n80144724 | VIAF: 15560850 | Günther Quandt Page 764
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Günther Quandt (* 28. Juli 1881 in Pritzwalk, Kreis Ostprignitz; † 30. Dezember 1954 in Kairo) war ein deutscher Industrieller aus der Familie Quandt. Er war der Vater von Hellmut, Herbert und Harald Quandt. Seine erste Ehefrau Antonie Ewald starb 1918. Seine zweite Ehefrau Magda Ritschel, Mutter von Harald, heiratete nach der Scheidung 1929 zwei Jahre später Joseph Goebbels. Biographie Bis zum Ersten Weltkrieg Günther Quandt wurde am 28. Juli 1881 als Sohn des Tuchfabrikanten Emil Quandt (1849–1925) in Pritzwalk geboren. (Emil Quandt hatte in die Familie Draeger – Tuchfabrik Gebr. Draeger / gegr. 1860 – eingeheiratet.) Nach dem Besuch der Luisenstädtischen Oberrealschule in Berlin absolvierte Günther Quandt einige Lehrjahre in verschiedenen Zweigen der Textilindustrie des In- und Auslandes. Er heiratete Antonie Ewald (1884–1918). 1908 wurde dem Paar der erste Sohn – Hellmut (1908–1927) – geboren. Im Jahr 1909 war Günther Quandt bereits Mitinhaber der Tuchfabrik der Gebr. Draeger. 1910 wurde der zweite Sohn – Herbert – geboren. Ein Jahr später, im Jahr 1911, wurde Günther Quandt Mitinhaber der Tuchfabrik Friedrich Paul Page 765
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in Wittstock/Dosse. Seine Frau starb 1918 an der Spanischen Grippe. Erster Weltkrieg und Weimarer Republik Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Günther Quandt in der Bewirtschaftung kriegswichtiger Rohstoffe tätig. 1915 wurde er Leiter der Reichswoll-AG, seine Firmengruppe war Hauptlieferant der Armee. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Quandt als Referent im Reichswirtschaftsministerium der Weimarer Republik und war für die „Reichsstelle für Textilwirtschaft" tätig. Erst 1922 schied er aus dem Staatsdienst aus, kehrte nach Pritzwalk zurück und fasste die Werke, an denen er bis dahin schon beteiligt war, zu den „Draeger-Paul-Wegener-Werken" (Pritzwalk und Wittstock) zusammen (nach dem Zweiten Weltkrieg: Gebr. Draeger GmbH, Stuttgart). Am 4. Januar 1921 heiratete Günther Quandt die 19 Jahre alte Magda Ritschel (1901–1945). Zehn Monate später wurde am 1. November 1921 Sohn Harald geboren. Ab 1922 engagierte Günther Quandt sich zusammen mit August Rosterg mehr und mehr in der Kaliindustrie, insbesondere der 1921 gegründeten Wintershall AG. Daneben gelang es ihm, die Aktienmehrheit der von Adolph Müller gegründeten Accumulatoren Fabrik Aktiengesellschaft Berlin-Hagen (AFA), dem größten Hersteller von Batterien und Page 766
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Akkumulatoren im damaligen Europa – unter anderem für Batterieanlagen für U-Boote – zu erwerben. (1958 wurde die AFA am Standort Berlin in VEB Berliner Akkumulatoren- und Elementefabrik und 1962 die Fabrik am Standort Hagen in VARTA Batterie AG umbenannt). 1928 erlangte Quandt die Kontrolle über die Berlin-Karlsruher Industrie-Werke AG. Das Unternehmen hieß während des Ersten Weltkriegs Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWM) und war eine traditionsreiche Rüstungsschmiede. Von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs war dem Unternehmen zwar die Produktion von Rüstungsgütern verboten worden, doch Günther Quandt setzte darauf, dass in Deutschland Waffen schon bald wieder eine „große Zukunft" haben würden. NS-Deutschland Quandt und NSDAP Quandt gehörte zu einer Gruppe von Industriellen, die sich Mitte 1931 mit Adolf Hitler im Berliner Hotel Kaiserhof trafen und der NSDAP im Falle eines Linksputsches 25 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellten.4 Ebenfalls 1931 wurde er Mitglied der Gesellschaft zum Studium des Faschismus, die als ein Bindeglied zwischen konservativen Kreisen und der NSDAP fungierte. Er war ein Teilnehmer des Geheimtreffens vom 20. Februar 1933 von Industriellen mit Hitler, bei dem eine Page 767
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wahlkampfhilfe von 3 Millionen Reichsmark für die NSDAP beschlossen wurde. Nach der „Machtergreifung" der Nazis passte Günther Quandt sich an (Spenden der AFA an die NSDAP; Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1933, Mitgliedsnr. 2.636.406) – und profitierte. Quandts Betriebe wurden wichtige Zulieferanten für die Rüstungsindustrie, er selbst zum Vorzeigeindustriellen, im Jahre 1937 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Im Zweiten Weltkrieg war das AFA-Hauptwerk in Hagen die „Leitfertigungsstelle" für weitere AFA-Werke in Hannover, Wien und Posen.5 Hier produzierte das Unternehmen außer den Batterieanlagen für U-Boote und Kleinst-U-Boote vor allem Spezialbatterien für Torpedos und für die „Wunderwaffe" V2. Weiter wurden Batterien für Panzerfahrzeuge, Funkund Radargeräte, sowie für Kampfflugzeuge hergestellt. „Militärtuch, Akkumulatoren, Trockenbatterien, Schusswaffen, Munition, Leichtmetall – wer das alles herstellt, heißt mit Recht Wehrwirtschaftsführer" (so Das Reich). „Ihre hervorstechendste Eigenschaft aber ist Ihr Glaube an Deutschland und an den Führer", bescheinigte Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank Günther Quandt im Jahr 1941 in einer Laudatio.6 Quandts AFA folgte den deutschen Truppen, war bald in Riga, Krakau, Lemberg aktiv. Konzentrationslager In den Werken der Quandts wurden Kriegsgefangene Page 768
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und KZ-Häftlinge in Zwangsarbeit beschäftigt, im AFA-Werk Hagen beginnend im Spätsommer 1940 mit französischen Kriegsgefangenen. Infolge der verstärkten Rekrutierung deutscher Arbeitskräfte für den Kriegsdienst, der gleichzeitig forcierten Produktion von U-Boot-, Torpedobatterien und Batterien für die „Wunderwaffe" V2, stieg die Zahl der eingesetzten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen kontinuierlich an und machte 1944 rund 40 % der gesamten Werksbelegschaft von bis zu 5800 Arbeitskräften aus. Im DMW-Werk in Karlsruhe waren es etwa 4500. Ab Sommer 1943 erfolgte im AFA-Zweigwerk der Einsatz von Häftlingen des KZ Stöcken (Akkumulatorenwerke) (Außenlager des KZ Neuengamme). Rund 1500 KZ-Häftlinge, die im Lager auf dem Werksgelände untergebracht waren, betrieben die Batterieproduktion in zum Teil bleiverseuchter Umgebung (vgl. Bleivergiftung). Auf dem Gelände des Werks in Hannover war ein weiteres KZ-Außenlager untergebracht, einschließlich Exekutionsplatz. Das KZ Hannover-Stöcken (Continental) in Hannover war ein weiteres Außenlager des KZ Neuengamme, das von Anfang September 1944 nur kurze Zeit mit etwa 1000 polnischen Juden bestand. Das Lager befand sich neben dem Continentalwerk. Die Häftlinge mussten elf Stunden in der kriegswichtigen Gummiproduktion für die Reifenherstellung von Fahrzeugen arbeiten. Page 769
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1944 erfolgte im Zweigwerk Wien-Floridsdorf der Einsatz von Häftlingen des KZ Mauthausen. Auch in der AFA-Tochterfirma Pertrix in Berlin-Niederschöneweide wurden seit 1944 rund 500 weibliche KZ-Häftlinge dazu gezwungen, mit ätzenden Säuren zu arbeiten. Diese Arbeitsbedingungen forderten durchschnittlich 80 Tote pro Monat, die im Voraus mit eingeplant und bewusst als zu erwartende „Fluktuation" kalkuliert wurden.7 Im November 2007 veröffentlichte der Norddeutsche Rundfunk im Fernsehen den Film Das Schweigen der Quandts.8 Dem Film zufolge wurden hunderte nicht mehr arbeitsfähige Zwangsarbeiter, die im Akkumulatorenwerk der Quandts in Hannover-Stöcken arbeiteten und in einem benachbarten Außenlager des KZ-Neuengamme untergebracht waren, nach Gardelegen deportiert. Dort wurden sie Opfer der Mordaktion in der Scheune von Isenschnibbe (siehe Mahn- und Gedenkstätte Isenschnibber Feldscheune). Nachkriegszeit Günther Quandt versteckte sich bei Kriegsende in Leutstetten am Starnberger See, während sein Sohn Herbert mit anderen führenden Mitarbeitern der AFA zu dieser Zeit bereits ein Ausweichquartier in Bissendorf bei Hannover bezogen hatte und so die Geschäfte weiterführen konnte.? Er wurde erst am 18. Juli 1946 wegen seiner Rolle in der Kriegswirtschaft verhaftet und im Page 770
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Lager Moosburg interniert.¹° Nach seiner Freilassung im Januar 1948 wurde er im Juli 1948 in einem Gerichtsverfahren als Mitläufer eingestuft, obgleich er zur Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Posten bekleidete, im Aufsichtsrat etwa von Daimler-Benz, Deutsche Bank, AEG saß. Nach Einschätzung von Benjamin Ferencz, der bei den Nürnberger Prozessen für die Anklagebehörde arbeitete, wären Günther Quandt und sein Sohn Herbert ebenso wie Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick und die Verantwortlichen der I.G. Farben als Hauptkriegsverbrecher angeklagt worden, wenn die heute zugänglichen Dokumente den Anklägern damals vorgelegen hätten. Die entscheidenden Dokumente zu ihrem Wirken im NS-Staat lagen den Behörden in der britischen Besatzungszone vor. Die Briten hielten das Material zurück, weil sie erkannt hatten, welche Bedeutung die Batterieproduktion der AFA auch nach dem Krieg hatte, und die Eigentümer deswegen schonen wollten.¹¹ Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf der Bildhauer Arno Breker, Hitlers Lieblingsbildhauer, eine Porträtbüste von Günther Quandt, den er seit der NS-Zeit aus Berlin kannte. Der Industrielle saß dem von ihm verehrten Künstler für diese Bronze Modell. Günther Quandt starb am 30. Dezember 1954 während eines Erholungsurlaubs in Ägypten. Page 771
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Historiker Ralf Blank, der die Rüstungsproduktion in der Accumulatoren-Fabrik untersuchte, und Joachim Scholtyseck, der 2011 eine ausführliche wissenschaftliche Studie über die Familiengeschichte bis 1954 vorgelegt hat, haben Günther Quandt übereinstimmend als geschickten Opportunisten und Unternehmer bezeichnet, der in allen politischen Systemen seinen Vorteil suchte.¹² Literatur - Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 5. Hinzert, Auschwitz, Neuengamme. Beck-Verlag, München 2007, ISBN 978-3-406-52965-8, S. 447f. - Ralf Blank: Hagen im Zweiten Weltkrieg. Bombenkrieg, Kriegsalltag und Rüstung in einer westfälischen Großstadt. Klartext-Verlag, Essen 2008, ISBN 978-3-8375-0009-7. - Ralf Blank: Energie für die „Vergeltung". Die Accumulatoren Fabrik AG Hagen und das deutsche Raketenprogramm im Zweiten Weltkrieg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. 66. 2007, S. 102–118. - Rüdiger Jungbluth: Die Quandts: Ihr leiser Aufstieg zur mächtigsten Wirtschaftsdynastie Deutschlands. Campus 2002, ISBN 3-593-36940-0. - Hans Pohl: Quandt, Günther. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 34 f. (Digitalisat). Page 772
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie. Beck-Verlag, München 2011, ISBN 978-3-406-62251-9. Einzelnachweise [1] Rüdiger Jungbluth: Die Quandts. Campus-Verlag, 2002, ISBN 3-593-36940-0, S. 23. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [2] Rüdiger Jungbluth: Die Quandts. Campus-Verlag, 2002, ISBN 3-593-36940-0, S. 29. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [3] Rüdiger Jungbluth: Die Quandts. Campus-Verlag, 2002, ISBN 3-593-36940-0, S. 37. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [4] Henry Ashby Turner (Hrsg.): Hitler aus nächster Nähe, Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932. Frankfurt am Main/ Berlin/ Wien 1978, S. 372 ff. [5] Ralf Blank: Hagen im Zweiten Weltkrieg. S. 85–138; Ralf Blank: Energie für die „Vergeltung" [6] Zit. AFA-Ring, 8, 1941, H. 5, S. 5. [7] Das Schweigen der Quandts. Dokumentation, 60 Min., Produktion: NDR, Erstsendung, ARD, 30. September 2007, 23:30 h, youtube video Das Schweigen der Quandts [8] Eine kritische, teilweise überzogene Auseinandersetzung mit dem Film bietet Ralf Stremmel: Zeitgeschichte im Fernsehen. Die preisgekrönte Dokumentation „Das Schweigen der Quandts" als fragwürdiges Paradigma. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 58 (2010), S. 455–481. Eine Kritik Page 773
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt an diesem Aufsatz: Willi Winkler: Seltsamer Revisionismus. In: Süddeutsche Zeitung vom 31. Oktober 2010. [9] Rüdiger Jungbluth: Die Quandts. Campus, 2002, S. 213. [10] Rüdiger Jungbluth: Die Quandts und die Nazis. In: Die Zeit vom 15. November 2007, S. 27/28, (online) [11] Das Schweigen der Quandts. Dokumentation, 60 Min., Produktion: NDR, Erstsendung, ARD, 30. September 2007, 23:30 [12] Ralf Blank: Hagen im Zweiten Weltkrieg. S. 98; Joachim Scholtyseck, Interview Wirtschaftswoche vom 28. September 2011 (online) Normdaten (Person): GND: 124997821 | VIAF: 45250306 | I.G. Farben Die I.G. Farbenindustrie AG, kurz I.G. Farben oder IG Farben, war das seinerzeit größte Chemieunternehmen der Welt mit Sitz in Frankfurt am Main, das am 2. Dezember 1925 aus einer Vielzahl von Chemieunternehmen gebildet wurde.² Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollte auf Beschluss des Alliierten Kontrollrates die I.G. Farben aufgelöst werden. Dazu wurde die I.G. Farben wieder in eigenständige Unternehmen aufgeteilt und der verbleibende Rest in I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft i. L. umbenannt. Das Abwicklungsverfahren dauerte rund 60 Jahre. Trotz einer Insolvenz Ende 2003 waren die Aktien noch bis zum 9. März 2012 unter der ISIN DE0005759070 börsennotiert. Zum 31. Oktober 2012 wurde die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht. Page 774
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vorläufer Die erste „Interessen-Gemeinschaft" der deutschen Teerfarbenindustrie entstand 1904. Initiator war der damalige Vorstandsvorsitzende des Unternehmens Friedrich Bayer et comp. (Vorgängerin der heutigen Bayer AG), Carl Duisberg. Er hatte 1903 auf einer Reise in den USA die dortigen Trusts kennengelernt, Unternehmenszusammenschlüsse nach dem Muster der Standard Oil. Nach seiner Rückkehr verfasste er eine Denkschrift zur Vereinigung der deutschen Teerfarbenfabriken. Nach seiner Auffassung wurde die Konkurrenzsituation der Industrie durch Preisdruck und unlautere Wettbewerbsmethoden, wie Korruption und Abfindungszahlungen an missliebige Wettbewerber, nachteilig beeinflusst. Um „die Schäden der Konkurrenz zu beseitigen ohne ihre Vorteile zu verlieren", schlug er die Bildung eines deutschen Farben-Trusts vor. Die fünf in Frage kommenden Wettbewerber, neben Bayer noch Agfa (Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation Berlin), BASF (Badische Anilinund Sodafabrik Ludwigshafen), Farbwerke Hoechst in Höchst, Cassella Farbwerke Mainkur in Fechenheim und die Chemische Fabrik Kalle in Biebrich, standen einer Bündelung ihrer Interessen durchaus aufgeschlossen gegenüber, waren aber nicht an einem Zusammenschluss nach amerikanischem Vorbild unter Aufgabe ihrer Selbständigkeit interessiert, zumal in dieser Zeit die Page 775
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt amerikanische Gesetzgebung mit dem Sherman Antitrust Act erste Schritte zur Einschränkung der Marktmacht von Kartellen unternahm. Als Ergebnis von Duisbergs Initiative bildeten sich 1904 zwei Unternehmensblöcke: Agfa, BASF und Bayer schlossen sich zum Dreibund zusammen, der sich zunächst auf Erfahrungsaustausch und Verzicht auf Konkurrenz durch gemeinsame Produkte beschränkte. Etwas weiter gingen kurz zuvor die Farbwerke Hoechst und Cassella, die einen durch wechselseitige Kapitalverflechtungen und Lieferbeziehungen geprägten Zweibund („Interessengemeinschaft der Höchster Farbwerke mit der Leopold Cassella & Co.") schlossen, der 1906 durch den Beitritt der Chemischen Fabrik Kalle zum Dreiverband wurde. Eine Verknüpfung zwischen beiden Unternehmensblöcken bestand in Form der Indigo-Konvention, einer im Herbst 1904 getroffenen Marktabsprache zwischen BASF und den Farbwerken Hoechst. Durch den Ersten Weltkrieg ergab sich für die deutschen Farbenhersteller eine neue Situation. Ihre Auslandsorganisationen, Patente und Warenzeichen wurden in den Ländern der Kriegsgegner enteignet, die damit eigene Produktionskapazitäten aufbauten. Im Inland wurde die Produktion auf die Erfordernisse der Kriegswirtschaft umgestellt: An die Stelle von Farbstoffen und Arzneimitteln trat die Herstellung von chemischen Kampfstoffen und Sprengstoff. Grundlage dafür war Page 776
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren, wodurch man völlig unabhängig von Salpeter-Importen aus Chile wurde. Trotzdem litt die Rohstoffversorgung unter der britischen Seeblockade. Zudem mangelte es an Arbeitskräften, da viele zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. Im August 1916 schlossen sich deshalb der Dreibund (Agfa, BASF und Bayer) und der Dreiverband (Hoechst, Cassella, Kalle) mit der Chemischen Fabrik vorm. Weiler ter Meer in Uerdingen zu einer zunächst auf 50 Jahre angelegten Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken zusammen. 1917 trat noch die Chemische Fabrik Griesheim-Elektron in Griesheim dem später als Kleine I.G. bezeichneten Unternehmensverbund bei. Die Unternehmen blieben weiterhin rechtlich selbständig. I.G. Farbenindustrie AG Der Vertrag zur Gründung der I.G. Farbenindustrie AG wurde am 21. November 1925 geschlossen und trat am 2. Dezember 1925 in Kraft. Beteiligt waren acht große Chemiefirmen: - Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (Berlin) - Badische Anilin- und Sodafabrik AG (Ludwigshafen am Rhein) mit der Ammoniakwerk Merseburg GmbH (Merseburg/Leuna) - Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. (Leverkusen) - Chemische Fabrik Griesheim-Elektron (Frankfurt-Griesheim) Page 777
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Chemische Fabrik Kalle & Co. AG (Biebrich) - Chemische Fabriken Weiler-ter Meer (Uerdingen) - Farbwerke Leopold Cassella & Co. (Fechenheim) - Farbwerke vorm. Meister Lucius und Brüning AG (Höchst am Main) Vereinbart wurde die konkurrenzlose Zusammenarbeit innerhalb einer Interessengemeinschaft. Dazu wurden die Firmenvermögen als Ganzes (d. h. inkl. aller Tochtergesellschaften) an die BASF übertragen. Die Aktionäre erhielten dafür im Tausch BASF-Aktien in gleichem Nennwert. Anschließend änderte die BASF ihren Firmennamen in I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Alle beteiligten Einzelunternehmungen fungierten danach nur noch als „Werke" der I.G. Farben AG. Das Grundkapital betrug nach der Fusion 1926 rund 1,1 Milliarden Reichsmark. Das 1931 fertiggestellte I.G.-Farben-Haus am Unternehmenssitz Frankfurt am Main war zur damaligen Zeit eines der größten Bürogebäude Europas. Die Organisation der IG war straff zusammengefasst und umfasste verwaltungsmäßig - den Aufsichtsrat (Mitgliederzahl 55 (1926), 23 (1938), 21 (1940)) – Carl Duisberg (Werk Leverkusen) erster Aufsichtsratsvorsitzender (1926) - den Vorstand: (Mitgliederzahl 82 (1926), 27 (1938), 22 (1944)) mit dem Zentralausschuß. - Carl Bosch (Werk Ludwigshafen) war erster Vorstandsvorsitzender (1926) - den Technischen Ausschuß (TEA) mit 41 Unterausschüssen - den Kaufmännischen Ausschuß mit etwa 20 Page 778
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mitgliedern - und Gemischte Ausschüsse (Chemikalienausschuß, Farbenausschuß, Pharmazeutische Hauptkonferenz). Die Belegschaftszahlen der IG stiegen von 94.000 (1926) auf 138.000 (1938) und 189.000 (1944 incl. Zwangs- und Fremdarbeiter).³ Der Konzern war führend in der Luftstickstoffindustrie (Haber-Bosch-Verfahren) sowie in der Erzeugung von Basischemikalien, Treibstoffen durch Kohlehydrierung, Farbstoffen, Arzneimitteln, Sprengstoffen und Fasern. Bis zur Kriegserklärung Deutschlands an die Vereinigten Staaten am 11. Dezember 1941 gab es massive wirtschaftliche Verknüpfungen zwischen der I.G. Farben und amerikanischen Banken und Chemiekonzernen.4 Duisbergs Sohn Walther (* 1892; † 1964) vertrat seit 1925 in den USA als Patentanwalt die deutschen Interessen in der American I.G.5 Aufsichtsrat und Vorstand Der Aufsichtsrat (alle aufgeführten Personen sind inzwischen verstorben) bestand aus Carl Duisberg 1926–1935 (Aufsichtsratsvorsitzender) Carl Bosch 1926–1935 (Vorstandsvorsitzender), 1935–1940 (Aufsichtsratsvorsitzender) Carl Krauch 1926–1940 (Vorstandsmitglied), 1940–1945 (Aufsichtsratsvorsitzender) Adolf Haeuser 1926–1932 (stv. Aufsichtsratsvorsitzender) Walther vom Rath Page 779
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1926–1940 (stv. Aufsichtsratsvorsitzender) Leo Gans 1926–1935 (Aufsichtsrat) Wilhelm Ferdinand Kalle 1926–1945 (Aufsichtsrat) Hermann Hummel 1926–??? (Aufsichtsrat) Clemens Lammers 1926–??? (Aufsichtsrat) Paul Moldenhauer 1926–??? (Aufsichtsrat) Wilhelm von Meister 1926–1935 (Aufsichtsrat) Richard von Schnitzler 1926–1938 (Aufsichtsrat) Paul von Schnitzler 1926–1932 (Aufsichtsrat) Carl Müller 1926–1931 (Aufsichtsrat) Edmund ter Meer 1926–1931 (Aufsichtsrat) Theodor Plieninger 1926–1930 (Aufsichtsrat) Otto von Steinmeister 1926–1937 (Aufsichtsrat) Hermann Josef Abs 1937–1945 (Aufsichtsrat) Oscar Schlitter 1931–1935 (Aufsichtsrat) Otto Hauck 1926–1932 (Aufsichtsrat) Eduard Mosler 1926–1939 (Aufsichtsrat) Fritz Haber 1926–1932 (Aufsichtsrat) Arthur von Weinberg 1926–1936 (Aufsichtsrat) Carl von Weinberg 1926–1936 (Aufsichtsrat) Ernst von Simson 1926–1937 (Aufsichtsrat) Franz Oppenheim 1926–1929 (Aufsichtsrat) Kurt Oppenheim 1926–1938 (Aufsichtsrat) Max Warburg 1926– ca.1935 (Aufsichtsrat) Otto von Mendelssohn Bartholdy 1926–1938 (Aufsichtsrat) Alfred Merton 1926–1934 (Aufsichtsrat) Vorstandsmitglieder (alle aufgeführten Personen sind inzwischen verstorben) waren Hermann Schmitz 1926–1935 (Vorstandsmitglied) 1935–1945 (Vorstandsvorsitzender) Fritz ter Meer 1926–1945 (Vorstandsmitglied) Page 780
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Fritz Gajewski 1931–1945 (Vorstandsmitglied) Heinrich Bütefisch 1934–1945 (Vorstandsmitglied) Otto Ambros 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Friedrich Jähne 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Carl Wurster 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Georg von Schnitzler 1926–1945 (Vorstandsmitglied) Ernst Bürgin 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Paul Häfliger 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Heinrich Hörlein 1931–1945 (Vorstandsmitglied) Max Ilgner 1938–1945 (Vorstandsmitglied) August von Knieriem 1932–1945 (Vorstandsmitglied) Hans Kühne 1926–1945 (Vorstandsmitglied) Carl-Ludwig Lautenschläger 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Wilhelm Rudolf Mann 1934–1945 (Vorstandsmitglied) Christian Schneider 1938–1945 (Vorstandsmitglied) Heinrich Oster 1931–1945 (Vorstandsmitglied) Carl Hagemann 1926–1932 (Vorstandsmitglied) Erwin Selck 1926–1936 (Vorstandsmitglied) Paul Duden 1926–1932 (Vorstandsmitglied) Alexander Nieme 1926-1930 (Vorstandsmitglied) Ernst Borsbach 1926-1931 (Vorstandsmitglied) I.G. Farben im nationalsozialistischen Staat Gegen die I.G. Farben wurde nach ihrer Gründung 1926 nicht nur vom linken Parteienflügel, sondern auch von den Nationalsozialisten Stimmung gemacht. „International kapitalistisches und jüdisches Unternehmen", „IG = Isidore G. Farber" oder „IG Moloch" waren Schlagzeilen aus der damaligen Presse. Die I.G. Farben wurden von der Deutschen Page 781
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Volkspartei (DVP) favorisiert (z. B. Dr. Kalle); kein Mitglied der IG-Führung war bis 1933 NSDAP-Parteimitglied gewesen.6 Im Ammoniakwerk Merseburg – Leuna Werke begann 1926 die Herstellung von synthetischem Benzin durch Kohleverflüssigung (Hydrierung) nach dem Bergius-Pier-Verfahren. Es bestand die Gefahr, dass dies eine der größten Fehlinvestitionen werden würde, weil die Herstellungskosten die des herkömmlichen Benzins überstiegen. Mittelfristig war ohne Subventionen des Staates die Benzinsynthese nicht überlebensfähig. Deshalb suchten im Sommer 1932 Leuna-Direktor Heinrich Bütefisch und der Leiter der firmeneigenen Pressestelle Heinrich Gattineau in München den Kontakt zu Adolf Hitler. Sie sollten im Auftrag von Carl Bosch herausfinden, ob das für den Weltmarkt zu teure synthetische Benzin der I.G. Farben auch weiterhin durch Schutzzölle konkurrenzfähig bleiben würde. Hitler versicherte ihnen, dass er synthetischen Treibstoff für ein politisch unabhängiges Deutschland als zwingend notwendig erachte. Carl Bosch kommentierte das mit „Der Mann ist ja vernünftiger, als ich dachte."7 Unter dem Vorsitz von Carl Bosch stimmte die I.G.-Farben-Generalversammlung Anfang Dezember 1932 dem Programm der „Agrarkartellierung" zu, einem Interessenkompromiss von Industrie und Großagrariern. Dieser Entschluss des damals größten Konzerns Europas bereitete nach Auffassung von Alfred Page 782
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Sohn-Rethel auch den Weg zur NS-Diktatur.8 ? Beim Geheimtreffen vom 20. Februar 1933, auf dem eine Gruppe von Industriellen einen Wahlfonds von 3 Millionen Reichsmark für die NSDAP beschloss, nahm als Vertreter der I.G. Farben das Vorstandsmitglied Georg von Schnitzler teil. Die I.G. Farben beteiligte sich an diesem Wahlfonds mit 400.000 RM und überwies die Summe an die NSDAP-Parteikasse am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand. Die neue Regierung schloss 1933 mit der I.G. Farben das Feder-Bosch-Abkommen über eine Absatz- und Mindestpreisgarantie für 350.000 Tonnen synthetisches Benzin und bewahrte so das Unternehmen vor insgesamt 300 Millionen Reichsmark Verlust. 1935 wurde Hermann Schmitz Nachfolger von Carl Bosch als Vorstandsvorsitzendem und 1940 Carl Krauch Nachfolger als Aufsichtsratsvorsitzender. Krauch hatte eine Doppelfunktion. Er machte auch in der Regierung Karriere und brachte es bis zum Direktor der rüstungswirtschaftlichen Kommandozentrale und Bevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Produktion. Bis 1937 waren nahezu alle Direktoren der I.G. Farben NSDAP-Mitglied. Die Aufsichtsratsmitglieder der I.G. Farben nannten sich im internen Kreis „Der Rat der Götter". Die I.G. Farben expandierte stark, auch durch „Arisierungen", also die günstige Übernahme jüdischer und kriegsbedingt treuhänderischer Page 783
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vermögenswerte, zum Beispiel des vormaligen Konkurrenten Aussiger Verein. Ihr gehörten zu Spitzenzeiten in Deutschland 200 Werke, sowie etwa 400 deutsche und 500 ausländische Unternehmensbeteiligungen. Aufgrund dieser Expansion wurde die I.G. Farben seinerzeit das größte Unternehmen Europas und das viertgrößte der Welt (nach General Motors, US Steel und Standard Oil). Vorkriegszeit Mit der Stickstoffproduktion zur Herstellung von Munition, Buna (einem synthetischen Kautschukersatz), synthetischem Benzin aus Kohle und einer Legierung aus Magnesium und Aluminium unter der Bezeichnung Elektron waren so vor dem und im Zweiten Weltkrieg bei entsprechenden Mengen- und Preisgarantien durch die Machthaber höchst profitable Geschäfte zu machen. Weitere bekannte Produkte von I.G. Farben waren u. a. die Kunstfaser Perlon und der Nervenkampfstoff Tabun. Die seit 1929 mit der Standard Oil of New Jersey bestehenden Geschäftsbeziehungen (und Kartellabsprachen) wurden auch während des Zweiten Weltkriegs aufrechterhalten. Die I.G. spielte eine wichtige Rolle im Vierjahresplan. So basierte Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan auf Unterlagen der I.G., und in der Folge wurden viele Posten der Vierjahresplanbehörde mit deren Mitarbeitern besetzt, denen die I.G. außerordentlich hohe Gehälter zahlte, um sie mit Page 784
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt dem Konzern verbunden zu halten. Das Unternehmen präsentierte am 15. Februar 1936 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung Berlin den ersten Autoreifen aus synthetischem Buna-Kautschuk.¹° Während des spanischen Bürgerkrieges spendete die Gesellschaft den Putschisten mehrmals Beträge in Höhe von 100.000 Peseten. Gemeinsam mit Siemens und anderen deutschen Unternehmen unterstützte der Konzern die „Legion Vidal", die Sanitätstruppe der Putschisten, und rüstete die Kämpfer aus. Bei den Luftangriffen der „Legion Condor" auf Guernica und andere baskischen Städte kam die von der I.G. Farben produzierte Elektron-Thermit-Stabbrandbombe B 1 E zum Einsatz.¹¹ Der Vorstandsvorsitzende der I.G. Farben und Generalbevollmächtigte für Sonderfragen der chemischen Erzeugung, Carl Krauch, forderte am 28. April 1939 vor dem Generalrat des Vierjahresplans: „Heute wie 1914 erscheint die deutsche politische und wirtschaftliche Lage – eine von der Welt belagerte Festung – eine rasche Kriegsentscheidung durch Vernichtungsschläge gleich zu Beginn der Feindseligkeiten zu verlangen. […] Deutschland muß das eigene Kriegspotential und das seiner Verbündeten so stärken, daß die Koalition den Anstrengungen fast der ganzen übrigen Welt Page 785
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gewachsen ist."¹² Zweiter Weltkrieg und Holocaust Von den 43 Hauptprodukten der I.G. während des Krieges waren 28 Produkte von rüstungswirtschaftlicher Bedeutung. Die I.G. Farben übernahm eine Reihe von Chemiewerken in den besetzten Gebieten, wie die Apollo-Raffinerie in Bratislava oder die in jüdischem Besitz befindlichen Skoda-Werke Wetzler. Eine Beteiligungsgesellschaft der Degussa AG, Th. Goldschmidt AG und der I.G. Farben AG, die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), vertrieb das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B, das in den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum Massenmord eingesetzt wurde. Der starke Bedarf an Rohstoffen zur Kriegsführung, wie Synthetikkautschuk und -benzin, führte 1941 zur Errichtung einer großen Bunafabrik in Auschwitz. Die Finanzierungskosten in Höhe von ca. eine Mrd. Reichsmark trug die I.G. Farben allein, um so Herr im eigenen Haus bleiben zu können. Für die Häftlinge, die die Fabrik bauen mussten, wurde extra das Konzentrationslager Monowitz, Auschwitz III errichtet. Die Wahl von Auschwitz für den Betrieb der Fabrik war eher zufällig. Während Himmler über die Eignung von Auschwitz als Ort für eine östliche Modellsiedlung nachsann, fiel die Wahl von Otto Page 786
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Ambros, einem Direktionsmitglied des Unternehmens, völlig unabhängig von diesen Plänen auf dieselbe Region. Dabei dachte er an die für den Betrieb der Fabrik benötigten 525.000 Kubikmeter Wasser pro Stunde, an eine gute Eisenbahnanbindung und den geforderten luftgesicherten Raum. Bei einer Sichtung der verfügbaren Flächen hatte er sich Ende 1940 auf den Zusammenfluss dreier Flüsse festgelegt: der Sola, der unteren Weichsel und der Przemsza. Die nächstgelegene Kleinstadt war Auschwitz. Aufgrund einer Anfrage von Ambros lieferten ihm die dortigen deutschen Bürgermeister daraufhin eine Fülle von Informationen. Durch puren Zufall entwickelte sich nun zweierlei gleichzeitig: Himmler wollte beim Aufbau seiner Kolonien im Osten große Mengen von Zwangsarbeitern einsetzen und die I.G. Farben konnte nun auf diese im großen Umfang zurückgreifen, da man große Bedenken hatte, ob die Region den nötigen Komfort für die anfangs gedachten deutschen Arbeiter bieten könne. Man ging eine unheilvolle Symbiose ein: Die SS-Einheiten waren für die Verfügbarkeit und Bewachung der Gefangenen zuständig und die I.G. würde die Investitionen tätigen und das Baumaterial heranschaffen. Beim Bau und Betrieb dieser riesigen Fabrik, die eine Fläche von ungefähr 30 km² einnahm, ließen nach Schätzungen 20.000 bis 25.000 Menschen ihr Leben.¹³ Die Anlage konnte aufgrund des Kriegsverlaufs nie Kunstkautschuk oder andere synthetische Stoffe (außer Methanol) Page 787
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt produzieren. Dies resultierte unter anderem daraus, dass die immensen Bauten zur Herstellung von synthetischen Produkten zu einem großflächigen Verbund voneinander abhängiger Fertigungsanlagen geführt hatte, die äußerst anfällig für Bombenangriffe waren. Das Buna-Werk von Auschwitz wird bis heute betrieben und ist die mit Abstand größte Kunstkautschuk-Fabrik Polens.¹4 Auflösung nach 1945 Nach der vollständigen Besetzung Deutschlands begannen die Alliierten mit der Umsetzung der zuvor auf der Konferenz von Jalta vereinbarten Dekartellisierungsbeschlüsse. Die vom Sherman Antitrust Act geprägte Denkrichtung beeinflusste zunächst die amerikanische Besatzungspolitik. „Um jede künftige Bedrohung seiner Nachbarn oder des Weltfriedens durch Deutschland unmöglich zu machen, und mit Rücksicht auf die Tatsache, daß die I. G. Farbenindustrie sich wissentlich und in hervorragendem Maße mit dem Ausbau und der Erhaltung des deutschen Kriegspotentials befaßt hat", beschlagnahmte der Alliierte Kontrollrat mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 9 vom 20. September 1945 das gesamte Vermögen der I.G. Farben.¹5 Der Kontrollrat bildete einen Ausschuss aus vier Beamten, die mit der Vorbereitung der Auflösung der I.G. Farben beauftragt wurden. Das Kontrollratsgesetz formuliert ausdrücklich folgende Ziele: Page 788
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Bereitstellung von industriellen Anlagen und Vermögensbestandteilen für Reparationen; - Zerstörung derjenigen industriellen Anlagen, die ausschließlich für Zwecke der Kriegsführung benutzt wurden; - Aufspaltung der Eigentumsrechte an den verbleibenden industriellen Anlagen und Vermögensbestandteilen; - Liquidierung aller Kartellbeziehungen; - Kontrolle aller Forschungsarbeiten; - Kontrolle der Produktionstätigkeit. Mit dem Befehl 124 der SMAD vom 30. Oktober 1945 hatte die UdSSR die Werke der I.G. Farben in ihrer Besatzungszone unter ihre Kontrolle gestellt. Die großen I.G.-Werke in Leuna, Schkopau, Bitterfeld und Wolfen wurden zunächst als Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) betrieben und später, zum Teil erheblich demontiert, der DDR übergeben. In der Bizone übertrugen die britische und die amerikanische Militärregierung 1947 die Kontrolle der I.G. Farben dem Bipartite IG Farben Control Office (BIFCO), das durch ein Gremium aus deutschen Wirtschaftsexperten beraten wurde. Vorsitzender des Beratungsgremiums FARDIP (Bizonal IG Farben Dispersal Panel) war Hermann Bücher von der AEG.¹6 Mit der Bildung der Trizone 1948 wurde das Kontrollbüro BIFCO durch Aufnahme eines Vertreters der französischen Militärregierung zur Tripartite IG Farben Control Group (TRIFCOG) erweitert. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland schuf die Alliierte Page 789
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hohe Kommission im Gesetz Nr. 35 vom 17. August 1950 die rechtliche Voraussetzung für die Aufspaltung der I.G. Farben.¹7 Die aus der Entflechtung hervorgehenden Einzelunternehmen sollten für sich lebens- und konkurrenzfähig sein. Außerdem sollten die Aktionäre der I.G. Farbenindustrie das Recht erhalten, ihre Anteile in Aktien der Nachfolgeunternehmen zu tauschen. 1951 wurde in der Bundesrepublik beschlossen, den Betrieb weiterzuführen und aus der I.G. Farben deren ursprüngliche Bestandteile wieder auszugliedern. Als offizielle Nachfolgeunternehmen benannte die Alliierte Hohe Kommission im Juni 1952:¹8 -
Agfa, BASF, Cassella Farbwerke, Huels (Chemische Werke Hüls AG, Marl), Bayer AG, Farbwerke Hoechst AG, Duisburger Kupferhütte AG, Kalle, Wacker-Chemie München,¹? Dynamit AG Troisdorf, Wasag Chemie AG.
