Dr. 6uer?therWachsmuth
Die therische Welt in Wissenschaft, Kunst" uni rjelic|ion
Vom Wea bes Menschen ur Beherrschuna öer BilieKräffe
DR. GUENTHER WACHSMUTH
DIE AETHERISCHE WELT IN
WISSENSCHAFT, KUNST UND RELIGION V O M W E G DES M E N S C H E N Z U R B E H E R R S C H U N G DER BILDEKRÄFTE
II. BAND
1927 Philosophisch-anthroposophischer Verlag am Goetheanum Dornach (Schweiz)
Die Titelblatt-Zeichnung zu diesem Buche gab Dr. Rudolf S t e i n e r
Dieses ebook ist nur zum nichtkommerziellen Gebrauch bestimmt! Druck von Emil Birkhäuser & Cie., Basel
ALBERT STEFFEN IN HERZLICHER VEREHRUNG GEWIDMET
INHALTSVERZEICHNIS I. TEIL. Vorwort I. Die ätherische Welt der planetarischen Sphären II. Die Bildekräfte der nördl. und südl. Hemisphäre der Erde
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Die Urformen der Kontinente.
III. Die geologischen Perioden der Erden-Genesis vom Gesichtspunkte des Ätherischen
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Deren Zusammenhang mit der biblischen Schöpfungsgeschichte.
IV. Die horizontale und vertikale Gliederung der Erde, ihr physischer und geistiger Aspekt
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Ihre Bedeutung für die Entwicklung des Menschen. Das Spektrum der Bildekräfte der Erdoberfläche und sein Einfluß auf die Völkerwanderungen und Kulturepochen. Die Verteilung der Substanzen über die Erde.
V. Kräftezentren der Erde und ihr Zusammenhang mit den menschlichen Kulturkreisen Irdische Geburtsstätten menschlicher Religionen. VI. Die menschlichen Temperamente VII. Der männliche und der weibliche Organismus VIII. Äthergeographie, Rassen- und Völkerkunde, Volksseelenlehre
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II. TEIL. Die ätherische Welt in der Kunst. IX. Dichtung, Malerei, Plastik, Architektur
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Die Wandlung der menschlichen Wahrnehmung und ihr Einfluß auf die Entwicklung der Künste. Das Entwicklungsgesetz der Urformen in den religiösen Kultbauten und in der Kunstgeschichte. Klassizismus und Barock. Der »organische Baustiel«, Material-Kunde des Künstlers.
X. Die Ätherische Welt und die Musik
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Die Sphärenharmonie. Der Stimmwechsel. Der individuelle Grundton. VII
III. TEIL. Die ätherische Welt in der Religion. XI. Die Kräfte der planetarischen Sphären und die Urmysterien 212 Die Werkzeuge der Einweihung in der Geschichte.
XII. Der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens . . 222 XIII. Gott-Vater, Gott-Sohn und der Organismus von Kosmos, Erde und Mensch 232 Der religiöse Aspekt des heliozentrischen und geozentrischen Weltsystems. Die Verwandlung von Erde und Mensch durch die Kräfte des SohnGottes. Sakramentalismus.
XIV. über die Hierarchien
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Vo rwort. IliS gibt heute — täglich deutlicher erkennbar — in der NaturForschung zwei Strömungen, welche von vorneherein etwas ganz Verschiedenes wollen. Der Angehörige der einen Richtung wird jubeln und das Ziel seines Strebens erreicht haben, wenn er für irgend einen Naturvorgang eine rein mechanische Erklärungsweise entdeckt hat. Je mehr die gefundene Deutung den zu erforschenden Naturvorgang als Mechanismus darstellt, umso mehr hat sie in diesem großen Kreis von Forschern Aussicht, als richtig, als wissenschaftlich exakt, akzeptabel und erfolgreich zu gelten. — Der Angehörige der anderen Richtung wird jubeln und das Ziel seines Strebens erreicht haben, wenn er zeigen kann, daß die Natur kein Mechanismus, die mechanische Erklärung einseitig und unzulänglich ist, und daß der einzelne Naturvorgang nur verständlich ist, wenn man ihn als organisches Glied in einem Kosmos sieht, der kein Riesen-Mechanismus, sondern ein Weltorganismus ist. Die erste Strömung mag hie und da auch solche Gedankengänge aus dem Weltbild der zweiten übernehmen, aber dann wird sie schon inkonsequent, ihren Vorsätzen und selbstgewählten Gesichtspunkten untreu. — Man kann für beide Forschungsrichtungen aus deren geschichtlicher und weltanschaulicher Grundlage heraus volles Verständnis haben. Es ist letzten Endes nur eine Frage des selbstgewählten Horizonts. Die erste Richtung nimmt für sich den Vorteil in Anspruch, daß sie von vornherein, wenn konsequent durchgeführt, in ihrem Bereich in keinerlei Konflikte mit Kunst und Religion kommen kann. Denn die Inhalte und Betrachtungsmethoden dieser beiden anderen Einstellungen des Menschen zur Welt sind ja grundsätzlich aus dem Herrschaftsbereich der Wissenschaft eliminiert, jedes der 3 Gebiete in seine scheinbaren Schranken gewiesen, und dadurch der wissenschaftlichen Welt ein gegenüber solch störenden Einflüssen und Problemstellungen gesichertes, geruhiges und unbeeinträchtigtes Arbeitsfeld gesichert. Diese Richtung war zweifellos in der letzten Epoche die allgemein herrschende. Die andere Richtung ist weniger gegen Schwierigkeiten und Konflikte gesichert, sie lebt vor allem in der kommenden Generation. Sie hat in den schweren Weltereignissen der letzten Zeit mehr denn je erlebt, daß in der menschlichen Seele Wissenschaft, Kunst und Religion ursprünglich keine solchen Spezial-Rayons erhalten haben, noch — W a c h s m u t h , Äther. Bildekräfte.
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selbst bei äußerem Zwange — sich willentlich auf die Dauer einhalten lassen. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit hat nun einmal den Menschen des 20. Jahrhunderts vor eine andere Situation und damit andere Aufgaben gestellt. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß für das so sehr viel beschaulichere 19. Jahrhundert jene Spezial-Rayons nicht bis zu einem gewissen Grade richtig und sogar notwendig gewesen wären. Gewiß wären manche der sogenannten »großen Entdeckungen« auf technischem Gebiete ohne eine solche Spezialisierung gar nicht möglich gewesen. Wer die verschiedenen Methoden der Naturforschung entwicklungsgeschichtlich betrachtet, wird es sogar begrüßen, wenn diese Strömung in ihrem Rahmen noch eine Zeitlang weiter wirkt. Aber wie schon im vorigen Jahrhundert einzelne — vom offiziellen Katheder heftig bekämpfte — Persönlichkeiten wie Goethe und die »Goetheanisten«, welche in anderem Geiste Naturforschung zu treiben suchten, die festgesetzten Erkenntnisgrenzen und Anschauungsmethoden zu durchbrechen strebten, so haben auch unzählige der durch die Weltereignisse verwandelten Menschen gerade in unserer Zeit in ihrer Seele dennoch das innige, unteilbare Ineinanderverwobensein von naturerkennendem, künstlerischem und religiösem Welt-Erlebnis als wahr und unzerstörbar gefunden. Das Mechanismus-Ideal hier und — ihm entgegengesetzt — dort der Wille zu einer Naturbetrachtung, in der die religiösen Inhalte und Impulse, das Ineinanderwirken von moralischer und natürlicher Weltordnung verständlich sind, diese beiden Tendenzen können nach der bisherigen Methodik schlechtweg nicht vereinigt werden. So stehen viele Menschen heute vor dem schweren Konflikt zwischen den Normen einer aus dem vorigen Jahrhundert wohlbewährten, auf ihrem Gebiet durchaus erfolgreichen und konsequenten Wissenschaftlichkeit und einer ganz anders gearteten geistig-seelischen Notwendigkeit. — Dies Buch kann, wie auch der I. Band, nur für diejenigen gedacht sein, die versuchen wollen, diesem zweiten Menschen in uns selbst eine Antwort zu geben. Diskussionen haben nicht einmal viel Sinn, die Entscheidung wird schon mehr darin liegen, ob zukünftige Generationen mit der mechanischen Weltanschauung leben können und wollen, oder nicht. Ein solcher Versuch hat — dies sei auch hier wiederum betont — ganz andere Schwierigkeiten als der andere Weg. Er baut nicht in altbewährter Methode Häuser auf festgetretenen Fundamenten, sondern wandert in unbekanntes Gebiet. Die Mängel solchen Versuchs sind dem Verfasser selbst schmerzlich bekannt. Über manchen Abgrund konnte ja zunächst nur ein Fußsteig für den mutigen Wanderer, noch keine Betonbrücke für den geistig Bequemen, gebaut werden, weil Zeit, Raum und Einsicht dies noch nicht ermöglichten. Erst die Zukunft der Mitarbeiter wird diese Brücke bauen. Wir halten auf einer solchen
Wanderung zunächst Einzelheiten mit Recht für belanglos und korrigierbar. Ziel und M e t h o d e halten wir für das Wichtige, und denken mit Goethe: Das Was bedenke, mehr bedenke Wie! Dieser II. Band muß die Kenntnis des I. Bandes voraussetzen, denn die dort dargestellten Grundlagen wurden hier ausgebaut und weiter entwickelt. Sie sollen sich gegenseitig ergänzen. Der I. Band sollte zeigen, wie die Bildekräfte der Welt am Kosmos, an der Erde, am Menschen schaffen und modellieren. Der II. Band soll vor allem darstellen, wie der Mensch das Empfangene erkennt und bemeistert. Der I. Band sollte gleichsam schildern, was der Mensch als das Werk der ätherischen Bildekräfte vorfand, der II. Band, wie der Mensch dieses begonnene Werk übernimmt und fortsetzt, wie der Geschaffene durch die Meisterschaft über die ätherischen Bildekräfte selbst zum Schöpfer wird. Der Verfasser will durch die folgende Arbeit auch vor allem seine Pflicht als Schüler Rudolf Steiners tun. Die Anregungen zu den hier behandelten Problemen gab dieser Lehrer, für die Mängel der Darstellung ist nur der Schüler verantwortlich. Es darf vielleicht hier in tiefer Dankbarkeit dessen gedacht werden, daß der Verfasser seinen Lehrer^ Rudolf Steiner, in dessen letzten Lebensjahren auf fast allen seinen Reisen begleiten und auch an seiner Arbeitsstätte meist täglich sehen durfte. Hierbei wurde in vielen persönlichen Gesprächen der unerschöpfliche geistige Rat Rudolf Steiners zur Anregung für die Ausarbeitung des Folgenden, wurden offene Fragen des Schülers vom Lehrer beantwortet, Gefundenes bejaht oder korrigiert. So konnten noch alle wesentlichen Punkte der folgenden Arbeit mit Rudolf Steiner durchgesprochen werden. Für diejenigen, welche in ihm den bedeutendsten geistigen Führer verehren, wird dies gewiß nicht unwesentlich sein. Dies Buch wurde Albert Steffen gewidmet, weil er unter den bedeutenden Dichtem und Künstlern der Gegenwart der erste war, welcher sich mit der neuen Naturforschung vereinte, ihr durch wesentlichste Beiträge und Anregungen vorwärtshalf, und weil der Verfasser ihm unendlich viel wertvollen Rat und Hilfe verdankt. Den vielen gütigen Mitarbeitern, die durch Materialbeschaffung und Gedankenaustausch wesentliche Unterstützung gewährten, sei auch hier auf das herzlichste gedankt. Am G o e t h e a n u m , D o r n a c h (Schweiz), 1926. Dr. Guenther Wachsmutfi..
NOVALIS:
„ W i r sind auf einer Mission. sind wir berufen.
Zur BilduDg der Erde
Die Menschenwelt ist das gemeinschaftliche Organ der Götter.
Die Menschheit ist der höhere Sinn unseres Planeten, der Nerv, der dieses Glied mit der oberen Welt verknüpft, das Auge, was er gen Himmel hebt."
I. Teil. 1. Kapitel. JDie A t n e r w e l t der planetariscnen Opnären, oind Wissenschaft, Kunst und Religion das Werk des Menschen allein? Würden sie auch gleich geartet sein, wenn die Erde, auf welcher der Mensch lebt, schaut, lernt, denkt, glaubt, anders geartet wäre, als wir sie jetzt erleben? In wieweit schafft also der Mensch seine Erkenntnis, Kunst und Religion aus eigener Kraft und eigenem Wesen, oder aber aus Kraft und Wesen der Erde? Den Einfluß der Schicksalsgemeinschaft von Kosmos, Erde und Mensch müssen wir zu erkennen versuchen, um die Quellen zu finden, aus denen Erkenntnis, Kunst und Religion des Menschen geboren sind; um zu ergründen, wie mit dem Wandel der einen Dfeiheit der Wandel der anderen Dreiheit entwicklungsgesetzlich verbunden ist, um schließlich zu entdecken, ob nicht doch der Mensch zürn schöpferisch freien Wesen im Inneren dieser Schicksalsgemeinschaft werden kann. Wenn man in der Erforschung des Lebendigen das Mikrokosmische verstehen will, muß man vorerst von der Betrachtung des Makrokosmischen ausgehen. Denn im Organisch-Lebendigen wirken nicht nur solche Kräfte, die von irgendeinem zentralen Brennpunkt ausstrahlen und die Umwelt beeinflussen, sondern vor allem auch von außerirdischen Welten hereinwirkende Impulse, d. h. solche Kräfte, die aus den Weiten des Kosmos nach innen strahlend das Mikrokosmisch-Gesonderte modellieren und in seinem Entwicklungsprozeß bestimmen. Deshalb werden wir, um physisch-materielle, ätherische und auch Bewußtseinsvorgänge verstehen zu können, wie sie sich innerhalb der Erdensphäre entwickeln und zum Inhalt von Wissenschaft, Kunst und Religion des Menschen auf Erden werden, vorerst uns ein Bild machen müssen von jenen Bildekräften, die aus den kosmischen Weiten, aus den ätheri* sehen Sphären der Planeten gestaltend in die Erdensphäre eingreifen Die Kräfte der Planeten und der anderen Himmelskörper lassen sich nicht durch eine nur quantitativ registrierende Phänomenologie ergründen. Es liegt dieser Kräftewelt eine erhabene Ordnung s ein in Raum und Zeit regierender Rhythmus, eine organische Gliederung zugrunde, die — wenn einmal in ihrer Gesetzmäßigkeit erkannt —
allen Einzelphänomenen Sinn und Ordnung gibt und einen Teil jenes geheimnisvollen Ur-Planes der Schöpfermächte enthüllt, durch den das Wann und Wo aller Entwicklungsprozesse zu einer dauernden Weltenharmonie veranlagt wurde und noch jetzt darin erhalten wird. So wie die Kosmo-Genesis — zeitlich betrachtet — einen Verdichtungsprozeß darstellt, ob wir nun die Entwicklung rein materiell vom „Ur-Nebel" bis zur mineralisch-festen Erde, oder vom rein Geistigen ausgehend genetisch bis zum verdichteten Inhalt unserer heutigen Sinneswahrnehmung verfolgen, — so ist auch r ä u m l i c h ein rhythmischer Verdichtungsprozeß in den Plan, in den »Grundriss« des Kosmos hineingezeichnet. Wir zeigten (im I. Bd. Kp. II ff), dass vier ätherische Bildekräfte das Werden unseres Weltorganismus herbeiführen und beherrschen: Bewirkter Zustand:
Wärme Wärmeäther l f ausdehnend Lichtäther j 1 zentrifugal gasförmig Chemischer Äther W zusammenziehend flüssig Lebensäther J l zentripetal fest Wie eine gewaltige Meereswoge immer neue We 1len und Rhythmen auslöst, so erwecken auch die schöpferischen Bildekräfte gleichsam von den Weiten des Kosmos nach innen brandend in einem erhabenen Rhythmus immer neue Kräftesphären. Wobei schließlich jede neue Kräftesphäre jeweils auch unter veränderten Gesetzmäßigkeiten neue Daseinsbedingungen für die Substanz schafft. Wenn wir den Erdenplaneten als den wirklichkeitsgemäßen Ausgangspunkt unserer Anschauung in das Zentrum dieses Geschehens stellen, so ergibt sich nebenstehendes Bild einer sich rhythmisch wiederholenden und durch die jeweils neuen Daseinsbedingungen nach innen sich steigernden Genesis des Makrokosmos in Raum und Zeit. Wir sehen die Kräftesphären der einzelnen Planeten vorwiegend von den folgenden Bildekräften beherrscht: Saturn Jupiter Mars Sonne
Wärmeäther Lichtäther Chemischer Äther Lebensäther
Merkur Venus Mond Erde
Wärmeäther Lichtäther Chemischer Äther Lebensäther
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Wie also die vier ätherischen Bildekräfte sich phylogenetisch in einer bestimmten Reihenfolge (Wärme-, Licht-, Chemischer, LebensÄther) zeitlich auseinander entwickelt haben, so beherrschen sie auch die r ä u m l i c h e Gliederung des Planetensystems in der gleichen Reihenfolge und Harmonie. Die Woge der vier Bildekräfte brandet von der Saturn- bis zur Sonnen-Region und löst dort eine zweite Woge aus, welche die Sphären der zwischen Sonne und Erde gelegenen Weltenkörper regiert. Die Sonnen-Sphäre ist der Ausgangspunkt einer Wiederholung des ersten Rhythmus, einer neuen Kräftewoge. Verfolgen wir nun den Wellenschlag der Bildekräfte-Sphären weiter nach innen, so dringen wir ein in die Sphäre der Erde. Während die beiden ersten Rhythmen aber in der Reihenfolge ihrer Kräfte gleichartig waren, tritt nun beim Eindringen in die Erdengesetzmäßigkeit jenes Ur-Gesetz der U m s t ü l p u n g , der U m k e h r u n g ein, dessen Gültigkeit für makrokosmische und mikrokosmische Entwicklungsprozesse wir im I.Bande*) dargetan hatten. Die Welten-Rhythmen lösen, bei der Erde angelangt, nicht einen Rhythmus in gleicher Reihenfolge der Kräfte-Sphären aus (Wärme-, Licht-, Chemischer, Lebens-Äther), sondern die Welle übersehlägt sich hier gleichsam und die KräfteSphären folgen sich nun genau in umgekehrter Reihenfolge (Lebens-, Chemischer, Licht-, Wärme-Äther), ein Umkehrungsvorgang, der das Außen zum Innen und das Innen zum Außen macht und sich innerhalb des Erdenkörpers nun noch mehrfach nach innen zu wiederholt. Während sich diese dritte, umgekehrte Woge in der noch rein ätherischen Erden-Umhüllung auslebt, dringen wir mit ihrem letzten, innersten Glied in die eigentliche Substanz-Welt der Erde hinein, in jene Wärmehülle, die den Erdkörper umgibt und in die atmosphärischen Erscheinungen der Lufthülle der Erde derart eingreift, wie es an Hand vieler meteorologischer Beispiele im I. Bande**) geschildert werden konnte. Denn hier betreten wir schon bekanntes Gebiet. Wenn wir^ die Gliederung der Erd-Sphären, wie sie sich aus der Betrachtung geologischer, meteorologischer, erdmagnetischer usw. Phänomene im I. Bande ergab, hier in den Reigen der Planeten-Sphären einsetzen, so zeigt sich uns nun, dass die Erde in ihrer Gliederung in wundervoller Harmonie die Rhythmen des Makrokosmos spiegelt; wobei das Gesetz der Umstülpung, der Umkehrung, diese Spiegelung der makrokosmischen Sphären innerhalb der Erde beherrscht. *) I. Bd. 2. Aufl. S. 112 ff u. 238ff. **) I. Bd. 2. Aufl. S. 58ff. u. 73 ff.
Die für die E r d e sich ergebende Gliederung:
a—d rein ätherische Sphären der Erden-Umhüllung. 1—4 äussere Erde 5—7 innere Erde wobei 1 = 7 = d 2= 6= c 3= 5= b 4= a
Die Rhythmen der Bildekräfte-Sphären im Makrokosmos und deren Fortsetzung und Spiegelung im Erd-Organismus:
I—IV äussere Planetensphären 1. Woge V—Vlla innere Planetensphären 2. Woge Umkehrung a--d rein ätherische Sphären der Erdenumhiillung 3. Wöge Umkehrung 1--4 äussere Erde 4. Woge Umkehrung 5—7 innere Erde
5. Woge Wenn wir das Bild dieser Gestaltungs-Rhythmen von außen nach innen, dieser erhabenen Gesetzmäßigkeit der Bildekräfte-Sphären noch einmal überschauend betrachten, so erkennen wir, daß die erste Bildekräfte-Woge die Sphären von Saturn, Jupiter, Mars, Sonne schuf, die zweite „ „ die Sphären von Merkur, Venus, Mond bis zur Erde hin, die dritte „ „ führte zur Gliederung der äußeren, rein ätherischen Erden-Umhüllung, die vierte „ „ zur Gliederung der ä u ß e r e n Erde (Wärmehülle, Atmosphäre, Hydrosphäre, Erdfeste), die fünfte „ „ zur Gliederung der i n n e r e n Erde. Fünfmal nimmt die gewaltige Bildekräfte-Welle einen neuen Anlauf, in jeder der geschaffenen Sphären unzählige neue Rhythmen auslösend und impulsierend. Zweimal wiederholen sich die Wogen in gleicher Weise, dann aber überschlagen sie sich dreimal, beim Übergang von der außerirdischen Region in die äußerste ätherische Erdensphäre (dritte Woge), wiederum beim Übergang in die atmosphärische äußere Erde, und zum drittenmal beim Übergang in das Innere der Erde. Erforscht man nun die Wirkungen dieser kosmischen Bildekräfte z. B. auf das Pflanzenwachstum der Erdoberfläche, so müssen wir uns erinnern, dass das Werden der Pflanze, wie es schon im I. Bande (Aufl. 2, Seite 71 ff.) dargestellt wurde, einen dreimaligen Rhythmus der Ausdehnung und Zusammenziehung darstellt. Dieser dreifache Rhythmus des Pflanzenwachstums ist aber nur eine Fortsetzung jenes viermaligen Rhythmus im Wechsel der ausdehnenden und zusammenziehenden Kräfte, wie er die planetarischen Sphären von der äussersten Sphäre bis hinein zur Erdoberfläche beherrscht (s. S. 8). Sehen wir in jedem 9
solchen Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung je einen Atmungsrhythmus des Kosmos, so erkennen wir also vier Atmungsrhythmen, die hereinwellen von den äussersten Bildekräfte-Sphären des Kosmos bis zur Erdoberfläche, dort teilweise reflektiert werden und nun in entgegengesetzter Richtung drei Atmungsrhythmen des Pflanzenwachstums auslösen. So führen sieben Atmungsrhythmen der Bildekräfte im Zusammenwirken von Kosmos und Erde zur Schaffung einer irdischen Pflanze. Die planetarischen Konstellationen üben hierdurch naturgemäss auch einen wichtigen Einfluss auf die Differenzierung des Pflanzenwachstums aus. Wir verstehen nun, warum die urindische Weisheit vom „Atem des Brahma" und die christliche Weisheit vom „Atem Gottes" als dem Lebensspender sprach. Bildhaft könnte dieser Vorgang etwa in folgender Art veranschaulicht werden:
vier Atmungsrhythmen des Kosmos
drei Atmungsrhythmen des Pflanzenwachstums
Die Erkenntnis von der Weltenharmonie dieser von außen nach innen und wiederum von innen nach außen zurückbrandenden Gestaltungs-Wogen der Bildekräfte läßt uns tief und beglückend hineinschauen in den Plan der Weltenschöpfung. Wir erinnern uns der »harmonices mundi« eines Keppler und des herrlichen Gesanges, in dem Goethe von den »Brudersphären« spricht: Die Sonne tönt nach alter Weise In Brudersphären Wettgesang Und ihre vorgeschriebne Reise Vollendet sie mit Donnergang. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, Wenn keiner sie ergründen mag; Die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag. 10
Wenn wir nun die aus der Eingliederung der verschiedenen Planeten in dieses makrokosmische System sich ergebenden Einzelphänomene, deren Dichtigkeit, Lichtintensität, Farbe usw. verstehen wollen, so müssen wir noch ein weiteres Gesetz betrachten, das der Kräftewelt dieser Sphären zugrunde liegt. Bezeichnen wir die Planeten Saturn, Jupiter, Mars, als »äußere« Planeten, hingegen Merkur, Venus und Mond als »innere« Planeten, so läßt sich noch ein Unterschied feststellen zwischen der ersten Kräftewoge, die zur Bildung der »äußeren«, und der zweiten Kräftewoge, die zur Bildung der »inneren« Weltenkörper führte. Während nämlich der erste Rhythmus unter der Vorherrschaft der phylogenetisch älteren Bildekräftegruppe, des Wärme- und LichtÄthers steht, wird der zweite Rhythmus, der sich mehr im Innern des Weltenorganismus auslebt, mehr von der phylogenetisch später entwickelten Gruppe von Bildekräften, dem Chemischen und LebensÄther, als G e s a m t h e i t beherrscht. So daß jede einzelne KräfteSphäre der »äußeren« Planeten in ihrer Wirksamkeit noch durch die erste Kräftegruppe, jede einzelne der »inneren« Sphären durch die zweite Kräftegruppe modifiziert, d. h. entweder in ihrer Eigenart verstärkt oder geschwächt wird. Die Gesamtheit der äußeren Planeten: Wärme- und Lichtäther überwiegend. Die Gesamtheit der inneren Planeten: Chemischer und Lebens-Äther überwiegend.
So wird z. B. Mars, der als einzelner Planet vom Chemischen Äther überwiegend beherrscht ist (siehe Zeichnung Seite 6), hierin, da er zugleich zur Gesamtgruppe der äußeren Planeten gehört, von Wärme- und lichtätherischen Kräften modifiziert, d. h. in seiner eigenen Art geschwächt ; Saturn und Jupiter, die auch als Einzel-Planeten dem Wärmeund Licht-Äther zugeordnet sind, hingegen gestärkt. Der Mond, der als 11
Einzel-Planet dem Chemischen Äther zugeordnet ist, wird, da er zur Gruppe der inneren Planeten gehört, von den auch die Gesamtheit der inneren Planetensphären beherrschenden Chemischen und LebensÄtherkräften in seiner Wesenheit gestärkt, Merkur und Venus als Wärmeund Lichtätherische Planeten der inneren Gruppe jedoch durch diese andersartigen Gesamtkräfte der inneren Sphärengruppe modifiziert. Alle Einzel-Phänomene, die wir durch Beobachtung der Planeten, ihrer Stellung im Kosmos, ihrer Dichtigkeit, ihrer Aggregatzustände, ihrer Färbung, ihrer Strahlungskräfte usw. ablesen und registrieren können, ordnen sich nun in die oben dargestellte Gliederung sinngemäß ein, ja sie werden erst hierdurch verständlich und organisch begründet. Aus einer mehr oder weniger chaotischen Registrierung von durch Beobachtung festgestellten unzähligen Einzeldaten können wir übergehen zu einer systematischen sinnvollen Erklärung aus den zugrunde liegenden harmonischen Gesetzmäßigkeiten heraus. Aus einem Einblick in den Plan, den Grundriß des Weltenbaues können wir Bestimmung, Struktur und Abhängigkeit eines jeden solchen »Bausteines«, eines jeden Gliedes im Weltenbau enträtseln. Dass der Saturn ein Minimum an Dichtigkeit, hingegen der Mond ein Maximum an Dichtigkeit haben m u ß usw., das sind nicht mehr scheinbar willkürliche eigenartige Tatsachen, die wir nur registrieren können, sondern solche, die sich aus unserer Kenntnis des Welten-Organismus und seiner Gliederung organisch und selbstverständlich ergeben. Wir werden von staunend überraschten Betrachtern einseitiger Einzelheiten zu aktiven Mitdenkern im Weltenplan. Erinnern wir uns z. B., daß die einzelnen Bildekräfte auch zu den folgenden vier verschiedenen Zuständen der Substanz führen: Der Wärmeäther zum Wärmezustand „ Lichtäther zum gasförmigen Zustand „ Chemische „ flüssigen „ „ Lebensäther „ festen „ sowie daß die beiden Kräfte der ersten Gruppe ausdehnend, zentrifugal, die der zweiten Gruppe zusammenziehend, zentripetal wirken, was wir an vielen Beispielen auf ganz anderen Gebieten der Naturforschung dartun konnten. Es ist also eine natürliche Folge der dort herrschenden Bildekräfte, wenn Mars, Jupiter und Saturn, die als äußere Planeten-Gruppe vom Wärme- und Lichtäther beherrscht werden, eine viel geringere Dichtigkeit zeigen, als Merkur, Venus und Mond, die als innere Planeten-Gruppe von den zentripetalen, verdichtenden Kräften des Chemischen und Lebensäthers beherrscht sind. Die im Bereich der ersten Äthergruppe auferbauten äußeren Planeten sind eben dem verdichteten Substanzzustand der Erde noch viel fremder, als die im Sphärenbereich der zweiten Gruppe auferbauten inneren Planeten, 12
bei denen — von außen nach innen betrachtet — die zentripetalen Verdichtungskräfte zum erstenmal überwiegend wirksam sind, um sich in der dritten und vierten Woge, bis zur Erdfeste hin immer mehr zu verstärken, zu intensivieren. Die inneren Planeten sind also nicht nur deshalb dichter als die äusseren Planeten, weil sie später entstanden sind (Kant-Laplace'sche Nebulartheorie), d. h. aus einem z e i t l i c h e n Grunde, sondern auch aus einem r ä u m l i c h e n Grunde, weil sie nämlich — dem Grundriß des makrokosmischen Weltenbaues gemäß — auch jetzt noch im Bereich derjenigen Sphärengruppe sind, wo die zentripetalen zusammenziehenden ätherischen Bildekräfte überwiegen, im Gegensatz zu den äußeren Planeten, die auch räumlich jetzt noch im Bereich derjenigen Sphärengruppe sind, wo die auflösenden, zentrifugalen ätherischen Bildekräfte vorherrschen. Wenn wir die oben angegebene (siehe Zeichnung Seite 6) Gesetzmäßigkeit der ätherischen Gliederung des Kosmos kennen, so könnten wir, ohne dies zunächst aus der Beobachtung abzulesen, voraussagen, daß der Saturn, als dem Wärmeäther zugeordnet, einen oberhalb des festen, flüssigen und gasförmigen Zustandes liegenden feineren, eben wärmeätherischen Zustand haben m u ß , was sich ja der Beobachtung auch ergibt (siehe Bd. I, Aufl. 2, S. 111 ff). Wir können aus der Ätherlehre voraussagen, daß Jupiter, da in der Lichtäthersphäre liegend, vorwiegend einen dem irdischen gasförmigen analogen Zustand zeigen muß, daß Mars, da vom Chemischen Äther beherrscht, deutliche Spuren eines dem irdischen flüssigen analogen Aggregatzustandes aufweisen muß; und alles dies wird uns ja durch Beobachtung und Erfahrung bejaht. Aus der Ätherlehre, der Kenntnis der kosmischen Gliederung der Bildekräfte, können wir also weitgehendst auf die Eigenschaften eines Himmelskörpers schließen, um dann zu entdecken, daß die einzelnen Tatsachen durchaus diesen Gesetzmäßigkeiten im Großen entsprechen. Die Bedeutung der Erkenntnis der ätherischen Bildekräfte und ihrer makrokosmischen Sphären liegt also in der Möglichkeit, die Eigenschaften der Weltenkörper nicht nur, wie die Kant-Laplace'sche Nebulartheorie, aus zeitlich-genetischen Gesetzmäßigkeiten folgerichtig zu deuten, sondern sie auch aus einer r ä u m l i c h e n Gesetzmäßigkeit der Gliederung der Kräfte des Weltorganismus erklären zu können. Würde z. B. der Saturnkörper durch ein kosmisches Ereignis aus seiner Bahn geschleudert und in die Mondensphäre geraten, so würde er sich rasch verdichten und erstarren; umgekehrt würde der von der Erde entfesselte Mond, wenn in die Jupitersphäre geschleudert, sich bald den in der dortigen kosmischen Sphäre herrschenden Bildekräften zufolge in einen gasförmigen Wandelstern großer Dimension ausdehnen. Die Kontraktion und Verdichtung der Planeten ist nicht nur ein Ergebnis der »Erkaltung«, sondern beide Phänomene — Erkaltung und 13
Kontraktion — sind die Ergebnisse der Wirksamkeit der Kräftegruppe des Chemischen und Lebensäthers, die in den inneren Sphären des Kosmos der Substanz ihr Gepräge geben. Auch würde Jupiter, der jetzt, weil in der Lichtäthersphäre lebend, sein leuchtend goldgelbes Licht in den Weltorganismus hineinstrahlt, wenn er in die Wärmeäthersphäre des Saturn geriete, die graue Farblosigkeit des Saturnkörpers annehmen,dervom ihn beherrschenden Wärmeäther kein Eigenlicht erhält (siehe Farbenlehre Band I Kapitel VIII); während Mars, der jetzt die bei den äußeren Planeten vorherrschenden Lichtätherkräfte (siehe oben) durch den Chemischen Äther seiner Eigensphäre abgedämpft hat und deshalb die dunkleren Farbtöne des Roten und Bläulichen zeigt, wenn er in die reine Lichtäthersphäre des Jupiter geriete, sich auch zu dessen leuchtendem Goldgelb aufhellen würde. So zeichnet sich auch Venus, die der Lichtäthersphäre der i n n e r e n Planeten angehört, wie Jupiter der Lichtäthersphäre der ä u ß e r e n Planeten, ebenfalls gegenüber den anderen Wandelsternen durch überragende Helligkeit aus. Darum trug auch Venus als Morgenstern früher den bedeutsamen Namen des Luzifer-»Phosphoros«, des Lichtträgers. Die Düsterkeit des Saturn und — im Gegensatz zu ihm — die grosse Lichtstärke von Jupiter und Venus ist also nicht ein zufälliger Umstand oder nur der Dichtigkeit ihrer Atmosphäre bezw. anderen fraglichen sekundären Ursachen zuzuschreiben, sondern ist bedingt durch die Region, welcher der einzelne Weltenkörper innerhalb der so verschiedenartigen ätherischen Wogen der weltgestaltenden Kräfte angehört. Ob wir nun Dichtigkeit, Lichtintensität, Farbe oder sonst eine Eigenschaft der Planeten betrachten, immer werden sie uns durch die Ätherlehre erklärlich, und ein jedes Phänomen letztlich zum Beweis für die allwaltende Gesetzmäßigkeit und Harmonie, welche die Bildekräfte dem Weltenorganismus und seinen einzelnen Sphären einprägen. Es sei hier nach der Betrachtung der Planeten, der Wandelsterne, noch etwas über die Zuordnung der F i x s t e r n e zu den verschiedenen Bildekräften gesagt.*) Eine frühere, anders geartete Kenntnis dieser Zusammenhänge sprach ja von »feurigen«, »luftigen«, »wässerigen« und »erdigen« Zeichen und Sternbildern im Tierkreis. In dieser Anschauung liegt mehr als ein kindliches Bilderrätsel, wie wir heutigen Menschen oft so leichthin *) Eigentlich ist der Ausdruck » ätherisch « für die in der Fixsternwelt waltenden Bildekräfte nicht mehr korrekt, da die dortigen Kräfte noch andere Charakteristika tragen, als die rein ätherischen. Aber da eine Darstellung dieser Besonderheiten in dem hier gegebenen Rahmen zu weit führen würde und die Analogien und Entsprechungen doch derart sind, dass die Übersetzung in die Kräftesprache der Fixsternwelt in diesem Zusammenhang nicht notwendig ist, zumal wir die von dort kommenden Wirkungen doch immer nur durch die Übersetzung, die Vermittlung des Ätherischen erfahren, so können wir von einer solchen Spezialisierung hier zunächst absehen. 14
meinen, sondern das Geheimnis eines wirklichen Tatbestandes verhüllt. Wenn wir die Bildekräfte der einzelnen Tierkreiszeichen betrachten, so ergeben sich vier Gruppen von je drei Sternbildern, derart, daß je eine Gruppe von einer der Bildekräfte beherrscht ist, was zusammen eben die zwölffache Gliederung des Tierkreises ergibt:
Wir haben also je drei Sternbilder, die zugeordnet sind: dem Wärmeäther: Löwe, Schütze, Widder, dem Lichtäther: Wage, Wassermann, Zwillinge, dem Chemischen Äther: Skorpion, Fische, Krebs,* dem Lebensäther: Steinbock, Stier, Jungfrau. Je mehr wir durch die Erkenntnis der Bildekräfte auch eindringen in die Verschiedenheit der einzelnen Fixsternsphären und dort die Natur-Gesetzlichkeit entdecken, die in ihrer Anordnung waltet, desto mehr werden wir auch staunen, wie tiefe Zusammenhänge unsere Menschen-Vorfahren in den ihrer damaligen Ausdrucksweise entsprechenden Bildern enthüllten. So daß es nicht Aufgabe unserer Zeit sein kann.Tausende von Menschen-Generationen leichthin der Absurdität zu zeihen, sondern oft nur die gleiche Wahrheit in unserer Sprache auszusprechen, d. h. den Tatbestand statt in der Bildersprache der Alten, in der unserem Bewußtsein gemäßen Erforschung der Kräfte zu entziffern und zu durchschauen. 15
Kehren wir noch einmal in die Regionen der Wandelsterne zurück. Daß die Planeten und ihre Sphären natürlich auch einer stetigen Metamorphose unterliegen und in ihren Stellungen und wechselseitigen Beziehungen untereinander einem meist organisch langsamen, oft aber auch plötzlichen Wandel unterliegen, zeigt sich uns aus der Geschichte eines jeden der Wandelsterne. Die von den Mysterien früherer Zeiten und der geisteswissenschaftlichen Forschung seit jeher gelehrte Tatsache, daß z. B. der Mond sich einst aus der Erde gelöst habe und einst auch wieder mit ihr vereinigen werde, ist ja jetzt auch zu einem von der heutigen Naturforschung anerkannten Bestandteil unseres Weltbildes geworden, über zwei Seiten dieser Frage gehen die Ansichten wohl allerdings noch auseinander und bedürfen der Annäherung und Verständigung, nämlich über den Zeitpunkt der Trennung und der Wiedervereinigung des Mondes mit der Erde und über die Artung der Konsequenzen, die diese Ereignisse mit sich bringen. Prof. Em. Kayser sagt in seinem großzügigen, übersichtlichen »Lehrbuch der Geologie« (S. 17): »Eigentlich bilden Mond und Erde einen Doppelplaneten, der sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt herum um die Sonne bewegt. Ursprünglich müssen beide Körper eine zusammenhängende Masse gebildet haben, von der sich der Mond erst später abgelöst hat.« Wir werden auf die Mondentrennung noch im Kapitel III. im einzelnen eingehen* Über die W i e d e r a n n ä h e r u n g des einst abgespaltenen Mondes an die Erde sagt Prof. J. Plaßmann in seinem im I. Bande schon mehrfach erwähnten Werk »Himmelskunde« (Seite 320): »Die Bewegung unseres eigenen Mondes erfährt seit Jahrtausenden eine kleine, von den vielen periodischen Ungleichheiten nicht abhängende Beschleunigung . . . «, und nach Betrachtung des Verhältnisses von Erde und Mond schließt auch er, es müsse sich »die Anziehung steigern und damit die Umlaufs-Bewegung beschleunigen; diese tatsächliche Beschleunigung besteht neben der scheinbaren. Und bewegt sich das System in einem auch noch so feinen widerstehenden Mittel, so zeigt die Theorie, daß die beiden Körper einander immer näher rücken und am Ende zusammenstürzen müssen.« — Diese Angaben decken sich also durchaus mit den geisteswissenschaftlich erforschten Tatsachen, nur wird heutzutage meistens der Wiedereintritt des Mondes in eine nach Jahrmillionen zählende ferne Zukunft verlegt, während Dr. Rudolf Steiner für die Wiedervereinigung des Mondes mit der Erde bereits das 8. Jahrtausend angegeben hat. Mag nun die Zeitspanne, in der sich Trennung und Wiedervereinigung der verschiedenen Weltenkörper vollziehen, auch noch zur Diskussion stehen, so sind sich doch Nebulartheorie und geisteswissenschaftliche Anschauung darin einig, daß die Gesamtheit der Fixsterne, 16
Wandelsterne und ihrer Trabanten einstmals einem gemeinsamen einheitlichen Weltenkörper angehörten, dann sich aus diesem heraussonderten und differenzierten, um schließlich der Wiedervereinigung zuzustreben. Will man jedoch in der Erkenntnis des jetzt Differenzierten nicht in eine unübersehbare Registratur von Fakten hineingeraten, so muß man diejenigen Impulse und Kräfte betrachten, deren Werk dieser Differenzierungs- und Wiedervereinigungsprozeß ist. Hierzu ist die ätherische Welt der Schlüssel. Und wenn wir diesen Schlüssel verwenden, um in die geheimen Kammern des Weltenbaues einzudringen, so dürfen wir nicht vergessen, daß er selbst das Werkzeug bewußter Weltenmächte ist, die uns durch Auslieferung des Schlüssels zur Mitarbeit aufrufen wollen. Zusammenfassend können wir sagen: Die außerirdischen planetarischen Sphären sind von einer zweifachen ätherischen Woge gebildet, beherrscht und gegliedert, wobei jede solche Woge in sich räumlich den gleichen Rhythmus trägt, der zeitlich-phylogenetisch vom Werden des Wärmeäthers zum Lichtäther, zum Chemischen und Lebensäther geführt hat. Diese äußere zweigliedrige p l a n e t a r i s c h e S p h ä r e n w e l t setzt sich nach innen zu fort in die d r e i g l i e d r i g e Welt d e r E r d e n s p h ä r e n . Zwischen den Sphären der äußersten Erdenwoge, welche die reih ätherische Erdenumhüllung bilden, und der innersten Sphärenwelt, die das Erdinnere gestaltet, liegt als ein r h y t h m i s c h e r Ausgleich die a t m o s p h ä r i s c h e ä u ß e r e H ü l l e der E r d e (siehe Zeichnung Seite 8). Würde dieses mittlere Glied nicht sein, so würden die polarisch gegensätzlichen Gesetzmäßigkeiten der rein ätherischen Erdenumhüllung und des ganz von der Substanz beherrschten Erdinnern zu einem gewaltsamen katastrophalen Ausgleich ihrer Verschiedenheit kommen müssen. Kosmische und irdische Gesetzmäßigkeiten würden unvermittelt auf einander prallen und sich gegenseitig zerstören. Da vermittelt nun aber trennend und besänftigend die elastische atmosphärische Hülle der Erde, die von beiden polaren Gesetzmäßigkeiten etwas in sich trägt, und ermöglicht es dem Menschen, in einer Sphäre zu leben, wo der Krieg der kosmischen und irdischen Polaritäten zum friedlicheren Geplänkel des atmosphärischen Witterungswandels abgedämpft ist. Denn was sind alle meteorologischen Ereignisse, Wind und Regen, Erwärmung und Abkühlung, Donner und Blitz, Hagel und Schnee, der feine zerriebene Staub der einstigen innerirdischen vulkanischen Laven und der Staub der einstigen kosmischen Meteoritenschwärme in unserer Atmosphäre anderes, als ein besänftigter, gemilderter Ausgleich von Oben und Unten, Außen und Innen, durch die mittleren Sphären der dreigliedrigen Erde, in denen der heutige Mensch mit seinem Bewußtsein, seinen leibaufbauenden Bildekräften und Substanzen sein besonderes Wesen entfalten kann? Wachsmuth.
