Markus Schroer
Das gefährdete, das gefährliche und das Risiko-Individuum
Drei Argumentationslinien in der Individualisierungstherorie Der Beitrag zeigt auf, dass Individualisierung kein Phänomen ist, dass erst die gegenwärtige Soziologengeneration thematisiert. Vielmehr lässt sich die Beschäftigung mit der Individualisierung bis zu den Klassikern um die Jahrhundertwende zurückverfolgen. Dabei lassen sich drei Argumentationsstränge unterscheiden, die sich ausgehend von den Klassikern bis in die Gegenwart verfolgen lassen. Der erste Argumentationsstrang reicht von Max Weber über die Kritische Theorie bis Michel Foucault. Diese Richtung fasse ich unter dem Namen negative Individualisierung zusammen; das hier im Mittelpunkt stehende Individuum bezeichne ich als gefährdetes Individuum. Einer dieser Argumentationslinie entgegengesetzte zweite Richtung bringe ich mit Emile Durkheim, Talcott Parsons und Niklas Luhrnann in Verbindung. Diese zweite Richtung firmiert in meinem Beitrag als positive Individualisierung, das von ihr behandelte Individuum bezeichne ich als gefährliches Individuum. Zwischen diesen beiden Richtungen vermittelt gleichsam eine dritte Argumentationslinie, die sowohl Gefährdungen für das Individuum ausmacht und auf Belastungen verweist als auch Chancen und Möglichkeiten für die Individuen betont. Simmel, Elias und Beck stehen in meiner Argumentation für diese Richtung. Diese Linie wird unter dem Namen ambivalente Individualisierung vorgestellt; das dort behandelte Individuum als Risiko Individuum bezeichnet. Der Beitrag schließt mit einigen Überlegungen zur zukünftigen Erforschung von Individualisierungsprozessen. -
I. Einleitung Individualisierung — das ist nun schon seit mehr als fünfzehn Jahren ein Begriff, der innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft zu zahlreichen Debatten Anlass gegeben hat und immer neue Debatten zu entzünden vermag. Angestoßen insbesondere durch die Arbeiten von Ulrich Beck (1983, 1986) und Elisabeth Beck-Gernsheim (1983) hat die Diskussion um die Individualisierung in nahezu allen Bereichen der Soziologie Eingang gefunden. Ob in der soziologischen Theorie, der Gesellschaftstheorie, den Theorien der Moderne und Postmoderne oder in den zahlreichen speziellen Soziologien, der Familiensoziologie, der Jugendsoziologie, der Industrie- und Betriebssoziologie, der Lebenslaufund Biographieforschung, der Soziologie so-
zialer Ungleichheit, der Soziologie der Kindheit, der Stadtsoziologie, der Soziologie der Geschlechter usw.: In all diesen Bereichen wird über die theoretische Konsistenz der Individualisierungsthese ebenso gestritten wie um ihre empirische Validität. Begleitet worden ist diese breite Anschlussfähigkeit des Individualisierungstheorems innerhalb der Wissenschaft von Anfang an durch eine lebhafte öffentliche Aufmerksamkeit, die ebenfalls nicht abzureißen scheint. Außerhalb wie innerhalb der Wissenschaft lassen sich dabei verschiedene Lesarten des Problems unterscheiden. Gilt Individualisierung den einen als Errungenschaft, die die Einzelnen aus dem Joch der Traditionen, der engen Umklammerung der Gemeinschaften und ihrer sozialen Kontrolle befreit, um ihnen ein selbstbestimmteres und eigenständigeres Leben zu ermöglichen, wird von ande-
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ren das gleiche Phänomen als besorgniserregende Entwicklung gelesen, da der Einzelne auf die Ordnung gewährende Macht der Traditionen, der Orientierung innerhalb Oberschaubarer Gemeinschaften angewiesen ist. Wird er aus diesen herausgelöst, trudelt der Einzelne orientierungslos durch den sozialen Raum, lässt sich mal hier und mal dorthin treiben, stellt allein seine egoistischen Nutzenkalküle in den Vordergrund und gefdhrdet somit auf Dauer den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diese Annahme eines einerseits begrüßten, andererseits beklagten Zuwachses an individuellen Handlungsspielräumen aber widerspricht einer dritten Perspektive, in der das Individuum zwar ebenfalls aus ehemaligen sozialen Zusammenhängen herausgelöst wird, dies aber letztlich nur, um es fortan noch enger an die Kette zu legen. Von dieser Seite wird geltend gemacht, dass es oftmals nur so scheint, als würden die Individuen immer selbständiger in ihren Entscheidungen und Handlungen, in Wahrheit aber sei das Individuum durch übermächtige Systeme und bürokratische Strukturen nahezu vollständig determiniert. Statt autonome Entscheidungen zu treffen, reagiere es nur mehr auf die vorgestanzten Muster einer allmächtig gewordenen Kulturindustrie. Nicht von steigender Individualität, sondern vom „Ende des Individuums" ist hier die Rede. Doch wie auch immer der Prozess der Individualisierung im einzelnen belegt und bewertet wird, einig scheint man sich doch immerhin über einen tiefgreifenden sozialen Wandel, der den Einzelnen aus traditionalen Sozialbeziehungen entlässt. Ich möchte im Folgenden zeigen, dass diese hier etwas plakativ vorgestellten Motive der gegenwärtigen Individualisierungsdebatte keine aktuellen Erfindungen sind. Sie lassen sich im Gegenteil bis hin zu den Klassikern der Soziologie zurückverfolgen. Meine im vorliegenden Aufsatz entfaltete These ist, dass sich drei Hauptstränge in der Diskussion um Individualisierung unterscheiden lassen, die sich — angefangen bei der Soziologie um die Jahrhundertwende — bis in die Gegenwart hinein fortspinnen lassen. Da gibt es zunächst die Traditionslinie, die sich von Weber über Adorno bis zu Fou-
cault verfolgen lässt. In dieser Perspektive wird — bei allen Differenzen im einzelnen — argumentiert, dass das Individuum bedroht und seine (Bewegungs-)Freiheit in Gefahr ist. Es erscheint als manipulierbares Rädchen im Getriebe, es ist kaum zu eigenständigen Handlungen und Entscheidungen in der Lage, weil es unter die Räder der Bürokratie gerät, von der „verwalteten Welt" auf eine Nummer reduziert oder durch immer präzisere Disziplinierungs- und Überwachungsmethoden zu einem Disziplinarindividuum geformt wird. Auffällig ist, dass in allen drei Versionen einer solchen rabenschwarzen Zeitdiagnose nach Auswegen und zum Teil utopisch überhöhten Ausbruchsversuchen gefahndet wird. Ich mache den Vorschlag, diese Argumentation unter dem Namen negative Individualisierung zu führen. Im Mittelpunkt steht das gefährdete Individuum (II.). Eine sich hiervon diametral unterscheidende zweite Linie ist mit den Theorien von Emile Durkheim, Talcott Parsons und Niklas Luhmann verbunden. In ihrer differenzierungstheoretischen Argumentation wird ein ehemals stark an gesellschaftliche Vorgaben gebundenes Individuum im Laufe des Modernisierungsprozesses aus traditionalen Bindungen befreit und auf sich selbst gestellt. Die funktional differenzierte Gesellschaft ermöglicht ihrer Auffassung nach sowohl persönliche und intime als auch unpersönliche Sozialbeziehungen in einem vorher nicht bekanntem Ausmaß. In ihrer Perspektive wird das Individuum keineswegs immer enger an gesellschaftliche Institutionen gebunden, die es förmlich zu erdrücken drohen. Ganz im Gegensatz lautet hier die These, dass die Bindung der Individuen an soziale Systeme zunehmend lockerer wird. Die Gesellschaft muss deshalb immer stärkere Anstrengungen unternehmen, um die Individuen überhaupt noch zu erreichen und zu bestimmtem Verhalten zu motivieren. Insofern ist in dieser Perspektive entschieden von einer positiven Individualisierung die Rede. Gleichzeitig fi ndet man jedoch auch die Thematisierung der Gefahr einer Hyperindividualisierung, die Gefahr einer überzogenen Freisetzung der Individuen, die zu anomischen Krisenzuständen führt und eine Bedrohung der sozia-