Diese Unternehmen wurden im Börsenjargon „Farbennachfolger" genannt. Neben der Spaltung wurde die Benutzung der mit „Ig-" beginnenden Markennamen untersagt, und so wurde zum Beispiel Igepon in Hostapon umbenannt. Ansonsten konnten die Betriebe ihre Arbeit fast wie zuvor Page 790
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt weiterführen und eroberten in den folgenden Jahrzehnten erfolgreich die Weltmärkte, ohne einander dabei ernsthaft Konkurrenz zu machen. In den Nürnberger Prozessen wurden 23 leitende Angestellte vor Gericht gestellt, zwölf von ihnen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, u. a. Hermann Schmitz wegen „Plünderung" zu vier Jahren, Carl Krauch und Heinrich Bütefisch, Direktor der I.G. Auschwitz, jeweils wegen „Versklavung" zu sechs Jahren Haft. Siehe auch: I.G.-Farben-Prozess Nachfolgegesellschaften Am 1. Januar 1952 trat die I.G. in Liquidation und nannte sich I.G. Farbenindustrie AG i.L. Durch das Liquidationsschlussgesetz vom 21. Januar 1955 wurde die I.G. Farben aus der Kontrolle der Alliierten genommen. Nach der folgenden Hauptversammlung am 27. Mai 1955 befand sich die I.G. Farben jahrzehntelang in Abwicklung (I.G. Farbenindustrie AG i. A.). Ihre einzige Aufgabe war es, alte Ansprüche zu verwalten und die rechtliche Verantwortung zu übernehmen. Das Weiterbestehen der I.G. Farben erlaubte auch den daraus hervorgegangenen Chemieunternehmen, die Verantwortung für die während der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen weitgehend auszuklammern und dazu auf die I.G. Farbenindustrie AG i. A. zu verweisen. Ehemalige Zwangsarbeiter sowie einige Aktionäre und Page 791
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzernkritiker wie Axel Köhler-Schnura forderten immer wieder, dass das Unternehmen endgültig aufgelöst und sein Kapital für Entschädigungen verwendet werde.²° Am 10. November 2003 meldeten die Liquidatoren der I.G. Farben Insolvenz an. Grund waren finanzielle Schwierigkeiten der Beteiligungsgesellschaft WCM, womit auch die Liquidität der I.G. Farben nicht mehr hinreichend gesichert war. Trotzdem waren die Aktien der I.G. Farben²¹ noch bis zum 9. März 2012 börsennotiert.²² ²³ Am 31. Oktober 2012 endete die Unternehmensgeschichte mit der Löschung im Handelsregister. Filme - Kurt Maetzig (Regie): Der Rat der Götter. DDR 1950. - Luke Holland (Regie): I Was a Slave Labourer. GB 1998 (DF), 75 Minuten. - Bernhard Sinkel (Regie): Väter und Söhne. Mit Burt Lancaster, Bruno Ganz, Julie Christie, Hannes Jaenicke, Martin Benrath. Dramatisierung des Themas als Fernsehserie in vier Teilen à ca. 130 Minuten. Literatur - Bundesfachtagung der Chemiefachschaften/Arbeitskreis I.G. Farben (Hrsg.): …von Anilin bis Zwangsarbeit. Der Weg eines Monopols durch die Geschichte. Zur Entstehung und Entwicklung der deutschen Chemischen Page 792
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Industrie. 2. Auflage, online-Ausgabe; BuFaTa Chemie (2007) - Josiah E. DuBois: The Devil's Chemists. 24 conspirators of the International Farben Cartel who manufacture wars. Beacon Press, Boston 1952 - Dirk Hackenholz: Die elektrochemischen Werke in Bitterfeld 1914–1945. Ein Standort der IG-Farbenindustrie AG. LIT, Münster 2004, ISBN 3-8258-7656-x - Peter Hayes: Industry and Ideology. I.G. Farben in the Nazi Era. 2. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 2001, ISBN 0-521-78638-X - Peer Heinelt: Die Entflechtung und Nachkriegsgeschichte der I.G. Farbenindustrie AG. Norbert Wollheim Memorial/J.W. Goethe-Universität, Frankfurt am Main 2008, online verfügbar als PDF. - Charles Higham: Trading with the Enemy. An exposé of the Nazi-American money plot 1933–1949. Delacorte, New York 1983, ISBN 0-440-09064-4 + Vorwort von Trading with the Enemy (online) + Auszüge von Trading with the Enemy (online) - Stefan Hörner: Profit oder Moral. Strukturen zwischen I.G. Farbenindustrie und Nationalsozialismus. Europäischer Hochschulverlag, Bremen 2012, ISBN 978-3-86741-763-1. - Diarmuid Jeffreys: Weltkonzern und Kriegskartell. Das zerstörerische Werk der IG Farben. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Werner Roller, Karl Blessing Verlag, München 2011, ISBN 978-3-89667-276-6 (Rezension in der FAZ vom 15. Juni 2011). - Otto Köhler: … und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben und Page 793
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ihrer Väter. Rasch und Röhrig, Hamburg, Zürich 1986, Papyrossa, Köln 1989, ISBN 3-89136-081-9 - Stephan H. Lindner: Hoechst. Ein I.G. Farben Werk im Dritten Reich. C.H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52959-3 - James Stewart Martin: All honorable Men. Little, Brown & Company, Boston 1950 - Jan Große Nobis: www.ig-farben.org Die I.G. FARBEN und das Ende der Weimarer Republik. Münster 1994 - Gottfried Plumpe: Die I.G. Farbenindustrie AG – Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-06892-0 - Richard Sasuly: IG Farben. Boni & Gaer, New York, 1947 (deutsch: IG Farben. Berlin 1952: Volk und Welt.) - Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. Diss. phil, Frankfurt 2005. K. G. Saur Verlag, München 2000. ISBN 3-598-24032-5 (Bd. 3 der Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz vom Institut für Zeitgeschichte) Weblinks Commons: IG Farben – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien - … von Anilin bis Zwangsarbeit Bundesfachtagung der Chemiefachschaften/Arbeitskreis I.G. Farben - Die BASF und die Gründung der IG-Farben. Landeshauptarchiv Koblenz - Online-Archiv des Nürnberger Kriegsverbrecher Tribunals gegen den Chemieund Pharmakonzern I.G. Farben. - Thorsten Giersch: Der Konzern, der Hitler den Page 794
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Weltkrieg ermöglichte Die Geschichte der IG Farben im Handelsblatt vom 28. Juli 2011 - Karl Heinz Roth: Die Geschichte der I.G. Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik, Fritz-Bauer-Institut, 2009 (PDF; 333 kB) Einzelnachweise [1] Unternehmensregister. Bundesanzeiger, abgerufen am 11. November 2012 (Amtsgericht Frankfurt am Main, HRB 400; bekannt gemacht am 5. November 2012 12:00 Uhr).Handelsregisterbekanntmachung [2] Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz:Vor 75 Jahren – Der 2. Dezember 1925. Die BASF und die Gründung der IG Farben. Erstellt von bitart, zuletzt bearbeitet am 28. Dezember 2006 [3] S. Balke: Der IG-Farben-Prozeß in Nürnberg. In: Chemie Ingenieur Technik – CIT. 21, 1949, S. 33–37, doi:10.1002/cite.330210111. [4] The empire of IG Farben [5] Carl Duisberg (1861–1935): Briefe eines Industriellen S. 638 [6] Ernst Bäumler, Die Rotfabriker – Familiengeschichte eines Weltunternehmens (Hoechst), Piper 1988, S. 277 f., Geschichte der Chemie in Frankfurt [7] Otto Köhler: … und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben und ihrer Väter. Rasch und Röhrig, Hamburg, Zürich 1986, Papyrossa, Köln 1989, ISBN 3-89136-081-9, S.214. [8] Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I.G.-Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Page 795
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Campus, Frankfurt am Main 1990, S. 57f, ISBN 3-593-34251-0 [9] Alfred Sohn-Rethel: Industrie und Nationalsozialismus. Aufzeichnungen aus dem „Mitteleuropäischen Wirtschaftstag". Wagenbach, Berlin 1992; ISBN 3-8031-2204-X; S. 87. [10] Augsburger Allgemeine vom 15. Februar 2011, Rubrik Das Datum [11] Die IG FARBEN im Spanischen Bürgerkrieg [12] Wolfgang Michalka: Deutsche Geschichte 1939–1945. Frankfurt am Main 1999, S. 123. [13] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München 2000, ISBN 3-598-24032-5, S. 187 [14] John Cornwell: Forschen für den Führer. Deutsche Naturwissenschaftler und der zweite Weltkrieg. Lübbe-Verlag, 2004, S. 417ff, ISBN 3-7857-2165-X [15] Kontrollratsgesetz Nr. 9 vom 20. September 1945 betreffend die „Beschlagnahme und Kontrolle des Vermögens der I. G. Farbenindustrie" [16] Ernst Bäumler: Die Rotfabriker. Familiengeschichte eines Weltunternehmens, München 1988, ISBN 3-492-10669-2, S.333 [17] Gesetz Nr. 35 (Aufspaltung des Vermögens der I. G. Farbenindustrie A. G.) der Alliierten Hohen Kommission vom 17. August 1950 (ABl. AHK S. 534, ber. S. 617, geändert: S. 1674, S. 3161) [18] 1. Durchführungsverordnung zum Gesetz Nr. 35 vom 23. Mai 1952 [19] Kabinettsprotokoll der Bundesregierung vom 19. Juni 1952 [20] Vgl. Peter Nowak: Kein Aus für IG Farben. Page 796
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In: taz, 19. Dezember 2002. (Aufgerufen am 20. Dezember 2010.) [21] (Stammdaten: NAME I.G.Farbenindustrie AG i.A. Liquidationsanteilscheine, ISIN DE0005759070, WKN 575907, Symbol IGL) [22] I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft i. L.: Antrag zum Widerruf der Börsenzulassung an den Börsen Stuttgart, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und Hannover, Ad-hoc-Meldung nach § 15 WpHG, 17. August 2011 [23] Norbert Wollheim gegen IG Farben. In: Deutsche Welle. Abgerufen am 7. Dezember 2013. Buna-Werke Die Buna-Werke GmbH Schkopau war ein Chemieunternehmen für die polymere Kunststoffproduktion. Der Werksname BUNA leitet sich aus dem Verfahren zur Herstellung von Synthesekautschuk, die Polymerisation von Butadien mit Natrium – auch Buna genannt – ab. Das Unternehmen ist heute Teil der Dow Olefinverbund GmbH. Firmengeschichte Um die Unabhängigkeit der Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschen Reich vom Import von Naturkautschuk zu erreichen, erfolgte im April 1936 unter dem Namen Buna-Werke GmbH Schkopau die Grundsteinlegung des weltweit ersten Synthesekautschukwerkes. Die Buna-Werke in Schkopau, zwischen Merseburg und Halle (Saale) gelegen, waren eine Tochtergesellschaft der zur Page 797
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt I.G. Farben gehörenden Ammoniakwerk Merseburg GmbH (die späteren Leunawerke). 1937 begann in Schkopau die Herstellung von Synthesekautschuk. Im Werk wurden auch Polyvinylchlorid (PVC), Trichlorethen, Formaldehyd, Tetrahydrofuran, Essigsäure, Essigsäureanhydrid und Aceton produziert. Wilhelm Biedenkopf, der Vater des späteren Politikers Kurt Biedenkopf, war zeitweise technischer Direktor der Buna-Werke. Während des Zweiten Weltkriegs unterhielten die Buna-Werke ein Zweigwerk im damals an Schlesien angegliederten Auschwitz (der poln. Stadt Oswiecim), in dem zahlreiche Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge beschäftigt waren. Das KZ Auschwitz-Monowitz wurde von der I.G. Farben auf dem Gelände dieses Zweigwerkes errichtet. Auch der italienische Schriftsteller und Chemiker Primo Levi leistete dort Zwangsarbeit. Der Librettist und Schlagertexter Fritz Löhner-Beda, der im Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert worden war und am 4. Dezember desselben Jahres im Werk Auschwitz-Monowitz erschlagen wurde, schrieb dort das Buna-Lied.¹ Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die ursprünglichen Aktionäre der Buna-Werke entschädigungslos enteignet. Die Gesellschaft wurde auf Anordnung der sowjetischen Besatzungsbehörden in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) umgewandelt. 1954 wurden die zur SAG Kautschuk Page 798
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gehörenden Chemischen Werke Buna in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) der DDR überführt und zum Kombinat VEB Chemische Werke Buna. Die Buna-Werke führten den Werbeslogan „Plaste und Elaste aus Schkopau",² wobei Plaste für starre und Elaste für elastische Kunststoffe (synthetischer Kautschuk) steht. Als Kombinat/VEB entwickelte sich das Werk 1958 zum größten Carbid-Produzenten der Welt. Durch die technisch veralteten Produktionsanlagen kam es zu extremer Umweltverschmutzung. Mit 18.000 Beschäftigten war das Buna-Werk eines der fünf größten Industriekombinate der DDR. Um den Wohnraumbedarf für die Arbeiter und Angestellten der Chemischen Werke Buna und der Leuna-Werke zu decken, wurden in Halle, Merseburg und Umgebung Plattenbau-Siedlungen wie Halle-Neustadt und Halle-Silberhöhe errichtet. Sie wurden mit eigenen S-Bahn-Linien an die Werke angeschlossen. Nach der Wende 1989 wurden die Buna-Werke zunächst von der Treuhandanstalt verwaltet. 1995 übernahm der amerikanische Konzern Dow Chemical große Teile der Produktionsanlagen, aber nur eine geringe Zahl an Beschäftigten. Ein Großteil der veralteten Produktionsanlagen wurde abgerissen und der Boden saniert. 1997 rechnete die Rechtsnachfolgerin der Treuhandanstalt, die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), mit Ausgaben Page 799
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von 809 Millionen Mark an den US-Konzern Dow Chemical für die Sanierungskosten an den Buna Dow Leuna Olefinverbund GmbH.³ Das Werk Schkopau ist seit 2004 ein Teil der Dow Olefinverbund GmbH und produziert nach modernen technischen Verfahren auf Erdölbasis. Literatur - Gabriele Ahlefeld, Astrid Molder, Rudolf Werner: Plaste und Elaste aus Schkopau. 60 Jahre Buna-Werke. Runkel, Pinneberg 1996, ISBN 3-9803386-5-7. - Dirk Hackenholz: Die elektrochemischen Werke in Bitterfeld 1914–1945. Ein Standort der IG-Farbenindustrie AG. LIT Verlag, Münster 2004, ISBN 3-8258-7656-X (Forschungen zur neuesten Geschichte 3), (Zugleich: Halle, Univ., Diss., 2004). - Werner Schrader, Werner Franke: Kleiner Wissensspeicher Plaste. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1970. Weblinks Commons: VEB Chemische Werke Buna – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Geschichte der Buna-Werke Schkopau - Die IG Farben erhält das Patent auf BUNA, synthetischen Kautschuk - Plaste und Elaste aus Schkopau in der Registerauskunft des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) - Die Plastindustrie der DDR Page 800
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einzelnachweise [1] Text bei Wollheim-Memorial [2] Birgit Wolf: Sprache in der DDR. Walter de Gruyter, 2000, ISBN 3-11-016427-2. [3] Der Spiegel vom 11. August 1997: Subventionsloch Buna KZ Auschwitz III Monowitz Das Konzentrationslager Auschwitz III oder Konzentrationslager Monowitz im Ort Monowice (deutsch: Monowitz) bei Oswiecim (deutsch: Auschwitz) war ein Konzentrationslager (nur dem Namen nach Arbeitslager) für verschiedene Industrieansiedlungen im deutsch besetzten Südpolen. Es lag etwa 60 km westlich von Kraków (Krakau) und sechs Kilometer östlich vom Stammlager Auschwitz I entfernt angrenzend an das Gelände der Buna-Werke der I.G. Farben AG. Das KZ wurde zunächst „Lager Buna", dann „Arbeitslager Monowitz" genannt, seit November 1943 als „Konzentrationslager Auschwitz III" geführt. Auschwitz II war das ebenfalls westlich davon liegende, als Vernichtungslager betriebene Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Erst Ende 1944 erhielt es im Rahmen der SS-Verwaltung mit der Bezeichnung „Konzentrationslager Monowitz" intern eine gewisse Eigenständigkeit.¹ Buna war das erste von einem privaten Industrieunternehmen geplante und finanzierte Konzentrationslager, das ausschließlich für die Zwangsarbeit Page 801
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von Häftlingen vorgesehen war.² Vorgeschichte Mitte 1929 scheiterte der Plan der I.G. Farben, eine Großversuchsanlage für die Herstellung des synthetischen Kautschuks (Buna) einzurichten, weil der Weltmarktpreis für Naturkautschuk einen Tiefstand erreichte. Erst wegen der Autarkiebestrebungen der Nationalsozialisten und durch eine preislich festgelegte Abnahmegarantie der Wehrmacht abgesichert, begann die I.G. Farben 1936 in Schkopau mit dem Bau einer Versuchsfabrik. Im Rahmen des Vierjahresplanes sollten drei weitere große Buna-Werke entstehen. Als der Zweite Weltkrieg begann, produzierte nur die Fabrik in Schkopau, während die Produktion in Hüls bei Marl erst anlief. Im November 1940 wurde zwischen Reichsbehörden mit Unterstaatssekretär Hermann von Hanneken als Verhandlungsführer und Repräsentant des Reichswirtschaftsministeriums und der I.G. Farben eine dritte Fabrik in Ludwigshafen am Rhein genehmigt und der Bau eines „Ostwerks in Schlesien" vereinbart.³ Das Reichswirtschaftsministerium unterstützte dabei von Beginn an die Idee einer Fabrikansiedlung in den eingegliederten Ostgebieten, da diese nach dem Willen der Reichsregierung nicht nur im territorialen sondern auch im wirtschaftlichen und demographischen Sinne ein integraler Bestandteil des Reiches werden sollten.4 Standortfrage Page 802
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Am 6. Februar fanden drei Besprechungen zur Entscheidungsfindung der Standortfrage statt. Dabei nahmen unter anderem auf Seiten der IG Farben der stellvertretende Leiter des Hauptwerkes in Ludwigshafen Dr. Otto Ambros, der Aufsichtsratsvorsitzende Carl Krauch und der Vorsitzende des „Technischen Ausschusses" (TEA) Fritz ter Meer an den Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministerium teil, das durch Ministerialdirigent Botho Mulert und Ministerialrat Römer vertreten war. Auf der dritten Sitzung des Tages äußerten sich die IG Farben-Vertreter zu den Vor- und Nachteilen eines möglichen Standortes in Auschwitz. Galt für das Industrieunternehmen zunächst die Ortschaft Rattwitz in Oberschlesien ebenfalls als ein geeigneter Kandidat, so bot sich jedoch das Gebiet um das Dorf Monowice bei Auschwitz als bessere Alternative an. Dafür sprachen laut ter Meer und Ambros eine gute Eisenbahnanbindung, drei nahe gelegene Kohlegruben, Kalkvorkommen und eine ausreichende Wasserspeisung durch die Flüsse Sola und Weichsel. Negativ fielen jedoch, so Ambros, der lokale Facharbeitermangel ins Gewicht als auch die Tatsache, dass sich deutsche Arbeiter nur ungern in die Gegend versetzen ließen.5 Am 26. Februar 1941 verfügte Heinrich Himmler, dass 4.000 Juden aus der Stadt Auschwitz auszusiedeln und ihre Wohnungen für Bauarbeiter bereitzustellen seien. Das Bauvorhaben der Page 803
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Buna-Werke sei durch Gefangene aus dem Konzentrationslager in jedem nur möglichen Umfang zu unterstützen.6 Weiterhin sollten in Auschwitz ansässige Polen bleiben dürfen, sofern ihre Arbeitskraft im neuen Werk benötigt werden sollte.7 Die Aussicht auf eine ausreichende Anzahl von Arbeitskräften war am Standort Monowitz vielversprechend. Die geringen Lohnkosten waren offenbar kein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Entscheidung, denn man ging von vergleichsweise geringer Arbeitsleistung aus.8 Investitionen und Produktionsplanung Nur widerstrebend hatte sich die I.G. Farben bereitgefunden, ein neues Buna-Werk in Schlesien zu errichten. Eine Erweiterung der drei anderen Werke hätte bei gleicher Produktion weniger Kosten verursacht. Bewilligt wurde eine Gesamtinvestition von 400 Millionen Reichsmark (RM). Für ihren Wunsch, ein wichtiges Werk im „luftsicheren" Gebiet zu realisieren, subventionierte die Regierung den Bau durch einen höheren Garantiepreis und Sonderabschreibungen, die fast 50 % der Kosten aufwogen.? Die realen Ausgaben beliefen sich dann in der ersten Zeit auf über 500 Millionen RM. Am Ende würde die IG Farben insgesamt 700 Millionen RM in die neue Fabrikanlage investiert haben.¹° Am 19. und 24. März entschied der TEA über die technische Ausrichtung des neuen Werkes und dessen Produktionsvolumen. Page 804
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zunächst war die Errichtung von zwei Fabriken geplant¹¹ : 1. Das Bunawerk, das auch „Buna IV" genannt wurde, sollte die Produktionsstätte für den auf Styrolbasis hergestellten Synthesekautschuk „Buna-S" werden. Dabei wurde von einem jährlichen Produktionsvolumen von 30.000 t Kautschuk ausgegangen. 2. In einem Treibstoffwerk sollten 75.000 t Benzin pro Jahr aus Steinkohle gewonnen werden. Dabei sollte das von der IG Farben übernommene Außenlager KZ Fürstengrube als Grundlage für die Steinkohlegewinnung dienen. Die Anlage sollte derart konzipiert werden, dass sie nach Kriegsende für die Herstellung anderer Produkte wie Propanol, Methanol und andere Alkohole und Treibstoffe genutzt werden konnte. Am 25. April segnete der Konzernvorstand die Beschlüsse des TEA ab.¹² I.G. Auschwitz Wenige Tage nach den ersten Baubesprechungen wurde am 7. April die „I. G. Auschwitz" mit Sitz in Kattowitz gegründet. Unter der Leitung der IG Farben-Vorstandsmitglieder Ambros und Heinrich Bütefisch wurden mit den zentralen Planungsaufgaben zum Bau des neuen Werkes Walther Dürrfeld, Camill Santo und Erich Mach vom Ludwigshafener Werk beauftragt. Mit den ersten Bauarbeiten wurde umgehend im gleichen Monat begonnen. Page 805
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Innerhalb der firmeninternen Hierarchie kristallisierte sich nach einem Jahr eine Organisationsstruktur heraus, in der Walther Dürrfeld, zunächst lediglich für das Bunawerk zuständig, zum eigentlichen Betriebsführer avancierte. Im Laufe des Jahres wurde die Führungsposition Dürrfelds auch durch den Hauptbetriebsführer der I.G. Farben Christian Schneider offiziell bestätigt. Die Firmenstruktur der „I. G. Auschwitz" stellte sich dar wie folgt:¹³ ¹4 Zusammenarbeit von I.G. und SS Noch im März 1941 einigte man sich auf eine Zusammenarbeit zwischen I.G. Farben und SS. Es kam zu einem Tauschgeschäft, bei dem die I.G. Farben Baumaterial aus ihrem Kontingent an Zement, Eisen und Holz zum Ausbau des Stammlagers Auschwitz abzweigte und im Gegenzug von der SS Arbeitskräfte bekam. Zunächst waren 1.000 Häftlinge zugesagt, für 1942 sollten 3.000 Häftlinge bereitgestellt werden. Als Arbeitszeit wurden mindestens zehn Stunden im Sommer und neun Stunden im Winter vereinbart. Für jeden Facharbeiter zahlte die „I.G. Farbenindustrie A.G. Werk Auschwitz", so die offizielle Bezeichnung des Werks seit Mai 1941, täglich vier Reichsmark an die SS, für Hilfsarbeiter waren drei Reichsmark zu entrichten. Alle Kosten für Verpflegung und Transport zur Baustelle übernahm die SS. Durch Selektionen sorgte die SS für den Austausch Page 806
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt geschwächter oder kranker Häftlinge, die nicht mehr (dauerhaft oder vorübergehend) arbeitsfähig zu sein schienen. Dies war die wichtigste Aufgabe der so genannten Lagerärzte.¹5 Siehe auch: Artikel über den Prozess gegen den SS-Arzt Horst Fischer im Jahr 1966. Lager Buna Anfang 1942 wurden schließlich fünf Millionen Reichsmark für ein eigenes Lager für die Häftlinge investiert. Ausschlaggebend waren zunächst Transportprobleme. Die Häftlinge mussten die Strecke zwischen Baustelle und dem sechs Kilometer entfernten Stammlager Auschwitz meist in stundenlangem Fußmarsch zurücklegen. Als infolge einer ersten Lagersperre im Stammlager, die im Juli 1942 wegen einer Fleckfieber-Epidemie angeordnet wurde, die Zwangsarbeiter ausblieben, verstärkte man die Bemühungen und eröffnete am 28. Oktober 1942 das so genannte „Lager Buna" mit 600 Häftlingen.¹6 Zu diesem Zeitpunkt belief sich die gesamte Baubelegschaft auf rund 20.500 Personen. Größe Das Lager Buna hatte eine Ausdehnung von 500 m Länge und 270 m Breite und war von einem dreifach gegliederten Zaun und zwölf Wachtürmen umgeben. Zunächst gab es sechs RAD-Baracken, die ursprünglich je 55 Zivilarbeiter Page 807
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt aufnehmen sollten. Diese Baracken wurden bald mit 190, später sogar mit durchschnittlich 250 Häftlingen belegt. Bis zum Frühjahr 1943 wurden 20 Baracken aufgestellt, von denen anfangs 14 als Wohnunterkünfte für 3.800 Häftlinge dienten. Ende 1943 gab es im Lager 7.000 Zwangsarbeiter. Da der weitere Ausbau nicht Schritt hielt, wurden im Sommer 1944 zwei große Zelte für 700 Häftlinge aufgestellt. Vor dem Winter fand eine Selektion statt, da die Zelte zu kalt gewesen wären und nicht genug Platz in den Baracken war. Im Juli 1944 wurde die Lagerstärke mit einem Höchststand von 11.000 männlichen überwiegend jüdischen Zwangsarbeitern festgestellt. Verwaltung und Leitung Das Lager Buna wurde zuerst als Nebenlager des Stammlagers Auschwitz geführt und unterstand dessen Kommandanten. Lagerführer in Buna war SS-Obersturmführer Vinzenz Schöttl, der Arbeitsdienstführer hieß Richard Stolten. Erst im November 1943 wurde SS-Hauptsturmführer Heinrich Schwarz Kommandant von „Auschwitz III", dem nun auch alle weiteren 39 Nebenlager mit insgesamt etwa 35.000 Häftlingen unterstanden. Im November 1944 erfolgte auf Befehl des WVHA die nächste Umbenennung: von Konzentrationslager Auschwitz III zum Konzentrationslager Monowitz (bis Kriegsende; KZ A II - Birkenau wurde wieder dem Stammlager zugeordnet). - Siehe den Artikel/Liste zu den Nebenlagern des Page 808
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt KZ Auschwitz, uneinheitlich als Arbeitslager, Außenlager, Zweiglager oder Außenkommando bezeichnet. Funktionshäftlinge Wichtige Positionen im Lager und in den Arbeitskommandos wurden überwiegend mit reichsdeutschen „BV-Häftlingen" besetzt, die als kriminelle „Berufsverbrecher" galten. Die Funktionshäftlinge hatten im Lager für den reibungslosen Ablauf des Alltags zu sorgen und die von der SS gesetzten Regeln zu überwachen. Ihre Mitwirkung war für das Wachpersonal unverzichtbar; die Funktionshäftlinge und Kapos waren von der Arbeitspflicht befreit und bevorzugt bei der Verpflegung und Unterkunft. Ihre Überlebenschance war ungleich größer als die ihrer Mithäftlinge, solange sie ihre Aufgabe zur Zufriedenheit erledigten und das Arbeitssoll ihrer Kolonne erfüllt wurde. Die Mehrzahl der Kapos trieb die entkräfteten Mithäftlinge brutal zur Arbeit an. ¹7 Sie waren zwar nicht Urheber, aber Vollstrecker eines Systems, das Gewalttätigkeiten und den Tod eines Zwangsarbeiters billigend in Kauf nahm. Durch den raschen Anstieg der Belegungszahl und den Sprachwirrwarr wurden im Lager bald mehr Funktionshäftlinge benötigt. Reichsdeutsche Kommunisten und polnische Nationalisten konnten viele Funktionen besetzen. Strittig Page 809
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt blieb im Krakauer Auschwitzprozess, ob sich dies zum Vorteil für die meist jüdischen Mithäftlinge oder allein auf die ihnen politisch nahestehende Gruppe ausgewirkt habe. Existenzbedingungen der Häftlinge Der Alltag der Häftlinge war bestimmt durch körperliche Schwerstarbeit bei unzureichender Kleidung, Ernährung und Unterbringung, wobei die Arbeitssklaven überdies den Übergriffen von Kapos und Wachmannschaften ausgesetzt waren. Im Sommer begann der Arbeitstag für die Häftlinge um fünf Uhr mit dem Wecken. Waschen, Anziehen, Frühstück – alles musste in rasender Eile geschehen. Nach einem Zählappell marschierten die ersten Arbeitskolonnen um sieben Uhr ab. Um zwölf Uhr begann die einstündige Mittagspause; um sechs Uhr endete die Arbeit. Regulär verfügte eine Baracke über 168 Schlafplätze in zwei- oder dreistöckigen Hochbetten. Meist mussten sich zwei Häftlinge eine Bettstelle teilen. Es gab weder Bettwäsche noch einfache Decken, so dass die Häftlinge auf den blanken Pritschen oder auf faulendem Stroh schlafen mussten. Die Baracken waren Gemeinschaftsunterkünfte, so dass es keine Privatsphäre gab. Die Häftlinge waren in verschiedene „Arbeitskommandos" eingeteilt. Etwa zwei Drittel der Häftlinge mussten einfache Hilfsarbeiten und schwerste Page 810
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt körperliche Arbeit auf Baustellen, beim Straßenbau, bei Erdarbeiten oder beim Transport von Lasten verrichten. Auch bei Regen und strengem Frost wurde draußen weitergearbeitet. Laut einer Anordnung des Reichsführers SS Heinrich Himmler war die Arbeitszeit in den Konzentrationslagern auf mindestens 11 Stunden festgelegt worden. Die Bekleidung der Häftlinge war völlig unzureichend. KZ-Häftlinge besaßen in der Regel nur eine einzige Montur aus dünnem Drillich-Stoff. Die dünne Häftlingskleidung schützte nicht vor Nässe und Kälte. Es mangelte an geeignetem und passendem Schuhwerk, so dass es zum Beispiel durch scharfe Kanten oder drückende Nähte häufig zu Fußverletzungen und Phlegmonen an den Füßen kam. Die Ernährung war völlig unzureichend. Ab Februar 1943 erhielten die auf der Baustelle eingesetzten Häftlinge vom Betrieb zusätzlich eine dünne Gemüsesuppe. Theoretisch erhielten die Häftlinge „Frischgemüse"; dieses bestand aber aus minderwertigem, zum Teil ungeputztem, holzigem oder verdorbenem Gemüse. Fleisch- und Wurstwaren, Milch und Käse gab es so gut wie nie. Die tägliche Essensration dürfte weniger als 1600 kcal enthalten haben. Bei schwerer körperlicher Arbeit verloren die Häftlinge etwa zwei Kilogramm Körpergewicht pro Woche.¹8 Nach drei bis vier Monaten waren die Häftlinge ausgezehrt. Ein längeres Überleben war nur in einem „Arbeitskommando" möglich, in dem leichtere Page 811
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt körperliche Arbeit verrichtet wurde. Selektionen und Sterberate Von knapp 4.000 Häftlingen, die um die Jahreswende 1942/1943 im Lager waren, lebten im Februar 1943 nur noch 2.000.¹? Die Werksleitung drängte auf eine bessere ärztliche Versorgung, weigerte sich jedoch, Mittel für eine bessere Ausstattung des Häftlingskrankenbaus zuzuschießen. Vielmehr drang sie darauf, die Lohnfortzahlung für kranke Zwangsarbeiter auf drei Wochen zu begrenzen und nur für einen Krankenstand von höchstens fünf Prozent zu leisten.²° In der Folge wurden bei regelmäßigen Selektionen bis zum Oktober 1944 nachweislich 7.295 arbeitsunfähige Zwangsarbeiter „nach Auschwitz" zurückgeschickt, von denen viele in den Gaskammern endeten.²¹ In der Literatur wird allgemein die Zahl von 20.000 bis 25.000 Häftlingen angenommen, die im Lager selbst oder als Arbeitsunfähige selektiert im KZ Auschwitz-Birkenau ihr Leben ließen.²² Am Bau beteiligte Firmen Für folgende Betriebe haben die KZ-Häftlinge aus Auschwitz III Monowitz Arbeitsleistungen erbringen müssen:²³ -
Beton- und Monierbau Fa. Krause Fa. Uhde Fa. Roesner Fa. Niederdruck Page 812
-
AEG OHW Fa. Fa. Fa. Fa. Fa. Fa. Fa. Fa. Fa. Fa.
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gleiwitz Holzlagerung Dyckerhoff & Widmann Peters Pook & Gruen Arb. Gem. Betonstahl Willich, I.G. Baugelände Stoelcker Lurgi-Apparatebau Schwab Prestel Boldt, I.G. Baugelände
Luftaufnahmen / Bombardierung 1978 wurde enthüllt, dass die Alliierten Luftaufnahmen von Auschwitz gemacht hatten. Nach Verzögerungen wurde Monowitz am 20. August und am 13. September 1944 bombardiert.²4 Befreiung Schon Ende 1944 plante eine deutsche Widerstandsgruppe innerhalb der deutschen Wehrmacht unter Leitung von Hans Schnitzler, bei Annäherung russischer Truppen einen Massenausbruch von Häftlingen des KZ Auschwitz III Monowitz zu ermöglichen. Hierzu sollten mit 24 Geschützen Kaliber 8,8 ca. 1000 Granaten auf die SS-Baracken und ausgewählte Wachtürme gefeuert werden. Des Weiteren sollte eine große Bresche in die Lagerumzäunung geschossen werden. Der Plan kam nicht zur Ausführung, da die Lagerhäftlinge zu jener Zeit zunehmend ins Reichsinnere evakuiert wurden. Die Todesmärsche konnten aus der Stellung deutlich beobachtet werden.²5 ²6 ²7 Page 813
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Am 18. Januar 1945 wurde das Lager „evakuiert". Diejenigen Häftlinge, die laufen konnten, wurden auf Todesmärsche in weiter westlich gelegene Lager geschickt. Am 27. Januar 1945 wurde das Lager von der Roten Armee befreit; ca. 650 Häftlinge wurden vorgefunden. Strafrechtliche Ahndung Im I.G.-Farben-Prozess vom 14. August 1947 bis 30. Juli 1948 standen über zwanzig Manager vor Gericht. Anklagepunkt 1 war „Verbrechen gegen den Frieden", nämlich Planung und Verschwörung zu einem Angriffskrieg. Punkt 2 war „Plünderung" von privatem und öffentlichem Eigentum. Beteiligung an „Versklavung und Massenmord" war als Anklagepunkt 3 aufgeführt. Der 4. Punkt betraf Manager, die als SS-Angehörige einer „verbrecherischen Organisation" angehört hatten. Wegen ihrer Verantwortung für den Einsatz von Konzentrationslagerhäftlingen wurden die zuständigen Vorstandsmitglieder Otto Ambros und Heinrich Bütefisch, der Betriebsführer Walter Dürrfeld und die Vorsitzenden Fritz ter Meer und Carl Krauch zu Haftstrafen zwischen fünf und acht Jahren verurteilt. Sie wurden vorzeitig aus der Haft entlassen und nahmen später wieder einflussreiche Positionen in der Wirtschaft ein. Weitere acht Personen wurden wegen „Plünderung" zu Haftstrafen zwischen eineinhalb und fünf Jahren verurteilt, zehn Angeklagte wurden freigesprochen. Page 814
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt SS-Hauptsturmführer Heinrich Schwarz war Kommandant unter anderem des Konzentrationslagers Auschwitz III Monowitz in den Jahren 1943–1945. Nach dem Krieg wurde er vor ein französisches Militärtribunal in einem Prozess gegen das Personal des Konzentrationslagers Natzweiler gestellt. Er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Weitere Täter wurden im Krakauer Auschwitzprozess von 1947, in zwei Frankfurter Auschwitzprozessen zwischen 1963 und 1966 sowie vier Nachfolgeprozessen in den 1970er-Jahren verurteilt. Einzelne Verantwortliche oder Täter wie Carl Clauberg, Adolf Eichmann, Irma Grese, Friedrich Hartjenstein, Josef Kramer standen andernorts vor Gericht. Nachkriegsgeschichte Bei der überhasteten Flucht wurde das fast fertiggestellte Werk nicht zerstört, sondern durch Ausbau wichtiger Teile „gelähmt". Unter polnischer Regie konnte die Produktion bald aufgenommen werden. Den Wert des Werkes einschließlich aller Nebenanlagen bezifferte die I.G. Farben im Jahre 1950 auf 800 bis 900 Millionen Reichsmark.²8 Vom Buna-Konzentrationslager sind nur Reste von gemauerten Schornsteinen erhalten, die sich heute auf Privatgelände befinden und abgerissen werden sollen. Westlich der Haupteinfahrt zum Betrieb steht ein Denkmal für die Opfer des Zwangsarbeitslagers. Page 815
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wissenschaftliche Diskussion über die Standortwahl und die Ausbeutung der Häftlinge Umstritten ist die Frage, weshalb die I.G. Farben ein Werk in Auschwitz baute. Bernd Wagner wertet den Standort des vierten Buna-Werkes in Schlesien als Zugeständnis an die Wünsche der Reichsregierung; bevorzugt hätte die I.G. eine Erweiterung der drei anderen Werke; eine gewinnorientierte Entscheidung sei dies nicht gewesen.²? Unterschiedlich gewichtet wird die Nachbarschaft des Konzentrationslagers für die Entscheidung des Standortes: Während Gottfried Plumpe³° und Peter Hayes³¹ diesen Faktor gering einschätzen, halten andere³² die Verfügbarkeit von Arbeitskräften aus dem Konzentrationslager für einen wesentlichen Grund. Nicht um billige Sklavenarbeit sei es jedoch gegangen; bevorzugt hätte die I.G. Farben deutsche Arbeitskräfte, die aber nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen. Bernd Wagner stellt fest, dass die durchschnittliche Arbeitsleistung der Häftlinge erheblich unter der eines „normalen Arbeiters" mit guter Ernährung und Schutzkleidung gelegen habe, und kommt zum überraschenden Schluss, dass der Einsatz von Konzentrationslagerhäftlingen „nicht rentabel"³³ war: „So perfide diese Kooperation von IG und SS war, so wenig zahlte sie sich finanziell für das Werk aus." ³4 In der Darstellung Gottfried Plumpes³5 wird den Page 816
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verantwortlichen lediglich ein fahrlässiges Verhalten vorgehalten. Karl Heinz Roth³6 hingegen wirft der Konzernleitung vor, eine wirtschaftliche Vormachtstellung erstrebt und dabei jede Rücksichtnahme außer Acht gelassen zu haben. Obwohl die Betriebsführung durch die Beschränkung der Krankenpflege und mangelnde Arbeitskleidung über lebensentscheidende Verhältnisse entschied, brauchten die leitenden Manager sich nicht selbst „die Hände schmutzig" zu machen: „Die inneren Angelegenheiten lagen ganz in den Händen der SS, so dass die Mitarbeiter der IG nicht unmittelbar mit den Folgen ihrer Anweisungen und Beschwerden konfrontiert waren." ³7 Gedenken und Erforschung Das Staatliche Auschwitz Museum (polnisch: Panstwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau) in Oswiecim, ist die polnische Gedenkstätte für den gesamten deutschen Lagerkomplex Auschwitz (1939-45) bei Kraków/ deutsch: Krakau. Es ist zugleich ein Forschungsinstitut und ein internationaler Begegnungsort insbesondere für Jugendliche. Dort wird auch der Zusammenhang der anderen Lager mit dem Arbeitslager Monowitz, insbesondere dem Industriekomplex der I.G. Farben, verdeutlicht. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, ist seit 1996 in Deutschland offizieller Gedenktag für die Opfer des Page 817
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nationalsozialismus. Der Gedenktag wird außer in Deutschland unter anderem auch in Israel, Großbritannien und Italien offiziell als staatlicher Gedenktag begangen. Literatur - Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Campus, Frankfurt am Main, 1990. ISBN 3-593-34251-0. - Karl Heinz Roth, Florian Schmaltz: Beiträge zur Geschichte der I.G. Farbenindustrie AG, der Interessengemeinschaft Auschwitz und des Konzentrationslagers Monowitz. Privatdruck der Stiftung für Sozialgeschichte, Bremen 2009. - Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. (Band 3 der Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz vom Institut für Zeitgeschichte). Saur, München, 2000, 378 S. ISBN 3-598-24032-5. - Jens Soentgen: Buna-N/S. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken. Juli 2014, Heft 782, S. 587-597. Weblinks - Linkkatalog zum Thema KZ Auschwitz III Monowitz bei DMOZ - Panstwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oswiecimiu: Podobozy KL Auschwitz (Lagerliste beim Staatl. Museum, 2009) - "Luftangriffe auf Auschwitz" (auf der "Wollheim-Memorial"-Seite) Page 818
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einzelnachweise [1] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München 2000, ISBN 3-598-24032-5, S. 11, Anm. 10. [2] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 10. [3] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 39 / Hinweise auf frühere Entscheidung nicht belegbar: S. 12. [4] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 2 Frankfurt am Main 1990, S. 991 [5] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 2 Frankfurt am Main 1990, S. 991 f./Fußnote: Abriss der Sitzungen durch ter Meer, 10. Februar 1941, NI 11111-3 [6] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 51. [7] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 2 Frankfurt am Main 1990, S. 992. [8] Deutung bei Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 53. [9] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 56f. [10] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 2 Frankfurt am Main 1990, S. 992./Fußnote: Verhör von Dr. Ernst Struss, Sekretär der TEA, vom 16. April 1947 im Zusammenhang mit dem Nachkriegsverfahren gegen die IG Farben. [11] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945 München 2000, S. 60 f. [12] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 2 Frankfurt am Main 1990, S. 992./Fußnote: Zusammenfassung Page 819
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der 25. Vorstandssitzung, 25. April 1941, NI-8078. [13] Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 2 Frankfurt am Main 1990, S. 993. [14] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945 München 2000, S. 59 f. [15] Einzelheiten z.B. in dem Artikel Der Prozess [in der DDR] gegen den Auschwitz-Arzt Horst Ficher. (Memento vom 10. Oktober 2007 im Internet Archive) [16] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 97. [17] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 119. [18] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 132. [19] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 165. [20] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 176. [21] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 186f. [22] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 187. [23] Gudrun Schwarz: Das nationalsozialistische Lagersystem, Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 1990, S. 579, S. 591. [24] Luftaufnahmen von Auschwitz auf yadvashem.org [25] BStU MfS AP6122/63: Schnitzler Lebenslauf Bl. 1-5, Anlage 3,28.08. 1950 [26] Dariusz Zalega: Deutschland gegen Hitler Zalega: Niemcy przeciw Hitlerowi Webseite [27] Karl-Eduard von Schnitzler: Meine Schlösser oder Wie ich mein Vaterland fand. Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 1995, ISBN 3-89401-249-8, S.44 [28] Bernd C. Wagner: I.G. Auschwitz … S. 295. [29] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 40 und S. 53–56. Page 820
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [30] Gottfried Plume: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Berlin 1990. [31] Peter Hayes: Zur umstrittenen Geschichte der I. G. Farbenindustrie AG. In: Geschichte und Gesellschaft. 18, 1992, S. 405–417. [32] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 53 mit weiteren Verweisen. [33] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 269. [34] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 273. [35] Gottfried Plumpe: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945. Berlin 1990 [36] Karl Heinz Roth: I. G. Auschwitz. Normalität oder Anomalie eines kapitalistischen Entwicklungssprungs. In: 1999. 4, 1989, S. 11–28. [37] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz … S. 204. Koordinaten: 50° 1' 39? N, 19° 17' 17? O Normdaten (Körperschaft): GND: 4245809-2 Oskar Schindler Oskar Schindler (* 28. April 1908 in Zwittau, Mähren, Österreich-Ungarn; † 9. Oktober 1974 in Hildesheim, Deutschland) war ein deutschmährischer Unternehmer, der während des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit seiner Frau etwa 1200 bei ihm angestellte jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten bewahrte. Kindheit und Jugend Oskar Schindler wurde als Sohn des Landmaschinenfabrikanten Johann „Hans" Page 821