Äther. Bildekräfte.
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IL Kapitel. Die Jjildekrälte der nördlichen und südlichen -Hemisphäre der ICrde. D i e U r l o r m e n der JVontinente. D i e Verteilung der festen und flüssigen Bestandteile, der Kontinente und Ozeane, ist bei den einzelnen Weltkörpern so verschieden und für die Entwicklung bewußter Lebewesen von so entscheidender Wichtigkeit, daß es für die Betrachtung der Bewußtseinsentwicklung der Erden-Menschheit von ausschlaggebender Bedeutung ist, über den hier zugrundeliegenden Entwicklungsprozeß unbedingte Klarheit zu haben. Die Frage des Entstehens und Vergehens von festen Kontinenten im Kampf mit den Feuer- und Wassergewalten ist nicht nur deshalb für die Begründung menschlicher Kulturen wesentlich, weil z. B. ein Planet, dessen Wasserhülle die Erdfeste überall gleichmäßig zudecken würde, ein Menschenwesen unserer heutigen Art gar nicht entstehen Hesse, sondern auch z. B. weil die Verteilung von Land und Wasser mit den Wärme- und Kälteintensitäten des Planeten weitgehend verbunden ist. Nun dürfen wir nicht vergessen, daß unser h e u t i g e s Bewußtsein mit einem ganz bestimmten Temperaturniveau eng verknüpft ist. Bei einer gar nicht sehr viel höheren oder tieferen Temperatur verlieren die heutigen Menschen sofort das »Bewußtsein«. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht auch ein Bewußtsein von Wesenheiten bei ganz anderen Temperaturniveaus möglich sei, — unsere heutigen Vorstellungen von diesen Möglichkeiten sind meistens im falschen Sinne anthropomorph und von viel zu engem Horizont — aber gerade das jetzige »Bewußtsein«, das unserer gewöhnlichen tagwachen geistigen Betätigung d. h. den Inhalten unserer heutigen Wissenschaft, Kunst und Religion zugrunde liegt, ist mit einem ganz bestimmten ziemlich eng begrenzten Wärmeniveau verknüpft. Auf das vom Menschen i n n e r l i c h ausgebildete Wärmeniveau, das ja höher liegt als das der ihn umgebenden Außenwelt und ihm dadurch eine gewisse F r e i h e i t von den Schwankungen der ihn umgebenden Außenwelt verleiht, sei hier zunächst nur hingewiesen (siehe Seite 84/218). Wir wollen hier gewiß nicht der schrecklichen materialistischen Auffassung huldigen, 18
die das Bewußtsein des Menschen als ein Ergebnis, ein Produkt solcher materieller Zustände auffaßt, denn wir wissen, daß der Mensch bei der Inkarnation, bei dem Niederstieg zur Geburt sich aus einem anders gearteten höheren »Bewußtsein« heraus eine bestimmte irdische Kräfteund Substanzstruktur als Grundlage seiner Erkenntnisprozesse auf Erden wählt, gerade um dann aus Entwicklungsgründen durch ein Leben in jenem bestimmten irdischen Bewußtseinszustande eine Zeitlang hindurch gehen zu können. Aber es ist doch zum Verständnis wesentlich, einmal diese physische Basis des Bewußtseins, die sich die Erdenmenschheit im Leben zwischen Geburt und Tod auswählt, näher zu betrachten, und wir wollen deshalb auf die hierfür wesentlich mitbestimmenden Faktoren: das Werden und Vergehen der Ozeane und Kontinente der Erde, als den Rahmen menschlicher Kulturen eingehen. Für einen die Erde aus dem Kosmos betrachtenden Beobachter würde sie überwiegend als ein flüssiger Planet erscheinen, denn die Ozeane machen ca. s / 8 der Erdoberfläche aus.*) Auch der Mensch selbst ist ja nur zum geringen Teil ein festes Gebilde, sondern zu 5 / g von Flüssigkeiten erfüllt, ein Flüssigkeitsmensch. Diese Tatsache ist für sein Hineingestelltsein in die Wogen und Rhythmen der ätherischen Bildekräfte von entscheidender Wichtigkeit. — Nun zeigt die Erde in bezug auf die Verteilung des Festen und Flüssigen ein sofort auffallendes Merkmal, daß nämlich die Kontinente, d. h. die festen Teile der Erdoberfläche überwiegend nach dem Nordpol hin, die flüssigen überwiegend nach dem Südpol hin konzentriert sind. Halbkugel der grössten Wassermasse
Halbkugel der grössten Landmasse
(s. Kayser S. 121)
Da der feste Aggregatzustand dem Lebensäther, der flüssige dem Chemischen Äther zugeordnet ist, so können wir also den nördlichen *) Siehe zu dem Problem des realen Erlebens der Kontinentalformen auch die äusserst wertvolle und aufschlussreiche Darstellung von Dr. H. von Baravalle. Herausgegeben von der naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum, Dornach. 19
Pol gleichsam als einen erhöhten Brennpunkt der Lebensätherkräfte und dadurch als mehr mit den Sonnenwirkungen verknüpft (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 98), den südlichen Pol als ein Zentrum des Chemischen Äthers und dadurch mehr mit den Monden Wirkungen verknüpft ansehen. Daß die Sonnenwirkungen einen besonders starken Zusammenhang mit dem Nordpol zeigen, hatten wir aus anderen Gesichtspunkten heraus schon im ersten Band bei Besprechung der Nordlichterscheinungen, der Pol-Wanderungen, gewisser magnetischer Phänomene usw. gezeigt. Daß der Mond einen erhöhten Einfluß auf das wässerige Element ausübt, ist ja eine vielfach festgestellte Tatsache, nur ermöglicht eine exakte Ätherlehre, den Grund hierfür nicht nur in Schwerkrafts- und Anziehungsursachen zu suchen, sondern in der Verwandtschaft des Mondes zum Chemischen Äther (siehe Tabelle Seite 6), sowie dem Einfluß gerade dieses Äthers auf das flüssige Element begründet zu finden, wie dies schon auf vielen ganz anders gearteten Gebieten geschah. Wichtig ist auch das von Prof. E. Kayser erwähnte Faktum (Geologie Seite 60), daß »die überwiegend von Wasser eingenommene südliche Erdhalbkugel im allgemeinen eine niedrigere Temperatur besitzt als die nördliche«. Die Südhemisphäre hat also auf die Ausbildung unseres heutigen Erdenbewußtseins einen ganz anderen Einfluß als die nördliche Halbkugel. Wir können nach dem vorigen kurz gefaßt den Nordpol den S o n n e n - P o l , den Südpol den M o n d - P o l nennen. Es ist in dieser Hinsicht außerordentlich bedeutsam, daß Dr. Rudolf Steiner den indischen Ozean — etwa zwischen Madagascar und Australien — als denjenigen Ort angegeben hat, wo sich seinerzeit der Mond aus der Erde gelöst hat, also aus der südlichen Hemisphäre der Erde.*) Wir werden auf die Zuordnung der beiden Pole der Erde zu den Sonnen- und Mondenkräften noch bei Betrachtung der menschlichen Kulturen zurückkommen. Die Urformen der Erde. Es gibt noch ein zweites Merkmal, das für die Erkenntnis der Entwicklung der Erde fundamental wichtig ist und einer Erklärung bedarf: die eigentümliche, immer wieder auftretende D r e i e c k s - F o r m der K o n t i n e n t e . *) Es sei in diesem Zusammenhange nur darauf hingewiesen, dass sich aus der Herauslösung des Mondkörpers an dieser Stelle vielleicht auch jener rätselhafte grösste Graben in der Oberfläche der Erde erklärt, der sich an der afrikanischen Ostküste bogenförmig entlang zieht, also gleichsam einen Riss darstellt, der in diesem Randgebiet der Austrittsstelle des Mondes in der Erde entstanden ist. E. Kayser sagt über diesen Graben (Geologie S. 276): »In keinem anderen Teile der Erde aber sind so mächtige Grabenversenkungen nachgewiesen worden, wie im Osten von Afrika« . . . »Verbindet man alle genannten Versenkungen, so erhält man eine Bruchzone von insgesamt nicht weniger als 7000 km Länge! Man hat mit Recht gesagt, dass dies vielleicht die grösste und auffälligste Schramme im Antlitz unserer Erde sei.«
20
Prof. Eduard Sueß beginnt sein berühmtes Werk über das »Antlitz der Erde« mit den Worten: »Könnte ein Beobachter aus demHimmelsraume, unserem Planeten sich nähernd, die rötlichbraunen Wolkenzonen unserer Atmosphäre beiseite schieben und die Oberfläche des Erdballes überblicken, wie sie, unter seinen Augen rotierend, sich im Laufe eines Tages ihm darbietet, so würde vor allen anderen Zügen der südwärts keilförmig sich verengende Umriß der Festländer ihn fesseln. Dieses ist das auffallendste Merkmal unserer Erdkarte und ist wohl auch als solches bezeichnet worden, seitdem man diese Karte kennt.« Und Prof, E. Kayser sagt in seiner »Geologie« von dieser dreieckigen Gestalt der Kontinente (Seite 122): »Diese dreiseitige, sich nach Süden zuspitzende Gestalt tritt namentlich bei den beiden Amerika und Afrika deutlich hervor und bewirkt, daß diese Kontinente "wie nach e i n e r Schablone gebaut' erscheinen. Auch Australien zeigt dieselbe, der von Afrika auffallend ähnliche Gestalt, sobald man es sich in seiner ehemaligen größeren Ausdehnung wieder hergestellt denkt, in der es im Norden bis nach Neu-Guinea und den Fidschi-Inseln, im Osten bis nach Neuseeland, im Süden weit bis nach Tasmanien hinaus, vielleicht bis nach den Macquarie-Inseln reichte. Die gleiche D r e i e c k s Form wiederholt sich aber auch bei vielen größeren Inseln und Halbinseln. So bei Grönland, Arabien, Ostindien, Kamtschatka, Florida u. a.« Und nach Besprechung einiger Entwicklungsgesichtspunkte sagt Eduard Sueß an anderer Stelle (Band I Seite 6): »Es handelt sich also bei Betrachtung der keilförmigen Gestalt der Festlandmassen nicht um etwas seit der Bildung des Erdkörpers unverändert Gegebenes, sondern es wird sich jeder Versuch, die Bewegungen und die Formveränderungen der Erdrinde zu verstehen, mit diesen größten Merkmalen der planetarischen Oberfläche zu beschäftigen haben.« Doch die Erklärungen, welche für dieses Ur-Phänomen der über das Wässerige hinausragenden Erdformen, für die Dreiecksgestalt der Kontinente gegeben werden, sind meist Zusammenstellungen zufälliger Faktoren und Ursachen, die schließlich zu diesem Ergebnis hingeführt haben sollen. Aber aus dem Verhältnis der irdischen S u b s t a n z e n untereinander kann eben eine solche Formgesetzmäßigkeit überhaupt nicht gefunden werden. Zur systematischen Begründung und Einordnung solcher Urformen in phylogenetische, makrokosmische Gesetze führt uns jedoch die Anwendung jener ganz bestimmten Zuordnung bestimmter Urformen zu bestimmten ätherischen Bildekräften, wie dies schon im I. Band für viele ganz andersartige Gebiete geschehen ist und sich nun auch hier für die Entstehung der Kontinental-Formen, der wichtigsten Urformen des Erdenkörpers wiederum bewährt. Wir hatten ja an vielen verschiedenartigen Naturprozessen gezeigt, daß die ätherischen Bildekräfte, wenn sie sich unbeeinträchtigt in der 21
Substanz auswirken können, ganz bestimmte Urformen erzeugen und zwar: der Wärmeäther sphärische, der Lichtäther dreieckige, der Chemische Äther halbmondförmige, der Lebensäther viereckige bezw. kubische Formen gestaltet. Wir hatten dies sowohl in den anorganischen, wie in den organischen Naturreichen an vielen Beispielen demonstriert. So ließ sich z. B. zeigen, daß die Außenformen gewisser Hagelkörner, wo sich also die Substanz in der gasförmigen, vom Lichtäther beherrschten Atmosphäre sehr rasch zum festen Aggregatzustand kondensiert, die dreieckige Gestalt des Lichtäthers aufweisen, da sich eben der schnelle Verfestigungsprozeß gerade in der Sphäre dieses Äthers abspielt.
H a g e l k ö r n e r (nach Prof. Trabert).
Ein ganz analoger Prozess, der diesem ontogenetischen, heute noch beobachtbaren Vorgang der Hagelbildung in der Phylogenesis der frühesten Erdenentwicklung nach dem auch hier anwendbaren biogenetischen Grundgesetz entspricht (wonach die Ontogenesis abgekürzte Phylogenesis ist), ist nun die Entstehung der Kontinente der Erde in einem bestimmten Zeitpunkte der Genesis. Man könnte sagen: ähnlich wie sich noch heute in der gasförmigen Atmosphäre der Hagel verdichtet, so haben sich damals die K o n t i n e n t e der Erde zu bestimmten Gebilden verdichtet, und da dieser Gestaltungsprozeß — wie wir im folgenden zeigen werden (Seite 29) — in einer vorwiegend vom Lichtäther beherrschten Umgebung vor sich ging, so haben die Kontinente der Erde alle jenes eigenartige Dreieckssymbol aufgeprägt erhalten, das gerade der Lichtäther bewirkt. Die Hagelkörner sind noch heute kleine »Kontinente«, die in der Erdensphäre entstehen. Wie sich dreieckige Urformen im Zusammenhang mit dem Wirken des Lichtäthers bei mineralischen, pflanzlichen, tierischen und menschlichen Gebilden nachweisen Hessen, bei bestimmten Kristallen, bestimmten Randformen der Pflanzenblätter, bei gewissen Ganglien oder sogar größeren Organen der höheren Tiere und des Menschen (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 184/235/239), so erzwang diese ätherische Bildekraft die ihr zugeordnete Substanzgestaltung auch bei jenen Urformen im Erdenantlitz, den 22
Kontinenten. Keine zufälligen Faktoren im Kampf von Wasser, Feuer und Erde, keine hypothetischen Senkungs- oder Elevations-Theorien, keine chaotischen Verwitterungserscheinungen vermögen diese allen Naturforschern so überraschende, einheitlich geprägte Dreiecksform aller Erdenkontinente zu erklären, aber sie ergibt sich ganz natürlich aus den Gesetzmäßigkeiten der ätherischen Bildekräfte und der ihnen zugeordneten Urformen. Diese herrliche Harmonie, dieser symphonische Zusammenklang der Erscheinungen bei Mensch, Tier, Pflanze, Mineral, ja dem ganzen Leibe der Erde gibt dem rechten Naturforscher ein tief beglückendes Gefühl der Bewunderung und der inneren Sicherheit. Nun kann man außer den Urformen der einzelnen Kontinente, die das Dreieckssymbol tragen, auch noch die Frage stellen nach der Urform des festen Erdkörpers als eines Ganzen. Die Ansicht, daß die feste Erde als solche eine kugelförmige Gestalt habe, ist von den Naturforschern nach tieferem Studium der Tatsachen längst aufgegeben worden. Die Ausbildung der modernen Verkehrsmittel hat es ja dem Menschen ermöglicht, das in den verschiedensten Gebieten der Erde durch Einzel-Beobachtung zu gewinnende Material zu einem einheitlichen Bilde zu ergänzen. Wir wollen zunächst, rein aus der Ätherlehre heraus, uns fragen, welche Gestalt die Gesamtmasse der festen Erde haben muß, da wir ja auf vielen Gebieten gezeigt hatten, daß der feste Aggregatzustand von den zusammenziehenden Kräften des Lebensätherischen beherrscht ist. Wir hatten weiterhin gesagt, daß der Lebensäther, wenn er sich in der Substanz unbeschränkt auswirken kann, viereckige bezw. kubische, würfelförmige Urformen bildet (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 47 etc.). So nimmt das in Wasser gelöste Salz, wenn es sich aus dem flüssigen in den festen Zustand verdichtet, die kubische Gestalt des Salzwürfels an. Ein solcher aus dem Wässerigen heraus verdichteter »Salzkörper« ist nun der feste Erdkörper und wir müssen daher voraussehen, daß er, da in ihm das Lebensätherische vorherrschend tätig ist, eine viereckige, bezw. kubische, würfelförmige Gestalt aufweisen muß. Dies ergibt sich zunächst ohne Berücksichtigung der Beobachtungen rein logisch aus der Ätherlehre selbst. Es ist nun wieder eine folgerichtige Bestätigung, daß der feste Erdkörper tatsächlich als Ganzes garnicht die Kugelgestalt, sondern durchaus eckige Formen zeigt. Dies wird nicht nur aus geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten heraus bejaht, sondern ist in letzter Zeit auch vielfach von Geologen behauptet worden. Prof. E. Kayser erwähnt in seinem schon mehrfach zitierten Werk »Geologie «(Seite 44/45) z.B. die von Lowthian Green aufgestellte »Lehre von der tetraedrischen Erdgestalt«. Nach dem englischen Forscher hätte »die unter dem Einfluss der Achsenrotation sphärisch erstarrte Erde infolge des mit der Ab23
kühlung verbundenen Volumverlustes beständig das Bestreben, diejenige mathematische Form anzunehmen, die bei möglichst großer Oberfläche den kleinsten Raum einnimmt: D a s r e g u l ä r e T e t r a e d e r oder, noch besser, das ihm nahestehende Hexakistetraeder (Tetraeder mit flacher sechsseitiger Pyramide auf jeder Fläche), ein Körper, der bei schwacher Rundung der Kanten der Kugel sehr nahe kommt. Denkt man sich mit Green ein solches Tetraeder um eine seiner Höhenlinien als Achse rotierend, während die es umgebende ozeanische Hülle eine Kugel darstellt, deren Mittelpunkt mit dem des Erd-Tetraeders zusammenfällt, so ist ohne weiteres klar, daß die vier Spitzen des Tetraeders als Kontinente aufragen, über seinen Flächen aber Meere sich ansammeln werden. Wir erhalten so vier große Festlandsmassen — Europa-Afrika, Asien-Australien, Nord- und Südamerika und die Antarktis — und vier diesen a n t i p o d a l g e g e n ü b e r l i e g e n d e Ozeane — Pazifischer, Atlantischer, Indischer Ozean, Nördliches Eismeer. Lang unbeachtet geblieben, ist Green's Hypothese erst in neuerer Zeit wieder aufgenommen, aber zugleich abgeändert worden. So nimmt Gregory zwar auch eine tetraedrische Grundform an, setzt indes jeder Tetraederfläche eine dreiseitige Pyramide auf .. « Die Schlußfolgerung aus den gewonnenen Beobachtungen hat also ebenfalls zur Ablehnung der Kugelgestalt und Annahme eckiger Urformen geführt, wenn auch im Einzelnen noch Meinungsverschiedenheiten bestehen. Denn die Abweichungen von der scharf umrissenen ursprünglichen Gestalt sind wohl ein Beweis, daß die übrigen Bildekräfte der Erde, auch die Feuer- und Wassergewalten, die ursprüngliche Urform des festen Erdkörpers zu zerstören und zu verändern suchen, doch ist die einstige, jetzt verwitterte Urform noch deutlich zu erkennen. Bei organischen Körpern, wie der Erde, kann man eben nicht mit dem Zentimetermaß, sondern nur mit dem am Betrachten des Organischen geschulten Forschersinn die Gesetzmäßigkeiten auffinden. Sonst könnte man ja auch nie von einem »Blatt« sprechen, denn es gibt auf der Erde keine zwei Blätter, die ganz dieselbe Form haben; äußere und innere Einflüsse vermögen wohl immer die Urform zu beeinträchtigen, und doch setzt sie sich immer wieder siegreich durch. Die Ätherlehre muß also sagen: die Urform des festen Erdkörpers, wie sie sich beim einstmaligen Verdichtungsprozeß ausprägte, ist das Viereck bezw. der Würfel. Wir können die Erdfeste einem Salzwürfel v e r g l e i c h e n , der in einer sphärischen Wasserkugel schwimmt und die Urform des L e b e n s ä t h e r s trägt. Es liegt deshalb eine tiefe Weisheit in dem Wort Christi, das sich an den Menschen richtet und ihm das Gleichnis zu enträtseln aufgibt: »Ihr seid das Salz der Erde.« Denn wie die aus dem Wässerigen heraus 24
fest gewordene Substanz den höchsten bisher phylogenetisch erreichten Entwicklungsgrad der Substanz darstellt, so ist der Mensch der Gipfel der Entwicklung alles Organisch-Lebendigen. Es liegt also auch etwas vom Geheimnis des Menschenwesens in der Urform des vom Lebensäther gebildeten festen Erdkörpers, das in dem christlichen Gleichnis verborgen liegt: »Ihr seid das Salz der Erde.« So spricht zum Menschen der Sohn des Weltenschöpfers, der von sich sagt, daß er die Kraft des Lebens bringt: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«. — Können denn Naturforschung und Religion nicht auf verschiedenen Wegen gleiche Wahrheiten finden?
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III. Kapitel. D i e geologischen .Perioden der Ü/rdengenesis vom Gesichtspunkte des Ätherischen, U m diese r ä u m l i c h anschaubaren Ergebnisse eines gesetzmäßigen Wirkens der Bildekräfte noch tiefer zu verstehen, wollen wir die zeitliche Entwicklung, d. h. die geologischen Perioden der Erdengenesis nunmehr unserer Betrachtung eingliedern. Es ist dies zugleich die historische Basis für den Weg des Menschen zur Beherrschung der Bildekräfte. Dr. Rudolf Steiner hat die Entwicklung des Kosmos aus geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten heraus in 7 sogenannte planetarische Zustände eingeteilt (siehe Band I), von denen er den ersten als »Saturnzustand«, den zweiten als »Sonnen-«, den dritten als »Mond-«, den vierten als »Erdenzustand« bezeichnet. Die Entwicklung der Erde hat er wiederum in 7 verschiedene Perioden eingeteilt, und zwar derart, daß die Periode, in der wir heute leben, die fünfte darstellt, der also im Rahmen des Werdens und Vergehens der Erde bereits vier Perioden vorangegangen sind und zwei weitere folgen werden. Hierbei sind die Perioden nicht schematisch als zeitlich gleich lang, sondern sinngemäss nach bestimmten, in jeder Periode jeweils neu auftretenden Entwicklungszuständen gegliedert. Und zwar wird bezeichnet: die ,, „ „ „
erste dieser Peirioden zweite ,, dritte vierte fünfte „
als „ ,, „ „
die „ ,, „ „
polarische, hyperboraeische lemurische, atlantische, nachatlantische.
Da wir die Annahme der unbegreiflichen Urzeugung eines »Urnebels«, aus dem sich alle Naturreiche mit ihren Substanzen, Kräften und Bewußtseinsprozessen entwickelt haben sollen, als eine Sackgasse der Naturforschung ansehen müssen, worin uns wohl die meisten konsequenten und großzügigen Naturforscher der Gegenwart zustimmen 26
werden, so betrachten wir die Entwicklung der Erde daraufhin, wie sie aus zunächst rein geistigen Zuständen hervorgegangen ist und wie durch das schöpferische Wirken der ätherischen Bildekräfte, hinter denen wiederum geistige Entitäten imputierend wirksam sind, diejenige Struktur der Kräfte und Substanzen sich herausgebildet hat, die unseren jetzigen Erdenplaneten beherrscht*). Es ist ein bei der Entwicklung eines jeden Organismus, sei es nun der mikrokosmische von Mensch, Tier und Pflanze, oder der makrokosmische Organismus eines Planeten — gültiges Phänomen, daß die schöpferisch gestaltenden Kräfte zunächst von a u ß e n nach innen, in das zu B i l d e n d e h i n e i n , ihre W i r k u n g e n strahlen (siehe Abbildungen Seite 28), bis dann mehr und mehr die zuerst von außen einstrahlenden Kräfte in das I n n e r e selbst h i n e i n z i e h e n , so daß sich dann durch die immer differenzierter werdende Wechselwirkung des Innen und des Außen der Organismus allmählich entwickelt und verselbständigt. Wenn wir das gleiche Gesetz am Entwicklungsgang der Erde ablesen, so zeigt sich, daß während der ersten, polarischen Periode die Bildekräfte noch rein im Ätherischen das zu schaffende Werk vorbereiten und das Wärmeätherische den Weltenkörper innerlich erfüllt, so daß damals für die Erde etwa diejenige sphärische Gliederung der Bildekräfte zunächst erreicht ist, wie sie im I. Band für die Struktur des ältesten und auf der frühesten Stufe zurückgebliebenen Planeten, des »Saturn« angegeben wurde.**) Während sich also das Innere des Erdenkörpers in der ersten, polarischen Periode ganz mit dem Wärmeätherischen erfüllt, strahlen die höheren Bildekräfte noch von außen in dieses Gebilde hinein (siehe folgende Zeichnungen). An den Übergang von dieser zur nächsten Periode können wir etwa die Entstehung des Kant-Laplace'sehen »Urriebels« verlegen, d. h. das Auftreten gasförmiger Zustände, die durch die Wärmedifferenzierungen innerhalb des Weltkörpers sich zu verschiedenen Gebilden und Urformen mehr und mehr verdichten und differenzieren. *) Die eigentliche physische Entwicklung der Erde, welche bei der geologischen Betrachtung im allgemeinen mehr einseitig berücksichtigt wird, beginnt etwa bei dem Übergang von der hyperboräischen zur lemurischen Epoche und durchläuft das sog. archaische, paläozoische, mesozoische, känozoische Zeitalter bis zur letzten „Eiszeit", die etwa beim Übergang von der atlantischen zur nachatlantischen Zeit anzusetzen ist, wobei die archaische und paläozoische Periode die mehr ätherischen Vorgänge der einstigen polarischen und hyperboräischen Epoche nunmehr im Physischen wiederspiegelt und die mesozoische Periode etwa den Höhepunkt der lemurischen Epoche darstellt. (S. auch Ehr. Pfeiffer, Die geolog. Erdentstehung, Gäa-Sophia, Jahrg. I, S. 318 ff.) **) Siehe I. Bd. 2. Aufl. S. 114. 27
Die geologischen Perioden der Erden-Genesis vom Gesichtspunkte des Ätherischen. 1. Polarische Periode
Aus dem rein Geistigen bilden sich die ätherischen Sphären. D e r W ä r m e ä t h e r strömt nach innen.
2. Hyperboräische Periode
Das Lichtätherische strömt nach i n n e n . Die übrigen Bildekräfte strahlen noch von aussen herein. (Feuer und Luft). Zeit des Kant-Laplace'schen Urnebels. Sonnentrennung.
3. Lemurische Periode
Das ChemischÄtherische strömt n a c h i n n e n und verdrängt das Licht- und Wärmeätherische, daher F e u e r k a t a s t r o phen. Mondentrennung.
Übergang zur atlantischen Periode
4. Atlantische Periode
Das Lebensätherische strömt nach i n n e n und verdrängt das Chemisch-Ätherische, daher W a s s e r katastrophen.
Übergang zur Nachatlantischen Periode.
»Sintflut.«
5. Nachatlantische Periode.
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Die verdrängten Bildekräfte sind wieder nach aussen gewandert, die Umstülpung der Sphären ist durchgeführt. Jetzige Erdenstruktur.
Während also in der ersten Periode der Wärmeäther in das Innere des Erdenkörpers hineingekraftet ist, diesen erfüllend und ihm seine Signatur gebend, strömen in der zweiten (hyperboraeischen) Periode die Kräfte des Lichtäthers allmählich von aussen in das Innere hinein. Dadurch werden natürlich sowohl die Kräfteverhältnisse, als auch die Substanzen, sowie die Formen der vorhandenen Gebilde verändert und ihnen die dem Lichtäther zugeordnete Struktur und Signatur aufgeprägt. Beim Übergang von dieser zweiten zur dritten (lemurischen) Periode entstehen nun die Urgebilde jener Kontinente, die dann das Dreieckssymbol des Lichtäthers bis in unsere Zeiten hinein bewahrt haben (siehe Seite 22). In den dreieckigen Formen aller Kontinente spricht auch heute noch zu uns das alte verwitterte Erdenantlitz der lemurischen Periode. Denn die dritte, lemurische Periode bringt dann schon dasjenige Element vor allem zur Wirksamkeit, das am meisten zur Verwitterung des festen Erdenantlitzes beigetragen hat: das flüssige Element; die Ozeane der Erde verdichten, konzentrieren sich immer mehr am Leib der Erde und zeichnen eine tiefe Furche nach der anderen in das alte, verwitterte Antlitz ihrer Mutter. Aber sie vermögen die charakteristischen Züge der Vorzeit nicht ganz auszulöschen. Und so können wir noch heute in diesen Gesichtszügen lesen von dem inneren Arbeiten jener Bildekräfte, die diesen Leib einstmals auferbaut haben, und ihre Urformen deutlich entziffern. Doch die Runzeln und Falten des Erdenleibes haben noch manche andere Ursache. Die Entwicklung eines Weltenkörpers ist ebensowenig wie die eines individuellen Menschen nur eine langsam-organische. In das friedlich-harmonische Walten der großen Gesetzmäßigkeiten, die zwar letzten Endes immer wieder siegen, schlägt doch oft auch plötzlich die eruptive Gewalt angehäufter Gegenkräfte, nicht recht ausgeglichener Disharmonien hinein und droht vorübergehend den erreichten Zusammenklang der Kräfte, den Ausgleich der Polaritäten zu zerstören und zu chaotisieren. Die Mythen aller Völker berichten so einmütig von solchen überlieferten Ur-Erinnerungen der Menschheit, wie etwa von der Sintflut, von Wasserkatastrophen, aber auch von ganze Teile der Erde vernichtenden Feuergewalten, daß alle ernsthaften Geologen und Erforscher der Erden-Genesis nach den zugrunde liegenden wahren Geschehnissen gesucht haben. So beschäftigt sich auch Prof. Eduard Sueß in seinem grossen geologischen Werk eingehend mit diesem Problem und indem er die Anwendung der heute gültigen Begriffe auf die damaligen gewaltigen Katastrophen zurückweist, sagt er (Antl. d. E., Seite 26), es habe sich »aus der friedlichen Alltäglichkeit des bürgerlichen Lebens ein gewisser geologischer Quietismus herübergeschmeichelt 29
in die Beurteilung der größten Fragen der Erdgeschichte, welcher nicht zu der vollen Beherrschung jener Erscheinungen führt, die für das heutige Antlitz der Erde die maßgebendsten waren und sind. Die Zukkungen, von welchen weit häufiger, als man noch vor kurzer Zeit annahm, einzelne Stücke des äußeren Felsgerüstes der Erde ergriffen werden, mahnen deutlich genug, wie einseitig eine solche Anschauung der Dinge ist. Die heutigen Erdbeben sind gewiss nur gar schwache Erinnerungen an jene tellurischen Bewegungen, von welchen der Bau fast jedes Gebirgszuges Kenntnis gibt. Es sind zahlreiche Beispiele des Gefüges großer Gebirgsketten bekannt, welche innerhalb der Stetigkeit der großen Vorgänge einzelne Episoden als möglich, in gewissen Fällen sogar als wahrscheinlich erscheinen lassen, von so unsagbar erschütternder Gewalt, daß die Einbildungskraft sich sträubt, dem führenden Verstände nachzufolgen und das Bild auszugestalten, für welches aus beobachteten Tatsachen dieser die Umrisse setzt. Solche Katastrophen hat, soweit geschriebene Berichte reichen, unser Geschlecht nicht erlebt. Das gewaltigste Naturereignis, von welchem menschliche Erinnerungen erzählen, trägt den Namen der S i n t f l u t , und es soll der Versuch unternommen werden, die physische Grundlage der alten Berichte aufzusuchen« »In den Sagen und in den heiligen Büchern des Altertums finden sich zahlreiche Berichte von grossen Naturereignissen. In den Überlieferungen des europäischen Nordens überwiegen solche Mitteilungen, welche sich auf vulkanische Ausbrüche beziehen. Außerordentlich verbreitet in der alten wie in der neuen Welt sind die Nachrichten von verheerenden Fluten« u. a. o. »Die biblische Darstellung besteht aus zwei von verschiedenen Berichterstattern verfaßten Aufschreibungen, welche unter mehrfachen Wiederholungen und mit untergeordneten Abweichungen von einander auf eine Weise vereinigt sind, welche ihre Trennung nicht schwer macht. Sie unterscheiden sich in auffallender Weise dadurch, daß der eine Berichterstatter für die Gottheit den Namen Jahveh, der andere die Pluralform Elohim anwendet, sowie durch die Art der Darstellung selbst.« — Unter Hinzuziehung der Berichte des Izdubar-Epos und anderer kosmogonischer Mythen hellenisch-syrischen, indischen, chinesischen Ursprungs etc., sucht er in einer schönen, großzügigen Weise, die von seinen Nachfolgern viel mehr ausgebaut werden dürfte, aus diesen Urtexten ein Bild der großen Erdkatastrophen geologisch zu rekonstruieren und dies mit den heutigen Erfahrungstatsachen in Übereinstimmung zu bringen. Aber die letzten Endes unüberwindlichen Schwierigkeiten, auf die eine solche rein dokumentarisch-phänomenologische Methode der heutigen Zeit stößt, wenn sie auf diese Weise früheste Erdengeschehnisse an Hand des jetzigen physischen Materials rekonstruieren will, spricht dieser großzügig die vorhandenen Dokumente und die heutigen Methoden 30
überschauende Geologe z. B. in den folgenden Worten aus (Seite 99): »Es gibt wohl nur wenig Naturerscheinungen, über welche eine so große Anzahl von verschiedenartigen Überlieferungen und von Druckschriften bestehen würde, als über die Erdbeben. Die Berichte reichen, wie der vorhergehende Abschnitt zeigt, bis in die älteste Zeit zurück und auch jetzt liefert jedes Jahr Bereicherungen. Leider gehen aber diese oft sehr verdienstlichen Arbeiten nach den verschiedensten Richtungen auseinander. Die größte Zahl, namentlich der älteren Schriften, malt die Vorahnungen der Tiere und den Schrecken der Menschen, zählt den Verlust an Leben und Geldwert auf und bietet grelle Farben, aber wenig deutliche Umrisse. Andere Arbeiten, wahre Muster ausdauernden Fleißes, suchen nach einer Periodizität der Erscheinungen, aber zwei Umstände verurteilen jede noch so ernst gemeinte Bemühung dieser Art, sobald es sich um die Umfassung langer Zeiträume und zahlreiche Erschütterungen handelt, von vorneherein zur Unfruchtbarkeit. Der erste liegt in der alle für ähnliche Arbeiten zulässigen Grenzen weit übersteigenden Ungleichartigkeit der Überlieferung. Diese befindet sich in augenscheinlicher Abhängigkeit von dem jeweiligen Kulturzustande der Menschheit und der fortschreitenden Erschließung entfernter Landstriche.« Mit Recht zeigt er also, daß eine Erforschung frühester Erdperioden mit den heute üblichen Methoden entweder an der Mangelhaftigkeit und Verschiedenheit der uns gebliebenen Berichte scheitern muß oder an der Schwierigkeit, die damaligen Zustände aus den jetzt möglichen oder erforschbaren Zuständen zu rekonstruieren oder gar zu errechnen. So hat z. B. die Tatsache der Entdeckung der Radioaktivität der Erde (siehe Band I S. 169 ff.) in den letzten Jahren die Mehrzahl solcher errechneter hypothetischer Weltengebäude zu Fall gebracht. Hier, wo Dokumente und gleichartige Zustände zur Erkenntnis des Früheren fehlen, kann nur eine geisteswissenschaftliche Erforschung in der Art, wie sie Dr. Rudolf Steiner ausgeübt hat, letzten Endes weiterhelfen, wenn wir uns nicht im Rahmen des resignierenden Ignorabismus begnügen wollen. Und das Ermutigende und Bestätigende dieser Methode und ihrer Ergebnisse ist es ja gerade, daß sie in das Chaos der Einzeltatsachen Harmonie und Systematik, Sinn und Logik hineinbringt. Die geisteswissenschaftliche Erforschung zeigt nun, daß es vor allem zwei Arten von Katastrophen waren, die das Antlitz der Erde weitgehend veränderten, die Feuer- und die Wasserkatastrophen, und daß die ersteren den Abschluß der dritten, lemurischen Periode, die letzteren hingegen den Abschluß der vierten, atlantischen Periode bildeten. Setzen wir diese Tatsachen in die im Vorigen angewandte Ätherlehre und in die auf Seite 28 dargestellte Genesis des Eingreifens der 31
einzelnen Bildekräfte in der Erdenentwicklung ein, so bestätigen und ergänzen sich die Ergebnisse wechselseitig. Denn wir hatten gezeigt, daß nach dem überall in Zeit und Raum geltenden Rhythmus der Reihenfolge des Wirkens von Wärme-, Licht-, Chemischem und Lebensäther, die ersteren beiden Kräfte in der polarischen und hyperboraeischen Periode in das Innere der Erde eindrangen und dort vorwiegend herrschten. Diese Herrschaft der Licht- und Feuerkräfte vollzog sich nun während dieser Perioden mehr oder weniger in Ordnung und Harmonie, wurde aber am Ende der dritten, lemurischen, beim Übergang zur vierten Periode durch die dann in das Innere mehr und mehr hineingeströmten und dort zur Herrschaft kommenden Verdichtungskräfte des Chemischen Äthers gestört, was eben naturnotwendig zu jenen gewaltigen Feuerkatastrophen führen mußte, die das Ende der lemurischen Epoche kennzeichnen (siehe Abbildungen
Seite 28). Nachdem die zweite Bildekräftegruppe mit ihren zentripetalen Verdichtungstendenzen im Laufe der vierten, atlantischen Zeit zur Vorherrschaft kam, wird der Sieg über die Feuerkräfte der Erde immer vollständiger, und wir erleben heute nur noch in vereinzelten Vulkanausbrüchen, Erdbeben und milderen tektonischen Veränderungen der Erdrinde hie und da das Grollen des Besiegten. Die wärmeätherischen Kräfte haben sich für längere Erdenzeiten wieder in ein harmonisches Zusammenwirken mit den anderen Bildekräften eingegliedert, wie wir es im I. Bande bei Besprechung vieler meteorologischer Phänomene und Rhythmen (z. B. der Temperaturumkehr, Seite 74 u. a. o.) darstellen konnten. Doch die vierte Periode erlebte noch einmal eine solche Katastrophe der noch nicht geordneten Kräftesphären. In der vierten, atlantischen Epoche strömen ja die Bildekräfte des Lebensäthers, der den festen Aggregatzustand anstrebt, immer stärker in das Innere hinein (siehe Abbildungen Seite 28) und überwältigen und verdrängen die dort seit dem Ende der lemurischen Epoche regierenden Kräfte des im Wässerigen herrschenden Chemischen Äthers. Auch dieser letzte Entscheidungskampf der Kräfte rief noch einmal eine verheerende Unordnung hervor, die große Wasserkatastrophe, die in den Berichten von der »Sintflut« und den anderen kosmogonischen Mythen der Völker in unserer Erinnerung fortlebt. Die »Sintflut« bedeutet den Abschluß der Vorherrschaft des Chemisch-Ätherischen, der das Wässerige beherrschenden Bildekräfte, sie geschah zeitlich am Ende der vierten, atlantischen Periode, räumlich nicht nur im Gebiete des Euphrat, sondern in vielen Gebieten der Erde, dort von anderen Völkerschaften erlebt und in Mythen gekleidet. Nachdem nun die letzten Verdichtungskräfte gesiegt haben, das feste Erdgerüst sich verhärtet, das Wässerige sich mehr und mehr 32
der Tendenz der zentripetalen Kräfte folgend an der Erdfeste zusammengezogen hat, hellt sich nun die vorher vom Wässerigen durchsetzte und dadurch verdunkelte Atmosphäre auf. Das große Werk ist vollbracht. Die gewaltige U m s t ü l p u n g der B i l d e k r ä f t e s p h ä r e n von a u ß e n nach i n n e n , die schon so oft das W e r d e n des W e l t o r g a n i s m u s b e s t i m m t e , ist vollzogen. Die einst nur von außen in das Innere der Erde hineinstrahlenden Bildekräfte sirld untergetaucht in das Reich der Substanz, in die »Wüste und Leere«, nun Ordnung und Harmonie bewirkend. — Wie die hereinströmenden Kräfte von den inneren Erdensphären Besitz ergreifen, ziel voll nacheinander der Substanz neue Gesetze, neue Formen, neue Ordnung einprägen, diese urgewaltige Umkehrung des Außen zum Innen durch das Werk des Ätherischen und dessen Folgen sind es, was uns die Biblische Schöpfungsgeschichte in erhabenen Bildern erzählt. Denn diese biblische Schilderung enthält Religion, Kunst und Wissenschaft noch in ursprünglicher Einheit. Es ist das Erdengeschehen am Ende der dritten, lemurischen Epoche, das die Genesis zunächst schildert. Die Kräfte des Chemischen Äthers haben ja in dieser Epoche das Ganze durchdrungen, der Lichtäther ist überwältigt, die Sphären der Erde sind mit den Wassern erfüllt, tiefe Dunkelheit herrscht also in dieser Erde: Genesis I. Kapitel: 2. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster in den Tiefen, und der Geist Gottes schwebte auf den Wassern.