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len Ordnung darstellt. Deshalb spreche ich in dieser Linie vom gefährlichen Individuum. Vom gefährdeten Individuum erfährt man in dieser Variante der Individualisierungstheorie kaum etwas. Im Vordergrund steht hier vielmehr die Gefährdung des gesellschaftlichen Ganzen bzw. der sozialen Ordnung durch eine aus dem Ruder laufende Individualisierung. Die Tendenz zu einer übertriebenen Individualisierung, in der das Individuum zur Gefahr statt zum Garanten sozialer Ordnung wird, nimmt zwar von Durkheim über Parsons bis Luhmann ab, ist aber in allen drei Theorien anzutreffen (III.).I Eine dritte Argumentationslinie, die ich mit den Namen Georg Simmel, Norbert Elias und Ulrich Beck verbinde, stellt Individualisierung als einen in sich ambivalenten und widersprüchlichen Prozess vor. Das heißt konkret, dass nicht nur die Folgen der Individualisierung ambivalent sind, sondern der Individual isierungsprozess selbst. Simmel, Elias und Beck stimmen darin überein, dass Individualisierung weder nur als bloße Pseudoindividualisierung zu verstehen ist, wie es die Diagnosen von Weber, Adorno/ Horkheimer und (zunächst) Foucault nahelegen, noch allein als funktionale Notwendigkeit und bloße Begleiterscheinung des Differenzierungsprozesses, die sich zur besorgniserregenden Hyperindividualisierung steigern kann, gelesen werden muss, wie es bei Durkheim, Parsons und Luhmann geschieht. Ihre Perspektive ist weder die eines in seiner Bewegungsfreiheit und Entscheidungsautono-
mie durch Bürokratisierung, Ökonomisie-
rung und Disziplinierung gefährdeten Individuums noch die eines gefährlichen Individuums, das, wenn es nicht frühzeitig und beständig domestiziert und in seinen Ansprüchen beschnitten wird, eine Gefahr für die soziale Ordnung darstellt. Ihre Argumentation ist vielmehr die eines Weder-noch bzw. eines Sowohl-als-auch. Weder lässt sich Individualisierung rundweg bestreiten und als bloße Pseudoindividualisierung denunzieren, noch bedeutet Individualisierung per se eine Gefahr für die Gesellschaft, der man nur mit einer stärkeren Kontrolle der Individuen Herr zu werden vermöchte. Freilich kann Individualisierung sowohl Gefährdungen des Individuums mit sich bringen — etwa durch Disziplinierungs-, Uniformierungsund Standardisierungsprozesse —, als auch zur Gefährdung des sozialen Zusammenhalts —etwa durch Atomisierungsprozesse, Solidaritätsschwund und Orientierungslosigkeit —führen. Allerdings verdichten sich diese von Simmel, Elias und Beck durchaus thematisierten Phänomene bei ihnen nicht zu einer Diagnose, die sich nur für jeweils eine dieser Tendenzen sensibel zeigt. Sie verstehen Individualisierung vielmehr als einen Prozess, der zu komplex, vieldeutig und ambivalent ist, um ihn ausschließlich als Atomisierungs- oder Disziplinierungsvorgang zu interpretieren. Aus diesen Gründen wird die von Simmel Ober Elias bis Beck reichende Argumentationslinie in meinem Modell unter dem Namen ambivalente Individualisierung
Tabelle 1: Modell aus der Differenzierung der drei Argumentationslinien Synchrone Achse 1:
Synchrone Achse 2:
Synchrone Achse 3: Das selbstbezogene
Individuum
Diachrone Achse 1:
Negative Individualisierung
WEBER Das heroische Individuum
HORKHEIMER/ ADORNO Das liquidierte Individuum
FOUCAULT Das disziplinierte Individuum
Positive
DURKHEIM Das anomische Individuum
PARSONS Das integrierte Individuum
LUHMANN Das funktionale Individuum
Diachrone Achse 2:
SIMMEL Das hybride Individuum
ELIAS Das zivilisierte Individuum
BECK Das flexible Individuum
Diachrone Achse 3:
Individualisierung
Ambivalente Individualisierung
Das gefährdete Individuum
Das gefährliche Individuum
Das RisikoIndividuum
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geführt. Das von ihnen thematisierte Individuum wird als Risiko-Individuum bezeichnet, da dem Individuum einerseits Chancen zur selbstbestimmten Lebensführung und individuellen Besonderung zugesprochen, andererseits aber auch Gefahren der Zerstörung individueller Freiräume durch Standardisierungsprozesse thematisiert werden. Systematisiert man diese drei Argumentationslinien entlang der Zeitachse, dann zeigt sich, dass jede der behandelten Theorien zweimal vorkommt: einmal in einem (diachronen) Längsschnitt und ein anderes Mal in einem (synchronen) Querschnitt (vgl. Tabelle 1). Damit wird jeder Theoretiker einerseits im Vergleich zu mehr oder weniger zeitgleich entstandenen Theorien und andererseits als Vorläufer bzw. Nachfolger einer bestimmten Argumentationslinie vorgestellt (vgl. Schroer 2001a). Für die jeweils aktuellen Positionen der drei Argumentationsstränge ergibt sich schließlich die Besonderheit, dass (der späte) Foucault, Luhmann und Beck in ihrem Individualisierungsverständnis überraschende Parallelen aufweisen. Während bei den anderen in etwa zeitgleich entstandenen Theorien (bei Weber, Durkheim, Simmel und bei Adorno/Horkheimer, Parsons und Elias) eindeutig die Unterschiede überwiegen — weshalb das von ihnen thematisierte Individuum in meiner Tabelle nicht auf einen gemeinsamen Begriff reduziert werden kann —, ergeben sich bei Foucault, Luhmann und Beck zahlreiche Ähnlichkeiten. Obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Traditionen heraus starten, steht in ihrer Argumentation ein selbstbezogenes Individuum im Vordergrund, das sich nicht mehr in erster Linie über die Zugehörigkeit zu sozialen Kreisen, zu anderen Individuen oder sozialen Gruppen definiert, sondern über die Bezüge zu sich selbst (IV.). Mit diesem Individualisierungsverständnis lässt sich zeigen, dass die Modelle der negativen oder positiven Individualisierung — in Reinform vertreten durch Weber und die kritische Theorie auf der einen und durch Durkheim und Parsons auf der anderen Seite — zu einseitig angelegt sind, um die widersprüchliche Lage, in der sich das Individuum in unserer postmodernen Gesellschaft befindet, angemessen beschrei-
ben zu können. Die Untergangsvisionen über ein von der Bildfläche verschwindendes souveränes Individuum einerseits und das Bild eines für die funktional differenzierte Gesellschaft passgerechten Individuums andererseits vermögen ebenso wenig zu überzeugen wie die Warnungen vor einer zur Hyperindividualisierung gesteigerten Individualisierung. Neigen die einen dazu, die Disziplinierungs- und Kontrollfunktion der Gesellschaft zu überschätzen, das diesen Kräften ausgesetzte Individuum aber zu unterschätzen, so verhält es sich bei den Vertretern der zweiten Gruppe genau umgekehrt: Obwohl sie im Grunde vom Vertrauen in ein sich immer wieder einspielendes Gleichgewicht zwischen individuellem Autonomiestreben und sozialer Ordnung ausgehen, neigen sie dazu, das Individuum als permanente Störquelle der sozialen Ordnung zu überschätzen, die Disziplinierungs- und Kontrollfunktionen der Gesellschaft aber zu unterschätzen, die dieses wieder zur Räson bringen sollen. Ich werde im Folgenden zunächst die drei diachronen Achsen mit ihren jeweiligen Vertretern vorstellen, bevor ich mit Blick auf die dritte synchrone Achse zeige, wie die positive, die negative und die ambivalente Argumentationslinie sich in den Arbeiten von Luhmann, Foucault und Beck aufeinander zu bewegen (V.). Ich schließe mit einem Ausblick auf die Zukunft der Individualisierung unter Globalisierungsbedingungen (VI.).