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schindler und dessen Frau Franziska „Fanny" (geb. Luser) in Zwittau geboren. Er hatte eine acht Jahre jüngere Schwester namens Elfriede. Die Kinder der jüdischen Nachbarsfamilien gehörten zu ihren Spielgefährten. Schindler besuchte die Volks- und Realschule. Mit 16 Jahren wurde er der Schule verwiesen, nachdem er sein Zeugnis gefälscht hatte. Im väterlichen Betrieb absolvierte er eine Lehrausbildung. Er wurde römisch-katholisch erzogen, wandte sich aber als Erwachsener für längere Zeit von der Glaubenspraxis ab. Die fromme Mutter habe sich gegrämt, weil Oskar als Erwachsener – wie sein Vater – dem Gottesdienst immer öfter fernblieb. In den Jahren 1926 bis 1929 war Schindler ein begeisterter Motorradfahrer. Im Alter von 19 Jahren (1928) heiratete er Emilie Pelzl, die Tochter eines wohlhabenden Landwirts aus Alt Moletein. Auch Emilie war sehr fromm erzogen, da sie nach dem Tod ihrer Mutter in einem Kloster aufwuchs. Ihr Vater, ein Gutsbesitzer, missbilligte die frühe Heirat seiner Tochter mit einem „unfertigen Mann".¹ Kurz nach der Heirat wurde Schindler zum Militärdienst des Heeres der Ersten Tschechoslowakischen Republik eingezogen. Deutschpatriotische Spionage Nach der Schließung der väterlichen Landmaschinenfabrik durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise arbeitete Schindler von 1935 bis 1939 als Agent für das Amt Ausland/Abwehr in Page 822
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mährisch-Ostrau und Breslau. Sein Vorgesetzter zu dieser Zeit war Admiral Wilhelm Canaris. Zur Tarnung war Schindler als kaufmännischer Leiter der Mährischen Elektrotechnischen AG in Brünn angestellt. 1935 trat er in die pronationalsozialistische Partei Konrad Henleins ein, die Sudetendeutsche Heimatfront, später Sudetendeutsche Partei (SdP). Nachdem seine Spionagetätigkeit aufgedeckt worden war, wurde er für den Verrat tschechoslowakischer Eisenbahngeheimnisse an Deutschland wegen Hochverrats zum Tod verurteilt.² Nur Hitlers Überfall auf die „Resttschechei" im Jahr 1939 verhinderte die Vollstreckung des Todesurteils. Um sich industrielle Aufträge zu sichern, trat er 1939 in die NSDAP ein und schied im selben Jahr aus seiner Tätigkeit bei dem Generalkommando VIII in Breslau/Amt Canaris aus. In der Hoffnung, geschäftlich vom Krieg profitieren zu können, ging Schindler nach dem deutschen Einmarsch in Polen nach Krakau. Wirtschaftlicher Aufstieg Im Oktober 1939 übernahm Schindler eine stillstehende Emaillefabrik in Zablocie bei Krakau, die er zunächst pachtete und später erwarb.³ Durch Schwarzhandel, bei dem er von seinem polnisch-jüdischen Buchhalter Abraham Bankier beraten wurde, erarbeitete er sich ein Page 823
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vermögen. Blech war zu Kriegszeiten knappe Ware. Seine kleine Fabrik, die unzerbrechliches Küchengeschirr für die Wehrmacht und den Schwarzmarkt herstellte, wuchs sprunghaft. Bereits nach drei Monaten hatte sie 250 polnische Arbeiter, sieben von ihnen waren Juden. Das jüdische Ghetto Krakau existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Schindler, ein Hedonist und Spieler, nahm den Lebensstil eines Lebemanns an und genoss das Leben in vollen Zügen. Er wurde von Zeitgenossen als gut aussehender, hochgewachsener Mann beschrieben, der sich gewandt auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte, ausschweifend zu feiern wusste und Erfolg bei Frauen hatte. Schindler war ein Unterstützer des Fußballsports. Er sponserte die DTSG Krakau, welche in der Gauliga Generalgouvernement spielte, eine Liga, in der nur Vereine der deutschen Besatzer zugelassen waren.4 Rettung jüdischer Zwangsarbeiter Deutsche Emailwarenfabrik (DEF) Von 1939 bis Ende 1942 war sein Betrieb zu einer Emaille- und Munitionsfabrik gewachsen, die 45.000 m² groß war und fast 800 Arbeitskräfte beschäftigte. Unter diesen waren 370 Juden aus dem Krakauer Ghetto, das im März 1941 errichtet worden war. Die Deutsche Emailwarenfabrik (DEF) wurde von Juden häufig Emalia genannt. Page 824
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schindlers Widerstand gegen das Regime entwickelte sich nicht aus ideologischen Gründen. Den zuvor opportunistischen Fabrikanten widerte die Behandlung der hilflosen jüdischen Bevölkerung an. Allmählich traten seine finanziellen Interessen gegenüber dem Verlangen zurück, so viele Juden wie möglich vor den Nationalsozialisten zu retten. Am Ende der Entwicklung waren Schindler und seine Ehefrau nicht nur bereit, ihr gesamtes Vermögen für dieses Ziel auszugeben, sie setzten sogar ihr Leben aufs Spiel. Die angestrebte Basis der Rettungsbemühungen war die Einstufung seiner Fabrik als kriegswichtige Produktionsstätte. Dies gelang ihm, die Militärverwaltung des besetzten Polen erkannte 1943 sein Emaillierwerk als Rüstungsbetrieb (Produktion von Granatenhülsen) an. Das ermöglichte ihm, sowohl wirtschaftlich lukrative Verträge abzuschließen als auch jüdische Arbeiter anzufordern, die unter der Kontrolle der SS standen. Um dies zu erreichen, hatte er die Häftlinge als unabkömmlich für seine Produktion dargestellt, deren Deportation das Erfüllen kriegswichtiger Aufträge verlangsamen würde. Durch die Täuschung konnte er Ausnahmen erwirken, sobald Juden der Abtransport in Vernichtungslager drohte. Seinen Sekretär, Buchhalter und Finanzier Abraham Bankier5 beispielsweise bewahrte er am 3. Juni 1942 vor der Deportation nach Belzec. Auf riskante Weise Page 825
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nutzte er die zufällige Namensgleichheit mit Max Schindler, um mit einem beabsichtigten Missverständnis auf SS-Personal Einfluss zu bekommen. Schindler scheute sich bei seinem Vorgehen nicht, zu lügen oder Dokumente zu fälschen, indem er Akademiker und Kinder als qualifizierte Metallarbeiter ausgab. Ebenso gelang das Erreichen der Einstufung als kriegswichtigen Produktionsbetrieb mittels eines Täuschungsmanövers im Schriftverkehr mit der SS.6 Erfolge bei hartnäckigen Verhandlungen mit der SS konnte er auch verbuchen, nachdem Geschenke und Bestechungsgelder geflossen waren. Zwangsarbeitslager Plaszow und Schindlers Nebenlager Im März 1943 räumte die SS das Krakauer Ghetto. Ein Teil der Juden wurde in Vernichtungslager deportiert. Juden, die von der SS als arbeitsfähig eingestuft worden waren, deportierte sie in das Zwangsarbeitslager Plaszow (Plaschau). Schindler konnte sich mit dem brutalen Lagerkommandanten Amon Göth anfreunden, was ihm zu der Erlaubnis verhalf, seine jüdischen Fabrikarbeiter in einem eigenen Lager in der Lipowastraße unterzubringen. Um das neu entstandene Lager wurden Wachtürme errichtet, die SS betrat es jedoch selten. Die Arbeiter wurden durch einen Signalton vorgewarnt, sobald die SS eine Lagerinspektion plante. Das Betreten seines Fabrikgeländes war der SS verboten. Durch das Arrangement eines Nebenlagers war es ihm Page 826
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt möglich, seinen Arbeitern vergleichsweise gute Bedingungen zu bieten und ihre mangelhaften Ernährungsrationen mit Lebensmitteln zu ergänzen, die er auf dem Schwarzmarkt kaufte. Verhöre und Reise nach Ungarn Schindler wurde mehrmals von der Gestapo vernommen, die ihn wegen Unregelmäßigkeiten, Bestechung der SS und der Begünstigung von Juden verdächtigte, was Schindler aber nicht abschreckte, weiterzumachen. Die Gestapo verhaftete und verhörte Schindler 1941 wegen Schwarzmarktaktivitäten. Aufgrund einer Anzeige kam es am 29. April 1942 zu einer weiteren Verhaftung; er war als „Judenküsser" denunziert worden. Seine alten Kontakte zum Amt Ausland/Abwehr begünstigten unter anderem seine schnellen Haftentlassungen. Von Historikern noch wenig erforscht ist die Nähe des Kontaktes zu seinem Vorgesetzten Admiral Canaris, für den Schindler vier Jahre beim Amt Ausland/Abwehr gearbeitet hatte. Canaris war von Hitler mehrfach kritisiert und vom Dienst suspendiert worden, unter anderem, weil er Juden beschäftigte. Auch hatte Canaris – der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde – Juden als V-Männer ins Ausland geschickt und sie damit gerettet; zudem hatte er die Einsatzgruppen in Polen kritisiert. 1943 reiste Schindler auf Bitte der Zionistenorganisation Joint heimlich Page 827
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nach Budapest, wo er sich im Hotel Pannonia mit ungarischen Juden traf. Er schilderte diesen die verzweifelte Lage der polnischen Juden und diskutierte Hilfsmöglichkeiten. (Siehe auch: Zeitgenössische Kenntnis vom Holocaust). Ab 1944: Plaszow wurde ein KZ Im Januar 1944 wurde das 1940 errichtete Zwangsarbeitslager Plaszow in ein KZ umgewandelt, d. h. in das reichsweite KZ-System und dessen Organisationsstruktur eingegliedert. Schindlers Lager, in dem seine Arbeiter wohnten, wurde nun KZ-Außenkommando genannt,7 war de facto jedoch ein KZ-Außenlager. Der Unterschied zwischen Außenlager und Außenkommando war im KZ-System folgendermaßen definiert: Die Arbeiter eines Außenkommandos waren untertags zum Arbeitseinsatz am jeweiligen Rüstungsbetrieb und schliefen abends im KZ, wo sie auch täglich auf dem Appellplatz antreten mussten. Die Arbeiter eines Außenlagers kehrten hingegen abends nicht zurück, sie wohnten und schliefen in einem Lager beim Rüstungsbetrieb, das von KZ-Wachen kontrolliert wurde. Schindler hatte auch hier getrickst und Vorteile für seine Arbeiter errungen: Sie mussten nur wochenends statt täglich ins KZ Plaszow zurück und entgingen dadurch u. a. der Willkür Göths. Faktisch bestand die gravierende Neuerung darin, dass das neu entstandene KZ und sein vermeintliches Außenkommando sich nun Page 828
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt unter strengster Kontrolle der Inspektion der Konzentrationslager befanden, der Amtsgruppe D in Berlin. Amon Göth, dem Schindler so nahestand, dass er ihn freundschaftlich mit seinem Spitznamen Mony ansprechen durfte, hatte neue Vorgesetzte bekommen. Für Schindler verkomplizierte sich die Sachlage enorm. Er musste nun versuchen, mit mehreren und noch unbekannten Personen zu verhandeln, um sie wohlgesinnt zu stimmen. Er reiste nach Berlin, um Sicherheit für seine Arbeiter und sein Lager auszuhandeln.8 Die Produktion von Blechgeschirr ließ er beenden, die Fabrik produzierte nun ausschließlich Munition. Ab Sommer 1944 wurde bekannt, dass das KZ Plaszow aufgelöst werden sollte. Auch Schindlers zugehöriges Nebenlager hatte vom Heereswaffenamt Berlin einen Räumungsbefehl erhalten. Anstatt sich mit dem Millionengewinn seiner Kriegsproduktionsgeschäfte aus dem Staub zu machen und seine Arbeiter dem sicheren Tod zu überlassen, beschloss Schindler, mit seiner Fabrik umzuziehen und seine Arbeiter mitzunehmen. Der geplante sicherere Ort der neuen Fabrik war Brünnlitz, das im Bezirk Zwittau lag, wo Schindler geboren und aufgewachsen war und viele Kontakte hatte. Die strenge Kontrolle durch die Amtsgruppe D hatte weitere Folgen. Im Herbst kam es zur Verhaftung des SS-Offiziers Amon Göth durch die NS-Justiz. Einer seiner SS-Leute hatte ihn aufgrund von Page 829
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schwarzmarktgeschäften und Unterschlagung von Reichseigentum angezeigt. Während Göth in Untersuchungshaft war, übernahm der SS-Mann Arnold Büscher die Leitung des KZ Plaszow. Schindler musste sich auch mit dieser Neuerung arrangieren. KZ-Außenlager Brünnlitz in Zwittau ? Hauptartikel: KZ-Außenlager Brünnlitz Ende 1944 musste das KZ Plaszow mit allen Außenlagern aufgrund des Vormarsches der Roten Armee geräumt werden. Die SS deportierte über 20.000 Juden aus Plaszow in Vernichtungslager. Schindler war es gelungen, alle nötigen Genehmigungen zu erhalten, um seine kriegswichtige Produktion im mährischen Brünnlitz, Bezirk Zwittau, fortzusetzen. Die SS hatte ihm 1.200 Arbeiter bewilligt, 800 Männer und 300 Frauen. Zu seinen bisherigen Arbeitern kam eine große Anzahl neuer Namen aus dem Lager Plaszow. Insgesamt umfasste die Liste schließlich 297 Frauen und 801 Männer.? Die Übersiedlung der Männer in das Arbeitslager Brünnlitz begann am 15. Oktober 1944 und erfolgte unter der Kontrolle des KZ Groß-Rosen. Der Transport der Frauen führte über Auschwitz, da eine SS-Vorschrift verlangte, dass alle Häftlinge, Männer wie Frauen, in Quarantäne kamen, bevor sie in ein anderes Lager verlegt wurden. Ebenso waren Page 830
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Leibesvisitationen vorgeschrieben, die sich auch auf den Intimbereich erstreckten. Alles das musste bei weiblichen Häftlingen von Frauen durchgeführt werden, aber Groß-Rosen verfügte zu dieser Zeit weder über das entsprechende Personal noch über die Einrichtungen, um die dreihundert Schindlerfrauen zu behandeln. Deswegen wurden die Frauen über das nächstgelegene KZ geleitet, in diesem Fall das ca. 60 km entfernte Auschwitz.¹° Schindler gelang es, die Männer aus dem Lager Groß-Rosen zu retten. Sein persönlicher Sekretär schaffte es, in Auschwitz den Weitertransport der Frauen auszuhandeln, indem er der Gestapo eine erhöhte Bezahlung von 7 Reichsmark pro Tag und Kopf versprach. Es handelte sich dabei nicht, wie häufig berichtet, um den einzigen Fall, in dem eine so große Gruppe die Vernichtungslager verlassen durfte, aber um den bekanntesten.¹¹ In den letzten Kriegstagen floh Schindler nach Deutschland. In Schindlers Produktionsstätten war keiner seiner Arbeiter geschlagen oder in ein Vernichtungslager deportiert worden, keiner starb eines unnatürlichen Todes. Nach Kriegsende Finanziell war die Nachkriegszeit für Schindler wenig erfolgreich. Von November 1945 bis Mai 1950 lebte er in Regensburg. Er ließ sich eine Page 831
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zeitlang in San Vicente, Argentinien, nieder, wo er mit seiner Frau Emilie († 2001) eine Nutriafarm betrieb. Nachdem seine Ranch 1957 bankrott gegangen war, kehrte er ohne Emilie nach Westdeutschland zurück und betätigte sich als Handelsvertreter. Ein Versuch, als Betonfabrikant zu reüssieren, endete 1961 in der Insolvenz. Als von ihm geschützte überlebende Juden von seinen beruflichen und finanziellen Schwierigkeiten erfuhren, luden sie ihn nach Jerusalem ein. Ab diesem Zeitpunkt lebte Oskar Schindler ein „geteiltes" Leben: Die eine Hälfte des Jahres verbrachte er in Frankfurt am Main, wo er zurückgezogen in einer Einzimmerwohnung am Bahnhof lebte, die andere Hälfte des Jahres verweilte er bei den von ihm geretteten Juden in Jerusalem. Dieses Leben führte Schindler bis zu seinem Tod 1974. Er fand auf seinen Wunsch hin seine letzte Ruhe auf dem römisch-katholischen Franziskanerfriedhof am Berg Zion in Jerusalem.¹² Zwei Jahre vor seinem Tod wurde ihm in der Hebräischen Universität ein Raum gewidmet, in dem ein Buch, das seine Taten schildert, und eine Liste mit den Namen aller geretteten Juden aufliegen. Einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland und der Welt wurde Oskar Schindler erst durch den Film Schindlers Liste bekannt. Hinterlassenschaft und Nachwirkungen „Schindlerjuden" Page 832
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ? Hauptartikel: Liste von Schindlerjuden Die von Schindler geretteten jüdischen Männer und Frauen bezeichneten sich selbst häufig als Schindlerjuden. Leopold Page, einer der geretteten Juden, kam 1980 mit dem Autor Thomas Keneally in Kontakt, welcher daraufhin einen Roman über Schindler verfasste. Der Begriff Schindlerjuden verbreitete sich auch durch Zeitungsberichte sowie durch den Film Schindlers Liste (1993).¹³ Nach ihrer Befreiung 1945 verteilten sich die geretteten Häftlinge in alle Welt. Einige von ihnen, darunter Mietek Pemper und Wolf Weil¹4 , ließen sich in Deutschland nieder. Auch die Eltern von Michel Friedman gehörten dazu. Man schätzt, dass zu Beginn der 1990er Jahre noch etwa 400 Schindlerjuden lebten, die Hälfte von ihnen in Israel.¹5 ¹6 Der letzte deutsche überlebende Schindlerjude war Jerzy Gross, der zuletzt auch öffentlich über sein Schicksal berichtete.¹7 Moshe Bejski, hoher Richter am Obersten Gerichtshof Israels, beschrieb das Wesen und Wirken Schindlers: „Wäre er ein Durchschnittsmensch gewesen, wäre er sicher nicht fähig gewesen, das zu tun, was er für uns getan hat." – Moshe Bejski Gemäß Zeitzeugenberichten besaß Schindler mehrere hohe NSDAP-Parteiabzeichen, die wesentlich dazu beitrugen, Eindruck bei der SS Page 833
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt zu hinterlassen und ihm leichter Türen öffneten. Schindler soll Träger des Blutordens gewesen sein; ebenso Träger des Goldenen Parteiabzeichens, wie im Film dargestellt.¹8 Der Besitz der Abzeichen ist historisch nicht belegt, nachweisbar ist jedoch, dass Schindler kein durchschnittliches NSDAP-Mitglied war, sondern tendenziell heldenhaftes Ansehen bei der SS genoss.¹? Schindlers Koffer Im November 1999 wurde auf dem Dachboden der Wohnung seiner letzten Geliebten Annemarie Staehr in Hildesheim ein Koffer mit 7000 Schriftstücken und Fotos gefunden. Darin befand sich eine originale Liste²° der von Oskar Schindler geretteten Juden sowie unter anderem eine komplette Auflistung dessen, was Schindler der SS an Gefälligkeiten erwiesen hatte.²¹ Alle Ausgaben für Lebensmittel waren penibel vermerkt. Als die beiden Journalisten der Stuttgarter Zeitung, Claudia Keller und Stefan Braun,²² von dem Koffer erfuhren, ließen sie den Inhalt im Bundesarchiv in Koblenz sichten, katalogisieren und in säurefreie Mappen verpacken. Die Zeitung übergab den wertvollen Fund anschließend an die Gedenkstätte Yad Vashem. Emilie Schindler, seiner Witwe, wurden davon Kopien gesendet. Sie forderte jedoch den Koffer als rechtmäßige Erbin für sich.²³ Mitte 2001 erhielt sie nach einem Vergleich 25.000 DM von der Stuttgarter Zeitung, nicht aber den Page 834
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Koffer, der in Yad Vashem verblieb.²4 ²5 Schindlers Liste ? Hauptartikel: Liste von Schindlerjuden Listen gehörten zum unabdingbaren Lageralltag eines KZ. Auch Schindlers Liste musste mehrfach angefertigt, d. h. auf der Schreibmaschine abgetippt werden. Schindler begann im Herbst 1944 die Liste zu erstellen. Anders als im Film dargestellt diktierte Schindler die Liste nicht. Ihre Erstellung dauerte länger als einige Stunden. An der Liste beteiligt waren mehrere Personen, unter anderem Itzhak Stern, Hilde Berger, Abraham Bankier und Marcel Goldberg, welchem später vorgeworfen wurde, er habe Bestechungsmittel in Form von Edelsteinen angenommen, um bevorzugte Personen auf die lebensrettende Liste zu setzen. Zeitungsberichten zufolge existieren noch vier authentische Abschriften von Schindlers Liste: Zwei Originalabschriften sind im Besitz der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, eine weitere befindet sich im Besitz einer US-Gedenkstätte. Eine vierte Abschrift, deren Echtheit bestätigt ist, befand sich im Besitz Itzhak Sterns (Erstellungsdatum der Liste: 18. April 1945),²6 der sie an seinen Neffen weitergab. Im Jahr 2010 wechselte das Dokument für 2,2 Millionen US-Dollar (2.155.000 Euro) den Besitzer. Käufer war ein privater Sammler, der sie über den Händler Gary J. Zimet erwarb. Erika Rosenberg hatte vor Gericht versucht, den Page 835
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verkauf unterbinden zu lassen: Der Wille von Oskar und Emilie Schindler sei gewesen, dass die Nachweise über die Rettung der Juden in deutschen Museen der Öffentlichkeit zugänglich seien. Sie wies auf die ärmlichen Verhältnisse hin, in welchen die Schindlers lebten, und kritisierte den Millionenerlös der Dokumente sowie den Verkauf an private Interessenten statt an Museen.²7 Im Juli 2013 stellte Händler Gary J. Zimet die Liste erneut zum Verkauf, dieses Mal allerdings auf der Auktionsplattform eBay.²8 Der Startpreis betrug drei Millionen US-Dollar (ca. 3.082.000 Euro). Die Auktion blieb erfolglos, obwohl sie von einer halben Million Menschen besucht wurde und mehr als 13.000 Beobachter hatte. Fabrik wurde Gedenkstätte und Museum ? Hauptartikel: Fabryka Emalia Oskara Schindlera Schindler hatte seine Emailwarenfabrik²? im Oktober 1939, nach der Besetzung Polens, erworben. Nach Kriegsende kam es zu einer Verstaatlichung der Anlage, ab 1947 produzierte ein Telekommunikationsausrüster dort elektronische Bauteile. Im Jahr 2005 kaufte die Stadt Krakau das Gelände, das mit Unterstützung von EU-Geldern renoviert wurde und seit 2010 ein Museum ist. "Die einstige Fabrik des deutsch-mährischen Unternehmers Oskar Schindler im ostböhmischen Brnenec (Brünnlitz) soll eine Page 836
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Holocaust-Gedenkstätte und Ziel für Touristen werden. Hinter der Initiative steht der Stiftungsfond Soa (Schoah), der das verfallene Areal bereits kaufte und weiteres Geld für das Projekt sucht", berichtet laut orf.at die tschechische Tageszeitung „Pravo" vom 15. August 2016.³° Ehrungen - „Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt" – dieser aus dem Talmud stammende Spruch ist in den Ring eingraviert, den die Juden Oskar Schindler als Geschenk übergaben. Aus echtem Zahngold gemacht, war der Ring am 8. Mai 1945 das Einzige, was sie besaßen, um Schindler zu danken. - 1962 durfte Schindler einen Johannisbrotbaum mit seinem Namen in der „Allee der Gerechten unter den Völkern" von Yad Vashem pflanzen.³¹ Eine vollwertige Anerkennung als Gerechter unter den Völkern erfolgte 30 Jahre später, nach dem Welterfolg des Films von Steven Spielberg. Yad Vashem ehrte sowohl Oskar als auch Emilie Schindler. - 1965 erhielt Oskar Schindler das Bundesverdienstkreuz I. Klasse. - 1967 Martin Buber Friedenspreis - 1968 Päpstlicher Silvesterorden durch Paul VI. - Die Bundesrepublik Deutschland ehrte Oskar Schindler im Jahr 2008 aus Anlass seines 100. Geburtstags mit der Herausgabe einer 145-Cent-Sonderbriefmarke. - In Augsburg, Frankfurt am Main, Hildesheim, Köln, Nürnberg und Sendenhorst wurden Straßen nach ihm benannt. Page 837
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Medien Film Der amerikanische Regisseur Steven Spielberg setzte Oskar Schindler 1993 mit Schindlers Liste ein filmisches Denkmal. Der Film, der auf der 1982 erschienenen Biographie von Thomas Keneally basiert, wurde mit sieben Oscars ausgezeichnet. Musik Die schwedische Power-Metal-Band Civil War veröffentlichte 2015 auf ihrem 2. Studioalbum Gods and Generals den Song Schindler's Ark, der Schindlers Rettung der Juden vor den Nationalsozialisten behandelt. Literatur - David M. Crowe: Oskar Schindler. Eichborn, 2005, ISBN 3-8218-0759-8. - Thomas Keneally: Schindlers Liste. Bertelsmann, München 1983 (erste deutschsprachige Ausgabe), ISBN 3-570-00489-9. - Mieczyslaw Pemper: Der rettende Weg. Schindlers Liste – die wahre Geschichte. Hoffmann und Campe, Hamburg 2005, ISBN 3-455-09493-7. - Dieter Pohl: Schindler, Oskar. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 791 f. (Digitalisat). - Erika Rosenberg (Hrsg.): Ich, Oskar Schindler. Die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente. Herbig, Page 838
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt München 2000, ISBN 3-7766-2204-0. - Stella Müller-Madej: Das Mädchen von der Schindler-Liste – Aufzeichnungen einer KZ-Überlebenden. DTV, 1998, ISBN 3-423-30664-5. - Jitka Gruntová: Die Wahrheit über Oskar Schindler. Weshalb es Legenden über „gute Nazis" gibt. Übersetzt und herausgegeben von Klaus Kukuk, edition ost, Berlin 2010, ISBN 978-3-360-01815-1. Weblinks Commons: Oskar Schindler – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Biografie beim Projekt Zukunft braucht Erinnerung - Schindlers Liste Oskar und Emilie Schindler Deutschland. Biografie auf yadvashem.org - Schindlers Liste auf www.auschwitz.dk - Schindlers Liste auf „jewishvirtuallibrary" - Bilder von Oskar Schindlers Koffer - Biografie eines Rätsels – Hat Spielberg übertrieben? Rezension des Buches von David Crowe im Tagesspiegel vom 5. August 2005 - Literatur von und über Oskar Schindler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Einzelnachweise [1] J. M. Noack: „Schindlers Liste" – Authentizität und Fiktion in Spielbergs Film. 1998, Seite 17 f. [2] Siehe auch: Mietek Pemper im Interview, 28. April 2007: Zum Patriotismus von Oskar Schindler und wie die Page 839
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gemeinsame Zusammenarbeit überhaupt möglich wurde. [3] Herbert Steinhouse, „The Real Oskar Schindler", ''Saturday Night'' Magazine, April, 1994. Writing.upenn.edu. 6. August 2004. Abgerufen am 21. Juli 2012. [4] Thomas Urban: Schwarze Adler, weiße Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik. Göttingen 2011, ISBN 978-3-89533-775-8, S. 80. [5] Zur wichtigen Rolle des Abraham Bankier: Im Schatten Schindlers. Bei: welt.de. 22 Februar 2000. [6] Vgl. Mietek Pemper. [7] Vgl. Verzeichnis der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos gemäß § 42 Abs. 2 BEG. Außenkommando Plaszow = Nr. 767a, vom 1. Januar 1944 bis zum 7. August 1944. [8] Vgl. Jüdische Geschichte und Kultur. Auf: judentum-projekt.de. [9] Schindlers Liste (PDF; 3,6 MB). [10] Mieczyslaw (Mietek) Pemper: Der rettende Weg, Schindlers Liste – die wahre Geschichte. 2. Auflage. Hoffmann und Campe, Hamburg 2005. [11] Pascal Cziborra: KZ Gundelsdorf, Fischers Liste. Lorbeer Verlag, Bielefeld 2010. [12] knerger.de: Das Grab von Oskar Schindler [13] Der gerechte Goi und die „Schindlerjuden". In: Der Spiegel. Ausgabe vom 14. Februar 1983. [14] Michael Brenner: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945–1950. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39239-3. [15] Johannes-Michael Noack: „Schindlers Liste": Authentizität und Fiktion in Spielbergs Film: eine Analyse. Leipziger Page 840
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Universitätsverlag 1998, ISBN 3-933240-05-0, S. 33–34 (Auszug in der Google-Buchsuche). [16] Michael Brenner: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945–1950. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39239-3, S. 165–169 (Auszug in der Google-Buchsuche). [17] Letzter Zeitzeuge ist gestorben. In: Kölner Stadt-Anzeiger 14. August 2014, online, abgerufen am 27. Dezember 2014. [18] „Schindler trug das blutrote Parteiabzeichen der NSDAP". Bei: focus.de. 15. Juni 2013. [19] Zu seinem Heldenstatus bei der SS vgl.: schoah.org. [20] Jürgen Dahlkamp: ZEITGESCHICHTE Die letzte Gefährtin. Bei: spiegel.de. 25. Oktober 1999. [21] Andrea Übelhack: „Ich, Oskar Schindler." Briefe aus einem vergessenen Koffer. 7. Mai 2001, (haGalil.com). [22] Schindlers Koffer. (Memento vom 27. Dezember 2014 im Internet Archive) Vortrag der Journalisten Claudia Keller und Stefan Braun, Oktober 1999. [23] Streit um Schindlers Koffer. Bei: mietek-pemper.de. [24] Ein Grab, ein Koffer und Listen – Oskar Schindler gedenken. Bei: n-tv.de. 28. April 2008. [25] Schindlers Koffer. [26] Anm.: Die Anzahl der geretteten Juden war zu diesem Zeitpunkt höher als beim Umzug nach Brünnlitz, da Schindler im KZ-Außenlager Brünnlitz weitere Juden aus einem Transport gerettet hatte. [27] n-tv.de, vom 22. März 2011 [28] n-tv.de vom 20. Juli 2013 [29] Schindler nannte die Fabrik zur Herstellung Page 841
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt von Emaille-Produkten „Deutsche Emailwarenfabrik (DEF)". Die Schreibweise „Emailwarenfabrik" [mit einem „l"] ist an mehreren Stellen belegt – z. B. bei Judentum-Projekt.de oder Spiegel.de sowie epv.de (Memento vom 2. Januar 2008 im Webarchiv archive.is) und vor allem Mietek-Pemper.de. [30] Tschechien: Schindlers Fabrik wird Holocaust-Gedenkstätte orf.at, 15. August 2016, abgerufen 15. August 2016. [31] Ehrung zweiter Klasse Normdaten (Person): GND: 118755102 | LCCN: n82088001 | NDL: 01076608 | VIAF: 62344363 | Walter Többens Walter Caspar Többens, auch Walther Többens, (* 19. Mai 1909 in Meppen; † 16. November 1954) war Inhaber der Többenswerke im Warschauer Ghetto. Werdegang Többens, von Beruf Kaufmann, war bis 1934 in einer Bremer Kaffeerösterei beschäftigt. Seit 1932 erwarb er sieben Geschäfte, die zuvor jüdischen Bürgern gehört hatten (vgl. Arisierung).¹ Er trat im September 1937 in die NSDAP (Mitgliedsnr. 5.349.852) ein.² Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Többens durch Dr. Lautz, Geschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Groß- und Einzelhandel in Berlin, Großhändler im Kreis Tomaschow. Dort mussten jüdische Zwangsarbeiter für seine Produktion arbeiten. 1941 wurde Többens, Page 842
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wiederum durch Lautz, ins Warschauer Ghetto geholt, um als Mitglied einer Produktions-Kommission Wehrmachtsaufträge durchzuführen, die über die deutsche Transferstelle abgewickelt werden sollten. Ohne Eigenkapital konnte sich Többens durch Korruption unabhängig machen und im Warschauer Ghetto die Többenswerke errichten. Neben einer Schneiderei, Schuhmacherei und Kürschnerei umfassten die Produktionsstätten unter anderem auch eine Mützen- und Gummifabrik. Bis zu 25.000 jüdische Zwangsarbeiter mussten in diesen Produktionsstätten unter inhumanen Lebens- und Arbeitsbedingungen Zwangsarbeit verrichten. Es wurden regelmäßig Selektionen vorgenommen und Arbeiterinnen in das Vernichtungslager Treblinka deportiert.¹ Anfang 1943 wurde der Höhere SS- und Polizeiführer Friedrich-Wilhelm Krüger von Reichsführer SS Heinrich Himmler ersucht, bei den Többens-Werken eine Buchprüfung durchführen zu lassen.¹ Többens konnte die Buchprüfung jedoch abwenden und wurde durch Odilo Globocnik Anfang 1943 zum „Bevollmächtigten für die Verlegung der jüdischen Betriebe in Warschau" ernannt, um so die Arbeiter seiner Betriebe und deren Angehörige in Lubliner Lager überführen zu können. Hierdurch konnte einer Übernahme des Betriebes durch die SS und der von Himmler angeordneten Überführung der jüdischen Arbeiter in das KZ Majdanek zuvorgekommen werden.³ Im April und Mai 1943, während des Aufstandes im Warschauer Ghetto4 , wurden allein 10.000 Zwangsarbeiter samt Page 843
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Familienangehörigen von Többensbetrieben in das Zwangsarbeiterlager Poniatowa überstellt. Auch die Produktionsstätten der Többenswerke wurden nach Poniatowa verlagert. Am 4. November 1943 wurden im Rahmen der „Aktion Erntefest" etwa 15.000 Juden des Arbeitslagers erschossen.5 ¹ Többens baute danach in Warschau erneut eine Produktion auf und erwarb im Februar 1944 für 1,4 Millionen RM das Bambergerhaus in Bremen. Kriegsbedingt verlagerte Többens, wahrscheinlich Ende 1944, seine Produktion nach Delmenhorst.² Nach Kriegsende Am 11. September 1945 wurde Többens durch Angehörige des Counter Intelligence Corps in Bremen verhaftet und interniert. Im Januar 1946 gelang ihm die Flucht aus der Internierung und nach seiner Wiederergreifung im Juni 1946 konnte er erneut aus der Internierung in Darmstadt am 22. November 1946 entkommen. Die Bremer Spruchkammer verurteilte ihn in Abwesenheit zum hauptschuldigen Kriegsverbrecher. Nach dem Ende der Entnazifizierung stellte sich Többens im April 1951 freiwillig den Behörden und wurde, auch aufgrund entlastender Aussagen ehemaliger Mitarbeiter, Ende Mai 1952 nur noch als „Mitläufer" eingestuft. Többens starb im November 1954 gemeinsam mit seiner Sekretärin bei einem Autounfall. Der Többensbetrieb ging im Juni 1988 in Insolvenz.² Page 844
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Literatur - Günther Schwarberg: Das Getto., 1. Auflage. Steidl, Göttingen 1989, ISBN 3-88243-108-3. - Josef Wulf: Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500.000 Juden im Ghetto Warschau. Arani-Verlags GmbH, Berlin 1961. - Barbara Schwindt: Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Funktionswandel im Kontext der „Endlösung". Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, ISBN 3-8260-3123-7, (Zugleich: Köln, Univ., Diss., 2004). - Joachim Jahns, Der Warschauer Ghettokönig, Dingsda-Verlag Leipzig 2009, ISBN 978-3-928498-99-9. Einzelnachweise [1] Josef Wulf: Das Dritte Reich und seine Vollstrecker – Die Liquidation von 500.000 Juden im Ghetto Warschau, Berlin 1961, S. 336f. [2] Vgl. Archivgespräche (PDF; 860 kB), in: Der Bremer Antifaschist, Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Bremen e.V., Nr. 10/2008, S. 4. [3] Vgl. Barbara Schwindt: Das Konzentrationsund Vernichtungslager Majdanek. Funktionswandel im Kontext der „Endlösung". Würzburg, Königshausen & Neumann, 2005, S. 192f. [4] siehe Stroop-Bericht Blatt „Fernschreiben 20. April 1943" [5] Vgl. Barbara Schwindt: Das Konzentrationsund Vernichtungslager Majdanek. Funktionswandel im Kontext der Page 845
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Endlösung". Würzburg, Königshausen & Neumann, 2005, S. 208f. Normdaten (Person): GND: 118869167 | VIAF: 45099864 | Deutsche Erd- und Steinwerke Die Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH (DEST) waren ein am 29. April 1938 gegründetes Unternehmen der SS, welches dem Reichsführer SS Heinrich Himmler unterstand. Die DEST stellte mit Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen Baumaterial für beispielsweise Führerbauten her. Vorgeschichte Etwa ab dem Jahr 1936 begann Adolf Hitler, großangelegte Führerbauten zu planen. Diese sollten nicht nur in der Hauptstadt Berlin, sondern auch in anderen Städten errichtet werden. Für Hamburg beispielsweise war der Bau einer großen Brücke sowie ein KdF-Hotel und ein 250 m hohes Gauhaus geplant.¹ Hitlers Günstling Albert Speer war mit der Bauaufsicht dieser Regierungsprojekte beauftragt. Das Baumaterial sollte durch KZ-Häftlinge hergestellt werden. Die Produktion wurde in den Vierjahresplan einbezogen. Die frühen Konzentrationslager der Jahre 1933–1934 hatten der Inhaftierung politischer Feinde gedient. Nach der Konsolidierung der neuen Regierung sollten neue Lager einem zusätzlichen Zweck dienen. Die Arbeitsbeteiligung von KZ-Häftlingen an den geplanten Führerbauten bedeutete für Himmler einen erneuten Machtzuwachs. Himmler, dem die KZ der SS Page 846
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt unterstanden, ließ neue Konzentrationslager errichten, deren Lage sich jeweils an geeignetem Gelände orientierte. Die Lage eines Konzentrationslagers in Thüringen, welches später den Namen Buchenwald erhalten sollte, wählte die Inspektion der Konzentrationslager (IKL) nicht zufällig. Die IKL, die Himmler unterstellt war, beauftragte am 24. April 1937 das Geologische Institut Jena, ein Gelände mit Ziegellehm ausfindig zu machen, da KZ-Häftlinge Ziegel herstellen sollten.² Gründung Ein Jahr später, am 29. April 1938, gründete die SS die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH. Oswald Pohl leitete die DEST und war mit der Produktion von Baumaterial beauftragt. Speer gewährte der DEST einen Kredit von 9,5 Millionen Reichsmark. Der Kredit sollte innerhalb von 10 Jahren durch Warenlieferung von Baumaterialien abbezahlt werden. In der Nähe Mauthausens und Flossenbürgs pachtete die DEST Steinbrüche, und die IKL ließ dort Konzentrationslager errichten. Bei Sachsenhausen, Buchenwald und Neuengamme wurden Ziegeleien errichtet.³ Die DEST unterhielt Steinbrüche, Granitwerke, Ziegelwerke, Kieswerke und Baustoffwerke in unmittelbarer Nähe der KZ. So entstanden die Lager Flossenbürg (1938), Mauthausen (1938, Granit), Gusen (1938, Granit) und Auschwitz. Page 847
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Das Lager Groß-Rosen, das 1940 in Schlesien errichtet wurde, lag neben einem Steinbruch mit hochwertigem Granit, an dem Speer besonderes Interesse hatte. Auch Natzweiler entstand 1940 in der Nähe eines Steinbruchs, da Speer jenen roten Granit nutzen wollte. Arbeitsbedingungen Die Arbeitsbedingungen der Häftlinge, die zur Zwangsarbeit getrieben wurden, waren katastrophal und vom Prinzip der Vernichtung durch Arbeit geleitet. Ab 1943 ließ die SS in diesen Werken vorwiegend der Rüstungsproduktion zuarbeiten. Werkgruppe St. Georgen an der Gusen (Granitwerke Mauthausen) Zu den bedeutendsten Werkgruppen der DEST gehörte die Werkgruppe St. Georgen an der Gusen (Granitwerke Mauthausen). Diese betrieb neben den Steinbrüchen im Umfeld der Konzentrationslager Gusen und Mauthausen gegen Kriegsende unter der Tarnbezeichnung B8 Bergkristall unter anderem in St. Georgen an der Gusen auch das größte unterirdische Produktionswerk für Messerschmitt Me 262 Düsenjagdflugzeuge. Zu erwähnen ist auch eine umfangreiche Zusammenarbeit der Werkgruppe St. Georgen in den Jahren 1943–1945 mit der Steyr-Daimler-Puch AG.4 Die Betriebe „Gusen", „Kastenhof" und Page 848
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Wienergraben" wurden nach Kriegsende mit der Verwaltungszentrale in St. Georgen an der Gusen als deutsches Eigentum von der Sowjetunion beschlagnahmt. Während der Betrieb „Wienergraben" bald der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zugeschlagen wurde, wurden die Steinbruchbetriebe in Gusen unter der Bezeichnung „Granitwerke Gusen" durch die sowjetische USIA als sowjetstaatlicher Betrieb bis 1955 weiterbetrieben. Einzelne Objekte und Liegenschaften, die nicht von den Sowjets beansprucht wurden, wurden bereits ab 1948 durch österreichische Gerichte „rückgestellt". Ab 1955 trat die Republik Österreich schließlich voll in das verbliebene ehemalige deutsche Eigentum der DEST-Werkgruppe St. Georgen an derGusen ein. Die von der Republik Österreich eingesetzte „Öffentliche Verwaltung der Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH Berlin" existierte bis Ende der 1960er Jahre. Literatur - Jan Erik Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933–1945. Paderborn 2001, ISBN 3-506-78245-2. - Markus Wicke: SS und DRK. Das Präsidium des Deutschen roten Kreuzes im nationalistischen Herrschaftssystem 1937–1945. Eigenverlag, Potsdam 2002, ISBN 3-8311-4125-8, S. 64. - Enno Georg: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1965 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Page 849
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zeitgeschichte 7, ISSN 0506-9408). Kapitel 3. Fußnoten [1] Am 2. Februar 1938 rühmte sich Hitler gegenüber Schuschnigg, in Hamburg würde die größte Brücke der Welt erbaut werden, die USA solle sehen, dass in Deutschland schöner und größer gebaut werde. – In: Kurt von Schuschnigg: Requiem in Rot-Weiß-Rot, Aufzeichnungen des Häftlings Dr. Auster, Prag 1947, S.66. [2] Stanislav Zámecník: (Hrsg. Comité International de Dachau): Das war Dachau. Luxemburg, 2002, S. 81. ISBN 2-87996-948-4 [3] Zámecník, S. 81. [4] Rudolf A. Haunschmied, Jan-Ruth Mills, Siegi Witzany-Durda: St. Georgen-Gusen-Mauthausen – Concentration Camp Mauthausen Reconsidered. BoD, Norderstedt 2008, ISBN 978-3-8334-7440-8. S. 45ff Weblinks - B8 BERGKRISTALL – ESCHE II Underground Plant SS-Hauptämter Die nationalsozialistische Parteiorganisation SS entwickelte im Laufe der Diktatur einen aus verschiedenen „Hauptämtern" und deren Unterabteilungen bestehenden Dachverband und bildete mit ihnen seit spätestens 1942 einen regelrechten Staat im Staate. Als allumfassende Bezeichnung für die Hauptämter wurde der seit den 1930er Page 850
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Jahren bekannte Name „Reichsführung SS" gebraucht. Es gab 12 Hauptämter, die aus der weitverzweigten Organisationsstruktur der SS entstanden: SS-Hauptamt Das „SS-Hauptamt" (SS-HA) war ursprünglich das Leitorgan und Hauptverwaltungsstelle der Gesamt-SS. Chefs des Hauptamtes waren Curt Wittje (1934–1935), August Heißmeyer (1935–1939) und dann Gottlob Berger. Als die Partei-Organisation immer größer wurde, konnte das SS-HA die nun aufkommenden Aufgaben nicht mehr bewältigen. So wurden neue Hauptämter geschaffen, die nach und nach die Aufgaben des SS-HA übernahmen. Rund 70 % der Aufgaben wurden an die anderen Ämter abgegeben, weshalb der Einfluss des SS-HA auf die SS schließlich minimal war. Dem SS-Hauptamt unterstand jedoch weiterhin das „SS-Ergänzungsamt", das unter Berger weiter ausgebaut wurde. So war dieses Amt für die Betreuung und Verwaltung der Personalakten der SS-Mannschaften und der Unteroffiziere zuständig. Dem SS-Hauptamt unterstanden bis 1939/40 die Kommandoämter der Allgemeinen SS, SS-Verfügungstruppe und der SS-Wachverbände. 1939 riet Berger Adolf Hitler unter anderem, Theodor Eicke die Aufstellung eines eigenen Frontverbandes zu erlauben. Dieser sollte ausschließlich aus Freiwilligen der Totenkopf-Standarten gebildet werden. Ferner schlug Berger Page 851
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt vor, die Kommandoämter der Verfügungstruppe und der Wachverbände in einem neuen Kommandoamt, dem „Kommandoamt der Waffen-SS" zu vereinigen. Dem Ergänzungsamt unterstanden auch die Rekrutierungsbüros der Waffen-SS in den besetzten Ländern. SS-Führungshauptamt Das „SS-Führungshauptamt" (SS-FHA) war die eigentliche betriebliche Stabsstelle (Hauptquartier) der bewaffneten SS ab August 1940. Es entstand durch Ausgliederung aus dem SS-Hauptamt und wurde anfangs von Himmler persönlich, ab Januar 1943 von dessen bisherigen Stabschef SS-Obergruppenführer Hans Jüttner geleitet. Es leitete und verwaltete Nachschub und Versorgung, Lohnzahlungen und Ausrüstungen. Ihm unterstanden ferner die Kommandoämter der Allgemeinen SS, der Waffen-SS und der SS-Wachverbände. Diese Kommandoämter waren 1935 geschaffen worden und galten als Schaltzentralen der bewaffneten SS-Verbände. (Für die „germanischstämmigen" Freiwilligen-Verbände innerhalb der Waffen-SS wurde später eine eigenständige „Leitstelle der Germanischen SS" eingeführt.) Dem SS-FHA wurden ferner die Ausbildungseinrichtungen, die Truppeninspektionen und das Sanitätswesen der Waffen-SS unterstellt. 1944 hatte das SS-Führungshauptamt 450 Mitarbeiter. Persönlicher Stab Reichsführer SS Der „Persönliche Stab RFSS" unterstand dem Page 852
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt SS-Obergruppenführer Karl Wolff. Dieser Stab war eines der Berliner Hauptämter und für alle Himmlerschen Belange bestimmt, die nicht in den Bereich eines SS-Hauptamtes fielen. Ihm unterstanden vor allem die privaten Organisationen „Lebensborn", „Freundeskreis Reichsführer SS", „Ahnenerbe" und „Fördernde Mitglieder der SS", ebenfalls die Wewelsburg. Rasse- und Siedlungshauptamt Das „Rasse- und Siedlungshauptamt" (RuSHA) war neben dem SS-Hauptamt und dem Hauptamt SD eines der drei ältesten SS-Hauptämter. Das „Rasseamt der SS" wurde bereits Ende Dezember 1931 gegründet und war zuständig für Rassenuntersuchungen und Ehegenehmigungen für Angehörige der SS. Später wurde es als „Rasse- und Siedlungsamt" bezeichnet und ab Januar 1935 als SS-Hauptamt geführt. Im Zusammenhang mit der Bildung des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums und der Ausarbeitung des „Generalplans Ost" übernahm es Aufgaben der Rassenselektion der Bevölkerungen der besetzten Gebiete sowie der Auswahl von Kandidaten für die geplante Ansiedlung entlassener SS-Angehöriger im Osten. Siehe auch: Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS Amtsleiter RuSHA - SS-Gruppenführer Walther Darré (1. Januar 1932 Page 853