Ende der lemurischen Periode:
s. auch Zeichnungen S. 28
Langsam scheidet sich nun der von den Kräften des Wässerigen vorher überwältigte und verdrängte Lichtäther und sammelt sich wieder außerhalb der inneren Sphären, so daß nun die äußeren Sphären vom Wachsmuth, Äther. Bildekräfte.
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Lichtäther durchleuchtet werden, während im Inneren noch die Finsterniskräfte vorherrschen: Genesis 3 : Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 : Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis. 5 : Und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
Lichtäther: Chemischer Äther:
Dieser erste » Schöpfungstag « erzählt von den Geschehnissen beim Übergang von der lemurischen zur atlantischen Periode. Mit dem Übergang zu dieser Periode dringen nun die Kräfte des Lebensäthers, der, wenn er in der Substanz wirkt, den festen, erdigen Zustand herbeiführt, in die inneren Regionen ein (siehe Zeichnung Seite 28). Der durch die zusammenziehenden Tendenzen dieser Gruppe von Bildekräften bewirkte Verdichtungsprozeß ergreift alle Substanz in der Erde. Die Kontinente verhärten sich mehr und mehr zur Dichte der heutigen Erdrinde, auch das Wässerige zieht sich immer mehr aus dem Umkreis zusammen, das in den äußeren Sphären verteilte Wässerige nimmt ab und die Ozeane sammeln sich in den Tiefen zwischen den Kontinenten. Auch die Sphären des Erdinneren, innerhalb der Erdfeste, die des flüssigen Magma usw. beginnen sich zu bilden. Die vierte und fünfte Woge der Bildekräfte differenzieren sich immer mehr und mehr. Die Erdfeste scheidet Außen und Innen, die Gebiete der vierten und fünften Woge, von einander (s. S. 8). Nun ist der Erdenzustand erreicht, der für die vierte Periode, »den anderen Tag«, vorherrschend sein soll. Das freie Lebensätherische, das nicht in der festen Substanz gebunden ist, durchkraftet die Oberfläche der Kontinente; die organische Welt mit ihren Lebenskräften überwuchert die neugewonnene Erdrinde: Genesis 11 : Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame, und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage und habe seinen eigenen Samen bei sich selbst auf Erden. Und es geschah also. Und die Erde Hess aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
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Immer mehr sammeln sich die verschiedenen Bildekräfte in den ihnen in der neuen Erdenstruktur zugewiesenen Sphären, und zwar ordnen sich die Expansivkräfte des Wärme- und Lichtäthers in den äußeren Regionen, die Zentripetal-Kräfte des Chemischen- und Lebensäthers in den inneren Regionen; die Atmosphäre, nun ganz von Licht und Wärme durchdrungen, hellt sich auf, so daß die Strahlen aus den Sphären der Fixsterne und Wandelsterne durch die Atmosphäre hindurchdringen können bis zur Erdfeste. Genesis 14: Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre. 15: Und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf Erden. Und es geschah also.
Die planetarischen Sphären und deren Spiegelung im Erd-Organismus, dies ist das „Werk" jener schöpferischen Mächte und Kräfte:
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Das Werk der vierten, atlantischen Periode ist vollbracht und jener Zustand herbeigeführt, welcher die kommende fünfte, nachatlantische Periode beherrschen soll. Die große fünffache Woge der Bildekräfte ist bis zum Innersten der Erde vorgedrungen. Wir hatten ja gezeigt, daß die heutige ätherische Gliederung der planetarischen und der irdischen Sphären fünfmal den Rhythmus der Bildekräfte wiederholt, wobei jedoch die dritte Woge sich beim Übergang zur vierten gleichsam überschlägt, umstülpt, und die vierte sich wiederum beim Übergang zur fünften umstülpt, was sich bis in die Gliederung der Substanzen auswirkt. Die Genesis der Erde in den fünf Perioden der bisherigen Entwicklung, von der polarischen bis zur nachatlantischen, ist also nichts anderes, als ein solcher gewaltiger Umstülpungsprozeß von außen nach innen. Und wie aus den Kräften der d r i t t e n , rein ä t h e r i s c h e n Woge die v i e r t e u n d fünfte Woge e n t s t e h t , das ist es, was die b i b l i s c h e G e n e s i s in ihren Bildern w i e d e r g i b t : Das H e r e i n b r e c h e n der Bildekräfte von a u ß e n nach innen u n d die U m k e h r der S p h ä r e n . Das Ergebnis ist die d r e i g l i e d e r i g e E r d e :
Erinnern wir uns nun, daß dieser große Umkehrungs-, Umstülpungsprozeß, der das Außen zum Innen und das Innen zum Außen macht, sich nicht nur in makrokosmischen Werdeprozessen, sondern auch in mikrokosmischen, in der embryonalen Entwicklung der Organismen der irdischen Naturreiche, bei Mensch und Tier spiegelt und wiederholt, so erkennen wir darin eines der Urgesetze im Werden alles Lebendigen. 36
IV. Kapitel. JDie .horizontale und vertikale trlieoerung der Erde, llir physiscker und geistiger Aspekt und inr .Zusammenhang mit dem ^Xenscnen.
häS war in den Tagen des 3. und 4. Oktober 1779, als ein kleiner Trupp von Reitern sich durch das Birstal südöstlich von Basel in der Schweiz bewegte. An der Spitze des kleinen Trupps ein junger, etwa dreißigjähriger Mensch zu Pferde, Wolfgang von Goethe. Neben ihm der Herzog von Weimar, einige Freunde und ein kleiner Troß von Reitknechten. Der Biograph der Schweizer-Reisen Goethe's, Wilhelm Bode, berichtet*): »Am 3. Oktober ritten sie südwärts, von mehreren Wegen wählten sie das Tal, das sich die Birs durch das Juragebirge gebrochen hat. Anfangs war es ein freundliches Hügelland: Burgruinen, geschichtliche Erinnerungen, Dörfer, Schlösser.« — Wohl manchesmal hielt der kleine Reitertrupp an und Goethe, zugleich Künstler und Erforscher der Natur und Erdgeschichte beklopfte mit seinem Hammer das Gestein, um dessen Zusammensetzung und Gestaltung zu ergründen, oder betrachtete die Hügellinien und Gebirgsbildungen, die das Tal einsäumen. Für ihn war die Erde ein Kunstwerk der schöpferischen Mächte der Natur und die Kunst des Menschen nicht besser zu fördern, als durch ein intimes Erleben des Wirkens und Werdens der Natur. »Große Gegenstände« schrieb er am Abend nieder, »geben der Seele die schöne Ruhe; sie wird ganz dadurch ausgefüllt, ahnend, wie groß sie selbst sein kann, und das Gefühl steigt bis gegen den Rand, ohne überzulaufen. Mein Auge und meine Seele konnten die Gegenstände fassen und da ich rein war, diese Empfindung nirgends falsch widerstieß, so wirkte sie, was sie sollte.« — Und im Gespräch über den Einfluß solch eigenartiger Landschaften der Erde auf den Menschen sagte er:*) »Hätte mich nur das Schicksal in irgendeiner großen Gegend heißen wohnen, ich wollte mit jedem Morgen Nahrung der Großheit aus ihr saugen!« »Man ahnt im Dunkeln die Entstehung und das Leben dieser seltsamen Gestalten. Es mag geschehen sein, wie *) Wilhelm Bode, Goethe's Schweizer Reisen. 37
und wann es wolle, so haben sich diese Massen nach der Schwere und Ähnlichkeit ihrer Teile groß und einfach zusammengesetzt. Was für Revolutionen sie nachher bewegt, getrennt, gespalten haben, so sind auch diese nur einzelne Erschütterungen gewesen, und selbst der Gedanke einer so ungeheuren Bewegung gibt ein hohes Gefühl von ewiger Festigkeit Hier wirkt ein Alles langsam bewegendes, ewiges Gesetz. Und von Menschenhänden ist nur der bequeme Weg, über den man durch diese seltsamen Gegenden durchschleicht.« Was damals in der Seele des jugendlichen Reiters lebte, es gleicht den Erlebnissen so vieler bedeutender Menschen, welche uns neue große Erkenntnisse über das Wesen der Natur, über die Schicksalsgemeinschaft von Kosmos, Erde und Mensch gebracht haben. Eis ist gewiß kein Zufall, ob der Mensch in diesen oder jenen Gebieten der Erde lebt und seine Anregungen empfängt, ob ihn »das Schicksal in irgendeiner großen Gegend wohnen heißt«, damit er »Nahrung der Großheit« aus ihr saugen könne. Immer wieder finden wir im Leben schöpferischer Persönlichkeiten, wie das eigenartige Walten der Natur in einem bestimmten Erdgebiet ihnen zur Quelle der Inspiration wird. Zum Beispiel jene herrlichen Erden-Worte am Beginn des zweiten Teils des Faust: »Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig, Ätherische Dämmerung milde zu begrüssen; Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig Und atmest neu erquickt zu meinen Füssen«,
sie sind nach Goethe's eigenen Worten zu Eckermann aus dem Erlebnis der Natur am Vierwaldstättersee gesprochen worden: »Ich hätte ohne die Eindrücke jener wundervollen Natur den Inhalt der Terzinen gar nicht denken können.« — Auch Nietzsche dankt seine tiefsten Gedanken der Sprache der Natur in ganz bestimmten Erdgebieten. Sein Biograph Bertram berichtet hiervon: »Zwei Landschaften leben in der Dichtung vom Untergang Zarathustra's: Einmal, ,alle Mitten zwischen Eis und Süden* haltend das entrückteste Hochtal des Erdteils, das Engadin, wo »Italien und Finnland zum Bunde zusammenkommen,* wo eine beständige sonnige Oktober-Luft weht: dies sagt Nietzsche ist »meine Landschaft: so fern vom Leben, so metaphysisch.' Hier kam, nach seinem eigenen Zeugnis, ,die Gundkonzeption des Zarathustra, der ewige Wiederkunftsgedanke, diese höchste Form der Bejahung,' mit der Gewalt einer ekstatischen Vision über ihn. Die andere Landschaft aber ist die des Golfes von Rapallo, die von dem königlichen Vorgebirge von Porto-Fino beherrscht wird, ,eine kleine vergessene Welt von Glück,' wie Nietzsche ihr noch im Ecce Homo dankt. Auf den Wanderungen durch diese Landschaft fiel mir der ganze Zarathustra ein, vor allem Zarathustra selber, als Typus: richtiger, er überfiel mich.« — 38
Man könnte diese Beispiele im Großen und Kleinen, im Guten und Bösen, im Vollendeten und Unvollendeten des Denkens und Wirkens bedeutender Menschen unzählig vervielfachen. Oft durchwandert ein solcher Mensch lange die Oberfläche der Erde, tastet gleichsam die Erhabenheiten der Erde ab, bis er jenen Ort findet, wo ihm die rechte Inspiration werden kann. - Noch viel deutlicher, als beim einzelnen Menschen, ist diese eigenartige Verbundenheit der Geburtsstätten neuer Menschheitsepochen mit außergewöhnlichen Kräftezentren der Erde zu entdecken in den Wanderungen und Schicksalen der Rassen und Völker auf der Erdoberfläche. Wir müssen uns fragen: kann das Samenkorn einer neuen Weltanschauung, einer neuen Religion oder Kulturepoche beliebig überall in den Erdenleib versenkt werden, oder gibt es Punkte der Erde, die durch ihre besondere Kräftestruktur als solche Geburtsstätten ausersehen sind? Hätte z. B. Buddha den Keim seiner orientalischen Religion auch in Australien oder Japan pflanzen können, Christus die weltgeschichtliche Strömung des Christentums auch in Konstantinopel oder Spanien inaugurieren können? Oder liegen hierbei ganz bestimmte, durchschaubare Gesetzmäßigkeiten zugrunde? Gibt es eine »Geologie« oder »Geo-Sophie« der Religionen, der Künste, Weltanschauungen, der Völkerwanderungen und Kulturepochen? Schon die Frage, ob und wie die Wesensart der verschiedenen Rassen und Völkerschaften in ihrer Verteilung über die Erde mit den Eigenarten der verschiedenen Kontinente, ihren Substanzen und Kräften, zusammenhängt, ist nur durch den Versuch einer Zusammenschau vieler Erkenntnisgebiete zu beantworten. Um zu durchschauen, wie der Orientale mit dem Erdboden Asiens, der Okzidentale mit dem Europas oder Amerikas, nicht nur im Aufbau seines physisch-materiellen Leibes, sondern auch mit seinen seelischen und geistigen Eigenschaften verknüpft ist, müssen geologische, meteorologische, erdmagnetische usw. Tatsachen ebenso wie völkerpsychologische mitsprechen. Wir hatten im I. Band bereits in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß der auf der Erdoberfläche lebende und sich entwickelnde Mensch vor allem in zwei Kräftewirkungen hineingestellt ist: die von der Erde ausgestrahlten und die vom Kosmos in die Erde hineingestrahlten Bildekräfte, und wir waren zu dem Ergebnis gekommen: Es ist eine der bedenklichsten Inkonsequenzen, die wir in der Forschung begehen können, wenn wir den Einfluß der Kräftesphären der Planeten, der Erde usw. nur in bezug auf die tote Substanz der Magnetnadel erforschen. Es ist nicht nur logisch konsequent, sondern eine genau feststellbare Tatsache, daß die lebende Substanz der Organismen in noch viel empfindlicherer Weise auf das sie umgebende Kräftefeld 39
stark reagiert. Dieses Kräftefeld ist aber in seinem Wandel, wie wir z. B. an den Variationen der Magnetnadel deutlich sehen, durch die makrokosmischen Bewegungen der Planeten in meßbarer Stärke ständig beeinflußt. Dieses Kräftefeld ist ein völlig anderes bei der Kulmination eines Planeten, bei Opposition oder Konjunktion zweier Planeten usw. Unser gesamter Lebensprozeß spielt sich in einer Umgebung ab, deren Kräftestruktur sich ständig ändert. Der Luftraum z. B., in dem wir atmen, ist in seiner feinen Kräftestruktur einem ständigen, gesetzmäßigorganischen Wandel unterworfen. Diese kosmischen und irdischen Einflüsse sind nun auch geographisch innerhalb des Erdorganismus von verschiedener Artung und Intensität, was einer künftigen Rassenkunde, Zoologie und Botanik noch manches Rätsel aufklären wird. Mineralien, Wasser und Atemluft sind in den verschiedenen Erdteilen ganz unterschiedlich von den ätherischen Kräften durchsetzt. Dieses geographisch verschiedene Wirken der ätherischen Bildekräfte in Mineral, Wasser und Atemluft usw., d. h. in jenen Bestandteilen, die den physischen Leib von Pflanzen, Tieren und Menschen in den verschiedenen Erdteilen auferbauen und ihre Lebenserscheinungen beeinflussen, gehört zu den Ursachen für das verschiedene Geartetsein der menschlichen Rassen, der tierischen und pflanzlichen Arten. Prof. Eduard Sueß beginnt sein Werk über das Antlitz der Erde damit, daß er einen hypothetisch im Kosmos angenommenen Beobachter von außen die Erde betrachten läßt, der die verhüllenden Wolkenschichten beiseite schiebt und nun dasjenige schildert, was er da unten an Ozeanen und Kontinenten erblickt. Was dieser hypothetische Beobachter sieht und beschreibt, ist die Verteilung der p h y s i s c h e n Elemente und Substanzen der Erdoberfläche. Wir wollen nun wiederum nicht von der Verteilung der Substanzen ausgehen, die ja wohl Unbestrittenermassen nur die sekundäre Folge unsichtbarer Kräftewirkungen ist, sondern wollen ausgehen von einer Betrachtung der K r ä f t e w e l t , die zur Gliederung der Erdoberfläche geführt hat und sie auch jetzt noch in dieser ihrer Struktur erhält und metamorphosiert. Die Betrachtung der Substanz kann uns ja eben immer nur zu einem Registrieren des Bestehenden führen, die Betrachtung der Kräfte jedoch die darin verborgenen Ursachen und Gesetzmäßigkeiten enthüllen und den Blick in Werden und Fortgang des Prozesses ermöglichen. — Ich möchte hier kurz etwas über die Entstehung der folgenden Betrachtung sagen, eine Vorbemerkung, die ja derjenige, welcher solche Gesichtspunkte ablehnt, überspringen kann, um sich nur an die E r g e b n i s s e der Betrachtung und ihre Anwendung auf die materiellen Faktoren zu halten. Doch gibt es heute schon so viele Menschen, die sich für die geistige Seite des materiellen Ge40
schehens interessieren, daß für sie dieser Hintergrund der Betrachtung gewiß zur Vollständigkeit des Bildes gehört. Dr. Rudolf Steiner machte einmal in einem Gespräch die Angabe, daß der Mensch, wenn er nicht auf Erden lebt, sondern sich im Leben zwischen Tod und neuer Geburt in den kosmischen Welten als rein geistiges Wesen befindet, die Erde gleichsam von außen betrachtet und dann die V e r t e i l u n g d e r Bildekräfte ü b e r die E r d o b e r f l ä c h e hin nach A r t des S o n n e n s p e k t r u m s sieht. Er gewahrt also nicht nur ein Chaos von Kräften, die da an der Gestaltung und Erhaltung der Erde arbeiten, sondern im Großen eine ganz bestimmte Verteilung der Bildekräfte über die Erde hin. Nach Ausarbeitung der Zusammenhänge zwischen den Farben des Sonnenspektrums, den einzelnen ätherischen Bildekräften und den Gebieten der Erde wurde die folgende Gliederung Dr. Steiner wiederum vorgelegt und von ihm bejaht. Sie findet nun auch ihre volle Bestätigung in der physisch-materiellen Gliederung der Erde und ist deshalb für die Einsicht in den Plan oder Grundriß, der dem organischen Werden der Erde zugrunde liegt, sehr aufschlußreich (s. nächste Seite). Wenn wir Asien und das Pazif ikum im Wesentlichen als die östliche, die um den atlantischen Ozean gruppierten Gebiete und den amerikanischen Kontinent als die westliche Hälfte bezeichnen, so ergibt sich eine Gliederung der Bildekräfte derart, daß von Europa aus betrachtet nach Asien und dem Pazifikum zu die licht- und wärmeätherischen Kräfte vorherrschen, während nach dem Westen, dem Gebiet des Atlantischen Ozeans und der amerikanischen Festländer zu die Lebensund Chemisch-Ätherischen Bildekräfte überwiegen. Da die lebensätherischen Bildekräfte z. B. den Verdichtungsprozeß aus dem Wässerigen, man könnte auch sagen den »Salzbildungsprozeß" bewirken, die wärmeätherischen Kräfte jedoch ihrer Wesensart nach mehr zur Vorherrschaft der Feuerkräfte, der Vulkanbildung etc. neigen, so muß sich die oben angegebene Gliederung in solchen und verwandten Faktoren am Leib der Erde ablesen lassen. Betrachten wir zunächst die Salzbildungskräfte, z. B. den Salzgehalt der Meere. Prof. E. Kayser sagt in seiner Geologie (Seite 116): »Die D i c h t e des M e e r w a s s e r s ist bekanntlich höher als die des süßen Wassers. Sie beträgt zwischen 0° und 15°C 1,027 und ist eine Folge der im Meer enthaltenen Salze, mit deren Zu- und Abnahme natürlich die Wasserdichte steigt und sinkt.« Und er betont ausdrücklich gegenüber anderen falschen Theorien die sehr wichtige Feststellung (Seite 119): »daß es unzulässig wäre, die Beschaffenheit und Salzmenge der ozeanischen Wässer von der der festländischen ableiten zu wollen. Die Zusammensetzung des Meerwassers ist vielmehr wohl eine ur41
Das Spektrum der Bildekräfte der Erdoberfläche. Das ätherische Spektrum der Erde.
sprüngliche, sein Salzgehalt also wohl schon dem Urmeere der Erde eigen gewesen.« Betrachten wir z. B. den Salzgehalt der Meere in Europa, weil dort am charakteristischsten der Übergang von der einen Polarität zur anderen, dem Gebiete mit maximalen Salzbildungskräften zu einem Gebiet mit minimalen stattfindet. So hat z. B. das Meerwasser, wenn wir von Osten nach Westen wandern, im ö s t l i c h e n Teil der Ostsee überwiegend Süßwasser, zumal auch aus den Flüssen, die vom Festland kommen, dem Meer noch dauernd Süßwasser zuströmt. Der Salzgehalt beträgt dort nur etwa 0,6%. Je mehr wir schon in der Ostsee selbst nach W e s t e n vorrücken, desto mehr nimmt der Salzgehalt zu, denn aus dem atlantischen Ozean und der Nordsee will von der anderen, westlichen Sphäre ständig stark salzhaltiges Wasser nach Osten dringen. Prof. E. Kayser gibt die folgenden Daten des Salzgehaltes (Geologie Seite 116): »So beträgt er im Pontus nur 1,8, im Asowschen Meer nur 1,2 v. H. und nimmt auch in der Ostsee von West nach Ost beständig ab, so daß er östlich von Rügen sogar unter 1 v. H. herabsinkt.« Das Abnehmen der Salzbildungskräfte von West nach Ost gilt nicht nur für die Meere, sondern auch für die Atmosphäre. Die in Europa lebenden Völker entwickeln sich also gleichsam in einem Gebiet, wo ständig ein rhythmischer Ausgleich zwischen maximalen und minimalen Salzbildungskräften stattfindet. Von welcher Bedeutung dies für die Wesensart der sich dort entwickelnden Völker ist, werden wir im Folgenden noch besprechen. Wie die lebensätherischen Kräfte mit den Salzbildungsprozessen verknüpft sind, so die chemisch-ätherischen Kräfte mit einem überwiegen des Wässerigen. Da nach dem obigen ätherischen Spektrum die chemisch-ätherischen Kräfte in der westlichen, atlantischen Erdhälfte überwiegen, so müßten also auch die Wasserbildungsprozesse in den westlichen Gebieten der Erde viel intensiver sein, als in den östlichen, asiatischen Gebieten. Ein Blick auf die statistisch festgestellte Verteilung der Niederschlagsmengen über die feste Erde genügt, um dies zu bestätigen (s. nächste Seite.) Die Prozesse des Wässerigen sind also in den um den atlantischen Ozean gruppierten Gebieten der europäischen und amerikanischen Kontinente maximal, hingegen geringer auf dem asiatischen Kontinente. Man könnte bei oberflächlicher Betrachtung hier einwenden, daß eben auf dem asiatischen Kontinent grosse Steppen- und Wüstengebiete seien, wo das wässerige Element nahezu ausgeschaltet ist, so daß keine Möglichkeit für Regen besteht. Aber dieses Faktum ergibt sich ja auch selbst wiederum aus der Verteilung der Bildekräfte. Man darf hierbei nicht das Verhältnis von Ursache und Wirkung verwechseln. Es sind dort gewiß wenig Niederschläge möglich, weil aus den großen ausge43
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Jährliche Niederschlagsmenge über 50—200 cm alles übrige unter 50 cm (s. Andree, Handatlas).
trockneten Landstrichen kein Wässeriges in die Atmosphäre verdunstet, um im Regen wieder auf die Erde zu kommen. Beides sind aber sekundäre Faktoren, welche die Folge sind des überwiegens der Bildekräfte des Licht- und Wärmeäthers in diesen östlichen Erdteilen. Die Herrschaft dieser anti-wässerigen, austrocknenden Bildekräfte in Asien ist das primäre, die Entstehung eines überwiegend trockenen Erdengebietes mit geringer Feuchtigkeit in der Atmosphäre und minimalen Niederschlägen, alles dies sind gemeinsam sekundäre Folgen dieser primären Ursachen. Wir können also sagen: Die das Wässerige beherrschenden Bildekräfte des Chemischen Äthers überwiegen im Großen betrachtet in den westlichen, atlantischen Gebieten der Erde und sind minimal in den östlichen, asiatischen Gebieten der Erde. Wiederum bestätigt sich die spektrale Verteilung der Bildekräfte über die Erdoberfläche (siehe Zeichnung Seite 42). Für die Vorherrschaft des Licht- und Wärmeätherischen, für das Überwiegen der Feuerkräfte im östlichen, asiatisch-pazifischen Gebiet der Erde, gegenüber deren minimalem Wirken im westlich-atlantischen Gebiet, ist die Verteilung der Vulkane auf der Erde ein eindeutiger Beweis. Man kann ja geradezu sagen, daß der pazifische Ozean von unzähligen von Vulkanen durchsetzt ist, die sich vom asiatischen Kontinent über das Pazifikum las zur amerikanischen Westküste erstrecken, während sie im atlantischen Ozean und in den um ihn liegenden Gebieten Amerikas und ganz Europas nur noch ganz vereinzelt auftreten. Prof. E. Kayser gibt in seiner Geologie (Band II S. 110) folgende charakteristische Verteilung der Vulkane auf der Erde nach einer von K. Sapper » mit ebenso großer Sachkenntnis wie Vorsicht durchgeführten Zählung der in geschichtlicher Zeit tätig gewesenen Vulkane«. Darnach fallen von den festgestellten 430 Vulkanen der Erde nur 94 auf die atlantisch-indische, jedoch 336 auf die pazifische Erdhälfte. Und er spricht mit A. Stübel von der Umrandung des pazifischen Beckens als »des umfänglichsten Schauplatzes irdischer Vulkantätigkeit«. Diese Konzentrierung des Vulkanismus und der Vulkantätigkeit in einem bestimmten Gebiet der Erdoberfläche ist nun aber kein Zufall, sondern ergibt sich eben aus der systematischen Verteilung der Bildekräfte über die Erde. Daß der Vulkanbildungsprozeß nicht, wie man seinem Wesen nach vielleicht vermuten könnte, chaotisch ist, sondern daß ihm eine verborgene Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt, ergibt sich noch aus dem eigenartigen, interessanten Phänomen, daß wenn sich in einem vulkanischen Gebiete ein neuer Vulkan bildet, er sich in fast allen Fällen im Osten an die schon bestehenden Vulkane anreiht, was man in vielen verschiedenen Gebieten mit Staunen festgestellt hat. Für die Ätherlehre ist auch dieses Faktum ein schönes Zeichen der 45
Harmonie der Erscheinungen, wenn wir uns erinnern, daß der vom Mond hervorgerufene ätherische Erdstrom in west-östlicher Richtung, der von der Sonne hervorgerufene jedoch in ost-westlicher Richtung über die Erde fliesst. Den Zusammenhang des Vulkanismus mit den Mondengesetzmäßigkeiten zeigt ja ein Blick auf die Oberfläche des Mondes. Wir können also sagen, daß der Vulkanismus in seiner inneren Kräftetendenz nach ostwärts strebt, was uns durch die jeweilige Angliederung neuer Vulkane im Osten der schon bestehenden vordemonstriert wird und sich auch aus den ätherischen Erdströmen erklärt. Würden wir also, alle diese Phänomene überschauend, einmal in Europa auf der Erdoberfläche ostwärts und westwärts um uns blicken, so würden wir erleben, daß nach dem Westen hin die Kräfte des Lebensäthers und Chemischen Äthers immer kräftiger und sieghafter werden, daß z. B. der Salzgehalt des Meeres sich von der Ostsee nach Westen ständig steigert, daß in der westlichen, atlantischen Erdhälfte die wasserbildenden Kräfte in den atmosphärischen Niederschlägen und allen ihren Folgen eine erhöhte Aktivität entfalten, daß also Salz- und Wasserbildungskräfte im Westen sieghaft sind. Unseren Blick nach Osten wendend, würden wir erleben, wie die Kräfte des Licht- und Wärmeäthers sieghafter sind, wie dort die Feuerkräfte ihre Überlegenheit in der Austrocknung der Atmosphäre des asiatischen Kontinentes, ja schließlich in dem gewaltigen Vulkanbildeprozeß des Pazifikums dem Leibe der Erde aufzwingen. D a s S p e k t r u m der ä t h e r i s c h e n B i l d e k r ä f t e , das d e r aus dem K o s m o s die E r d o b e r f l ä c h e B e t r a c h t e n d e s i e h t , wie es von Ost nach West d e n a l l gewaltigen R h y t h m u s vom W ä r m e - , zum L i c h t - , zum C h e m i s c h e n - , zum L e b e n s ä t h e r in die Erdoberfläche e i n g e z e i c h n e t h a t , es gilt für die K r ä f t e u n d die S u b s t a n z e n . Aber dieses Spektrum ist auch ein Wegweiser für das geistige Wesen des Menschen. Denn Rudolf Steiner hat in seinem genialen überschauen der Zusammenhänge oft dargelegt, wofür ja die Beobachtung der Rassen und Völker ein umfassendes Beweismaterial liefert, daß bei den westlichen Völkern im Okzident ein mehr erden-verknüpftes Denken, ein auf die Beherrschung der Erdenmaterie hingerichtetes geistiges Leben vorherrscht, während sich im Orient ein mehr erdenflüchtiges, stark von der Erde abwendendes geistiges Leben geltend macht. In dem Denken des Okzidents, der um das atlantische Gebiet lebenden Völker, wirkt gleichsam ein Salzbildungsprozeß, von Lebensund Chemisch-ätherischen Kräften durchsetzte Geistigkeit, ein zum erdhaften hin orientierter Trieb, ein die Natur aus den mineralischen Gesetzmäßigkeiten heraus verstehendes und organisierendes Denken und Wollen. Im Orient hingegen finden wir ein von der Beherrschung der Erdenmaterie noch sehr unberührtes, viel mehr auf die erdenfremden 46
Probleme hin orientiertes, oft auch gleichsam noch vulkanisch-chaotisches Fühlen und Wollen, dafür aber meist auch noch weniger erden-gebunden und mehr durchgeistigt*). In der Mitte stoßen diese beiden extremen Polaritäten aufeinander und fordern zum Ausgleich auf. Es muß hier vor allem betont werden, daß solche Darstellungen, wie die vorige von Orient und Okzident, niemals ein Urteil, niemals etwas Kritisches oder Wertendes bedeuten können, sondern nur eine Charakteristik von Tatsachen. Ebensowenig wie in der Feststellung, daß das Herz mehr der flüssigen, die Lunge mehr der luftförmigen Substanz zugeordnet ist, ein Werturteil über Herz und Lunge gegeben ist: denn für den Menschen ist das Herz gleich unentbehrlich, gleich erhaben, gleich interessant, gleich gut oder schlecht wie die Lunge, beide sollen ihre Aufgabe erfüllen, beide können gesund oder krank sein, für den Gesamtorganismus sind beide immer gleich notwendig und wertvoll; so auch die Glieder im Organismus der Erde, der Menschheit, des Kosmos. So wie nun eine Zuordnung der verschiedenen Gebiete der Erde zu den dort sich entwickelnden Rassen und Völkern besteht, so hat auch jeder einzelne Mensch in sich jene Polarität des Lebensätherischen an einem Pol, im Haupte, wo die Sinnes-Nerventätigkeit als die Grundlage des wachbewußten Denkens ihr Zentrum hat (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 221 ff.); des Wärmeätherischen am anderen Pol, wo das Stoffwechselsystem gleichsam seinen Brennpunkt hat, das weniger bewußt miterlebt wird vom Menschen, als die Sinnesprozesse im Haupt. Zwischen diesen beiden Polaritäten wirken die beiden mittleren Bildekräfte, die sich in den Rhythmen der Blutzirkulation und Atmung betätigen (Bd. I, S.221ff.). — So wird auch der einzelne Mensch, wenn in ihm lebens- und chemischätherische Bildekräfte das erdhafte Denken fördern, mehr dem westlichen Menschentypus zuneigen; wenn in ihm die licht- und wärmeätherischen Kräfte vorherrschend sind, sich dem orientalischen Typus innerlich verwandt fühlen. Zunächst baut sich der Mensch seinen Leib aus den Substanzen und Kräften auf, die ihm die Erde bei Geburt und Entwicklung darbietet, die er in der Nahrung genießt, aus- und einatmet, die ihn durchstrahlen und erhalten. Je mehr er sich jedoch individualisiert, desto mehr gewinnt sein Innen Selbständigkeit gegenüber dem Außen, doch ist das ein Evolutionsprozeß, der gewiß noch in seinen ersten Stadien ist und zu seiner vollen Verwirklichung auf eine ferne Zukunft weist. Und hier wollen wir eine Folgerung anschließen, die der einseitige Betrachter des Materiellen wiederum überspringen kann, die aber für ein Verständnis des Schicksals von Völkerschaften, von Menschengruppen, wie auch des einzelnen Menschen notwendig ist. *) In der gelben und roten Farbe der Trachten der tibetanischen Mönchsorden liegt eine tiefe und uralte Weisheit von den Kräften des asiatischen Kontinents (s. Zeichnung S. 42). 47
Wenn die geistige Entelechie des Menschen aus den kosmischen Welten zur Geburt auf die Erde herabsteigt, so wählt er sich selbst aus einem höheren Bewußtsein sein kommendes Schicksal auf Erden. Er wählt sich die Eltern, die ihm die physisch-leibliche Grundlage geben sollen, mit der sich sein geistiges Wesen verbinden kann, er wählt sich den Ort der Geburt, Volk und Land, die seinem Wesen für das kommende Leben gemäß sind. Er muß seinen Leib aufbauen aus den Substanzen und Kräften, die ihm die Erde am Ort der Geburt zu geben vermag. Anders werden die Substanzen, die Kräfte der Erde, des Wassers, der Atmosphäre, die er atmen muß, sein in Europa oder Amerika oder in Asien. Er schaut hin auf das Spektrum der Kräfte, wie es ausgebreitet ist über den Leib der Erde. Will er für die Entwicklung seines besonderen Wesens mehr aufnehmen von den salzbildenden Kräften oder von den Feuerkräften, mehr von den Kräften des irdischen Denkens oder den entgegengesetzten Impulsen, so wird er wählen, was ihn bestärkt oder ergänzt, in ihm Schwaches kräftigt, allzu Starkes ausgleicht. Gewiß, unzählig sind hier die Variationen, aber das Individuelle hat sich aus dem Allgemeinen differenziert, und so können wir auch das Einzelne nur verstehen, wenn wir zuvor das große Gesetz betrachteten. Wichtigste Substanzen der Erde Kiesel und Kalk. Um zu erforschen, wie tief sich die Gesetzmäßigkeiten der ätherischen Bildekräfte einerseits in die Substanz-, anderseits bis in die Bewußtseinsprozesse der Lebewesen hinein spiegeln, wollen wir noch einmal ganz hineintauchen in die Phänomene der physischen Erde und zwei ihrer wichtigsten Substanzen daraufhin betrachten, wie sie sich in die ätherische Gliederung der Erde hineinfügen. Dr. Rudolf Steiner hat des öfteren auf die bedeutsame Polarität von zwei der häufigsten Bestandteile der festen Erde hingewiesen, die auch für die Zusammensetzung und Entwicklung der organischen Naturreiche von Mensch, Tier und Pflanze von entscheidendem Einfluß sind. Und zwar sagte er vom Kiesel, daß »die Wärme einen ungeheuer starken Bezug zum Kiesel hat, geradezu diejenigen Kräfte, die durch das Kieselige wirken können, zu besonderer Wirksamkeit bringt,« und an anderer Stelle, daß es gerade »das Kieselige ist, das das Licht aufnimmt in die Erde und da das Licht zur Wirksamkeit bringt«, »während das Wasser keinen Bezug zum Kieseligen hat«. Im Gegensatz hierzu sagt er vom Kalk: »Was durch Wasser, Luft etc., die sich über der Erde befinden, an Kräften erzeugt wird das wird hereingezogen in den Boden durch den größeren oder geringeren Kalkgehalt des Bodens«, so daß das Kalkige geradezu eine saugende Wirkung auf gewisse Kräfte und 48
Substanzen ausübt. Das Kieselige hat also eine ausstrahlende, das Kalkige eine einsaugende Wirkung. Bringen wir diese Tatsachen in Zusammenhang mit der Lehre von den ätherischen Kräften, so müssen wir das Kieselige der phylogenetisch älteren Bildekräftegruppe des Licht- und Wärmeäthers, das Kalkige der später entstandenen Gruppe des Chemischen und Lebensäthers zuordnen. Wir werden bei Betrachtung des Organismus der Erde sehen, wie sehr sich diese Zusammenhänge an den Phänomenen bestätigen und sogar in der Gliederung der Erde nicht nur nach den Kräften, sondern auch nach den Substanzen zum Ausdruck kommen, wie also die Verteilung gewisser wichtigster Substanzen dem Kräftespektrum der Erdoberfläche entspricht. Die fundamentale Bedeutung von Kiesel und Kalk für die Struktur der Erde ersehen wir schon aus der Tatsache, daß wie E. Kayser in seiner Geologie feststellt: »der Sauerstoff etwa die Hälfte der ganzen Erdrinde, das Silicium etwas mehr als ein Viertel bildet«. — u. a. o. »Nach dem amerikanischen Gesteinschemiker Fr. W. Clark würden die Eruptivgesteine (nebst den aus ihnen hervorgegangenen kristallinen Schiefern) nicht weniger als 95 v. H. der ganzen Erdrinde ausmachen, während nur 5 v. H. auf die Sediment-Gesteine entfallen würden«. Die kristallinen Schiefer zeigen nun ihrerseits eine Zusammensetzung »ganz vorwiegend aus Quarz und Silikaten«, und zwar umfaßt »die Gruppe der kristallinen Schiefer die ältesten Gesteinsbildungen der Erdenkruste« »die hierher gehörigen Gesteine werden auch als Uroder Grundgebirge oder als archäische Gesteinsgruppe bezeichnet. In allen Zonen und Kontinenten vorkommend und oftmals für sich allein Flächen von vielen Tausend Quadratkilometern einnehmend, bilden die kristallinen Schiefer unzweifelhaft die verbreitetste Gesteinsreihe der Erde«. — Diese Tatsache ist vom Gesichtspunkte der Ätherlehre schon deshalb charakteristisch, weil wir das Kieselige der phylogenetisch älteren Gruppe von Bildekräften zuordnen konnten. E. Kayser sagt weiterhin (S. 161): »Für die mineralische und damit auch für die chemische Zusammensetzung der kristallinen Massengesteine ist von besonderer Wichtigkeit ihr Gehalt an Kieselsäure (ihre Azidität). Man unterscheidet danach schon lange zwei Hauptgruppen: die sauren (Kieselsäure reicheren) Gesteine und die basischen (Kieselsäure ärmeren)«. — Die Silikate sind also einer der wesentlichsten Bestandteile der Erde, und stehen dadurch aber auch in einer bedeutsamen Wechselwirkung mit den organischen Naturreichen. Eine gleiche Bedeutung kommt im Organismus der Erde dem Kalk zu, nur daß eben seine Wirkungen gerade entgegengesetzte sind. Der Kalk ist ganz besonders in das Werden und Vergehen der lebenden Naturreiche eingegliedert. E. Kayser sagt hierüber (Seite 703): »Eine weitere wichtige Tätigkeit gewisser Pflanzen besteht in der Absonderung W a c h s m u t h , Äther. Bildekrafte.