II. Negative Individualisierung: Das gefdhrdete Individuum bei Weber, Horkheimer/Adomo und Foucault Obwohl sich Max Weber an keiner Stelle seines Werkes explizit mit dem Thema Individualisierung auseinander gesetzt hat, lassen sich seinen Arbeiten dennoch grundsätzliche Aussagen zum Thema Individualisierung entnehmen. Für den Übergang in die Moderne ist für Weber konstitutiv, dass das Individuum aus rituellen und gewohnheitsgeprägten Lebenswelten herausgelöst und zunehmend gezwungen wird, Sinn- und Existenzfragen selbst zu beantworten. Der Rationali-
Berl. J. Soziol., Heft 3 2001, S. 319-336 sierung religiöser Weltbilder kommt insofern eine entscheidende Schrittmacherfunktion für die Individualisierung des Einzelnen zu. Während in den frühen, religiös geprägten Stadien alle Bereiche des Lebens gleichsam konzentrisch um Gott geordnet waren, bricht mit dem Anbruch der Moderne diese sinnstiftende Mitte zunächst ersatzlos weg. Nunmehr muss jeder Einzelne far sich selbst seinem Leben einen Sinn geben, da er ihm von keiner übergeordneten Instanz mehr vorgegeben wird. Weber bewertet diesen Vorgang durchaus ambivalent. Auf der einen Seite beklagt er den drohenden Sinn- und Orientierungsverlust, der sich für die Individuen aus der abnehmenden Bedeutung der Religion ergibt. Auf der anderen Seite befürwortet er den Machtverlust der Religion auch als Befreiung aus einem den Einzelnen in alle Poren seines Daseins reglementierenden Zwang. Da diese Befreiung jedoch nur von kurzer Dauer ist — kaum hat die Religion diesen Platz im Leben des Einzelnen geräumt, droht die kapitalistische Wirtschaftsordnung an ihre Stelle zu treten — wird der Sinnverlust keineswegs mit einem Freiheitszuwachs kompensiert. Vielmehr zeigt sich neben dem Sinnverlust ein Freiheitsverlust, der die ausweglose Lage, in die das moderne Individuum nach Weber mehr und mehr zu geraten scheint, verstärkt. Die von der kapitalistischen Wirtschaftsordnung beförderten Prozesse der Rationalisierung und Bürokratisierung aller Lebensbereiche drohen den gerade erreichten Zuwachs an individueller Freiheit wieder zunichte zu machen. Der Kapitalismus schafft sich kleine willenlose Rädchen im Getriebe, die zu keiner aktiven und selbstbestimmten Lebensgestaltung in der Lage sind, sondern sich den vorherrschenden Bedingungen passiv und still ergeben. Der mit Hilfe der Religion, insbesondere natürlich des Protestantismus, zur Macht gelangte Kapitalismus verdrängt schließlich nach und nach gänzlich die Einflusssphäre der Religion und nimmt damit dem Einzelnen eine Instanz, die ihm dabei behilflich sein könnte, die in seinen Alltag eindringenden „kalten Skeletthände rationaler Ordnungen" (Weber 1988a: 561) auf Distanz zu halten. Ohne seine religiöse Grundlage droht der einstmals gezähmte, jetzt derart entfesselte Kapitalis-
mus zu einem „stahlharten Gehäuse" (ebd.: 203) zu mutieren, das eine „unentrinnbare Macht über den Menschen, wie jemals zuvor in der Geschichte" zu erringen vermag. Webers Untersuchungen werden von der Frage motiviert, was wir „dieser Maschinerie entgegenzusetzen (haben), um einen Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Parzellierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bürokratischer Lebensideale?" (Weber I 988b: 414). Doch so dringlich es Weber erscheint, der zur Alleinherrschaft gelangten Bürokratie etwas entgegenzuhalten, so skeptisch zeigt er sich im Hinblick auf die Fähigkeiten des gewöhnlichen Einzelnen, dieser Aufgabe gerecht werden zu können. Abgesehen von seiner elitären Haltung dem normalen Individuum gegenüber, die in seine Oberlegungen zweifellos Eingang gefunden hat, stellt Weber sich die Frage, aus welchen Ressourcen sich das Individuum bedienen soll, um der in alle Poren seines Alltags eindringenden bürokratischen Ordnung Paroli bieten zu können. Die Religion hat zu sehr an Einfluss verloren, um für diese Aufgabe noch zu taugen. Es ist diese Frage, die Webers Interesse an den verschiedensten Lebensfahrungsmodellen motiviert, mit denen er sich im Einzelnen auseinandersetzt. Entscheidend scheint mir für Webers Einschätzung der Individualisierungsmöglichkeiten zu seiner Zeit zu sein, dass er zwar immer wieder fragt, was wir der Rationalisierung und Bürokratisierung, die unser Leben zu beherrschen droht und unsere Bewegungsfreiheit immer starker einschränkt, entgegenzusetzen haben, sich andererseits aber von der Unabwendbarkeit des sich entfaltenden „stahlharten Gehäuses" überzeugt zeigt. Die Verwandlung der verzauberten in eine entzauberte Welt, das Heraufziehen der modernen Gesellschaft, die eine Pluralität unterschiedlicher Wertsphären etabliert, zwischen denen sich die Individuen souverän bewegen können sollen, statt sich einer mit Haut und Haaren zu verschreiben, ist nach Weber nicht aufzuhalten, sondern gilt es auszuhalten. Bis in die Wortwahl hinein nimmt Weber mit dieser rabenschwarzen Diagnose, der das Motto aus Dantes Divina Comedia „Laßt alle Hoffnungen fahren" eingeschrieben zu sein scheint (Peukert 1989: 28), zentrale Motive
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der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule vorweg. Auch bei Horkheimer und Adorno werden dem Individuum, das diesen Namen verdient, wenig Überlebenschancen eingeräumt. Ja, mehr noch: Was sich bei Weber — als allerdings unaufhaltbares Schicksal — erst noch anzukündigen schien, ist nun längst eingetreten. Auch bei ihnen ist es der Monopolkapitalismus, der die Liquidation des Individuums besorgt hat. Horkheimers und Adornos These vom Ende und Niedergang des Individuums knüpft offensichtlich direkt an die von Weber beschriebenen und antizipierten Gefahren einer drohenden Eliminierung des Individuums in der modernen Gesellschaft an. Auch sie gehen davon aus, dass die Ressourcen für die Ausbildung einer innengeleiteten Persönlichkeit durch die sozialen Kontrollen, die Bürokratisierung und zunehmende Macht der monopolistischen Organisationen aufgezehrt werden. Statt eines innerlich gefestigten Ichs bildet der moderne Spätkapitalismus nur mehr sich konform verhaltende Sozialcharaktere aus, die sich reflexhaft den jeweils gelten Anforderungen anpassen. Und das geschieht gleichsam ohne Gegenwehr, da die Individuen nicht mit Terror, Gewalt und Zwang dazu gebracht werden, so zu funktionieren, wie „das System" es von ihnen erwartet, sondern auf eine beinahe unmerkliche, subtile und geradezu angenehme Weise. Es ist die Kulturindustrie, die mit vergleichsweise weichen Methoden herstellt, was sonst nur durch rigide Zwangsmaßnahmen zu erreichen gewesen scheint: eine manipulierbare Masse, die nicht nur zu keinerlei Widerspruch und Widerstand mehr in der Lage ist, sondern auch gar nicht die Motivation hat, weil sie mit dem, was ist, einverstanden ist. Industriell hergestellt und massenhaft verbreitet, lullt sie die Individuen ein, indem sie diese mit Erzeugnissen versorgt, die nicht über bestehende gesellschaftliche Widersprüche wie etwa den Klassenantagonismus oder generell über soziale Probleme informieren und aufklären, sondern über sie hinwegtäuschen und von ihnen ablenken. Sie verdammen die Individuen zur absoluten Passivität, konditionieren sie zu willenlosen Rezipienten, leiten zur Einfügung und Anpassung in das Bestehende ein, zerstören Kreativität und Phantasie und un-
terhöhlen damit jegliche Form von Autonomie und Individualität, die damit zur „Pseudoindividualität" (Horkheimer/Adorno 1971: 139) verkommt. Bezieht sich Weber mit seiner Annahme der gestiegenen Wahlmöglichkeit und des erhöhten Wahlzwanges des Einzelnen noch auf einen fundamentalen Topos der Individualisierungstheorie, so leugnen Horkheimer und Adorno eine solche Wahlmöglichkeit generell. Die Situationen, in denen das Individuum tatsächlich zwischen Handlungen selber wählen kann, sind derart vorherbestimmt, die Differenz zwischen zwei Alternativen so gering, dass von einer Wahl eigentlich gar nicht die Rede sein kann (vgl. Adorno 1979: 52). Kurz: Die „Freiheit in der Wahl" ist eine „Freiheit zum Immergleichen" (Horkheimer/Adorno 1971: 150). Michel Foucaults Bilder für den Zustand der modernen Gesellschaft sind nicht weniger düster als Webers stahlhartes Gehäuse und Adornos total verwaltete Welt: Die zunächst in einzelnen Institutionen erprobten Disziplinierungs-, Kontroll- und Normalisierungssysteme haben sich derart über die Gesellschaft ausgebreitet, dass das Gefängnis als Verwahrungsort und Besserungsanstalt potenziell überflüssig wird (Foucault 1977: 395). „Überwachen und Strafen" hat die Veränderung der Strafpraxis vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart zum Gegenstand. Diese reicht von der körperlichen Züchtigung bis zur Isolierung der Gefangenen in Zellen: Foucault zeigt, wie die Strafe in Form von physischen Zugriffen auf den Körper durch Marter, Folter und Hinrichtung nach und nach durch subtilere Formen wie Einsperrung, Disziplinierung und permanente Überwachung ersetzt worden ist. Die Körper der Individuen werden auf dem Weg in die Moderne immer weniger gemartert, gefoltert und hingerichtet, dafür aber immer häufiger eingesperrt, abgerichtet und zugerichtet. Ein ganzes Netz von ausgeklügelten Disziplinierungsprozeduren, Kontrollmechanismen, Normalisierungs- und Überwachungssystemen hilft dabei mit, ein ganz und gar zuverlässiges, berechenbares und effektives Individuum hervorzubringen. Einzig und allein, um sie effektiver observieren und kontrollieren zu können, werden die Individuen
Berl. J. Soziol., Heft 3 2001, S. 319-336 aus einer unübersichtlichen Masse herausgelöst, die sie bisher vor dem sezierenden Zugriff der Macht auch schützte. Individualisierung heißt Mr Foucault entschieden Vereinzelung und Isolierung, meint die Produktion sich selbst kontrollierender Einzelner. Doch so finster die Diagnose über das Leben der Individuen in der modernen Welt auch aussieht, wenn es um die Frage geht, wie diese Verhältnisse zu verändern sind, dann setzen Horkheimer und Adorno ähnlich wie Weber doch wieder auf das Individuum. Auf der einen Seite hat die „funktionale Gesellschaft" (Adorno 1979: 18) derart über die Individuen triumphiert, dass sie zu keiner Gegenwehr mehr in der Lage sind. Auf der anderen Seite aber bricht sich hier und da ein Funken Hoffnung Bahn durch ihre nicht mehr nur trüben, sondern tiefschwarzen Bilder über ein Leben unter den Bedingungen einer totalitären Massengesellschaft (ebd.: 368). Alles zusammen genommen bleiben jedoch solche Hinweise eher marginal angesichts des überwältigenden Ausmaßes an Beschreibungen, die den totalen Verblendungszusammenhang, die völlige Ausweglosigkeit und den „mittlerweile evidente(n) Verfall von Individualität" (Adorno 1988: 344) konstatieren. Und damit sind sie ebenso wie Weber von der Schicksalhaftigkeit des aufziehenden Zeitalters überzeugt, sie sehen das Leben eines autonomen Individuums durch soziale Kontrollen, zunehmende Bürokratisierung und die Herrschaft der Organisationen stark gefährdet. Statt eines innerlich gefestigten, starken Ichs bringt die spätkapitalistische Gesellschaft nur noch sich absolut konform verhaltende, außengeleitete Individuen hervor, die sich reflexhaft den jeweils vorherrschenden Umständen bedingungslos anpassen. Sich anzupassen, sich der Logik der kapitalistischen Tauschgesellschaft ohne Widerstand zu ergeben, das ist eine von Horkheimer und Adorno wie auch von Weber kritisierte Haltung. Foucault hat sich später darum bemüht, dem „Negativismus" (Foucault 1976: 129), zu dem er sich in einem Gespräch aus dem Jahre 1975 noch bekennt, zu entkommen, da ihm eine Haltung, „die sich darauf beschränkt, anzuklagen und zu kritisieren"
(Cooper/Foucault 1979: 89) nicht mehr stichhaltig zu sein scheint. In seinen letzten Arbeiten gibt es eine deutliche Hinwendung zu den Möglichkeiten des Einzelnen, sein Leben zu gestalten, während ihn vorher sehr viel mehr die Zurichtungsprozeduren interessierten, denen das Individuum ausgesetzt wurde. Mit diesem Perspektivenwechsel (vgl. Kneer 1996: 163ff.) rückt Foucault inhaltlich nahe an das heran, was Beck und Luhmann unter Individualisierung verstehen, wie ich weiter unten noch zeigen werde. Halten wir bis hierher fest: In allen drei Versionen begegnet uns das Muster einer äußerst pessimistischen Zeitdiagnose und Prognose und der verzweifelte Versuch, aus dieser Diagnose dennoch Fluchtmöglichkeiten zu eröffnen. Lebensführung, negativ verhängte Utopie und Lebenskunst bezeichnen jeweils deren theoretischen Ort (vgl. Schroer 1996a, 1996b).