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bis 12. September 1938) - SS-Brigadeführer Günther Pancke (12. September 1938 bis 9. Juli 1940) - SS-Gruppenführer Otto Hofmann (1. Dezember 1939 W.d.G; 9. Juli 1940 bis 20. April 1943) - SS-Obergruppenführer Richard Hildebrandt (20. April 1943–1945) Hauptamt Dienststelle SS-Obergruppenführer Heißmeyer Dem „Hauptamt Dienststelle SS-Obergruppenführer Heißmeyer" unterstanden die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA). Damit hatte diese Dienststelle einen großen Einfluss auf die Ausbildung der deutschen Kinder und Jugendlichen. Heißmeyer hatte bis 1940 die Kontrolle über die staatlichen Schulen erlangt und gedachte, die begabtesten Schüler auf die NPEA zu überführen. Dort sollten sie bewusst zum Führernachwuchs für die SA und SS herangezogen werden. Reichssicherheitshauptamt Das „Reichssicherheitshauptamt" (RSHA) wurde am 1. Oktober 1939 durch die Zusammenlegung des Hauptamtes Sicherheitspolizei mit dem Hauptamt SD gebildet und wurde nacheinander von Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler und Ernst Kaltenbrunner geführt. Das Reichssicherheitshauptamt war die zentrale Stelle zur Ausübung der polizeilichen und nachrichtendienstlichen Funktionen der Schutzstaffel (SS). Ihm unterstanden neben dem Page 854
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Sicherheitsdienst" (SD) die Geheime Staatspolizei (Gestapo) sowie die Kriminal- und Grenzpolizei. SD und Gestapo waren als Geheimdienste zur Bekämpfung äußerer wie innerer Gegner sowie zur Bespitzelung der Bevölkerung tätig. Viele Schreibtischtäter aus Adolf Eichmanns Referat IV B 4 im RSHA, die die Endlösung organisatorisch ermöglichten, stammten aus dem SD. Die berüchtigten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die die Massenmorde in den östlichen Gebieten verübten, waren ebenfalls dem RSHA unterstellt. Im Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes gegen die Hauptkriegsverbrecher wurden SD, SS und Gestapo zu verbrecherischen Organisationen erklärt. Hauptamt SS-Gericht Das „Hauptamt SS-Gericht" ging hervor aus dem „SS-Disziplinaramt" und dem „SS-Rechtsamt", die schon länger zuvor bestanden hatten und am 1. Juni 1939 im neuen Hauptamt aufgingen. Sein Aufgabenbereich war zunächst die Bearbeitung von Disziplinar- und Beschwerdesachen für den Reichsführer SS. Es unterstand nacheinander den SS-Obergruppenführern Paul Scharfe und Franz Breithaupt. Es war die Zentral- und Ministerialinstanz des gesamten SS- und Polizeigerichtswesens mit Sitz in München. Das Hauptamt war – gleichberechtigt neben der Kriegsgerichtsbarkeit der Wehrmacht – als Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für den Page 855
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gesamten Bereich der SS und der Polizei zuständig. Später wurde die Zuständigkeit ausgedehnt auf deutsche und ausländische Zivilpersonen wegen aller im Operationsgebiet begangenen Straftaten, ab Januar 1945 sogar auf alle Kriegsgefangenen. Juristische Grundlagen Grundlage der Arbeit der Sondergerichtsbarkeit der SS und Polizei waren das Militärstrafgesetzbuch und die Militärstrafgerichtsordnung, von denen jedoch in einer Reihe von Fällen abgewichen wurde. Amtsleiter SSG Erster Hauptamtschef war vom 1. Juni 1939 bis zu seinem Tode am 29. Juli 1942 SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Paul Scharfe. Nachfolger und letzter Hauptamtschef wurde am 15. August 1942 SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Franz Breithaupt. Zum Dienstantritt Breithaupts verfügte Himmler, dass niemals ein Jurist an die Spitze des Hauptamts SS-Gericht treten dürfe. SS- und Polizeigerichte Im Hauptamt in München wurde ein „Oberstes SSund Polizeigericht" eingerichtet für alle Fälle von Hoch- und Landesverrat, Spionage, für alle Straftaten von SS- und Polizeioffizieren im Generalsrang sowie für Straftaten von besonderer Bedeutung. Das Oberste SS- und Polizeigericht war Page 856
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt kein übergeordnetes Gericht im Sinne einer Rechtsmittelinstanz. In allen Strafverfahren der SS und Polizei entschied jedes Gericht, entsprechend den Kriegsgerichten der Wehrmacht, ohne Berufungsmöglichkeit in erster und letzter Instanz. Es kam jedoch häufig vor, dass Himmler, dem eine enorme Anzahl von Urteilen persönlich vorgetragen oder vorgelegt wurden, Urteile eigenhändig korrigierte, sei es strafverschärfend oder auf dem Gnadenwege Todesurteile abschwächend durch Versetzung von Verurteilten zu so genannten Bewährungseinheiten (siehe unten). Dem Hauptamt SS-Gericht unterstanden bis zu 38 regionale SS- und Polizeigerichte. Sie waren eingerichtet jeweils am Dienstsitz eines Höheren SS- und Polizeiführers, der in den Verfahren auch als Gerichtsherr fungierte. An den SS- und Polizeigerichten waren SS-Führer mit der Befähigung zum Richteramt als sogenannte SS-Richter tätig, die der Waffen-SS angehören mussten. Bei einem chronischen Mangel an qualifizierten Juristen gab es im Sommer 1944 immerhin 605 dem Hauptamt SS-Gericht unterstellte SS-Richter – ein deutlicher Hinweis auf die hohe Zahl von Strafsachen in den Reihen der SS und Polizei. Durch Erlass Himmlers vom 16. Mai 1944 wurde beim Hauptamt SS-Gericht ein „SS- und Polizeigericht z. b. V." (zur besonderen Verwendung) eingerichtet, das ausschließlich mit der Aufklärung und Verfolgung einiger in Konzentrationslagern begangener Delikte, Page 857
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt insbesondere Unterschlagungen und Korruption, betraut war. Zum Tode verurteilt wurden die beiden KZ-Kommandanten Karl Otto Koch (KZ Buchenwald) und Hermann Florstedt (KZ Buchenwald und KZ Majdanek). Koch wurde in Buchenwald erschossen, Florstedts Schicksal ist nicht völlig geklärt. Verhaftet und verurteilt wurden mindestens drei weitere abgesetzte KZ-Kommandanten. Ermittlungsverfahren gab es unter anderem gegen SS-Oberführer Johannes Loritz (KZ Dachau und KZ Sachsenhausen), Rudolf Höß (KZ Auschwitz), sogar gegen den Chef des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes Oswald Pohl und seinen Vertreter August Frank. Diese Ermittlungen wurden erwartungsgemäß auf direkte Weisung Himmlers eingestellt. Strafvollzug Die zu Freiheitsstrafen Verurteilten wurden in das Strafvollzugslager Danzig-Matzkau der SS und Polizei in Danzig-Matzkau eingewiesen, das der Waffen-SS unterstand. Die Lagerbedingungen entsprachen der Ideologie und Menschenverachtung der SS und Polizei und wurden übereinstimmend als extrem geschildert. Ein wegen einer Falschaussage zu einem halben Jahr in Matzkau verurteilter Angehöriger des SS-Sonderkommandos Sobibor wurde bei seiner Rückkehr auf Grund seines körperlichen Zustandes von seinen Kameraden kaum mehr wiedererkannt. Eine Strafverbüßung war auch als so genannte Page 858
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Frontbewährung" möglich in der berüchtigten Strafeinheit „Dirlewanger", die von verurteilten SS- und Polizeioffizieren kommandiert wurde und als „Himmelfahrtskommando" galt, das viele nicht überlebten. Dokumentation Zur Illustrierung der Denk- und Vorgehensweise des Obersten SS- und Polizeigerichts werden hier Auszüge aus dem „Feldurteil im Namen des deutschen Volkes" vom 24. Mai 1943 gegen den Waffen-SS-Angehörigen SS-Untersturmführer Max Täubner „wegen der Erschießung von 510 ukrainischen Juden" (Männern, Frauen und Kindern) und anderer Delikte wiedergegeben: „1.) Wegen der Judenaktionen als solcher soll der Angeklagte nicht bestraft werden. Die Juden müssen vernichtet werden, es ist um keinen der getöteten Juden schade. Wenn sich auch der Angeklagte hätte sagen müssen, dass die Vernichtung der Juden Aufgabe besonders hierfür eingerichteter Kommandos ist, soll ihm zugute gehalten werden, dass er sich dabei allerdings befugt gehalten mag, auch seinerseits an der Vernichtung des Judentums teilzunehmen. Wirklicher Judenhaß ist der treibende Beweggrund für den Angeklagten gewesen. Er hat sich dabei allerdings in Alexandria zu Grausamkeiten hinreißen lassen, die eines deutschen Mannes und SS-Führers unwürdig sind. Diese Übergriffe lassen sich auch nicht, wie der Angeklagte will, damit rechtfertigen, daß Page 859
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt sie nur gerechte Vergeltungen für das Leid seien, das die Juden dem deutschen Volke angetan haben. Es ist nicht deutsche Art, bei einer notwendigen Vernichtung des schlimmsten Feindes unseres Volkes bolschewistische Methoden anzuwenden. An solche grenzt die Handlungsweise des Angeklagten bedenklich. Der Angeklagte hat es zu einer so üblen Verrohung seiner Männer kommen lassen, daß sie sich unter seinem Vorantritt wie eine wüste Horde aufführten. Die Manneszucht ist vom Angeklagten in einer Weise aufs Spiel gesetzt worden, wie es schlimmer kaum denkbar ist. Mag der Angeklagte auch sonst für seine Männer gesorgt haben, so hat er doch durch sein Verhalten seine Dienstaufsichtspflicht gröblichst verabsäumt, wozu nach SS-mäßiger Auffassung auch gehört, daß er seine Männer nicht seelisch verkommen lässt. Der Angeklagte hat sich deshalb insoweit nach § 147 MStGB strafbar gemacht. Da diese Strafvorschrift jedoch nur Gefängnis oder Festung bis zu 15 Jahren als Strafrahmen vorsieht, ist die Anwendung des § 5a der Kriegssonderstrafrechtsverordnung geboten, da eine derartige Auflösung der Manneszucht eine schwerere Strafe erheischt. 2.) Soweit der Angeklagte von den Vorgängen Aufnahmen gemacht hat oder machen ließ, in Fotogeschäften entwickeln ließ und seiner Frau und Bekannten zeigte, hat sich der Angeklagte eines Ungehorsams schuldig gemacht. Solche Bilder können die größten Gefahren für die Sicherheit des Page 860
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reiches heraufbeschwören, wenn sie in falsche Hände geraten. […] Der Ungehorsam ist deshalb als besonders schwerer Fall anzusehen. […] Der Angeklagte ist nach alledem wegen dieser Tat nach § 92 MStGB zu bestrafen. […] 3.) Die Erschießung des ukrainischen Milizkommandanten ist nach § 115 MStGB zu ahnden. Der Angeklagte hat Untergebene veranlasst, Chamrai zu erschießen und ist deshalb als Täter zu bestrafen. Das Oberste SS- und Polizeigericht kann den Angeklagten aber auch in diesem Fall nicht als Mörder bezeichnen. Der Angeklagte hat sich bei dieser Tat von dem Gedanken leiten lassen, daß Chamrai mit kommunistischen Banden in Verbindung stände. Er wußte aber ganz genau, daß er Chamrai nicht erschießen durfte […]. Es handelt sich bei dieser Tat deshalb um einen Totschlag im Sinne des § 212…RStGB. […] 4.) Der Angeklagte hat sich schließlich der Anstiftung zu einer versuchten Abtreibung schuldig gemacht. […] Der Angeklagte ist insoweit nach § 218, 48 RStGB zu bestrafen. […] 5.) […] 6.) […] Das Oberste SS- und Polizeigericht hat den Angeklagten zu insgesamt 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Damit war der Angeklagte zwangsläufig aus der SS auszustoßen und für wehrunwürdig zu erklären. Das Verhalten des Angeklagten ist im höchsten Grade eines ehrliebenden und anständigen deutschen Mannes unwürdig. Es wurde deshalb nach § 32 RStGB außerdem auf zehn Jahre Ehrverlust erkannt. Page 861
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt […]" (Anmerkung: Dieses Dokument lag 1981 einem Prozess in Heilbronn gegen Untergebene Max Täubners zugrunde. Täubner, der bereits 1943 von dem Obersten SS- und Polizeigericht rechtskräftig verurteilt worden war, trat neben seinen noch lebenden damaligen Richtern selbst nur als Zeuge vor Gericht auf.) SS-Personalhauptamt Das „SS-Personalhauptamt" entstand 1939 aus dem SS-Personalamt und unterstand nacheinander den SS-Obergruppenführern Walter Schmitt und Maximilian von Herff. Das Hauptamt galt quasi als Personalabteilung der SS und war mit der Betreuung der SS-Führer beschäftigt. Das SS-Personalamt gab seit 1934 die „Dienstalterslisten der Schutzstaffel der NSDAP" heraus, deren letzte Ausgabe 1944 erschien und in denen anfänglich unteres, mittleres und oberes SS-Führerkorps aufgelistet waren. Gegen Kriegsende war nur noch das mittlere und obere SS-Führerkorps aufgeführt. Mitte 1944 gab das Personalhauptamt die „Dienstaltersliste der Waffen-SS (Sachstand: 1. Juli 1944)" heraus, die allerdings nicht – wie damals üblich – allen SS- und Polizeidienststellen zur Verfügung gestellt wurde. Diese Dienstaltersliste blieb ein Einzelexemplar für den rein internen Gebrauch des Personalhauptamtes und stellt zu den anderen SS-Dienstalterslisten ein Page 862
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kuriosum dar. Hauptamt Ordnungspolizei Das „Hauptamt Ordnungspolizei" bündelte ab 1939 die Führung der uniformierten Polizei in Deutschland. Auf diese Weise war die staatliche Polizeiorganisation an die SS angebunden und wurde von der Partei kontrolliert. Die Polizeiführung unterstand zunächst SS-Obergruppenführer Kurt Daluege (der schließlich zum SS-Oberst-Gruppenführer befördert wurde) und später SS-Obergruppenführer Alfred Wünnenberg. SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt Das „SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt" (SS-WVHA) wurde im März 1942 durch SS-Obergruppenführer Oswald Pohl gegründet. In ihm wurden das seit 1939 bestehende „SS-Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft" und das „Hauptamt Haushalt und Bauten" des Reichsinnenministeriums zusammengefasst, die beide ebenfalls von Pohl geleitet worden waren. Das WVHA verwaltete die SS-eigenen Industrien, Gewerbe und Betriebe in den Konzentrationslagern und führte diese zu eigenen Konzernen zusammen. Dabei arbeitete das WVHA eng mit dem SS-Hauptamt zusammen. Ab 1942/43 war ihm das gesamte Konzentrationslagerwesen allein unterstellt. Der Standort des ehemaligen SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts ist Unter den Eichen 135, 12203 Berlin, Ortsteil Lichterfelde. Das Amt hatte Page 863
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt unter dem rund 500 Meter entfernten „Fichtenberg" einen Bunker für die Unterbringung des Aktenbestands und des Personals während der Luftalarme errichtet. Nach 1945 war das Gebäude eine ausgebrannte Ruine. Heute ist dort eine Außenstelle der Abteilung VI des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung untergebracht. Das SS-WVHA bestand aus folgenden fünf Amtsgruppen: - „Amt A: Truppenverwaltung" unter SS-Brigadeführer Fanslau - „Amt B: Truppenwirtschaft" unter SS-Gruppenführer Lörner - „Amt C: Bauwesen" unter SS-Gruppenführer Kammler - „Amt D: Konzentrationslagerwesen" unter SS-Gruppenführer Glücks - „Amt W: Wirtschaftsunternehmungen" unter der direkten Leitung Pohls. Siehe auch: Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (1947) Die Amtsgruppen und Ämter im SS-WVHA Das einstige „Verwaltungsamt des SS-Führungshauptamtes" war schließlich für die Kontrolle der Allgemeinen SS hinsichtlich der fünf Bereiche zuständig. In Wirklichkeit war aber mit Kriegsausbruch 1939 die Bedeutung der Allgemeinen SS infolge Einzuges ihrer Mitglieder in die Feldtruppen (hauptsächlich Wehrmacht) enorm gesunken. Vielmehr begann das Wirtschaftsamt, anfangs die SS-Verfügungstruppe und schließlich die Waffen-SS wirtschaftlich zu unterstützen; allein Page 864
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt die Verwaltung von 38 SS-Front-Divisionen (1945) stellte schon ein beachtliches Unterfangen dar. Ferner waren ab 1942 dem WVHA sämtliche Totenkopf-Verbände mit ihren KZ-Wachsturmbannen unterstellt. Diese wurden nun in der „Inspektion Konzentrationslager und verstärkte SS-Totenkopf-Standarten" in der „Amtsgruppe D" zusammengefasst. Im Januar 1944 kam noch formal die Verwaltungszentrale des „Hauptamtes Ordnungspolizei" hinzu und nach dessen Vernichtung durch alliierte Bombenangriffe wurden dessen Aufgaben nun auch de facto vom Wirtschaftsund Verwaltungshauptamt übernommen. Nachdem die Waffen-SS als ganzes als staatliche Einrichtung angesehen wurde, war ihre Finanzierung mehr als kompliziert. Die Gelder der Waffen-SS wurden vom Reichsfinanzministerium überwacht, während aber die Allgemeine SS als Teil der NSDAP galt. Die Allgemeine SS erhielt ihre Gelder durch den Reichsschatzmeister der Partei, Franz Xaver Schwarz, der mit seinen Mitteln viel großzügiger war. So kam es zum Kuriosum, dass die Gelder für die Waffen-SS strikt kontrolliert wurden, während die nun unbedeutende Allgemeine SS als solche und auch deren SD, eines der absoluten Machtinstrumente der Nationalsozialisten, fast keinerlei finanziellen Beschränkungen unterworfen waren. Das WVHA verfügte in Dachau über eine eigene Verwaltungsschule Page 865
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt („SS-Verwaltungsschule Dachau"), in welcher der eigene Verwaltungsnachwuchs ausgebildet wurde. Die Verwaltung dieser Schule war jedoch im dortigen Konzentrationslager untergebracht. Gemeinsam mit dem SS-Führungshauptamt war das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt für das SS-eigene Versorgungssystem verantwortlich: Während das SS-FHA für Waffen und Munition zuständig war, musste das WVHA für die Uniformen und persönliche Ausrüstung der Truppen sorgen. Die „Inspektion der Konzentrationslager" (IKL) war die zentrale Verwaltungs- und Führungsbehörde für die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bevor die Inspektion in das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt als „Amtsgruppe D" eingegliedert wurde, trug sie den Titel „Generalinspektion der Verstärkten SS-Totenkopfstandarten". Wirtschaftsunternehmungen, „Amt W" im SS-WVHA Schon vor Beginn des Krieges hatte die SS begonnen, kleinere Wirtschaftsunternehmen zumeist jüdischer Geschäftsleute aufzukaufen (Arisierung) und Unternehmen selbst zu gründen. Diese unterstanden danach dem nachmaligen Obergruppenführer Pohl, der als Leiter des SS-Verwaltungshauptamtes eingesetzt war. Mit dem Krieg im Osten gelangten fast alle intakten Firmen in den besetzten Gebieten in die Hand Pohls, und mit dem Ausbau Page 866
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt der Konzentrationslager zu riesigen Industrieunternehmen war sein Einfluss geradezu unermesslich. Allein im Deutschen Reich gehörten 500 Betriebe zum Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt. Dabei erstreckte sich sein Einfluss von der Land- und Bauwirtschaft über den Fahrzeugbau bis zum Getränkebereich. 1945 verfügte das „Amt W" des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes allein über folgende Ämter: - „Amt I – Ausgrabungen und Steinbrüche" unterstand als „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH" dem SS-Obersturmbannführer Karl Mummenthey. Dieses Amt gliederte sich in weitere zahlreiche Unterämter in den KZs Buchenwald, Neuengamme, Sachsenhausen, Stutthof, Großrosen, Mauthausen und Natzweiler. - „Amt II – Baumaterialien" unterstand als „Baustoffwerk und Zementfabriken" dem SS-Obersturmbannführer Hanns Bobermin. Auch dieses Amt gliederte sich in zahlreiche Unterämter, die auf Posen, Bielitz, Zichenau und vor allem Auschwitz verteilt waren. - „Amt III – Nahrungsmittel" war als Zusammenschluss der Lebensmittelindustrie anzusehen. Firmen wie „Sudetenquell" und „Apollinaris" waren hier angeschlossen. Die Schlachtereien der KZs Auschwitz, Dachau und Sachsenhausen waren ebenfalls diesem Amt unterstellt, auch die Bäckereien der Lager Auschwitz, Dachau, Page 867
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Herzogenbusch, Lubin, Plasnow und Sachsenhausen waren hier vertreten. - „Amt IV – Deutsche Ausrüstung" war für die Bekleidung und Ausrüstung der Frontdivisionen der Waffen-SS zuständig. - „Amt V – Land- und Forstwirtschaft, Fischerei" war für die Züchtung und Arterhaltung von Pflanzen und Tierrassen zuständig. Dieses Amt hatte großes Ansehen bei Heinrich Himmler, der selbst Hobby-Landwirt war und in diesem Amt seine verquasten Rassentheorien verwirklicht haben wollte. - „Amt VI – Textil- und Lederverwertung" war für die Umarbeitung von Lederwaren und Uniformen zuständig; die lederne SS-Sonderbekleidung stammte aus diesem Amt. - „Amt VII – Bücher und Bilder" unterstanden der Verlag „Nordland" (SS-eigener Buchverlag) und die Kunstrestaurationsbetriebe. Dieses Amt war für die Kunstwerke zuständig, mit denen Himmler seine „Ordensburg" Wewelsburg ausstattete. - „Amt VIII – Kulturbauten" war für die Erhaltung und Erneuerung alter und zerstörter Denkmäler zuständig. Siehe auch: Porzellanmanufaktur Allach, Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS und Deutsche Erd- und Steinwerke Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle Das „Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle" (VoMi) war zuständig für außerhalb des Deutschen Reiches lebende „Volksdeutsche" und unterstand seit Februar 1937 dem SS-Obergruppenführer Werner Lorenz. Vorläufer war ein Page 868
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Volksdeutscher Rat" im Auswärtigen Amt (AA) unter Otto von Kursell. Die VoMi übernahm als Zentralstelle die Verwaltung und Verteilung sämtlicher Hilfsgelder für die Volkstumsarbeit. Bereits 1938 verfügte sie über einen Etat von 50 – 60 Millionen Reichsmark, was dem gesamten Haushalt des AA entsprach.¹ Zwischen 1939 und 1940 war die Organisation der Umsiedlung deutscher Volksgruppen unter der Losung „Heim ins Reich" Hauptaufgabe dieses Hauptamtes. Die VoMi siedelte bis 1940 rund eine Million Volksdeutsche vor allem in den annektierten Gebieten an – in den Reichsgauen Wartheland (Posen) und Danzig-Westpreußen (Danzig).² Im Nürnberger Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS wurde die VoMi wegen der Beteiligung an den massenhaften Vertreibungen in den besetzten Ländern Europas verurteilt. Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums Das „Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" stand unter der Leitung von SS-Obergruppenführer Ulrich Greifelt und arbeitete eng mit der VoMi zusammen. Hauptaufgabe dieses Amtes war die sogenannte „Re-Germanisierung" deutscher Volksgruppen, die trotz „deutscher Abstammung im fremdvölkischen Umfeld aufgegangen" seien. Aber auch für die „Eindeutschung" als gut befundene slawische Volksteile wurden in diesem Page 869
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hauptamt erfasst. VoMi und Stabshauptamt waren für die Erfassung der Volksdeutschen und des sogenannten deutschen Blutes in verschiedenen „Deutschen Volkslisten" zuständig. Anhand dieser Volkslisten wurde der Status des Inhabers innerhalb der „deutschen Volksgemeinschaft" festgelegt: - Liste 1 und 2 enthielten Personen „deutscher Volkszugehörigkeit, die nachweislich ihr Deutschtum bewahrt hatten". Diese Personengruppen erhielten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit und waren für eine Mitgliedschaft in der NSDAP vorgesehen. - Liste 3 enthielt Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die bereits „Bindungen zum Polentum" angenommen hatten. Ferner waren in dieser Liste auch die Angehörigen der Masuren und Kaschuben aufgeführt, die man als „eindeutschungsfähig" betrachtete. Diese Listenangehörigen bekamen die vorläufige deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. - Liste 4 enthielt die „eindeutig polonisierten Deutschen", die trotz deutscher Abstammung ihr Volkstum aufgegeben und die polnische Sprache und Kultur angenommen hatten. Diese Listenangehörigen bekamen die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf und mussten sich „[…] die endgültige deutsche Staatsangehörigkeit erdienen". Siehe auch: Aktion Ritterbusch und Ostforschung Siehe auch - Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschen Page 870
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reich - NS-Zwangsarbeit Literatur - Jan Erik Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933–1945. Paderborn 2001, ISBN 3-506-78245-2. - Hans Buchheim: Die SS. Das Herrschaftsinstrument Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte. In: Anatomie des SS-Staates Band I, Deutscher Taschenbuch Verlag Nr. 2915, München 1967, S. 153–160, ISBN 3-423-02915-3. - Yehoshua R. Büchler: "Unworthy Behavior": The Case of SS Officer Max Täubner. In: Holocaust Genocide Studies 17 (2003), S. 409–429. - Frank Flechtmann: Das SS-Führungshauptamt in der Kaiserallee 188. In: Arbeitskreis Wilmersdorf (Hrsg.), Wilmersdorf Ansichten, Berlin 2003, S. 170–207, ISBN 3-936411-81-6 (Zur Anzahl der Beschäftigten siehe dort S. 187). - Isabel Heinemann: Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Wallstein Verlag, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-623-7. - Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte Hamburger Edition 1999, ISBN 3-930908-52-2; 2. Auflage TB Pendo, Zürich 2002, ISBN 3-85842-450-1 (30 Seiten Literaturverzeichnis). Page 871
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Bernd Wegner: Die Sondergerichtsbarkeit von SS und Polizei. Militärjustiz oder Grundlegung einer SS-gemäßen Rechtsordnung? in: Ursula Büttner (Hrsg.): Das Unrechtsregime. Internationale Forschung über den Nationalsozialismus Band I, Hamburg 1986 S. 243–259, ISBN 3-7672-0962-4. Weblinks - Gebäudefoto WVHA (Berlin-Lichterfelde) und von der dort angebrachten Informationstafel (Zustand etwa 1999; R. Golz) Einzelnachweise [1] Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hrsg.): Griff nach dem Westen. Die „Westforschung" der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960), Teil II, Münster 2003, ISBN 3-8309-1144-0, S. 582. [2] Ein Bericht des „Hauses Friedensburg", ein Diakonissenheim in Rathen, schildert, wie die VoMi das Heim beschlagnahmte, die Leitung nicht mehr ins Haus ließ, keine Mieten zahlte oder sie weit verzögerte. Mskr. Rektor Glöckner, ca. 1947. KZ Neuengamme Das Konzentrationslager (KZ) Neuengamme in Hamburg-Neuengamme wurde 1938 zunächst als Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet und ab 1940 als selbständiges Konzentrationslager mit mindestens 86 Außenlagern geführt, die sich bis an die dänische Grenze erstreckten. Page 872
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit für die auf dem Gelände befindliche SS-eigene Ziegelei, in der Rüstungsindustrie und beim Bau militärischer Anlagen (Friesenwall) leisten. Von den bis 1945 dort gefangen gehaltenen ca. 100.000 Häftlingen aus Deutschland (9 %) und den besetzten Ländern (91 %) starben mindestens 50.000 in der Folge der unmenschlichen Arbeitsund Lebensbedingungen, durch Morde (so wurden etwa 1942 bei zwei Mordaktionen sowjetische Kriegsgefangene mit dem Gas Zyklon B getötet) und als Opfer der Lagerräumungen. Die SS begann ab dem 20. April 1945, das KZ Neuengamme aufzulösen. Bei diesen Todesmärschen unmittelbar vor Kriegsende starben viele der völlig entkräfteten Häftlinge. Am 3. Mai 1945 verloren annähernd 7.000 Häftlinge durch die Bombardierung der Cap Arcona und der Thielbek ihr Leben. Am 4. Mai 1945 fanden britische Truppen das Konzentrationslager geräumt vor. Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme Entstehung des KZ Das SS-Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH nahm 1938 Kaufverhandlungen mit der Stadt Hamburg über ein 50 Hektar großes Gelände in Neuengamme auf. Dort befanden sich eine seit Jahren stillgelegte Ziegelei und Flächen, die sich zum Abbau von Ton eigneten. Die Page 873
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Vertragspartner erzielten eine Übereinkunft, die die Errichtung eines Konzentrationslagers, finanziert durch die Stadt, und die Lieferung von jährlich 20 Millionen Ziegeln für die Neugestaltung des Elbufers umfasste. Ab dem 12. Dezember 1938 wurde der Betrieb der Ziegelei mit 100 Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen aufgenommen, die von 40 SS-Männern aus dem KZ Buchenwald bewacht wurden. Einige Monate nach Kriegsbeginn begann der Ausbau des KZ Neuengamme zu einem eigenständigen Konzentrationslager. Nach der Besichtigung durch Heinrich Himmler im Januar 1940 wurde die Produktion von Ziegeln für die Führerbauten am Elbufer als die wichtigste Aufgabe des Lagers festgelegt. Dafür sollte eine größere Ziegelei auf dem Gelände, ein Bahnanschluss, ein Stichkanal zur Doven Elbe, die Dove Elbe flussabwärts verbreitert und ein neues Hafenbecken gebaut werden. Ab dem Frühjahr 1940 war das KZ Neuengamme ein selbständiges Konzentrationslager. Die Häftlinge mussten, von der SS angetrieben, ein neues Lager bauen. Ende des Jahres arbeiteten bereits 2.900 Häftlinge im Stammlager. Neben dem Lagerbau wurden die Häftlinge in die Arbeitskommandos „Dove Elbe" und „Klinkerwerk" eingeteilt und es wurde begonnen, die ersten Tongruben aufzudecken.¹ ² Bis Ende des Jahres wurden bereits 430 tote Häftlinge verzeichnet.³ Page 874
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1941 Die Arbeits- und Lebensbedingungen und der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch der Wehrmacht an allen Fronten zermürbte die Häftlinge, die sich durch neu eingewiesene Häftlinge einen guten Überblick über die aktuellen Kriegsgeschehnisse verschaffen konnten, zunehmend. 1941 mussten die Insassen in allen Kommandos zwölf Stunden arbeiten, das Strafmaß wurde heraufgesetzt. Die ersten polnischen Häftlinge wurden zur Arbeit im Lagerbüro eingeteilt. Im Sommer 1941 wurde ein Häftlingsorchester eingerichtet, das aus 20 Personen bestand. Im April 1941 wurden 1002 Häftlinge aus dem KZ Auschwitz nach Neuengamme überstellt.³ Am 24. September 1941 kamen die ersten Belgier (280 Mann aus dem Fort Huy) und am 19. Dezember die ersten Holländer (270 Mann aus dem KZ Amersfoort), Kommunisten, sowie Mitglieder anderer linksgerichteter Parteien in Neuengamme an. Die Neuankömmlinge konnten den Lebensbedingungen im KZ kaum körperlichen Widerstand entgegensetzen, so dass viele von ihnen bereits nach wenigen Monaten an Entkräftung starben. Wenige wurden zu leichteren Arbeiten herangezogen und konnten im Baubüro oder im Häftlingsrevier als Sanitäter4 ihr Leben fristen. Entgegen den Bestimmungen der Haager Konvention wurden im Oktober 1941 fast 1.000 sowjetische Kriegsgefangene in das KZ Neuengamme gebracht. Sie wurden in einer separaten und überfüllten Baracke Page 875
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt isoliert. Diese Kriegsgefangenen wurden hauptsächlich durch Verhungern ermordet. Zuvor waren 43 sowjetische Offiziere, die aus einem Kriegsgefangenenlager in der Lüneburger Heide nach Neuengamme überstellt wurden, in der Nacht ihrer Ankunft im August 1941 an der Kläranlage erschossen worden.³ Im November und Dezember kamen erneut Transporte belgischer und holländischer Häftlinge in das KZ. Das Krankenrevier war wie das ganze Lager überlastet, in der Folge breitete sich eine Fleckfieberepidemie aus.5 Im Verlauf des Jahres 1941 wurden 434 tote Häftlinge verzeichnet.³ 1942 In der Folge der 1941 ausgebrochenen Epidemie wurde das gesamte Lager unter Quarantäne gestellt. In den ersten sechs Wochen wurden durch die Lagerverwaltung keine nennenswerten Schritte zur Überwindung der Epidemie unternommen. Später wurden der Duschraum und die Entlausungsanstalt fertig gestellt. Nachdem die Häftlinge die Baracken mit Papier abgedichtet hatten, wurden die Räume mit Zyklon B begast. Erst mit der Inbetriebnahme der Dusch- und Entlausungsanlagen Ende März 1942 konnte die Epidemie, an der etwa 1.000 Häftlinge starben, eingedämmt werden.6 Zwischen 1941 und Anfang 1942 begannen erste Tötungen nicht arbeitsfähiger Häftlinge durch Phenolspritzen. Diese Methode wurde zuerst durch Rottenführer Bahr und SS-Unterscharführer Page 876
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Breuning im sowjetischen Kriegsgefangenenlager angewandt. Der SS-Arzt Nommensen selektierte alle nicht mehr für das KZ Dachau benötigten Häftlinge aus. Unter dem Vorwand, eine Röntgenuntersuchung durchzuführen, wurden die Häftlinge ins Krankenrevier bestellt und getötet. Ab April 1942 wurden 500 Neuengammer Häftlinge zum Aufbau des KZ Arbeitsdorf überstellt, der Lagerkommandant Martin Gottfried Weiß führte die Konzentrationslager Neuengamme und Arbeitsdorf zunächst in Personalunion.7 Ab dem 3. Juni 1942 mussten die Häftlinge auf Anweisung von Gerhard Maurer auch Sonntagvormittag arbeiten, so dass nur der Sonntagnachmittag arbeitsfrei war. Um die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, ordnete das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (SS-WVHA) an, die Sterblichkeit in den Lagern deutlich zu senken. Zunächst erhielten alle Häftlinge mehr Nahrung. Ab September entstand neben dem Lager ein ganzer Industriekomplex folgender Firmen: - Jastram, Kriegsmarineausrüstung, vor allem Motoren und Torpedos - Messap, Produktion von Zeitzündern - Walther-Werke, Herstellung automatischer Gewehre Ende Juni 1942 wurden die 348 Überlebenden der 1000 sowjetischen Kriegsgefangenen in das KZ Sachsenhausen überstellt. Von Juni bis September Page 877
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 1942 wurden 700 arbeitsunfähige Häftlinge in das KZ Dachau überstellt. In der zweiten Jahreshälfte wurden 6.800 Häftlinge aus Konzentrationslagern und der Gestapo nach Neuengamme eingeliefert. Im Herbst 1942 wurden die jüdischen Häftlinge in das KZ Auschwitz überstellt.8 Am 1. September löste Max Pauly, ein Kaufmann, den Lagerkommandanten Martin Gottfried Weiß, der ins KZ Dachau abkommandiert wurde, ab. Mit diesem Wechsel war ein Funktionswechsel des KZ Neuengamme verbunden. In dem neben dem Lager entstehenden Industriekomplex wurde die Produktion des Schnellladegewehrs G 43, die allerdings erst 1944 in vollem Umfang begonnen werden konnte, vorbereitet. Dies umfasste auch die Produktionsvorbereitung zum Bau der Pistole P 38, mit dem bereits im Frühjahr 1943 begonnen werden konnte. In dem Barackenkomplex erfolgte durch die SS-eigenen „Deutschen Ausrüstungswerke" die Herstellung von Ausrüstungsgegenständen wie beispielsweise Tarnnetze und Patronenkästen. Im Bestreben, Rüstungsgüter mit Häftlingen herzustellen, kam es zu gewissen Lockerungen der Verhältnisse, die allerdings durch die verschlechterten Ernährungsverhältnisse konterkariert wurden.? Im Oktober 1942 wurde der Arrestbunker zu einer provisorischen Gaskammer umgerüstet; dafür wurden die Fenster mit Stahlblenden versehen, im Dach sechs Einwurf-Rohre eingelassen und ein Ventilator installiert. Kurz darauf Page 878
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden 197 sowjetische Kriegsgefangene – teils Schwerversehrte – durch Zyklon B ermordet. Vier Wochen später wurden weitere 251 versehrte Kriegsgefangene vergast.¹° Mit weiteren Häftlingstransporten wurde die Zahl der Insassen gegen Ende 1942 auf 10.000 gesteigert. Im Verlauf des Jahres 1942 wurden 3.140 tote Häftlinge bei etwa 13.400 Einweisungsnummern verzeichnet.³ 1943 Anfang 1943 wurden die Walther-Werke bezugsfertig, damit begann die Fertigung von Pistolen und Gewehrteilen. Mit der Fertigstellung des Stichkanals zur Versorgung des Klinkerwerks und der Schaffung eines Verladebahnhofs mit Eisenbahnanschluss im Lager wurde die für den Betrieb erforderliche Verkehrsanbindung verbessert. Immer mehr KZ-Häftlinge wurden für Zwangsarbeit auch außerhalb des Lagers eingesetzt. Untergebracht wurden sie hierbei zunehmend in extra dafür eingerichteten Außenlagern, so etwa bei den Bauarbeiten am U-Boot-Bunker Valentin. Im Juli 1943 wurden Häftlinge erstmals zur Trümmerbeseitigung eingesetzt. Im Verlauf des Jahres 1943 wurden etwa 11.300 Häftlinge aus Konzentrationslagern und der Gestapo nach Neuengamme eingeliefert. Es waren etwa 25.700 Einweisungsnummern verzeichnet.¹¹ Im August 1943 unterstanden etwa 9.500 Häftlinge der Lagerverwaltung, davon Page 879
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt etwa 2.700 in Außenlagern. Gegen Ende des Jahres 1943 stellte der Lagerarzt 3.991 Tote fest.¹² 1944 Die militärischen Niederlagen der deutschen Wehrmacht und die damit verbundene Verschlechterung der Versorgungslage der deutschen Bevölkerung führte auch zu einer wesentlichen Verschlimmerung der Lebensbedingungen im Stammlager und den überfüllten Außenlagern. Im Laufe des Jahres 1944 wurden rund 25.000 Häftlinge aus 28 Nationen in das KZ Neuengamme oder in die Außenlager deportiert. Dazu zählten auch 589 Männer aus dem niederländischen Putten, die fast alle in Neuengamme zu Tode kamen. Zwischen Januar und März 1944 wurden etwa 1000 entkräftete Häftlinge in das KZ Majdanek überstellt. Danach wurden etwa 500 entkräftete Häftlinge in das KZ Bergen-Belsen überstellt im Austausch gegen arbeitsfähige Häftlinge.¹³ Während der Invasion in der Normandie kamen Tausende französischer Häftlinge aus dem Konzentrationslager Royallieu bei Compiègne in das KZ Neuengamme. Ende Juni 1944 kamen 1.030 Letten in das Lager.¹4 Um der deutschen Rüstungsproduktion und damit den deutschen Truppen zu schaden, kam es vermehrt zu Sabotageakten. Zunehmend mehr Häftlinge sahen eine Überlebenschance in der Flucht. Die eingefangenen Häftlinge wurden in Page 880
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt das KZ Neuengamme gebracht und am Abend auf dem Appellplatz erhängt. Die SS erhängte gegen Ende des Jahres 360 Gefangene im Bunker, die durch Gerichte verurteilt worden waren.¹5 Nachdem bereits im April 1944 die Lagerverwaltung ein Lagerbordell eingerichtet hatte, folgte Weihnachten 1944 eine Bibliothek mit etwa 800 Büchern für die Häftlinge. Über 650 Häftlinge wurden im August 1944 im Rahmen der Aktion Gitter nach Neuengamme verbracht, von denen etliche hingerichtet wurden.¹³ Im Verlauf des Jahres 1944 wurden etwa 44.000 Häftlinge aus Konzentrationslagern und der Gestapo nach Neuengamme und von dort in die Außenlager eingeliefert. Weiterhin wurden 1944, eingeschlossen die Außenlager, etwa 8.000 tote Häftlinge bei einem Häftlingsbestand von etwa 48.800 verzeichnet.¹6 1945 Anfang des Jahres 1945 waren für das Gesamtlager etwa 49.000 Häftlinge registriert, der Anteil an Frauen betrug dabei etwa 10.000. Alleine das Stammlager war mit 12.000 Häftlingen rund dreifach überbelegt. Betrieben wurde das Gesamtlager Neuengamme von 2.211 SS-Angehörigen. Einschließlich der Außenlager wurden von Januar 1945 bis zur Räumung des Lagers mindestens 9000 Tote registriert.¹7 Graf Folke Bernadotte ließ alle skandinavischen Page 881
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gefangenen in Neuengamme sammeln und mit der Rückführung in die Heimat ab dem 15. März 1945 beginnen. Am 24. März 1945 begann die SS mit der Räumung der Außenlager. Schätzungsweise 20.000 Häftlinge wurden in Auffanglager wie Bergen-Belsen, Stammlager X B in Sandbostel oder Wöbbelin gebracht. Dabei verhungerten viele Tausend Häftlinge. Am 8. April 1945 bombardierte das britische Militär einen Häftlingszug, wobei rund 2.000 Gefangene ums Leben kamen. Angehörige der 9. US-Armee befreiten am 14. April 1945 3.000 Frauen aus dem Lager Salzwedel. Am 19. April 1945 erließ die Hauptverwaltung die Anordnung zur Räumung des Hauptlagers. Es folgte der Abtransport von 20 jüdischen Kindern zur Ermordung in der Schule Bullenhuser Damm in Hamburg-Rothenburgsort. Im Zeitraum zwischen dem 20. und 26. April 1945 wurden rund 9.000 Häftlinge nach Lübeck und auf die Schiffe Cap Arcona, Thielbek und Elmenhorst verladen.¹8 Die Versenkung der Cap Arcona vor Neustadt am 3. Mai 1945 forderte etwa 7.100 Todesopfer, darunter 6.600 Häftlinge. Das Konzentrationslager Neuengamme wurde gegen Ende April 1945 von den letzten 600 bis 700 Häftlingen evakuiert, alle Akten wurden vernichtet und das Lager teilweise demontiert und auch aufgeräumt. Letzte Häftlinge wurden der SS-Sonderformation Dirlewanger überstellt. Am 2. Mai 1945 fanden britische Truppen das KZ leer vor. Page 882
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die letzten Häftlinge konnten am 10. Mai 1945 in Flensburg befreit werden.¹? Unterbringung Als Häftlingsblocks dienten Standard-SS-Holzbaracken. Sie hatten eine Größe von 50 m auf 8 m. Ab 1941 wurden sie mit dreistöckigen Bettkonstruktionen, Spinden, Tischen und Bänken ausgerüstet. Ein Block war für rund 300 Häftlinge vorgesehen. In den späteren Kriegsjahren waren jedoch oft bis zu 600 Häftlinge in ihnen untergebracht. Die Holzbaracken stellten ein Provisorium dar und sollten durch Steinbauten ersetzt werden. Bei den beiden äußeren Häftlingsblöcken wurde dieser Plan 1943/1944 verwirklicht. In ihnen wurden rund 700 Häftlinge gefangen gehalten. In den ersten beiden Jahren waren die Gebäude nur mit Handpumpen ausgestattet. Die sanitäre Situation blieb trotz der Einrichtung einer Kanalisation völlig unzureichend. Für Hunderte Häftlinge existierten nur 20 Waschmöglichkeiten.²° Arbeitsbedingungen im Stammlager Lebensbedingungen Die Kleidung bestand aus gestreiften Hosen, Jacken und Mützen, die ganzjährig bei allen Witterungsbedingungen getragen werden mussten. Es gab Page 883
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt keine Schutzkleidung. Die Ernährung bestand aus Wasser, Malzkaffee, Brot, Brei und Suppe. Die Gefangenen mussten die Aufseher grüßen: Stramm stehen, Mütze abnehmen. Das Leben war bedroht durch Prügel, harte Arbeit, Hunger, Krankheit, schlechte hygienische Bedingungen und Hinrichtungen.²¹ Arbeitseinsätze Neben dem Ausbau des Lagers wurden die Häftlinge großen Arbeitskommandos, ab 1942 zumeist für das Klinkerwerk oder für die Firmen Jastram-Werke, Messap und Walther zugeteilt. Durch Kapos wurden sie bei jedem Wetter zur Arbeit gezwungen, vielfach unter Anwendung von Prügel. Das Baukommando musste für die Instandhaltung und den weiteren Ausbau des Lagers sorgen. Das „Kommando Elbe", mit mehreren Tausend Häftlingen, grub einen Stichkanal in die Dove Elbe. Die Häftlinge mussten den Fluss außerdem verbreitern, um ihn bis zum KZ schiffbar zu machen. Auf dem aufgeschütteten Aushub befinden sich heute Gartengrundstücke. In den Tongruben im Lagerkomplex und in der Umgebung hatten die Häftlinge, neben dem Kommando Elbe, die geringste Lebenserwartung. Der überlende Salo Blechner (* 20. November 1914 in München; † 28. Mai 2007 in Boston, Massachusetts) wurde nach seiner Rückkehr in seine Heimat dort von der US-Militärregierung als Treuhänder der Firma Sport Münzinger eingesetzt. Er Page 884