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von Kalk oder in der Beförderung dieses Vorganges. Zu den wichtigsten Kalkbildnern des Pflanzenreiches gehören die Kalkalgen, die dem Meerwasser beständig Kalk entziehen, mit dem sie ihre Oberfläche bekleiden«. Noch stärker ist der Kalk in den Entwicklungs-Rhythmus des Tierreiches eingegliedert (Kayser Seite 705): »Die Bildung organischer Kalksteine hangt damit zusammen, daß die nach dem Tode niederer Tiere zurückbleibenden Schalreste überwiegend aus CaC0 3 bestehen. Wo sich daher solche Überreste in Mengen anhäufen, sind alle Bedingungen zur Bildung kalkiger Gesteine gegeben. Dies ist besonders im Meere der Fall, auf dessen Grunde durch Ansammlung solcher Reste gewaltige Kalkablagerungen entstehen können. Wir stehen hier einem der großartigsten gesteinsbildenden Vorgänge gegenüber«. Für die folgerichtige Gesetzmäßigkeit des Wirkens der verschiedenen ätherischen Bildekräfte ist es nun äußerst aufschlußreich, wenn wir die Verteilung von Kiesel und Kalk im Organismus der Erde verfolgen. Da wir den Kiesel aus anderen Gesichtspunkten heraus dem Licht- und Wärmeätherischen, den Kalk dem Chemischen- und Lebensätherischen zuordneten, so müßte sich dies ja auch in der Einordnung dieser Substanzen in das »Spektrum der Bildekräfte« auf der Erdoberfläche bewahrheiten. Wir müßten also aus der Ätherlehre voraussagen können, daß sich das Kalkige vorwiegend im atlantischen Gebiete, wo Lebensund Chemischer Äther herrschen (siehe Zeichnung Seite 52) gebildet und angesammelt habe, während das Kieselige vor allem dort auftreten müßte, wo nach dem ätherischen Spektrum Licht- und Wärmeäther überwiegen, d. h. im pazifischen Gebiet der Erde. Dies ist nun in einer ganz deutlichen Weise auch zutreffend. Im pazifischen Gebiet herrschen vorwiegend die kieselbildenden Kräfte, im atlantischen Gebiet die kalkbildenden Kräfte. Man vergleiche hierzu das aus ganz anderen Zusammenhängen heraus dargestellte ätherische Spektrum Seite 42, was aber in so schöner Weise doch gerade hiermit voll übereinstimmt. E. Kayser bringt in seiner Geologie die folgende Darstellung (S. 672): »So wird zum Beispiel der größte Teil des pazifischen Meeres von rotem Tief seeton eingenommen, dem nur hie und da einige kalkreichere Gebiete von Globigerinen- und Radiolarienschlamm eingestreut sind. Umgekehrt herrscht im atlantischen Ozean über ungeheure Flächen ein kalkreicher Globigerinen-Schlick, während kalkarme Tongebiete nur vereinzelt auftreten.« Der Globigerinenschlamm ist ein Kalkschlamm und zwar »weitaus der wichtigste organische Tiefseeschlamm Seine Hauptverbreitung liegt im Atlantischen Ozean«. Der rote Tiefseeton ist hingegen ein sehr kieselhaltiger, »mehr oder weniger kalkfreier Ton, der mikroskopische Mineralkörnchen, Reste kieselschaliger Orga50
nismen und Teilchen kosmischen Ursprungs einschließt«. . . . »Der Radiolarienschlamm stellt nur eine örtliche Abart des roten Tiefseetons dar, in den er durch Zunahme der Gehäuse kieselschaliger Kleinwesen übergeht. Es ist ein roter, schokoladenfarbiger oder strohgelber Ton mit reichlich beigemengten kieselhaltigen Organismen und einem dadurch bedingten höheren Gehalt an Kieselsäure. Sobald der rote Ton mehr als 20 v.H. Radiolarien enthält, bezeichnet man ihn als Radiolarienschlamm. Die Hauptverbreitung des Radiolarienschlammes liegt im pazifischen Ozean; daneben tritt er auch im indischen Ozean auf, während er im atlantischen auffallender Weise zu fehlen scheint« »Der rote Tiefseeton hat seine Hauptverbreitung im pazifischen Ozean, dessen größte Tiefen er in ungeheurer Ausdehnung einnimmt.« Diese auffallende Verteilung der kieselhaltigen und kalkhaltigen Substanzen innerhalb des Erd-Organismus läßt sich eben letzten Endes überhaupt nur aus dem Spektrum der Bildekräfte erklären (siehe hierzu Zeichnung Seite 42). Ganz besonders charakteristisch ist ja auch die rote und gelbe Farbe der dem Wärme- und Lichtäther zugeordneten kieselhaltigen Substanzen. Die folgende Zeichnung (nach E. Kayser, hier jedoch farbig dargestellt) zeigt die Verteilung solcher wichtigster kiesel- und kalkhaltiger Substanzen im pazifischen und atlantischen Gebiet (s. nächste Seite). Ordnen wir zum Schluß noch Kiesel und Kalk den kosmischen Kräftewirkungen zu. Dr. Rudolf Steiner sagt hierüber: »Alles was im Kieseligen lebt, hat Kräfte, die nicht von der Erde stammen, sondern von den sogenannten Sonnenfernen Planeten: Mars, Jupiter, Saturn. Dasjenige, was ausgeht von diesen Planeten, wirkt auf dem Umwege durch das Kieselige und Verwandtes auf das Pflanzenleben. Aber von allem demjeneigen, was erdennahe Planeten sind: Mond, Venus, Merkur, wirken die Kräfte auf dem Umwege des Kalkigen auf das Pflanzliche, auch auf das tierische Leben der Erde herein« »Und es ist dann so, daß wenn die Kieselwirkungen auch von der Erde selbst ausgehen, sie dennoch das vermitteln, was von Jupiter, Mars, Saturn ausgeht, nicht eigentlich dasjenige vermitteln, was von Mond, Merkur und Venus ausgeht.« Wenn wir diese Angaben in Beziehung setzen zu der hier im I. Kapitel dargestellten Verteilung der ätherischen Bildekräfte im Planetensystem (Seite 11), so ergänzen und bestätigen sich diese Tatsachen; denn wir hatten die drei äußeren Planeten (Mars, Jupiter, Saturn) der Vorherrschaft der licht- und wärmeätherischen, die inneren Planeten den chemischen und lebensätherischen Kräften zugeordnet, den ersteren gehören aber auch auf Erden die kieselhaltigen, den letzteren die kalkhaltigen Substanzen an. Die Organismen von Mensch, Tier und Pflanze, ja sogar die mineralische Welt sind eben 51
Kieselhaltig siehe hierzu ätherisches Spektrum S. 42 Kalkhaltig
immer sowohl in den Organismus der Erde, wie in den des Kosmos durch die Kräftewirkungen harmonisch eingegliedert. Eine Betrachtung z. B. der kosmischen Körper der Meteoriten führt ja, wie E. Kayser S. 42 sagt, nach den Untersuchungen von Doubree zu der Annahme, daß bei den Meteoriten »die leichten eisenarmen und kieselsäurereichen Steine von dessen Oberfläche stammen, wo das Eisen zum größten Teil der Oxydation unterlag und mit der Kieselsäure zu Verbindungen zusammentreten konnte, die schweren eisenreichen Steine dagegen aus dessen Innerem, wo das Eisen vor der Oxydation geschützt war. Man würde so Himmelskörper erhalten, die ähnlich gebaut waren wie unsere Erde, deren Inneres ebenfalls aus weit schwereren Stoffen besteht als die Rinde und zwar, wie man gewöhnlich annimmt, ebenfalls aus großen Eisenmassen.« Nachdem die Frage nach dem Zusammenhang solcher Substanzen mit den damit verknüpften ätherischen Bildekräften geklärt ist, bleibt uns noch die Frage nach den etwa damit verknüpften seelisch-geistigen Faktoren, da wir es im Kosmos fast immer mit dieser Dreiheit von Leib, Seele und Geist zu tun haben. Dr. Rudolf Steiner sagt hierüber, »daß das Kalkige eigentlich eine wunderbare Verwandtschaft hat mit der menschlichen Begierdenwelt Der Kalk will alles an sich heranziehen; er entwickelt im Boden die rechte Begierdennatur. Wer eine Empfindung dafür hat, wird den Unterschied, den man gegenüber einem anderen Stoffe hat, finden. Der Kalk saugt uns ja aus; man hat da die deutliche Empfindung, es ist dasjenige, was wirklich Begierdennatur zeigt, überall ausgebreitet wo das Kalkige ist Es muß ihm nur immer wieder entrissen werden. Womit wird es ihm entrissen? Durch das ungeheuer Vornehme, das gar nichts mehr will. Es gibt ein solches Vornehmes, das eigentlich gar nichts mehr will, das in sich ruht. Das ist das Kieselige. Das ist zur Ruhe in sich selber gekommen. Und wenn die Menschen glauben, sie könnten das Kieselige nur sehen in demjenigen, was feste mineralische Konturen hat, so ist das nicht so. Das Kieselige ist in homöopathischer Dosis überallherum verbreitet, und das ruht in sich selber, das macht keinen Anspruch. Der Kalk beansprucht alles, das Kieselige beansprucht eigentlich gar nichts mehr. Das ist wie unsere Sinnesorgane, die auch von sich selbst nicht wahrgenommen werden, sondern die das Äußere wahrnehmen. Das Kieselige ist der allgemeine Sinn im Irdischen, das Kalkige ist die allgemeine Begierde im Irdischen«. Und an anderer Stelle betont er einmal in folgender Weise, wie falsch es sei, einen solchen Bestandteil des Erdorganismus, wie den Kalk, nur als eine sich selbst dauernd gleichbleibende Substanz zu betrachten, sondern wir müßten unterscheiden zwischen dem F r ü h l i n g s - K a l k und dem H e r b s t - u n d W i n t e r - K a l k . Man kann die Entität »Erde« nicht verstehen, wenn 53
man nicht die bedeutsamen Metamorphosen ihrer wesentlichsten Bestandteile im Jahreslauf in die Erforschung einbezieht. Im Frühjahr atmet die Erde ihre das Wässerige bildenden und erhaltenden Kräfte aus: (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 69.) Chemischer Äther.
Frühling.
Dieser Vorgang ist nicht nur von großem Einfluß auf die vegetabile Welt, indem durch das Aufsteigen des Wässerigen in den Pflanzen im Frühjahr der allgemeine Vegetations- und Wachstumsprozeß auf der Erdoberfläche belebt wird, — er hat seine tiefgreifenden Wirkungen auch auf die Substanz weit u n t e r der Erdoberfläche, auf die dort ruhenden gewaltigen Kalkmassen. Denn indem die wasserbildenden Kräfte und das Wässerige im Frühjahr nach oben steigen, wird dem Kalk da drunten Wasser entzogen. Und nun erwacht gleichsam die »Begierdennatur« in jenen Kalkmassen. Der Kalk will das ihm entzogene Wässerige zurück haben, sich damit sättigen, es in die Erde zurücksaugen. Während wir im Kiesel das Greisenhafte der Erde sehen können, so finden wir im Kalk der Erde im Frühjahr etwas vom Erwachen der Begierdennatur, des Tierischen. Er will gleichsam die Fangarme seiner »Drachennatur« aus der Erde in die Atmosphäre hinausstrecken, um der Erdoberfläche das Wässerige zu entziehen. Würde ihm dies gelingen, so würden die Lebewesen dort oben verknöchern und vertrocknen. Ü b e r der E r d e e r w a c h t im F r ü h j a h r das L e b e n , u n t e r der E r d e die Begierde. Aber im Herbst, zur Michaeli-Zeit, strömen die ätherischen Bildekräfte aus der Atmosphäre zurück ins Erdinnere: (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 70). Bei diesem Zurückwandern um die Michaeli-Zeit durchströmen diese Kräfte alles, was auf der Erdoberfläche geschieht. Kein Raum, durch den sie nicht hindurchfluten. Keine von der Natur oder vom 54
Menschen geschaffene Form, die sie nicht gleichsam abtasten, ja — so eigenartig es zunächst klingen mag — kein vom Menschen in den Äther hineingesprochenes Wort, das nicht die Konfiguration dieser Ätherströmung beeinflußte und ein wenig veränderte. Alles, was auf
Chemischer Äther.
Herbst.
der Erdoberfläche geschieht, tragen diese Ätherströme hinein in das Erdinnere. Es ist nicht mehr der gleiche Äther, der im Frühjahr aus der Erde ausgeatmet wurde, er ist verwandelt, er trägt die Erlebnisse, die Verwandlungen, die er da oben über der Erdoberfläche durchmachte, zurück in das Erdinnere. In solchen Jahreszeiten geschieht im Sinne der ineinander verwobenen Schicksalsgemeinschaft von Erde und Mensch viel Bedeutsameres, als uns heute meist noch bewußt ist. Eine alte Weisheit erhob den Erzengel Michael zum Regenten jener Erdenzeit im Herbst. Mit den in der Herbstzeit in das Erdinnere zurückflutenden Ätherströmen kann gleichsam Michael sein Schwert in die »Drachennatur« des Erdinneren hineinstoßen — und der Mensch kann hierbei, je mehr er zum Bewußtsein dieser Weltenkämpfe erwacht, ein wertvoller Helfer sein, daß das dort droben geschmiedete Schwert wirksam sei. Das Michaelifest im Herbst könnte deshalb eines der heiligsten Feste im Jahreslauf sein. Vergessen wir nicht, daß hierbei dem »Westen« durch das ätherische Spektrum der Erde eine besonders wichtige Aufgabe zuerteilt ist.
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V. Kapitel. iVrältezentren der E r d e und ihr iCusammenhane mit den menschlichen Jvulturkreisen. L)a jede Erforschung des Wesens der Erde doch letzten Endes nur durch ihre Verbundenheit mit dem Wesen und Leben des Menschen ihren tieferen Sinn erhält, muß jede Geologie schließlich darin gipfeln, den Himmelskörper daraufhin zu prüfen, inwieweit er in Raum und Zeit zur Grundlage für die Verkörperung und Entwicklung lebender Wesen dient. So hat auch der Geologe Eduard Sueß sein Werk über das Antlitz der Erde mit einer Betrachtung der »Bio-Sphäre« der Erde und der Frage, wann und wo die Erdoberfläche für lebende Wesen zum »Asyl« werden konnte, gekrönt. Seine auf einer umfassenden Kenntnis des bis dahin Erforschten begründeten Ausführungen sind so großzügig und inhaltsreich, daß einige Stellen daraus als Einleitung einer jeden Betrachtung dienen können. Ausgehend von der Idee von der Solidarität alles Lebens sagt er: »Sie bringt mit sich den Begriff einer Biosphäre, durch welchen dem Leben seine Stelle angewiesen wird oberhalb der Lithosphäre und welcher zugleich nur das Leben auf diesem Planeten umfasst mit all seinen Ansprüchen an Temperatur, chemischen Bestand usw. und unter Weglassung aller hypothetischen Vorstellungen von etwaigen Lebensvorgängen auf anderen Himmelskörpern. Diese Ansprüche bedingen, dass die Biosphäre eine umgrenzte Erscheinung ist, und zwar nicht nur dem Räume, sondern auch der Zeit nach«, u. a. O. »Betrachtet man dafür recht genau die tatsächliche Oberfläche der Erde, so erkennt man, daß es Landstriche gibt, in denen das Leben einem Teil der physischen Veränderungen, nämlich den Transgressionen und den Gebirgsbildungen, seit langer Zeit nicht ausgesetzt war Vor klimatischen Änderungen, vor sozialen Schwierigkeiten durch fremde Einwanderung, auch vor gänzlichem Versinken unter das Meer war an diesen Stellen das Leben nicht gesichert, aber Flora konnte sich auf Flora entwickeln, die Störungen des Lebens sind etwas beschränkter und darum nennen wir sie Asyle«, u. a. O. »Von einer gewissen Tiefe an, welche gegen die Pole hin abnimmt, herrscht in den heutigen Meeren bis zum Grunde hinab eine beständige Temperatur. Die Sonne dringt nicht in diese abyssischen Gebiete; es fehlen die Mannigfaltigkeiten des Tages- und Jahreswechsels und die Verschiedenheiten der geographischen Breite. Dasselbe Klima gilt für die Tiefen aller Ozeane, und eine gleichförmige Tierwelt breitet sich durch dieselben aus, je nach der Tiefe nur verschiedenem Drucke ausgesetzt Erst in den höheren Zonen erscheint die Mannigfaltigkeit der Beleuchtung und der Wärme; der Unterschied der Klimate macht sich geltend und die zoologischen Provinzen grenzen sich ab. Es steigert sich gegen den Strand die Vielgestaltigkeit der äußeren Lebensver-
hältnisse und zugleich jene der lebenden Gestalten und jenseits des Gürtels der Gezeiten, auf dem trockenen Lande, wo die Strahlen der Sonne nur das Luftmeer zu durchdringen haben und wo die Lunge an die Stelle der Kiemen getreten ist, erreicht nicht nur die Mannigfaltigkeit, sondern auch die Wandelbarkeit der äußeren Lebensbedingungen das höchste Maß Es zerfällt demnach die Gesamtheit der belebten Welt, welche die Biosphäre bildet, nach ihren Wohnstätten in zwei Hauptgruppen, nämlich in eine erste, welche unter dem Einflüsse der Sonne steht, und eine zweite, welche diesem Einflüsse entzogen ist Das Fehlen des Sonnenlichtes in irgendeinem belebten Gebiete, sei es einer Höhle, oder der Tiefe eines Binnensees, oder endlich der Tiefe des Ozeans, prägt sich auf das auffallendste bei den verschiedenartigsten Abteilungen des Tierreiches in der Umbildung oder Rückbildung des Auges aus. Sehr viele Tiere der abyssischen Regionen sind blind.«
Wenn wir mit diesem großen Geologen darin einig gehen, daß die Erkenntnis des Wandels und Wanderns der Biosphäre auf der Erde zu den bestimmenden Faktoren der Geschichte der Lebewesen, vor allem des Menschen gehört, so möchten wir doch die Betrachtung der Biosphäre nicht auf den Erdenkörper beschränken, sondern auch die verschiedenen kosmischen Sphären mit hinein beziehen, weil uns ihr Einfluß wesentlich und unausschaltbar erscheint. Auch möchten wir die Entwicklung des Menschen nicht zu stark in Abhängigkeit denken vom Wandel der Biosphäre, sondern vielmehr die Brücke suchen zu jenem Weltenplan, welcher der gemeinsamen Entwicklung von Mensch und Lebenssphäre zugrunde liegt und durch eine wechselseitige Beeinflussung zwischen den beiden auf die Erzielung der menschlichen Freiheit hinorientiert ist. Wir wollen deshalb die eigenartige Verbundenheit gewisser Punkte der Erde mit der Begründung menschlicher Kulturen aufsuchen, und werden bestätigt finden, daß noch immer eine weisheitsvolle und freie Wahl des Menschen seine scheinbare Abhängigkeit von der Biosphäre besiegte. So können wir die hier waltende Gesetzmäßigkeit nicht in dem banalen Utilitarismus der Darwinisten und ihrer Gesinnungsgenossen finden, die den Menschen nur als ein Produkt der »Anpassung« an die äußeren Verhältnisse der Erde verstehen wollen, sondern in Gesetzen geistiger Art, die den Weg zur Entwicklung eines freien Menschen in Harmonie mit der Erden-Genesis aufzeigen. Beim Modellieren am Leib der Erde haben die Bildekräfte nicht nur in bestimmten Sphären die entsprechenden Substanzen gebildet, geordnet und gesammelt, sondern es sind die schöpferischen Kräfteströme auch in gewissen gesetzmäßigen Richtlinien in und um den Leib der Erde geströmt, gasförmige, flüssige und feste Substanzen mit sich reißend oder verdrängend, auflösend oder verdichtend. Daß z. B. die gewaltigen Gebirgsmassen der Erde nicht nur dem Schrumpfungsprozeß des erkaltenden Erdkörpers zuzuschreiben sind — was man ja meistens an dem Beispiel des vertrocknenden, schrumpfenden Apfels veranschaulicht —, sondern auch vertikale und tangentiale Schub- und Zugkräfte, vulkanische Ausbrüche, Erdbeben, erdmagnetische Einflüsse etc. 57
und schließlich auch von kosmischen Faktoren bewirkte Kräfteströmungen dabei am Werke waren, läßt sich aus den geologischen Feststellungen leicht ablesen. In den Gebieten, wo das vulkanische Element noch sehr tätig ist, wo häufige Erdbeben zu ständigen starken Veränderungen der Erdrinde führten, hat dieses Modellieren der Kräfte noch nicht zu so eindeutigen Gesichtszügen im Antlitz der Erde geführt, wie etwa in den Regionen, wo die erstarrten großen Gebirgsmassen der Kontinente es uns ermöglichen, deutlicher den Plan, den Grundriß des Ganzen zu entziffern. Während die erstarrten Gebiete mehr vom Wesen der Erde aussprechen, erzählen die unruhigen, mehr veränderlichen Regionen noch vieles vom Einfluß des Kosmos. Das Jordantal und die Hochebene von Tibet. Wir können die eine Art von kosmischer und irdischer Kräftewirkung die radiale nennen. Durch ihre Tätigkeit sind viele der bedeutendsten Furchen in das Antlitz der Erde hineingeschrieben worden. Viele hohe Erhebungen über das allgemeine Niveau, viele tiefe Senkungen unter ihm sind ihr Werk, gewaltige Gebirgsmassen und Hochplateaus, tiefe Täler und Depressionen des Festlandes. Doch eine eigenartige, zunächst geheimnisvolle Gesetzmäßigkeit verknüpft solche extreme Erhebungen und Vertiefungen, solche höchste und tiefste Punkte der festen Erde mit dem geistigen Schicksal der Menschheit. So ist eine der höchsten bewohnbaren Stätten, das den riesigen asiatischen Gebirgsmassen nördlich angegliederte Hochplateau von Tibet zur Wiege einer Menschheitsströmung und zum Zentrum und Ausstrahlungspunkt der wesentlichsten orientalischen geistigen Bewegungen und Kulturen geworden. So ist eine der tiefsten Senkungen der Kontinente, die noch unter das Niveau des Meeresspiegels nach dem Erdinneren zu versenkt ist, das Jordantal, zum Ausstrahlungspunkt der die ganze Erde umspannenden Religion des Christentums geworden. Daß darin gewiß kein Zufall, sondern Weltenordnung gewaltet hat, wird uns bewußt werden, wenn wir zuvor noch Einiges vom Wesen der Erde betrachten. Man kann Geologie und Religionsgeschichte von einander völlig isoliert betrachten. Es fragt sich nur, ob in der Geschichte des Werdens von Kosmos, Erde und Mensch beide Faktoren auch wirklich von einander unabhängig sind. Befragen wir zunächst ausschließlich den geologischen Befund. Er weist uns, wenn wir nach den außergewöhnlichsten Erhebungen über den Meeresspiegel d. h. über das normale Niveau der Erde suchen, auf das Hochplateau von Tibet, das bis zu 3000—4000 m hoch in die Atmosphäre der Erde hinaufragt. Wie wenn ein Mensch seine Arme weit von sich fortstreckte und auf den hoch
in die Luft hinaufgestreckten Handflächen einen außergewöhnlichen, kostbaren Gegenstand hielte, so bietet die Erde auf jener so hoch in die Atmosphäre hinausgestreckten Fläche des Hochplateaus von Tibet ein ganz besonderes Kleinod an Kräftestruktur dar, wie sie sonst auf Erden nicht wieder in gleicher Weise zu finden ist. Einen besonderen Einfluß hat ja das Leben in solchen Höhen auf den Menschen bis in die Bildung des Blutes hinein. Wenn er sich in die Atmosphäre der hohen Gebirge hinauf begibt, so drängt zunächst sein Blut peripherisch nach außen, und es tritt sodann eine wesentlich vermehrte Bildung der roten Blutkörperchen ein (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 243). Er wird ein anderer Mensch mit anderem Blut, anderem Atem, anderem Denken. Eine zu rasche Veränderung aus den Tiefen der unteren Erdoberfläche in jene Höhen hinauf kann er sogar mit dem Verlust des Bewußtseins büßen, es würde ihn ohnmächtig machen. Es sind die so stark intensivierten Kräfte des Wärme- und Lichtäthers, welche in jenen Gebieten der Atmosphäre vorherrschen und welche Atmung und Blut, ja alle leiblichen Grundlagen des Bewußtseins des Menschen dort oben so völlig verwandeln. Gerade dieses Gebiet der Erde mit seiner außergewöhnlichen Kräftestruktur war aber und ist noch heute das Zentrum der orientalischen Religionen des Buddhismus und der ihm verwandten Systeme. An jenem Punkt, wo das »Außen« der Erde am stärksten betont ist, wurde der Keim der orientalischen Religionen entwickelt und gehütet. Tibet ist geologisch einzigartig im Organismus der Erde, und es ist zugleich das geistige Zentrum der orientalischen Weltanschauung. Man könnte sagen: der Buddhismus ist eine Hochgebirgsreligion, eine Wärme- und Lichtäther-Religion. Wir werden dies noch an anderen Phänomenen bestätigen können. Auch Nietzsche konzipierte ja seine Ideen über die Wiederverkörperung — die allerdings eine falsche Verzerrung der orientalischen Ideen waren — in jenem entrücktesten Hochtal des Erdteils, im Engadin. »Hier kam, nach seinem eigenen Zeugnis, die Grundkonzeption des Zarathustra, der ewige Wiederkunftsgedanke, diese höchste Form der Bejahung, mit der Gewalt einer ekstatischen Vision über ihn.« Wenn wir in der Geschichte der Religionen und der Brennpunkte der Menschheitsführung weiter forschen, so werden wir das Geologiebuch nie ganz beiseite lassen können. Ganz andere Erdenkräfte sind es allerdings, welche z. B. in der griechischen Epoche etwa in Delphi auf die Pythia, auf die Sybillen einwirkten. Nicht Kräfte der äußeren Erde, sondern aus einem Erdspalt heraufsteigende Dämpfe waren es, welche die geistig-seelische und leibliche Organisation der dort ihre Inspirationen empfangenden Sybillen verwandelten. Und wie stark wurde damals das Schicksal ganzer Völkerschaften durch die so empfangenen Aussagen der Sybillen beeinflußt! 59
Wieder können wir der Religionsgeschichte einen Augenblick den Rücken kehren und die Geologie befragen, ob sie uns aus ihren Aspekten heraus Aufschlüsse über Punkte eigenartiger Kräftestrukturen der Erde zu geben vermag. Das entgegengesetzte Extrem zum Hochplateau von Tibet würde ja z. B. ein solches Gebiet der Erde sein, wo nicht eine gewaltige Erhöhung über den Meeresspiegel, sondern eine Versenkung noch unter den Meeresspiegel zu finden wäre, wo die Erde ein Stück ihrer Oberfläche gleichsam nach innen hineingesaugt, »verinnerlicht« hätte. Von solchen Senkungen oder Depressionen des Festlandes der Erde sagt E. Kayser (Geologie S. 136): »Es sind eine ganze Reihe solcher, obwohl dem Festlande angehöriger, so doch u n t e r dem Meeresspiegel liegender Gebiete bekannt. Eines befindet sich in der Wüste Sahara in der Nähe der Oase des Jupiter Ammon.« — Die Tiefe dieser Senkung beträgt 20—30 m. Es ist interessant, daß auch in ihrer Nähe eine alte Mysterienstätte begründet war. Und weil wir die Geschichte der Religionen aus unserem Gedächtnis nicht ausschalten können, so erstaunen wir, wenn wir finden, daß es sogar ein Gebiet der Erde gibt, wo dieser Gegenpol zu Tibet, diese Versenkung in das Innere der Erde stärkste Intensität erreicht. (Kayser S. 136): »Eine der größten bekannten Depressionen ist die, der das 180 km lange Stück des Jordantales vom Tiberias-See bis zum Toten Meere angehört.« — Dieses eigenartige Stück Erde, das Jordantal, zieht sich etwa von Kapernaum als ein schmaler Streifen, den See Tiberias einschließend, nach Süden, bis es südlich von Jericho das Tote Meer erreicht. In diesem so einzigartigen, tief in das Innere der Erde versenkten Gebiet fand die Jordantaufe statt. Es ist die Geburtsstätte des Christentums. Wollte man solche außergewöhnliche Gebiete in schematischer Zeichnung darstellen, so könnte dies etwa in folgender Art geschehen:
Meeresni'veou
Das geistige Zentrum und Ausstrahlungsgebiet der orientalischen Religion liegt dort, wo das »Außen« der Erde betont ist. Die Geburtsstätte des Christentums liegt dort, wo das »Innen« der Erde betont ist. Wir hatten ja schon darauf hingewiesen, welchen unterschiedlichen Einfluß das Leben in solchen Höhen oder Tiefen auf den Menschen hat. Während er z. B. in den Wärme- und Lichtäthersphären der hohen Gebirge vermehrt rote Blutkörperchen bildet, verdankt er die Bildung
der farblosen Blutkörperchen mehr dem Lebensätherischen der tieferen Sphären (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 242 ff.) Das menschliche Bewußtsein beruht auf einer anderen Leiblichkeit im Jordantal als auf der Hochebene Tibets. Es ist ein anderer Mensch mit anderem Blut, anderem Atem, anderem Denken. In solchen Senkungsgebieten herrscht eine ganz besondere Kräfteordnung; hier ist ein Raum gleichsam ausgespart in der vom Lebensäther beherrschten Sphäre, der normalerweise mit fester Erdenmaterie ausgefüllt sein sollte und wo sich der Lebensäther nun frei auswirken konnte. Wie sehr sich Luft und Wärme verändern, wenn sie in den Bereich der inneren Erde kommen, sagt Dr. Rudolf Steiner mit den folgenden Worten: »Wir können ganz gut die Wärme ü b e r der Erde tot, die Wärme u n t e r der Erde lebendig nennen. Die Wärme unter der Erde hat durchaus etwas an sich und zwar im Winter am allermeisten von demjenigen, was ein innerliches Lebensprinzip, etwas Lebendiges ist; . . . Und die Luft ist wiederum mit einem leisen Zug von Lebendigkeit durchzogen, wenn sie in die Erde hinein aufgenommen wird In der Atmungsluft ist das Lebendige des Sauerstoffes getötet, damit wir nicht ohnmächtig werden durch den lebendigen Sauerstoff. Wir werden, wenn sich ein höheres Lebendiges in uns hineinbegibt, dadurch ohnmächtig. Schon eine gewisse Wachstumswucherung, die in uns auftritt, wenn sie lebt an einem Orte, wo es nicht sein soll, macht uns ohnmächtig. Und so würden wir, wenn wir von einer lebendigen Luft, in der lebendiger Sauerstoff ist, umgeben wären, herumgehen ganz betäubt. Der Sauerstoff um uns herum muß getötet sein Kommt er durch die Atmung in uns hinein, wo er da lebendig sein muß, so wird er wiederum lebendig. Es ist nicht derselbe Sauerstoff, der da in uns zirkuliert, wie er äußerlich ist, wo er uns umgibt. Er ist in uns lebendiger Sauerstoff, und so wird er auch gleich lebendiger Sauerstoff, wenn er aus der Atmungsluft in den E r d b o d e n hineindringt, wenn auch sein Leben da von einem geringeren Grade ist, als in uns. Aber er wird da lebendiger Sauerstoff. Der Sauerstoff unter der Erde ist nicht derselbe, wie derjenige, der über der Erde ist.« — Wir verstehen den hier vorliegenden Tatbestand sofort, wenn wir bedenken, daß in der festen Erde das Lebensätherische wirksam ist, während Wärme- und Lichtkräfte in der Atmosphäre dominieren. Eine andere Luft eratmet sich darum der Mensch in einer solchen unter die Erdoberfläche hineinversenkten Tiefe als im höchsten Gebirge der Erde. Und wenn wir bedenken, daß schon eine recht geringe Änderung in der Zusammensetzung der Luft den Menschen betäubt, ihm sein tagwaches Bewußtsein verändert, so verstehen wir auch die Variationen, die zwischen diesen Extremen liegen. Wir erkennen, warum das tiefer ins Erdinnere versenkte Jordantal oder das hoch in die Atmosphäre 61
hinaufragende Gebiet von Tibet auf die Bewußtseinsentwicklung des Menschen, auf seine Kulturen, auf seine Wissenschaft, Kunst und Religion in so völlig verschiedener Weise imputierend wirkten, und daß die Begründung von geistigen Menschheitsströmungen in Tibet oder im Jordantal uns die Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Erde und auch die unendliche Weisheit des Weltenentwicklungsplanes enthüllt. Bevor wir diese Erscheinungen in ihrer Verbindung mit dem Schicksal des Menschen weiterverfolgen, wollen wir noch außer den radialen auch die tangentialen Kräfte betrachten, die der Erdoberfläche ihre Tendenzen aufprägten. Diese horizontal über die Erde wirkenden Kräfte waren es, weiche die Stauungen der größten Gebirgsmassen über die Erde auftürmten. Oft führen sie nur dazu, daß die noch plastischen Erdmassen sich wie eine große Woge aufbäumen, um in dieser Form zu erstarren, so entstanden die mächtigen Gebirge Asiens oder des alten Europas. Seltener überschlägt sich auch eine solche Woge, oder es wird bei Überstürzung einer Falte »der normal gelagerte Flügel über den umgestürzten, also der hangende Flügel über den liegenden Flügel hinauf bewegt,« oder auch bewirkt, daß »die hangenden Flügel übereinander geschoben, die liegenden Flügel dagegen samt und sonders verdrückt werden«. Eine solche außergewöhnliche Erdenstruktur zeigt zum Beispiel das Birstal bei Domach in der Schweiz. Prof. Ed. Sueß sagt (Antlitz der Erde S. 149), derselbe Gebirgsbau »wiederholt sich unter eigentümlichen Umständen im östlichen Jura gerade an der Stelle der größten Stauung gegen den Schwarzwald. Die regelmäßigen Falten des Juragebirges strecken sich in weiten Bogen von Südwest her. Der Einfluß des Schwarzwaldes wird nach Albr. Müller östlich von einer Linie bemerkbar, welche vom Westrande des südlichen Schwarzwaldes gegen Süd über Kandern und Lörrach, östlich von Basel, längs der Birs, an dem westlichen Abstürze des GempenPlateaus vorbei gegen Nunningen gezogen würde«. — Hier liegt etwas ganz anderes vor, als z. B. bei Tibet oder im Jordantal. Hier ist nicht ein Stück Erde weit nach außen fortgestreckt, oder tiefer in das Erdinnere hineinversenkt, sondern hier haben sich die Oberflächenschichten der Erde so übereinander gelagert, daß dasjenige, was eigentlich außen zu liegen kommen sollte, nach innen gelangt, und das was eigentlich innen sein sollte, nach außen frei gelegt wird. Dadurch kommen die Bodenkräfte unter ganz andersartige Einflüsse und zu einer völlig veränderten Wirksamkeit. Bei Tibet ist das Außen der Erde betont, beim Jordantal ist das Innen der Erde betont, beim Birstal tritt das Innen mit dem Außen in Wechselwirkung.
Es ist jenes Birstal, das wir hier als Beispiel wählten, das Goethe am 3. und 4. Oktober 1779 von Basel kommend, vorbei an Dornach, Soyieres, Moutier, nach dem Süden durchwanderte und unter dessen Eindruck ihm die Gedanken kamen: »Man ahnt im Dunkeln die Entstehung und das Leben dieser seltsamen Gestalten. Es mag geschehen sein wie und wann es wolle, so haben sich diese Massen nach der Schwere und Ähnlichkeit ihrer Teile groß und einfach zusammengesetzt. Was für Revolutionen sie nachher bewegt, getrennt, gespalten haben, so sind auch diese nur einzelne Erschütterungen gewesen, und selbst der Gedanke einer so ungeheuren Bewegung gibt ein hohes Gefühl von ewiger Festigkeit« »Hätte mich nur das Schicksal in irgendeiner großen Gegend heißen wohnen, ich wollte mit jedem Morgen Nahrung der Großheit aus ihr saugen!« — Doch meist gelingt es den tangentialen Kräften nur, den großen Gebirgszügen ihre Stromrichtung aufzuzwingen. Und es offenbart sich uns nun in einer bedeutsamen Weise, wie Erdenantlitz und Menschheitsschicksal verbunden sind, wenn wir nicht nur hinschauen auf die Linien der großen Gebirgszüge über die Erde hin, sondern vielmehr auf die Linien der ätherischen Kräfteströme, die dieses gewaltige Werk vollbrachten. Wenn wir auf der Erdkarte ablesen, daß eine solche Gebirgsfalte z. B. in ostwestlicher Richtung gelagert ist, so bleibt noch zu ergründen, ob die Strömung der faltenden Bildekräfte, die meist senkrecht zur Gebirgslinie verlaufen sein muß, in diesem Falle in nordsüdlicher oder aber in süd-nördlicher Richtung- orientiert war. Die Lagerung der einzelnen Schichten des Gebirges wird noch jetzt dokumentieren können, woher die faltende Kraft kam. Wir wollen nun aus den großen Linien der verschiedenen Gebirgszüge der Erde das Netz der einst tätigen Bildekräfteströme zu erkennen versuchen. Wenn wir im fernen Osten beginnend die in und um Japan gelagerten Gebirgsketten untersuchen, so erzählen sie uns, daß die faltenden Kräfteströme einst aus dem Inneren des asiatischen Kontinents kamen, also in west-ostlicher Stromrichtung tätig waren. (Kayser Geologie II, S. 130): »E. Hörn hält an der Entstehung der ostasiatischen Inselguirlanden durch faltigen Zusammenschub fest. Er nimmt mit E. Sueß an, daß der faltende Druck aus dem Inneren des asiatischen Kontinents gekommen sei und rechtwinklig zur Küste, also von West nach Ost gewirkt habe.« — Wenn wir tiefer ins Innere von Asien eindringen, stoßen wir dort auf die mächtigen Gebirgszüge Zentralasiens. Es ist nachgewiesen worden, daß die tangentialen Schubkräfte, die diese ungeheuren Erhebungen der asiatischen Hochgebirge aufgetürmt haben, in einheitlicher Weise von N o r d e n nach S ü d e n gewirkt haben. Wir dürfen jedoch nicht annehmen, daß diese Kräftewirkung nur eine einmalige, oder auf eine verhältnismäßig kurze Zeit beschränkt gewesen 63
sei, sondern müssen sie auch im Zusammenhang mit den ständigen großen Strömungen der Erde betrachten; denn dadurch werden sie vom bestaunenswerten, scheinbar willkürlichen Phänomen zum sinnvollen Glied im Organismus der Erde. Wir finden also, wenn wir die machtvollen Bildekräfteströme betrachten, die den Leib des asiatischen Kontinents modellierten, daß ihnen eine n o r d - s ü d l i c h gerichtete Tendenz innewohnt, ein Hinstrebeh zur südlichen, zur »mondenhaften« Hemisphäre der Erde (siehe Seite 20). Auch steht ihre nord-südliche Stromrichtung senkrecht zur westöstlichen jener Kräfte, die den Aufbau der ostasiatischen, japanischen Inseln bewirkten, so daß gleichsam ein gewaltiges Kräftekreuz entsteht, das in den Leib der Erde in Asien eingezeichnet ist und seinen Kreuzpunkt, seinen Brennpunkt im Herzen Asiens hat, nördlich Indiens, des Himalaya, nahe der Hochebene von Tibet. Sehr bedeutsam für die Wesensunterschiede zwischen dem asiatischen und dem europäischen Kontinente sind nun vor allem die Ubergangs-Gebirge zwischen Asien und Europa. Da liegt im Norden jene charakteristische Grenzscheide zwischen Europa und Asien, der Ural, der in seiner ganzen Ausdehnung in der Ostwest-Richtung gefaltet ist, also seine Kräftewirkung noch aus dem Herzen Asiens empfängt. Auch die südlichen Übergänge vom asiatischen zum europäischen Erdgebiet tragen noch die Signatur der asiatischen Kräftewelt, sind von nordsüdlich wirkenden Kräften erzeugt. Es sind jene Gebirgszüge des Kaukasus und südlich des schwarzen Meeres, die sich bis in den Balkan hineinerstrecken. Ein außerordentlich bedeutsames Phänomen der Völkerpsychologie läßt sich gerade hier studieren, denn es ist ausschlaggebend nicht nur für die Gebirgsbildung, sondern auch bis in die Artung der lebenden Naturreiche hinein, ja selbst für den dort lebenden Menschentypus, ob die Bildekräftewirkungen wie in Asien nord-südliche oder wie in Europa süd-nördliche Wirkenstendenzen haben. Daß im Südosten Europas, bis in den Balkan hinein noch die a s i a t i s c h e n Kräftewirkungen am Leib der Erde modellieren und den Gebirgsbildungen ihr Gepräge geben, das ist auch entscheidend für den sich in diesem Erdgebiete entwickelnden Menschentypus. Deshalb sind eben auch die dortigen Völkerschaften, obwohl sie äußerlich im europäischen Gebiet liegen, in so auffallender Weise doch den östlichen, asiatischen Völkern noch viel mehr verwandt, als den europäischen. Es ist eben für die Entwicklung eines Volkes von tiefgreifendem Einfluß, von welchen Kräften die irdische Substanz und besonders auch die Atmosphäre im betreffenden Erdgebiet durchsetzt ist. D i e ä t h e r i s c h e K r ä f t e s t r u k t u r an einem b e s t i m m t e n P u n k t e der E r d o b e r fläche u n d die o r g a n i s c h e S t r u k t u r der d o r t sich e n t w i c k e l n d e n Völkerschaften s t e h e n in e i n e r b e d e u t e n d e n 64
W e c h s e l b e z i e h u n g zu e i n a n d e r . Durch eine in diesem Sinne auszubauende »Äther-Geographie« wird man wichtigste Ausgangspunkte und Erkenntnisse für eine Volksseelenlehre, für eine Völkerpsychologie gewinnen. Es ist ein Urphänomen in der Verschiedenartigkeit des asiatischen und europäischen Kontinentes, daß plötzlich, wenn man nun nach Europa hineinkommt, eine elementare Umkehr eintritt. Denn die europäischen Alpen und die meisten sonstigen Gebirge Europas sind nicht, wie die asiatischen nord-südlich, sondern von Kräften gebildet, deren Richtungstendenz polarisch entgegengesetzt von S ü d e n n a c h N o r d e n gerichtet ist, derart also, daß die Stromrichtung der Bildekräfte vom Süd- nach dem Nordpol hinweist (siehe folgende Zeichnung). Wenn wir nun weitergehen über den atlantischen Ozean und dann an die große Gebirgskette kommen, die an der Westküste des amerikanischen Kontinentes liegt, so werden wir finden, daß diese Gebirge von Kräften gebildet sind, die in teils west-östlicher, teils ost-westlicher Richtung verlaufen. Europäisches Kränekreuz N
Westen Amerika
Asiatisches Kräftekreuz N
Alpen Himalaya
Osten Japan
Wenn wir nun in einer großen überschau über den Leib der Erde die wesentlichsten erdenschicksalsbestimmenden Bildekräfte-Strömungen erkennen, welche am Organismus der Erde modelliert, die gewaltigen Gebirgsmassen der Kontinente aufgetürmt und damit dem Erdenplaneten
seine besondere Physiognomie gegeben haben, so erhalten wir das erhabene Bild, daß diese Bildekräfteströmungen in mächtiger Gestalt zwei ätherische Kreuze in den Leib der Erde eingezeichnet haben. Und wenn wir nun die Brennpunkte jener Kräftestrahlungen aufsuchen, so entdecken wir, daß der eine etwa dort liegt, wo wir in der Landkarte Tibet einzeichnen, daß der andere Brennpunkt jedoch im Herzen des kleinen europäischen Kontinentes liegt. Tibet und Europa sind aber gerade diejenigen Gebiete in dem riesigen Leib der Kontinente der Erde, welche zur Wiege der bedeutendsten Menschheitskulturen geworden sind. Wenn wir also hinschauen auf die materielle Gliederung des Erdenleibes, den wir als einen lebendigen Organismus ansehen, Wachsmuth, Äther. Bildekräfte.