III. Positive Individualisierung: Das gefdhrliche Individuum bei Durkheim, Parsons und Luhmann Emile DurIcheim hat sich — anders als sein Zeitgenosse Weber — wiederholt explizit mit dem Thema Individualisierung befasst. Schon in seiner 1893 erschienen Dissertationsschrift De la division de travail social spielt es eine entscheidende Rolle. Durkheim beschreibt darin bekanntlich den Übergang von traditionalen bzw. einfachen Gesellschaften, die durch eine mechanische Solidarität integriert sind, zu modernen bzw. höheren Gesellschaften, deren Integration auf der organischen Solidarität beruht. Einschneidende Konsequenzen hat dieser idealtypisch konzipierte Übergang für die Individuen. In einfachen Gesellschaften geht nach Durkheim der Einzelne noch ganz in der Gruppe auf, das individuelle Bewusstsein wird nahezu vollständig vom Kollektivbewusstsein absorbiert. Jedes Individuum ist direkt an die Gesellschaft gekoppelt und dadurch einer hohen sozialen Kontrolle ausgesetzt. Die Individualität der einzelnen Gruppenmitglieder in diesem Gesellschaftstypus ist „gleich Null" (Durkheim 1988: 182).
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Dies ändert sich entscheidend beim Obergang zu höheren Gesellschaftsformen. Im Zuge dieser Entwicklung wir das Individuum zunehmend aus der Enge der gemeinschaftlichen Bindungen befreit und erhält größere Handlungsspielräume. Nun ist Durkheim weit davon entfernt, dieses Recht der Individuen auf freie Entfaltung als evolutionäre Errungenschaft zu feiern. Allzu sehr ist ihm bewusst, dass eine zunehmende Individualisierung immer auch eine Gefahr far die soziale Ordnung darstellen kann. Diese Einsicht aber verleitet ihn keineswegs dazu, dafür zu plädieren, die Rechte des Individuums wieder einzuschränken, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Vielmehr will er den fir ihn irreversiblen Prozess der Individualisierung (ebd.: 227) fir die Etablierung einer neuen Moral nutzen. Seine Verteidigung des Individualismus in der berühmten Dreyfus-Affäre speist sich nicht aus einem romantischen Ideal einer allseits ausgebildeten Persönlichkeit. Ebenso wenig resultiert es aus einem politischen Votum für die individuellen Rechte des Individuums. Schon gar nicht ist es das Ergebnis einer Wertentscheidung, die dem Individuum gegenüber der Gesellschaft die größeren Rechte einräumt. Durkheims Eintreten far den Individualismus verdankt sich vielmehr allein der These, dass fir eine arbeitsteilige Gesellschaft ein gewisses Maß an Individualisierung funktional notwendig ist. Arbeitsteilung und Individualisierung gehören für Durkheim unauflöslich zusammen, das eine ist ohne das andere nicht zu haben (ebd.: 475). Die heraufziehende neue Ordnung arbeitsteiliger Gesellschaften geht für ihn weder zu Lasten des Individuums noch ist die zunehmende individuelle Freiheit flit. die Bindungskraft der modernen Gesellschaft per se eine Gefahr. Durkheims als Steigerungshypothese bekannte Idee ist vielmehr, dass das Individuum gleichzeitig autonomer und abhängiger von der Gesellschaft wird (ebd.: 82), dass wachsende Autonomie der Individuen und ein moralischer Zusammenhalt zwischen den Gesellschaftsmitgliedern sich nicht nur nicht ausschließen, sondern geradezu gegenseitig bedingen. Die Frage lautet far ihn nicht, ob diese Entwicklung wünschbar ist oder nicht. Die eigentlich entscheidende Frage ist vielmehr, wie sich
der nicht aufzuhaltende Individualismus im richtigen, gesunden Maß entwickeln lässt. Denn alle anomischen Erscheinungen, denen sich Durkheim gewidmet hat, wie etwa den hohen Selbstmordraten, ergeben sich aus einem Merkmal, das nicht an sich schon verwerflich oder gefdhrdend ist, sondern nur in seiner übersteigerten Form: So geht der egoistische Selbstmord aus einer „übermäßigen" (Durkheim 1990: 232) bzw. „übertriebenen Individuation" (ebd.: 419) hervor; der „exzessive Individualismus" (ebd.: 233) ist eine unmittelbare Ursache des Selbstmords, während dagegen der „gemäßigte Individualismus" (ebd.: 253) in den Grundzügen des Christentums ein „Hindernis auf dem Weg zum Selbstmord" (ebd.) darstellt. Durkheims gesamte theoretische Anstrengung ist letztlich darauf ausgerichtet, nachzuweisen, dass alles so lange nicht schädlich ist, wie es in Maßen stattfindet (ebd.: 242). Der Herstellung eines solch maßvollen moralischen Individualismus geht Durkheim in seinen Vorlesungen über Erziehung und Moral nach (vgl. Müller 1986). Das Individuum bedarf bei Durkheim der Kontrolle und Zwänge der Gesellschaft, um nicht das Opfer seiner maßlosen inneren Triebe und Bedürfnisse zu werden. Gelingt der Erziehungsprozess, ist das Individuum für die Disziplinierungen und Kontrollen regelrecht dankbar, denn nur durch sie kann es ihm gelingen, die es erfüllende Aufgabe zu finden, statt orientierungslos mal diesem und mal jenem Impuls nachzugehen. In Talcott Parsons Ausführungen zur Individualisierung ist der Einfluss Durkheims überdeutlich. In völliger Übereinstimmung mit Durkheim geht Parsons davon aus, dass die Entwicklung der modernen Gesellschaft „eher eine Zunahme als eine Abnahme von Autonomie" (Parsons 1968: 224) für das Individuum mit sich bringt. Blieb dem Einzelnen in primitiven Gesellschaften letztlich nur „eine Möglichkeit" (Parsons 1975: 70), sein Leben zu leben, so steht dem modernen Individuum „ein häufig verwirrender Bereich von Wahlmöglichkeiten" (Parsons 1980: 68) zur Verfügung. Wurde einstmals jedem Individuum sein Platz in der Gesellschaft zugewiesen, sind die Individuen in modernen Gesellschaften zur „Selbstlokalisierung"
Berl. J. Soziol., Heft 3 2001, S. 319-336 (ebd.: 71) aufgerufen. Allerdings macht Parsons hinsichtlich dieser Entwicklung ein deutliches Missverhältnis zwischen den an den Einzelnen gestellten Anforderungen und dessen Kompetenzen bei der Bewältigung dieser Anforderungen aus. Warden Fähigkeiten und Erwartungen in gleichem Maße wachsen, ware das Leben weder schwerer noch einfacher als in früheren Gesellscha ftsformen. Doch Parsons geht davon aus (ähnlich wie Weber, Simmel, Durkheim vor ihm), dass sich die beiden Bereiche keineswegs komplementär entfalten. Vielmehr gibt es deutliche Anzeichen für eine Erhöhung der Anforderungen an die Individuen, mit denen ihre Fähigkeiten nicht Schritt halten und so in Überforderungen auszuarten drohen. Es sind diese Überforderungen, die zu krisenhaften Phänomenen führen können, die den einmal erreichten Stand an sozialer Ordnung tatsächlich gefährden könnten. Gleichwohl aber ist er überzeugt, dass dies vorübergehende Störungen sind, die letztlich zu einem neuen stabilen Gleichgewicht überleiten werden. Halten wir fest: Für Parsons wie für Durkheim ist die zunehmende Individualisierung an sich noch kein Krisenphänomen. Es kommt entscheidend darauf an, wie die Individuen den neu entstehenden Autonomiespielraum nutzen. Um erwünschte von krisenhaften Phänomenen trennen zu können, führen beide die Unterscheidung einer erwünschten, funktionalen Individualisierung auf der einen und eines gefürchteten, weil schädlichen Individualismus auf der anderen Seite ein. Durkheim unterscheidet namentlich einen egoistischen bzw. utilitaristischen von einem moralischen Individualismus (vgl. Durkheim 1986). Parsons unterscheidet ebenfalls zwischen einem utilitaristischen Individualismus einerseits und einem „institutionalisierten Individualismus" (Parsons 1968: 248) andererseits. Während der eine tatsächlich bedrohliche, anomische, den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdende Folgen haben kann, ist der andere gerade Grundlage der Gemeinschaft und Bedingung sozialer Ordnung. Allerdings setzt die Erreichung eines solchen Individualismus in beiden Theorien Lernprozesse, Internalisierungsleistungen, Sozialisierung und Erziehung des Individuums voraus, das von einem