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt emigrierte im April 1946 in die Vereinigten Staaten.²² ²³ Er erkannte sich 1999 bei einem Besuch des United States Holocaust Memorial Museum auf einem Foto der SS wieder.²4 Das Kommando Klinkerwerk bestand in der Anfangszeit des KZ Neuengamme aus Bautrupps, die die Hallen und Produktionsanlagen errichten mussten. Für den späteren Betrieb der Anlagen wurden etwa 50 Häftlinge eingesetzt. Mit der Ansiedlung der Firmen Messap, Walther und Jastram 1942, kamen auch Häftlinge in Rüstungsbetrieben zum Einsatz. In den Außenkommandos wurden Häftlinge in kleineren Betrieben, zur Unterstützung großer Baumaßnahmen und nach der Bombardierung Hamburgs zur Trümmerbeseitigung eingesetzt. Die Außenlager ? Hauptartikel: Liste der Außenlager des KZ Neuengamme Gegen Kriegsende im März 1945 waren nach dem letzten Bestandsbericht des Stammlagers in den Außenlagern des KZ Neuengamme dreimal soviele Gefangene inhaftiert wie in dem mit 14.000 Häftlingen völlig überbelegten Hauptlager.²5 Die etwa 90 KZ-Außenlager erstreckten sich im Norden bis Ladelund an der Grenze zu Dänemark, im Osten bis zur Lutherstadt Wittenberg, im Westen bis Meppen und im Süden bis Bad Sassendorf.²6 Page 885
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zum Hauptlager des KZ-Neuengamme gehörten die folgenden Außenlager innerhalb Hamburgs:²7 Männerlager Hamburg-Finkenwerder:Im Oktober 1944 wurden mehr als 600 Häftlinge aus der Sowjetunion, aus Polen, Belgien, Frankreich und Dänemark auf dem Gelände der Deutschen Werft in Hamburg-Finkenwerder untergebracht, wo sie im Schiffbau als Schweißer, Schlosser und Elektriker arbeiteten sowie Aufräumungsarbeiten auf dem Gelände verrichteten. Hamburg-Fuhlsbüttel: Vom 26. Oktober 1944 bis 15. Februar 1945 war in einem Gebäudeteil des Zuchthauses Fuhlsbüttel, in dem seit 1933 zehntausende Gegner des Naziregimes eingesperrt waren, das KZ Fuhlsbüttel für mehr als 1.300 KZ-Häftlinge eingerichtet. Hamburg-Hammerbrook (Spaldingstraße):Ab Oktober 1944 waren im Hinterhaus eines Bürokomplexes in Hamburg-Hammerbrook in der Spaldingstraße 156/158 auf sieben Etagen etwa 2.000 KZ-Häftlinge unterschiedlicher Nationalitäten untergebracht. Hamburg-Hammerbrook (Bombensuchkommando):In einer Volksschule am Brackdamm in Hamburg-Hammerbrook waren ab Mitte 1944 etwa 35 KZ-Häftlinge untergebracht, deren Aufgabe es war, ohne jegliche Ausbildung Bombenblindgänger zu suchen und zu entschärfen. Hamburg-Hammerbrook (II. SS-Baubrigade):Der Page 886
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hauptstandort der II. SS-Baubrigade wurde nach den alliierten Bombardements am 7. August 1943 von Bremen nach Hamburg verlegt. Dort wurden KZ-Häftlinge zu Aufräumarbeiten, zum Bergen von Leichen und Beseitigen von Bomben in SS-Baubrigaden eingesetzt. Hamburg-Rothenburgsort:Zwischen November 1944 und dem 11. April 1945 bestand in Hamburg-Rothenburgsort ein Außenlager des KZ Neuengamme am Bullenhuser Damm mit etwa 600 Häftlingen. Hamburg-Steinwerder (Stülckenwerft):Im November 1944 wurde auf dem Firmengelände der Stülckenwerft in Hamburg-Steinwerder ein KZ für 250 ungarische Juden errichtet. Als Kapos wurden Deutsche und Niederländer eingesetzt. Hamburg-Veddel:Am 13. September 1944 wurden 2.000 KZ-Gefangene nach Hamburg-Veddel gebracht. Sie waren zuvor im Stammlager Neuengamme zur Zwangsarbeit ausgewählt worden und mussten im Rahmen des Geilenberg-Programms zur Sicherung der zerstörten Mineralölindustrie Bauund Aufräumungsarbeiten bei den Wasserwerken, Brauereien, Mineralölfirmen und bei der Reichsbahn verrichten. Wittmoor:Von April bis Oktober 1933 befand sich im Wittmoor, in der Nähe der damaligen Gemeinde Glashütte (seit 1970 Norderstedt), mit dem KZ Wittmoor das erste nationalsozialistische Konzentrationslager in Hamburg. Page 887
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Dorthin kamen bereits am 31. März 1933 die ersten 140 Häftlinge, die in dem mit Stacheldraht umzäunten Gebäude einer Torfverwertungsfabrik untergebracht wurden. Frauenlager Hamburg-Eidelstedt:Am 27. September 1944 wurde am Friedrichshulder Weg in einem bestehenden Barackenlager das Frauenaußenlager Eidelstedt eingerichtet. Dort wurden 500 ungarische und tschechische Jüdinnen zu Aufräumungs- und Bauarbeiten in Hamburg im Auftrag der Stadt eingesetzt. Hamburg-Langenhorn:Mitte September 1944 erreichten etwa 500 überwiegend litauische, aber auch polnische, tschechische und ungarische Jüdinnen das am Ochsenzoll in Hamburg-Langenhorn gelegene KZ. Es waren 250 von der SS als kriminell eingestufte Häftlinge sowie Sinti und Roma aus dem KZ Ravensbrück. Hamburg-Neugraben:Am 13. September 1944 wurde am Falkenbergsweg in Hamburg-Neugraben ein Lager mit 500 tschechischen Jüdinnen errichtet. Sie kamen aus dem Vernichtungslager KZ Auschwitz-Birkenau. Hamburg-Sasel:Ab dem 13. September 1944 sind an der Mellingburger Schleuse 500 überwiegend polnische Jüdinnen inhaftiert gewesen. Sie wurden über das KZ Auschwitz-Birkenau nach Hamburg deportiert und dort zunächst vier Wochen in einem Außenlager am Dessauer Ufer gefangen Page 888
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gehalten und danach in Hamburg-Sasel untergebracht. Hamburg-Tiefstack:Am 8. Februar 1945 wurden etwa 500 tschechische Jüdinnen aus dem Außenlager Hamburg-Neugraben auf dem Firmengelände der Diago Werke, in der Andreas-Meyer-Straße in Hamburg-Tiefstack, in einem Barackenlager untergebracht. Hamburg-Steinwerder (Blohm & Voss):Am 9. Oktober 1944 wurde ein Außenlager für 600 Häftlinge auf dem Werftgelände von Blohm & Voss im Hamburger Hafen errichtet. Sie wurden im U-Boot-Bau eingesetzt. Hamburg-Veddel:Mitte Juli 1944 wurde das erste Frauenaußenlager des KZ Neuengamme in einem Speicher am Dessauer Ufer im Hamburger Freihafen errichtet. Die ersten 1.000 ungarischen und tschechischen Jüdinnen waren Anfang Juli 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau für einen Arbeitseinsatz in Hamburg ausgewählt worden. Hamburg-Wandsbek:Mit einem Transport aus dem KZ Ravensbrück kamen im Juni 1944 knapp 500 Frauen zur Zwangsarbeit in den Hamburger Werken der Lübecker Drägerwerke nach Hamburg-Wandsbek.²8 Medizinische Versuche Im KZ Neuengamme führte SS-Arzt Kurt Heißmeyer Tuberkulose-Versuche an Häftlingen durch. In der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945, wenige Tage vor Kriegsende, wurden im Keller der Schule am Bullenhuser Damm in Page 889
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hamburg-Rothenburgsort, einem seit Oktober 1944 als KZ-Außenlager genutzten Gebäude, 20 jüdische Kinder ermordet. Die Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren, je zur Hälfte Jungen und Mädchen, waren im November 1944 aus dem KZ Auschwitz ins KZ Neuengamme gebracht worden, angefordert von dem SS-Arzt Kurt Heißmeyer. Die Kinder wurden, nachdem Heißmeyer bereits Menschenversuche an sowjetischen Kriegsgefangenen vorgenommen hatte, mit Tuberkulose infiziert. Es wurden ihnen dann Gewebeproben entnommen zur Entwicklung eines Impfstoffes. Um die Zeugen dieses Verbrechens zu beseitigen, wurde von SS-Obergruppenführer Oswald Pohl aus Berlin befohlen, die Abteilung Heißmeyer „aufzulösen". Im Keller der Schule wurde den Kindern durch den Lagerarzt Alfred Trzebinski Morphium gespritzt. Um mögliche Beweise für die Testung von Tuberkulose an den Kindern zu vernichten, wurden die Kinder unter der Mittäterschaft von Arnold Strippels und Johann Frahms in einer Schule nahe dem Konzentrationslager Neuengamme erhängt und anschließend verbrannt. Mit den Kindern wurden auch ihre vier Betreuer und etwa 24 sowjetische Kriegsgefangene umgebracht. Durch diese Tat sollte jeder Beweis für die Menschenversuche vor den bereits anrückenden britischen Truppen vertuscht werden.²? Lagerpersonal Nach der Errichtung des KZ Neuengamme zu einem eigenständigen Page 890
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Konzentrationslager unterstand die Verwaltung dem Lagerkommandanten. Die Verwaltung gliederte sich in die Bereiche: -
Lagerkommandantur Politische Abteilung (Lager-Gestapo) Schutzhaftlager Arbeitseinsatz Standortverwaltung Sanitätswesen Wachmannschaften Schulung
Die drei Lagerkommandanten, die das Lager bis zum Kriegsende hatte, unterstanden wiederum der Inspektion der Konzentrationslager, die ihren Sitz in Oranienburg hatte. Sie gehörten den Totenkopfverbänden an. Nach den Richtlinien von Theodor Eicke war eine brutale Behandlung der Häftlinge seitens des Wachpersonals erwünscht und wurde auch belohnt. Neben einem Stacheldrahtzaun, der nachts unter Strom gesetzt wurde, gab es das SS-Wachpersonal, das Fluchtversuche mit der Schusswaffe verhinderte. Die drei bis vier Wachkompanien wurden später in den Neuengammer Außenlagern auch durch anderes Wachpersonal wie Angehörige des Zolls und der Wehrmacht ersetzt.5 Die bekanntesten Angehörigen der Waffen-SS im Lager waren Richard Baer, SS-Sturmbannführer, und der Arzt Hans Klein, SS-Obersturmführer. Opfer Die Gedenkstätte kann heute 20.400 Menschen mit Page 891
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Namen angeben, die im Stammlager und den Außenlagern vor der Räumung starben. Geschätzt wird, dass es rund 26.800 Opfer gegeben hat. Bei der Räumung fielen viele Häftlinge den Umständen der Kriegswirren zum Opfer. Man geht in diesem Falle von rund 17.000 Toten aus. Aus diesen gesicherten Zahlen lässt sich mit Bestimmtheit ableiten, dass 42.900 Häftlinge Neuengamme nicht überlebten. Damit war das Konzentrationslager Neuengamme das tödlichste Arbeitslager.³° Bekannte Häftlinge ? siehe Kategorie:Häftling im KZ Neuengamme - René Blieck, Rechtsanwalt und Schriftsteller aus Brüssel Im KZ Neuengamme hingerichtete Widerstandskämpfer ? Siehe: Verbrechen der Endphase im KZ Neuengamme Datenbank der Häftlinge und Bewachungsmannschaften Der Sozialdemokrat Hans Schwarz war seit 1938 im Konzentrationslager Dachau und von Ende Oktober 1944 bis zur Befreiung am 3. Mai 1945 im Konzentrationslager Neuengamme inhaftiert. Er legte Karteien von ehemaligen Häftlingen und SS-Mannschaften an (Hans-Schwarz-Archiv). Das Archiv wurde von seiner Partnerin Gertrud Meyer fortgeführt und an die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und von dort an das Page 892
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Dokumentenhaus des Konzentrationslagers Neuengamme mit seinem Gedenkstättenarchiv weitergegeben. Von den etwa 100.000 Häftlingen sind jetzt 44.000 namentlich bekannt. Fast fünfzig Prozent der Anfragen von Angehörigen können so geklärt werden. Nach der Befreiung wurde im ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme durch die britische Besatzung das Internierungslager „Civil Internment Camp No. 6" eingerichtet. Von den etwa 7.000 Inhaftierten sind 3.800 Personen in der Datenbank dokumentiert. Von den 2.600 ehemaligen SS-Mannschaften des Konzentrationslagers Neuengamme mit den Außenlagern befinden sich in der Datenbank 1.000 Namen. Evakuierung und Räumung des Lagers Gegen Ende des Krieges begann die SS die frontnahen Lager zu evakuieren. Ab Mitte 1944 wurden Häftlinge und Produktionsanlagen ins Reichsinnere verlagert. Die Evakuierung des Lagers Neuengamme begann am 24. März 1945 mit der Räumung der Außenlager im Emsland.³¹ Anfang April wurden nacheinander die Außenlager im Weserbergland, in Wilhelmshaven, Hannover, Braunschweig, Salzgitter und am 10. April 1945 schließlich in Bremen aufgelöst. Die Evakuierungstransporte mit der Eisenbahn dauerten wegen Kriegseinwirkungen bis zu einer Woche, teilweise wurden die Häftlinge auch Page 893
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ohne angemessene Versorgung in tagelangen Fußmärschen weitergetrieben. Diese Todesmärsche hatten zunächst das Stammlager zum Ziel. 9.000 transportunfähige und kranke Häftlinge aus Neuengamme wurden im Kriegsgefangenenlager Sandbostel mit Flecktyphus und Ruhr zurückgelassen, 5.000 Häftlinge wurden nach Wöbbelin abgeschoben und 8.000 meist weibliche jüdische Häftlinge kamen nach Bergen-Belsen. Da alle Auffanglager überfüllt waren, befanden sich zuletzt noch rund 14.000 Häftlinge im Stammlager. Räumung des Stammlagers Siehe auch: Verbrechen der Endphase im KZ Neuengamme Nachdem die Evakuierung des KZ Neuengamme bereits im Gange war, wurden auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers Georg-Henning Graf von Bassewitz-Behr 58 männliche und 13 weibliche Widerstandskämpfer aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel zur Exekution in das KZ Neuengamme gebracht. Unter Teilnahme von Thumann wurden diese vom 21. bis zum 23. April 1945 im Arrestbunker erhängt. Nachdem sich einige der Todgeweihten zur Wehr setzten, warf Thumann eine Handgranate durch das Zellenfenster.³² Die Kinder, mit denen der SS-Arzt Kurt Heißmeyer Tuberkulose-Versuche durchgeführt hatte, wurden zur Ermordung in die Schule am Bullenhuser Damm gebracht. Page 894
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Die 700 letzten im Lager verbliebenen Häftlinge mussten die Spuren der Verbrechen im KZ Neuengamme beseitigen und verließen das Lager zwischen dem 30. April und 2. Mai 1945. Dieser „Evakuierungsmarsch" unter der Leitung des Schutzhaftlagerführers Thumann und Rapportführer Wilhelm Dreimann hatte den Zielort Flensburg. Die alliierten Truppen fanden keinerlei Akten oder sonstige Spuren, die auf die Verwendung der Anlagen schließen ließen, vor. Es wurde lediglich ein Häftling angetroffen, der sich vor der Evakuierung im Dorf versteckt hatte.³° Weiße Busse Der Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, hatte die Zustimmung des SS-Reichsführers ausgehandelt, alle skandinavischen Häftlinge aus deutschen Konzentrationslagern evakuieren zu dürfen. Die SS-Führung erhoffte sich durch ihre Zustimmung günstigere Ausgangsbedingungen bei Waffenstillstandsverhandlungen mit den West-Alliierten. Als Sammelpunkt für die skandinavischen Häftlinge wurde das Lager Neuengamme festgelegt. Als erstes wurden erkrankte Häftlinge evakuiert. Am 20. April 1945 konnten über 4.000 skandinavische Häftlinge mit den Weißen Bussen das Lager Neuengamme verlassen und aus Deutschland evakuiert werden.³³ Deportation auf KZ-Schiffe Luxusdampfer Cap Arcona Page 895
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ? Hauptartikel: Cap Arcona (Schiff, 1927) Rund 10.000 Häftlinge, die zuletzt im Stammlager verblieben waren, sollten am 26. April 1945 auf Schiffe gebracht werden. Der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann beschlagnahmte dafür zwei Passagier-Schiffe, die "Deutschland" und den Luxusliner 'Cap Arcona' sowie 2 Dampfer SS Thielbek und Athen. Mehr als 10.000 Häftlinge wurden auf die Schiffe verladen und in dessen Rümpfen gefangen gehalten. An Bord starben bald die ersten Häftlinge durch die katastrophalen Lebensbedingungen: Es gab weder Essen, noch Trinkwasser, oder Toiletten. Am 3. Mai 1945 wurden zwei dieser Schiffe durch einen britischen Luftangriff versenkt, basierend auf der falschen Information, die Schiffe seien mit SS-Soldaten und -Offiziere die nach Norwegen flüchten wollten, besetzt. Rund 6.400 der etwa 7.000 Häftlinge verloren dabei ihr Leben.³4 Dampfschiffe Olga Siemers und Rheinfels ? Hauptartikel: Häftlingstransporte mit der Olga Siemers und Rheinfels Die Dampfschiffe Olga Siemers und Rheinfels wurden im April 1945 zum Transport von KZ-Häftlingen aus dem KZ Neuengamme eingesetzt. Nach Kriegsende Internierungslager und Transitcamp Page 896
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt ? Hauptartikel: Internierungslager Neuengamme Noch im Mai 1945 wurde das Lager vier Wochen lang für die Unterbringung von Displaced Persons, hauptsächlich sowjetische Zwangsarbeiter, genutzt und danach einen Monat lang als Kriegsgefangenenlager. Von Sommer 1945 bis August 1948 war es Internierungslager, in dem NS-Funktionäre, SS-Führer und belastete staatliche Funktionsträger festgehalten wurden; ab November 1945 unter der offiziellen Bezeichnung "Civil Internment Camp No. 6" (CIC 6). Ab Herbst 1946 befand sich neben dem Internierungslager auch ein Transitcamp für deutsche Familien, die aus asiatischen, afrikanischen und europäischen Ländern ausgewiesen wurden.³5 Nachkriegsprozesse ? Hauptartikel: Neuengamme-Hauptprozess Vor britischen Militärgerichten mussten sich zwischen 1946 und 1948 über 120 Angehörige des Neuengammer Lagerpersonals verantworten. Der Neuengamme-Hauptprozess fand vom 18. März bis zum 13. Mai 1946 vor einem britischen Militärgericht im Hamburger Curiohaus im Rahmen der Curiohaus-Prozesse statt. Dabei standen 14 leitende SS-Offiziere und Aufseher des KZ Neuengamme unter Anklage. Elf Todesurteile wurden ausgesprochen, die am 8. Oktober 1946 im Zuchthaus Hameln durch Hängen vollstreckt wurden. Unter den Hingerichteten Page 897
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt befanden sich auch Max Pauly und Anton Thumann. In sieben Folgeprozessen mussten sich an diesem Ort weitere 15 Angeklagte wegen ihrer Verbrechen im Hauptlager Neuengamme verantworten. Es kam zu zwölf Todesurteilen, von denen acht bestätigt und vollstreckt wurden (darunter Albert Lütkemeyer). Neben Alfred Trzebinski wurden in einem Folgeprozess im Juli 1946 weitere unmittelbar am Kindermord Beteiligte zum Tode verurteilt und im Oktober 1946 hingerichtet: Ewald Jauch und Johann Frahm. Bezüglich der Ermordung der 20 Kinder wurden auch SS-Arzt Kurt Heißmeyer und SS-Obersturmführer Arnold Strippel belastet, derer man aber noch nicht habhaft geworden war. Fast alle Prozesse, die wegen eines Verbrechens im KZ Fuhlsbüttel oder in einem der Außen- und Nebenlager durchgeführt wurden, fanden ebenfalls im Curiohaus statt.³6 Justizvollzugsanstalten und Beginn der Erinnerungskultur Nachdem das Lagerareal 1948 wieder an die Stadt Hamburg übergegangen war, wurde dort zuerst im Klinkerwerk und dann im ehemaligen Häftlingslager im September 1948 ein Männergefängnis eingerichtet. Später wurden u. a. die ehemaligen Lagerbaracken und weitere Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers nach und nach abgerissen und ein neuer Zellentrakt gebaut. Das Klinkerwerk wurde verpachtet.³7 Am 3. April 1954 entnahmen auf Initiative des Landesverbands Hamburg der Page 898
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt VVN ehemalige Häftlinge bei einer Feierstunde neben dem Mahnmal Erde des ehemaligen KZ, füllten sie in eine Urne und überbrachten sie mit einer kleinen Delegation zur Befreiungsfeier der Häftlinge des ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar.³8 1953 wurde dieses Mahnmal als eine erste Gedenktafel von ehemaligen KZ-Insassen und 1965 eine offizielle Gedenktafel installiert. Anstelle der ehemaligen Gärtnerei wurden Äcker angelegt. Das Ziegelwerk wurde abgetragen und an seiner Stelle entstanden Wohnungen. 1970 wurde eine Jugendstrafanstalt auf dem Gebiet des ehemaligen Konzentrationslagers errichtet. Damit war ein Betreten des ehemaligen KZ-Areals nicht mehr möglich. Seit 1981 wurde an der Umwidmung des KZs in eine Dokumentationsund Gedenkstätte gearbeitet. Einen Anfang machte der Bau eines Dokumentationshauses, das auf dem Gelände der Lagergärtnerei entstand. Als Mitte der 1980er Jahre die Stadt Hamburg den Abriss des Klinkerwerkes beschloss, organisierten sich massive Proteste. 1984 wurden die Reste der KZ-Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Im Jahr 2003 wurde die Justizvollzugsanstalt verlegt. Die sich auf dem Gelände der ehemaligen Tongruben befindende weitere Justizvollzugsanstalt Vierlande wurde im Februar 2006 nach Billwerder-Moorfleet verlegt. Im Zuge der Neugestaltung des Geländes im Jahre 2005 wurden die Fundamente des Appellplatzes freigelegt. Es ist der einzige Page 899
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bestandteil der Gedenkstätte, der rekonstruiert wurde. Die Schuttmassen des abgerissenen Gebäudes der Justizvollzugsanstalt wurden in Drahtkörben als Markierung für die Lage der KZ-Gebäude in die Gestaltung der Gedenkstätte einbezogen. Die beiden steinernen Unterkunftsblöcke wurden in ein Studienzentrum und ein Hauptmuseum umgebaut. KZ-Gedenkstätte Neuengamme ? Hauptartikel: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Seit 2005 besteht auf dem Gelände des KZs die KZ-Gedenkstätte Neuengamme als Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum. Von 1948 bis 2006 wurden Gelände und Gebäude durch die Stadt Hamburg für den Strafvollzug mit zwei Gefängnissen genutzt. Am Rande entstand 1965 ein Internationales Mahnmal und 1981 ein Ausstellungsgebäude. Nach der Schließung der Gefängnisse 2003 und 2006 wurde die KZ-Gedenkstätte als Einrichtung der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg unter der Adresse Jean-Dolidier-Weg 75 in Neuengamme eröffnet, Direktor ist Detlef Garbe. Angegliedert sind ihr drei weitere Gedenkstätten in verschiedenen Hamburger Stadtteilen, an Orten ehemaliger Außenstellen des KZs. Die Gedenkstätte befindet sich auf dem 55 Hektar großen historischen Gelände und umfasst unter anderem eine Hauptausstellung in einem ehemaligen Häftlingsblock sowie ein Studienzentrum in den ehemaligen SS-Garagen, Page 900
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt mehrere Gebäude, Gebäudereste, Fundamente und Rekonstruktionen ehemaliger Lagereinrichtungen, ehemalige Produktionsstätten, insbesondere das Klinkerwerk und die Walther-Werke, ein Hafenbecken und einen Stichkanal zur Doven Elbe, verschiedene Mahnmale und Denkmalgruppen sowie ein Haus des Gedenkens. Erschlossen wird das gut ein Kilometer lange und etwa 400 Meter tiefe Gelände durch ein Wegenetz, das in verschiedenen Rundwegen auch mit der Hilfe von Audioguides begangen werden kann. Fotodokumente Fotos des Konzentrationslagers Neuengamme entstanden hauptsächlich im Auftrag der Lager-SS. Der Lagerfotograf Josef Schmitt übergab 1945 etwa hundert Fotografien an die Briten. Der KZ-Häftling Heinz Masset rettete weitere Fotografien aus dem KZ Neuengamme. Diese Fotografien befinden sich im Archiv der Gedenkstätte KZ Neuengamme.³? Siehe auch - Gebäude und Gelände des KZ Neuengamme - Hamburger Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus Literatur - Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 9 Bände (bis 2008 erschienen: 8 Bände). C. H. Beck, München 2005–, ISBN 978-3-406-52960-3 (i. Dr.; Inhaltsregister); Band 5: Hinzert, Page 901
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Auschwitz, Neuengamme, ISBN 978-3-406-52965-8. - Marc Buggeln: Arbeit & Gewalt. Das Außenlagersystem des KZ Neuengamme. Wallstein Verlag, Göttingen 2009 (Diss Uni Bremen 2008) - Marc Buggeln: Das Außenlagersystem des Konzentrationslagers Neuengamme. In: Sabine Moller, Miriam Rürup, Christel Trouvé (Hrsg.): Abgeschlossene Kapitel? Zur Geschichte der Konzentrationslager und der NS-Prozesse. Tübingen 2002, S. 15–27. - Hans Ellger: Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien. Die Geschichte der Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Neuengamme 1944/45. Metropol, Berlin 2007, ISBN 978-3-938690-48-2. - Detlef Garbe (Hrsg., im Auftr. der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Redaktion: Christine Eckel): Konzentrationslager Neuengamme: Geschichte – Nachgeschichte – Erinnerung. Katalog der Ausstellungen. Band I: Hauptausstellung; Band II: Ergänzungsausstellungen. Edition Temmen, Bremen 2014, ISBN 978-3-8378-4047-6. - Detlef Garbe: Neuengamme im System der Konzentrationslager. Studien zur Ereignis- und Rezeptionsgeschichte. Metropol, Berlin 2015, ISBN 978-3-86331-220-6. - Detlef Garbe, Carmen Lange (Hrsg.): Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Die Auflösung des KZ Neuengamme und seiner Außenlager durch die SS im Frühjahr 1945. Bremen 2005. - Häftlinge im KZ Neuengamme. Verfolgungserfahrungen, Häftlingssolidarität und nationale Bindung. Eine Tagung der Page 902
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Amicale Internationale KZ Neuengamme und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. 1.–3. September 1998. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg 1999. - Hermann Kaienburg: „… sie nächtelang nicht ruhig schlafen ließ". Das KZ Neuengamme und seine Nachbarn. In: Dachauer Hefte. 12 (1996), S. 34–57. - Hermann Kaienburg: „Vernichtung durch Arbeit". Der Fall Neuengamme. Die Wirtschaftsbestrebungen der SS und ihre Auswirkungen auf die Existenzbedingungen der KZ-Gefangenen. Bonn 1990. - Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997. - Lebensläufe. Lebensgeschichtliche Interviews mit Überlebenden des KZ Neuengamme. Ein Archiv-Findbuch. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg 1994. - Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e. V. (Hrsg.): „… das war ja kein Spaziergang im Sommer". Die Geschichte eines Überlebendenverbandes. Konkret Verlag, ISBN 978-3-89458-265-4. Weblinks Commons: KZ-Gedenkstätte Neuengamme – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien - Offizielle Website der KZ-Gedenkstätte Neuengamme - Neuengamme. Deutsches Historisches Museum - KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch, Page 903
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt damaliges Außenlager des KZ-Neuengamme - Fotogalerie des Außenlagers Husum-Schwesing - Das KZ Neuengamme und seine Außenlager. hsozkult - Vor 70 Jahren: Versenkung der KZ-Häftlingsflotte in der Lübecker Bucht Einzelnachweise [1] Fritz Bringmann: KZ Neuengamme. Berichte, Erinnerungen, Dokumente. Nachdruck der 1981 erschienenen Erstauflage. Aukrug 1993. [2] Hermann Kaienburg: KZ-Haft und Rassenideologie. Die Bedeutung der nationalsozialistischen Rassenideologie für die Häftlingsbehandlung im Konzentrationslager Neuengamme. In: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland. 1/1994, S. 22–34. [3] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 310 f. [4] Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. (siehe Literatur) [5] Ulrich Bauche, Heinz Brüdigam, Ludwig Eiber, Wolfgang Wiedey (Hrsg.): Arbeit und Vernichtung. Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. Katalog zur ständigen Ausstellung im Dokumentenhaus der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. 2. Auflage. Hamburg 1991. [6] Ulrike Jureit, Karin Orth: Überlebensgeschichten. Gespräche mit Überlebenden des KZ Neuengamme. Mit einem Beitrag von Detlef Garbe, Hamburg 1994. Page 904
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [7] Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS. München 2004, S. 181 f. [8] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 312 f. [9] Detlev Garbe: KZ Neuengamme. In: Benz/Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. (siehe Literatur), S. 328. [10] Reimer Möller: Die beiden ‚Zyklon B'-Mordaktionen im Konzentrationslager Neuengamme 1942. In: Günther Morsch, Bertrand Perz: Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Berlin 2011, ISBN 978-3-940938-99-2, S. 288–293. [11] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 315 f. [12] Ruth Bondy: Mehr Glück als Verstand. München 2000. [13] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 317. [14] Lebensläufe. Lebensgeschichtliche Interviews mit Überlebenden des KZ Neuengamme. Ein Archiv-Findbuch. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg 1994. [15] Jørgen H. Barfod: Helvede har mange navne. København 1969. [16] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 318. [17] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 319. [18] Heinz Schön: Die Cap Arcona-Katastrophe. Eine Dokumentation nach Page 905
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Augenzeugenberichten. Stuttgart 1989. [19] Jerzy Giergielewicz: Endstation Neuengamme, Außenlager Drütte. Der Weg eines 17-jährigen aus Warschau durch vier Konzentrationslager. hg. v. d. KZ-Gedenkstätte Neuengamme u. d. Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte, Bremen 2002. [20] Bogdan Suchowiak: Die Tragödie der Häftlinge von Neuengamme. S. 24 ff. [21] Hauptschulklasse 8 der Gemeinschaftsschule Ratzeburg: Neuengamme: Ein Ort gegen das Vergessen. In: Lübecker Nachrichten. 25. November 2010, Teil Freizeit/Tipps, S. V [22] Salo Blechner, Geni.com. [23] Salo, Gedenkwebsite. [24] Symbolbilder: Der Häftling aus dem „Kommando Elbe". (PDF) Das Offene Archiv, KZ-Gedenkstätte Neuengamme. [25] Benz/Diestel: Orte des Terrors. S. 331 (siehe Literatur) [26] Lagekarte der Außenlager des KZ Neuengamme [27] Dietrich Banse: Das Außenlager Uelzen des Konzentrationslagers Neuengamme. Eine Dokumentation. Suhlendorf 1990. [28] Angaben zu Hamburg nach der Seite kz-gedenkstaette-neuengamme.de [29] Günter Schwarberg: Zwanzig Kinder erhängen dauert lange. In: Die Zeit, Nr. 15/2005. [30] Günther Schwarberg: Angriffsziel „Cap Arcona". Überarb. Neuauflage. Göttingen 1998. [31] Werner Borgsen, Klaus Volland: Stalag X B Sandbostel. Zur Geschichte eines Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers in Norddeutschland 1939–1945. 3. Auflage. Bremen 2003. [32] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Page 906
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 278. [33] Folke Bernadotte: Das Ende. Meine Verhandlungen in Deutschland im Frühjahr 1945 und ihre politischen Folgen. Zürich 1945. [34] independent.co.uk [35] KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Die Ausstellungen. Bremen 2005, S. 134. [36] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 284 f. [37] Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997, S. 288. [38] Heinz Koch, Udo Wohlfeld: Das deutsche Buchenwaldkomitee. Die Periode von 1945 bis 1958, = "gesucht 7". (= Schriftenreihe der Geschichtswerkstatt Weimar-Apolda). Weimar 2010, S. 72. [39] Klaus Witzeling: Aus dem Fotoalbum des Unmenschen. In: Hamburger Abendblatt. 16. November 2010, Sonderbeilage Museumswelt Hamburg, S. 17. Koordinaten: 53° 25' 50? N, 10° 14' 1? O Normdaten (Körperschaft): GND: 4129673-4 Arbeitskreis MUNA Lübberstedt Der Arbeitskreis MUNA Lübberstedt widmet sich seit Januar 1991 der Erforschung, Dokumentation und Information zur MUNA Lübberstedt. Der Verein wurde am 27. Januar 1996 gegründet - dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz, nachdem der Arbeitskreis die Page 907
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Geschichte des Lagers umfangreich erforscht hatte. Als Zusammenfassung erschien die Dokumentation, zu der Hans-Jochen Vogel das Vorwort schrieb. Vereinsgeschichte Im Frühjahr 1988 beteiligte sich der Schüler Henning Bollinger (Axstedt) an einem Schülerwettbewerb der Landeszentrale für Politische Bildung. Im Rahmen der Gedenktage "50 Jahre Kriegsbeginn" wurde das Thema "Zwangsarbeiter in der Muna" durch eine kirchliche Gruppe aufgegriffen. Sie erinnerte an die NS-Zeit mit einem Gedenkmarsch. Im Januar 1992 fanden sich Volrad Kluge, Barbara Hillman, Erdwig Kramer und Heinrich Oetting zu einem Arbeitskreis zusammen. Im Laufe des Jahres kamen Thorsten Gajewi und Rüdiger Kahrs dazu. Die Veröffentlichung des Buches Lw. 2/XI – Muna Lübberstedt – Zwangsarbeit für den Krieg 1995 führte am 27. Januar 1996, dem Holocaustgedenktag zur Gründung des Vereins. Nach dem Tod Kluges im Februar 1999 übernahm Helmut Lubitz den Vorsitz des Vereins. Ihm folgte Erdwig Kramer. Es gab Besuche des Arbeitskreises in Israel, Warschau, Kressbronn am Bodensee, um ehemalige Häftlinge zu treffen. Außerdem hielten die Mitglieder des Arbeitskreises MUNA Kontakt zu dem Forschungskreis in Sandbostel. Im Frühjahr 1994 übernahm der Arbeitskreis die Pflege der Anlage auf dem Page 908
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Friedhof Lübberstedt mit Gedenkstein und Gemeinschaftsgrabanlage.¹ Projekte des Vereins Erforschung und Dokumentation des Lagers Der Arbeitskreis nahm sich Anfang der 1990er Jahre der Erforschung und Dokumentation des Komplexes "Muna Lübberstedt" an. „Überraschend viele Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der Samtgemeinde Hambergen, aber auch aus anderen Orten, waren bereit, mit ihren Erinnerungen die Zeit zwischen 1939 und 1945 in der Muna wieder lebendig werden zulassen. Ihr Engagement gab uns die Gewißheit, daß das Schicksal der Menschen, die hier inmitten von Bomben und Granaten, Krieg und Baracken keben und sterben mußten, nicht vergessen ist." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 9² Photos und Dokumente aus dem Besitz der Menschen wurden dem Arbeitskreis zur Verfügung gestellt. Kontakte zu 10 Ostarbeitern in mehreren Ländern brachten viele Informationen über das Leben in der MUNA. Von Archiven in Freiburg, Bremen, Hamburg, Plön, Eutin, Osterholz-Scharmbeck, Berlin, von der Keele University, dem Holocaust-Dokumentationszentrum in Budapest, der Heinrich-Böll-Stiftung, vom Arbeitskreis "Memorial" (Köln/Moskau)³ und dem Zentralnachweis zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung 1933 - 1945 Page 909
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen4 sowie vom Förderverein der Geschichte der Arbeiterbewegung in Cuxhaven5 bekamen die Autoren Unterlagen und Hinweise. Sie bedauern allerdings, keinen Zugang zu den Materialien des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen bekommen zu haben. „Wir haben versucht, zu rekonstruieren und zu beschreiben, wie die Muna gebaut wurde, was und wie hier produziert wurde, wie man unter Lagerbedingungen in den Turbulenzen des zu Ende gehenden Krieges lebte. Dazu gehören waffen- und munitionstechnische Informationen ebenso wie die Beschreibung von Bombenangriffen und des Ausbaus von Verteidigungsstellungen. ... Der ostpreußische Major Willy Pfeiffer, seine Erinnerungen bzw. das von ihm in den letzten vier Monaten des Krieges geführte Kriegstagebuch der Muna und der Kontakt zu seinen Kindern und seinem Enkel wurden zu einer wichtigen Quelle für unsere Forschungen." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 10f Muna Lübberstedt Der Beginn der Bauarbeiten zur MUNA Lübberstedt ist nicht durch ein Dokument zu belegen. Angaben weichen voneinander ab - zwischen 1936 und "bis unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg". Im Herbst 1939 wurde in Axstedt und Lübberstedt bekannt, dass "im Walde jenseits der Albstedter Page 910
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Straße von der Luftwaffe ein Munitionslager und Anstalt gebaut werden sollte.6 Im Dezember 1939 wurde in einer leerstehenden Lehrerdienstwohnung in Axstedt ein Büro der Bauleitung eingerichtet. Ein Baubataillon der Luftwaffe und Abteilungen des Reichsarbeitsdienstes machten sich an die Arbeit. Ein erstes Barackenlager war am 1. Februar 1940 bezugsfertig. Ausländer sowie Axstedter und Lübberstedter Bauern mit Traktoren und Pferdegespannen wurden eingesetzt. Im Herbst 1940 wurde die Billerbeek in Axstedt begradigt und vertieft, um die Muna zu entwässern. Der zusammenhängende Kernbereich wird mit 420 Hektar angegeben.7 Die Produktionsgebäude wurden am 3. Mai 1945 gesprengt. Nach Zeitzeugenangaben und Besichtigung der Reste gehörten 22 Gebäude zur Füllanlage. 102 erdummantelte Betonbunker hat es für auf Abruf lagernde und in der Muna gefertigte Sprengstoffe gegeben. Das Wasser für die Produktion wurde aus zwei 1938/39 gebohrten 26 Meter tiefen Brunnen gewonnen. Für die Unterkünfte gab es ein eigenes Wasserwerk. Eine spezielle Kläranlage zur Entsorgung der mit Chemikalien verunreinigten Gewässer gab es nicht. Im Gelände war ein Straßennetz von 30 Kilometern vorhanden. Die Gesamtlänge der Eisenbahngeleise beträgt 7,6 km. Das Nebengleis der Bahn verläuft durch die Anlage - mit mehreren Verzweigungen zu verschiedenen Laderampen. Das Herzstück der Lübberstedter Muna war die Füllanlage. Die Granaten- und Page 911
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bombenhüllen wurden für das Füllen mit Sprengstoff vorbereitet. Als Material für die Füllung diente ein Gemisch mehrerer Substanzen. Der Hauptanteil war TNT, das pulverförmig mit der Bahn angeliefert wurde. Bei etwa 90 Grad wurde es in einem Mischkessel geschmolzen und mit Salpeter, als Sauerstoffträger, gemischt. Die Mischung wurde durch isolierte Rohre gleichzeitig in 16 Granaten abgefüllt, der Vorgang dauerte etwa eine Minute. Nach Reinigung und Abkühlung erhielten die Granaten einen Zünder. Im Fallschirmhaus wurden die für Seeminen bestimmten Fallschirme gepackt. Woher das Material dafür stammte, ist nicht bekannt. "Bei einem Gesamtgewicht von 1.000 kg pro Mine müssen gewaltige Fallschirmflächen bewegt worden sein."8 In der "Pulvermühle" wurde Sprengstoff aus fehlerhafter Munition ausgebohrt und zerkleinert - ein Abfallsprengstoff zur Wiederverwendung. Nach dem Krieg wurde dort alte Munition verbrannt. Das gesprengte Gebäude aus dicken Stahlbetonmauern ist als Ruine erhalten.? Deutsche Dienstverpflichtete „In zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern war nach dem Ersten Weltkrieg eine große Zahl von Menschen arbeitslos. Eines der Modelle, dieses weltweite Problem in den Griff zu bekommen, hieß Arbeitsdienst. Vor allem Wehrbünde und Parteien in Deutschland hatten immer wieder die Einführung einer halbjährigen Page 912
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeitsdienstpflicht für weibliche und männliche Jugend gefordert. Im Juni 1931 wurde in Deutschland der Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) eingeführt. Das Konzept hieß: Gemeinschaftsleben in kargen Baracken mit täglich sechs- bis siebenstündiger Arbeit: Wegebau, Hochwasserschutz, Siedlungswesen, ergänzt durch anschließende körperliche und geistige Ertüchtigung." – Barbara Hillmann, Volrad Kluge und Erdwig Kramer: Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 45 Ab 1. Oktober 1935 galt für jeden männlichen Jugendlichen die Pflicht ein halbes Jahr Dienst im Reichsarbeitsdienst (RAD) zu tun. Ab September 1939 galt diese Pflicht auch für weibliche Jugendliche. Unweit des Dorfes Oldendorf nördlich von Lübberstedt wurde von September bis November 1936 ein RAD-Lager aufgebaut. Nach Kriegsende dienten die Oldendorfer Baracken mehrere Jahre lang 300 Flüchtlingen als Unterkunft. In Lübberstedt gab es mehrere RAD-Lager: am Mützenweg in der Nähe des Bahnüberganges zur Muna, im Dorf um die Lübberstedter Mühle herum, auf dem Bargkamp und an der Ecke Bogenstraße/Schmiedestraße. Nur das erste Lager blieb bis April 1945 ein RAD-Lager. Die anderen wurden zeitweilig auch mit Bausoldaten, Ostarbeitern, Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen belegt. Es gab auf dem Gelände der heutigen Birkenstraße Page 913
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eine Gemeinschaftsküche, ein Schwimmbad und eine Sanitätsbaracke .¹° Tagesablauf im RAD - 7 Uhr Wecken - Frühsport bei jedem Wetter mit dem Hocker als Turngerät - erstes Frühstück - Flaggenappell und Gruppeneinteilung - Arbeit (z.B. Entwässerungsgräben ziehen, Bachläufe begradigen, Felder und Wiesen drainieren, Straßenarbeiten, Arbeiten auf der Anlage der Muna) - zweites Frühstück auf der Arbeitsstelle - Rückkehr ins Lager und warmes Essen - eine Stunde Bettruhe - Unterricht (Ergänzung und Vertiefung von Allgemeinwissen, politischer Unterricht, Singen) - 18 Uhr dienstfrei (aber noch Putz- und Flickarbeiten, Spaten auf Hochglanz bringen mit Sandpapier und Speckschwarte) - 22 Uhr Zapfenstreich: Bettruhe¹¹ Zwischen Axstedt und der Muna gab es ein weiteres RAD-Lager, das 1939 eingerichtet wurde. Zeitweilig waren dort Bauleitung, deutsche und ausländische Zivilarbeiter untergebracht. Zwischen dem Dorf und dem Bahnhof Lübberstedt gab es das G-Lager (=Gemeinschaftslager). Dieses Lager am Mützenweg diente den Arbeitern der Firmen und den Fremdarbeitern, die am Bau der Muna beteiligt waren, als Unterkunft. Es hatte mit dem RAD nichts zu tun. Ab Mitte 1944 wurden die Ostarbeiterfamilien von Bilohe nach hier verlegt. Page 914
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Anfang 1945 sind auch Aktivitäten der Organisation Todt, einer militärisch organisierten Bautruppe in Lübberstedt belegt.¹² Kriegsgefangene „Es kann nicht schaden, wenn sich die Bevölkerung diese Tiere in Menschengestalt ansieht, zum Nachdenken angeregt wird und feststellen kann, was geworden wäre, wenn diese Bestien über Deutschland hergefallen wären." – Bürgermeister von Wietzendorf 1941 an den Landrat in Soltau: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Bremen 1994, S. 40, in: Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 54 Kriegsgefangene wurden in Stammlagern (Stalags) und Offizierslagern (Oflags) erfasst. Das Stalag X B in Sandbostel war in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Wesermünde seit Kriegsbeginn auch im Bereich Lübberstedt die Einsatzzentrale für Tausende von Kriegsgefangenen. Schon 1939 wurden 50 polnische Kriegsgefangene für Arbeiten in der Landwirtschaft im Gasthaus Brünjes in Axstedt untergebracht.¹³ Auch Belgier und Franzosen waren dort einquartiert. „Die Unterbringung im Hause des Gastwirts Georg Brünjes zahlte sich ... aus. Georg Brünjes war im Ersten Weltkrieg in französischer Gefangenschaft gewesen und hatte daher Page 915
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verständnis für die Gefühle und die Situation des Gefangenen. Er machte sogar Erinnerungsfotos von J.A. und seiner Gruppe, ließ die Bilder entwickeln und im Stalag X B Sandbostel kontrollieren. Über die Wachen erhielt er sie zurück." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 60 Im Tanzsaal des Gasthauses von Rönn in Hambergen waren serbische Kriegsgefangene untergebracht. Bewacht wurden sie von einem einzigen Soldaten. Er kam morgens mit dem Fahrrad, weckte die Gefangenen um 6 Uhr, schickte sie zur Arbeit und fuhr abends nachdem er sie eingeschlossen hatte, wieder nach Hause. Eine Bewachung während der acht Stunden Arbeit meist bei Bauern, aber auch bei einem Kohlenhändler - gab es nicht. „Aus der Sowjetunion kamen mehr Kriegsgefangene nach Deutschland als aus allen anderen Ländern zusammen." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 62 In der Bevölkerung gab es Versuche, den Gefangenen z.B. mit Stiefeln zu helfen, aber "da waren ja die unmenschlichen Vorschriften, daß man ihnen nichts geben durfte".¹4 Zum Ende des Krieges war die Versorgung der Kriegsgefangenen schlecht, obwohl sie schwere Arbeit leisten mussten. „Für die meisten Menschen in Axstedt und Lübberstedt bestand kein Zweifel darüber, wie sich die sowjetischen Page 916
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsgefangenen verhalten würden, sobald sie nach Kriegsende frei wären. Jeder malte sich die Schrecken aus, gut vorbereitet durch die Greuelpropaganda von den 'barbarischen Bolschewiken' und das eigene schlechte Gewissen." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 65 Die russischen Kriegsgefangenen sollen zum Kriegsende zum Sammellager in Nordholz abtransportiert worden sein. Mehrere Quellen und Zeitzeugen berichten auch von italienischen Militärinternierten. "Fremdvölkische" „Im Herbst 1944 stand an fast jedem dritten Arbeitsplatz des Deutschen Reiches eine ausländische Arbeitskraft. ... Ein Großteil der in den ersten Kriegsjahren im Deutschen Reich beschäftigten Ausländer hatte sich bereits vor 1939 freiwillig zum Arbeitseinsatz in Deutschland verpflichtet. ... Nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion wurde von der Reichsregierung auch der Einsatz von Arbeitskräften aus den besetzten Ostgebieten, vornehmlich in der Rüstungsindustrie, angeordnet." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 70 Im Februar 1942 wurde mit dem Ostarbeiter-Erlass das Leben der ausländischen Arbeiter geregelt. Die "angeworbenen" Ostarbeiter waren dem Prinzip der "Vernichtung durch Arbeit" im Page 917