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so können wir erkennen, daß an denselben Brennpunkten, wo die Kräfte ihre höchste Intensität haben, die zu seiner materiellen Gliederung führten, auch die Ausgangspunkte der menschlichen Kulturen seit der atlantischen Katastrophe zu finden sind. Wir sehen, wie in beglückender Harmonie verbunden sind die Strömungen ätherischer Bildekräfte, materielle Vorgänge des Erdenleibes und Bewußtseinsvorgänge im Menschengeschlechte. Von den gleichen bedeutsamen Brennpunkten sind ausgegangen die Impulse zur Gestaltung des Leibes der Erde und zur Gestaltung menschlicher Kulturen. Nach dem Untergange des atlantischen Kontinentes (siehe Seite 32) waren die Führer der Völker vor die Aufgabe gestellt, einen Punkt zu finden, welcher zur neuen Heimat der über die Erde wandernden Menschen, zur Begründung der kommenden Kulturen geeignet wäre. Weil nun die Eingeweihten der damaligen Zeit, welche die Menschen zu führen hatten, ein Gebiet suchten, wo sie mit den großen Kräften, die ihnen die Erde zur Verfügung stellte, im Sinne ihrer Aufgabe am besten arbeiten konnten, so wählten sie gerade jenen Brennpunkt der ätherischen Kräfte im Herzen Asiens, weil dieser Punkt eine ganz außerordentliche Kräftestruktur innerhalb des Erdenleibes hatte. Atlantis
Europa
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w Man könnte mit Berechtigung die Frage aufwerfen, warum nach der atlantischen Katastrophe die Völkerführer jene wichtigsten Menschheitsgruppen gerade nach Zentralasien und nicht nach Afrika, Australien, Japan oder irgend einem anderen Punkt der Erdoberfläche führten, wo vielleicht, rein äußerlich betrachtet, bessere klimatische Verhältnisse geherrscht hätten. Aber eine herrliche Zielsicherheit und ein tiefes Wissen um die Zusammenhänge, die zwischen den Bildekräftezentren der Erde und der menschlichen Bewußtseinsentwicklung bestehen, lebte in diesen eingeweihten Führern, die nach der atlantischen Katastrophe die ihnen anvertrauten Völkerscharen sowohl auf dem nördlichen Wege (über Irland, Skandinavien usw.), wie auch auf dem südlichen Wege 66
(über Spanien, Afrika usw.) gerade nach dem Kräftezentrum im Herzen des asiatischen Kontinentes hinführten, um von diesem Punkte des Erdenleibes aus die kommenden Kulturen zu begründen. Diese Völkerwanderungen werden wir im Kapitel VI IL noch im Einzelnen betrachten. Und als nun die Kräftestruktur des asiatischen Brennpunktes ihre Entwicklungsimpulse den dort angesiedelten Völkern eingeprägt hatte und die Menschheit im Sinne einer organischen Weiterentwicklung eine andere Kräftestruktur suchen mußte, um aus den Bildekräften der Erde wiederum neue Impulse zu empfangen, da begannen sich die Kulturen nunmehr wieder westwärts zu verschieben, jenem zweiten ätherischen Brennpunkt der Erdenkräfte langsam zustrebend. Nachdem die orientalischen Kulturen durch Jahrtausende hindurch ihre menschheitsgeschichtlich entscheidenden Aufgaben erfüllt hatten, wurden die späteren Kulturen, denen ja auch unsere jetzige Kulturepoche angehört, nicht mehr vom Brennpunkt des a s i a t i s c h e n , sondern von dem Brennpunkt des e u r o p ä i s c h e n Kräftekreuzes aus begründet, von dem wir noch sprechen werden, von dem Punkte der Erdoberfläche nämlich, wo die P o l a r i t ä t e n der o r i e n t a l i s c h e n und o k z i d e n t a l i s c h e n E x t r e m e zum Ausgleich kommen. Wir können wiederum fragen: Warum sind auch diese Kulturen der Menschheit nicht ausgegangen von Afrika, nicht von einem der östlichen Staaten, von Südamerika oder Australien? Warum sind alle menschheitsgeschichtlich bedeutsamen Wirkungen der letzten Jahrhunderte gerade ausgegangen von einem der kleinsten Kontinente, von Europa? Die Erde antwortet uns, daß da geheimnisvolle Zusammenhänge bestehen, daß sich die Menschheit jeweils niederließ an einem Brennpunkte ätherischer Kräftewirksamkeit, wo die Bildekräfte des Erdenleibes eine besondere Struktur zeigten, und daß dies zugleich die Punkte sind, wo das Menschenbewußtsein auch seine größte Tätigkeit entfalten konnte, weil es dort konzentrierte Naturkräfte und Impulse empfing. Wir sehen, daß zweimal ein großes Kreuz eingezeichnet ist in den Erdenleib, daß das eine aber gewissermaßen sein Haupt nach dem S ü d p o l , das andere nach dem N o r d p o l richtet. Die Erde lehrt uns, daß die Kraftströmungen in Asien von Norden nach Süden gerichtet, in Europa umgekehrt von Süden nach Norden gerichtet sind. Welche Bedeutung hat diese Tatsache? Wir hatten bereits im Kapitel II gezeigt, daß die südliche Hälfte der Erde mehr den wässerigen, den mondenhaften Kräften, die nördliche Hemisphäre hingegen mehr den sonnen- und erdenhaften Kräften zugeordnet ist und hatten deshalb den Südpol den »Mondenpol«, den Nordpol den »Sonnenpol« der Erde genannt. Da nun aber die Kräfteströmungen, welche den asiatischen Kontinent konfigurierten und seine Elemente, seine Atmosphäre beeinflußten, zum südlichen, zum 67
»Mond-Pol« der Erde, die Kräfteströmungen in Europa jedoch zum »Sonnen-Pol« der Erde orientiert sind, so mußten auch die Völkerschaften, welche sich in den beiden so polarisch verschiedenen Kräftegebieten Asiens und Europas entwickelten, polar verschiedene Impulse sowohl in der Ausbildung ihres Organismus, als auch ihrer seelischen und geistigen Kapazitäten erhalten. Es konnte sich dasjenige ergeben, was entwicklungsgeschichtlich die Kulturen der Menschheit tatsächlich beherrschte, daß nämlich diejenigen Kulturfaktoren, die ihren Ausgangspunkt in Asien haben, zusammenhängen mit einer Tendenz zum Mondenhaften, entsprechend dem dortigen Kräftekreuz mit dem Haupte nach Süden, und daß diejenigen, die ihren Ausgangspunkt in Europa haben, einen Zusammenhang mit dem Sonnen- und Erdhaften zeigen, entsprechend dem dortigen Kräftekreuz mit dem Haupte nach Norden; daß auch das Bewußtsein, das sich entwickelt in diesen Kraftatmosphären, in den Organismus der Erde entsprechend eingegliedert sein muß, daß in den Kräften, die zum Südpol, zum Mondhaften hintendieren, das Bewußtsein mehr träumerisch sein muß, daß dagegen in den Kräften, die zum Nordpol hintendieren, das Bewußtsein mehr erdhaft sein muß. Wenn wir hinschauen auf die Entwicklung der Kulturen, die ausgegangen sind von diesen beiden Brennpunkten, so finden wir tatsächlich, daß die asiatischen Kulturen ein noch nicht so erdhaftes, sondern ein mehr mondhaftes, träumerisches Bewußtsein haben, während die von Europa ausgegangenen Kulturen ein mehr auf das Materielle hingerichtetes erdschweres Bewußtsein zeigen. Die Begründer der östlichen, asiatischen Kulturen tauchten mit ihren Völkerscharen unter in die ätherischen Ströme, die zum Mondenhaften hinführen, die Begründer der westlichen europäischen Kulturen tauchten unter in die Kräfteströme, die zum Erdhaften hinführen (siehe Zeichnung Seite 65/66). In einer erhabenen Gesetzmäßigkeit ist so das Schicksal der Menschheit mit dem Leib der Erde verbunden. Die Stätten der Menschheitswiegen, die Geburtsorte neuer geistiger Strömungen, einzigartiger Kulturen, bestimmter Weltanschauungen und Religionen, liegen an jenen ätherischen Kräftezentren der Erde, wo der Erdorganismus dem sich entwickelnden Menschenwesen ganz besonders geartete starke Impulse geben kann. Nicht durch blinden Zufall, sondern durch eine wundervolle Weisheit sind Zentralasien und Europa zum Ausgangspunkt der Entwicklung bedeutendster Kulturen, Tibet und das Jordantal zum Geburtsort führender Menschheitsreligionen auserwählt worden. Denn das auf Erden lebende Menschenwesen ruht mit seinem Bewußtsein auf der Grundlage jener Bildekräfte und Substanzen, welche ihm die Erde zum Aufbau seines Organismus geben kann. Anders ist der Leib, ist das Blut, ist die Atemluft, mit denen sich das seelische und geistige 68
Wesen des Menschen vereinen muß in den Höhen von Tibet oder in den gleichsam in die Erde hineingesaugten Tiefen des Jordantales, anders sind Leib, Blut, Atmung, in die Seele und Geist untertauchen müssen in Zentralasien, als in Europa oder Amerika. Anders dort, wo die Erdenkräfte südwärts streben oder nordwärts streben; anders wo sie sich konzentrieren oder sich verflüchtigen. Im VIII. Kapitel werden wir noch den Einfluß der kosmischen Kräfte auf die verschiedenen Gebiete der Erde betrachten und somit mehr und mehr jene Bildekräfte-Konfigurationen ergründen, die zur Entstehung und Entwicklung der Rassen und Völker der Menschheit auserwählt sind. Die »Äther-Geographie«, die Karte der ätherischen Strömungen und Zentren der Erde offenbart uns das Geheimnis des gemeinsamen Schicksals von Erde und Mensch, der Geburtsstätten menschlicher Rassen und Völker, Kulturepochen, Wissenschaften, Künste und Religionen.
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VI. Kapitel. J_)ie menscnlicnen _L emperamente. Novalis: »Sonderbar, dass das Innere der Menschen bisher nur so dürftig betrachtet and so geistlos behandelt worden ist. Die sogenannte Psychologie gehört auch zu den Larven, die die Stellen im Heiligtum eingenommen haben, wo echte Götterbilder stehen sollen. Wie wenig hat man noch die Physik für das Gemüt, und das Gemüt für die Aussenwelt benutzt. Verstand, Phantasie, Vernunft, das sind die dürftigen Fach' werke des Universums in uns. Von ihren wunderbaren Vermischungen, Gestaltungen, Übergängen kein Wort. Keinem fiel es ein, noch neue, ungenannte Kräfte aufzusuchen, — ihren geselligen Verhältnissen nachzuspüren. Wer weiss, welche wunderbaren Vereinigungen, welche wunderbaren Generationen uns noch im Innern bevorstehen.»
Es liegt ein tiefes Entwicklungsgeheimnis in dem Verhältnis von Erde und Mensch. Ja man kann sogar in weitgehender Weise die Methode zum Studium des Organismus des Menschen auf die Erde anwenden, und der Erde auf den Menschen. Die bedeutendsten Naturforscher der vor-materialistischen Epoche, wie Henrik Steffens in seiner Anthropologie, Carus, Troxler, Oken, und ihre Gesinnungsgefährten, die mit einem genialen künstlerischen Naturforscher wie Goethe noch Geistesverwandtschaft hatten, sind in ihren Naturbetrachtungen darum auch solche Wege gegangen. Wir wollen hier einmal versuchen, einen Teil der Wesenheit des Menschen, der zunächst zu den rein seelischen Eigenschaften zu gehören scheint, unter diesem Aspekt zu betrachten: Die Temperamente. Wir können dabei so weit gehen, gewisse grundlegende Methoden der Geologie auf den Menschen zu übertragen und vice versa. E. Kayser teilt in seiner großzügigen und äußerst aufschlußreichen Weise die gesamte Geologie in eine 1) physiographische, 2) dynamische Geologie ein und definiert die Inhalte der letzteren wie folgt: »Trotz ihrer außerordentlichen Mannigfaltigkeit läßt sich die Gesamtheit der auf
der Erde stattfindenden geologischen Vorgänge naturgemäß in zwei große Gruppen, bringen, nämlich 1) die endogenen oder tellurischen Erscheinungen, die durch Kräfte hervorgerufen werden, die ihren Sitz und Ausgangspunkt im Erdkörper (in der Tellus) haben, und 2) exogene
oder kosmische, die ihren Ursprung außerhalb der Erde, im Kosmos, namentlich auf der Sonne und dem Monde haben.« Diese Methodik der dynamischen Geologie läßt sich durchaus auch anwenden auf den Menschen und wir kommen dadurch zu der sehr notwendigen Begründung einer »dynamischen Anthropologie«, ja letzten Endes ist die Anwendung der Lehre von den ätherischen Bildekräften in vielen wesentlichen Punkten eine solche. Die Methodik derselben würde dann dementsprechend etwa lauten: Trotz ihrer außerordentlichen Mannigfaltigkeit läßt sich die Gesamtheit der im Menschen stattfindenden Vorgänge naturgemäß in zwei große Gruppen bringen, nämlich I) die e n d o g e n e n o d e r i n n e r m e n s c h l i c h e n Erscheinungen, die durch Kräfte hervorgerufen werden, die ihren Sitz und Ausgangspunkt im Inneren des menschlichen Organismus haben, und 2) die exogenen o d e r k o s m i s c h e n , die ihren Ursprung außerhalb des Menschen, in der Erde oder im Kosmos, namentlich auf der Sonne und dem Monde haben, und durch die Wirksamkeit der planetarischen Sphären und der irdischen Umwelt modifiziert und differenziert werden. Dabei ist zu bemerken, daß ebenso wie die Erde die kosmischen Strahlungen, wenn sie in den Erdorganismus eindringen, mehr oder
weniger verwandelt, so auch der Mensch alles was von außen in das Innere seines Organismus eindringt, verwandelt und zwar umso stärker, je differenzierter er selbst als Individualität ist. Während z. B. bei dem Eindringen der Atemluft, der Aufnahme von Nahrung etc. die in diesen Substanzen wirksamen (exogenen) Kräfte durch die im Inneren des menschlichen Organismus regierenden (endogenen) erst überwunden und umgewandelt werden müssen, haben wir es z. B. in demjenigen, was den Temperamenten zugrunde liegt, mit Impulsen zu tun, die dem Menschen von seiner Geburt an gegeben sind, und die er der ihn umgebenden Außenwelt mehr oder weniger bewußt aufzuzwingen sucht, wenn er überhaupt aktiv ist. Wer wollte leugnen, daß das Temperament eines Menschen, seine cholerische oder phlegmatische, sanguinische oder melancholische Anlage sich nahezu in jeder seiner Handlungen im Leben ausprägt, ja sogar dem Ergebnis seiner seelischen und leiblichen Arbeit das Siegel des betreffenden Temperamentes aufdrückt. Nicht nur die Quantität, das Arbeitstempo etc., sondern noch mehr die Qualität, die Dauerhaftigkeit, die Solidität, die Form, die Schönheit des Geschaffenen, alles trägt die Signatur des beim Schöpfer vorherrschenden Temperamentes. Eine Handschrift, ein behauener Holzklotz, eine künstlerische Plastik, eine Maschine, kurz jedes sichtbare von Menschen Geschaffene trägt einen solchen eigenartigen Stempel des Schöpfers mehr oder weniger verhüllt an sich und in sich. 71
Wenn wir die seelischen Eigenschaften des Menschen betrachten, so sind die Temperamente wohl die ursprünglichsten. Temperamente kann man abstreifen, aber wohl kaum erwerben, man kann sein cholerisches oder phlegmatisches Wesen durch bewußte Entwicklung überwinden, aber man kann z. B. nicht wahrhaft cholerisch oder phlegmatisch w e r d e n wollen, wenn man nicht dazu veranlagt ist; d. h. den Temperamenten liegen Kräfte zugrunde, die der Mensch seit der Geburt in sich hat und aus sich vertreiben kann, aber schwerlich nachträglich erwerben, sondern höchstens verwandeln kann. Wie das Blatt im Goethe'schen Sinne der Urtypus der Pflanze, die »Urpflanze« ist, so ist das Temperament der Urtypus des Seelischen; den Temperamenten liegen Kräfte zugrunde, die wir weder dem rein Geistigen noch dem Physisch-Leiblichen des Menschen aHein zuschreiben können, sie sind eine Art Brücke, ein Übergang zwischen beiden Gebieten. Nun hat die Menschheit von jeher aus einer früheren intuitiven Urweisheit, die noch mehr mit den ersten Entwicklungsstadien des Menschen auf Erden verknüpft war, die unzähligen Variationen der Temperamente in vier Gruppen gegliedert, das cholerische, sanguinische, phlegmatische und melancholische Temperament. Betrachten wir deren Eigenheiten in bezug auf ihr Verhältnis zur Innen- und Außenwelt des Menschen, so weisen die beiden ersteren, das cholerische und das sanguinische, auf einen Menschentypus, der vorwiegend auf die Außenwelt hingerichtet ist, der mehr nach außen tätig ist, der die Tendenz hat, sein Wesen gleichsam von sich selbst in die Umwelt hinauszustrahlen. Ganz anders der Phlegmatiker oder gar Melancholiker, dieser ist ganz von Kräften beherrscht, die ihn gleichsam von der Außenwelt abschnüren, seine Aktivität nach innen ziehen, ihn auf sich selbst konzentrieren. Die beiden ersten Typen sehen wir beherrscht von Zentrifugalkräften, die beiden letzteren von Zentripetalkräften. So führt uns das Temperament eines Menschen zur Erkenntnis der Besonderheiten seines ätherischen Leibes. Man kann die Temperamente auch in ihrem Zusammenhang mit anderen Wesensgliedern betrachten, wir wollen uns hier jedoch auf den ätherischen Leib des Menschen beschränken. Überwiegen in ihm noch die chaotischen feurigen Kräfte, der Wärmeäther, so tendiert er zum cholerischen Typus. Regiert ihn die Kraft, die auch ausstrahlen will, die leuchten und glänzen, aktiv in die Außenwelt eindringen will, so zeigt er die strahlende Beweglichkeit des Sanguinikers. Doch wie der Wassertropfen sich aus der luftigen Atmosphäre absondert und wie die Hydrosphäre der Erde, die Wässer der Ozeane, wenn sie nicht gestört würden, die ewige unbewegliche abgeschlossene Ruhe anstreben, so ruht der Phlegmatiker in sich selbst, weil in seinem ätherischen Leibe die gleiche Bildekraft wirksam ist, die sich auch in der 72
Gleichförmigkeit alles Wässerigen der Erde verrät. Und wie der feste Körper sich in sich selbst verhärtet und am stärksten von den Einflüssen der Außenwelt abschließt, ja, sie zurückstößt, so schließt auch den Melancholiker die ihn allzu sehr beherrschende Bildekraft von der Außenwelt ab und saugt gleichsam sein Wesen nach innen. So zeigt der ätherische Leib des Cholerikers ein Zu-viel an Wärmeäther, des Sanguinikers ein Zu-viel an Lichtäther, des Phlegmatikers ein Zu-viel an Chemischem Äther, des Melancholikers ein Zu-viel an Lebensäther. Wenn die geistige Wesenheit, die Entelechie des Menschen sich ihren Leib auferbaut aus den Substanzen und Kräften der Erde, so bestimmt sie bei der Geburt die innere Struktur des sich entwickelnden Organismus. Ergreift er beim Modellieren des Leibes zuviel von der einen oder der anderen Bildekraft, so schafft er sich damit eine Hülle und Basis für sein Bewußtsein, die ihm durch das ganze Leben zwischen Geburt und Tod sein Gepräge geben wird, wenn er nicht nachträglich noch aus eigenem bewußtem Willen in den Werdeprozeß modifizierend eingreift, den das »Modell« in seiner Entwicklung zur Ausgestaltung bringt. Die Impulse, die Triebe, welche durch die ursprüngliche Gliederung in ihm ausgelöst werden und die sein tägliches Leben und Wirken, die Geschwindigkeit und Artung seines Handelns, seines Ganges, seiner Gesten beeinflussen, die sein aktives oder passives Verhältnis zur Außenwelt wesentlich mitbestimmen, die ihn strahlend und willensstark oder verschlossen und vielleicht gleichgültig oder leicht ablehnend machen, werden gespeist von jenem Überschuß an ätherischen Bildekräften, die er in sich trägt seit der Geburt. Z w e i W e g e können so die ätherischen Bildekräfte einschlagen, sie können zum Werkzeug werden für die Färbung des S e e l i s c h e n oder sie können plastisch-bildnerisch modellieren am L e i b e des Menschen. So sind die Bildekräfte die Vermittler zwischen Seele und Leib. Wenn die Individualität, die diese Seele und diesen Leib zu ihrem Instrument gestaltet, die Bildekräfte in den physischen Substanzen des Leibes untertauchen läßt, so werden sie dort organbildend, gestaltbildend, substanzformend und verwandelnd wirksam sein; wenn er diese jedoch als von der Substanz freie ätherische Kräfte wirken läßt, so können sie ihm die seelischen Impulse geben, entweder zum Bemeistern der Außenwelt, wenn die ausstrahlenden Kräfte der Wärme und des Lichtes die Oberhand haben, oder zum starken, vielleicht allzu starken Erleben der Innenwelt, wenn die einstrahlenden Kräfte regieren. Seelisches Gleichgewicht wird die Disharmonie der vier scheinbar feindlichen Kräfte-Tendenzen jedoch bezwingen können 73
und im Zusammenklang den nach außen und innen harmonischen Menschen gestalten. Wie nun die einseitigen Temperamente das Präponderieren einer der freien Bildekräfte im ätherischen Leibe verraten, so erzählen die Symptome von Krankheit oder Gesundheit von ihrem allzustarken oder aber harmonisierten Wirken im Physischen. Was sind z. B. Entzündungsprozesse anderes als der Ausdruck dafür, daß das Wärmeätherische in Regionen des Körpers zu stark tätig ist, wo es entweder gar nicht oder nur in gedämpfter Intensität im gesunden Menschen sich ausleben soll? Und wenn die verdichtenden Kräfte von dem ganzen Menschen Besitz ergreifen, während im gesunden Menschen ihnen doch nur der Aufbau des stützenden Knochengerüstes zur Aufgabe wird, so erzeugen sie das Phänomen der Sklerose, der Verhärtung der sonst beweglichplastischen Teile, also Krankheit und die Symptome des Alterns. Auf eine Darstellung dieser Zusammenhänge in ihren für die Medizin so wesentlichen Konsequenzen kann in diesem Rahmen natürlich nicht im einzelnen eingegangen werden, sondern nur auf das so vielseitig erprobte und noch weiter zu erschließende Material hingewiesen werden, das Dr. Rudolf Steiner in dieser Hinsicht gegeben hat. Was uns hier nur beschäftigen soll ist die Erkenntnis, wie die Bildekräfte g l e i c h sam die V e r m i t t l e r s i n d zwischen dem S e e l i s c h e n u n d dem L e i b l i c h e n eines jeden M e n s c h e n , wie ein zu stark oder in unrichtiger Weise erfolgendes Auftreten einer einzelnen Bildekraft, wenn seelisch wirkend, sich im Extrem eines einseitigen Temperamentes, wenn p h y s i s c h wirkend, in Krankheitserscheinungen offenbaren wird. So sind durch die Vermittlung der Bildekräfte Krankheit und seelische Anlage eines Menschen viel enger miteinander verknüpft, als wir heute im ajlgemeinen anzunehmen gewohnt sind. Selbstverständlich stellen die vier Temperamente zunächst nur die Urtypen der seelischen Elemente dar, die sich um so stärker variieren und differenzieren werden, je mehr die Menschheit in dem einmal begonnenen Individualisierungsprozeß fortschreitet. Aber die Erkenntnis einer Gesetzmäßigkeit ist eben nur möglich, wenn wir von diesen vier charakteristischen Urelementen der seelischen Abarten ausgehen. Das cholerische Temperament verrät das zu mächtige Wirken des Wärmeätherischen, nur eben nicht in einem physischen, sondern einem s e e lischen Medium, wie ein Entzündungsprozeß diese gleiche Bildekraft in ihrem überwuchern in der p h y s i s c h e n Substanz verrät. So ist der Phlegmatiker nur das seelische Gegenbild eines im Physischen trägen Chemismus, trägen Stoffwechsels, und so ist — scherzhaft aber richtig ausgedrückt — die Sklerose nur der physische Ausdruck einer Melancholie der Substanz. Schauen wir im Choleriker das innere Feuer, im Sanguiniker das strahlende Licht, im Phlegmatiker die Stille des 74
Wassers, im Melancholiker den zu mächtigen Hang zum verschlossenen inneren Leben, so wird uns manches an unseren Mitmenschen verständlich und darum liebenswerter erscheinen, was vielleicht sonst die gleiche oder gegenteilige Bildekraft in uns selbst wacb rufen mag. Stellen wir diesen Menschen noch einmal hinein in das Ganze der Erde. Durch zwei Arten von Kräften ist ein jeder Mensch bestimmt in seinem Entwicklungsprozeß zwischen Geburt und Tod, und diese geben seinem ätherischen Leib die ihm eigene Zusammensetzung und Struktur. Einerseits wird dieser ätherische Organismus bedingt und tingiert durch die Artung der ätherischen Kräfte der Erde am Ort der Geburt (exogene Wirkungen), anderseits erhält dieser ätherische Leib seine Färbung durch die seelischen Eigenschaften, Temperament usw. derjenigen Individualität, der er zugehört (endogene Kräfte). Ein in Amerika geborener und sich entwickelnder Mensch wird also vom dortigen Erdboden, auch durch Nahrung und Atmung, ganz andere exogene Kräfte in seinen Organismus aufnehmen, als ein in Asien geborener. Wir zeigten schon, daß der in der Sphäre der so stark salzbildenden irdischen Kräfte im Westen lebende Menschentypus auch im allgemeinen aus der Umgebung die Impulse für ein mehr erdenschweres, den materiellen Problemen und Inhalten zugewandtes Denken aufnehmen und sie ausbilden wird, während der im Bereich der stärkeren Feuerkräfte des Orients lebende Menschentypus aus seiner äußern Umgebung mehr die Impulse für ein erdenfremdes, in die kosmischen Weiten hinaus begehrendes Fühlen aufnehmen wird. Während so die äußerlich gegebenen Kräfte der Erde und Luft in jedem Erdgebiete eine etwas andere Basis für die Entwicklung des Bewußtseins der Menschheit abgeben, wird diese Mannigfaltigkeit wiederum differenziert durch die seelische Färbung des einzelnen Menschen, seine Tendenz zu einem bestimmten Temperament, seine Veranlagung dazu, der einen oder anderen Bildekraft aus inneren seelischen Gründen das Übergewicht zu geben bei der Ausbildung seines eigenen Organismus. Auch wird der eine Mensch aus seiner seelischen Struktur heraus in seinem ätherischen Leib solche Kräfte erstarken, die es ihm ermöglichen, zum Beispiel die seinen Leib allzu sehr verfestigenden Kräfte zu besiegen, oder doch in ihrer Intensität zu dämpfen, und dadurch Krankheit zu vermeiden oder Alterserscheinungen zu verzögern, während ein Mensch, der auch aus seiner seelischen Struktur, seinem Temperament heraus diesen Kräften die Vorherrschaft einräumt, den entsprechenden Krankheiten leichter zugänglich sein, dem Altern und der Sklerose früher verfallen wird. Das Leben des Menschen, sein seelisches und leibliches Befinden, seine Neigung zu Gesundheit und Krankheit, sind das Ergebnis eines Kampfes zwischen den von außen und innen kommenden Einflüssen auf die Zusammensetzung und Struktur des 75
ätherischen Leibes. Aber immer vermag das Geistige im Menschen hier den scheinbaren Zwang allmählich zur Freiheit zu wandeln. Denn die Anlagen, die der Mensch bei seiner Geburt aus geistigen Welten mit sich bringt, bestimmen aus seinem eigenen Wesen heraus das »Modell« des ätherischen Leibes, das er sich wählt, und er vermag durch die Entwicklung seines Bewußtseins und Willens mehr und mehr dessen Wandel während des Lebens zu beeinflussen und derart Vieles in seinem »Schicksal« zu ändern. Wir können nicht ausdrücklich und ernst genug hier betonen, daß der Mensch nicht ein Produkt einer zwangsläufig abrollenden Maschinerie von Substanzen und Kräften darstellt, wie es die Materialisten schildern wollten, daß er aber gewiß auch nicht in seinem irdischen Leben von der physischen Grundlage seines Bewußtseins als geistiges Wesen völlig unabhängig ist, wie es von so mancher orientalischen Lehre hingestellt wird, sondern daß er die heilige Pflicht hat, aus seinen geistigen Kräften heraus bis in die substantielle leibliche Grundlage seines geistigen Lebens hinein bewußt einzugreifen, ihr nicht entfliehen zu wollen, sondern sie zu erkennen und zu bemeistern. Und dazu ist ihm die Erkenntnis und Beherrschung der ätherischen Bildekräfte der beste Wegweiser und der rechte Vermittler, denn sie verbinden Charakteranlage, Temperament, Gesundheits- und Krankheits-Disposition, d. h. den geistigen Teil mit dem physischen Teil der menschlichen Wesenheit.
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VII. Kapitel. D e r männliche u n d weibliche O r g a n i s m u s . W e n n wir von der seelischen Differenzierung der Menschen nach Temperamenten übergehen zu den noch mehr ins Physisch-Leibliche eingreifenden Unterschieden, so ist wohl am elementarsten die Trennung in das männliche und weibliche Geschlecht. Eine Erkenntnis der Ursachen und Folgen der Geschlechtertrennung wird zunächst von den rein physisch-leiblichen zu den im Bereich der Bildekräfte liegenden Impulsen aufsteigen müssen, um schließlich das so gewonnene Bild in die gesamte natürliche Genesis von Kosmos, Erde und Mensch einordnen zu können. Der ätherische Leib des Menschen würde, wenn die GeschlechterTrennung nicht eingetreten wäre, natürlich nur eine einheitlich geartete Struktur gezeigt haben, die sich aus dem gleichartigen Zusammenwirken aller vier ätherischen Bildekräfte beim Modellieren des menschlichen Leibes ergeben hätte und ihre Variationen nur aus den (exogenen) Wirkungen der umgebenden Erdenverhältnisse und aus den (endogenen) Impulsen der individuellen seelischen Veranlagung des Einzelnen aufgeprägt erhalten würde. Diese einheitlich veranlagte Gliederung des menschlichen Organismus hatten wir im I.Band (Aufl. 2, S. 221) dargestellt. Betrachtet man nun den ätherischen Leib des in einem männlichen oder in einem weiblichen Organismus verkörperten Menschen, so zeigt sich, daß die verschiedenen Bildekräfte von den beiden Geschlechtem gleichsam in polarisch verschiedenen Regionen des Körpers verwendet werden, und dadurch zu so unterschiedlichen Funktionen im seelischen und leiblichen Organismus geführt haben. Wir können die phylogenetisch ältere Gruppe von Bildekräften, den Licht- und Wärmeäther, ihrer zentrifugalen, zum Ausstrahlen und tätigen Ergreifen und Verwandeln der Dinge hintendierenden Wesenheit nach, als die mehr a k t i v e n , produktiven, die andere Bildekräftegruppe, des Chemischen- und Lebensäthers, ihrer zentripetalen, einsaugenden, formgebenden, zum In-sich-hereinnehmen und Insich-abschließen des Empfangenen hintendierenden Wesenheit nach, als die mehr p a s s i v e n , rezeptiven Kräfte betrachten. Nun kann ja der Mensch die Bildekräfte mehr als freie Kräfte zur Basis seiner seelischen Funktionen verwenden, wie dies z. B. bei den Temperamenten gezeigt wurde, oder er kann sie mehr zum 77
Modellieren
in der Substanz
des p h y s i s c h e n
Leibes
verwenden.
Beim männlichen Menschen sind nun im Leiblichen am unteren Pol die aktiven, ausstrahlenden Bildekräfte, beim weiblichen Menschen die einsaugenden, gleichsam passiven Bildekräfte zum Aufbau und zur Funktion des Organismus verwendet. Der männliche Organismus verwendet also im Leiblichen mehr die Bildekräfte des Licht- und Wärmeäthers, der weibliche Organismus mehr die Kräfte des Chemischen und Lebensäthers. Dies hat nun eine tiegreifende Folge für das Seelische des Menschen: Es wird nämlich der in einem männlichen Organismus verkörperte Mensch, da er im Leiblichen vorwiegend die eine Bildekräftegruppe verwendet, die ätherischen Kräfte der anderen Art, Chemischen und Lebensäther, als freie Kräfte zur Verfügung haben, um sie als Basis für sein geistig-seelisches Leben zu verwenden. Der in einem weiblichen Organismus verkörperte Mensch wird im polarischen Gegensatz hierzu, da er diese Bildekräftegruppe im Leiblichen zum Aufbau und zur Funktion der Organe verwendet, mehr die anderen Bildekräfte, des Licht- und Wärmeätherischen, als freie Kräfte zur Verfügung haben, um sie als Basis für sein geistig-seelisches Leben zu verwenden. Dies ist ein Urgesetz aller Lebewesen, daß diejenigen Bildekräfte des ätherischen Leibes, die zur leiblichen Funktion verwendet werden, für die geistigseelischen Funktionen geschwächt oder ganz entzogen werden, daß hingegen diejenigen Bildekräfte, die nicht zu leiblichen Funktionen im Organismus verbraucht werden, als freie Kräfte den geistig-seelischen Funktionen dienen können. Darin liegt eines der tiefsten Geheimnisse der Menschheitsentwicklung verborgen. Wenn wir die polarisch verschiedenartige Verwendung der ätherischen Bildekräfte im männlichen und weiblichen Organismus darstellen wollen, so kann dies — schematisch — etwa in folgenden Bildern geschehen:
Ätherischer Leib
Ätherischer Leib
des rnännl.
des weibl.
Organismus
Organismus
•
Wenn wir dem Menschen einen oberen geistig-schöpferischen, und einen unteren leiblich-schöpferischen Pol zuschreiben, so können wir sagen: 78
Der m ä n n l i c h e Organismus ist so veranlagt, daß am leiblich-schöpferischen Pol wirken: Wärme- und Lichtäther, am geistig-schöpferischen Pol wirken: Chemischer und Lebensäther, der weibliche Organismus ist so veranlagt, daß am leiblich-schöpferischen Pol wirken: Chemischer und Lebensäther, am geistig-schöpferischen Pol wirken: Licht- und Wärmeäther, oder auch: beim männlichen Wesen ist im Geistig-Seelischen tätig ein weiblicher Ätherleib, beim weiblichen Wesen ist im Geistig-Seelischen tätig ein männlicher Ätherleib. Nur die im Übersinnlichen liegende Synthese des männlichen und weiblichen ätherischen Leibes ergibt geistig die Synthese aller ätherischen Kräfte, nur wenn der Mensch in seinem geistigen Wirken an seinem oberen Pol, dem Bewußtseinspol, alle ätherischen Kräfte vereinigt, kann er die im außermenschlichen Kosmos waltende Harmonie auch in sich erzeugen. Wird uns die obige Differenzierung des männlichen und des weiblichen Geschlechts nicht in allen Phänomenen der Menschheits-Geschichte bestätigt? Gewiß gibt es auch hier die Variationen, die zwischen den beiden Extremen möglich sind. Aber die Menschheit ist zunächst nach diesen Extremen veranlagt, und das Schicksal des Einzelnen ist der Weg zum Ausgleich dieser Extreme, ein Ziel, nur von den Seltensten, Größten der Menschheit erreicht. Gewiß liegt die Lösung nicht im Tragen etwa der leuchtenden gelben und roten Trachten der tibetanischen Mönche, sondern in einem inneren Vorgang, welcher der äußeren Dokumentierung nicht bedarf. D e r m ä n n l i c h e M e n s c h ist im L e i b l i c h e n a k t i v , im G e i s t i g e n r e z e p t i v , d e r w e i b l i c h e M e n s c h ist im L e i b lichen r e z e p t i v , im G e i s t i g e n aktiv v e r a n l a g t . Dies ist kein Paradoxon, sondern eines der elementarsten Gesetze der Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Da das für das Leibliche Gesagte keiner Beweisführung bedarf, betrachten wir nun vor allem die geistige Seite. Der Stolz des männlichen Geschlechts lag im Geistigen seit Jahrtausenden in dem Erwerben dessen, was wir heute »Wissenschaft« nennen, ein gewiß berechtigter Stolz, aber fragen wir uns: Wie ist die Seele geartet, die dieses Bestreben zeigt und zur Durchführung bringt in der Art, wie es geschah? Die männliche Wissenschaft ist im wesentlichen ein Ergebnis des S a m m e i n s von Erkenntnissen. Ihre mehr oder weniger bewußt erkannte Tendenz geht dahin, gleichsam die unzähligen einzelnen Phänomene der Außenwelt erkenntnismäßig in das Haupt des Menschen hineinzusaugen. Solche Erkenntnis ist zunächst im wesentlichen nicht schöpferisch, sondern rezeptiv. Sie ist vergleichbar einem Empfängnisakt des menschlichen Hauptes, wobei die Natur gibt, der Mensch empfängt, und das Kind dieses Zeugungsaktes, das der Mensch gebiert, das äußere Werk, das sich aus der Erkenntnis ergibt, 79
verdankt sein Leben zunächst meist mehr der Schöpferkraft der Natur, wobei der Mensch die allerdings wichtige Rolle der gebärenden Mutter spielt. Der größte Teil der Erzeugnisse des Menschen ist kein gültiger Einwand gegen eine solche Betrachtung, denn meist verwandelt die menschliche Hand hierbei nur die Naturkräfte, deren Gesetze das Haupt in der Erkenntnis vorher von der Natur empfangen hat. Gewiß, es könnte eingewendet werden, daß der Mensch viele eigene Schöpfungen vollbracht hat, die über das durch die rezeptive Naturerkenntnis Gegebene hinaus gehen. Aber die meisten Maschinen stellen letzten Endes nur anders angewandte Naturgesetze dar, wo also Empfangenes entwickelt und metamorphosiert wird. Die meisten großzügigen, von kleinlichem Stolz freien, überlegenen Naturforscher werden also sicher dem zustimmen, daß die Wissenschaft als solche, unter einem großen Entwicklungsgesichtspunkte betrachtet, im wesentlichen einer rezeptiven Funktion des Menschen entspringt, wobei die vielen Ausnahmen, wie auch sonst, die im allgemeinen gültige Regel nur bestätigen; über diese Ausnahmen werden wir noch sprechen im Zusammenhang mit dem Künstlerischen. Ganz anders ist, entwicklungsgeschichtlich betrachtet, die geistige Funktion des weiblichen Menschen. Dort ist wenig Neigung, die unzähligen einzelnen Phänomene der Außenwelt erkenntnismäßig in das Haupt hineinzusaugen; daher auch weniger systematisches, an den Gesetzen der Außenwelt kontrolliertes und korrigiertes Denken, sondern jener Hang zur schöpferischen Phantasie, die aus einer inneren Aktivität heraus das Naturgegebene in einem individuellen Lichte sieht und ihm, unbekümmerter um eine korrekte Anwendimg des gesetzlich Gegebenen, das eigene Wesen schöpferisch frei entgegenbringt. Hier sind die ausstrahlenden, von innen heraus mit Eigenlicht beleuchtenden, mit Eigenfühlen durchwärmenden denkerischen Kräfte am stärksten, eben alles das, was wir mit dem Wort Phantasie kennzeichnen. Wenn der Mann statt sammelnder und registrierender Wissenschaft die Phantasie walten läßt, vor allem im Künstlerischen, so denkt er »weiblich«, er läßt in seinem Haupt jene Kräfte wiederum einziehen und tätig sein, die ihm einst vor der Trennung der Geschlechter noch eigen waren und die er wieder erobern muß. Es ist ein sogar biologisch nachgewiesenes Phänomen, daß Künstler bis in die Körperlichkeit hinein oft einen »weiblicheren« Charakter zeigen. Dem KünstlerischSchöpferischen liegt eine Synthese männlicher und weiblicher Geistigkeit, eine neue Harmonisierung der sonst auf die beiden Geschlechter verteilten ätherischen Bildekräfte zugrunde. Kehren wir noch einmal zu der physisch-leiblichen Seite dieses Problems zurück. Dr. Rudolf Steiner hat den so überaus wichtigen Hinweis gegeben, daß bei der Erzeugung eines Menschen das Wesentliche 80
darin liegt, daß der im weiblichen Organismus entwickelte Ei-Keim, der wie ein organischer Mikrokosmos aufgebaut ist, durch den aktiven Eingriff von seiten des männlichen Organismus chaotisiert wird, daß also befruchtete Materie zunächst »chaotisierte Materie« ist. Man könnte es etwa einem geordneten Planetensystem vergleichen, in das durch den plötzlichen Eintritt eines gewaltigen Kometen Unordnung, aber dadurch neue Bewegung und neues Leben hineingebracht wird, wodurch der normale Ablauf der organischen Entwicklung gestört und in eine neue Entwicklungsform gestoßen wird, mit neuer Struktur und veränderten neuen Gesetzen. Wer Ei-Keim und Sperma organisch betrachtet, wird es leicht haben einzusehen, wie im ersteren die das Wässerige und das In-sichgefestigte und Geformte beherrschenden Bildekräfte des Chemischen und des Lebensäthers regieren; wie im letzteren jedoch die Impulsivität des Licht- und Wärmeätherischen deutlich erkennbar ist.
(s. 0 . Hertwig, S. 97)
0 . Hertwig sagt hierüber in seinem bekannten Werk »Das Werden der Organismen« (S. 97—99): »Stets aber wird unter normalen Verhältnissen die Befruchtung nur von einem einzigen Samenfaden, und zwar von demjenigen ausgeführt, der sich am frühesten dem membranlosen Ei genähert hat. An der Stelle, wo sein Kopf, der die Gestalt einer kleinen Spitzkugel hat, mit seiner scharfen Spitze die Oberfläche des Dotters W a c h s m u t h , Äther. Bildekräfte.