ursprünglich asozialen Wesen zu einem funktionierenden Gesellschaftsmitglied geformt werden muss. Auch für Niklas Luhmann ist Individualisierung zunächst eine Begleiterscheinung des Differenzierungsprozesses. Per Übergang von segmentärer über stratifikatorische bis zur funktional differenzierten Gesellschaft hat radikale Auswirkungen auf die jeweilige Lagerung des Individuums. In segment& ferenzierten Gesellschaften erhält jedes Individuum seinen festen Platz, der auch durch individuelle Leistungen nicht entscheidend verändert werden kann. Das Individuum durchläuft keine „Karriere" im heutigen Sinne, sondern beendet sein Leben gewissermaßen an der gleichen Stelle, von der aus es auch gestartet war (Luhmann 1997: 636). Seine Entwicklung ist weitestgehend festgelegt. Nicht nur wer man ist, sondern auch, wer man werden kann, entzieht sich dem Willen, den Wünschen und dem Bestreben des Einzelnen. Für Individualisierung also, so scheint es, ist hier noch kein Platz. Das wird in den nachfolgenden Differenzierungsformen kaum anders. Ein entscheidender Umbruch ergibt sich erst durch den Obergang zu funktional differenzierten Gesellschaften (vgl. Luhmann 1993a: 30f., 72; 1997: 744, 688, 680). Jetzt kann das Individuum gerade nicht mehr — wie vormals üblich — nur einem Teilsystem angehören, sondern muss sich in die unterschiedlichsten Teilsysteme ,einbringen` (vgl. Luhmann 1993b: 158). Kein einzelnes System vermag es mehr, gleichsam den ,ganzen Menschen' in sich zu beherbergen. In keinem der Funktionssysteme allein ist er noch zu Hause, weshalb er von nun an als „sozial ortlos" (Luhmann 1982: 16) vorausgesetzt werden muss: „Man kann nicht Menschen den Funktionssystemen derart zuordnen, daß jeder von ihnen nur einem System angehört, also nur am Recht, aber nicht an der Wirtschaft, nur an der Politik, aber nicht am Erziehungssystem teilnimmt." (Luhmann 1997: 744) Daraus zieht Luhmann die sowohl theorietechnisch als auch zeitdiagnostisch entscheidende Konsequenz, dass der Mensch nicht mehr als Bestandteil der Gesellschaft aufgefasst werden kann, sondern in der Umwelt des Gesellschaftssystems angesiedelt werden
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muss (vgl. Luhmann 1997: 744). Dass das Individuum nicht mehr als gesellschaftliches Wesen, als Teil der Gesellschaft verstanden werden kann, sondern sich durch die Auslagerung in die Umwelt des Gesellschaftssystems auszeichnet, bedeutet zugleich, dass es nicht mehr durch soziale Inklusion, sondern durch soziale Exklusion charakterisiert ist. Funktionale Differenzierung betreibt die Exklusion der Individuen aus der Gesellschaft, um sie jedoch unter je spezifischen Gesichtspunkten wieder in die sozialen Systeme zu inkludieren. Damit „sprengt" (Fuchs 1992: 213) sie gleichsam die Einheit der Person, weil diese nunmehr nur noch „mit jeweils funktionsrelevanten Ausschnitten ihrer Lebensführung" (Luhmann 1981: 26) in die Funktionssysteme einbezogen werden: Die Gesellschaft stellt von Inklusionsindividualität auf Exklusionsindividualität um (vgl. Nassehi 1997, 2000). Erst in dem Moment, da Individuen nicht mehr als Bestandteile der Gesellschaft in einem Teilsystem fest verortet sind, sondern „von vornherein als extrasozietal gedacht werden" (Luhmann 1993b: 160) müssen, kann die Gesellschaft in unterschiedlicher Weise auf die Individuen zugreifen, sie also etwa in ihrer Rolle als Wähler, Väter, Touristen, Organspender, Konsumenten usw. wahrnehmen. Für Individuen in modernen Gesellschaften wird damit normal, was in vormodernen noch als Abweichung, ja als Monströsität gegolten hätte: das Leben einer „Mischindividualität" (ebd.: 16) bzw. einer „Mischexistenz" (Luhmann 1993a: 30) zu führen. Niemand mehr kann eine ausschließlich juristische, familiale oder religiöse Existenz führen, sondern muss jederzeit Zugang zu den verschiedenen Teilsystemen haben, ohne auch nur einem dieser Systeme jemals anzugehören: „Eine ausgeprägt funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems muß es dem einzelnen überlassen, in welchem Moment und mit welchen Interessen er an den Funktionssystemen der Gesellschaft partizipiert: wen er heiratet und ob und wieviele Kinder er haben will; welchen Beruf er ergreift und mit welchen Prioritäten er Konsumwünsche befriedigt; ob und in welcher Form er seinem Leben einen religiösen Sinn gibt; für welche Wahrheiten er sich in-
teressiert; ob und wie er politisch wählt oder sich parteipolitisch oder auf andere Weise in der Politik engagiert; welche Rechtspositionen er freiwillig aufbaut und ob er seine Rechte im Falle der Verletzung verfolgt oder die Sache auf sich beruhen läßt; ja in einem nicht unerheblichen Maße sogar: ob er sich far krank und für behandlungsbedürftig hält oder nicht" (Luhmann 1995: 99f.). Das ist exakt das von Ulrich Beck als Individualisierung beschriebene Programm. Doch dass all dies der „Entscheidung des einzelnen überlassen wird" (ebd.), ist für Luhmann kein Zeichen far eine Zunahme an Individualisierung, sondern vielmehr ein Zeichen für „die Nichtregulierbarkeit dieser Fragen", die in „Form von Freiheitskonzessionen ausgedrückt werden" (ebd.: 100). Dies dürfte zugleich die entscheidende Differenz zu Becks Individual isierungsthese ausmachen, die aus der von Luhmann beschriebenen Abnahme verbindlicher gesellschaftlicher Regelungen eine Zunahme an individuellen Freiräumen und Chancen für eine selbstbestimmte Lebensführung des Individuums ableitet. So bedingt Foucault in die Linie der negativen Individualisierung mit ihrer Thematisierung des gefährdeten Individuums gehört, so bedingt gehört auch Luhmann in die Linie der positiven Individualisierung, die Individualisierung auf der einen Seite für funktional hält, auf der anderen Seite aber die Individuen für tendenziell gefährlich, da sie — wenn nicht frühzeitig und beständig domestiziert — eine Quelle der Unberechenbarkeit darstellen.