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Wesentlichen ebenso schutzlos wie die Kriegsgefangenen ausgesetzt.¹5 Arbeitsformen und Arbeitszeit Die Zahlenangaben über die Ostarbeiter im Komplex der Muna sind unterschiedlich. Alle Quellen geben um die 450 Personen an. Sie verrichteten Arbeiten außerhalb des Lagers in der Landwirtschaft oder Aufräumarbeiten in der Muna oder auch beim Schuster oder einem Maler, der zehn Ostarbeiter beschäftigte und dessen Frau für alle kochte. Bewaffnete Zivilisten beaufsichtigten sie und begleiteten sie auf dem Fußweg zur Arbeit. Sie wurden für die Arbeit bezahlt und hatten sonn- und feiertags frei, konnten allerdings freiwillig arbeiten. Beim Bau der Eisenbahn haben sie Schwellen getragen, Kies und Erde bewegt. Auch die Betonstraße wurde von ihnen gebaut. Waggons mussten sie ent- und beladen: Holzblöcke, -platten und Munition. Auch Gräben wurden von ihnen gereinigt. Über den Arbeitsablauf der Ostarbeiter wird berichtet: - Aufstehen um 6 Uhr, wenn es noch dunkel war - in Dreierkolonnen bewacht von Polizisten in schwarzen Uniformen zur Arbeit laufen - Arbeiten solange es hell war - teilweise zusammen mit deutschen Meistern, die Polnisch konnten und Befehle übersetzten, auch mit deutschen Arbeitern oder Italienern - Der Arbeitstag war 12 Stunden lang von 7 bis 19 Page 918
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Uhr (andere Quellen geben leicht veränderte Zeiten an)¹6 Die Entlohnung war sehr unterschiedlich. Einige bekamen kein Geld andere bis zu 25 Mark im Monat. Es fehlte an Möglichkeiten, den Lohn sinnvoll auszugeben. Auch das Verhalten des Aufsichtspersonals war sehr unterschiedlich. Von Beschimpfungen als Schweine und Schläge mit dem Gummiknüppel ist die Rede aber auch von einem eigenen Zimmer auf dem Bauernhof, gleiches Essen wie die Familie und weder Beschimpfungen noch Prügel.¹7 Lübberstedter Ostarbeiter erinnern sich an die Verpflegung in den Ostarbeiterlagern. - 300 Gramm Brot mit Rübenschnitzel oder Holzmehl gestreckt - 10 - 30 Gramm Margarine - "Heißes Wasser namens Kawa" - mittags ein Liter dünne Kohl- oder Kartoffelsuppe, auch mal zwei Liter Steckrübensuppe oder Sauerkraut und Weißkohl - "Es gab auch Pferdefleisch, aber es stank wie Kadaver." - zusätzliche Brot- und Kartoffelrationen konnte man im Lager kaufen (eine Portion Brot für fünf Mark, drei Kartoffeln für eine Mark) - Schwerarbeiter erhielten ein Kilogramm schwarzes Brot pro Woche und bekamen an großen Fest- und Feiertagen Nudeloder Graupensuppe Manchmal kamen sonntags Bauern und holten sich Arbeiter aus dem Lager. Für Page 919
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Arbeiten in Haus und Hof bekamen sie Brot.¹8 „Die gewaltsame und demütigende Entwurzelung und die harten Lebensbedingungen in Lübberstedt mußten den im allgemeinen 20 bis 26 Jahre alten Ostarbeitern für eine geraume Zeit jeden Lebensmut nehmen. ... Wenn [die reibungslose äußere Organisation] funktionierte, dann waren auch das inerbetriebliche Klima und entsprechend die Arbeitsleistungen gut." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 82f Im Standesamt Axstedt wurden 24 Geburten durch die Lagerleiterin angemeldet. Zwei der drei Frauen, die über ihre Lagerzeit berichteten, hatten im Lager ein Kind bekommen. Alle bestätigten, dass das deutsche personal ein gutes Verhältnis zu den Kindern gehabt habe. Für die Babys habe frische Milch und Grieß zur Verfügung gestanden. Die stillenden Ostarbeiterinnen bekamen Malzbier und durften alle vier Stunden ihre Kinder stillen.¹? Das Ende des Krieges verlief teilweise chaotisch. Aus Angst vor Racheakten sollten die Gefangenen nicht freigelassen werden, sondern weiterhin bewacht und geschlossen an die Sieger übergeben werden. Fünf Männer konnten einer fast hunertmal größeren Zahl von Ostarbeitern keinen Respekt einflößen. Das Lager wurde zu Kriegsende auch geplündert. "Karo-Bettzeug, Röcke, Blusen, Spinde, alles ist durch die Gegend geflogen. Von Page 920
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Hambergen [und] Bokel sind [die Plünderer] gekommen.²° In den letzten Kriegstagen kamen auch Gefangene vom U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Farge durch Lübberstedt und Hambergen.²¹ Menschliches Handeln zwischen Mitleid und Strafe fand vielfach statt.²² Eine besonders mutige Begebenheit: „Der Zeitzeuge H.B. aus Axstedt berichtete, daß ein Trupp der ungarischen Häftlinge nicht weit von seinem Elternhaus vorbeizog. Als ein Soldat der Marineschützen ihnen ein Stück Brot zustecken wollte, seien die SS-Bewacherinnen dazwischen getreten. Daraufhin habe der Soldat seine Pistole gezogen und seinen Willen durchgesetzt. (Man kann nur hoffen, daß die Empfängerin diese gute Tat nicht schwer büßen mußte!)" – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 95 In einem Brief beschrieb die Tochter des Lagerleiters Major Pfeiffer, dass auch ihr Vater Ostarbeiterinnen und russischen Kriegsgefangenen heimlich Brot, Gemüse- und Kartoffelabfälle aus der Küche zugänglich machte offiziell bekam er sie "für seine Stallhasen".²³ Das KZ-Außenlager Lübberstedt-Bilohe Die Gefangenen in den Konzentrationslagern boten ein unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften. Um die Arbeit in Rüstungsindustrie und kriegswichtigen Betrieben nicht zum Erliegen Page 921
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt kommen zu lassen, wurden in der Nähe solcher Betriebe Außen- und Nebenlager der KZs eingerichtet. In Bilohe, am südlichen Rand des Muna-Geländes, entstand so das Außenlager des KZ Neuengamme, das 30 km südlich Hamburgs in einer Ziegelei ab 1940 eingerichtet worden war. Eine Gruppe von 500 jüdischen Ungarinnen kam nach drei Tagen Fahrt Ende August/Anfang September 1944 in Lübberstedt-Bilohe an. Die Frauen waren im KZ Auschwitz-Birkenau für diesen Transport selektiert worden.²4 Bis der Zug losfuhr dauerte es aber - Waggons mussten zur Verfügung stehen, und das Bahnnetz bis zum Bestimmungsort musste intakt sein, es gab zu diesem Zeitpunkt viele Zerstörungen. „Jeder lebte in großer Angst, da das Bewusstsein vorherrschte, daß 'wir auf unsere Reise ins Krematorium warteten'. ... Schließlich schlossen sich die Türen, und die Züge fuhren in eine neue Ungewißheit." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 108 Das Lager in Bilohe war keine neue Unterkunft. Bevor die Ungarinnen hierher kamen, hatten bereits Ostarbeiterfamilien aus der Ukraine hier gelebt. Die Baracken waren 1941 von einem Luftwaffenbaubataillon errichtet worden. Tagesablauf im Lager Bilohe²5 - Morgenappell auf dem Appellplatz vor der Küchenbaracke bei Regen in der Page 922
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Baracke, im Sommer zwischen vier und fünf Uhr - Frühstück (ein Viertel eines Kommissbrotes, etwas Marmelade, ein Stückchen Margarine, ein halber Liter "einer warmen, braunen Brühe, dem 'Kaffee'") - es galt, die Lebensmittel einzuteilen: wenn man sich die Ration vom Abend vorher aufbewahrt hatte, konnte man das Brot vom Morgen auf den Tag verteilen. - Baracken säubern, Betten bauen, Körperpflege - Abmarsch zur Arbeit um sechs Uhr - die Häftlinge legten den Weg zur Muna unter Begleitung von Wehrmachtssoldaten und SS-Aufseherinnen singend (auf deutsch!) zurück, sie waren mit Stricken um den Bauch zusammengebunden, die Holzpantinen erschwerten das Marschieren, das Klappern der Holzgaloschen war weithin zu hören. Hin und wieder wurde den Frauen auf dem Weg zur Arbeit etwas Essbares zugesteckt (siehe oben: Menschliches Handeln). - Die Kleidung bestand aus den im KZ Auschwitz erhaltenen Kleidungsstücken, die Ärmel waren an den Kleidern untereinander ausgetauscht, um die Frauen als KZ-Insassinnen kenntlich zu machen. - Arbeit bis zum späten Nachmittag mit halbstündiger Mittagspause (in der Muna, weil Bilohe zu weit entfernt war) oder in zwölfstündigem Schichtdienst - Mittagessen (ein Liter Rübensuppe, manchmal mit Pferdefleisch oder eine Ration kleine saure Heringe) - Rückmarsch zum Lager in Bilohe, zu Fuß - öfters mit Schlägen - Abendappell - oft mit Durchsuchung nach versteckten Lebensmitteln Page 923
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt stimmte die Zahl der Häftlinge nicht mit den Papieren überein, dauerten die Strafappelle oft mehrere Stunden. - Abendessen (ein Viertel Kommissbrot, etwas Margarine, etwas Wurst oder einen Löffel Quark - manchmal eine warme Suppe) - Gespräche, Reparatur der Kleidung, Körperpflege „Die Verpflegung war nie ausreichend, dennoch fand ein Tausch gegen andere Vergünstigungen statt. So wurde z.B. im Winter eine warme Suppe gegen einen der begehrten Plätze am warmen Ofen oder der Heizung getauscht. Aufgrund der kurzen Nachtruhe und der schlecht beheizten Baracken konnte die bei Regen naßgewordene Kleidung nur schwer oder gar nicht getrocknet werden." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 118 Im Mai 1944 gab Hitler den Befehl zum Arbeitseinsatz ungarischer jüdischer Häftlinge in der Rüstungsindustrie. „Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmögliche Leistung erbringen." – Fritz Sauckel, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz: Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 118 Die Häftlinge waren in Arbeitskommandos eingeteilt. - Innenkommandos im Lager Bilohe galten als leichtere Arbeit Page 924
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt + Küche + Schneiderei + Bad + Schuhmacherei + Gerätekammer + "Revier" - Krankenbetreuung - Außenkommandos für Arbeiten in der Muna außerhalb des Lagers Bilohe + Erzeugung von Bomben für die Luftwaffe in zwei Arbeitsschichten * Transport der Munition von einem Bunker zum nächsten * Verladen der Munition in Eisenbahnwaggons + Arbeit im Fallschirmhaus + Bäume fällen, Schanzarbeiten Kriegsende in der Muna Lübberstedt „[Es musste] den nüchtern Denkenden klar sein, daß der schon in Friedenszeiten nicht ganz ungefährliche Umgang mit Sprengstoff bei einer militärischen Verteidigung der Munitionsfabrik zu einem nahezu unkalkulierbaren Gefährdungsrisiko für die Umgebung werden würde." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 164 Am 22. Februar 1945 wurde eine Dampflok auf dem Anschlussgleis der Muna getroffen. Der Bereich um Bremerhaven sollte als "Festung Wesermünde" verteidigt werden.²6 Am 20. April wurden 440 Ungarinnen in den frühen Morgenstunden aus dem Lager Bilohe evakuiert. In den Abendstunden fielen erstmals Bomben auf das Gelände der Muna. Die Produktion wurde aber wieder aufgenommen. Die Muna sollte in zwei Linien verteidigt werden: Das Page 925
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verwaltungsgebiet der Muna sollte als Zitadelle (Festung in der Festung) ausgebaut werden. Die Straßen nach Bremerhaven/Wesermünde, Osterholz-Scharmbeck und Bremen sollten mit MG-Ständen, Panzersperren, Panzergräben und -fallen, Tobrukständen und Schützenlöchern für Panzerfaustschützen gesichert werden. "Dieser ausgebaute Stützpunkt war für die umliegenden Ortschaften selbstverständlich auch eine große Gefahr für den Fall, daß es hier zu Kampfhandlungen gekommen wäre", schrieb der Lagerleiter Major Pfeiffer später.²7 Besonders gefährlich wurde die Lage, als am 12. April die Eisenbahnstrecke an mehreren Stellen durch Bombentreffer völlig zerstört wurde. Drei Tage lang lebten alle in Angst vor einem weiteren Angriff, der die im Muna-Gelände unbeweglich stehenden Munitionswaggons hätte sprengen können. „Das Verteidigungskonzept hatte sich total geändert. Die Muna war über Funk informiert worden, die Feindlage würde in Kürze die Zerstörung der Anlage erforderlich machen. Befehl: Das bewaffnete Personal sollte sich danach nach Nordholz begeben und dem dortigen Kampfkommandanten unterstellen. Der Rest der Gefolgschaft sollte - ausgerüstet mit Handgranaten und Panzerfäusten - in der Umgebung der Anlage zum Kleinkrieg bereitstehen." – Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 170 Das umfangreiche Lebensmittellager der Muna wurde Page 926
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt am 9. und 10. April endgültig geräumt und die Bestände an die Zivilbevölkerung verteilt. Am Abend des 20. April fielen gezielt Bomben auf die Muna, nachdem noch kurz zuvor im Rahmen der Aktion Räumung der Munitionsbestände" unter Aufbietung aller Kräfte Sprenggranaten gefüllt und in 51 Waggons abtransportiert worden waren. Am 29. April befreiten englische Truppen das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Die Leitung der Muna beklagte "das gesunkene Pflichtbewußtsein bei der zivilen Gefolgschaft, Einsatzbereitschaft sei kaum noch zu erkennen." Am 4. Mai wurde die Munitionsfertigung endgültig eingestellt. Die Sprengung der Anlage wurde organisiert und begann um 18 Uhr. In vier Stunden wurden 30 Detonationen gezählt.²8 „Mit sofortiger Wirkung haben alle Zivilisten in ihren Wohnungen zu bleiben. ... Die Haushaltsvorstände haben an ihre Haustüren ein Verzeichnis der Einwohner zu heften, ebenso ein Verzeichnis der aufbewahrten Waffen und Munition. Die Aufnahme und Beherbergung von Mitgliedern der deutschen Streitkräfte ist verboten." – Die Alliierten: Übergabe um 12.10 Uhr am 4. Mai 1945, Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 170 Die Sprengung des Salpeterlagers ergab den größten Explosionskrater. Turmförmig stiegen die Detonationswolken auf Page 927
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt mehrere 100 m hoch, und der nebelförmige Pulverdampf wurde bei leichtem Südwind in die nördlichen Waldgebiete geweht. Durch den in der Luft verbrennenden staubförmigen Pulverstoff und die gesprengten Lagerhäuser voller Papier und Pappe entstanden im Wald acht große Brände. Da auch Straßen gesprengt waren, konnten keine Feuerlöschfahrzeuge eingesetzt werden. Die Brände blieben sich selbst überlassen, plötzlich einsetzender Regen verhütete eine Katastrophe. Ein Zeitzeuge berichtete, dass die Ostarbeiter im Dorf auf den Unterständen gestanden haben und bei jeder Explosion jubelnd in die Luft gesprungen sind. Die Explosionen waren so stark, dass riesige Steinbrocken über 100 m in der Wiese des Bauern H. unweit des Giehler Baches landeten.²? Am 6. Mai wurde die bedingungslose Kapitulation im Elbe-Weser-Dreieck bekannt gegeben. Der Lagerführer des Gefangenenlagers Lübberstedt "verließ auf einem gestohlenen Fahrrad seine Dienststelle".³° Die Zivilbevölkerung begann, zerstörte Brücken wieder benutzbar zu machen und Panzersperren abzubauen. Nutzung der Muna nach 1945 Wegen des zerstörten Zaunes und beginnender Plünderungen wurden Soldaten auf Streife geschickt. Deutsche Arbeiter, die sogenannte „Schwarze Wache", räumten unter amerikanischer Aufsicht die Trümmer der gesprengten Anlage auf. Die Telefon- und die Versorgungsleitungen Page 928
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden geflickt und das Gelände gesäubert. Dabei setzten die Amerikaner auch Metalldetektoren und Geigerzähler ein, denn bei ihnen hatte die Sicherheit Vorrang. Die Muna diente ihnen als Material- und Munitionsdepot. Sie suchten den Kontakt zur Bevölkerung, zeigten Schulkindern englischsprachige Filme und bescherten sie zu Weihnachten. 1951 wurde in einem Gebäude der Kaserne ein Kinderheim des Roten Kreuzes eingerichtet, mit 60 schulpflichtigen Kindern belegt und am 1. November eine Heimschule eingerichtet, die aber nur 11 Monate bestand. Die Kinder wurden in ihre Heimatkreise Stade, Bremervörde und Wesermünde zurückgeschickt. Weihnachten 1952 wurden im selben Haus 48 männliche junge Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone untergebracht, die aus dem Sammellager in Sandbostel kamen. Danach bestand wieder ein DRK-Kinderheim in der Kaserne mit Kindern, die nach Axstedt zur Schule gingen. 1954 verließen die Amerikaner die Muna. Nach Umbau und Renovierung bezog 1956 die Bundeswehr die Kaserne. Das Depot mit den 56 erhaltenen Bunkern wurde von der Nato benutzt und mit einem 2. Zaun zusätzlich gesichert. Am 31. Dezember 2009 gab die Bundeswehr endgültig das Depot auf. Die forstwirtschaftliche Nutzung des Waldes hat wieder den Vorrang. Die Kaserne wurde zur privaten Nutzung verkauft.³¹ Gräber in Axstedt und Lübberstedt Page 929
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In Axstedt gibt es eine Grabstelle für ein Lageropfer, die vom Primelclub³² gepflegt wird. In Lübberstedt sind 3 jüdische Frauen, 1 Ostarbeiterin, 1 Ostarbeiter und 7 Kinder bestattet worden. Sie sind 1989 zu einer Gemeinschaftsanlage vereinigt worden, die vom AK MUNA gepflegt wird. 1997 hat der AK ihre Namen ermittelt und sie auf 2 Namenssteinen meißeln lassen. Mit dem Namen haben sie auch ihre Würde wieder erhalten. Die Steine stehen jetzt vor dem Gedenkstein mit der Inschrift: ERINNERT EUCH HIER RUHEN ZWANGSARBEITER MÄNNER FRAUEN KINDER Führungen über das Gelände der MUNA Lübberstedt Seit Frühjahr 2012 bietet der Verein Arbeitskreis MUNA an jedem zweiten Sonntag im Monat Führungen über das Muna-Gelände an.³4 Literatur - Barbara Hillman, Volrad Kluge, Erdwig Kramer: Lw. 2/XI – Muna Lübberstedt – Zwangsarbeit für den Krieg. Unter Mitarbeit von Thorsten Gajewi und Rüdiger Kahrs. Edition Temmen, Bremen 1995, ISBN 3-86108-254-3. - MUNA Lübberstedt, Prospekt des Arbeitskreises MUNA Lübberstedt e.V., o.J. Einzelbelege Page 930
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [1] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 208f [2] Diese Bezeichnung besagt, dass es sich um die 2. Muna im Luftgaukommando XI (Hamburg) handelte. [3] Internetseite des Arbeitskreises Memorial [4] Der Zentralnachweise zur Geschichte von Widerstand ... war vor deren Auflösung bei der Landeszentrale für Politische Bildung in Hannover angesiedelt. [5] Adresse des Fördervereins der Geschichte der Arbeiterbewegung ... siehe hier [6] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 13 [7] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 18 [8] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 38 [9] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 22 [10] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 46f [11] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 48 [12] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 53 [13] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 56 [14] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 62 [15] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 73 [16] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 78f [17] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 80f [18] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 82 [19] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 85 [20] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 88 [21] "Es war Ende April. Ein Evakuierungszug von Gefangenen aus Bremen Farge kam auf dem Weg zum Lager in Sandbostel durch Hambergen. Der Zug wurde von Wachsoldaten begleitet. Sie machten Quartier auf einem Gehöft in Hambergen-Bullwinkel. Die Gefangenen waren so ausgehungert, daß sie über Steckrüben und Getreidesäcke herfielen. Drei Gefangene versteckten sich auf dem Heuboden. Am Morgen versuchte einer der Gefangenen - ein polnischer Friseur - aus einem Fenster zu Page 931
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt entkommen. Doch ein Soldat sprang hinterher und erschoß ihn mit der Pistole. An Ort und Stelle wurde der Tote begraben. Am Vormittag setzte dann der Evakuierungszug seinen traurigen Marsch fort. Die beiden übriggebliebenen Gefangenen verließen danach das Grundstück und flüchteten in die Hamberger Feldmark. Dort warteten sie versteckt in einer Rübenmiete das Kriegsende ab. In Lübberstedt rannten Häftlinge aus dem Elendszug in ein Haus an der Straße und stahlen eine Schüssel mit Kartoffeln vom Tisch." (Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 89f) [22] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 95 [23] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 95 [24] In dem Buch Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 141 - 146 wird die Geschichte von drei ungarischen Jüdinnen nachgezeichnet. [25] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 117f [26] Anfang 1944 erging der Befehl, die Muna zu einem vorgeschobenen Stützpunkt der Festung Wesermünde auszubauen. Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 163 [27] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 164 [28] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 190 [29] schriftliche noch unveröffentlichte Mitteilung des Vorsitzenden des AK MUNA-Lübberstedt, Erdwig Kramer, vom 25. April 2012 [30] Lw. 2/XI - Muna Lübberstedt, S. 162 [31] schriftliche noch unveröffentlichte Mitteilung des Vorsitzenden des AK MUNA-Lübberstedt, Erdwig Kramer, vom 25. April 2012 [32] Primelclub ist die Kurzbezeichnung für die "Frauenvereinigung "Unser Page 932
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt schönes Dorf Axstedt"" [33] Auf den beiden Tafeln vor dem Gedenkstein sind die Namen der Opfer des KZ-Außenlagers Bilohe verzeichnet: Michael Zjaschtschenko (1919 - 1943), Fani Pavel (1915 - 1944), Rexfin Weiss (1910 1945), Sari Katz (1920 1945), Etel Jezkovits (1926 - 1945), Leonit Prostschenko (1944 - 1944), Natalie Kuleschenko (1943 - 1944), Vitalei Tazuk (1943 - 1944), Antonia Sorokina (1937 - 1944), Katja Oksenjuk (1943 1944), Wigtor Noska (1943 - 1944) und Walentin Tschernenko (1944 - 1944) [34] Anmeldungen (auch für Rollstuhl- und Fahrradfahrer) zu den Führungen sind möglich unter Tel. 04793-4323962 und E-Mail:
[email protected] Weblinks - Internetseite des Arbeitskreises MUNA Lübberstedt - Linkkatalog zum Thema Arbeitskreis MUNA Lübberstedt bei DMOZ - Außenlager der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Memento vom 16. Oktober 2014 im Internet Archive) - Lübberstedt auf der Seite "Relikte in Niedersachsen und Bremen" - Muna Lübberstedt Inszenierung einer Militärbrache durch die Theatergruppe Das letzte Kleinod - Munitionsanstalt bald für Führungen offen, Weser-Kurier vom 30. März 2012 Lufthauptmunitionsanstalt Lübberstedt Die Lufthauptmunitionsanstalt Lübberstedt (umgangssprachlich Muna Lübberstedt) war eine zwischen 1936 und 1945 Page 933
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt bestehende Munitionsanstalt der deutschen Luftwaffe im Bremer Wald zwischen Lübberstedt und Bilohe im heutigen Landkreis Osterholz. Die genaue Bezeichnung lautete Lufthauptmunitionsanstalt 2/XI Lübberstedt, was „2. Muna im Luftgau-Kommando XI (Hamburg)" bedeutete. Von August 1944 bis April 1945 gehörte ein Außenlager des KZ Neuengamme zu der Muna. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gelände in den Händen britischer und amerikanischer Truppen und wurde später von der Bundeswehr übernommen. Geschichte Der Planungsbeginn der Anlage war 1936. Vom Herbst 1939 bis Mitte 1940 entstanden sieben Barackenlager des Reichsarbeitsdienstes (RAD) und der Wehrmacht in Axstedt und Lübberstedt. Der Betrieb der Muna lief im August 1941 mit der Fertigstellung von Luftwaffenmunition, insbesondere Flakmunition und Seeminen, an. Zur Lagerung der fertigen Munition wurden ca. 100 oberirdische erdummantelte Bunker gebaut.¹ Die Aufsicht lag in den Händen von deutschen dienstverpflichteten Frauen und Gefolgschaftsleuten. Die Arbeit musste im Wesentlichen von ca. 1600 Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen erledigt werden. Es waren Ostarbeiter und -innen, Kriegsgefangene und 500 jüdische Frauen aus Ungarn. Sie kamen am 21. August 1944 von Auschwitz und wurden im KZ-Außenlager von Neuengamme Page 934
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt in Lübberstedt-Bilohe untergebracht. Am 20. April 1945 wurde dieses Lager evakuiert. Die Arbeiterinnen wurden mit einem Zug abtransportiert, in dem auch mehrere Waggons mit Munition mitgeführt wurden. In der Nähe von Eutin und Plön wurde der Zug von britischen Fliegern am 3. Mai 1945 bombardiert. Die Frauen nutzten teilweise die Gelegenheit zur Flucht. Von den 500 Frauen überlebten rund 380 den Krieg. Der Fertigungsbereich und einige Bunker der Muna wurden am 4. Mai 1945 von der Wehrmacht gesprengt. Nachnutzung Britische Truppen besetzten die Muna Lübberstedt und übergaben das Gebiet nach kurzer Zeit an die amerikanischen Streitkräfte. Es entstand ein Munitionsdepot. 1948 wurde von hier aus eine Schulspeisung organisiert. Im Sommer 1951 wurde vom Deutschen Roten Kreuz ein Kinderheim eingerichtet. Die schulpflichtigen Kinder wurden in einer Heimschule unterrichtet. Nach der Schließung wurde 1954 erneut ein Kinderheim durch das Rote Kreuz geführt. Von 1945 bis 1954 und von 1978 bis 1992 waren in Lübberstedt amerikanische Soldaten stationiert. Während der Operation Desert Storm (Unternehmen Wüstensturm) diente das Munitionsdepot in Lübberstedt 1991 als Umschlagplatz für Verschiffung von Kriegsgerät in den Irak. In den 14 Jahren nach 1978 seien immer etwa 15 bis 20 Page 935
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt US-Soldaten der 2nd Armored Division "Hell on wheels" in Lübberstedt stationiert gewesen, betonten US-Oberst Marlo D. Russ und Oberstleutnant Gerd-Jürgen Gruß beim Abschied der Amerikaner aus Lübberstedt 1992.² Von 1956 bis 31. Dezember 2009 nutzte die Bundeswehr den Komplex als Munitionsdepot und als Kaserne, später als Materiallager. Danach wird der Wald wieder forstwirtschaftlich genutzt, und die Kasernengebäude wurden verkauft. Arbeitskreis MUNA Lübberstedt Am 27. Januar 1996 wurde in Hambergen der Arbeitskreis MUNA Lübberstedt e. V. gegründet. Der Verein pflegt und gestaltet die Gemeinschaftsgrabanlage mit 12 Verstorbenen auf dem Friedhof in Lübberstedt – sie wurden 1989 zu einer Anlage zusammengelegt. Auf dem Gedenkstein steht: ERINNERT EUCH HIER RUHEN ZWANGSARBEITER MÄNNER FRAUEN KINDER Die Bundeswehr nutzt das Gelände seit Herbst 2009 nicht mehr. Der Verein hat eine Öffnung des Geländes erreicht. Es soll eine Erlebnislandschaft mit einer kleinen Dokumentationsstätte entstehen.4 Führungen durch das Muna-Gelände (auch für Rollstuhl- und Fahrradfahrer) werden vom Arbeitskreis angeboten.5 Page 936
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Fotos vom Zustand der Muna 2010 (aufgenommen bei der Vorführung des Theaterstückes von „Das letzte Kleinod", September 2010) Verladerampe ehem. Heizkraftwerk Zustand 2010 Theatervorführung innerhalb einer Halle Gebäudezustand 2010 Eingang zum Munitionsbunker 04 Theaterstück „MUNA Lübberstedt" Die Theatergruppe „Das letzte Kleinod" inszenierte im September 2010 das Stück Muna Lübberstedt – Dokumentarische Inszenierung einer Militärbrache.6 Der Regisseur und Autor des Stückes, Jens-Erwin Siemssen, hat mit vielen Zeitzeugen aus der Umgebung und Überlebenden des Lagers gesprochen, die als Kinder oder Jugendliche die Lufthauptmunitionsanstalt Lübberstedt erlebt hatten, um das über die Region hinaus beachtete Theaterstück zu schreiben.7 Page 937
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Erstmals seit 70 Jahren wurde der Stacheldraht für Besucher geöffnet. Die Besucher wurden vom Bahnhof Lübberstedt mit einem historischen Triebwagen in die Muna gefahren. Um die Genehmigung für die Nutzung des Areal zu bekommen, musste die Künstlergruppe die überwachsenen 7,8 km langen Gleise erst freiräumen und ausbessern lassen. Szenen des Theaterstückes - Waldhaus – Das „Waldhaus" war ehedem ein Ausflugslokal in der Nähe des Bahnhofes Lübberstedt, das von Wochenendtouristen aus Bremen und Bremerhaven besucht wurde.8 - Schneiderstube – In der Schneiderei arbeiteten Frauen an Ausbesserungen. - LKW – Wenn ein Transport mit Frauen kam, musste eine Frau aus der Schneiderstube übersetzten. - Rote Marie – Die Aufseherin war eine große blonde Frau, deren Haare sich rot gefärbt hatten – wegen des Materials, mit dem die Bomben gefüllt wurden. - Kleine Marie – Eine grausame Aufseherin, deren ganzer Stolz es war, ihrer Kolonne deutsche Lieder beizubringen. - Galoschen – Die Frauen klapperten mit Holzgaloschen über die Pflastersteine. - Munition – In den Bunkern von achtzehn Meter Breite und vierzehn Metern Tiefe wurde Munition gelagert. - Baracken – In den Baracken gab es doppelstöckige Betten. Zu essen gab es Gemüsesuppe. „Heinrich, aus den Sudeten", steckte des Gefangenen auch mal Schokolade oder Wurst durch den Zaun zu. Page 938
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Kriegsende – Am Kriegsende wurden Gebäude und Brücken gesprengt. Fotos vom Zustand der Muna 2012 (aufgenommen bei der Begehung des Geländes durch den Arbeitskreis MUNA Lübberstedt am 21. April 2012) Hauptwache am Eingang zur Muna in der Wohlthöfener Straße Schild des Arbeitskreises MUNA Lübberstedt, der ab 2012 Führungen über das Gelände anbietet Haupt-Straße vom Wachgebäude in die Muna mit ehemaligen Kasernengebäuden Bahnanlagen Werkhallengebäude Eingänge zu den oberirdischen Bunkern – Lüftungsschacht oben Löschwasserteich mit gemauerten Rändern Page 939
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gesprengtes Gebäude der ehemaligen Pulvermühle INST-Haus – für Instandsetzungen von Munition, deshalb rechts mit einem haushohen Schutzwall leichte Hallengebäude einer der vielen Löschwasserteiche im Gelände Straßenschild (Ohnacker = Generalmajor Jakob Ohnacker) Literatur - Barbara Hillman, Volrad Kluge, Erdwig Kramer: Lw. 2/XI – Muna Lübberstedt – Zwangsarbeit für den Krieg. Unter Mitarbeit von Thorsten Gajewi und Rüdiger Kahrs. Edition Temmen, Bremen 1995, ISBN 3-86108-254-3. - MUNA Lübberstedt, Prospekt des Arbeitskreises MUNA Lübberstedt e.V., o. J. Weblinks - Internetseite des Arbeitskreises MUNA Lübberstedt - Linkkatalog zum Thema Lufthauptmunitionsanstalt Page 940
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Lübberstedt bei DMOZ - Außenlager der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Memento vom 16. Oktober 2014 im Internet Archive) - Lübberstedt auf der Seite „Relikte in Niedersachsen und Bremen" - Muna Lübberstedt auf Geschichtsatlas.de - Rüdiger Kahrs, Die Evakuierung des KZ-Außenlagers Lübberstedt bei Bremen nach Ostholstein 1945 Einzelnachweise [1] Lw. 2/XI – Muna Lübberstedt (s. Literatur), S. 21. [2] Amerikaner verabschieden sich aus Lübberstedt, Artikel im Osterholzer Kreisblatt, 15. Juni 1992. [3] Auf den beiden Tafeln vor dem Gedenkstein sind die Namen der Opfer des KZ-Außenlagers Bilohe verzeichnet: Michael Zjaschtschenko (1919 – 1943), Fani Pavel (1915 – 1944), Rexfin Weiss (1910 – 1945), Sari Katz (1920 – 1945), Etel Jezkovits (1926 – 1945), Leonit Prostschenko (1944 – 1944), Natalie Kuleschenko (1943 – 1944), Vitalei Tazuk (1943 – 1944), Antonia Sorokina (!937 – 1944), Katja Oksenjuk (1943 – 1944), Wigtor Noska (1943 – 1944) und Walentin Tschernenko (1944 – 1944). [4] Der Verein MUNA Lübberstedt möchte an der ehemaligen Lufthauptmunitionsanstalt Lübberstedt eine Gedächtnisstätte errichten. (Weser-Kurier.de) [5] Aktivitäten des Arbeitskreises MUNA Lübberstedt e.V. [6] Muna Lübberstedt der Theatergruppe Das letzte Kleinod. [7] Geschichte atmen in alter Munitionsfabrik. Page 941
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt In: Die Welt. 3. September 2010. [8] Historisches Foto des Lokals "Waldhaus Lübberstedt", das heute als Seniorenheim geführt wird. Koordinaten: 53° 20' 17? N, 8° 46' 33? O Normdaten (Körperschaft): GND: 4400640-8 Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit (englisch crime against humanity, französisch crime contre l'humanité) ist ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht, der durch einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung gekennzeichnet ist. Erstmals völkervertraglich festgelegt wurde der Tatbestand 1945 im Londoner Statut des für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes geschaffenen Internationalen Militärgerichtshofs. Die heute wichtigste vertragliche Rechtsquelle ist Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist daneben auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Entsprechende Straftatbestände finden sich in einer Vielzahl nationaler Strafgesetzbücher. Entwicklung des völkerrechtlichen Begriffs Eine wichtige völkerrechtliche Setzung war die Verurteilung des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Page 942
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reich am 24. Mai 1915 in einer Protestnote durch die Triple Entente; England, Frankreich und Russland drohten der jungtürkischen Regierung darin, diese „Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Zivilisation" würden nach Kriegsende verfolgt werden. Juristisch wurde der Begriff erstmals 1946 zur Ahndung der Kriegsverbrechen bei den Nürnberger und Tokioter Prozessen definiert und benutzt (siehe auch: Völkermord). Dieses Vorgehen war damals umstritten, da nach rechtsstaatlichen Prinzipien eigentlich nur Verbrechen verfolgt werden können, die nach dem Erlass des entsprechenden Gesetzes begangen werden. Damit soll Willkür bei Strafmaß und Definition des Straftatbestands verhindert werden. Der Hinweis auf das nationalstaatliche Rückwirkungsverbot im Strafrecht greift hier zu kurz, da das Nürnberger Tribunal sich auf das Völkerrecht bezog und auf internationale Verträge und Verbindlichkeiten hinwies, die durch das NS-Regime im internationalen Maßstab verletzt oder ignoriert worden waren. In den Nürnberger Prozessen wie auch in mehreren Verlautbarungen der Vereinten Nationen wurde und wird die Massenvernichtung in Konzentrationslagern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit beurteilt. Da die „industrielle Tötung von Menschen" (Hannah Arendt) sich nicht ausschließlich gegen solche jüdischer Abstammung gerichtet habe, handle es sich nicht durchgehend um Völkermord, sondern wird unter „crime against Page 943
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt humanity" subsumiert. Seit dem 1. Juli 2002 besteht der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag als ständige Institution zur Verfolgung dieser Verbrechen. Der IStGH berücksichtigt den oben genannten Rechtsgrundsatz und darf nur Straftaten verfolgen, die nach dem Inkrafttreten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (1. Juli 2002) begangen wurden. Definition der Londoner Charta vom 8. August 1945 „Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem: Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Akte gegen die Zivilbevölkerung oder: Verfolgung aufgrund von rassistischen, politischen und religiösen Motiven; unabhängig davon, ob einzelstaatliches Recht verletzt wurde." Mit der Londoner Charta verständigten sich die Alliierten auf ein gemeinsames Strafrecht, das ihren jeweiligen nationalen Rechtssystemen übergeordnet war. Sie bildete die juristische Grundlage für die Nürnberger Prozesse gegen die wichtigsten gefangenen NS-Machthaber. Definition im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Artikel 7 des 2002 in Kraft getretenen Römischen Statuts als Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofes definiert den Page 944
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" im Einzelnen. Die Vorschrift listet eine Vielzahl einzelner Handlungen (wie etwa vorsätzliche Tötung) auf, die jeweils dann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, wenn sie im Zuge eines „ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung" erfolgen. Im Gegensatz zu Kriegsverbrechen können Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch außerhalb bewaffneter Konflikte begangen werden. Zudem werden auch Angriffe gegen die eigene Zivilbevölkerung völkerstrafrechtlich erfasst. Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist weiter als der Tatbestand des Völkermordes. Während Völkermord die Zerstörung bestimmter abschließend aufgezählter Gruppen (nationale, ethnische, rassische, religiöse und soziale Gruppen) voraussetzt, können Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen jede Zivilbevölkerung begangen werden. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass ein Täter bezüglich der einzelnen Tathandlung vorsätzlich sowie in Kenntnis des systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung handelt. Artikel 7 des Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs: - Absatz 1: Jeder der folgenden Akte, wenn sie im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs erfolgen: + (a) vorsätzliche Tötung Page 945
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt + (b) Ausrottung + (c) Versklavung + (d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung + (e) Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts + (f) Folter + (g) Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, erzwungene Sterilisation und ähnliche schwere sexuelle Eingriffe + (h) Verfolgung einer Gruppe oder Einheit aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen, religiösen, geschlechtlichen oder anderen Gründen, die allgemein als unzulässig anerkannt sind im internationalen Recht in Verbindung mit diesem Paragraph und den anderen Verbrechen, die der Jurisdiktion dieses Gerichtes unterliegen. + (i) Apartheid + (j) Zwangsweises Verschwindenlassen von Personen + (k) Andere unmenschliche Behandlungen ähnlichen Charakters, die vorsätzlich großes Leid oder schwere körperliche oder mentale Verletzungen verursachen. - Absatz 2: Zur Definition von Absatz 1: + (a) Angriff gegen die Zivilbevölkerung bedeutet: Eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in (§ 1) genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder Page 946
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. + (b) Ausrottung bedeutet die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen wie zum Beispiel den Entzug von lebensnotwendigem Material wie Lebensmittel und Medikamenten mit dem Ziel, Teile der Bevölkerung zu vernichten. + (c) Versklavung bedeutet die Ausübung jeglicher Gewalt, um über Menschen als Eigentum zu verfügen, inklusive des Menschenhandels, insbesondere mit Frauen und Kindern. + (d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung bedeutet die erzwungene, völkerrechtlich unzulässige Verbringung der betroffenen Personen durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen aus dem Gebiet, in dem sie sich legal aufhalten. + (e) Folter bedeutet die absichtliche Schmerzenszufügung, körperlich oder mental, von Personen in Haft oder unter Kontrolle durch Ankläger, ausgenommen sind Schmerzen und Leiden, die der legale Strafvollzug mit sich bringt. + (f) Erzwungene Schwangerschaft bedeutet die rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Die Bestimmung ist nicht so auszulegen, als berühre sie innerstaatliche Gesetze in Bezug auf Schwangerschaft. + (g) Verfolgung bedeutet die absichtliche, schwere Verletzung von Page 947
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt fundamentalen Grundrechten gegen internationales Recht wegen der Identität einer Gruppe oder Gemeinschaft. + (h) Apartheid bedeutet unmenschliche Akte ähnlich denen im (§ 1), verübt durch ein institutionalisiertes Regime, in Form einer systematischen Unterdrückung und Dominierung einer Rasse durch eine andere. + (i) Zwangsweises Verschwindenlassen von Personen bedeutet die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen; durchgeführt, unterstützt oder gebilligt durch einen Staat oder eine politische Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. - Absatz 3: Der Ausdruck „Geschlecht" bezieht sich auf beide Geschlechter, das männliche und weibliche, im gesellschaftlichen Zusammenhang. Er hat keine andere als die vorgenannte Bedeutung. Strafbarkeit nach nationalem Recht Deutsches Recht Im deutschen Strafrecht sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) überall sowie durch jeden und an jedem strafbar (Weltrechtsprinzip, siehe § 1 VStGB). Die Anwendung wird durch die Ausprägung des Opportunitätsprinzips in § 153f Page 948
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Strafprozessordnung (StPO) wesentlich eingeschränkt. Insbesondere kann hiernach von einer Verfolgung abgesehen werden, wenn die Verbrechen gegen die Menschlichkeit „vor einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt werden". Frankreich 2001 verabschiedete das französische Parlament (Nationalversammlung) ein Gesetz namens loi Taubira. In diesem Gesetz erkannte Frankreich den Sklavenhandel und die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an.¹ (Berichterstatterin für das Gesetz war Christiane Taubira; sie ist seit 2012 Justizministerin). Zur Terminologie: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" oder „… gegen die Menschheit"? Der englische Begriff humanity kann sowohl mit Menschlichkeit als auch mit Menschheit übersetzt werden. Neben anderen Kritikern hielten Karl Jaspers und Hannah Arendt die offizielle und übliche Übersetzung Verbrechen gegen die Menschlichkeit für einen Euphemismus und sprachen von Verbrechen gegen die Menschheit. Arendt schrieb dazu in ihrem Buch über den Eichmann-Prozess 1963: „Das den Nürnberger Prozessen zugrunde liegende Page 949
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Londoner Statut hat […] die ‚Verbrechen gegen die Menschheit' als ‚unmenschliche Handlungen' definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit' geworden sind; als hätten es die Nazis lediglich an ‚Menschlichkeit' fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts."² Siehe auch - Weltrechtsprinzip Literatur - Bernhard Kuschnik: Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Herleitungen, Ausprägungen, Entwicklungen. Duncker & Humblot, Berlin 2009, ISBN 978-3-428-13038-2. - Raoul Muhm: Germania: La rinascita del diritto naturale e i crimini contro l'umanità. (dt. Deutschland: Die Renaissance des Naturrechts und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit.; englisch Germany: The renaissance of natural law and crimes against humanity.), Vecchiarelli Editore Manziana (Roma) 2004, 88-8247-153-5. - Daniel Marc Segesser: Die historischen Wurzeln des Begriffs „Verbrechen gegen die Menschlichkeit". In: Institut f. Juristische Zeitgeschichte Hagen: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte. Band 8 2006/2007, S. 75–101, ISBN 978-3-8305-1471-8 (Google Books). - Stephan Meseke: Der Tatbestand der Verbrechen Page 950