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berührt, reagiert diese auf den Reiz durch Bildung eines kleinen Höckers von homogenem Protoplasma, des Empfängnishügels (s. Figur Ie), wie ich ihn zu nennen vorgeschlagen habe. Durch sein Auftreten wird der Beobachter gewöhnlich zuerst auf den Beginn des Befruchtungsprozesses aufmerksam gemacht. Denn im Empfängnishügel bohrt sich der Samenfaden rasch mit seinem Kopf (Ik) in das Ei ein Der in die Eirinde eingedrungene Kopf beginnt sich alsbald in der Weise zu drehen, daß der auf ihn folgende Hals mit dem Centrosom (2c) nach einwärts zu liegen kommt. Dabei wird das Centrosom zum Mittelpunkt einer Strahlungsfigur. Denn das Protoplasma in seiner unmittelbaren Umgebung beginnt sich zu einem strahligen Gefüge, wie Eisenfeilspäne um den Pol eines Magneten, anzuordnen. Auch vergrößert sich der Kopf zusehends, indem sein Chromatin sich mit Flüssigkeit, die er aus dem Dotter bezieht, vollsaugt und die Form einer Spitzkugel verliert. Er wandelt sich auf diesem Wege allmählich wieder in einen bläschenförmigen Samenkern (3. sk) um. — Und jetzt beginnt — etwa 5 Minuten nach Vornahme der Befruchtung — ein interessantes, am lebenden Objekt gut sichtbares Phänomen das Auge des Beobachters zu fesseln. Die beiden im Ei vorhandenen Kerne setzen sich in Bewegimg und wandern langsam, doch mit wahrnehmbarer Geschwindigkeit, aufeinander zu, als ob sie sich gegenseitig anzögen (1—4, sk u. eik). Der durch das Spermatozoon neu eingeführte Samenkern verändert rascher seinen Ort; hierbei schreitet ihm die schon oben erwähnte P r o t o plasmastrahlung mit dem in ihr eingeschlossenen Centrosom voran und breitet sich dabei immer weiter in der Umgebung aus. Langsamer bewegt sich der etwas größere Eikern, der k e i n e e i g e n e S t r a h l u n g besitzt. — Beide Kerne treffen sich etwa eine Viertelstunde nach Beginn der Befruchtung nahe der Mitte des Eies, legen sich immer fester zusammen und platten sich an der Berührungsfläche gegenseitig so ab, daß der Samenkern dem etwas größeren Eikern wie eine kleine Kalotte aufsitzt (4 eik u. sk); schließlich verschmelzen sie vollständig untereinander zu einem Gebilde.«
In diesem mikrokosmischen Weltsystem vereinigt sich also die vom männlichen Organismus kommende Substanz, die von den ausstrahlenden Kräften des Licht- und Wärmeätherischen beherrscht ist, mit der vom weiblichen Organismus aufgebauten Substanz, die »keine eigene Strahlung besitzt«. Die Geburt eines neuen Organismus bedeutet also, daß in die von der einen Gruppe von Bildekräften geordnete Substanz die andere Gruppe, von Bildekräften hineinwirkt, die alte Struktur zerstört, chaotisiert, und dadurch eine Neuordnung der Struktur erzwingt, die dann die Entwicklung des neuen Organismus individuell bestimmt. Da weder der weibliche, noch der männliche Organismus seit der Geschlechtertrennung an einem Pol alle vier Bildekräfte vereint, so vermag keines der beiden Geschlechter einen neuen Menschen aus den eigenen Kräften heraus allein zu erzeugen, denn es bedarf der Synthese aller vier Bildekräfte, um einen ganzen Menschen zu schaffen. Je nachdem dann ein männlicher oder weiblicher Körper geboren wird, werden sich wiederum die vier Bildekräfte im Laufe der Entwicklung derart spalten, daß die einen Kräfte am unteren, leiblich-schöpferischen Pol, die anderen als freie Kräfte mehr am oberen geistig-schöpferischen Pol des werdenden Menschen tätig sind. Die »Erbsünde«, die Spaltung in zwei Geschlechter, wirkt fort in der Spaltung der ätherischen Bildekräfte und ihrer Funktion im Menschen. Wie ist diese Spaltung im Laufe der Genesis möglich geworden? Wenn wir den Zeitpunkt in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit 82
aufsuchen, wo die Spaltung eintrat, so werden wir verwiesen in die lemurische Epoche der Erden-Genesis (siehe Seite 28). Die lemurische Epoche ist ja diejenige, in der die Trennung des Mondes von der Erde stattfand, während vorher beide einen gemeinsamen Körper gebildet hatten. Dr. Rudolf Steiner sagt hierüber: »Da trat ein Ereignis ein, welches der ganzen Entwicklung eine andere Wendung gab. Alles was im festen Erdenstoffe zur bleibenden Verhärtung beitragen konnte, wurde ausgeschieden. Unser gegenwärtiger Mond verließ damals die Erde. Und was vorher unmittelbar in der Erde zur bleibenden Formbildung beigetragen hatte, das wirkte jetzt mittelbar in abgeschwächter Art vom Monde aus Dadurch trat in den leiblichen Menschengebilden eine Verschiedenheit auf, welche man als den Anfang der Trennung in ein männliches und weibliches Geschlecht bezeichnen muß. Die feinstofflichen Menschengestalten, die v o r h e r die Erde bewohnten, ließen durch das Zusammenwirken der beiden Kräfte in sich s e l b e r , des Keimes und der belebenden Kraft, die neue Menschenform, ihren Nachkömmling, hervorgehen. Jetzt bildeten sich diese Nachkömmlinge um. In der einen Gruppe solcher Nachkömmlinge wirkte mehr die Keimkraft des Geistig-Seelischen, in der anderen Gruppe mehr die belebende Keimkraft.« Betrachten wir diesen Vorgang vom Gesichtspunkte der Ätherlehre, so konnten wir ja zeigen, daß infolge des großen Umstülpungsprozesses der Bildekräfte-Sphären, insoweit er sich bis zur Iemurischen Epoche vollzogen hatte, das Wärme- und Lichtätherische die inneren Erdensphären erfüllte, und daß nun in der Iemurischen Epoche auch die andere Gruppe von Bildekräften begann, mehr und mehr in das Innere der Erde hineinzuströmen und die dort schon vorhandenen Substanzen und Kräfte der Erde gleichsam zu überwältigen. Wäre dieser Prozeß seinen geregelten Weg gegangen, so hätten die vier ätherischen Kräfte von nun ab in völliger Harmonie den ätherischen Leib der Erde und des Menschen durchsetzt. Durch dieses Eindringen der neuen, ganz andersartigen Kräfte (siehe Zeichnung Seite 28) wurde jedoch in den Licht- und Wärmeätherischen Kräften der Erde gleichsam eine Revolution hervorgerufen, wobei diese verdrängten Kräfte in solche Teile des Organismus der Erde und des Menschen eindrangen, die sie vorher nicht beherrscht hatten. Im Organismus der Erde führte dies einerseits zur Abtrennung des Mondes von der Erde, anderseits zu den bereits erwähnten Feuerkatastrophen. Im Organismus des Menschen führte es ebenfalls zu entscheidenden Veränderungen in der bisherigen Kräftestruktur. Denn die damals innerhalb der Erde verkörperte Menschheit nahm das Wärmeund Lichtätherische nicht einheitlich auf, sondern in einem Teil der Menschheit ergriffen diese Bildekräfte mehr die Substanz, ihr
die Kräfte des aktiven schöpferischen Strahlens einverleibend, in einem anderen Teil der Menschheit drangen diese Kräfte jedoch weniger in die substantiellen Prozesse hinein, sondern führten zu einem Durchkraften und Durchleuchten der Bewußtseinsprozesse, zu einer Aktivierung der geistig-seelischen Funktionen. Das verschiedene Aufnehmen der hereinbrechenden wärme- und hchtätherischen Kräfte durch die Menschheit im damaligen Entwicklungsstadium gab den Anlaß zur Entwicklung der verschiedenen ätherischen Struktur der zwei verschiedenen Geschlechter, und es ist eines der erhabensten Geheimnisse in der Schilderung der Evangelien verborgen, wenn die Trennung der Geschlechter als mit einem Wandel auch der Bewußtseinskräfte verknüpft dargestellt wird. Der vorher androgyne, eingeschlechtliche Mensch, der alle vier Bildekräfte in sich harmonisch wirksam hatte, wird von den neu hereinströmenden Wärme- und Lichtkräften überwältigt, welche die bisherige Harmonie zerstören; ein Teil der Menschheit läßt sie bis in die Substanz hineindringen und verwendet so die aktiven Schöpferkräfte zur physischleiblichen Produktivität. Insoweit diese Kräfte jedoch im Geistig-Seelischen wirksam werden, erfährt der Mensch dadurch eine Veränderung seiner Wahrnehmungsorgane und seines Bewußtseins. »Da wurden ihre Augen auf getan« (Genesis 3, 7). »Luziferische« Wesenheiten dachte sich die Menschheit von jeher als impulsierend hinter den Kräften der Zerspaltung, der Zweigeschlechtigkeit, des Sündenfalles, aber auch in der Aufhellung des Bewußtseins, in dem durchleuchteten Erkennen der Umwelt tätig. Nachdem er von den Kräften des »Baumes der Erkenntnis« genossen hat, verliert der Mensch die Harmonie der vier Bildekräfte in seinem ätherischen Leib, wird zweigeschlechtig, aber auch in seinen aktiven Erkenntniskräften durchleuchtet und verändert. Doch das Erstarken der einen Art von ätherischen Kräften verdrängt jeweils die anderen. Licht und Leben, die vorher zu einem von Bewußtsein durchleuchteten Lebensprozeß und zu einem lebendigen Licht, lebendiger Weisheit, im ätherischen Leibe des Menschen veranlagt waren, spalten sich nun, und es bleibt ihm nur ein vom Bewußtsein nicht mehr durchleuchteter Lebensprozeß, und ein von den Lebenskräften nicht mehr durchdrungenes Licht, eine tote Weisheit. Die eigentlichen Lebensprozesse im Organismus des Menschen sind ja seither nicht mehr vom Licht des Bewußtseins erhellt, sind versunken in das Unterbewußtsein. Die Sinnesorgane jedoch sind vom Licht des Bewußtseins durchzogen, vermögen aber nur mehr das Physisch-Leibliche wahrzunehmen, Licht und Wärme zu sehen und zu fühlen, jedoch nicht mehr das Lebensätherische zu schauen. Wir werden auf diese Zusammenhänge und deren zukünftige Perspektive noch im Kapitel XIII eingehen.
Luzifers, des »Phosphoros«, des »Lichtträgers« Werk ist es in der lemurischen Epoche, daß das Lichtätherische in falscher Weise die Harmonie aller Bildekräfte im ätherischen Leib des Menschen zerstört, das ihm sein Bewußtsein zwar gleichzeitig mit einem neuen Licht durchleuchtet, aber einem von den Lebenskräften getrennten Licht, einem toten Licht, einer toten Weisheit. So gibt es in der Menschheitsgeschichte einen »Sündenfall« der Kräfte des Leibes und einen »Sündenfall« des Geistes, der Kräfte des Denkens und Erkennens. Die Erkenntnis des Wirkens des Ätherischen ermöglicht es uns, dieses elementarste Geheimnis im Werden des Menschen zu verstehen aus der Entwicklung der Erde und der sie modellierenden Kräfte. Die Erlösung von den Folgen des »Sündenfalls« kann nur in einer harmonischen Vereinigung und Bewußtmachung aller ätherischen Bildekräfte im Geistigen des Menschen bestehen, dazu aber müssen wir sie kennen! Rudolf Steiner in »Der Hüter der Schwelle« (3. Bild): Maria zu Luzifer : »Du Träger jenes Lichtes, welches Liebe Im Dienst der Eigenheit nur halten will, Du hast im Erdbeginn den schwachen Menschen Erkenntnis schon verliehn, als sie von Göttern Bestimmt erst waren, ohne Eigenwille, Dem Geisteswillen unbewußt zu folgen. Seit jener Zeit sind alle Menschenseelen Der Ort, auf welchem Du mit Göttern kämpfst. Doch nahen schon die Zeiten, welche Dir Und Deinem Reich Verderben bringen müssen.«
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VIII. Kapitel. Aetnergeograpnie, Xvassen- und V ö l k e r k u n d e , V olksseelen-Lenre. Neben der elementaren Spaltung in ein männliches und ein weibliches Geschlecht, wirkt sich der Differenzierungsprozeß der Menschheit entwicklungsgeschichtlich immer mehr aus durch die Zersplitterung in Rassen, Völker, ja schließlich in eine immer stärker werdende Differenzierung jeder einzelnen Individualität. Es bleibt also zunächst zu untersuchen, inwiefern diese Verschiedenheiten von Rassen, Völkern usw. mit den Eigenschaften der Erde im betreffenden Gebiet, beziehungsweise mit Einwirkungen außerirdischer, kosmischer Kräfte zusammenhängen. Wir wollen dabei die beiden Extreme vermeiden, nach Art mancher allzu materialistischer Forscher die Ausbildung der charakteristischen Rassen- und Völker-Merkmale durch Betrachtung der materiellen Substanzen im betreffenden Erdgebiet deuten zu wollen, aber auch das andere Extrem vermeiden, die Rassen- und Völkerlehre unabhängig von ihren so wichtigen Zusammenhängen mit den geographischen Faktoren aufzubauen, sondern wir wollen im Sinne jener »Äthergeographie«, die wir im I. Bande als notwendige Unterlage für jede Völkerkunde, Volksseelen-Lehre forderten, versuchen, die konkreten Beziehungen zwischen den charakteristischen Unterscheidungs-Merkmalen der Rassen und Völker und den in ihrem Lebensgebiet wirksamen ätherischen Bildekräften der Erde und des Kosmos aufzuzeigen. Es ist eine eigenartige Erscheinung unserer Zeit, daß gerade in einer Epoche, wo die Probleme der Rassenzugehörigkeit, der Rassenzüchtung und der Rassenmerkmale aus der Gleichgültigkeit vergangener Jahrhunderte herausgezogen werden und täglich stärker in der öffentlichen Diskussion, ja sogar in konkreten Maßnahmen des politischen und staatlichen Lebens (Einwanderungsgesetze usw.) eine immer bedeutendere Rolle zu spielen beginnen, gerade gleichzeitig die bisherigen wissenschaftlichen Unterlagen für diese Probleme immer mehr ins Ungewisse zerfließen und die bisher fast dogmatisch starren Begriffe von den sogenannten »Rassenmerkmalen« in der neuesten Forschung 86
immer unhaltbarer werden. In dem Moment also, wo der Mensch sich plötzlich stark im öffentlichen Leben der Rassenprobleme bewußt werden will, entzieht sich ihm diese Erkenntnis mehr denn je, und je mehr die Forscher den heutigen Begriff »Rasse« festlegen wollen, umsomehr zerfließt er ihnen unter den Händen. So sagt z. B. W. Schmidt S. V. D. mit Recht in einem aktuellen Aufsatz über »Rasse und Volk« (Hochland 24ter J. Heft 4) bezüglich der Mißerfolge auf diesen Forschungsgebieten : »Die physische Anthropologie befand sich, besonders nachdem die Ethnologie neuerdings so bedeutungsvolle Fortschritte gemacht hatte, in einer recht unbefriedigenden Lage, ja in einer wirklichen Krise. So sorgfältig ihre Methoden besonders des Messens und Beschreibens der einzelnen körperlichen Merkmale auch durchgebildet wurden, so besonders in dem großen Lehrbuch von Rudolf Martin, immer wurden Kritiken laut, die nicht bloß ihre Zuverlässigkeit, sondern selbst ihre Ersprießlichkeit anzweifelten. Es wollte nicht gelingen, die bunte Mannigfaltigkeit der Menschen auf der Erde in allseitig anerkannte feste Gruppen einzuteilen, und selbst wenn das auch erreicht worden wäre, so bezöge sich das immer nur auf die gegenwärtige und höchstens auf die einige Jahrzehnte dahinter liegende Menschheit. Das Mittel der indirekten historischen Methode, das die Ethnologie sich geschaffen hat, um größere Zeittiefen zu erlangen, ist der Anthropologie jedenfalls in seinem vollen Umfang nicht zugängig, eben weil sie keine historische Geisteswissenschaft, sondern Naturwissenschaft ist. Wenn ihr die Prähistorik einigen Ersatz zu geben schien, so war dieser Ersatz nur höchst unvollkommen, da die alten Menschenreste, abgesehen von ihrer äußerst geringen Zahl und meist trümmerhaften Beschaffenheit, doch nur in einzelnen Knochen bestehen und nicht die Gesamtheit des vollen lebenskräftigen Körpers darstellen.«
Deshalb hatten wir eben von vornherein vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft und der Lehre von den ätherischen Bildekräften jener »physischen Anthropologie« eine »dynamische Anthropologie« (s. S. 71) gegenübergestellt. Eine geisteswissenschaftliche Anschauung dieser Probleme kann also nicht von der Betrachtung einiger prähistorischer Knochenreste ausgehen, sondern muß von vornherein jene Entwicklungsbedingungen verfolgen, die zur Modellierung des menschlichen Körpers durch den Ätherleib des Kosmos und der Erde (exogen) und den eigenen Ätherleib, Bildekräfteleib des Menschen (endogen) führten. Wir können also die Entwickelung des Menschen weder einseitig durch äußere Umstände, noch einseitig durch innere Kräfte und Entwickelungsgesetze der Gattung erklären wollen, sondern müssen das Zusammenspiel beider Faktoren verfolgen.*) Bei Besprechung der interessanten Arbeiten von E. Fischer über die »Rassenentstehung« entgegnet W. Schmidt mit Recht (Seite 414): »Denn nicht bloß die Entstehung der Rassen, sondern gleich die Entstehung des Menschen überhaupt, also die Entstehung eines ganz neuen und andersartigen Genus, wird hier lediglich auf äußere Umstände zurückgeführt: Übergang vom Urwaldleben zum Leben in der Savanne, von vegetabilischer (Früchte-)Nahrung *) Siehe hierzu auch Prof. Dr. R i c h a r d K a r u t z »Probleme der Völkerkunde« in »Gaa-Sophia« Jahrgang I, S. 327 ff u. a. O. 87
zur Fleisch-Nahrung, später Erfindung des Feuers, das sind einige der äußeren Umstände, die nach E. Fischer die gewaltige Umänderung eines höheren Affen in den Menschen hervorgebracht haben. Er faßt seine Ausführung selbst zusammen in die Worte: ,Die wirksamen Faktoren dieser gesamten Entwickelung waren, wie gesagt, die Änderung der Umwelt und die dadurch hervorgerufene Richtungsänderung und Steigerung der Auslese' (S. 122). Da aber die Auslese nur regelnde, nicht schöpferische Funktion ausübt, so bleibt also für letztere nur »die Änderung der Umwelt« übrig. Daß diese äußeren Faktoren geradeso die Rassen-Bildung herbeiführen konnten, wie sie die viel schwerere Aufgabe der Art-Bildung zustande gebracht haben, spricht wiederum E. Fischer ohne Bedenken aus: ,So ergibt sich also, dass mit der Menschwerdung fast gleichzeitig oder wenigstens sehr früh der Zerfall in Varietäten verbunden gewesen ist. Man kann geradezu sagen, Artbildung ist zugleich Rassenbildung. Es ist ganz ausgeschlossen, daß auf dem geographisch nicht ganz kleinen Raum, wo die Umbildung (zur Menschwerdung) erfolgte, die äußeren Faktoren immer ganz gleich wirkten . . ..' (S. 123). — Wenn also damals ,die Änderung der Umwelt', .die äußeren Faktoren', die erste Entstehung der Rassen bewirken konnten, wer vermöchte es dann zu leugnen, daß sie auch jetzt noch immer dazu imstande seien? Daß sie das später auch tatsächlich vermochten, dafür will ich hier nur ein Beispiel vorbringen. Sämtliche ethnologisch ältesten Völker weisen krauses Haar auf . . . . Alle diese Völker nun wohnen in der tropischen oder subtropischen Zone. Damit stimmt überein, daß auch das Kraushaar der späteren Rassen eben als Rassenmerkmal nur in der tropischen oder subtropischen Zone angetroffen wird und nie in der gemässigten oder kalten Zone. ,So bei den afrikanischen, melanesischen Negern. Damit wird offenbar, daß diese Haarform eine Funktion des warmen Klimas ist. Und in der Tat, die innere Eigentümlichkeit des Kraushaars besteht ja darin, daß es ein schwächeres Haar ist; es ist feiner und dünner und sein Querschnitt ist nur ellipsoid, deshalb eben ist es kraus, d. h. rankt es sich in Spiralen.... Die Auffassung, daß das Kraushaar eine Funktion des warmen Klimas ist, verstärkt sich aber auch durch die entgegengesetzte Tatsache, daß das Straffhaar, wie es sich bei den uralaltaischen, den paläoasiatischen, den tibetochinesischen und den indianischen Völkern findet, eine Funktion des kalten Klimas ist. Es ist nämlich ein dickeres, robusteres Haar; sein Querschnitt ist rund, und es behält deshalb seine gerade, schraffe Richtung. Damit wäre also erwiesen, daß ein Merkmal, das man gern — so auch E. Fischer — als erbliches und also konstantes Merkmal hinstellt, hervorgegangen ist aus einer entsprechend langen starken Einwirkung der Umwelt. So ließen sich auch zu anderen angeblich festen, Paravariationen nicht zugänglichen Rassen-Merkmalen noch allerlei Fragezeichen setzen, die das Geltungsgebiet derselben nicht unbedeutend einschränkten. Es ist notwendig, dies der jungen Wissenschaft besonders in ihren Anfängen immer auch nachdrücklich vorzuhalten, damit sie nicht auf Abwege gerät, die in der Folge umso verhängnisvoller werden müßten.«
Noch viel konsequenter geht K. F. Wolff in seiner »Rassenlehre«*) gegen allzu dogmatisch gewordene Merkmale der bisherigen Forschung vor, und — wenn wir auch in den Schlußfolgerungen, die er aus seinen Forschungsergebnissen zieht, nicht immer mitgehen können, — so ist doch vor allem z. B. die Zerstörung des Dogmas vom »Längen-BreitenIndex« als dem wesentlichsten Rassenmerkmal außerordentlich zu begrüßen. K. F. Wolff sagt hierüber in seiner »Rassenlehre« (Seite 2): »Die Hauptstütze der Rassenlehre bildet aber die Anthropologie und diese ist eine noch ganz unfertige, zum Teil sogar auf irrigen Bahnen sich bewegende Disziplin. Hier liegen die Fehlerquellen.... Die Anthropologie mit ihrem LängenBreiten-Index hat nicht nur das deutsche Volk, sondern auch die Arier auseinandergerissen und die Rassenforschung verwirrt. Wer hier Ordnung machen will, der muß zunächst daran gehen, das alte Dogma zu zerstören, wonach der Längen-Breiten*). K. F. Wolff: »Rassenlehre«, Verlag C. Kabitzsch, Leipzig 1927.
Index ein Haupt-Kriterium der Rasse sein s o l l . . . . Seitdem der alte Petrus Camper das Geheimnis der Menschenform durch seinen Gesichtswinkel zu ergründen gesucht hatte, ließ man von dem Bestreben nach exakter Unterscheidung der Menschenrassen nicht mehr ab — man suchte nach dem Hauptkriterium der Rasse. Ein unermüdlicher Forscher auf diesem Gebiete war Johann Blumenbach, der Göttinger Naturforscher, der das menschliche Kranium schon fast in moderner Weise zu betrachten und zu beurteilen pflegte. Von ihm zur Kraniometrie bedurfte es nur noch eines Schrittes. Diesen Schritt machte Anders Retzius im Jahre 1840. Indem er das Kranium in die Norma verticalis brachte und die Breite mit der Länge verglich, gelangte er auf exaktem, mathematischem Wege zu einer Verhältniszahl, dem sog. Längen-Breiten-Index. (Die Norma verticalis zeigt an, daß man den Schädel von oben betrachten müsse. Alsdann wird die Länge in der Richtung von der Stirn zum Hinterkopf, die Breite in der Richtung von Ohr zu Ohr gemessen. Der LängenBreiten-Index aber ist das Verhältnis der Breite zur Länge, ausgedrückt in Prozenten. Ein Längen-Breiten-Index von 80 will besagen, dass sich die Breite des betreffenden Schädels zu seiner Länge verhalte, wie 80 zu 100. Die gewöhnlichsten Längen-BreitenIndizes liegen zwischen 80 und 82. Köpfe mit höheren Indizes werden als brachykephal, solche mit niedrigeren Indizes als dolichokephel bezeichnet; beim Skelett sagt man brachykran und dolichokran. Allgemein gehaltene Bezeichnungen sind brachoid und dolichoid. Die deutschen Bezeichnungen .rundköpfig' oder ,kurzköpfig' für ,brachoid* und .langköpfig' für .dolichoid' wirken leicht verwirrend . . . . ) Die einfache Methode und das klare, unanfechtbare Ergebnis wirkten bestechend, ja geradezu blendend. Retzius ging sehr vorsichtig zu Werke: Er gab für die Dolichokephalie und Brachykephalie keine festen Grenzen an, auch legte er besonderen Nachdruck auf die Feststellung der Pragnathie und Orthognathie, offenbar weil er selbst fühlte, daß es mit dem Längen-Breiten-Index nicht getan sei. Aber seine Nachfolger vergaßen diese Zurückhaltung. Sie errichteten auf Grunf des einen Gedankens, den Retzius ihnen gegeben hatte, ein ungeheures System von Indizes und glaubten die Charaktere des Lebens durch starre Formeln und Ziffern mathematisch ausdrücken zu können. Immer verwickelter wurde die Kraniometrie, immer unklarer das anthropologische Ergebnis. Mit Recht, aber vergebens begannen große Forscher darüber zu klagen, daß die Anthropologie im Wust der Zahlen zu ersticken drohe. Das Ziel — ein Hauptkriterium der Rasse mittels der Meßinstrumente zu finden und mathematisch auszudrücken — wurde hartnäckig weiter verfolgt.« Wir kommen auf diese Fragen noch eingehend zurück und haben zunächst die Forscher absichtlich ihren Standpunkt etwas ausführlicher selbst aussprechen lassen, um nunmehr das Problem zunächst vom Gesichtspunkt der Bildekräftelehre, der »dynamischen Anthropologie« zu betrachten und dann von diesem Standpunkte aus die Forschungsergebnisse der letzten Zeit erneut zu beleuchten. Beginnen wir zunächst mit den exogenen Wirkungen, die durch den Ätherleib des Kosmos und der Erde auf die Rassenentstehung ausgeübt wurden. Ebenso wie die Trennung in ein männliches und weibliches Geschlecht, so hat auch die Differenzierung in Rassen nach den Angaben Dr. Rudolf Steiner's erst seit der lemurischen Epoche der Erdenentwicklung begonnen. Wir hatten ja im Kap. III, S. 32 gezeigt, daß sich in der auf die lemurische folgenden atlantischen Periode diejenigen Vorgänge abspielten, die in der biblischen Genesis geschildert werden. E. Sueß, der ja den Beginn seines geologischen Werkes auf die Vergleichung der großen Völkermythen und auch der biblischen Schöp-
fungsgeschichte mit den geologisch jetzt noch erforschbaren Tatsachen aulbaut, sagt über die biblische Darstellung das Folgende (S. 29): »Die biblische Darstellung besteht aus zwei von verschiedenen Berichterstattern verfaßten Aufschreibungen, welche, unter mehrfachen Wiederholungen und mit untergeordneten Abweichungen von einander, auf eine Weise veremigt sind, welche ihre Trennung nicht schwer macht. Sie unterscheiden sich in auffallender Weise dadurch, daß der eine Berichterstatter für die Gottheit den Namen Jahveh, der andere die Pluralform Elohim anwendet, sowie durch die Art der Darstellung selbst.« — Wir verdanken nun Dr. Rudolf Steiner die in diesem Zusammenhange äußerst wichtige Aufklärung, daß unter Elohim sieben Wesenheiten zu verstehen sind, welche früher auf der Sonne vereinigt waren, von denen sich aber 1 Elohim, und zwar Jahveh, getrennt und mit der Mondensphäre vereinigt hat, während die übrigen 6 Elohim im Sonnenbereich zurückblieben. Wir haben es also, wenn in der biblischen Genesis einmal im Singular von »Jahve«, einmal in der Pluralform von den »Elohim« gesprochen wird, bei Jahve mit einer Schilderung der Vorgänge vom Gesichtspunkte der Monden wirkungen, bei den Elohim vom Gesichtspunkte der SonnenWirkungen zu tun. Wir hatten nun in Anlehnung an die geologischen Vorgänge (Seite 71) die Aufgaben einer »dynamischen Anthropologie« dahin formuliert: Trotz ihrer außerordentlichen Mannigfaltigkeit läßt sich die Gesamtheit der im Menschen stattfindenden Vorgänge naturgemäß in zwei Gruppen bringen, nämlich 1) die endogenen oder innermenschlichen Erscheinungen, die durch Kräfte hervorgerufen werden, die ihren Sitz und Ausgangspunkt im Inneren des menschlichen Organismus haben, und 2) die exogenen oder kosmischen, die ihren Ursprung außerhalb des Menschen, in der Erde oder im Kosmos, namentlich auf der Sonne und dem Monde haben, und durch die Wirksamkeit der planetarischen Sphären und der irdischen Umwelt modifiziert und differenziert werden. — Wir werden also beim Aufsuchen der Ursachen für die Differenzierung nach Rassen und Völkern sowohl die Einflüsse der Erdenkräfte, als auch diejenigen von Sonne und Mond, sowie deren Modifizierung durch die planetarischen Kräftesphären, zu bestimmen haben. In seinem Vortragszyklus über »Die Mission einzelner Volksseelen« macht Dr. Rudolf Steiner hierüber fundamental wichtige Angaben, die wir nunmehr mit der im Vorigen dargestellten Ätherlehre in Beziehung setzen wollen. Über die Verteilung des »Spektrums« der Bildekräfte über die Erdoberfläche hatten wir im Vorigen schon eingehender gesprochen, so daß wir uns zunächst der Betrachtung derjenigen außerirdischen, 90
kosmischen Einflüsse zuwenden wollen, die diese Erdenkräfte modifizieren. Dieser Einfluß kann im Wesentlichen zunächst ein zweifacher sein: 1) Indem die aus dem Kosmos in die Erdatmosphäre eindringenden Strahlenwirkungen ihre Einflüsse auf den auf der Erdoberfläche lebenden Menschen von oben direkt ausüben, oder 2) indem sie von der Erde reflektiert werden und den Menschen somit von unten durchstrahlen. Dr. Rudolf Steiner unterscheidet nun zunächst wesentlich eine fünffache Gliederung der Menschheit nach Rassen. Und zwar ist diese Differenzierung bedingt durch die fünffache Modifikation der Sonnenund Mondenwirkungen, die auf diese durch die Kräftesphären von Saturn, Jupiter, Mars, Merkur und Venus ausgeübt wird. Diese Beeinflussung des Menschen wird jedoch auf den verschiedenen Kontinenten der Erde durch jene Kräfte in ganz verschiedenen Lebensstadien auf ihn ausgeübt. Während auf dem a f r i k a n i s c h e n Kontinent die aus dem Erdboden heraufstrahlenden Kräfte auf die sich dort entwickelnden Rassen ihre Einflüsse nur in den ersten Stadien der Entwicklungskindheit geltend machen konnten, wurde auf dem a s i a t i s c h e n Kontinent der Einfluß der dortigen Kräfte am intensivsten dem menschlichen Organismus in der späteren Jugendzeit, auf dem e u r o p ä i s c h e n Kontinent im Entwicklungsstadium des mittleren Lebensalters, auf dem a m e r i k a n i s c h e n Kontinent erst nach dem mittleren Lebensalter eingeprägt. Das sich entwickelnde Menschenwesen wurde also in Afrika in seiner Kindheit, in Asien in der Jugend, in Europa in der mittleren Lebensperiode, in Amerika im Alter von den Kräften des Erdbodens am intensivsten beeinflußt. Amerika (spät. Alter)
Europa (mittl. Lebensalter)
O
O
x
Asien O (Jugend)
o
*
Afrika (Kindheit)
Für die Rassen und Völkerschaften bedeutet somit in diesem Sinne ein Zug nach Osten eine Verjüngung, ein Zug nach Westen eine Reifung, beziehungsweise ein Altern. Es sei hier auf das Ausdrücklichste auf dasjenige hingewiesen, was Dr. Rudolf Steiner bei diesen Angaben 91
betont: »Es bezieht sich dies nur auf den Menschen, insofern er von den physisch-organisatorischen Kräften abhängig ist, von den Kräften, die nicht sein Wesen als Mensch ausmachen, sondern in denen er lebt« u. a. o. »daß allerdings notwendig ist zum vorurteilslosen Eindringen in die Tatsachen, welche dieser Betrachtung zugrunde liegen» ein gewisses Sich-hinweg-setzen über alles dasjenige, was sonst leicht an Gefühlen, an Empfindungen den Menschen gerade von jener Seite her durchdringt, die wir jetzt objektiv charakterisieren müssen. So lange man noch irgendwie geneigt ist, eine objektive Charakteristik dieser oder jener Rasse, dieses oder jenes Volkstums oder dergleichen, persönlich zu nehmen, so lange wird ein vorurteilsfreies Verständnis der Tatsachen schwer zu erreichen sein. Damit hängt es auch zusammen, daß über diese Dinge auf keinem anderen Boden als auf dem Boden der Geisteswissenschaft gesprochen werden kann. Denn was man auch hören mag über die Charaktere dieses oder jenes Volkstumes und wie sehr man auch deshalb, weil man doch innerhalb einer Rasse, innerhalb eines Volkstums steht, in seinen Empfindungen, Gefühlen usw. dabei sein könnte, man hat ein genügendes Gegengewicht in den Wahrheiten der Geisteswissenschaft, um es in die andere Wagschale zu legen. Das ist die wirklich verstandene Lehre von dem Karma und der Reinkarnation. Sie bietet uns ja einen Ausblick darauf, daß wir mit dem innersten Kern unseres Wesens in den aufeinander folgenden Zeiten in den verschiedensten Rassen, in den verschiedensten Völkern inkarniert werden. So können wir also gewiß sein, wenn wir diesen Kern unseres Wesens schauen, daß wir mit ihm teilnehmen werden nicht nur an den Sonnen- oder vielleicht auch Schattenseiten aller Rassen, aller Volkstümer, sondern wir können gewiß sein, daß wir in unserem innersten Wesen aufnehmen Beitrag auf Beitrag der Segnungen alier Rassen und Volkstümer, indem wir einmal da, einmal dort inkarniert werden.... Es wird unser Bewußtsein, unser Horizont weiter, umfassender durch diese Ideen von Karma und Reinkarnation. Deshalb lernen wir erst durch sie dasjenige ertragen, was in unserer Gegenwart über die Geheimnisse der Rassen- und Volkszusammenhänge vor unser geistiges Auge treten muß. So wird denn gerade durch das in dieser Betrachtung Abgehandelte, wenn es richtig erkannt wird, ein Unbefriedigtsein über das Inkarniertwerden in diesem Volke oder jener Rasse nicht in uns hineingebracht werden können. Eis wird aber trotzdem ebenso in die Menschheit durch ein solches objektives Anschauen der menschlichen Volks- und Rassencharaktere Unfrieden und Disharmonie hereingebracht werden können, wenn es nicht mit den angedeuteten Voraussetzungen aufgenommen wird. Doch man wird durch die Lehre von Karma und Reinkarnation lernen, wie jedes — und sei es auch das kleinste Volk — seinen Beitrag zu liefern hat zu der Gesamtentwickelung
der Menschheit. Das wird gerade das Bedeutungsvolle sein, daß gezeigt werden wird, wie die einzelnen Einflüsse der Völkermissionen in die Gesamt-Menschheit einfließen, und wie sogar einzelne Volkssplitter, die da und dort in die großen Volksmassen zerstreut sind, ihre Bedeutung haben in der Gesamtharmonie der Menschheitsevolution.« Wie nun die Erdenkräfte auf den verschiedenen Kontinenten in unterschiedlicher Weise durch die außerirdischen, kosmischen Kräfte modifiziert werden, so sind auch die sich neben- und nacheinander entwickelnden Rassen durch diese Kräftewirkungen differenziert worden, und zwar die ä t h i o p i s c h e Rasse, z. B. Neger, durch die Strahlungen der Kräftesphäre des M e r k u r , die m a l a y i s c h e Rasse durch die Strahlungen der Kräftesphäre der V e n u s , die m o n g o l i s c h e des M a r s , während in Europa die a r i s c h e Rasse den J u p i t e r - , auf dem amerikanischen Kontinent die aussterbende i n d i a n i s c h e Rasse den Saturn-Wirkungen zuzuschreiben ist. Wenn wir diese Tatsachen mit der eingangs dargestellten Verteilung der verschiedenen ätherischen Bildekräfte in den planetarischen Sphären in Beziehung setzen (siehe Seite 6), so ergibt sich für die einzelnen Rassen das Folgende: Wir sehen, daß z. B. in denjenigen Gebieten der Erde, die nach dem ätherischen Spektrum vom Lichtätherischen vorwiegend beherrscht sind, d. h. Zentralasien und Ost-Europa, den Lichtäther-Gebieten der E r d e , die hauptsächlichsten Entwicklungsstätten von zwei Rassen zu finden sind, die nun in ihrer Entwicklung auch besonders den Einflüssen solcher p l a n e t a r i s c h e r Sphären zugänglich sind, die ebenfalls vom Lichtäther beherrscht werden, so daß sich also irdische und kosmische Kräfte in der wunderbarsten Harmonie ergänzen. Und zwar ist die Entwicklung der arischen Rasse beeinflußt von den Jupiterkräften, d. h. desjenigen Planeten, der im ä u ß e r e n Planetenbereich dem Lichtäther zugeordnet ist (siehe Seite 6), die malayische Rasse von Venus, d. h. demjenigen Planeten, der im i n n e r e n Planetenbereich als einziger ebenfalls gerade von diesen Bildekräften beherrscht ist. Hier erkennen wir eine wichtige gegenseitige Ergänzung kosmischer und irdischer Kräfte: In den vom Lichtätherischen am intensivsten durchwirkten Gebieten der Erde, in Zentral-Asien, in Ost-Europa, vor allem den Gebieten um die Ostsee (siehe Seite 94), ist die Entwicklungsstätte zweier Rassen, von denen die eine, die arische, den gleichen kosmischen Kräften im ä u ß e r e n Planetenbereich, die andere, die malayische, den gleichen im i n n e r e n ihre besondere Kräftestruktur verdankt (siehe Schema Seite 95). Während jedoch die malayische Rasse ihre weitere Entwicklung im gleichen Erdgebiet fortsetzt, strahlt die arische Rasse in einem bestimmten Entwicklungsstadium auch westwärts aus, um zu den sie beherrschenden irdischen und kosmischen Kräften hinzu noch mehr 93
Das Spektrum der Bildekräfte der Erdoberfläche. Das ätherische Spektrum der Erde.
von den erdenhafteren Kräften des Westens aufzunehmen. Sie wandert gleichsam aus den lichteren, erdenfremderen Gebieten des ätherischen Spektrums der Erdoberfläche hinüber in die dunkleren, erdenhafteren Gebiete, damit beide Kräftewirkungen sich harmonisch ergänzen. Orientalische und okzidentalische Kulturen entsprangen aus diesen schicksalsvollen Ereignissen. Eine herrliche Weisheit liegt in solchen großen Völkerwanderungen über die Erde hin. Gehen wir von den Kulturzentren Mittel - Asiens nach Osten, so kommen wir in das Gebiet einer Rasse, der m o n g o l i s c h e n , bei der zwar die ätherischen Erdenkräfte Asiens auch durch die Kräfte einer außersonnigen Planetensphäre ergänzt werden, aber durch denjenigen Planeten, der die allgemeinen Eigenschaften der äußeren Planetensphären am stärksten im Sinne einer Verdichtungstendenz modifiziert, nämlich den Mars (siehe Tabelle S. 6/11). Und man kann völkerkundlich gewiß sagen, daß die mongolischen Rassen zwar die Eigenschaften der übrigen asiatischen Rassen zeigen, aber unter diesen am stärksten einen zum erdenhafteren hin verdichteten, verhärteteren Typus darstellen, sowohl völkerpsychologisch, als auch bis ins Physisch-Leibliche hinein. Wie die planetarischen Kräfte der Marssphäre die licht- und wärmeätherischen Bildekräfte des »äußeren« Planetenbereichs durch die Verdichtungstendenzen des Chemischen Äthers modifizieren (siehe S. 6/11), so spiegelt sich diese eigenartige Kräftestruktur auch in der seelischen und leiblichen Struktur der irdischen »Mars-Rasse«, der mongolischen Rasse D i e irdischen und kosmischen ätherischen Jx.rälte u n d die D i l l e r e n z i e r u n g n a c h R a s s e n .
Rasse
Entstehungsstätte (s. S.99ff.)