IV. Ambivalente Individualisierung: Das Risiko-Individuum bei S immel, Elias und Beck Simmel, Elias und Beck stehen gewissermaßen zwischen den gerade vorgestellten Strängen, wenn sie übereinstimmend die Ambivalenz der Individualisierung betonen. Sie bestreiten den oft unterstellten Kausalzusammenhang zwischen Individualisierung und Anomie, individuellen Freiheiten und Desintegration, „Ich"-Betonung und moralischsittlichem Verfall ebenso entschieden, wie
Berl. J. Soziol., Heft 3 2001, S.319-336 ihnen Individualisierung nicht schlicht als notwendige Begleiterscheinung des Differenzierungsprozesses gilt. Ebenso fremd jedoch stehen sie der umgekehrten Auffassung gegenüber, die das Individuum in der Moderne zu einem willenlosen Rädchen im Getriebe erniedrigt sieht, das keinerlei eigene Entscheidung mehr zu treffen vermag, sondern ferngesteuert von den Vorgaben des kapitalistischen Wirtschaftsbetriebs und der Kulturindustrie vor sich hin vegetiert. Selbst dort, wo die Gefährdungen individueller Freiheit von Simmel, Elias und Beck thematisiert werden, lassen sie sich nicht zu kulturkritischen Untergangsszenarien im Stile Webers oder Adornos hinreißen. An keiner Stelle sehen sie die Einflussmöglichkeiten und Entscheidungsfähigkeiten der Individuen auf ein derart geringes Maß reduziert, dass bloße „Pseudoindividualisierung" konstatiert werden müsste. Simmel, Elias und Beck teilen die Geringschätzung gegenüber den Wahlmöglichkeiten der Individuen, wie in der Tradition der kritischen Theorie üblich, nicht. Insbesondere Elias hat in seiner wissenssoziologischen Perspektive immer wieder betont, dass sich sowohl die Vorstellung eines völlig determinierten wie auch die Vorstellung eines völlig freien Individuums letztlich nichttheoriefähigen Urteilen verdankt, die ohne jegliche analytische Schärfen daherkommen. Auch in der Erzählung vom Untergang des Individuums sieht Elias (1991) einen Mythos am Werk, der dringend der soziologischen Entzauberung bedarf. Bei Simmel und Elias ist die Vorstellung eines ganz und gar isolierten Individuums zudem schon aus kategorialen Gründen ausgeschlossen. Individuum und Gesellschaft sind nach Simmel letztlich nur „methodische Begriffe" (Simmel 1992: 860) und auch nach Elias „nur rein sprachlich" (Elias 1991: 199) als zwei eigenständige Entitäten anzusehen. Gesellschaft besteht nach ihrer gemeinsamen Auffassung qua definitionem aus Wechselwirkungen und Figurationen von Individuen. Individuen sind prinzipiell in ein Geflecht von sozialen Beziehungen eingewoben, das sich aus ihren Beiträgen ernährt und reproduziert. Immer schon findet sich jeder Einzelne in zunächst nicht zur Wahl stehenden Bin-
dungen vor, die ihn vor einem Leben als Solitär oder als einsam seine Kreise ziehende Monade bewahren. Allerdings ist in beiden Beschreibungen der modernen Gesellschaft die Zerstörung tradierter Formen des Zusammenlebens thematisch, die in einem bisher unbekannten Ausmaß Chancen zu selbstgewählten Sozialbezügen eröffnen, ohne dass damit bereits ausgemacht wäre, dass diese Chancen von den Einzelnen auch zum Neuaufbau sozialer Beziehungen genutzt werden. Gerade hinsichtlich dieser Frage sind Elias und Beck optimistischer als Simmel. Simmel scheint zunächst deutlich Skepsis gegenüber den Fähigkeiten der Individuen an den Tag zu legen, diese Bindungen herzustellen. Er äußerst die Befürchtung, dass die Individuen „bei der Tatsache der Entwurzelung stehen" bleiben und „oft genug zu keinem neuen Wurzelschlagen" (Simmel 1989b: 554) überleiten. Freilich hat Simmel dabei nicht Bindungslosigkeit überhaupt im Blick, sondern es ist jene „innerliche Bindung, Verschmelzung, Hingabe" (ebd.) an bzw. mit einer Sache oder Person, die in der temporeichen Moderne nicht mehr anzutreffen ist. Das Geld, unter dessen Diktat die Befreiungsvorgänge sich vollziehen, sorgt mit seiner Unbestimmtheit für flüchtigere Beziehungen im zwischenmenschlichen Bereich und führt zu oberflächlicheren und vergänglicheren gegenüber dem Besitz von Dingen. Insofern hat auch Simmel — ebenso wie Beck und Elias — nicht etwa das endgültige Absterben von Bindungen im Blick, sondern deren charakteristische Veränderungen. In einer verblüffenden Parallele zu Beck fasst auch Simmel Individualisierung als einen Prozess, der sich aus den drei Dimensionen Freisetzung bzw. Herauslösung, Stabilitätsverlust bzw. Entzauberung und Wiedereinbindung bzw. Reintegration zusammensetzt (vgl. Beck 1986: 206). So heißt es bei Simmel: „Wenn die vorgeschrittene Kultur den socialen Kreis, dem wir mit unserer ganzen Persönlichkeit angehören, mehr und mehr erweitert, dafür aber das Individuum in höherem Maße auf sich selbst stellt [Herauslösungs- bzw. Freisetzungsdimension, M.S .1 und es mancher Stützen und Vorteile des enggeschlossenen Kreises beraubt [Stabilitätsverlust bzw. Entzauberungsdimens ion,
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M.S.], so liegt in jener Herstellung von Kreisen und Genossenschaften, in denen sich beliebig viele, far den gleichen Zweck interessierte Menschen zusammenfinden können [Reintegrationsdimension, M.S.], eine Ausgleichung jener Vereinsamung der Persönlichkeit, die aus dem Bruch mit der engen Umschränktheit früherer Zustände hervorgeht" (Simmel 1989a: 245, vgl. auch Simmel 1992: 485). Bei Simmel, Beck und Elias (1991: 166ff) ist der Individualisierungsprozess übereinstimmend als permanente Ablösung von Befreiung und Wiedereinbindung gedacht, was vom Individuum auf unterschiedliche Weise erlebt werden kann, aufjeden Fall aber bedeutet, dass es bei der Befreiung von Zwängen nicht bleibt, weil sich schnell wieder neue Zwänge herausbilden, die an die Stelle der alten treten. Dennoch steht für alle drei außer Zweifel, dass die Individuen mit dem Übergang in die Moderne vor mehr Wahlen gestellt werden, als ihnen dies in „einfachen" Gesellschaften abverlangt wurde. Sowohl Simmel als auch Elias und Beck sehen damit eine „stark individualisierte Gesellschaft" (Simmel 1989b: 520), eine „hochindividualisierte (...) Gesellschaft" (Elias 1970: 131) bzw. eine „individualisierte Gesellschaft" (Becic/Beck-Gernsheim 1994: 16) entstehen (vgl. Schroer 1997). Schon bei Simmel sind die einfachen Individuen der „Qual der Wahl" (Simmel 1983: 132) zwischen der „Vielheit der Stile" (Simmel 1989b: 641) ausgesetzt, müssen die Einzelnen selbst entscheiden, weil sie aus den Orientierung versprechenden Instanzen herausgelöst worden sind. Ebenso tritt bei Beck an die Stelle von Beziehungsvorgaben Beziehungswahl, an die Stelle von alternativloser Einbindung in nicht selbstgewählte Herkunftsbindungen die freiwillige Bindung an selbstgewählte Beziehungen. Auch fir Elias werden mehr und mehr Wir-Gruppen, wie etwa die Familie, für den Einzelnen verzichtbar (vgl. Elias 1991: 271). Viele Familienbeziehungen haben für Elias heute eher den Charakter „einer freiwilligen Verbindung auf Widerruf", während sie „früher fir die meisten Menschen obligatorisch, lebenslänglich und fremdzwangartig waren" (ebd.: 272). Sogar Berufe werden häufiger gewechselt und selbst „die Staatsangehörigkeit ist mittlerweile
in Grenzen auswechselbar" (ebd.). Kurz und gut: „Der einzelne Mensch ist bei Entscheidungen über die Gestaltung von Beziehungen, über ihre Fortführung oder Beendigung, nun weit mehr auf sich selbst angewiesen" (ebd.). Damit formuliert Elias gleichsam ein Grundkodex aller Individualisierungstheorien. In seiner Beschreibung der modernen Welt hat sich ein von Fremdzwang und Alternativlosigkeit geprägtes Leben in ein Optionenkarussell verwandelt, das freilich an den Einzelnen nicht geringere, sondern höhere Erwartungen — etwa eine ausgeprägtes Vermögen zur Selbstregulierung — stellt, muss doch nun jeder selbst entscheiden, was für ihn einst entschieden wurde. In dieser Entwicklung sehen Sirnmel, Elias und Beck durchaus Gefahren, die den einmal erreichten Stand an Individualisierung wieder rückgängig zu machen drohen. Simmel sieht die Einzelnen angesichts der Qual der Wahl die Flucht in Moden antreten, die ihnen die Überforderung der permanenten individuellen Entscheidung abnehmen, indem sie sich einem allgemeinen Muster beugen — eine Art freiwillige Knechtschaft, wenn man so will. Beck befürchtet ähnlich, dass an die Stelle traditionaler Sozialformen neue Instanzen und Institutionen treten, die den Einzelnen „zum Spielball von Moden, Verhältnissen, Konjunkturen und Märkten machen" (Beck 1986: 211). Freilich betont Beck — in einer fast an die Kritische Theorie Adornos erinnernden Weise —, dass sich der Einzelne keineswegs freiwillig dazu entscheidet, sondern ganz unfreiwillig zur fremdbestimmten Marionette zu werden droht, ohne dass davon seine Selbstwahrnehmung als frei entscheidendes Individuum auch nur im geringsten tangiert wird (vgl. ebd.). Für Elias schließlich nehmen mit den wachsenden Entscheidungsmöglichkeiten auch die verpassten Gelegenheiten zu. Je mehr Optionen sich dem Individuum auf seinem Lebensweg bieten, desto größer sind die Chancen, in diesem reich verästelten Labyrinth „steckenzubleiben" (Elias 1991: 178). Aber wie diese Wahlen im einzelnen auch aussehen mögen, sie führen weder bei Beck noch bei Elias oder Simmel zu einem sich völlig selbst überlassenen Individuum. Für Elias ist „Individualismus" weder „mit dem Bilde rücksichtsloser und brutaler Indivi-
Berl. J. Soziol., Heft 3 2001, S. 319-336 duen" noch mit dem Bild „großer, schöpferischer Persönlichkeiten" (Elias 1991: 121) zutreffend oder erschöpfend beschrieben. Ebenso wehrt Beck sich gegen die Versuche, Individualisierung entweder mit dem Tanz um das goldene Selbst egoistischer Yuppies gleichzusetzen oder aber als endgültige Emanzipation des autonomen Individuums aus allen Fesseln und Banden misszuverstehen. Für Elias und Simmel ist das völlig unabhängige Individuum, das sich allein der Durchsetzung seiner Interessen widmet, ebenso eine Illusion wie die Vorstellung eines völlig determinierten und unfreien Individuums. Beides sind fir sie falsche Vorstellungen über den wahren Gehalt des Sozialen, der sich aus den zahlreichen Verknüpfungen und Verbindungen ergibt, in die jedes Individuum verstrickt ist. Becks Individuen sind dagegen zunächst tatsächlich unaufhebbar allein, auch wenn dies keineswegs völlige Bindungslosigkeit bedeuten muss. Diese Auffassung verbindet ihn wiederum mit den Versionen von Luhmann und Foucault, wie sich im Folgenden zeigen lässt.