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes. Eine völkerstrafrechtliche Analyse. 2004, ISBN 978-3-8305-0884-7. Weblinks Wiktionary: Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen Commons: Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien - Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, dort: Artikel 7, Verbrechen gegen die Menschlichkeit - § 7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Definition des Tatbestandes im Völkerstrafgesetzbuch Einzelnachweise [1] Volltext (frz.) [2] Eichmann in Jerusalem, Ausg. 2004, S. 399. Normdaten (Sachbegriff): GND: 4124385-7 Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen sind ausgewählte und schwere Verstöße gegen die Regeln des in internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts, deren Strafbarkeit sich unmittelbar aus dem Völkerrecht ergibt.¹ Kriegsverbrechen zählen zu den Kernverbrechen des Völkerstrafrechts und unterfallen dem Weltrechtsprinzip. Page 951
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Begriffsbestimmung Allgemeiner Sprachgebrauch Der Begriff „Kriegsverbrechen" wird im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in (älteren) völkerrechtlichen Abkommen uneinheitlich und teils widersprüchlich gebraucht.² In manchen Fällen sind sehr allgemein jegliche im Zuge eines Krieges auftretenden strafbaren Handlungen gemeint. Gelegentlich wird „Kriegsverbrechen" auch als Sammelbegriff für Völkerrechtsverbrechen im Allgemeinen verwendet.³ Im Gegensatz zu diesen juristisch unpräzisen Begriffsverwendungen ist die völkerrechtliche Begrifflichkeit enger und weist klare Abgrenzungskriterien auf. Völkerrechtlicher Begriff Eine abschließende völkerrechtliche Definition des Begriffes Kriegsverbrechen existiert nicht. Nach heutigem Stand des Völkergewohnheitsrechts sind Kriegsverbrechen ausgewählte und schwere Verstöße gegen die Regeln des in internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechtes. Kriegsverbrechen können daher einerseits auch dann begangen werden, wenn der bewaffnete Konflikt unterhalb der Schwelle eines Krieges im engeren Sinne bleibt. Zudem können Kriegsverbrechen andererseits auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten begangen werden. Die Unterscheidung zwischen internationalen und Page 952
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nichtinternationalen bewaffneten Konflikten hat jedoch Bedeutung für die Frage, welche Tatbestände in einem Konflikt als Kriegsverbrechen strafbar sind (siehe Abschnitt Strafbare Kriegsverbrechen). Zu den in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des Völkerrechtes, die zusammenfassend auch als Humanitäres Völkerrecht bezeichnet werden, zählen namentlich u. a. die Haager Landkriegsordnung, sowie die Genfer Konventionen. Die dort verankerten Regeln sind im Ausgangspunkt für diejenigen an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien bindend, die zugleich Vertragspartei dieser internationalen Übereinkünfte sind. Zu den in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des Völkerrechtes gehören darüber hinaus auch die als Völkergewohnheitsrecht anerkannten Grundsätze und Regeln, die auf bewaffnete Konflikte allgemein anwendbar sind. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat auf der Basis der Schlussfolgerungen der Studie „Customary International Humanitarian Law: Volume 1, Rules"4 eine – im Einzelnen nicht unbestrittene – Liste der gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Völkerrechts herausgegeben, die auch in einer deutschen Übersetzung5 vorliegt. Soweit eine internationale Übereinkunft inhaltlich eine Regel des Völkergewohnheitsrechts wiedergibt, ist diese Regel für alle Konfliktparteien bindend, auch wenn eine Partei nicht Vertragspartei der Page 953
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt entsprechenden Übereinkunft ist (siehe hierzu auch: Allbeteiligungsklausel). Nicht jeder Verstoß gegen Regeln des bewaffneten Konfliktes stellt zugleich auch ein Kriegsverbrechen dar. Nach Regel 156 der Liste der gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Völkerrechts stellen nur „schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts" Kriegsverbrechen dar. Dementsprechend enthält zum Beispiel das Genfer Abkommen I („Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde") in Artikel 49 Absatz 1 die Bestimmung, dass die Vertragsparteien „angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen [haben], die (…) schwere Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen."6 Verbrechen, die lediglich bei Gelegenheit eines bewaffneten Konfliktes begangen werden, ohne mit diesem Konflikt in einem funktionalen Zusammenhang zu stehen, stellen keine Kriegsverbrechen dar. Abzugrenzen von den Kriegsverbrechen sind ferner weitere, ebenfalls dem Völkerstrafrecht zuzuordnende Verbrechen, namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Gegensatz zu den Kriegsverbrechen auch außerhalb des Kontextes eines bewaffneten Konfliktes begangen werden können. Die Einleitung kriegerischer Handlungen selbst unterfällt nicht den Page 954
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Kriegsverbrechen, sondern wird vom Verbrechen der Aggression völkerstrafrechtlich erfasst.7 Strafbare Kriegsverbrechen Die umfassendste Rechtsquelle hinsichtlich der heute völkerrechtlich als Kriegsverbrechen zu ahndenden Straftatbestände ist das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Nach Art. 8 Abs. 2 b) des Römischen Statuts sind u. a. Kriegsverbrechen „(…) schwere Verstöße gegen die (…) im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, nämlich jede der folgenden Handlungen: i) vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche (…); ii) vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte (…); iv) vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte (…) verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen; v) der Angriff auf unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, die nichtmilitärische Ziele sind (….); vi) die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Kombattanten (…); xvi) die Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung (…); xvii) die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen; xviii) die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase (…); xx) die Page 955
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verwendung von Waffen, Geschossen, Stoffen und Methoden der Kriegführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen (…); xxii) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution (…); xxiii) die Benutzung der Anwesenheit einer Zivilperson oder einer anderen geschützten Person, um Kampfhandlungen von gewissen Punkten, Gebieten oder Streitkräften fernzuhalten; xxv) das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen (…)."8 Da das humanitäre Völkerrecht nur auf internationale bewaffnete Konflikte vollständig anwendbar ist, bestimmen die Art. 8 Abs. 2 c) und e) des Römischen Status die im Falle eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts als Kriegsverbrechen zu ahndenden Tatbestände. Geschichtliche Entwicklung Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg Den ersten internationalen Übereinkünften zur Kodifizierung von Regeln des Kriegsvölkerrechts war die Idee einer individuellen strafrechtlichen Verantwortung für Verstöße gegen Regeln und Gebräuche der Kriegführung noch fremd. Vorherrschend war der Grundsatz der Staatenimmunität, im angloamerikanischen Rechtskreis insbesondere in der Ausprägung der Act-of-State-Doktrin. Die Ausübung hoheitlicher Macht durch die Staatsgewalt, hierzu zählt auch das Militär, Page 956
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurde dem Staat als solchem zugerechnet und war damit der Rechtsprechung eines anderen Staates entzogen. Da zwischen den gleichberechtigten Staaten keine übergeordnete Rechtsprechung existierte (Par in parem non habet imperium) blieb die Frage von Sanktionen im Falle von Verstößen gegen Regeln des Kriegsvölkerrechts ausgeklammert. Erst das Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 enthielt in Art. 3 überhaupt eine Sanktion: „Die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzen sollte, ist gegebenen Falles zum Schadenersatze verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden."? Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg / Zwischenkriegszeit Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges enthielt der Versailler Vertrag in Art. 227 – 230 „Strafbestimmungen", demgemäß u. a. die Alliierten Kaiser Wilhelm II. „wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge"¹° unter öffentliche Anklage stellen würden. Zu einem Kriegsverbrecherprozess kam es jedoch nicht, nachdem die von den den Alliierten am 16. Januar 1920 verlangte Auslieferung von Kaiser Wilhelm II. am 22. Januar 1920 durch die niederländische Regierung unter Page 957
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Königin Wilhelmina abgelehnt wurde. Nach Art. 228 des Versailler Vertrages konnten die Alliierten Personen „wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges" vor ihre Militärgerichte ziehen und deren Auslieferung verlangen.¹¹ Am 3. Februar 1920 übermittelten Vertreter der Alliierten der deutschen Reichsregierung eine Auslieferungsliste mit 895 Namen bzw. mit ihrem Rang oder ihrer Dienststellung bezeichneten Personen.¹² Jedoch schon am 17. Februar 1920 stimmten die Alliierten in einer an die Reichsregierung überreichten Note der Einleitung von strafgerichtlichen Verfahren vor dem Reichsgericht in Leipzig gegen alle Personen, deren Auslieferung zunächst beabsichtigt war, zu. Die Alliierten behielten sich aber trotz des vorläufigen Verzichts auf Auslieferung das Recht vor zu prüfen, ob die Gerichtsverfahren nicht darauf hinausliefen, die Schuldigen der gerichtlichen Bestrafung zu entziehen.¹³ Die daraufhin initiierten Prozesse vor dem Reichsgericht in Leipzig blieben inhaltlich und im Ergebnis für die Weiterentwicklung eines völkerrechtlichen Verständnisses von Kriegsverbrechen unbefriedigend. Den wenigen Verurteilungen lagen das seinerzeit geltende Militärstrafgesetz (Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872) und – ergänzend – das zivile Strafgesetzbuch zu Grunde. Eigenständig aus dem Kriegsvölkerrecht herzuleitende strafrechtliche Sanktionen bei Page 958
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt schweren Verletzungen der Gesetze und Gebräuche der Kriegführung blieben bei diesen Prozessen außer Betracht. Das Kriegsvölkerrecht entwickelte sich zwar in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen fort (Genfer Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege vom 17. Juni 1925, Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929), jedoch enthielten auch diese internationalen Vereinbarungen keine juristische Definition von „Kriegsverbrechen" oder gar eine rechtliche Grundlage für deren spätere Ahndung. Entwicklung in Folge des Zweiten Weltkriegs Die klassische Definition von Kriegsverbrechen findet sich im Londoner Viermächte-Abkommen vom 8. August 1945, mit dem als integraler Bestandteil dieses Abkommens die Charta des Internationalen Militär-Tribunals (Londoner Statut), also Rechtsgrundlage und Prozessordnung für die Nürnberger Prozesse, festgelegt wurden. In Artikel 6 b) dieses Statuts ist der Begriff des Kriegsverbrechens folgendermaßen bestimmt: „Kriegsverbrechen: nämlich Verletzungen der Kriegsrechte oder Gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne darauf beschränkt zu sein, Mord, Mißhandlungen oder Verschleppung der entweder aus einem besetzten Gebiet stammenden oder dort befindlichen Page 959
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit oder zu irgendeinem anderen Zwecke; Ermordung oder Mißhandlung von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See; Tötung von Geiseln; Raub öffentlichen oder privaten Eigentums; mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten und Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung."¹4 ¹5 Die auf der Basis des Londoner Statuts durchgeführten Nürnberger Prozesse und deren Nachfolgeprozesse gelten als Wegweiser und Durchbruch für das Völkerrecht (vgl. hierzu Geschichte des Völkerstrafrechts und Rechtsgeschichtliche Bedeutung der Nürnberger Prozesse). Auch den Prozessen vor dem Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten lagen ähnliche Rechtsgrundsätze wie bei den Nürnberger Prozessen zu Grunde. Am 11. Dezember 1946 bestätigte die UN Generalversammlung die im Statut des Nürnberger Gerichtshofs und in dem Urteil des Gerichtshofs enthaltenen Rechtsgrundsätze als „anerkannte Grundsätze des Völkerrechts".¹6 Die von der Völkerrechtskommission der UN im Jahr 1950 zusammengestellte Abfassung dieser Grundsätze gelten als die Nürnberger Prinzipien.¹7 Unter dem Eindruck der Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg und um das bestehende Regelwerk den Erfahrungen des Krieges anzupassen, wurden am 12. August 1949 die Genfer Abkommen von 1949 unterzeichnet. Im Unterschied zu bisherigen völkerrechtlichen Vereinbarungen Page 960
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt verpflichteten sich in den Abkommen von 1949 die Vertragsparteien, „alle notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die (…) schwere Verletzungen des (…) Abkommens begehen (…)".¹8 ¹? ²° ²¹ Jüngere Entwicklungen Zu weiteren internationalen Kriegsverbrecherprozessen ist es nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Folge des Kalten Krieges trotz vieler, teils auch grausam geführter Konflikte (siehe zum Beispiel Kriegsverbrechen im Koreakrieg, Kriegsverbrechen im Vietnamkrieg, Irak-Iran-Krieg) zunächst nicht gekommen. Ebenso unterblieb die von der UN nach dem Zweiten Weltkrieg in Aussicht genommene Kodifizierung eines Völkerstrafgesetzbuches. Unter dem Eindruck der Jugoslawienkriege beginnend ab dem Jahre 1991 und der Berichte über „massenhafte Tötungen, die massive, organisierte und systematische Internierung und Vergewaltigung von Frauen und die Fortsetzung der Praxis der 'ethnischen Säuberung' " in diesem Konflikt, wurde mit der Resolution 827 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 25. Mai 1993 beschlossen, wieder und erstmals durch die Vereinten Nationen ein internationales Gericht für schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), einzusetzen.²² Page 961
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Mit der Resolution 955 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 8. November 1994 wurde der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda eingesetzt, um den Völkermord und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in Ruanda strafrechtlich zu ahnden.²³ Die bisherigen Strafgerichtshöfe waren jeweils als Ad-hoc-Strafgerichtshof nachträglich entweder durch die Siegerstaaten oder durch Beschluss des Sicherheitsrats eingesetzt. Dies änderte sich mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH bzw. ICC, International Criminal Court) mit Sitz in Den Haag, der durch einen völkerrechtlichen Vertrag, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, geschaffen wurde. Zugleich wurden mit dem Rom-Statut die völkerrechtlichen Verbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie das Verbrechen der Aggression umfassend kodifiziert. Seit in Kraft treten des Rom-Statuts am 1. Juli 2002 können Kriegsverbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof strafrechtlich verfolgt werden. Eine Reihe von Staaten, darunter die über Atomwaffen verfügenden Staaten China, Indien, Israel, Pakistan, Russland und USA, haben das Statut jedoch noch nicht ratifiziert (Stand Februar 2014). Noch nicht ratifiziert haben das Statut somit drei der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – die Volksrepublik China, Russland und die USA. Page 962
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Umsetzung in nationales Recht Deutschland Die Bundesrepublik Deutschland ist ihrer Verpflichtung aus dem Rom-Statut und aus anderen völkerrechtlichen Abkommen zur Schaffung nationaler strafrechtlicher Bestimmung für Straftaten des Völkerstrafrechts mit dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) nachgekommen. Kriegsverbrechen sind als Straftaten in den §§ 8 – 12 VStGB²4 normiert. Die Verfolgungszuständigkeit liegt beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof,²5 Ermittlungen werden von der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (ZBKV) des Bundeskriminalamtes durchgeführt.²6 Die Bundesversorgungsgesetz-Renten für Soldaten der ehemaligen Wehrmacht wurden (auf Initiative von Volker Beck) für alle gestrichen, die „während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen"²7 haben. Schweiz Die Schweiz hat im Zuge Umsetzung des Rom-Statuts im Jahr 2010 Kriegsverbrechen als eigenständige Straftatbestände in die Artikel 264b ff. des schweizerischen Strafgesetzbuches aufgenommen.²8 Page 963
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Literatur - Sigrid Boysen: Kriegsverbrechen im Diskurs nationaler Gerichte. In: AVR. 44, 2006, S. 363 ff. - Roy Gutmann, David Rieff: Kriegsverbrechen. Was jeder wissen sollte. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05343-X. - Sönke Neitzel, Daniel Hohrath (Hrsg.): Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Schöningh, Paderborn 2008, ISBN 978-3-506-76375-4. - Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Wolfram Wette: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Primus Verlag, Darmstadt 2001, ISBN 3-89678-417-X. - Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Primus Verlag, Darmstadt 2003, ISBN 3-89678-232-0. - Gerhard Werle (Hrsg.), Völkerstrafrecht, 3. Auflage 2012, Fünfter Teil: Kriegsverbrechen (Rn. 1020ff.), ISBN 978-3-16-151837-9. Weblinks Commons: Kriegsverbrechen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Wikinews: Kriegsverbrechen – in den Nachrichten Wiktionary: Kriegsverbrechen – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen - Commentary on Article 8 Rome Statute (War Crimes) Online-Gesetzeskommentar zu Art. 8 IStGH-Statut (Kriegsverbrechen), englisch Page 964
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Einzelnachweise [1] Robert Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2014, S. 357, Rn. 50; Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 3. Auflage 2012, Rn. 1021. [2] Vgl. Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 3. Auflage 2012, Rn. 1021. [3] Vgl. Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 3. Auflage 2012, Rn. 1021, m.w.N. [4] . Customary International Humanitarian Law: Volume 1, Rules by Jean-Marie Henckaerts (ICRC) and Louise Doswald-Beck (International Commission of Jurists). Website des IKRK. Abgerufen am 15. Februar 2014. [5] . Übersetzung der gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Völkerrechts Website des DRK. Abgerufen am 15. Februar 2014. [6] . Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde vom 12. August 1949. Website der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 15. Februar 2014. [7] Gerhard Werle (Hrsg.): Völkerstrafrecht, 3. Auflage, 2012, ISBN 978-3-16-151837-9, Randnummer 1021. [8] . Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in der amtlichen deutschen Übersetzung. Website des Auswärtigen Amtes. Abgerufen am 15. Februar 2014. [9] . Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907. Website der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 15. Februar Page 965
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt 2014. [10] Friedensvertrag von Versailles vom 28. Juni 1919. Abgedruckt in RGBl I 1919, S. 981. Website der Österreichischen Nationalbibliothek. Abgerufen am 15. Februar 2014. [11] Vgl. insgesamt: Dokumentation „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik." Das Kabinett Bauer, Bd 1, Einleitung, Auslieferungsfrage Website des deutschen Bundesarchivs. Abgerufen am 15. Februar 2014 [12] Vgl. hierzu: Dokumentation „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik." Kabinettssitzung vom 4. Februar 1920. Website des deutschen Bundesarchivs. Abgerufen am 15. Februar 2014 [13] Vgl. hierzu: Dokumentation „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik." Kabinettssitzung vom 18.Februar 1920. Website des deutschen Bundesarchivs. Abgerufen am 15. Februar 2014 [14] Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg. Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache. [15] Nuremberg Trial Proceedings Vol. 1, Charter of the International Military Tribunal. Website der Yale Law School. Abgerufen am 15. Februar 2014 [16] Bestätigung der durch das Statut des Nürnberger Gerichtshofs anerkannten Grundsätze des Völkerrechts. Resolution 95 (I) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 11. Dezember 1946. Website der UN. Abgerufen am 15. Februar 2014 [17] Principles of International Law Recognized in the Charter of the Nürnberg Tribunal and in the Judgment of the Page 966
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Tribunal. Website der UN. Abgerufen am 15. Februar 2014 [18] Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde vom 12. August 1949, Art. 49 Abs. 1. Website der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 15. Februar 2014. [19] Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See vom 12. August 1949, Art. 50 Abs. 1. Website der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 15. Februar 2014. [20] Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949, Art 129 Abs. 1. Website der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 15. Februar 2014. [21] Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949, Art. 146 Abs. 1. Website der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 15. Februar 2014. [22] Resolution 827 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 25. Mai 1993. Website der Vereinten Nationen. Abgerufen am 15. Februar 2014. [23] Resolution 955 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 8. November 1994. Website der Vereinten Nationen. Abgerufen am 15. Februar 2014. [24] Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254). Website des Bundesministeriums der Justiz. Abgerufen am 15. Page 967
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Februar 2014. [25] Website des Generalbundesanwalts. Abgerufen am 8. April 2014. [26] Website des Bundeskriminalamtes. Abgerufen am 8. April 2014. [27] § 1 a BVG [28] Bundesgesetz über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 18. Juni 2010 Normdaten (Sachbegriff): GND: 4033151-9 Arbeitserziehungslager Als Arbeitserziehungslager (AEL) wurden während der Zeit des Nationalsozialismus errichtete Straflager bezeichnet, die in erster Linie der Disziplinierung von Arbeitskräften dienten. Sie wurden ab 1940 von der Geheimen Staatspolizei errichtet, oft in finanzieller Zusammenarbeit mit von der Zwangsarbeit profitierenden Firmen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es etwa 200 dieser Lager im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten, 500.000 Menschen durchliefen diese Lager, meist mit zeitlich begrenztem Aufenthalt. Der Begriff Arbeitserziehungslager Speziell für Frauen gab es auch eigene AEL. Beispiele hierfür sind das Arbeitserziehungslager Fehrbellin, das Arbeitserziehungslager in Jenbach für die Heinkel-Werke oder in der Stadt Salzburg für ein Heeresbekleidungsmagazin. Andere AEL, wie etwa Oberlanzendorf, hatten eigene Frauenabteilungen. Manche ausdrücklich von Page 968
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Verantwortlichen als „Arbeitserziehungslager" bezeichneten Haftstätten hatten andere Hintergründe als die eines expliziten Arbeitserziehungslagers der Gestapo. So etwa ein von der DAF Oberdonau in Absprache mit dem Gauleiter organisiertes Lager im Innviertel, wo vom Juni 1940 bis Januar 1941 „arbeitsunwillige" Einheimische und einzelne Tschechen von SA-Wachen im Rahmen eines Entwässerungsprojektes eingesetzt wurden. Anderseits wurden „eigentliche" AEL – nämlich die von Gabriele Lotfi als „KZ der Gestapo" charakterisierten, in den späteren Phasen primär für Ausländer bestimmten Haftstätten – zeitweise auch bezeichnet als „Arbeitsstraflager" (so das HGW-eigene AEL Hallendorf bei Salzgitter-Watenstedt bis 1941), als „Straflager" (so Dokumente für Eisenerz und Graz), oder auch als „Auffangund Arbeitserziehungslager", so Lagerstempel des Lagers Reichenau (AEL Innsbruck-Reichenau). Dabei war aber auch dort in Vermerken anderer Behörden etwa bei An- oder Abmeldungen, wenn registriert, meist von „Straflager" die Rede, so etwa ein Meldevermerk aus Bludenz: „letzte Wohnung: Straflager Reichenau". Die undifferenzierte Verwendung verschiedener Bezeichnungen und deren Niederschlag in Dokumenten bedingt eine ungenaue Sprachverwendung, die bei beabsichtigter oder unbeabsichtigter Verharmlosung der Gestapo-Arbeitslager als Straflager des Öfteren zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Page 969
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt führt. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen äußerem Anschein von Normalität vortäuschenden Bezeichnungen und Dokumenten einerseits und der Realität, wie sie, oft untermauert von medizinischen Gutachten, in Schilderungen von Nachkriegsprozessen bis hin zu Anträgen in Sachen Zwangsarbeitszahlungen offenbar wird, feststellbar. Im Falle des AEL Kraut bei Seeboden hat das nutznießende Unternehmen beispielsweise zumindest einen Teil der von ihm eingesetzten AEL-Häftlinge, vor allem Slowenen, bei der Versicherung angemeldet. Bezeichnend ist, dass Häftlinge nur in wenigen, speziellen Fällen Entlassungsdokumente bekamen; noch bezeichnender, dass in vielen Fällen danach Krankenhausaufenthalte nachweisbar sind. Häftlinge der Arbeitserziehungslager In ein AEL konnten örtliche Polizei-Beamte kurzfristig Personen etwa wegen „Nichterfüllung ihrer Arbeitspflicht" einweisen. Nach einem Rund-Erlass des Reichsführers SS Heinrich Himmler vom 15. Dezember 1942 wurden zusätzlich in den größeren Betrieben, in deren Nähe kein AEL war, behelfsmäßige Arbeitserziehungslager unter Aufsicht der Staatspolizei-Leitstellen geschaffen, in denen die Häftlinge durch Angehörige des Werkschutzes bewacht wurden. Es gab auch entsprechende Strafkommandos kleineren Umfanges, zum Teil sogar mobiler Art. Um die Dimensionen und Hintergründe zu Page 970
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt verdeutlichen: Im Linzer Arbeitsamtsbezirk (etwa die Hälfte „Oberdonaus" umfassend) waren im November 1943 31 Prozent aller Beschäftigten „fremdländisch" (bei den Männern 42 %). Für die damalige „Kriegswirtschaft" waren sie unentbehrlich – und zugleich ständig der Gefahr ausgesetzt, in irgendeiner Form bestraft zu werden, wenn sie Anordnungen nicht in gewünschter Form nachkamen. Einweisung in ein AEL war nur eine von mehreren Strafmöglichkeiten. Lotfi schätzt, dass „während des Krieges jeder zwanzigste ausländische Zivilarbeiter im Deutschen Reich von einer AEL-Haft betroffen war". Regional und zeitlich gab es Unterschiede, da manche Gestapo-Stellen eher spät ein AEL einrichteten, so etwa Linz-Schörgenhub erst im Frühjahr 1943, in diesem Falle mit der Reichsbahn als Hauptnutznießerin der Zwangsarbeit – sowie wie üblich mit der regionalen Gestapo als finanzieller Nutznießerin der „vermieteten" Häftlinge. Dort zahlte die Reichsbahn pro Person und Tag sechs Reichsmark, gegenüber jeweils rund 50 Pfennig eigener Kosten der Linzer Gestapo, wobei der Reingewinn teilweise aber an das Reichssicherheits-Hauptamt Berlin ging (dazu Rafetseder 2001). Analoge ökonomische Interessen dürften wie im Falle des SS-Apparates bei den Konzentrationslagern eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Inhaftierte der AEL waren insgesamt zu etwa zwei Dritteln ausländische, aus den kriegsbesetzten Ländern verschleppte Page 971
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Zwangsarbeiter oder Zwangsarbeiterinnen aus verschiedenen Betrieben, die einen Fluchtversuch unternommen hatten oder der Unbotmäßigkeit, der „Bummelei" oder Sabotage beschuldigt worden waren. Ebenfalls fanden sich dort auch „Reichsdeutsche", deren Eigenwillen gebrochen oder diszipliniert werden sollte. Gründe und Verfahren einer „Einweisung" Mit „Arbeitserziehungslager" wurde bedroht: „wer die Arbeit niederlegt, andere Arbeiter aufhetzt, die Arbeitsstelle eigenmächtig verlässt". Die Gestapo reagierte des öfteren willkürlich auf Anzeigen und Denunziationen von Arbeitgebern und Behörden und machte vom Instrument der „vorläufigen Schutzhaft" Gebrauch, indem eine Einweisung in ein AEL veranlasst wurde. Diese Willkür wird etwa bei den Einlieferungen durch die Wiener Gestapo nach Oberlanzendorf beschrieben. Eine das erste Halbjahr 1944 abdeckende Quelle gibt als Haftgründe beispielsweise „auf Anordnung von …" diversen Gestapobeamten, ohne sachliche Begründung an. Auch der bloße Verdacht auf ein Delikt wird als Einweisungsgrund dokumentiert. Daneben sind eigentliche Haftgründe im Sinne des Gesetzes aufgeführt. Ein Abgleich dieser mit Schilderungen Betroffener zeigt Diskrepanzen auf. Oft verstanden der deutschen Sprache nicht Mächtige kein Wort von dem, was ihnen vorgeworfen wurde, und fragten sich noch Jahrzehnte später, warum sie eigentlich dort inhaftiert waren. Besonders Page 972
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt häufig wird naturgemäß „Arbeitsvertragsbruch" genannt (also Fluchtversuch), aber auch etwa „Bedenklicher Besitz eines Autoreifens", „Begünstigung von Kriegsgefangenen", „Beleidigung eines deutschen Arbeiters", „Beleidigung des Führers", „Bettelei", „Diebstahl", „freches Verhalten", „nächtliche Ruhestörung", „Nichttragen des Ostabzeichens", „Sabotage", „Tierquälerei", „Tausch von Zigaretten gegen Brotmarken", „Verbreitung beunruhigender Gerüchte", „Verfolgen der Frontbewegungen der Roten Armee" etc. Gleiche Delikte konnten bei verschiedenen Nationalitäten bzw. auch etwa nach Gutdünken lokaler Verantwortlicher unterschiedliche Folgen haben; so konnte „unbefugter Waffenbesitz" zu AEL-Haft, längerer Gefängnis-Haft oder auch gleich zur KZ-Einweisung führen. Die Verfügung zur „Einweisung" erfolgte meist ohne Gerichtsverfahren und ohne Bekanntgabe der Haftdauer, wobei es aber auch ausdrückliche Urteile auf „AEL" oder auch „Straflager" gab (die dann etwa zur Abschreckung per Aushang in Unternehmen oder in Werkszeitungen aufgelistet wurden – ersteres etwa im Falle der Eisenwerke Oberdonau, letzteres im Falle der Enzesfelder Metallwerke nachweisbar, wo für ähnliche Delikte die so „angeprangerten" Tschechen und Franzosen ins AEL kamen, während über Einheimische nur Geldstrafen verhängt wurden). Die Inhaftierungsdauer war nominell meist begrenzt, damit die Häftlinge bald wieder am kriegswichtigen Arbeitsplatz Page 973
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt zur Verfügung ständen. Die vielzitierte Grenze von acht Wochen bzw. 56 Tagen war aber in der Praxis irrelevant. Zwar genügten oft zwei oder drei Wochen, um Betroffene gesundheitlich zu ruinieren (sodass manches Unternehmen darauf verzichtete, weiterhin Leute ins AEL einweisen zu lassen); gelegentlich ist auch eine spezielle Baracke nachweisbar, wo Betroffene in ein oder zwei Wochen wieder „arbeitsfähig" werden sollten; generell war aber medizinische Versorgung dort bestenfalls mangelhaft, oft gar nicht vorhanden. Bei den Anträgen auf Zwangsarbeitsbezahlung sind aber auch etliche Fälle von längeren Inhaftierungen nachweisbar, in einigen Fällen ein halbes Jahr oder noch länger. Willkür seitens der lokal Verantwortlichen oder auch betriebswirtschaftliche Interessen bestimmter Unternehmen setzten oft die Verweildauer fest. So verlangte ein mit dem Bau der Versetalsperre bei Lüdenscheid befasstes Unternehmen offenbar erfolgreich, dass die Haftdauer im AEL Hunswinkel „auf mindestens drei Monate verlängert würde, damit die Gefangenen während der neuen Bausaison von Frühjahr bis Dezember 1941 nicht mehr so häufig wechselten" (so Lotfi). Arbeitserziehungslager als Internierungslager, Polizeigefängnis In verschiedenen Phasen hatten einzelne AEL auch andere Funktionen als die „offiziell" angegebenen. So diente etwa Innsbruck-Reichenau zeitweise auch als Internierungslager für Page 974
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt nordafrikanisch-italienische Familien, die auf Grund der Nürnberger Rassengesetze verfolgt wurden; Wien-Oberlanzendorf war anfänglich „Umerziehungslager" der Gemeinde Wien für „asoziale" Einheimische,¹ zeitweise Durchgangslager etwa für serbische Zwangsarbeiter oder dann auch kurz für ungarische Opfer der Nürnberger Rassengesetze; Linz-Schörgenhub war zugleich zeitweise Internierungslager für politische (Nobel-)Häftlinge in einer abgesonderten Baracke, die keineswegs „KZ-ähnlich" behandelt wurden; für diese speziellen „AEL"-Insassen ist die Bezeichnung „AEL-Häftling" also eigentlich irreführend. Außerdem war zum Beispiel in Schörgenhub, aber auch in vielen anderen AEL, zeitweise der Charakter eines „erweiterten Polizeigefängnisses" bzw. „Polizeilagers" gegeben, vor allem nach luftkriegsbedingter Zerstörung von innerstädtischen Gefängnissen, mit kompletter Transferierung Überlebender in ein AEL wie etwa im Falle von zwei Linzer Gefängnissen. Die Münchener Polizei löste ihr Platzproblem ab etwa Anfang 1944, indem sie im Komplex des Konzentrationslagers Dachau „zusätzlich eine eigene, separate Polizeihaftabteilung" installierte, „in die vor allem die zahlreichen „Ostarbeiter", die man im Verlauf von Razzien und größeren Polizeiaktionen festgenommen hatte, eingeliefert wurden" (so Andreas Heusler 1998) – kein Wunder, dass auch etwa in Anträgen an den Österreichischen Versöhnungsfonds mehrfach ein „AEL Dachau" postuliert wird. Diese Page 975
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bezeichnung ist zwar ein Dorn im Auge aller streng kategorisierenden – etwa „SS-Haftstätten" von „Gestapo-Haftstätten" gerne trennenden Historiker – aber die besondere Unberechenbarkeit von Instanzen der NS-Zeit zeigt sich eben auch in formalen Dingen (gerade beim Thema „Zwangsarbeit" auch daran, dass hier fließende Grenzen und enge Zusammenhänge zwischen formal „regulären Behörden" und eher irregulären Instanzen bzw. willkürlich entscheidenden Personen und Personengruppen bestanden; die „Doppelstaat"-Theorie Ernst Fraenkels findet darin vielfach Bestätigung). Andere „Straflager" AEL dürfen keinesfalls mit „echten" oder auch angeblichen Schulungsstätten wie Berufserziehungswerk, Umschulungslagern, etc. verwechselt werden. Es ist sehr empfehlenswert, für die KZ-artigen Verfolgungsstätten nicht die vollständige Benennung, sondern nur die Abkürzung „AEL" zu verwenden, den vollständigen Begriff „Arbeitserziehungslager" – ähnlich wie bei den sogenannten „Straflagern" der NS-Zeit – aber höchstens in Anführungszeichen bzw. mit Zusätzen wie „sogenannte". Ein eigenes Problem stellen hier terminologisch auch die gelegentlich ebenfalls als „AEL" gesehenen „Umschulungslager" für Einheimische dar, die von den Nürnberger Rassengesetzen betroffen waren; selbst wenn dort nicht immer KZ-Überstellung, sondern auch oft Auswanderung folgte, zeigen viele Page 976
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Schilderungen, dass schon dort zumeist von KZ-Ähnlichkeit gesprochen werden kann. Formale Gerichtsurteile auf „Straflager" wurden oft nicht von AEL-Haft, sondern von Zwangsarbeit in Justizanstalten wie Göllersdorf oder Suben gefolgt (beide damals nominell „Arbeitshäuser", auch mit politischen Gefangenen, aber im Rahmen des formal regulären Justizapparates). Da kam es meist auf die Dauer an: Bei einem Salzburger Urteil auf „drei Monate Straflager" landete ein Pole im AEL-Innsbruck-Reichenau, bei einem Linzer Urteil auf „sechs Monate Straflager" war ein anderer Pole dann in Göllersdorf (die Vollzugsorte fehlen in den Urteilen normalerweise, werden dann eben etwa in Versöhnungsfonds-Akten offenbar). Dabei kam es oft zu Überstellungen zwischen Haftstätten verschiedener Art und in oft weit voneinander entfernten Gegenden, wie ein Abgleich entsprechender Fälle im Rahmen des Versöhnungsfonds zeigt (wo dementsprechend auch etwa diverse AEL außerhalb des heutigen Österreichs eine Rolle spielen). Urteile etwa auf „acht Jahre Straflager" hatten aber natürlich nichts mit AEL zu tun (so ein Urteil führte etwa zu Haft in Gefängnissen in Linz, Rawitsch und Suben). Kombinationen von AEL, Justiz-Haftstätte und KZ sind in verschiedenster Form nachweisbar, wobei die Betroffenen auch im Rückblick nicht mehr genau wissen, wo sie jetzt von welcher Behörde oder auch jeweils für welches Unternehmen sie gerade zu Zwangsarbeit eingesetzt Page 977
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden. Insbesondere konnten ja Leute in SS-Uniform dort überall eine Rolle spielen, auch wenn die Haftstätte keineswegs nominell dem „Reichsführer SS" unterstellt war. Dabei hatten damals auch viele „normale" Justiz-Haftstätten spezielle Außenlager, die durchaus AEL-Charakter haben (bzw. in mancher Hinsicht eher KZ-ähnlich sein) konnten, zumindest von Betroffenen gelegentlich später auch als „AEL" bezeichnet wurden, und oft auch in verschiedener Weise mit AEL oder KZ-Außenkommandos zu tun haben konnten. Auch diese Dinge gehören im Rahmen der Zwangsarbeits-Zahlungen mit den AEL zum Komplex „sonstige Haftstätten" – KZ-ähnliche Stätten von Zwangsarbeit meinend, die nicht im Rahmen der eigentlichen KZ-Struktur standen. Auch mehr zu jenen bisher vielfach praktisch unbekannten Gefängnis-Außenlagern demnächst in einer Publikation des Versöhnungsfonds-Historikers. Haftbedingungen Inhaftierte waren sehr häufig KZ-ähnlichen Bedingungen ausgesetzt, wie viele Schilderungen in Anträgen auf Zwangsarbeits-Zahlungen zeigen (sehr viele Todesfälle, sehr häufige körperliche Dauerschäden und psychische Traumatisierungen). Laut Ernst Kaltenbrunners vielzitierter Aussage seien im AEL „Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse" sogar „im allgemeinen härter als in einem Konzentrationslager gewesen". Die enge Verknüpfung mit dem KZ-System (trotz der unterschiedlichen Träger Page 978
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Gestapo bzw. SS) zeigt sich auch daran, dass gelegentlich AEL-Gruppen direkt neben KZ-Außenkommandos arbeiteten (so in einer Werkshalle der Nibelungenwerke St. Valentin). Wie erwähnt, gab es im Kontext des Konzentrationslagers Dachau zeitweise auch ein AEL, ebenso etwa im schlesischen KZ Groß-Rosen. Die zumindest gelegentlich enge Verzahnung zeigt sich auch etwa daran, dass eine Gruppe polnischer Widerstandskämpferinnen aus einem schlesischen Gestapogefängnis zuerst für wenige Tage in das KZ Mauthausen und von dort in das AEL Schörgenhub transferiert wurde, das damals offenbar mit dem KZ eng kooperierte. Diese Kooperation betraf oft auch die Wachmannschaften, die in manchen AEL von der SS gestellt wurde (so Berlin-Wuhlheide, von wo zumindest ein Häftling später im KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz war; die Abfolge zuerst AEL, dann KZ kam, etwa bei zweitem Fluchtversuch, oft vor; auch Fälle von zweimaliger, gelegentlich sogar dreimaliger AEL-Haft sind nachweisbar, wobei auch die erfolgreiche Angabe von Falschnamen beim Aufgegriffenwerden eine Rolle spielen konnte). Diverse Schilderungen weisen darauf hin, dass damals zumindest vor Ort in Aufschriften etc. gezielt mit dem KZ-Begriff gearbeitet wurde (wohl zu Einschüchterungszwecken, gerade dabei, wie etwa oft nachweislich die Linzer Gestapo oder auch andere damalige Behörden, offenbar gezielt die nicht „korrekte", aber „schärfere" Bezeichnung „KZ" anstelle der sonst eher Page 979
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „korrekten" Bezeichnung „K.L." verwendend). Auch das war mit ein Grund dafür, dass sogar viele Ex-Häftlinge mit eindeutigen, zeitgenössischen AEL-Dokumenten ihr Leben lang fest daran glaub(t)en, in einem KZ-Außenlager gewesen zu sein. Zu Kriegsende waren auch diese Häftlinge vielerorts Kriegsendphasenverbrechen ausgesetzt, wie zum Beispiel im Rahmen von Todesmärschen. So wurde vor Kriegsende ein Teil der Häftlinge des AEL Oberlanzendorf auf einen Todesmarsch Richtung KZ Mauthausen getrieben. Wie beim KZ-Personal (allerdings in viel geringerem Ausmaß) kam es nach dem Krieg auch zu Prozessen gegen AEL-Wachpersonal. Nachweis bzw. Glaubhaftmachung von Zwangsarbeit in solchen Haftstätten war sowohl bei der deutschen Stiftung EVZ als auch (bei AEL auf heute österreichischem Gebiet) beim Österreichischen Versöhnungsfonds im Allgemeinen Anlass für gleich hohe Zahlungen wie für eigentliche KZ-Zwangsarbeit. Übersicht zu Arbeitserziehungslagern 1940–45 Weitere Arbeitserziehungslager: [1] Vgl. Wolfgang Ayaß: Nicht der Einzelne zählte... "Gemeinschaftsfremd" im nationalsozialistischen Österreich, in: 30 Jahre DOWAS Innsbruck, Innsbruck 2006, S. 77-87. [2] Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945. Abgerufen am 18. November 2012. Page 980
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [3] Pulverfabrik Liebenau 1938 bis 1945. Abgerufen am 18. November 2012. [4] Arbeitserziehungslager Aachen-Burtscheid. Abgerufen am 18. November 2012. [5] Zwangsarbeit in Alsdorf im zweiten Weltkrieg. Abgerufen am 18. November 2012. [6] Arbeitserziehungslager Plan. Abgerufen am 18. November 2012. Literatur - Thomas Albrich: Ein KZ der Gestapo: Das Arbeitserziehungslager Reichenau bei Innsbruck. In: Klaus Eisterer (Hrsg.): Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930–1950). Beiträge für Rolf Steininger zum 60. Geburtstag. Innsbruck u.a. 2002, S. 77–113. - Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.): Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der Gestapo. Berlin 2004. S. 162 (Autoren: Cord Pagenstecher, Daniela Geppert, Gabriele Layer-Jung, Gisela Wenzel); online (PDF; 1,1 MB). - Johannes Breit: Das Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau und die Nachkriegsjustiz. – ohne Ort (Selbstverlag) 2007, 72 S., mit CD (Berichte aus dem Lager, 39:16); Neufassung einer Privatpublikation von 2006. - Andreas Heusler: Ausbeutung und Disziplinierung. Zur Rolle des Münchner Sondergerichts und der Stapoleitstelle München im Kontext der nationalsozialistischen Fremdarbeiterpolitik. In: forum historiae iuris 1998. Erste europäische Internetzeitschrift für Rechtsgeschichte, online Page 981