Indianische
Atlantis
Arische
Atlantis
Malayische
Lemuria
Mongolische
Atlantis
WesentErdenkräfte lichste (gem. äther. Entwicklungsstätte Spektrum S.94)
Planetenkräfte (gem. Sphärentabelle S. 6)
Amerika
Lebensäther der Wärmeäther (Saturn) Erde(höchste Verdichtung) Nord-Ost- Lichtäther der Lichtäther der äusseren Sphäre Europa Erde (Jupiter) Lichtäther der Lichtäther der Asien Erde i n n e r e n Sphäre (Venus) Asien Wärmeäther der Chemischer Äther Erde (Mars)
Schauen wir jedoch in entgegengesetzter Richtung nach den westlichsten Gebieten des amerikanischen Kontinentes, so finden wir dort diejenige Rasse, welche den zu starken Verdichtungs-, den Absterbens-
Prozessen unterliegt, und im Gegensatz zu den lichtdurchwobenen malayischen und arischen Rassen, von den düsteren Kräften der Saturnsphäre tingiert ist: die indianische Rasse, die mehr und mehr diesen Zermürbungs- und Zerfalls-Kräften unterliegt. Noch einmal sei hier betont, daß es sich bei dieser Darstellung von objektiven Tatbeständen niemals um ein Urteil, eine Wertung, sondern immer nur um Charakterisierung geschichtlicher Entwicklungs-Tatsachen handeln kann. In einem zerfallenden Körper kann vielleicht manchmal eine edlere Seele wohnen, als im jugendlich-aufsprießenden. Wir dürfen hierbei auch nicht vergessen, daß diese irdischen und kosmischen Einflüsse ihre intensivste Wirkung ausübten bei der früheren Entwicklung der Menschheit nach Rassen. Damals war die Wirkung der Erdenumgebung auf den Menschen noch viel eingreifender als später, wo mit der zunehmenden Individualisierung sich der Mensch mehr und mehr in seiner Eigenheit gegenüber äußeren Einflüssen behaupten kann. Während also diese von außen modellierenden Kräfte am stärksten in der Zeit der frühen Rassenausbildung unmittelbar am menschlichen Organismus tätig waren, ging diese Wirkung später mehr und mehr in die Vererbungsströmung über, so daß z. B. eine Rasse, die von dem Gebiete ihrer früheren Entwicklung nach einem anderen Erdgebiete ausgewandert ist, durch die Vererbungslinie im Wesentlichen noch in sich die Signatur der Kräfte trägt, die bei der vorherigen Ausbildung dieser Rasse im anderen Erdengebiet ihr das Gepräge gaben. In diese vererbte Struktur wirken selbstverständlich die irdischen Kräfte des neubesiedelten Erdbodens mitbestimmend hinein, werden jedoch durch die in der Vererbungsströmung fortgetragene Struktur wesentlich modifiziert. Eines der wichtigsten Beispiele hierfür ist der heutige Nord-Amerikaner, der alle Merkmale der arischen Rasse aus der Licht-Heimat Europas und des Ostens hinüber gebracht hat auf den amerikanischen Kontinent, der von sich aus die verfestigenden Kräfte der Erde am intensivsten ausstrahlt. Der nordamerikanische Typus ist ein charakteristisches Beispiel für ein
solches Zusammenwirken von inneren und äußeren Bildekräften. In diesem Lichte gesehen gewinnen die großen Wanderungen der Rassen und Völker über die Erdoberfläche einen wunderbaren neuen Sinn. Denken wir uns noch einmal ausgebreitet über diese Erdoberfläche das ätherische Spektrum der Bildekräfte, dem SonnenSpektrum vergleichbar. Lichte, verjüngende, aber auch erdenfremde Kräfte im Osten; dunklere, aber auch festigende, für irdische Aufgaben stärkende, erdenverbindende Kräfte im Westen; Kampf und Ausgleich der Polaritäten in der Mitte. Wir wissen, daß auch in den anderen Naturreichen die Lebewesen selektiv auf die verschiedenen Farben und Strahlen des Spektrums 96
reagieren. So ändert die Pflanze ihren Atmungsrhythmus, ihre Wurzelbildung, ihren Blütenprozeß, je nach dem, ob sie mehr von den blauvioletten, oder den rot-gelben Farben des Spektrums berührt wird. So streben manche Tiere, wenn sie den Strahlen des helleren Teiles des Spektrums ausgesetzt werden, zu diesem hin, andere von ihm fort, einige sterben in den Strahlen des dunkleren Teiles, andere suchen ihn auf zu ihrer Entwicklung oder Ergänzung. Darum erzählen uns die Wanderungen der Rassen und Völkerschaften auf der Erdoberfläche von der erhabenen Menschheitsführung, die nun bewußt die einzelnen Glieder der Menschheit in jene Kräftesphären hineintauchen läßt, deren sie zu ihrer Entwicklung, Erkraftung, Ergänzung, in einem bestimmten Entwicklungsstadium gerade bedürfen. So wandern die Teile der Menschheit, die Rassen und Völker, die doch nur gemeinsam das Ganze der Menschheit ausmachen, in der Geschichte einmal hinüber nach Osten, um dort verjüngende Licht- und Wärmekräfte einzusaugen und eine Zeitlang entfesselt zu werden von den starken Armen, durch welche die Erde mit ihren Anziehungskräften das Menschengeschlecht immer fester an sich zu ziehen bestrebt ist. Doch wenn die verjüngenden, erleichternden Kräfte ihr Werk im Ummodellieren dieser Menschengruppe getan haben, ja, wenn die Gefahr der Erdenfremdheit, der Erdenuntüchtigkeit droht, dann wandert diese mit ätherischen Lichtkräften gesättigte Menschheitsgruppe wiederum westwärts, taucht unter in die erdenhafteren Teile des ätherischen Spektrums, stark genug um sich ihren Erdenaufgaben zu widmen, ohne den allzu starken Armen der Erde zu unterliegen; bis vielleicht die Entwicklung dieser Menschengruppe eine neue Wanderung in andere Erdengebiete erfordert, um sich durch neue Kräfte wiederum zu erstarken und zu ergänzen. Einen herrlichen Einblick in das Walten einer weisheitsvollen Menschheitsführung gewährt uns die überschau über die großen Wanderungen der Rassen und Völker in dem ätherischen Spektrum der Erde. Dies ist zunächst das Gesetz, wie es der geistigen Führung des Menschen und der Menschheit entspricht und sich aus den geschichtlichen Tatsachen bestätigt. Betrachten wir nun den geschichtlichen Verlauf im einzelnen. Bevor wir auf die Entstehung des Menschengeschlechtes in sogenannten prähistorischen Zeiten eingehen, wollen wir zunächst mit jenem Zeitpunkt beginnen, wo die deutliche Gliederung in Rassen wirksam wird. Wir hatten bereits darauf hingewiesen (Seite 89), daß dies erst mit der lemurischen Epoche begann. Nach den Forschungen Dr. Rudolf Steiners wohnte jene lemurische Menschheit auf einem seither zum größten Teil verschwundenen Erdteil, dessen Hauptgebiet südlich vom heutigen Asien lag. Er sagt hierüber in seiner Schrift »Unsere atlantischen Vorfahren« (Seite 19): »Nachdem diese lemurische Menschheit durch verschiedene Entwicklungsstufen durchgegangen W a c h s m u t h , Äther. Büdekrafte.
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war, kam der größte Teil in Verfall. Er wurde zu verkümmerten Menschen, deren Nachkommen heute noch als sog. wilde Völker gewisse Teile der Erde bewohnen. Nur ein kleiner Teil der lemurischen Menschheit war zur Fortentwickelung fähig. Aus diesem bildeten sich die Atlantier. — Auch später fand wieder etwas Ähnliches statt. Die größte Masse der atlantischen Bevölkerung kam in Verfall, und von einem kleinen Teil stammen die sog. Arier ab, zu denen unsere gegenwärtige Kultur« menschheit gehört. L e m u r i e r , A t l a n t i e r und A r i e r sind W u r z e l rassen der Menschheit. Man denke sich zwei solcher Wurzelrassen den Lemuriern vorangehend und zwei den Ariern in der Zukunft folgend, so gibt das im ganzen sieben. Es geht immer eine aus der anderen in der Art hervor, wie dies eben in bezug auf Lemurier, Atlantier und Arier angedeutet worden ist. Und jede Wurzelrasse hat physische und geistige Eigenschaften, die von denen der vorhergehenden durchaus verschieden sind. Während z. B. die Atlantier das G e d ä c h t n i s und alles, was damit zusammenhängt, zur besonderen Entfaltung brachten, obliegt es in der Gegenwart den Ariern, die D e n k k r a f t und das, was zu ihr gehört, zu entwickeln. — Aber auch in jeder Wurzelrasse selbst müssen verschiedene Stufen durchgemacht werden. Und zwar sind es immer wieder 7. Im Anfange des Zeitraumes, der einer Wurzelrasse zugehört, finden sich die Haupteigenschaften derselben gleichsam in einem jugendlichen Zustande; und allmählich gelangen sie zur Reife und zuletzt auch zum Verfall. Dadurch zerfällt die Bevölkerung einer Wurzelrasse in 7 U n t e r r a s s e n . Nur hat man sich das nicht so vorzustellen, als ob eine Unterrasse gleich verschwinden würde, wenn eine neue sich entwickelt. Es erhält sich vielmehr eine jede noch lange, wenn neben ihr sich andere entwickeln. So leben immer Bevölkerungen auf der Erde nebeneinander, die verschiedene Stufen der Entwickelung zeigen.« Wir hatten im Kapitel III Seite 32 gezeigt, wie durch die Umstülpung der ätherischen Sphären der Erde immer neue Bildekräfte in das Innere der Erde eindrangen und dadurch jene großen FeuerKatastrophen am Ende der lemurischen Epoche ausgelöst wurden (siehe Abb. Seite 28). Dr. Rudolf Steiner sagt hierüber: »Durch die Feuerstürme ging ein großer Teil der damals bewohnten Erde zugrunde und mit ihm die Menschen. Nur der kleinste Teil . . . konnte sich auf ein Gebiet der Erde retten, das bis dahin geschützt war vor dem verderblichen menschlichen Einflüsse. Als ein solcher Wohnplatz, der sich für die neue Menschheit besonders eignete, stellte sich das Land heraus, das auf dem Flecke der Erde war, der gegenwärtig vom atlantischen Ozean bedeckt wird. Dorthin zog sich der am reinsten vom Irrtum gebliebene Teil der Menschen zurück. Nur versprengte Menschheitsglieder bewohnten andere Gegenden. Im Sinne der Geisteswissenschaft kann man das Erdengebiet zwischen dem gegenwärtigen
Europa, Afrika und Amerika, das einstmals bestanden hat, »Atlantis« nennen . . . . . Die Entwicklung im atlantischen Gebiet war die Zeit der eigentlichen Sonderung in Saturn-, Sonnen-, Jupiter- und MarsMenschen. Vorher wurden dazu eigentlich erst die Anlagen entfaltet.« Die Venus- und Merkur-Rassen, Malaien und Neger (siehe Seite 93) waren zum Teil unmittelbar vom alten lemurischen Kontinent nach Asien und Afrika hinüber gestrahlt und hatten sich dort ausgebreitet, während die Saturn-, Sonnen-, Jupiter- und Mars-Rassen ihre Anlagen auf dem atlantischen Kontinent zunächst zur Entfaltung brachten, bis sie durch die atlantische Katastrophe auch von diesem untergehenden Kontinent vertrieben wurden. Wir müssen also 7 Wurzelrassen annehmen, von denen jede wiederum in 7 Unterrassen zerfällt. Für die atlantischen Unterrassen, welche dann in den großen Völkerwanderungen nach Ost und West die bedeutendsten Rollen spielten, wählte Dr. Rudolf Steiner die in folgender Gliederung zugrunde gelegten Bezeichnungen:
1. Wurzelrasse 2. »» 3. Lemurier „ 4. Atlantier »» 5. >» 6. »» 7.
1. Unterrasse Rmoahals Tlavatli 2. Tolteken 3. Ur-Turanier 4. Ur-Semiten 5. Ur-Akkader 6. Ur-Mongolen 7.
Es ist nun außerordentlich wichtig, sich über die Ausstrahlungspunkte der Rassen auf der Erde völlige Klarheit zu schaffen, da hierüber die Ansichten der Rassenforscher so verschieden sind, daß nahezu ein jeder eine andere Hypothese verficht. So sagt einer der bekanntesten amerikanischen Rassenforscher, Madison Grant: »In der Tat war aller Wahrscheinlichkeit nach Tibet und der westliche Himalaya das Ausstrahlungsgebiet für alle Rundschädel der Welt,« und K. F. Wolff hält ihm entgegen: »Das kann man doch nur so verstehen, daß die Brachykephalen ursprünglich alle e i n e r Rasse angehört hätten, wie auch Felix von Luschan glaubte. Aber auf Seite 35 bespricht Grant (im Sinne der alten Systematik) die drei europäischen Rassen, die nordische, die alpine und die mediterrane, und stellt fest: ,daß die drei europäischen Unterarten Abteilungen einer der ursprünglichen Gruppen oder Spezies des Genus homo sapiens sind, die wir zusammenfassend mangels eines besseren Namens die kaukasische nennen können.4 — Also einmal gehören die Alpinen mit Rücksicht auf ihre Brachykephalie zu den hochasiatischen Mongolen, ein andermal, wegen ihrer 99
kaukasoiden Charaktere, zu derselben Urgruppe wie die Nord-Europäer und Mediterranen. Das ist eine Einteilung nach zwei unvereinbaren Kriterien und somit logisch ganz verfehlt.« K. F. Wolff selbst nimmt drei Hauptrassen an (»Rassenlehre« Seite 137): »Die drei Hauptrassen sind die arische, die semitische und die mongolische. Jede hat eine oder mehrere kleinwüchsige Nebenrassen, gleichsam Trabanten, die mit ihr gehen und ihr Schicksal teilen. Diese Nebenrassen können ältere Formen sein, mißglückte Anläufe zur Bildung der Hauptform, oder spätere Abzweigungen, die sich in einem ungünstigen Isolationsgebiete irgendwie spezialisieren mußten — immer aber streben sie zur Hauptform hin, mit der sie das eigentliche Ursprungsgebiet, den Schöpfungsherd, gemeinsam haben. Wie bereits des näheren erörtert wurde, liegt der Schöpfungsherd der Arier im Norden Europas und jener der Semiten in Syrien-Arabien, während jener der Mongolen auf dem Boden Chinas zu suchen sein
wird.
Von diesen Schöpfungsherden geht die Ausbreitung der Rassen vor sich, und zwar unter Führung der betreffenden Hauptrasse. Dabei ist zu beachten, daß die Ausbreitungswellen aus geographisch-physikalischen Gründen bestimmte Bahnen einhalten, die von ihnen immer wieder mit Notwendigkeit gewählt werden. Dies ist die Wiederholung der Wanderwellen. So waren z. B. die Angriffslinien der Mohamedaner gegen Europa genau dieselben, die sich für die prähistorische Ausbreitung der Südleute erschließen lassen. Jede Ausbreitung hat ihren Grund in einer furchtbaren Not oder in einer von der Hauptrasse geschaffenen neuen geistigen Bewegung; meist wird aber diese auch wieder aus einer Notlage hervorgehen . . . Jede Hauptrasse hat das Bestreben, sich radial nach allen Seiten auszudehnen und ihre Nebenrassen mitzuschleppen. Dabei begegnen sich die Ausstrahlungen aus den drei Schöpfungsherden, kreuzen ihre Wege und geraten miteinander in Kampf. Dieser Kampf ist am härtesten in_ Europa; hier ringt die arische Rasse mühsam um ihre Ausbreitung, während die arideren Europa zu erobern trachten. Von den Wanderwegen der Europäer ist zunächst der sibirische bemerkenswert; hier sind Hyperboräer und Ario-Primitive bis an den Stillen Ozean vorgedrungen, wo sie heute noch als Aino und Verwandte einen scharf ausgeprägten ethnographischen Kreis von nichtasiatischem Charakter bilden. Ein zweiter europäischer Zug ist nach Hoch-Asien gelangt, wo map allenthalben blonden Menschen begegnet, die sich zwar mit den Asiaten innig vermischt haben, aber ihren europäischen Ursprung doch nicht verleugnen können. Diese blonden sind meist brachoid, doch dürfte die Brachykephalie von der asiatischen Komponente herzuleiten sein; handelt es sich doch um Gebiete, in welchen Armenoide und brachykephale Mongolen den Grundstock der Bevölkerung bilden. Ein dritter Strom von Europäern hat sich am Kaukasusgebirge vorbei über Iran nach Indien ergossen. Die älteste Welle dieses Stromes dürfte schon in der Pliozänzeit abgerollt sein und Australien erreicht haben, das damals noch durch Landbrücken mit Hinter-Indien verbunden war. Sowohl die Australier als auch die Wedda und andere alte Wildvölker Süd-Ost-Asiens zeigen deutliche Beziehungen zu den Rassen Europas. Die späteren Wellen des in derselben Richtung flutenden europäischen Wanderstromes haben dann nur noch Indien erreicht; hier sind die mit den Aino verwandten Toda hervorzuheben. Die letzte Welle war dann die arisch-indo-germanische. So große Bedeutung diese in ethnologischer Hinsicht erlangt hat — in anthropologischer Hinsicht ist jetzt wohl auf dem Boden Indiens das arische Blut schon fast ganz verschwunden. Nur in den Bergen Vorderasiens konnten sich arische Splitter (als Kurden) teilweise unvermischt erhalten. Endlich läßt sich ein europäischer Zug nach Westen erkennen; seefahrende Nordleute sind wiederholt (und zwar schon offenbar in der ältesten Zeit) über Island nach Grönland oder direkt nach Nord-Amerika gelangt. Darauf deuten gewisse hohe Nasenformen der Indianer dieser Gegend. Ferner spricht für wiederholte Einsickerung europäischen Blutes eine Eroberer-Bewegung, die von Nord-Osten 100
nach Süd-Westen (von Labrador nach dem Golfe von Mexiko) geht, während sich die pazifische Küste Nord-Amerikas hinter dem_ hohen Felsengebirge durch ihre uralten, gleichsam erstarrten Kulturformen als ein totes, vergessenes, unberührtes Isolationsgebiet zu erkennen gibt. Aus dem Ostasiatischen Schöpfungsherde haben sich die Mongolen quer durch Asien bis nach Ost-Europa ergossen . . . . Der seltsamste mongolische Wanderstrom ist aber jener, der über Hinter-Indien nach Madagascar zielt. Er scheint in grauer Vergangenheit eine Vorläuferwelle vorausgeschickt zu haben, die bis Afrika ging, denn die hier sitzenden Buschmänner kann man trotz ihrer starken Spezialisierung nur an das Mongolentum anknüpfen, mag auch ihre Abzweigung noch früher erfolgt sein als jene der Indianer.«
Zu letzterem Problem möchten wir sogleich bemerken, daß sich diese »Vorläufer-Wellen aus grauer Vergangenheit«, welche in Madagascar und Afrika anzutreffen sind, aus einer Mischung der vom alten lemurischen Kontinent ausgestrahlten Rassen mit jenen vom späteren atlantischen Kontinent Eingewanderten verstehen lassen (siehe unsere Karte Seite 108). Es ist ja deshalb so außerordentlich schwierig, über die Entstehung der Rassen mit den heutigen historischen Methoden etwas aussagen zu wollen, weil eben diese Rassen-Entstehungen und auch die ersten wichtigsten Wanderungen über die Erde in Zeiten stattgefunden haben, zu denen die heutige historische Methode unmöglich vordringen kann, noch jemals vordringen wird. Denn der Forscher muß sich selbst sofort gestehen (Wolff Seite 41): »daß historische Argumente in der Anthropologie vollkommen versagen. Historische Ereignisse haben das Rassenbild Europas nicht nennenswert verändern können« u. a. 0 . : »Es ist eines der sichersten Ergebnisse der Anthropologie und Altertumsforschung, daß die heutige Verteilung der Menschenrassen über die bewohnte Oberfläche der Erde, besonders in Europa und den angrenzenden alten Kulturgebieten ein sehr hohes Alter besitzt und eine außerordentliche Beständigkeit zeigt.« Die bedeutendsten Rassenforscher bekennen sich zu dieser durch die historische Überlieferung gesetzten Erkenntnisgrenze. Nur eine völlig andere Forschungs-Methode wird Licht in das Dunkel jener Zeiten bringen können, in denen sich die erste Rassenbildung vollzog. Es ist daher schon außerordentlich begrüßenswert, wenn z. B. eine Persönlichkeit wie Prof. E. Dacque den Mut hat, in seinem Werk über »Urwelt, Sage und Menschheit«*) einen solchen völlig neuen Weg zu beschreiten und den Wahrheitsgehalt gewisser über die ganze Erde hin gleichartigen Überlieferungen und Mythen zur Aufhellung vorgeschichtlicher Erd- und Menschheits-Ereignisse heranzuziehen. Wenn man einmal erkannt hat, daß aus dem historischen Material eine Aufklärung dieser wichtigsten Fragen nicht möglich sein wird, so bleibt eben nichts übrig als ein ewiges Hypothesen-Schmieden, ein ehrliches »Ignorabismus« oder aber ein konsequentes Verändern *) E. Dacque »Urwelt, Sage und Menschheit«, Verlag Oldenbourg, München 1925.
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und Erweitern der Erkenntnis-Methodik. Wir stimmen mit E. Dacque vollkommen überein, wenn er z. B. bei der Methodik des Buches von W. Scott-Elliott über »Atlantis« ablehnt, daß »der Autor statt ehrlicher Quellen-Angabe, es vorzieht, sich auf allerlei geheime Aufzeichnungen und Bibliotheken zu berufen, die nur besonders Eingeweihten zugänglich seien. Einerlei, ob solches bildlich oder sachlich verstanden sein will, auf jeden Fall ist es eine Täuschung des ernsten Lesers, der Anspruch darauf hat, eindeutig die Quelle zu erfahren, woraus ein Schriftsteller schöpft, und sei sie noch so persönlich intuitiver Art.« Dacque weist hingegen selbst darauf hin, daß andere Erkenntnis-Methoden entwickelt werden müssen, um prähistorische Tatsachen erforschen zu können, wenn er sagt (Seite 302): Unsere intellektuelle, mechanistische Spätzeit kann sich nicht denken, daß Erkenntnis und echtes Wissen auf andere als sinnlich-empirische Weise, also auf anderem als äußerem Wege erlangt werde. Sie hat im allgemeinen kein unmittelbar miterlebendes Verstehen mehr für jene Art des Zusammenhanges, der zwischen dem Begreifenden und dem Begriffenen, dem Schauenden und dem Beschauten besteht. Und doch ist auch in uns Spätzeit-Menschen noch allerlei von jener Fähigkeit des Wissens auf innere, auf .magische' Weise vorhanden. Es braucht nur hingewiesen zu werden auf die auch bis in unsere Zeit noch da und dort vorkommenden, allerdings im Vergleich zu Früherem nur schwach hellseherischen Fähigkeiten mancher Menschen, wovon nicht nur die Literatur, sondern auch der Alltag mancherlei zu erzählen weiß . . . Also ganz ist auch uns das Wesen jenes unmittelbaren Erkenntnisweges nicht verschlossen, wir haben vielleicht nur eine gewisse Angst davor, weil unser Intellekt ihm nicht folgen kann, und freuen uns geradezu, wenn wir das gelegentlich in seinem Gewand auftretende als Schwindel oder Aberglauben und Einbildung entlarven dürfen. Denn wir sind ja so wissenschaftlich geworden und haben auch eine wissenschaftliche Weltanschauung, die allerdings zum Verstehen der tieferen Zusammenhänge des Daseins sehr brauchbar wäre, wenn nur das Dasein ein ausschließlich bewußt empirisches wäre. — Jener innere, oder wie ihn Schelling nennt, magische Erkenntnisweg ist aber die sicherere Erkenntnisform älterer Zeiten gewesen. Je mehr natursichtiges oder bloß hellsichtiges Leben undVermögen in einem Menschenwesen steckt, sei es bewußt oder unbewußt, umsomehr ist ihm dieser unmittelbarere Erkenntnisweg offen.«
Einen neuen Erkenntnisweg hat nun Rudolf Steiner seit mehr als 20 Jahren nicht nur selbst beschritten, sondern auch durch seine Schriften die exakten Methoden angegeben, durch welche jeder Mensch unserer Zeit diese in ihm latenten Erkenntniskräfte verwenden kann, um zur Erforschung geistiger Tatsachen und auch solcher Vorgänge zu kommen, welche niemals erkannt werden können, wenn wir uns nur auf die geschriebene Überlieferung oder einige spärliche Knochenfunde etc. aus prähistorischer Zeit stützen wollten. Gerade weil Dr. Rudolf Steiner unter eingehender Darstellung der Forschungsmethoden und somit exakter Quellen-Angabe das menschliche Erkenntnisgebiet auf jene prähistorischen Zeiten der Menschheits- und Rassen-Entstehung ausgedehnt hat, ist es nun möglich, auch die heutigen Phänomene aus diesen früheren Entwickelungsstadien heraus zu verstehen und zu beleuchten. 102
Wenn wir nun, aufbauend auf diesen Forschungen Rudolf Steiners, die Rassen- und Völker-Entwickelung betrachten, so müssen wir von folgenden Tatsachen ausgehen: Auf dem ehemaligen atlantischen Kontinent, wo sich die nach Untergang der Lemuria übriggebliebenen entwickelungsfähigen Menschheitsreste gesammelt hatten, entwickelten sich nacheinander, wie gesagt, 7 Unterrassen, wobei immer zu bedenken ist, »daß nicht eine solche Rasse gleich verschwinden würde, wenn eine neue sich entwickelt. Es erhält sich jede vielmehr noch lange, wenn neben ihr sich andere entwickeln. So leben immer Bevölkerungen auf der Erde nebeneinander, die verschiedene Stufen der Entwickelung zeigen.« — Als nun die bereits beschriebenen Katastrophen eintraten, welche zur allmählichen Vernichtung des atlantischen Kontinentes führten — wobei wir es nicht mit einer einmaligen, sondern mit wiederholten größeren und kleineren Katastrophen zu tun haben —, und die dort lebenden Menschheitsgruppen zur Auswanderung gezwungen waren, wandten sich die Reste der 3 ältesten Unterrassen, Rmoahals, TIavatli und vor allem Tolteken, nach Westen, um sich auf den amerikanischen Kontinenten auszubreiten und anzusiedeln, während die übrigen Gruppen sich nach Osten wandten, um Europa und Asien zu überfluten (siehe Karte Seite 108.) Man hat sich schon von jeher darüber gewundert, daß gewisse Mythen und Sagen, z. B. die SintflutSage, auf beiden Seiten des jetzigen atlantischen Ozeans aus uralten Zeiten erhalten sind. Der Grund für den gemeinsamen Quell dieser Überlieferungen kann nun nur in der alten Lebensgemeinschaft dieser ost- und westwärts gewanderten Völker in der Atlantis gesehen werden. Auf die Ursachen der Gleichartigkeit der Pyramiden-Bauten etc. werden wir noch im Kap. IX zurückkommen. In den überlieferten Mythen der T o l t e k e n , vor allem in G u a t e m a l a , wird sowohl die Sündenfall-Erzählung, als auch die WasserKatastrophe mehrfach geschildert. In dem so schönen und bedeutsamen Text des »Popol Wuh«, der mythischen Geschichte des KiceVolkes von Guatemala*) wird erzählt z. B. von jenen Urahnen, die angesehen werden als mißglückte Versuche der Götter, einen Menschen zu schaffen: »Sie erinnerten sich nicht mehr des Herzens des Himmels und gerieten daher in Verfall. Es war also nur ein Versuch, nur eine Probe von Menschen Als ihre Überschwemmung vom Herzen des Himmels beschlossen wurde, entstand eine große Überschwemmung und brach über das Haupt dieser herein. Weil sie nicht an ihre Mutter und an ihren Vater gedacht hatten, an das Herz des Himmels, verfinsterte sich ihretwegen das Angesicht der Erde und es begann ein finsterer Regen, ein Tag- und Nacht-Regen.« *) E. Pohorilles, »Das Popol Wuh«, Die mythische Geschichte des Kice-Volkes von Guatemala, Hinrichs, Leipzig. 103
— Es wird auch berichtet, daß jene atlantischen Urahnen noch eine hellsichtigere Wahrnehmungsfähigkeit besessen hatten, die ihnen dann später verloren ging (Kap. XXX): »Als sie wie Menschen erschienen, wurden sie Menschen, sprachen und verstanden, sahen und hörten, gingen und tasteten — vollkommene und auserwählte Menschen, die der Gestalt eines Mannes ähnlich waren. Sie h a t t e n G e d ä c h t n i s . . . . Alles sahen sie, alles wußten sie, jegliches unter dem Himmel, sobald sie blickten; sofort drang ihr Blick dahin und dorthin, ins Innerste des Himmels, ins Innerste der Erde. Die verborgensten Dinge sahen sie insgesamt, ohne sich irgend vorher zu rühren. Und wenn sie dann unter den Himmeln hinsahen, erblickten sie alles, was es gab. Groß war ihre Weisheit.« Aber die Götter beschließen, den Menschen diese Fähigkeit zu nehmen: »Nicht gut ist, was unsere Gebilde und Geschöpfe sagen. Sie wissen alles Große und Kleine Nur das Nahe eröffne sich ihren Blicken, nur wenig sollen sie von der Oberfläche der Erde sehen so sei es: verwirren wir sie ein wenig, auf daß es noch gebe, was sie wünschen so sprachen sie (die Götter), als sie wiederum an den Wesen ihres Gebildes und Geschöpfes arbeiteten. Da blies ihnen das Herz des Himmels auf die Augen, die sich trübten, wie wenn man die Fläche eines Spiegels anhaucht. Ihre Augen trübten sich, sie sahen nur das Nahe, nur mehr das war ihnen klar. So wurde ihre Weisheit nebst dem (übernatürlichen) Verstände den vier Menschen zerstört, ihr Ursprung und Anfang. So fand die Bildung und Schöpfung unserer ersten Ahnen und unserer Väter durch das Herz des Himmels und durch das Herz der Erde statt« »Sie zeugten die Menschen, die kleinen Stämme und die großen Stämme. Sie sind unser Ursprung, des Kice-Volkes D r e i A b t e i l u n g e n gab es insgesamt. Nicht verloren ging der Name des Vaters und Großvaters, der sich dort im O s t e n ausgebreitet und vermehrt hatte Viele Menschen entstanden; in der Finsternis vermehrten sie sich. Noch war weder die Sonne aufgegangen, noch der Mond, als sie sich vermehrten. Zusammen waren sie alle und groß ihre Menge und ihr Ruhm dort im Osten.« — Es wird auch berichtet, daß die Verschiedenheit der Sprachen bei jenen atlantischen Ahnen immer stärker wird: »Verschieden wurde ihre Sprache. Es war ihnen nicht mehr deutlich, was sie von einander hörten, als sie von Tulan zogen. Hier trennten sie sich nun. Es gab solche, die nach dem Osten gingen. Viele kamen hierher. Sie kamen also und rissen sich von dort los und verließen den Osten« »Aber ihr Übergang durch das Meer ist nicht klar; als hätte es kein Meer gegeben, setzten sie hierher über.« So lebt in den Tolteken und solchen Völker-Resten, die sich in Guatemala und anderen Gebieten des amerikanischen Kontinentes erhalten haben, die Erinnerung an jene einstige Wanderung von der 104
ostwärts gelegenen und durch Wasser-Katastrophen untergegangenen »Atlantis« nach Westen im Gedächtnis fort. Die übrigen auf der Atlantis entwickelten Menschheits-Gruppen gingen jedoch den Weg nach Osten. In mehreren räumlich verschieden gerichteten und zeitlich aufeinander folgenden Wellen brandeten diese Völker-Ströme nach Europa und Asien hinein, um die dort noch verbliebenen, dekadenten Menschen-Überreste der alten Lemuria zu überschwemmen, zu vertreiben oder sich mit ihnen zu vermischen. Das gesamte Rassen-Bild Europas und Asiens ist ein Ausdruck dieses Mischungs-Prozesses. Als erste wanderte die zuletzt entwickelte Unterrasse, die Ur-Mongolen, ostwärts und überflutete vor allem den Norden Europas und Asiens, wobei unterwegs mehrfach einzelne Rassenteile nach nordwärts und südwärts vom west-östlichen Strome abzweigten, die wir noch jetzt als mongoloide Menschengruppen in anderen Erdteilen antreffen. Der Hauptstamm wanderte von allen atlantischen Unterrassen am weitesten ostwärts, sein neues Ausstrahlungszentrum in Ostasien begründend (siehe Karte Seite 108). Wenn Hubert Schmidt (»Prähistorisches aus Ost-Asien« cit. b. Wolff) sagt: »Gegenwärtig kann man zusammenfassend den Satz aufstellen: Die ältesten Kulturen Chinas und Japans sind europäischen Ursprungs; ihre Träger sind noch in neolithischer Zeit teils aus Nord-Europa, teils aus dem Süd-Osten Europas, dem Dnjepr-, Donau-, Balkan-Gebiete abgewandert«, so möchten wir dies dahin abändern, bezw. ergänzen, daß wir sagen: die ältesten Kulturen Chinas und Japans sind atlantischen Ursprungs und sind von dort über die Stationen des nördlichen und südlichen Europas nach Ost-Asien eingewandert. Einen südlichen Weg über Afrika wählten die zur sechsten Unterrasse gehörigen Ur-Akkader und Ur-Sumerer, die im wesentlichen nach Mesopotamien wanderten, jedoch auch nach Ost-Afrika und Asien ausstrahlten. Die Ur-Turanier, die vierte Unterrasse, wählten wiederum den nördlichen Weg, den schon die Ur-Mongolen gewandert waren. Sie ergossen sich vor allem nach Central-Asien hinein. Sie brachten dorthin auch ein altes Wissen über die Beherrschung solcher Kräfte, die in der Atlantis noch in der bewußten Herrschaft des Menschen standen, vor allem des Ätherischen, der Lebenskraft. Dr. Rudolf Steiner sagt hierüber: »So konnten die Atlantier das beherrschen, was man Lebenskraft nennt. Wie man heute aus den Steinkohlen die Kraft der Wärme herausholt, die man in fortbewegende Kraft bei unseren Verkehrsmitteln verwandelt, so verstanden es die Atlantier, die Samenkraft der Lebewesen in ihren technischen Dienst zu stellen. Von dem, was hier vorlag, kann man sich durch folgendes eine Vorstellung machen. Man denke an ein Getreide-Samen-Korn. In diesem schlummert eine 105
Kraft. Diese Kraft bewirkt ja, daß aus dem Samenkorn der Halm hervorsprießt. Die Natur kann diese im Korn ruhende Kraft wecken. Der gegenwärtige Mensch kann es nicht willkürlich. Er muß das Korn in die Erde senken und das Aufwecken den Naturkräften überlassen. Der Atlantier konnte noch etwas anderes. Er wußte, wie man es macht, um die Kraft eines Kornhaufens in technische Kraft umzuwandeln, wie der gegenwärtige Mensch die Wärmekraft eines Steinkohlenhaufens in eine solche Kraft umzuwandeln vermag. Pflanzen wurden in der atlantischen Zeit nicht bloß gebaut, um sie als Nahrungsmittel zu benutzen, sondern um die in ihnen schlummernden Kräfte dem Verkehr und der Industrie dienstbar zu machen. Wie wir Vorrichtungen haben, um die in den Steinkohlen schlummernde Kraft in unseren Lokomotiven in Bewegungskraft umzubilden, so hatten die Atlantier Vorrichtungen, die sie — sozusagen — mit Pflanzensamen heizten, und in denen sie die Lebenskraft in technisch verwertbare Kraft umwandelten.« — Dieses Wissen war allerdings bei den nach Osten wandernden Menschengruppen bereits stark in Missbrauch geraten und dekadent geworden, doch weist in der überlieferten orientalischen Weisheit noch manches auf jene alten Kenntnisse in der Beherrschung der ätherischen Bildekräfte zurück (siehe Einleitung zu Band I, zweite Aufl.) Am wichtigsten sind für uns die Schicksale derjenigen Menschheitsgruppen, welche sich zur Zeit der fünften Unterrasse auf dem atlantischen Kontinente entwickelten, weil aus den verschiedenen Rassengruppen jener Epoche diejenigen Völkerstämme hervorgingen, welche die wesentlichsten Grundlagen für unsere späteren europäischen Kulturen abgeben sollten. Die beiden verschiedenen Hauptgruppen dieser Atlantier wählten bei ihrer Ost-Wanderung auch zwei getrennte Wege, den nördlichen und den südlichen. Auf dem n ö r d l i c h e n Weg wanderten jene Völker, die zur Ausbildung der späteren sog. A r i s c h e n Kulturen ausersehen waren, den s ü d l i c h e n Weg wanderten die U r S e m i t e n . Der nördliche Strom flutete über Irland, Skandinavien und Nord-Europa und hinterließ einen wesentlichen Kern in dem Gebiet um die heutige Nord- und Ost-See, wobei nicht zu vergessen ist, daß die Verteilung von Land und Wasser damals noch eine völlig andere war. Diese dort haltmachende Gruppe bildete den Kern für die Entwickelung des »Homo Europäus«. Wir werden darauf noch genauer eingehen. Die übrigen Angehörigen dieses nördlichen Völker-Stromes wanderten weiter nach Asien hinein und zwar — nach den Forschungen Rudolf Steiners — zunächst nach dem Gebiet der heutigen Wüste Gobi, welches Gebiet jedoch damals noch eine ganz andere. Fauna und Flora hatte. Dort und im Gebiet nördlich des Himalaya und des heutigen Tibet suchte und fand diese wichtige Menschheitsgruppe ihren neuen Ausstrahlungspunkt. Aus welchen Gründen jene weisen Menschheits-
führer gerade dieses Gebiet der Erde wählten, hatten wir bereits anfangs dieses Kapitels (Seite 97) erläutert. In der Karte S. 108 ist eine schematische Darstellung des nördlichen und südlichen Wanderungsweges dieser fünften Unterrasse gegeben. Es wurde bereits gesagt, daß vor allem die europäische Komponente dieser Menschheitsgruppe dazu ausersehen war, zur Grundlage für unsere heutige fünfte nachatlantische Kultur und überhaupt zur Grundlage der fünften Wurzelrasse, der »arischen«, zum Träger der sogenannten »arischen« Kulturströmung zu werden. Bevor wir auf die Einzelheiten näher eingehen, ist es notwendig, den Begriff »arisch« erst einmal wesentlich zu klären, da hierüber die Ansichten der bedeutendsten Rassenforscher unserer Zeit völlig diametral verschieden sind. Felix von Luschan schreibt (»Völker, Rassen, Sprachen«): »Es ist grundfalsch, von einem indogermanischen Volksstamm zu sprechen; einen solchen gibt es nicht und hat es nie gegeben. Im gleichen Sinne ist auch der Begriff einer »arischen« Rasse durchaus abzulehnen« u. a. 0.: »Wir kennen natürlich eine arische Sprachengruppe, aber man muß ein arger Dilettant sein, um heute noch von einer arischen Rasse zu reden«. Ferdinand Bork sagt (Mannus XV): »Wir müssen daran festhalten, daß es eine arische Urrasse, bezw. ein arisches Urvolk und eine arische Ur-Sprache gegeben hat«. K. F. Wolff sagt dem gegenüber: »Es gilt zunächst, die Begriffe festzustellen, und da sage ich: für mich ist .Arier' ein anthropologischer, .Indogermanen' ein linguistischer Begriff . . . Es handelt sich nun darum, das Verhältnis zwischen den .Ariern* (d. h. den Menschen mit den Rassenmerkmalen des 'Homo europäus') und den .Indogermanen', richtiger UrIndogermanen (d. h. den Trägern der Urindogermanischen Sprache) unzweideutig festzustellen. Die Urindogermanen sind eine Gruppe von arischen Menschen, bei denen sich das Urindogermanische aus einer älteren, noch nicht flektierenden Sprache entwickelt hat. Die Träger dieser neuen Sprache bildeten das Indogermanische Urvolk, das mir als ein unumgängliches Postulat ethnologischen Denkens erscheint, denn ohne ein Indogermanisches Urvolk gibt es auch keine Indogermanische Ursprache. Diese wurde durch Teile des Urvolkes, die erobernd in die Ferne zogen, immer weiter ausgebreitet und von den unterworfenen Völkern angenommen. Dabei spaltete die Ursprache erst in Mundarten, dann in neue Sprachen auf. Bei den Trägern solcher Tochtersprachen lassen sich heute vielfach die Charaktere der arischen Menschenart nicht mehr nachweisen. Trotzdem müssen wir, wenigstens für die Urzeit, daran festhalten, dass jedem indogermanischen Sprachkreise eine Welle von arischem Blute entspricht« u. a. 0 . : »also nochmals: es gab ein Volk, das war von arischer Rasse und sprach urindogermanisch.«
Wir glauben, daß es bei solcher Meinungsverschiedenheit zunächst notwendig ist, dasjenige klar zu stellen, was man sich unter »Rasse« vorstellt. Wir hatten bereits dargelegt, daß sich in unserer Zeit bei den meisten und wichtigsten als dogmatisch sicher stehend angenommenen sogenannten »Rassenmerkmalen« herausgestellt hat, daß sie näherer Prüfung nicht standhalten. Dem liegt zugrunde der fundamentale Unterschied zwischen einer materialistischen, nur das Physische 107
Die Völkerwanderungen in der prähistorischen Zeit.
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( il ^ .
f Atlantier: Unterrassen Rmoahals Tlavatli Tolteken Ur-Turanier Unterrasse: Urstämme der späteren nördl. Stömg. Arier sudl.Stromg.fS5J 6. Ur - Akkader I Ur - Sumerer / 7. Ur-Mongolen Mongoloide, Eskimos etc.
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1. 2. 3. 4. 5.
O Lemurier: Urstämme der späteren Neger _ _ . Malayen Drawida etc.