V. Das selbstbezogene Individuum bei Foucault, Luhmann und Beck — eine postmoderne Konstellation? Obwohl Beck, Luhmann und Foucault völlig verschiedene Traditionen repräsentieren, ist bei Luhmann und Foucault eine Herauslösung aus diesen zu beobachten, die bei Luhmann dadurch entsteht, dass er Individualisierung nicht mehr mit normativer Integration zu heilen versucht und bei Foucault dadurch, dass er Individualisierung nicht mehr nur im Sinne einer Vereinzelung zwecks umfassenderer Kontrolle zu denken versucht, sondern auch im Sinne einer größeren Möglichkeiten des Einzelnen auf sich selbst einzuwirken und seine sozialen Beziehungen selbst zu gestalten. Hierdurch ergeben sich verblüffende Annäherungen an das aktuell von Beck vertretene und von Simmel und Elias vorbereitete Modell der ambivalenten Individualisierung. Einig sind sich Beck, Luhmann und Foucault darin, dass Individualisierung kein
von den Individuen selbst in Gang gesetzter Prozess ist. Luhmann zufolge wird der Einzelne „in die Autonomie entlassen wie die Bauern mit den preußischen Reformen: ob er will oder nicht" (Luhmann 1995: 132). Ähnlich formuliert Beck: „Individualisierung beruht nicht auf der freien Entscheidung der Individuen. Um es mit Jean-Paul Sartre zu sagen: Die Menschen sind zur Individualisierung verdammt" (Beck 1993: 152). Beide sehen damit einen gesellschaftlich an den Einzelnen herangetragenen starken Zwang zur Individualisierung, der den Einzelnen dazu nötigt, sich als Individuum zu verhalten: „Individuum-Sein wird zur Pflicht" (Luhmann 1993b: 251). „Es muß dann auch in der Lage sein, bei Nachforschungen, die es selbst betreffen, helfen zu können. Es muß die Probleme, die es mit sich selbst und deshalb mit anderen hat, exponieren, sie zum Beispiel in Gruppensitzungen auf Nachfrage offenlegen können. Es braucht dann eine (notfalls fingierte, oder doch ergänzte) Biographie, um in der Gesellschaft leben zu können. Es muß eine eingeübte Selbstbeschreibung mit sich herumtragen, um bei Bedarf über sich Auskunft geben zu können" (ebd.: 252). Dies nimmt Luhmann als Indiz dafür, dass „der Anspruch, Individuum zu sein, hier gegen das Individuum gekehrt wird" (ebd., Fn. 192). Damit zielt er genau in Richtung der Foucault'schen Perspektive auf das Schicksal des Individuums in der Neuzeit. In seinen Arbeiten steht das sich durch Bekenntnisse und Geständnisse (vgl. Foucault 1991; Hahn 1982, 1991) erst konstituierende Individuum im Vordergrund, das mit dem Grad der Selbstentblößung an Individualität zu gewinnen scheint, sich dadurch aber beobachtbar und damit vergleich und typisierbar macht, wodurch der Anspruch auf Einzigartigkeit empfindlich gestört wird. Gerade die stärkere Sichtbarkeit des Einzelnen, auf die der Individualisierungsprozess abzielt, führt dazu, dass das Individuum immer besser erkennbar, klassifizierbar und damit beherrschbar wird. Eine Herde von Individualisierungsagenten zerrt die Individuen gewissermaßen an das Licht der Offentlichkeit, um sie dort besser unter Kontrolle halten zu können. Nicht einschließen, wegschließen und vergessen, sondern hereinholen, vorzeigen
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und kontrollieren, ist die neue Variante einer besseren Überwachung der Einzelnen. Allerdings sind damit Foucaults Möglichkeiten, Individualisierung zu denken, noch nicht erschöpft. In seinen Texten aus den achtziger Jahren scheint er dem Individuum deutlich mehr Freiraum einzuräumen, als dies früher der Fall war. Deshalb fragt auch Foucault ganz im Sinne von Becks Individualisierungsthese: „Sollte man nicht eine feinere Unterscheidung einführen, die nicht mehr nach sozialen Klassen, Berufsgruppen oder Kulturniveaus verfährt, sondern sich an einer Beziehungsform, d.h. an einer ,Lebensweise` orientiert? Eine Lebensweise kann von Individuen geteilt werden, die sich in Bezug auf Alter, Status und soziale Tätigkeit unterscheiden. Sie kann zu intensiven Beziehungen führen, die keiner institutionalisierten Beziehung gleichen" (Foucault 1984: 89). Ähnlich wie Beck hat auch Foucault jenseits der überkommenen Beziehungsmuster neu entstehende Beziehungsformen im Blick, die nun vom Individuum selbst aufgebaut und in Gang gehalten werden müssen. Wenngleich dem Einzelnen die Teilhabe am Prozess der Individualisierung durchaus nicht zur Disposition steht, so sind sich Foucault, Luhmann und Beck doch darin einig, dass die Individualisierung zur Folge hat, dass die Einzelnen starker an der Definition und Gestaltung ihrer Lage beteiligt sind: „Vieles, was früher im Laufe des Lebens sich mehr oder weniger von selbst ergab, wird jetzt als Entscheidung verlangt — und dies vor einem größeren Hintergrund von Auswahlmöglichkeiten und deshalb mit höheren Informationswerten" (Luhmann 1991: 52). Das ist es exakt, was auch Beck mit seiner Individualisierungsthese ausdrücken will. In die Terminologie Foucaults übersetzt heißt das, dass im Vergleich zu vorhergehenden Gesellschaftstypen der Einsatz der Spiele offen ist: „Man kann sich vorstellen, dass es Gesellschaften gibt, in denen die Art, in der man das Verhalten der anderen lenkt, im voraus so geregelt ist, dass alle Spiele, gewissermaßen schon gelaufen sind. Umgekehrt können in einer Gesellschaft wie der unseren (...) die Spiele außerordentlich zahlreich sein (...). Je freier die Leute in ihrer Beziehung zueinander sind, desto größer ist
ihre Lust, das Verhalten der jeweils anderen zu bestimmen" (Foucault 1985: 27). Ganz offensichtlich also geht auch Foucault fir die Gegenwart von größeren Freiräumen in den sozialen Beziehungen aus, die die Einzelnen für strategische Spiele nutzen, während in früheren Gesellschaftsformen diese Beweglichkeit stillgestellt war durch eine die Machtspiele der Individuen verhindernde Herrschaft. Damit weist Foucault zugleich auf eine von der Individualisierungstheorie Becks eher vernachlässigte Dimension der Individualisierung hin, die man mit Elias (1991: 83) wie folgt auf den Punkt bringen kann: „Die individuelle Aktivität der einen ist die gesellschaftliche Bindung der anderen. Und es hängt einzig von der jeweiligen Machtausrüstung der interdependenten Funktionen, es hängt von der Stärke der wechselseitigen Abhängigkeiten ab, wer den anderen durch seine Aktivität stärker zu binden vermag." Doch mit den neuen Entscheidungsspielräumen und Wahlmöglichkeiten sieht Foucault auch Unsicherheiten entstehen, die nach seiner Diagnose geradezu einen Bedarf nach ethisch-ästhetisch fundierten Lebensführungsmodellen wecken, die freilich jeder für sich selbst entwickeln muss (vgl. Foucault 1984: 71). Zwar ist es möglich, dass die von Wissenschaftlern, Philosophen und Intellektuellen bereitgestellten Hilfestellungen angenommen werden, aber letztlich muss jeder selbst die Wahl treffen — darauf legt er wert (vgl. Foucault 1997: 118). Die Stoßrichtung der von Foucault avisierten Ethik zielt in eine ähnlich auch von Beck vertretene Richtung: „Es geht um die Neuentdeckung der schlichten, alten Erkenntnis, dass der Mensch sich selbst verändern kann, und zwar nicht nur in Kleinigkeiten seiner Lebensführung oder Besonderheiten seiner Persönlichkeit, sondern in so großen Dingen wie seinem Selbst-, Welt- und Wirklichkeitsverhältnis. (...) Unterirdisch, in den Subkulturen der Gesellschaft breitet sich eine Erfahrung, eine Aktivitätsmöglichkeit im Umgang mit sich selbst und der Welt aus und gewinnt an Bedeutung" (Beck 1991: 59). Ähnlich wie Foucault ist Beck davon überzeugt, dass „dieses Durchleben von Erfahrungen auch Ansätze einer neuen Ethik" ent-