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt (darin zum Frauen-AEL Berg am Laim und dem Männer-AEL Moosach) - Volker Issmer: Das Arbeitserziehungslager Ohrbeck bei Osnabrück. Steinbacher, Osnabrück 2000. 535 S. ISBN 3-9805661-9-6. - Gabriele Lotfi: KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich. Stuttgart, München 2000. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. 2003. 451 S. (Zugl.: Bochum, Univ., Dissertation 1998) ISBN 3-596-15134-1. - Roland Maier: Die Arbeitserziehungslager Kniebis-Ruhestein, Oberndorf-Aistaig und Rudersberg, in: Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart 2013: Schmetterling-Verl., ISBN 3-89657-138-9, S. 143 ff. - Andreas Maislinger: Ergänzung einer Ortschronik. „Arbeitserziehungslager" und „Zigeuneranhaltelager" Weyer (Innviertel). In: Oberösterreich-Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie, 32. Jahrgang, Mai–Juni/Juli–August 1988, Heft 3–4. - Petra Meyer: „Das Arbeitserziehungslager Heddernheim unter Berücksichtigung anderer Arbeitslager, ausgehend von den archivalischen Unterlagen und Berichten von Zeitzeugen." Frankfurt am Main, Juni 1986, OCLC 75013158 - Josef Prinz: Erziehung zur Arbeit – Arbeit als Erziehung? Zum Stellenwert von Arbeitserziehung im nationalsozialistischen Lagersystem am Beispiel Oberlanzendorf bei Wien. In: Betrifft Page 982
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Widerstand. Zeitschrift des Zeitgeschichte Museums und der KZ-Gedenkstätte Ebensee Nr. 73, Juni 2005, S. 31–39; online (PDF, 363 kB), dazu ca. 2008 ds. ausführlicher im Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. - Hermann Rafetseder: „Ausländereinsatz" zur Zeit des NS-Regimes am Beispiel der Stadt Linz. In: Fritz Mayrhofer und Walter Schuster (Hrsg.): Nationalsozialismus in Linz, Band 2. Linz 2001, 1107–1269, dort zu AEL v.a. 1193–1196. - Hermann Rafetseder: Das „KZ der Linzer Gestapo". Neue Quellen im Rahmen des Österreichischen Versöhnungsfonds zum „Arbeitserziehungslager" Schörgenhub. In: Stadtarchiv und Stadtgeschichte. Forschungen und Innovationen. Festschrift für Fritz Mayrhofer zur Vollendung seines 60. Lebensjahres. Hrsg.: Walter Schuster, Maximilian Schimböck, Anneliese Schweiger (Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2003/2004). Linz 2004, S. 523–539. ISBN 3-900388-56-3. - Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale. Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. – Bremen 2014, 706 S., ISBN 978-3-94469-028-5; korrigierte Druckfassung eines 2007 aus Datenschutzgründen unveröffentlicht gebliebenen Textes, weiterhin auch online zu finden im "forum oö geschichte" ; darin v.a. Abschnitt 5: „AEL" – von „Arbeitserziehungslagern", „Straflagern" Page 983
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt und Strafkommandos, S. 421–508. - Gunnar Richter: „Das Arbeitserziehungslager Breitenau (1940–1945): ein Beitrag zum nationalsozialistischen Lagersystem". Kassel, Univ., Diss., 2004. 649 S. - Horst Schreiber: „Das Arbeitserziehungslager Reichenau"; in: Gabriele Rath/Andrea Sommerauer/Martha Verdorfer (Hrsg.): Bozen – Innsbruck. Zeitgeschichtliche Rundgänge. – Bozen 2000, S. 143-147. - Andrea Tech: „Arbeitserziehungslager in Nordwestdeutschland 1940–1945". (Bergen-Belsen-Schriften 6) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 331 S. ISBN 3-525-35134-8. - Matthias Wagner: „‚Arbeit macht frei' – Zwangsarbeit in Lüdenscheid 1939–1945". Lüdenscheid 1997. - Volker Issmer: „Niederländer im verdammten Land", Steinbacher Druck, 1998, ISBN 3-9805-6610-2. - Karola Fings: „Messelager Köln – Ein KZ-Außenlager im Zentrum der Stadt", Emons Verlag Köln, 1996, ISBN 3-924491-78-X. - Thomas Irmer: „Arbeitserziehungslager in Konzentrationslagern", in: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Angelika Königseder (Hrsg.): Nationalsozialistische Zwangslager. Strukturen und Regionen, Täter und Opfer, Dachau/Berlin: Verlag Dachauer Hefte/Metropol, 2011, S. 67–80. Weblinks - Haftstätten und Gefängnisse der Gestapo - Angaben zu Arbeitserziehungslagern bei der Gedenkstättenförderung Page 984
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Niedersachsen der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten - Das Arbeitserziehungslager Hunswinkel/Lüdenscheid 1940–1945 (Memento vom 7. Mai 2005 im Internet Archive) - Das Arbeitserziehungslager (AEL) Fehrbellin – Webseite der Berliner Geschichtswerkstatt - Vortrag von Henri Braun auf einer Tagung im Dezember 2001: Henri Braun, Président de l'Amicale des Rescapés des Arbeitserziehungslager (AEL). In: Bernard Garnier, Jean Quellien, avec la collaboration de Françoise Passera: La Main d'oeuvre francaise exploitée par le IIIe Reich. Colloque International, 13-14-15 Décembre 2001, Mémorial de la Paix à Caen. Caen, Centre de Recherche d'Histoire Quantitative, 2003, ISBN 2-9519438-0-6 - der oben erwähnte Aufsatz über das AEL Schörgenhub von Rafetseder 2004 als PDF; in einzelnen Punkten überholt durch das entsprechende Kapitel in Rafetseder 2007; 132 kB Anmerkungen [1] Eine Außenstelle in Poppenhausen wird in Gert Stoi: Das Arbeitslager Römhild 1943–1945. Dokumentation eines Verbrechens, Salier Verlag 2010 nicht erwähnt. Reichsarbeitsdienst Der Reichsarbeitsdienst (abgekürzt RAD) war eine Organisation im nationalsozialistischen Deutschen Reich. Das Gesetz für den Reichsarbeitsdienst wurde am 26. Juni 1935 Page 985
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt erlassen. § 1 (2) lautete: Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen. § 3 (1) lautete: Der Führer und Reichskanzler bestimmt die Zahl der jährlich einzuberufenden Dienstpflichtigen und setzt die Dauer der Dienstzeit fest. Zunächst wurden junge Männer (vor ihrem Wehrdienst) für sechs Monate zum Arbeitsdienst einberufen. Vom Beginn des Zweiten Weltkrieges an wurde der Reichsarbeitsdienst auf die weibliche Jugend ausgedehnt. Der Reichsarbeitsdienst war ein Bestandteil der Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland und ein Teil der Erziehung im Nationalsozialismus. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 und dem daraufhin an die Waffen-SS übergebenen Kommando über das Ersatzheer wurde dem RAD die 6-wöchige militärische Grundausbildung am Gewehr übertragen, um die Ausbildungszeit bei der Truppe zu verkürzen. Idee und Gründung Keine neue Erscheinung der Zeit des Nationalsozialismus ist die Idee einer „Frauendienstpflicht"; diese wurde in Deutschland seitens der bürgerlichen Frauenbewegung schon vor dem Ersten Weltkrieg diskutiert.¹ Die Idee eines nationalen Pflichtarbeitsdienstes hatten die nationalsozialistischen Machthaber aus Bulgarien übernommen, das bereits 1920 einen Pflichtdienst eingeführt hatte, zu dem Page 986
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt pro Jahr 30 % der Bevölkerung herangezogen wurden, um gemeinnützige Arbeiten zu verrichten. Das bulgarische Beispiel war in Deutschland in konservativen und auch in linken Kreisen beachtet worden; besonders die Effekte ‚staatsbürgerliche Erziehung' und ‚körperliche Ertüchtigung' fanden Anklang. In Deutschland führte die Regierung Brüning I im Sommer 1931 einen „Freiwilligen Arbeitsdienst" (FAD) ein, der zum Abbau der hohen, durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Arbeitslosigkeit beitragen sollte. Die Maßnahme hatte wenig Effekt; die entstandenen Lager wurden zum Teil als paramilitärische Ausbildungslager für republikfeindliche Kräfte missbraucht. Die Rechtsparteien, darunter die NSDAP, hatten seit Beginn der Wirtschaftskrise immer wieder eine Arbeitsdienstpflicht gefordert; der FAD war somit nicht zuletzt ein Zugeständnis an die Rechte.² Durch die Notverordnung vom 5. Juni 1931 wurde die Förderung des FAD zur Aufgabe der (1927 gegründeten) Reichsanstalt für Arbeit. Da mit der gleichen Verordnung empfindliche Leistungskürzungen und ein Ausschluss vor allem von Jugendlichen unter 21 Jahren verbunden waren, galt die „Freiwilligkeit" des FAD von Anfang an nur für jene, die es sich leisten konnten, ihn abzulehnen. Förderungswürdig waren im Rahmen des FAD Page 987
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt gemeinnützige und zusätzliche Arbeiten, die nicht über den Weg von Notstandsarbeiten – einem anderen Beschäftigungsprogramm – bereitgestellt werden konnten. Im Vordergrund standen Arbeiten, die der Bodenverbesserung, der Herrichtung von Siedlungs- und Kleingartenland, der örtlichen Verkehrsverbesserung und der Hebung der Volksgesundheit dienten. Träger der Arbeit konnten nur Körperschaften des öffentlichen Rechts und solche Vereinigungen oder Stiftungen sein, die gemeinnützige Ziele verfolgten. Die Beschäftigungsdauer lag für die meisten der geförderten Personen unter zehn Wochen. Vor 1933 war die Hälfte unter 21 Jahre alt; 1932 wurde der FAD für Frauen geöffnet. Nicht einmal ein Viertel der Dienstleistenden war in ihrer rechtlichen Stellung dem freien Lohnarbeitsverhältnis vergleichbar; mehr als 75 % waren von sämtlichen Normen des Arbeits-, Sozial- und Tarifrechts ausgenommen (eine Entrechtung der Arbeiter).³ Genau betrachtet, gab es zum Beispiel schon vor der Machtergreifung Hitlers in der fränkischen Stadt Coburg ein von der dort bereits NSDAP-regierten Kommune organisiertes, verstaatlichtes Lager des „Freiwilligen Arbeitsdienstes", den Freiwilligen Arbeitsdienst der Stadt Coburg. Männliche Jugendliche wurden im Januar 1932 in einem Barackenlager im Wüstenahorner Wald zwecks „vorübergehender Beschäftigung und Erziehung" kaserniert. Oberster Leitsatz: „Keine Wohlfahrtsunterstützung ohne Arbeit". Der Bezug von Sozialleistungen wurde somit direkt Page 988
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt an die Notlage der Betroffenen geknüpft, sich widerstandslos und strafbedroht zu öffentlicher Arbeit zwingen lassen zu müssen. Im Falle Coburgs floss ein Teil der Beträge an vom Stadtrat bestimmte bedürftige Personen; das übrige wurde einem Sparkonto gutgeschrieben. 60 Mann im Durchschnitt waren dann der Regel nach ein halbes Jahr im Lager. Dort gab es militärische Rangordnung, Wachdienste, Märsche, Exerzierübungen und paramilitärischen Drill. Dienstverweigerung hatte die Entlassung zur Folge. Die NS-Propaganda machte den Coburger Arbeitsdienst als Idee der Partei reichsweit bekannt. Viele Kommunalpolitiker anderer Gemeinden kamen zu einem Informationsbesuch. Im September 1932 folgte allerdings die Eingliederung dieses durch die Kommune paramilitärisch geleiteten Arbeits-Camps in den Freiwilligen Arbeitsdienst des Reiches, da dieser zu 90 % bezuschusst wurde. Die Rechnung ging für die Partei gut auf, da das Coburger Arbeitslager sogar half, das städtische Sozialsystem mit zu finanzieren. Später galt es als der Prototyp für die Reichsarbeitslager des Dritten Reiches.4 5 Adolf Hitler, gerade zum Reichskanzler ernannt, verkündete am 1. Februar 1933 in seiner ersten Rundfunkansprache, der Gedanke der Arbeitsdienstpflicht sei ein „Grundpfeiler" seines Regierungsprogramms. Sein Beauftragter Konstantin Hierl legte am 1. März 1933 ein Konzept vor, Page 989
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt das „ohne Verzug" die Überführung des staatlich geförderten Freiwilligen Arbeitsdienstes in einen „staatlichen Arbeitsdienst auf freiwilliger Grundlage" vorsah. Den Unterschied für ihn enthüllte die Formulierung, diesen FAD nunmehr als eine „gesonderte Reichsorganisation von ähnlicher Struktur wie die Reichswehr" auszubauen. Auch die Behördenstrukturen sollten ähnlich wie die der Reichswehr sein: Es seien die Aufgaben und dienstlichen Befugnisse des Staatssekretärs für den Arbeitsdienst so zu regeln, „daß sie sinngemäß denen des Chefs der Heeresleitung in seinem dienstlichen Verhältnis zum Reichswehrminister entsprechen."5 Es war von Beginn an das Ziel, eine Arbeitsdienstpflicht einzuführen. Dass es nicht schon 1933 dazu kam, war außenpolitischer Rücksichtnahme geschuldet, da die durch eine Arbeitsdienstpflicht zu erwartenden Einberufungen eine Größenordnung ergeben hätten, die durchaus auch für militärische Zwecke hätte nutzbar gemacht werden können. Daher kam es zur Intervention der in Genf tagenden Abrüstungskonferenz, der von deutscher Seite zunächst Rechnung getragen wurde. Zunächst wurde der Arbeitsdienst nur nach eigenen Vorstellungen allgemein umgestaltet.6 Eines der klaren Ziele war die Umgehung von militärischen Beschränkungen des Versailler Vertrages.7 Naheliegende Vermutungen oder gar Berichte, in den RAD-Lagern würde eine militärische Ausbildung Page 990
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt stattfinden, wurden per Anweisung zensiert. Das Thüringische Innenministerium schrieb am 3. August 1933 an die Stadt-, Gemeindevorstände und Kreisgendarmeriestationen: „Die Polizeiverwaltungen werden angewiesen, in den für die Öffentlichkeit bestimmten Berichten wie überhaupt in amtlichen Verlautbarungen alles zu unterlassen, woraus entnommen werden könnte, als ob in den Arbeitsdienstlagern eine militärische Ausbildung stattfände."8 Im Rahmen des Gleichschaltungsprozesses seit März 1933 häuften sich dann Übergriffe gegen Arbeitsdienstlager anderer Träger. Hierbei tat sich insbesondere die SA als Hilfspolizei in der Ausführung hervor; oft war sie auch Anstifter der gewaltsamen Einverleibungen. Von solchen Ausschreitungen waren neben Einrichtungen der Sozialdemokraten auch evangelische und katholische Organisationen betroffen.? Die Gleichschaltung aller Arbeitsdienst-Träger verlief bis August 1933 vielgestaltig. Die anfänglichen Gewaltaktionen hatten „Selbstgleichschaltungen" und „freiwillige" Anschlüsse zur Folge. Dem folgten rechtliche Schritte, die den erreichten Status quo nachträglich legitimierten und ausweiteten. Diese Gleichschaltung des FAD 1933/34 mit ihrem Umbau von einer staatlich geförderten zu einer staatlichen, paramilitärischen Einrichtung war die eigentlich bedeutende Zäsur in der Geschichte der Arbeitsdienste weltweit. Die Page 991
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt später folgende gesetzliche Reichsarbeitsdienstpflicht, die 1935 kam, ähnelte dagegen äußerlich noch der Arbeitspflicht in anderen Staaten.¹° Nach der Machtübernahme des NS-Regimes wurde Franz Seldte, ehemaliger Führer des Stahlhelm-Verbandes, zum Reichsarbeitsminister bestellt und ihm Konstantin Hierl als Staatssekretär beigeordnet. Im Rahmen der ministeriellen Aufgaben erhielt Hierl zugleich den Auftrag, einen freiwilligen Arbeitsdienst zu bilden. Hierl, der seine und die Unabhängigkeit des Arbeitsdienstes anstrebte, die ihm im Reichsarbeitsministerium verwehrt war, suchte die Organisation einem anderen Ministerium anzugliedern, wo sich seine Vorstellungen verwirklichen ließen. Das gelang 1934 bei Wilhelm Frick, dem Reichsinnenminister, der ihm freie Hand ließ. Mit diesem Wechsel erhielt Hierl zunächst den Titel „Reichskommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst", ehe er mit der Umwandlung des freiwilligen Dienstes in einen Pflichtdienst durch das am 26. Juni 1935 erlassene Gesetz für den Reichsarbeitsdienst zum „Reichsarbeitsführer" ernannt wurde. Ihrer Dienstpflicht hatten von nun an alle männlichen Jugendlichen nach dem vollendeten 18. Lebensjahr bis spätestens zur Vollendung des 25. nachzukommen. Für die weibliche Jugend war eine gesonderte Regelung vorgesehen; die gesetzliche Einführung ihrer Dienstpflicht erfolgte erst 1939. Das Gesetz sprach stets von „allen" Page 992
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Jugendlichen, doch es enthielt bezeichnende Ausnahmen: Nach § 7 sollte ausgeschlossen werden, „wer nichtarischer Abstammung ist oder mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet ist." Sollte es Einzelfälle mit „wehrwürdigen Nichtariern" geben, dürften diese jedoch „keinesfalls als Vorgesetzte eingesetzt werden …"5 Arbeitsdienstführer Hierl merkte 1935 zum FAD-Mann an: „Dieser von uns geschmiedete Typ des Arbeitsmannes ist das Ergebnis einer Verschmelzung von den drei Grundelementen: des Soldatentums, Bauerntums und Arbeitertums." Die genannte Reihenfolge und die völlige Verschiedenartigkeit der Berufsbilder erscheinen heute bemerkenswert oder entlarvend. Man kann die drei Begriffe als NS-Synonyme für Disziplin, Ertrag aus „Blut und Boden" und Pflichtbewusstsein betrachten.? Schon im Juni 1933, eine Woche nachdem eine Milliarde Reichsmark allgemein für das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Staatssekretärs Fritz Reinhardt angekündigt worden war, einigten sich Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Hitler-Vertraute Hermann Göring und Reichswehrminister Werner von Blomberg auf den strikt geheim gehaltenen Haushaltsrahmen für die Aufrüstung der Wehrmacht: 35 Milliarden Reichsmark, verteilt über acht Jahre, wobei vier Jahre für den Aufbau der Verteidigungskapazität genutzt werden sollten und weitere vier Jahre für die Schaffung einer Offensivarmee. Arbeitsmarktpolitik und Rüstung Page 993
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt standen seit der Machtergreifung in enger Beziehung zueinander. Die Aufrüstung stellte in ihrer Größenordnung (sowie Langfristigkeit und strategischen Bedeutung) alles in den Schatten, was in Sachen Arbeitslosigkeitsbekämpfung jemals diskutiert worden war.¹¹ Zwischen 1933 und 1939 wandte der NS-Staat rund 60 Milliarden Reichsmark für militärische Belange auf, dagegen allgemein nur 7–8 Milliarden Reichsmark für zivile Zwecke.¹² Beim RAD stand von Anfang an der militärische Zweck der Kriegsvorbereitung im Vordergrund.¹³ Reichseinheitlich erhielten Arbeitsdienstleistende bis zum Kriegsende für ihre schwere körperliche Arbeit z. B. im Straßenbau und Siedlungsbau sowie im Steinbruch 21 Reichsmark pro Woche. Das entsprach dem Hilfsarbeiterlohn für Berufsanfänger zu Beginn der 1930er Jahre. Davon wurden aber nur 0,50 RM täglich ausgezahlt; das war die Hälfte des den Soldaten zustehenden Wehrsolds. Das übrige Geld wurde für Essen, Lagerunterkunft, Heizung, Bekleidung und Versicherungen einbehalten. Das Geld stammte aus den Projekten, bei denen der RAD eingesetzt war. Funktion Innerhalb des nationalsozialistischen Systems erfüllte der Reichsarbeitsdienst mehrere Aufgaben. Den offiziellen Zweck nannte § 1 des Gesetzes über den Reichsarbeitsdienst: „Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am Page 994
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt." – Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935¹4 Der RAD verfolgte mehrere Ziele. 1. Ein Hauptziel war die Disziplinierung der jungen Generation, deren Angehörige während der Weltwirtschaftskrise oft jahrelang arbeitslos gewesen waren. Dem entsprach die paramilitärische Struktur des RAD. Konstantin Hierl prägte schon 1934 den sehr bezeichnenden Begriff „Soldat der Arbeit" für die Arbeitsdienstleistenden.¹5 2. war der RAD ein Versuch, die nationalsozialistische Ideologie der Volksgemeinschaft in die Praxis umzusetzen. Konstantin Hierl hob diesen Aspekt in seinen Reden besonders hervor: "Es gibt kein besseres Mittel, die soziale Zerklüftung, den Klassenhass und den Klassenhochmut zu überwinden, als wenn der Sohn des Fabrikdirektors und der junge Fabrikarbeiter, der junge Akademiker und der Bauernknecht im gleichen Rock, bei gleicher Kost den gleichen Dienst tun als Ehrendienst für das ihnen allen gemeinsame Volk und Vaterland." ¹6 3. Die wirtschaftliche Bedeutung des Arbeitsdienstes war Page 995
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt demgegenüber wegen mangelnder Arbeitsproduktivität gering.¹7 4. schließlich übernahm der RAD seit 1938 zunehmend Hilfsdienste für die Wehrmacht. Danach war der RAD in seinen Anfängen ein Teil des nationalsozialistischen Erziehungssystems. Die Ableistung der Arbeitsdienstpflicht war Voraussetzung für die Zulassung zum Hochschulstudium.¹8 Studienbewerber, die aus gesundheitlichen Gründen als nicht arbeitsdiensttauglich gemustert worden waren, mussten einen „Studentischen Ausgleichsdienst" ableisten, der organisatorisch bei der Reichsstudentenführung angesiedelt war. Ein Nebeneffekt war, dass zuvor arbeitslose RAD-Angehörige nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik erfasst wurden. § 14 des Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 legte fest, dass die Zugehörigkeit zum RAD „kein Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts und des § 11 der Fürsorgepflichtverordnung" begründete. Damit galten arbeitsrechtliche Gesetze und Vorschriften über den Arbeitsschutz, das Betriebsräte- und Arbeitsgerichtsgesetz sowie das Recht auf Unterstützung im Falle einer Erkrankung nicht für den Reichsarbeitsdienst. Offenbar war ein Ziel, Jugendliche untertariflich und so billig wie möglich hohe Arbeitsleistungen erbringen zu lassen, noch dazu unter Zwang und einschüchternder militärischer Disziplin.5 Der RAD überhöhte Arbeit zum „Ehrendienst" an der Page 996
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt „Volksgemeinschaft". Besonders brisant und ideologisch paradox wurde dieser Anspruch dann, wenn an Projekten und Baustellen, an denen der RAD arbeitete, auch Zwangsarbeiter, Strafgefangene oder Häftlinge aus Arbeitserziehungslagern, mithin „Gemeinschaftsfremde", eingesetzt wurden.¹? Einsatz Der Reichsarbeitsdienst wurde für verschiedene Aufgaben eingesetzt. Einer der ersten Einsätze des RAD war 1933 die Beteiligung am Aufbau des KZ Dachau. Auch dies zeigt, dass der RAD nie eine unpolitische Einrichtung war.²° Vor dem Zweiten Weltkrieg befasste er sich mit Forst- und Kultivierungs- sowie Deichbau- oder Entwässerungsaufgaben und Tätigkeiten in der Landwirtschaft. Ein bedeutender Schwerpunkt war der – allerdings wenig effektive – Einsatz in den Emslandkreisen zur Urbarmachung der riesigen Moor- und Heideflächen (Emslandkultivierung), auf denen im Rahmen der Autarkiepolitik neue Höfe entstehen sollten. Bauarbeiten an den Reichsautobahnen gab es nur vereinzelt, z. B. im Raum Frankfurt a. M.; Rodungsarbeiten für spätere Autobahnarbeiten wurden dagegen in einigen Gebieten Deutschlands ausgeführt. Der RAD erreichte aber nicht einmal 50 % an Arbeitsleistung im Vergleich zur Privatwirtschaft.²¹ Vor allem die ungenügende Arbeitsleistung des RAD war Hermann Göring ebenso wie dem „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen", Page 997
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Fritz Todt, ein Dorn im Auge.²² Zur Überwindung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise leistete der Dienst keine substanziellen Beiträge, obgleich von 1933 bis 1940 rund drei Millionen Männer den RAD durchliefen.²³ Je geringer die Arbeitslosigkeit wurde (sie sank von 6 Millionen 1933 innerhalb von drei Jahren auf einen Rest von 350.000), desto geringer wurde die Bedeutung des RAD als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Die damals zum Dienst im RAD anstehenden Jahrgänge waren während des Ersten Weltkriegs geboren und umfassten ohnehin nur 300.000 bis 400.000 Männer. Auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht am 16. März 1935 dünnte den Arbeitsmarkt aus. Die Wehrpflicht dauerte zunächst ein Jahr und wurde im August 1936 auf zwei Jahre verlängert.²4 Ab 1938 trat die Erziehung im RAD in den Hintergrund. Nun dominierten der Bau von Luftschutzunterständen, Flugplätzen sowie Stellungen am Westwall und am Ostwall.²5 Der RAD hatte sich zunächst nicht gezielt um militärische Projekte bemüht. Ab 1938 verwandelte sich der RAD schrittweise zur „Bautruppe der Wehrmacht".²6 Dass der RAD nun Baubataillone für die Wehrmacht stellen musste, lässt sich als eine weitere Zäsur definieren.²7 Im Zweiten Weltkrieg wurde der RAD immer mehr zu kriegswichtigen Bauaufgaben im Umfeld der kämpfenden Truppen herangezogen. Vom Kriegsjahr 1942 an fristete der RAD jedenfalls Page 998
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt organisationspolitisch im Reich nur mehr ein „Schattendasein" am Rande der Wehrmacht. Der RAD war bereits völlig in der Kriegsmaschinerie aufgegangen.²8 Ab 1942 setzte man den Einberufungsjahrgang 1924 beim Ostfeldzug unmittelbar hinter der Front zum Bau militärischer Anlagen und beim Wegeund Brückenbau ein. Dabei kam es auch zu Feindberührungen mit Menschenverlusten. Im Oktober 1942, nach Ablauf der sechsmonatigen RAD-Dienstpflicht, wurden die in den besetzten Gebieten der Sowjetunion eingesetzten Mannschaftsgrade der RAD-Einheiten fast vollständig in Feldausbildungsregimenter des Heeres übernommen (dort erfolgte die üblicherweise in der Heimat durchgeführte Rekrutenausbildung im besetzten sowjetischen Gebiet; damit vermied man den Rücktransport der Rekruten nach Deutschland und konnte sie gleichzeitig gegen Partisanenverbände einsetzen). Die RAD-Führer dagegen kehrten zurück ins Reich. 1942 war der RAD seiner ursprünglichen Konzeption völlig entkleidet und als halbmilitärische Kampftruppe eingesetzt. Ab 1943 wurden keine RAD-Einheiten mehr, wie noch der RAD-Einberufungsjahrgang 1924, an der Ostfront eingesetzt. Ab 1943 wurden aus RAD-Abteilungen auch selbstständige Flak-Batterien gebildet. Die Mannschaften erhielten eine vollwertige Flakausbildung bei der Luftwaffe und besetzten die Geschütze in RAD-Uniform. Andere Page 999
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Abteilungen bauten zusammen mit der Organisation Todt am Atlantik (Atlantikwall) und am Mittelmeer Strandverhaue und kleinere Bunkeranlagen. Viele Abteilungen wurden auch zu Erschließungsarbeiten für verlagerte Rüstungsproduktionen im Reichsgebiet und zur Beseitigung von Schäden nach Luftangriffen auf deutsche Städte eingesetzt. Nach der Ernennung des Reichsführers SS Heinrich Himmler zum Chef des Ersatzheeres als Sicherheitsmaßnahme nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde dem RAD die militärische Grundausbildung (Rekrutenausbildung) übertragen. Angesichts der Verluste an den Fronten diente diese Maßnahme der personellen Verstärkung, indem die Ausbildungseinheiten der Wehrmacht eingespart wurden und deren Personal ebenso wie die beim RAD militärisch Ausgebildeten zum Fronteinsatz zur Verfügung standen. Diese Maßnahme hatte zur Folge, dass zuvor vom Arbeitsdienst freigestellte Wehrpflichtige nun doch zum RAD eingezogen wurden. Gegen Kriegsende sollten auch Einheiten des männlichen RAD im Rahmen des Volkssturms eingesetzt werden. Hierl verhinderte dies und versuchte selbstständige RAD-Kampfgruppen zu bilden. Bekannt wurden drei RAD-Infanteriedivisionen, die im Endkampf um Berlin eingesetzt wurden.²? Sie konnten wegen hoher Verluste im Aufstellungsraum und sehr schlechter Bewaffnung keinen wesentlichen Einfluss auf die Page 1000
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Geschehnisse um Berlin nehmen. Der weibliche RAD wurde als Ersatz für fehlende männliche Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und als sogenannter Kriegshilfsdienst (KHD) in Ämtern und Schreibstuben, in der Rüstungsproduktion und im öffentlichen Nahverkehr verwendet. Frauen konnten auch Wehrmachthelferin werden (Synonym ‚Blitzmädel'). Dazu wurde die Arbeitsdienstzeit um ein halbes Jahr verlängert. Ab 1944 wurden „Arbeitsmaiden" des RAD für die weibliche Jugend auch für die Bedienung von Flak-Scheinwerfern zur Lenkung von Flakgeschützen und Nachtjagd-Einheiten der Luftwaffe herangezogen. Ein kurz vor Kriegsende geplanter „Wehrhilfsdienst" des RADwJ, zu dem 250.000 bis 300.000 Frauen eingezogen werden sollten, kam in der geplanten Form nicht mehr zustande.? Dienstdauer Die Dienstdauer betrug für Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren zunächst sechs Monate; die Dienstzeit war dem zweijährigen Wehrdienst vorgelagert. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurde sie ständig verkürzt und betrug zum Schluss nur noch sechs Wochen, die ab Mitte 1944 ausschließlich zur militärischen Grundausbildung genutzt wurden. Für Frauen betrug die Dienstzeit seit 1939 sechs Monate, die jedoch häufig durch eine Notdienstverpflichtung verlängert Page 1001
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt wurden. Im Juli 1941 wurde die Dienstzeit durch den Kriegshilfsdienst um weitere sechs auf zwölf Monate ausgedehnt, im April 1944 auf 18 Monate verlängert und im November 1944 schließlich vollständig entfristet. Die durch die Dienstzeitverlängerungen des Jahres 1944 gewonnenen zusätzlichen Kräfte kamen überwiegend als Flakhelferinnen zum Einsatz. Während des Arbeitsdienstes lebten die „Arbeitsmänner" und „Arbeitsmaiden" kaserniert in sogenannten Lagern. Uniformierung Eine einheitliche paramilitärische Uniform wurde Anfang 1934 eingeführt. Als Farbe wurde Erdbraun für Männer und Frauen gewählt. Zur Uniform der männlichen Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes gehörte eine Hakenkreuz-Armbinde, die am linken oberen Ärmel unter dem Spaten mit der Dienststellenbezeichnung getragen wurde. Dazu geht die Legende, dass Hierl strikt gegen die Einführung des Hakenkreuzes war, Hitler ihn aber im Tausch für die relative Unabhängigkeit des RAD im Reichsinnenministerium dazu gezwungen habe. Zur Ausgehuniform gehörte eine in der Länge eingewölbte Mütze mit Schirm, von den Arbeitsdienstlern als „Arsch mit Griff" bezeichnet. Eine markante Besonderheit für den Arbeitsmann war der Spaten. Er dokumentierte die Handarbeit, war aber auch eine Art „Ersatzgewehr" in Page 1002
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Bezug auf die Wehrmacht. Analog zum „Gewehr-Griffe-Kloppen" bei der Wehrmacht gab es beim RAD die „Spatengriffe".³° Im Krieg wurden bei Sondereinheiten besondere Ärmelbänder verwendet, z. B. „Kriegsberichterstatter", „Streife" usw., die zusätzlich zur Armbinde getragen wurden. Daneben gab es Ärmelbänder für die Emsland-Abteilungen, die am Ostwall und am Westwall eingesetzten Abteilungen und besondere Ärmelbänder mit den Einsatznamen von Schlachten im Russlandfeldzug, wenn RAD-Männer an direkten Kampfhandlungen an der Front beteiligt waren. Die weiblichen Angehörigen des RAD trugen offiziell keine Ärmelbänder. In einigen Gebieten Deutschlands wurden für besondere Einsätze Ärmelbänder geschaffen, die sich aber nicht einheitlich durchsetzten. Die Aufschrift des Bandes wies auf die besondere Dienststellung der verpflichteten Person hin, beispielsweise „RAD-Kriegshilfsdienst", „KHD-Straßenbahn" o. Ä. Freizeit und Lebenssituation der Arbeitsmänner und -maiden Der Tagesablauf mit seinen detaillierten Dienstplänen ließ den RAD-Leistenden wenig Zeit zur eigenen Verfügung und glich dem der Soldaten: Ohne Mittagsruhe summierte sich die reine Dienstzeit je Woche auf rund 76 Stunden. Zudem gab es in der knappen Freizeit praktisch keine Rückzugsmöglichkeiten. Auch die Abende waren in aller Regel verplant, und Page 1003
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt eine Möglichkeit, das Lager außerhalb der Dienstzeiten zu verlassen, war in der Regel nicht vorgesehen; dies bedurfte – wie beim Militär – einer besonderen Erlaubnis.³¹ Der RAD ersetzte das bisherige soziale Umfeld völlig. So sollte in der neuen „Gemeinschaft" eine kollektive Identität ausgebildet werden.³² Dienstgrade Der Reichsarbeitsdienst war wie alle nationalsozialistischen Organisationen streng hierarchisch gegliedert und folgte dem Führerprinzip. Die Ränge der Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes waren absteigend: Rangmäßig unterschied sich der Untertruppführer vom Hauptvormann lediglich durch seine zehnjährige Verpflichtung als Führer beim RAD. Während der Hauptvormann nach seiner sechsmonatigen Dienstzeit entlassen wurde, blieb der Untertruppführer als Ausbilder im Lager. Ab diesem Dienstgrad aufwärts erhielten die Arbeitsdienstführer eine den vergleichbaren Diensträngen der Wehrmacht entsprechende Besoldung (siehe NS-Ranggefüge). Organisationsstruktur Männliche Jugend An der Spitze der 33 Arbeitsgaue stand ein Arbeitsgauführer im Dienstgrad eines General- oder Oberstarbeitsführers. Ihm unterstand sein Gaustab (Arbeitsgauleitung). Page 1004
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Nach dem Polenfeldzug und der Wiederangliederung der bis 1919 deutschen Gebiete entstand der Reichsgau Wartheland. Dort wurde der Arbeitsgau 3 mit Sitz der Leitung in Schwaningen (polnisch Swarzedz) bei Posen (polnisch Poznan) errichtet. Arbeitsdienstlager entstanden u. a. in Hohensalza (polnisch Inowroclaw), Wongrowitz (polnisch Wagrowiec), Dietfurt (polnisch Znin). Sämtliche Arbeitsdienstpflichtigen des Jahrganges 1924 aus Hamburg wurden dort für den Einsatz in den besetzten Gebieten der Sowjetunion sowohl mit dem Spaten als auch mit dem Karabiner ausgebildet. Den Ordnungsbezeichnungen der Abteilungen wurde ein K (für Krieg oder Kriegseinsatz) vorangestellt. So erhielt die in Dietfurt stationierte und für den Ost(front)einsatz ausgebildete Einheit die Bezeichnung K 4 / 36. Weibliche Jugend Für den Arbeitsdienst für die weibliche Jugend gab es in der Reichsleitung keine besonderen Ämter, sondern Abteilungen, die den Amtschefs der Reichsleitung unterstellt waren. Das Reichsgebiet war in 13 Bezirksleitungen unterteilt. (Hier handelt es sich offensichtlich um eine alte, durch eine neue – siehe oben – überholte Gliederung; denn die Arbeitsgaue waren sowohl für die männliche wie für die weibliche Jugend zuständig.) Page 1005
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Allgemein Die etwa 30 Arbeitsgaue des RAD bestanden jeweils aus 4 bis 12 RAD-„Gruppen", welche wiederum 5 bis 15 Abteilungen vorstanden. Die wichtigste Einheit beim männlichen RAD war die Abteilung, die in einem geschlossenen Barackenlager untergebracht war. Theoretisch bestand eine Abteilung aus 216 Arbeitsmännern und Führern. Ein Vergleich mit militärischen Strukturen – Regiment – Bataillon – Kompanie trifft in dieser Reihenfolge nur sehr oberflächlich zu. Im Krieg wurden aus regionalen militärischen Bedürfnissen heraus Abschnitte und Bereiche gebildet, die mehrere Gruppen umfassten. Diese Organisationsstrukturen wurden entsprechend der Kriegslage aber nach Erledigung der Aufgaben wieder aufgelöst. Eine besondere Form der Führungsstruktur stellten die „Höheren RAD-Führer" (HRADF) dar. Diese hohen Führer befehligten zeitweilig mehrere Gruppen, Bereiche oder Abschnitte. So existierte z. B. in den besetzten Gebieten der Sowjetunion der „HRADF H V", Generalarbeitsführer Dr. Wagner, der mit 3 Abschnitten und bis zu 16 Gruppen die Heeresgruppe Mitte unterstützte. HRADF gab es auf allen Kriegsschauplätzen. Ende Der Reichsarbeitsdienst wurde nach Kriegsende durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 verboten und aufgelöst, sein Vermögen Page 1006
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt beschlagnahmt. Ausland Im Frankreich des Vichy-Regimes wurde in enger Anlehnung an den Reichsarbeitsdienst, v. a. zur Unterstützung der deutschen Kriegswirtschaft, im Februar 1943 der Service du travail obligatoire (STO) (= „obligatorischer Arbeitsdienst") gegründet. Siehe auch -
Arbeitsarmee Civilian Conservation Corps Dienstauszeichnung für den Reichsarbeitsdienst NS-Ranggefüge NS-Zwangsarbeit Flaggen des Reichsarbeitsdienstes (1933–1945)
Literatur - Wolfgang Benz: Vom Freiwilligen Arbeitsdienst zur Arbeitsdienstpflicht. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16 (1968) 4, S. 317–346 (PDF). - Rainer Drewes: Arbeitsdienst im emsländischen Moor. Eine Vision, ihr Missbrauch und ihr Ende: Zu Jugendbüchern von Peter Martin Lampel (1932) und Heinz Ludwig Renz (1938). In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes Bd. 52/2006, Sögel 2005, S. 177–193. - Peter Dudek: Erziehung durch Arbeit. Arbeitslagerbewegung und freiwilliger Arbeitsdienst 1920–1935. Opladen 1988. - Wilhelm Faatz: Das Holzhaus-Lager im Arbeitsgau XXV, Seine Entwicklung und Ausgestaltung 1932–1939. Leipzig 1939. Page 1007
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Hubert Gerlich: Die neue Provinz des Führers – Der Reichsarbeitsdienst im Emsland (1935–1938). In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes, Bd. 53/2007, Sögel 2006, S. 98–114. - Josef Hamacher: Freiwilliger Arbeitsdienst und Reichsarbeitsdienst im Altkreis Meppen. In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes, Bd. 48/2002, Sögel 2001, S. 273–306. - Michael Hansen: Idealisten und gescheiterte Existenzen. Das Führerkorps des Reichsarbeitsdienstes. Diss., Universität Trier, 2004 (PDF). - Detlev Humann: „Arbeitsschlacht". Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933–1939. Wallstein, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0838-1. - Michael Jonas: Zur Verherrlichung preußischer Geschichte als Element der geistigen Kriegsvorbereitung 1933–1945 in Deutschland. Organisationsspezifisch dargestellt am Erziehungssystem des Reichsarbeitsdienstes. Potsdam 1992. - Heinz Kleene: Der Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) im Emsland. In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes, Bd. 48/2002, Sögel 2001, S. 307–330. - Henning Köhler: Arbeitsdienst in Deutschland. Pläne und Verwirklichungsformen bis zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht im Jahre 1935. (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 10). Berlin 1967. - Michael Mott: Die Tätigkeit des Reichsarbeitsdienstes. In: Monographie 175 Jahre Landkreis Fulda, Geschichte und Aufgaben des Landkreises Fulda. Page 1008
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Fulda 1996, ISBN 3-7900-0271-2. - Kiran Klaus Patel: Soldaten der Arbeit. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA, 1933–1945. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-525-35138-0. (Engl: Soldiers of Labor. Labor Service in Nazi Germany and New Deal America, 1933–1945, Cambridge University Press, New York 2005. Rezension von Nicole Kramer bei H-Soz-u-Kult, 2005.) - Der Reichsarbeitsdienst. In: Wolfgang Stadler: Hoffnung Heimkehr. Swing-Verlag, Colditz 2000, ISBN 3-9807514-0-6, 2. Kapitel (Mit dem Fahrrad bis vor Stalingrad). - Reinhold Schwenk: Geistige und materielle Grundlagen der Entstehung des Führerkorps im Arbeitsdienst und seine Gleichschaltung und Neuformung nach 1933. Düsseldorf 1967. - Manfred Seifert: Kulturarbeit im Reichsarbeitsdienst. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Kulturpflege im Kontext historisch-politischer, organisatorischer und ideologischer Einflüsse.(Internationale Hochschulschriften; Bd. 196). Münster / New York 1996. Weblinks Commons: Reichsarbeitsdienst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Wiktionary: Reichsarbeitsdienst – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen - Literatur zum Reichsarbeitsdienst im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Page 1009
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt - Reichsarbeitsdienstgesetz (RGBl I, 1935, S. 769) - Wolf Oschlies: Der Reicharbeitsdienst (RAD) bei Shoa.de - Michael Hansen: „Idealisten" und „gescheiterte Existenzen". Das Führerkorps des Reichsarbeitsdienstes. Dissertation, Universität Trier, 2004 (PDF; 2,4 MB) - Der Reichsarbeitsdienst und Reichsarbeitsdienst als Teil der Lebensstationen beim Deutschen Historischen Museum - Jugend in Deutschland 1918 bis 1945: Reichsarbeitsdienst (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln) Einzelnachweise [1] Johannes Steffen: Notstandsarbeit – Fürsorgearbeit – Pflichtarbeit – Freiwilliger Arbeitsdienst. Die öffentlich geförderte bzw. erzwungene Beschäftigung in der Weimarer Republik – 1918/19 bis 1932/33. (Manuskript) Bremen, Juni 1994. [2] Johannes Steffen: Notstandsarbeit – Fürsorgearbeit – Pflichtarbeit – Freiwilliger Arbeitsdienst. Die öffentlich geförderte bzw. erzwungene Beschäftigung in der Weimarer Republik – 1918/19 bis 1932/33. (Manuskript) Bremen, Juni 1994, S. 83 ff. [3] Johannes Steffen: Notstandsarbeit – Fürsorgearbeit – Pflichtarbeit – Freiwilliger Arbeitsdienst. Die öffentlich geförderte bzw. erzwungene Beschäftigung in der Weimarer Republik – 1918/19 bis 1932/33. (Manuskript) Bremen, Juni 1994, S. 84 ff. [4] Joachim Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Page 1010
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Reiches". Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922–1933. Frankfurt am Main 2005, S. 157. [5] Manfred Weißbecker: Das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 und seine lange Vorgeschichte. [6] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3, S. 73 ff. [7] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3, S. 159 ff. [8] Notstandsarbeit Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) Reichsarbeitsdienst (RAD). Abgerufen am 4. September 2012. [9] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3. [10] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, S. 117 f. [11] Adam Tooze: Der totalitäre Staat. Ökonomie des Grauens. Spiegel Spezial Geschichte 1/2008. [12] Christoph Wagner: Entwicklung, Herrschaft und Untergang der nationalsozialistischen Bewegung in Passau 1920 bis 1945. Berlin 2007, ISBN 978-3-86596-117-4, S. 308. [13] Manfred Weißbecker: Zwei Gesetze – ein Ziel. Junge Welt, 26. Juni 2010. Page 1011
Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt [14] Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 [15] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, S. 337. [16] Zit. in: Michael Grüttner: Studenten im Dritten Reich, Schöningh, Paderborn 1995, S. 227 [17] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, S. 368. [18] Michael Grüttner: Studenten im Dritten Reich, Schöningh, Paderborn 1995, S. 227 [19] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3, S. 404. [20] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3, S. 318. [21] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3, S. 402. [22] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 978-3-525-35138-3, S. 317. [23] Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Page 1012
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Deutsche NS-Zwangsarbeit.txt Normdaten (Körperschaft): GND: 4049125-0 | LCCN: n81009634 | VIAF: 156484921 Zivilarbeiter Zivilarbeiter waren nach nationalsozialistischen Sprachgebrauch junge männliche und weibliche Arbeitskräfte, häufig noch Jugendliche, aus den von deutschen Truppen während des Zweiten Weltkrieges besetzten Ländern, die in ihrer Heimat weitgehend unter Druck oder falschen Versprechungen angeworben wurden und in Deutschland rechtlos und überwiegend unter menschenunwürdigen Bedingungen als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, um die deutsche Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten.
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