Berl. J. Soziol., Heft 3 2001, S.319-336 hält, „die auf dem Prinzip der ‚Pflichten gegenüber sich selbst' beruht" (ebd.: 60). Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass Foucault mit seinem Konzept der Sorge um sich etwas ganz ähnliches im Blick hat. Ebenso wird auch bei Luhmann — allerdings mit deutlichem Abstand zur Idee einer neuen Ethik — die Individualität eines Individuums „nicht durch seine Beziehungen zu anderen, sondern durch seine Beziehung zu sich selbst" (Luhmann 1995: 126) bestimmt. Gemeinsamer Fluchtpunkt ihrer Analysen ist das Selbst: Selbstbeziehungen, Selbsterfindung, Selbstbeobachtung, Selbstreferenz, Selbstreflexion, Selbstkultur. Das Suffix „Selbst" hat Hochkonjunktur: Allenthalben ist von Selbstorganisation, Selbstpolitik, Selbststeuerung, Selbstverantwortung, Selbstsorge usw. die Rede. Worauf Becks, Luhmanns und Foucaults Diagnosen hinzielen, Ist die Behauptung eines verstärkten Selbstbezugs der Einzelnen. Nicht mehr über die Zugehörigkeit zu sozialen Kreisen, sondern durch die Beziehung des Selbst zu sich definiert sich das Individuum. Übereinstimmend kommen sie damit zu einer Diagnose, die Zygmunt Bauman (1993: 12) wie folgt auf den Punkt bringt: „,Wir', das ist ein lockeres Gemisch von Männern und Frauen, denen aufgetragen ist, sich um sich selbst zu kümmern (Hervorh., M.S.), auf ihren Körper zu achten, ihre eigenen einzigartigen Persönlichkeiten zu formen, ihrem ,wirklichen Potential' freien Lauf zu lassen, sich stets von dem abzuheben, was sie schon geworden sind — und die verzweifelt nach vertrauenerweckender Autorität suchen, die ihnen sagt, wie sie mit all diesen verwirrenden Pflichten umgehen sollen, von denen sie sich alleine nicht lösen können. Potentiale sind heute in einem Maße global wie niemals zuvor, aber ihre Verwirklichung bleibt individueller Initiative überlassen." Die Frage, die sich angesichts dieser neuen Form von Individualisierung stellt, ist, ob der beobachtete Individualisierungstrend zu völlig isolierten Existenzformen und zur Sprengung des gesellschaftlichen Zusammenhalts führt, oder ob es zur Herausbildung neu geordneter sozialer Beziehungen auf der Basis von Individualisierung kommt. Es dürfte deutlich geworden sein, wie die Ant-
wort ausfällt, die Luhmann, Foucault und Beck auf diese Frage geben. Allen drei Versionen zufolge besteht kein Anlass, den vielschichtigen Prozess der Individualisierung auf eine einzige Bedeutungsdimension festlegen zu wollen. In Individualisierung muss weder allein eine perfide Machtstrategie zur besseren Überwachung generell unzuverlässiger Individuen gesehen werden, noch ein Befreiungsakt des Individuums von allen gesellschaftlichen Erwartungen, Vorgaben und Zwängen, den man wahlweise feiern oder fürchten kann. Ihr gemeinsamer Punkt ist vielmehr, dass sie von einer stärkeren Beteiligung des Einzelnen an Entscheidungsprozessen ausgehen, ohne diese Entscheidungen von vornherein auf Belanglosigkeiten eingeschränkt sehen zu wollen, wie dies in der Tradition der kritischen Theorie üblich war. Ebenso wenig schließen sie von den neuen Wahlmöglichkeiten der Individuen, die immer auch Wahlzwänge sind, auf eine massive Gefährdung gesellschaftlicher Bindekräfte. Die kommunitaristischen Beschwörungen gemeinschaftlicher Zusammenhänge, in die die vereinzelten Einzelnen zurückgeführt werden sollen, ist den drei Theoretikern ebenso fremd wie die im Stile der Kritischen Theorie daherkommende Geringschätzung der kreativen Potenziale von Individuen. Vielmehr sind ihre Theorien offen genug angelegt, um solche, in einzelnen Bereichen durchaus nachweisbare Tendenzen erfassen zu können, ohne sie deshalb zu einer Gesamttendenz zu totalisieren.
VI. Schluss Als Ergebnis der vorangegangen Überlegungen kann festgehalten werden, dass die aktuellen Vertreter der drei von mir unterschiedenen Argumentationsstränge übereinstimmend von einem selbstbezogenen Individuum ausgehen, das sich bei der Bewältigung und Gestaltung des eigenen Lebens auf übergeordnete Sinnsysteme und traditionelle Sozialbezüge nicht mehr verlassen kann. In einer „stark individualisierten" (Simmel 1989b: 520), „hochindividualisierten" (Elias 1991) oder einfach nur „individualisierten
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Gesellschaft" (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 16) wird Individuen als Entscheidung abverlangt, was in nicht individualisierten Gesellschaften durch den Clan, die Familie, die Klasse oder andere Kollektive geregelt wurde und noch immer geregelt wird. In individualisierten Gesellschaften stehen die Einzelnen unter dem Druck, sich und ihr Leben selbst zu gestalten — und zwar unabhängig von ihrer sozialen Zugehörigkeit. Auch Arme, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind eben nicht einfach „so, wie sie sind, weil sie nicht anders können" (Müller 1989: 57). Ganz im Gegenteil sind insbesondere Minderheiten und Randgruppen darauf angewiesen, ihre Situation auszudrücken und darzustellen, ihr Leben zu inszenieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Anders als diejenigen, die Individualisierung für eine Erscheinung einiger weniger Länder oder Regionen, oder gar nur einiger Städte halten oder sie schlicht als Selbstbeschreibung des akademischen Milieus abtun wollen (vgl. Mayer 1991; Burkart 1993; Treibel 1996), gilt es Individualisierung als gesamtgesellschaftlichen Trend zu begreifen, der vor keinerlei Grenzen Halt macht. Er findet sich in den verschiedensten Regionen ebenso wie auf den verschiedenen Ebenen des sozialen Raums. Aber er hängt ab von den vor Ort anzutreffenden Bedingungen, er wird umgesetzt nach den jeweiligen kulturellen Möglichkeiten, er wird zu bewältigen versucht nach Maßgabe der vorhandenen Ressourcen und Kapitalsorten. Wie in welcher Kultur, in welcher Region, in welchem Milieu Individualisierung als gesellschaftlicher Trend ankommt, wie er interpretiert, bewältigt und umgesetzt wird — das zu erforschen, wäre eine lohnende Aufgabe für eine Soziologie, die sich nicht auf die Suche nach einer widerspruchsfreien Formel bzw. Definition für Individualisierung macht, sondern diesem Phänomen in all seinen Facetten nachspüren will. Der Sozialstrukturanalyse kommt dabei nach wie vor eine zentrale Aufgabe zu, wenn sie die unterschiedliche Verteilung von Ressourcen zur Bewältigung der Individualisierung untersucht. Sie darf sich nur nicht der Illusion hingeben, dass mit dem Nachweis einer ungleichen Verteilung der Wahlmöglichkeiten und Entscheidungs-
zwänge auch schon der Beweis erbracht ist, dass es Individualisierung gar nicht gibt, um anschließend wieder zu traditionellen Klassen- und Schichtanalysen zurückzukehren (vgl. Geißler 1996). Auch wenn sich in der Unübersichtlichkeit der Individualisierung wieder Milieus und Lebensstilgruppen ausmachen lassen, so sollte man nicht den Eindruck erwecken, dass dies alte Bestände sind, die den Sturm der Individualisierung schadlos überstanden haben; vielmehr sind diese als Antwort auf eine bereits erfolgte Individualisierung zu verstehen, die deshalb keineswegs zum Stillstand kommt (vgl. Schroer 2001b). Denn mit der Auflösung nationalstaatlicher Souveränität erhöhen sich die Wahlmöglichkeiten, die immer Entscheidungszwänge mit sich bringen, noch zusätzlich. Es ist nun nicht mehr länger selbstverständlich, dass Individuen sich dort zugehörig Mien, wo sie geboren wurden, dass sie sich vor Ort in Projekte einbringen, dass sie nur die in unmittelbarer Reichweite liegenden Angebote wahrnehmen. Die Möglichkeiten des Individuums, sich jenseits der nationalen Grenzen zu Kollektiven zusammenzuschließen, an den Wissenschafts-, Sport-, Kultur- und Politikangeboten anderer Länder zu partizipieren (vgl. Willke 2001: 53) und sich aufgrund bestimmter Interessen und Vorlieben mit Gleichgesinnten zu verbünden, die räumlich weit entfernt sind, ist durch die global ausgebaute Telekommunikation ebenso möglich geworden wie durch die zunehmende Nutzung des Internets. In der Diskussion um die Folgen dieser neuen Dimension der Individualisierung wird vor dem gefährlichen Individuum gewarnt, das gefährdete Individuum beschworen und mit dem Hinweis auf das Risiko-Individuum auf die ambivalenten Folgen aufmerksam gemacht werden. Dabei werden Argumentationsfiguren wieder auftauchen, die wir bereits von den Klassikern der Soziologie kennen.
Anmerkungen I Die These einer gemeinschaftszersetzenden Hyperindividualisierung hat sich derweil aus der funktionalistischen Schule Parsons abge-
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spaltet und zum Kommunitarismus eines Etzioni oder Bellah entwickelt, vgl. Schroer 1997: 164ff.,1999.
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