Die Grenzen von „Lemuria" und „Atlantis" sind schematisch in Kreisform angegeben, als Ausstrahlungszentren. Die Reihenfolge der Unterrassen in der „Atlantis" ist natürlich in obenstehender Darstellung eine zeitliche, nicht eine räumliche Gliederung (s. hiezu S. 99) Die Pfeilspitzen bedeuten keine Endpunkte, sondern Zielrichtungen.
betonenden Weltanschauung und einer geisteswissenschaftlichen, welche von den geistigen Merkmalen ausgeht. Die Wissenschaft des vorigen Jahrhunderts, welche glaubte, alles durch Maß, Zahl und Gewicht ausdrücken zu müssen und zu können, kam naturgemäß durch die entsprechenden Methoden der Anthropologie, Phrenologie, Kraniologie, etc. nur zu solchen »Rassenmerkmalen« wie z. B. dem Längen-Breiten-Index (siehe Seite 88), der Haarfarbe und dem Haar-Querschnitt, Knochenbau usw. usw. Die neuere Zeit machte die peinliche Entdeckung, daß bei der gleichen Rasse doch die verschiedensten physischen Merkmale solcher Art nebeneinander auftreten können. Rudolf Steiner hat diese einseitige Art der Betrachtung abgelehnt. Sein Rassenbegriff, den wir im folgenden den heute üblichen gegenüberstellen wollen, geht, wie wir schon zeigten, von vornherein von geistigen Ursachen und kosmischirdischen übersinnlichen Kräfte-Wirkungen aus. Es ist deshalb außerordentlich sympathisch, wenn neuerdings auch solche Forscher wie K. F. Wolff von der rein materialistischen Darstellung dieser Frage abrücken. Wolff sagt in seiner Rassenlehre (Seite 143): »daß die Hauptrasse den Geist hergibt, der für den ganzen betr. Rassenverband maßgebend ist. Es bestehen innerhalb eines solchen Verbandes wohl somatische Unterschiede, aber keine physischen Gegensätze; die somatischen Unterschiede werden daher nur als etwas Nebensächliches, Zufälliges, manchmal als etwas Wunderliches empfunden, aber nicht als etwas Trennendes. Widerstandslos geht die Rassenmischung vor sich und das Blut der Hauptrasse überwiegt immer mehr. — Es herrscht also innerhalb jedes Rassenverbandes eine «Bioharmonie' oder das, was die Pythagoräer eine Koiv
Diese Darstellung ist eine äußerst tapfere und sympathische und wird zweifellos von der materialistischen Seite der Wissenschaft her entsprechend negiert und angegriffen werden. Wir müssen uns nur fragen, in welcher Richtung soll die geistige Struktur, d. h. die Weltanschauung der arischen Rasse zukünftig entwickelt werden? Rudolf Steiner gibt ja nähere Angaben vor allem über drei sogenannte »Wurzelrassen«, von denen jede wiederum in je 7 Unterrassen gegliedert ist. Wenn wir uns genauer klar zu machen versuchen, was er unter dem Begriff einer »Wurzelrasse« versteht, so sehen wir, daß damit nicht etwa ein bis zur »Entstehung der Menschheit« zurückgehender Blutszusammenhang gemeint ist, sondern daß die »Wurzelrasse« zunächst ein geistiger Begriff ist, d. h. wir können ihn wohl etwa so definieren: E i n e W u r z e l r a s s e wird von derjenigen M e n s c h h e i t s g r u p p e g e b i l d e t , die d u r c h die geistige F ü h r u n g der M e n s c h h e i t z u r b e s o n d e r e n E n t w i c k e l u n g einer b e s t i m m t e n geistigen F ä h i g k e i t a u s e r s e h e n ist. Es gibt also eine erste Periode, während der eine Menschheitsgruppe geistig und physisch die Anlagen zu dieser Fähigkeit (Kapazität) allmählich entwickelt; eine zweite Periode, in welcher die Wurzelrasse mit dieser neu erworbenen Fähigkeit auf Erden in die Erscheinung tritt und aktiv die darin begründeten Aufgaben erfüllt; eine dritte Periode, während der die Fähigkeit entweder dekadent wird und die »Rasse« allmählich verschwindet oder durch die Entwickelung einer neuen Fähigkeit sich verwandelt. »Rassenmerkmale« sind die typischen Symptome für die geistige Aufgabe einer bestimmten Menschheitsgruppe. Zur Erfüllung dieser geistigen Aufgabe, zur Ausbildung dieser geistigen Fähigkeit wirken die Impulse geistiger Wesenheiten und die kosmischirdischen ätherischen Bildekräfte zusammen, um den physischen Organismus dieser besonderen Menschheitsgruppe so zu modellieren, daß er zum physischen Träger jener neuen geistigen Fähigkeit werden kann. Wird einer »Rasse« ihre geistige Aufgabe entzogen, so werden diese geistigen Impulse und modellierenden Bildekräfte ihre Aktivität einstellen, latent werden oder verschwinden, dann verkümmern auch die besonderen gemeinsamen physischen Merkmale, sie verwischen sich, bis schließlich der Rassenverband sich in der übrigen Menschheit auflöst, wenn er nicht zum Träger einer neuen Aufgabe wird. Unendlich viele der komplizierten Hypothesen der Rassenlehre werden hinfällig, wenn man von vornherein von einer geistigen Anschauung dieser Phänomene ausgehen würde, und das scheinbar undurchdringliche Wirrsal der Rassenschicksale, -Merkmale und -Vermischungen, erhält einen Sinn, wenn wir unsere Erkenntnis auf solcher Basis neu aufbauen. Hier kann nur auf das großzügige, grundlegende Material hingewiesen werden, das Dr. Rudolf Steiner für die weitere Ausarbeitung dieser Probleme 110
und Forschungen gegeben hat. An dem Beispiel der arischen Wurzelrasse sei seine Art der Betrachtung veranschaulicht. Er sagt von der ersten der drei näher beschriebenen Wurzelrassen, den Bewohnern des lemurischen Kontinentes, »daß ein Lemurier sich zwar Vorstellungen bilden konnte von dem, was er erlebte; aber er konnte diese Vorstellungen nicht bewahren. Er vergaß sofort wieder, was er sich vorgestellt hatte. Daß er dennoch in einer gewissen Kultur lebte, z. B. Werkzeuge hatte, Bauten ausführte usw., das verdankte er nicht seinem eigenen Vorstellungsvermögen, sondern einer geistigen Kraft in sich, die, um das Wort zu gebrauchen, i n s t i n k t i v war. Nur hat man sich darunter nicht den heutigen Instinkt der Tiere, sondern einen solchen anderer Art vorzustellen.« — Die nächste, a t l a n t i s c h e Wurzelrasse hatte nun die Aufgabe, vor allem zwei geistig-seelische Fähigkeiten und durch die entsprechend impulsierten ätherischen Bildekräfte auch deren physische Organe auszubilden: G e d ä c h t n i s und S p r a c h e . »An der Entwickelung des Gedächtnisses hing nun auch diejenige der Sprache. Solange der Mensch das Vergangene nicht bewahrte, konnte auch eine Mitteilung des Erlebten durch die Sprache nicht stattfinden. Und weil in der letzten lemurischen Zeit die ersten Ansätze zu einem Gedächtnisse stattfanden, so konnte damals auch die Fähigkeit ihren Anfang nehmen, das Gesehene und Gehörte zu benennen. Nur Menschen, die ein Erinnerungsvermögen haben, können mit einem Namen, der einem Dinge beigelegt ist, etwas anfangen. Die atlantische Zeit ist daher auch diejenige, in welcher die Sprache ihre Entwickelung fand. Und mit der Sprache war ein Band hervorgebracht zwischen der menschlichen Seele und den Dingen außer dem Menschen. Dieser erzeugte das Laut wort in seinem Innern; und dieses Laut wort gehörte zu den Gegenständen der Außenwelt. Und auch ein neues Band entsteht zwischen Mensch und Mensch durch die Mitteilung auf dem Wege der Sprache. Das alles war zwar bei den ersten atlantischen Unterrassen noch in einer jugendlichen Form; aber es unterschied sich doch in tiefgehender Art von ihren lemurischen Vorvätern. — Nun hatten die Kräfte in den Seelen dieser ersten Atlantier noch etwas naturkräftiges. Diese Menschen waren gewissermaßen noch verwandter den sie umgebenden Naturwesen als ihre Nachfolger. I h r e S e e l e n k r ä f t e w a r e n n o c h m e h r N a t u r k r ä f t e , als die der gegenwärtigen Menschen. So war auch das Lautwort, das sie hervorbrachten, etwas Naturgewaltiges. Sie b e n a n n t e n nicht bloß die Dinge, sondern in ihren Worten lag eine M a c h t über die Dinge und auch über ihre Mitmenschen. Das Wort der ersten atlantischen Unterrassen hatte nicht bloß B e d e u t u n g , sondern auch Kraft. Wenn man von einer Zaubermacht der Worte spricht, so deutet man etwas an, was für diese Menschen weit
wirklicher war, als für die Gegenwart. Wenn ein solcher Mensch ein Wort aussprach, so entwickelte dieses Wort eine ähnliche Macht wie der Gegenstand selbst, den es bezeichnete. Darauf beruht es, daß Worte in dieser Zeit heilkräftig waren, daß sie das Wachstum der Pflanzen fördern, die Wut der Tiere zähmen konnten und was ähnliche Wirkungen mehr sind. All das nahm an Kraft bei den späteren Unterrassen der Atlantier immer mehr und mehr ab. Man könnte sagen, die naturwüchsige Kraftfülle verlor sich allmählich. Die Rmoahal-Menschen empfanden diese Kraftfülle durchaus als eine Gabe der mächtigen Natur; und dieses ihr Verhältnis zur Natur trug einen religiösen Charakter. Insbesondere die Sprache hatte für sie etwas Heiliges. Und der Mißbrauch gewisser Laute, denen eine bedeutende Kraft innewohnte, ist etwas Unmögliches gewesen. Jeder Mensch fühlte, daß solcher Mißbrauch ihm einen gewaltigen Schaden bringen müßte. Der Zauber derartiger Worte hätte in sein Gegenteil umgeschlagen; was, in richtiger Art gebraucht, Segen gestiftet hätte, wäre, frevelhaft angewendet, dem Urheber zum Verderben geworden.« Es ist in diesem Zusammenhange interessant, wenn wir in den überlieferten Mythen der Tolteken von Guatemala, die ja von jenen ersten atlantischen Rassen abstammten, diese Fähigkeit besonders hervorgehoben finden, wie bereits zitiert (Seite 104): »Sie hatten Gedächtnis«. Desgleichen der Hinweis auf die beginnende Gliederung der Sprachen (siehe Seite 104), was etwa dem »Turmbau zu BabelMythos« der anderen ostwärts gewanderten Völker entspricht. Wir hatten ja auch schon im Kap. III gezeigt, daß beim Übergang der lemurischen zur atlantischen Periode die chemischen bezw. klangätherischen Kräfte die Erd-Atmosphäre immer mehr durchdrangen, jene ätherischen Kräfte, welche zur Entwickelung der Sprachfunktionen und Sprachorgane wesentlich beitragen. Wenn K. F. Wolff sagt (Seite 78): »In der Urzeit gab es soviel Sprachen, als es Rassen gab«, so müßte man den Begriff der Urzeit erst noch näher präzisieren. Wir würden also sagen müssen: Seit Ende der lemurischen, Anfang der atlantischen Zeit differenzierte sich das Lautwort, das durch die Eindrücke der Außenwelt in der menschlichen Seele ausgelöst wurde, immer mehr nach der verschiedenen Organisation der einzelnen Unterrassen. Vorher gab es eine Art Ursprache, jetzt rassenmäßig sich differenzierende Sprachen, wobei jedoch der Sprachvorgang noch gewaltige Kräfte in sich enthielt, welche dem heutigen Sprachvorgang nicht mehr eigen sind. Wir werden auf die zukünftige Wiedererwerbung dieser »magischen« Sprachkräfte noch im Kap. XIII eingehen. Die Ausbildung einer Sprache ist eine der geistigsten Funktionen einer Rasse. Es ist ganz charakteristisch, daß sich Sprache und Rasse heute fast nirgends mehr decken. Durch die Völkerwanderungen, 112
Rassenmischungen und die Übertragung von Sprachen auf Rassengruppen, die diese gar nicht selbst ausgebildet haben, ist der tiefgeistige ursprüngliche Zusammenhang zwischen den Lautbildungen und den Sprachorganen fast überall verloren gegangen. So kam es, daß nicht mehr die geistigen Sprachkräfte an den physischen Sprachorganen entsprechend modellierten, sondern daß umgekehrt bei Übernahme fremder Sprachelemente die bei den einzelnen Rassen bereits vorhandenen Sprachorgane das geistige Wesen der Ursprache vergewaltigten, veränderten und dem physischen Werkzeug (Kehlkopf und NachbarOrganen) anpaßten. Erst ein bewußtes Eindringen in das geistige Wesen der Sprach-Elemente und der Sprachkräfte, wie es Rudolf Steiner inauguriert hat, wird wiederum zu einer bewußten Umbildung der Sprachorgane im Sinne ihrer Zukunftsaufgaben führen können (siehe auch Kap. XIII). Eine äußerst wichtige und eigenartige Polarität zweier Sprachgruppen wird nun durch unsere oben angegebene Karte der Völkerwanderungen in einem völlig neuen Lichte verständlich. Wolff zitiert die grundlegenden Feststellungen des Orientalisten Fritz Hommel, daß »alle Sprachen der Menschheit in zwei große Gruppen zerfallen, von denen die eine (zu der auch die deutsche Sprache gehört) Komposita bildet, während die andere sich des sogenannten Status constructus bedient. Hommel sagt darüber: Die semitische und uralaltaische Wortstellung bilden einen diametralen Gegensatz: im Semitischen beginnt das Verbum den Satz, im Ural-altaischen schließt es denselben; im Semitischen muß, aus dem gleichen Prinzip heraus, sowohl der Genetiv, als das Adjektiv nachstehen, im Ural-altaischen dem Nomen, dem es zugehört, vorangehen. Damit hängt auch zusammen, daß das Semitische keine sog. Komposita (wie z. B. Haus-herr, wo also das erste Glied virtuell im Genetiv zu denken ist) und keine Postpositionen kennt, sondern dafür den sog. Status constructus (Herrhaus — Herr des Hauses) und Präpositionen hat. — Fragt man nun, wie sich zu dieser Erscheinung die übrigen uns bekannten grösseren Sprachfamilien . . . . verhalten, so ergibt sich das überraschend Resultat, daß sämtliche Südsprachen . . . . die semitische Syntax, sämtliche Nordsprachen . . . . aber die Turanische aufweisen.« Wolff betont mit Recht: »Es handelt sich da nicht etwa um ein geringfügiges Differieren, sondern um einen grundlegenden Gegensatz des sprachlichen Denkens. Der funktionelle Vorgang der begrifflichen Assoziation ist ein anderer, d h. letzten Endes: die physiologische Beschaffenheit des Gehirns ist eine andere«. — Wir könnten im Sinne unserer Betrachtung dieser Probleme hinzufügen: Bei den S ü d s p r a c h e n , die in der Satzbildung das Verbum voranstellen, sind die aktiven Kräfte, die Kräfte des Willens betont, — bei den N o r d s p r a c h e n , wo das W a c h s m u t h , Äther. Bildekräfte.
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Subjekt vorangeht und das Verbum nur den Satz schließt, ist mehr die Individualität betont, herrschen mehr die entgegengesetzten Bildekräfte, die Kräfte vom »Baum des Lebens« bis in die Sprachbildung hinein. Wir werden diese Polarität noch in anderen Zusammenhängen wiederfinden (s.S. 117). Hier werden ja auch die Arbeiten des Sprachforschers Guenther Schubert noch vieles Wesentliche für die Völkerpsychologie zu Tage fördern. Wolff kommt nun aus diesen fundamentalen Unterschieden der Sprachen und damit der Geistigkeit dieser beiden Menschheitsgruppen zu dem Schluß, daß beide niemals zusammengehangen haben können, sondern von vornherein verschiedenen AusstrahlungsZentren der Erde angehört hätten. Sieht man sich aber dieses bedeutsame Faktum näher an, daß »sämtliche Südsprachen die semitische Syntax, sämtliche Nordsprachen aber die Turanische aufweisen«, so stimmt dies in wundervoller Weise mit jenen nördlichen und südlichen Völkerwanderungen überein, die wir im Vorigen dargestellt hatten (siehe Abb. Seite 108). Die vierte Unterrasse der Atlantis, die Urturanier, sind die f r ü h e r e sich ostwärts bis nach Asien ergießende Welle. In der darauf folgenden Periode der fünften Unterrasse der Atlantis differenzieren sich nun die Sprach-Unterschiede, wie überhaupt die geistigen Kapazitäten immer mehr. Deshalb wählen auch die dieser Entwickelungsstufe angehörigen Völkergruppen bei ihrer späteren Ost-Wanderung nicht den gleichen Weg, sondern die einen, die zur Grundlage der späteren arischen Kulturen sich hinentwickeln, wählen den n ö r d lichen Weg, den schon die Ur-Turanier gewandert waren, die anderen, die Ur-Semiten, wählen den s ü d l i c h e n Weg (siehe Karte Seite 108). Hier zeigt sich schon der völlig verschiedene Entwickelungsgang der nördlich und südlich gewanderten Rassen. Und wir können zwar zustimmen, wenn Wolff sagt (Seite 107): »Wie die Germanen den Kern der Indo-Germanen und der Arier überhaupt, so bilden die Arier den Kern der ganzen nordischen Menschheit, die Semiten wieder den Kern der meridionalen Menschheit. S k a n d i n a v i e n und A r a b i e n sind die Gegenpole, von denen aus das Leben des Abendlandes geleitet wird. Bald rollt die Woge von Norden, bald rollt sie von Süden.« Aber wir müssen im wesentlichen widersprechen, wenn er dann zu dem Schluß kommt: »Darum nehme ich für sie (die Südleute) nicht nur ein Verbreitungs-Zentrum, sondern auch ein Entstehungsgebiet an, das von jenem der Arier völlig verschieden ist. Trotzdem oder eben vielleicht deshalb zeigen sich Parallelitäten.« — Wir müssen entgegnen: Ein Schöpfungsherd, die Atlantis, jedoch verschiedene Sprachbildung, verschiedene Wanderungswege nach Osten und auch verschiedene physische Entwickelung. Während der vierten Wurzelrasse, der atlantischen, hatten beide noch weitgehend gleichartige Aufgaben; während der fünften Wurzelrasse, der arischen, wurden die Aufgaben
verschieden. Alles andere sind naturnotwendige sekundäre Erscheinungen. Rudolf Steiner sagt, nachdem er die zerstörende Wirkung der dekadenten Handhabung der Lebenskräfte durch die vierte Unterrasse der Atlantis, die Ur-Turanier, geschildert hat (siehe oben Seite 105) über die neuen geistigen Aufgaben der fünften Unterrasse: »Solche zerstörende Wirkung konnte nur dadurch aufgehalten werden, daß im Menschen sich eine höhere Kraft ausbildete. Und das war die D e n k kraft. Das logische Denken wirkt zurückhaltend auf die eigensüchtigen persönlichen Wünsche. Den Ursprung dieses logischen Denkens haben wir bei der fünften Unterrasse (den Ur-Semiten) zu suchen. Die Menschen fingen an, über die bloße Erinnerung an Vergangenes hinauszugehen, und die verschiedenen Erlebnisse zu vergleichen. Die Urteilskraft entwickelte sich. Und nach dieser Urteilskraft wurden die Wünsche, die Begierden geregelt. Man fing an zu rechnen, zu kombinieren. Man lernte in Gedanken zu arbeiten. So hat die fünfte Unterrasse die Antriebe zum Handeln in das menschliche Innere verlegt. Der Mensch will in diesem seinem Inneren mit sich ausmachen, was er zu tun oder zu lassen hat. Aber das, was so im Innern, an Kraft des Denkens gewonnen wurde, ging an Beherrschung äußerer Naturgewalten verloren. Mit diesem kombinierenden Denken kann man nur die Kräfte der mineralischen Welt bezwingen, nicht die Lebenskraft. Die fünfte Unterrasse entwickelte also das Denken auf Kosten der Herrschaft über die Lebenskraft. Aber gerade dadurch erzeugte sie den Keim zur Weiterentwickelung der Menschheit. Jetzt mochte die Persönlichkeit, die Selbstliebe, ja die Selbstsucht noch so groß werden: das bloße Denken, das ganz im Innern arbeitet und nicht mehr unmittelbar der Natur Befehle erteilen kann, vermag solche verheerende Wirkung nicht anzurichten, wie die mißbrauchten früheren Kräfte. Aus dieser fünften Unterrasse wurde der begabteste Teil ausgewählt, und dieser lebte hinüber über den Niedergang der vierten Wurzelrasse und bildete den Keim zur fünften, der arischen Rasse, welche die vollständige Ausprägung der denkenden Kraft mit allem, was dazu gehört, zur Aufgabe hat.« Diese Aufgabe wurde nun von den beiden Komponenten der fünften Unterrasse nach ihrer nördlichen und südlichen Auswanderung aus der Atlantis auch durchaus verschieden gelöst. Betrachten wir zunächst die nördliche Strömung, deren Kern also später zum Träger der arischen Kultur werden sollte (siehe Karte Seite 108). Jedoch nur ein Teil der nördlichen Strömung kam hierfür in Betracht, und zwar derjenige Teil, welcher bei der Wanderung von der Atlantis nach Osten schon in Europa Halt machte, während sich der übrige Strom bis nach Zentral-Asien hinein ergoß, wie dies schon mehrfach dargestellt wurde. Jener nach Zentral-Asien weitergewanderte Teil der fortgeschrittensten Angehörigen 115
der fünften Unterrasse begründete dort im Orient das neue Ausstrahlungs-Zentrum. Von ihm zweigten sich auch jene Menschheitsgruppen ab, die zum Träger der ersten vier nachatlantischen Kulturen, der urindischen, urpersischen, ägyptisch-chaldäischen, und schließlich griechisch-römischen Epoche werden sollten. Man muß sich hierbei nicht unbedingt vorstellen, daß nun eine rückläufige Ost-West-Wanderung von Massen-Völkern von Indien über Persien, Ägypten, nach Europa stattgefunden habe, sondern nur verhältnismäßig wenig Kulturträger sind diesen Weg gegangen; im wesentlichen wanderten die K u l t u r e n seit der alt-indischen Epoche ostwestlich; die Aufgabe, eine neue, für die gesamte Menschheitsentwickelung entscheidende Kulturepoche zu begründen, ergreift nach der Dekadenz der orientalischen Blüte-Zeit immer mehr westwärts liegende Völkerschaften. Man könnte sagen: Die geistige Menschheitsführung wandert seit der ersten nachatlantischen, der alt-indischen Epoche wiederum rückläufig von Ost nach West. So entstehen die ersten vier nachatlantischen Kulturen. Aber erst die fünfte nachatlantische Kultur, die mit dem Beginn des fünfzehnten nachchristlichen Jahrhunderts eigentlich erst auftrat, sollte zum Träger der Aufgaben der fünften Wurzelrasse werden. Was war nun mit jenen Völkerschaften geschehen, die dem nördlichen Strom angehörten, aber n i c h t bis nach Zentral-Asien vorgestoßen waren, sondern in Nord-Europa Halt gemacht hatten? Dr. Rudolf Steiner sagt hierüber: »Im vierten, fünften und sechsten Jahrhundert n. Chr. bereitete sich in Europa ein Kulturzeitalter vor, das mit dem fünfzehnten Jahrhundert begann und in welchem die Gegenwart noch lebt. Eis sollte das vierte, das griechisch-lateinische allmählich ablösen. Es ist das fünfte nachatlantische Kulturzeitalter. Die Völker, welche sich nach verschiedenen Wanderungen und in mannigfaltigsten Schicksalen zu Trägern dieses Zeitalters machten, waren Nachkommen derjenigen Atlantier, welche von dem, was mittlerweile in den vier vorhergehenden Kulturperioden sich abgespielt hatte, am unberührtesten geblieben waren. Sie waren nicht bis in die Gebiete vorgedrungen, in denen die entsprechenden Kulturen Wurzel faßten. Dagegen hatten sie in ihrer Art die atlantischen Kulturen fortgepflanzt. Es gab unter ihnen viele Menschen, welche sich die Erbstücke des alten dämmerhaften Hellsehens . . . in hohem Grade bewahrt hatten. Solche Menschen kannten die geistige Welt als eigenes Erlebnis und konnten ihren Mitmenschen mitteilen, was in dieser Welt vorgeht. So entstand eine Welt von Erzählungen über geistige Wesen und geistige Vorgänge. Und der Märchen- und Sagen-Schatz der Völker ist ursprünglich aus solchen geistigen Erlebnissen heraus entstanden. Denn die dämmerhafte Hellsichtigkeit vieler Menschen dauerte bis in Zeiten herauf, die keineswegs 116
lange hinter unserer Gegenwart zurückliegen. Andere Menschen waren da, welche die Hellsichtigkeit zwar verloren hatten, aber die erlangten Fähigkeiten für die sinnlich-physische Welt doch nach Gefühlen und Empfindungen ausbildeten, welche den Erlebnissen dieser Hellsichtigkeit entsprachen. Und auch die atlantischen Orakel hatten hier ihre Nachfolger. Es gab überall Mysterien-Stätten Die hinter den Naturgewalten stehenden Geistesmächte wurden da erschlossen. In den Mythologien der europäischen Völker sind die Reste dessen enthalten, was die Eingeweihten dieserMysterien den Menschen verkünden konnten.« Es sei nur an die keltischen Mysterienstätten erinnert, vor allem auch diejenigen Irlands, die vieles von dem alten atlantischen Wissen der Menschen noch hüteten, wie auch die alt-germanischen Mysterien, aus deren geistigem Bereich der tiefgründige Sagenschatz der nordischen Mythologie entsprungen ist.*) Die Aufgaben der nördlichen und südlichen Strömung der Auswanderer der fünften nachatlantischen Unterrasse bestanden darin, das Ziel der fünften Wurzelrasse von zwei verschiedenen Seiten her vorzubereiten. Rudolf Steiner hat es einmal in wundervoller Weise dadurch charakterisiert, daß er sagte: die n ö r d l i c h e Strömung (also die indogermanische, vom Norden nach Europa hereinstrahlende Menschheitsgruppe) hatte sich geistig noch mehr bewahrt die Kräfte vom »Baum des Lebens«, die s ü d l i c h e Strömung (also die vorwiegend semitische, von Nord-Afrika und Klein-Asien nach Europa hereinstrahlende) mehr die Kräfte vom »Baum der E r k e n n t n i s « . Wir werden auf den tieferen Sinn dieser Unterscheidung auch vom Gesichtspunkt des Ätherischen noch im Kap. XII eingehen. Zunächst verstehen wir, daß die Aufgabe der fünften Wurzelrasse zur A u s b i l d u n g der D e n k k r a f t von den beiden Strömungen deshalb auch in verschiedener Weise angefaßt wurde, im Süden mehr das intellektuell-logische Denken, im Norden mehr das mythisch-imaginative Denken. Nur durch einen Zusammenklang der beiden Denkarten aber konnte die Denkkraft der neuen Menschheit in umfassender Weite entwickelt werden. Es ist daraus auch verständlich, daß die Wesenheit des Christus — obwohl gerade nicht Klein-Asien, sondern Europa später zum AusstrahlungsZentrum der Weltanschauung des Christentums werden sollte — doch zunächst dort zur Erde niederstieg, wo die Menschheit gleichsam der»Erlösung«stärker bedurfte, wo die Kräfte vom»Baum der Erkenntnis« am stärksten walteten, zumal das Jordantal die Erfüllung dieser schweren Erlösungsaufgabe durch seine außergewöhnliche Kräftestruktur erleichterte. Aber nur die Gebiete im Herzen Europas, wo die Kräfte *) Siehe hierzu auch: E r n s t U e h l i , Nordisch-germanische Mythologie als Mysteriengeschichte, VerlagGeering, Basel 1927, und Prof. Dr. R i c h a r d K a r u t z : »Druidische und nordische Mysterien« in »Die Drei«, Jahrg. V und VI. 117
vom Baum des Lebens und vom Baum der Erkenntnis dann zusammenströmten, konnten später zum Träger der Impulse des Christentums werden. Die Religionen der nördlichen und südlichen Strömungen zeigen am wahrsten den Unterschied in der Ausbildung der »Denkkraft«. Die religiösen, staatlichen, rechtlichen, ja sogar wirtschaftlichen Ordnungen und Lebensmethoden der beiden Gruppen sind nur sekundäre Symptome dieser primären Ursache. Die südliche Strömung betont das G e s e t z : das intellektuell-logische Gesetz im Denken und Philosophieren, das strenge mosaische Gesetz in der Religion, dessen Normen bis ins Einzelne in das Familienleben, Rechtsleben, Volksleben regelnd eingreifen. Die nördliche Strömung betont viel mehr die Idee der F r e i h e i t ; die Religion ist eine ganz imaginative, die in solchen Bildern sprach, wie sie in der nordisch-germanischen Mythologie erhalten blieben; im Familienleben, in der Rechtsordnung, imVolksleben sind diejenigen Ideale betont, in denen die freie Entwicklung des Heroischen, Persönlichen, dominiert. Das germanische Recht ist ein viel imaginativeres, individuelleres, als das später eingeführte römische Recht, das seinerseits aus dem Intellektualismus des Südens geboren war. Die »Denkkraft«, welche die fünfte Wurzelrasse zu ihrer Ausbildung bringen soll, wird in der Zukunft noch einen Gipfel erklimmen müssen, der über das einseitig intellektuell - logische oder das einseitig atavistisch-imaginative Denken hinaus sich zu einer neuen höheren Synthese erheben wird. Rudolf Steiner hat in seiner »Philosophie der Freiheit« und den anderen Schriften, die sich mit der bewußten Erweiterung und Höher-Entwickelung der Denkkräfte befassen, auf diese Zukunftsaufgaben der Menschheit hingewiesen. Die nördliche und die südliche Strömung der aus der Atlantis ausgewanderten Menschen hatten also gleichsam ein neues Werkzeug zur Bewältigung der schwierigen Zukunfts-Aufgaben mitbekommen: Die Denk-Kraft. Beide handhabten dieses neue Werkzeug anfangs in ungeschickter Weise, dann sich mehr und mehr Geschicklichkeit erwerbend, doch in verschiedener Art. Wenn dieses Instrument zum Wiederöffnen der Himmelstore, zur bewußten Rückkehr in die Erkenntnis der geistigen Welt verwandt werden soll, dann muß eine bewußte geistige Schulung einsetzen. Imagination, Inspiration, Intuition muß der Mensch bewußt ausüben lernen, um die geistigen Mächte und Kräfte in sich selbst und in der ihn umgebenden Natur, in Erde und Kosmos, wieder zu erkennen. Dann wird er auch wieder bewußten Anschluß finden an die geistige Führung der Menschheit, von der er sich in der Nacht des nur intellektuellen Denkens verlassen glaubte. Wenn er dies erreicht, werden die physischen und seelischen Leiden und Kämpfe der Völkerwanderungen gewiß nicht umsonst gewesen sein.
Die morphologischen Probleme der Rassen-Entwickelung. Wir müssen nun noch kurz versuchen, uns ein Bild von den physischen Grundlagen zu verschaffen, die zu Trägern jener geistigen Aufgaben werden sollen. Wir wollen uns an die wesentlichsten Symptome halten. Sympthomatisch für die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Typus ist vor allem die Form der Schädel-Kapsel, die durch das Gehirn, den Träger wichtigster geistiger Funktionen des Menschen, von innen modelliert wird; sodann die Gestalt des Gesichts-Skeletts, die horizontalen und vertikalen Komponenten des Kinns, die Gestaltung der Nase, der Zähne, der Haare, die Körpergröße usw. Wir werden bei der Betrachtung der Formung solcher Körperteile wieder nicht nur von Maß, Zahl und Gewicht ausgehen, sondern dies im Sinne einer »dynamischen Anthropologie« betrachten d. h. zu verstehen suchen, wie die ätherischen Bildekräfte aus geistigen Impulsen heraus diese physischen Formen modellieren, und zwar 1) von außen, die ätherischen Bildekräfte der Umwelt (exogene Wirkungen) 2) von innen, die Bildekräfte des eigenen ätherischen Leibes des Menschen (endogene Wirkungen). Beginnen wir mit dem Dogma vom Längen-Breiten-Index (siehe Seite 88), d. h. den Rassenmerkmalen der Kopfform des Menschen. Hier haben nun die Arbeiten von K. F. Wolff in außerordentlich begrüßenswerter Weise die bisherigen festen Vorstellungen verändert. Er sagt in seiner Rassenlehre (Seite 6): »Man ging also daran, mit Hilfe des Längen-Breiten-Index die Menschheit zu klassifizieren und wirklich gelangte man schnell zu einem scheinbar klaren Ergebnis. Es zeigte sich, daß im Norden und Süden Europas die Dolichoiden überwiegen, während die Mitte Europas, zumal in ihren gebirgigen Teilen, von einer großen, zusammenhängenden Menge brachykephaler Menschen bewohnt wird. Zwischen den nord- und südeuropäischen Dolichoiden machten sich starke Unterschiede geltend; bei den einen verband sich die lange Schädelform mit hohem Körperwuchs und heller Komplexion, bei den anderen mit mittelgroßem, häufig sogar kleinem Körperwuchs und dunkler Komplexion. Aus dieser Erkenntnis heraus entstand in vollkommen logischer Weise die Drei-Rassen-Lehre mit folgender überraschend einfachen und anscheinend sehr befriedigenden Einteilung der europäischen Menschheit: Homo Europaeus: der blonde Dolichokephale im Norden, Homo Mediterraneus: der brünette Dolichokephale im Süden, Homo Alpmus: der Brachykephale in den mitteleuropäischen Gebirgsländem.« Da man nun die Brachykephalie als ein typisches mongolisches Rassenmerkmal ansah, so entstand die allgemein verbreitete Hypothese, 119
daß die Brachykephalen Mitteleuropas aus Asien in Europa eingewandert sein müßten, während die im nördlichen Europa und die südlich um das Mittelmeer lebenden dolichoiden Völker im wesentlichen europäischen Ursprungs seien. Wolff widerlegt dies in überzeugender Weise und kommt zu dem Schluß (Seite 51): »Wenn man in die Fremde geht, dann sieht man meistens viel schärfer und beurteilt alles viel klarer, als in der Heimat. So erging es auch den europäischen Anthropologen. Solange sie nur in Europa arbeiteten, erschienen ihnen Brachoide und Dolichoide derart gegensätzlich, dass sie keinen Augenblick zögerten, die Erklärung dafür in einem grundverschiedenen Ursprung jener beiden Menschengruppen zu suchen. Darum wurde der einen Gruppe europäische, der anderen asiatische Herkunft zudiktiert. Als die Herren aber ihre Untersuchungen weiter ausdehnten und zu den Mongolen kamen, da zeigte es sich, dass mit dem „Längen-Breiten-Index" nichts anzufangen war. Denn von Tibet bis zur Bering-Strasse und von da bis nach Grönland stand man leibhaftigen Mongolen gegenüber, der Längen-Breiten-Index aber schwankte fast von 100 bis 60. Da war guter Rat teuer.«
Aus dem ganzen Material der Rassenkunde ergibt sich ihm nun mit Recht die Folgerung (Seite 52): »daß der Längen-Breiten-Index überhaupt kein Rassenmerkmal sein könne«; und er kommt zu der zweifellos viel richtigeren Einteilung der Menschheit im folgenden Sinne: »Wenn man das alles bedenkt, wird man mehr und mehr zu der Auffassung neigen, der Längen-Breiten-Index sei ein Merkmal, welches die u n r u h i g e r e n , u n t e r n e h m e n d e r e n und w a n d e r l u s t i g e r e n M e n s c h e n von den z ä h e r e n , b e d ä c h t i g e r e n und b o d e n s t ä n d i g e r e n scheide. Gilt das aber für alle Länder und Völker, so ist der Längen-Breiten-Index kein R a s s e n - M e r k m a l , s o n d e r n ein p h r e n o l o g i s c h e s Merkmal!« u. a. 0 . »Man könnte die Dolichokephalen geradezu die , Motoriker * nennen, im Gegensatz zu den beschaulichen, konservativen Brachykephalen«. Wir wollen dieses viel umstrittene Problem nun vom Gesichtspunkt der Bildekräftelehre betrachten. Es gibt von vorneherein zwei Arten von Bildekräften, welche an den Körperformen des Menschen modellieren. Die eine Kräfte-Gruppe, welche den Kopf zu einem in sich geschlossenen Gebilde zu formen, ihn gleichsam von der Außenwelt abzuschnüren strebt. Das extremste Gebilde solcher Art wäre eine in sich geschlossene Kugel. In dieser Richtung ist der sogenannte brachykephale Typus, der Rundschädel, geformt, bei dem Länge und Breite sich immer mehr ausgleichen. Die abschnürenden Kräfte des chemischen und Lebens-Äthers sind hier tätig. Dieser Typus neigt zur ruhigen Beschaulichkeit, zum phlegmatischen oder melancholischen Temperament. Wir hatten ja schon bei der Besprechung der Temperamente (Kap. VI) von ganz anderen Gesichtspunkten aus ebenfalls gezeigt, daß im Phlegmatiker diese abschnürenden ätherischen Bildekräfte überwiegen. Dieser Typus wird außerdem dazu neigen, dasjenige auszubilden, was wir die »männliche« Wissenschaft genannt haben 120
(siehe Kap. VII); wenn seine Tendenzen sich übersteigern, übertrieben werden, so wird p h y s i s c h ein hyperbrachykephaler, dem T e m p e r a m e n t nach ein Phlegmatiker, der g e i s t i g - s e e l i s c h e n Tingierung nach ein solcher Mensch entstehen, der die Anlage hat, ein sehr intellektuelles, abstraktes Gedanken-System auszubauen. Der Nur-Denker, der keine praktischen Versuche macht, keine Wanderlust zeigt, sondern sein Weltbild völlig in und aus seinem ruhenden Haupt erzeugen möchte. Es ist sehr charakteristisch, daß Kant ein Hyperbrachykephaler war, ein besonders stark ausgebildeter Rundschädel. Im Gegensatz hierzu überwiegt im anderen Typus jene Kräftegruppe, welche die Tendenz zum aktiven Ausstrahlen hat, Wärmeund Licht-Äther. Hier wird die Tendenz zur Abschnürung des Kopfgebildes von der Außenwelt ständig durch die Bildekräfte durchbrochen werden. Die beweglichen Teile, gleichsam die Ghedmassen-Teile des Kopfes werden überwiegen. Man kann ja auch im Haupte eine Wiederholung der Dreigliederung des Gesamtmenschen im Kleinen sehen. In der oberen Schädelkapsel haben wir die wichtigsten und charakteristischsten »Kopf-Partien«, die Zentrale des Nerven-Sinnes-Systems; in der m i t t l e r e n Partie des Kopfes vertritt z. B. die Nase die Funktion des »rythmischen Systems« der Atmung etc.; in der u n t e r e n KopfPartie vertreten Mund und Kiefer-Partien die Funktionen des Stoffwechsel-Gliedmaßen-Systems. Deshalb sind auch die unteren KieferPartien die beweglichsten am Haupte, während die obere Schädelkapsel ganz verfestigt und in sich unbeweglich ist. Bei dem MenschenTypus nun, der zu ausstrahlender Aktivität und Beweglichkeit veranlagt ist, wird die zum »Gliedmaßen-System« des Hauptes gehörige, bewegliche Kiefer-Partie stärker betont sein, die nach vorn und nach unten weisende Kraft-Komponente wird in der Hauptesbildung hervortreten, es entsteht der Dolichokephale, der Langschädel. In diesen ganzen Zusammenhängen liegt auch die mehr oder weniger starke Entsprechung von Kopf-Skelett und Gesichts-Skelett begründet. Dieser Typus der zweiten Kräfte-Gruppe wird also seinem ganzen Wesen nach zur ausstrahlenden Aktivität und Beweglichkeit neigen, zum sanguinischen oder cholerischen Temperament. Wir hatten ja diese beiden Temperamente schon im Kap. VI den überwiegenden Bildekräften des Wärmeund Licht-Äthers zugeordnet. Wenn sich seine Tendenzen allzusehr übersteigern, d. h. wenn die Stoffwechsel-Gliedmaßen-Tendenzen ü b e r t r i e b e n werden, so entsteht p h y s i s c h jener Menschenschlag mit dem zu stark ausgebildeten, oft brutalen Gebiß, wie man ihn heute häufig antrifft, der richtige Materialist, bei dem der Kopf letzten Endes nur für die Versorgung des Mundes tätig ist, g e i s t i g - s e e l i s c h der ideenlose Eroberer-Typus und brutale Gewalt-Mensch. Selbstverständlich sind dies alles nur Extreme, Polaritäten; die Vollkommen121
heit, die Harmonie liegt wie immer zwischen solchen Extremen. Wenn wir diese beiden übersteigerten morphologischen Extreme mit einer Bezeichnung belegen wollten, so könnten wir das eine Extrem etwa den »Kopfkugeltypus«, das andere den »Unterkiefertypus« nennen. Rudolf Steiner hat einmal halb scherzhaft, halb emst darauf hingewiesen, daß wenn der Mensch die völlig abstrakte überintellektuelle Denkart einseitig ausbilden würde, schließlich ein Mensch entstehen müßte, der gleichsam nur eine rollende Kopfkugel vorstellt, während alle Gliedmaßen-Funktionen ja durch maschinelle Technizismen ersetzt werden. Dem entgegengesetzt kann man sich einen übermäßig nur auf die Genüsse des unteren Menschen hin entwickelten Typus denken, dessen Kieferpartien wahrscheinlich ein Bild ergeben müßten, das peinlich dem eines Orang-Utang ähneln würde. Daß die Menschheit des materialistischen Zeitalters sich eine Abstammung des Menschen vom Affen vorstellen wollte, mag wohl auch mit aus dem Bereich solcher innerer Tendenzen entsprungen sein. Es ist heutzutage oft unverständlich, wenn man in rassen- und völkerkundlichen Schriften sieht, wie für den dolichoiden oder brachoiden Menschentypus einseitig »Propaganda« gemacht wird, als ob der eine oder andere eine höhere, edlere Entwickelungsstufe darstelle. Doch die Lösung dieser Probleme liegt gewiß nicht in solcher Richtung, sie liegt im harmonischen Ausgleich der Extreme. Fragen wir uns zunächst, welcher Typus entwicklungsgeschichtlich der frühere und der spätere war. C. H. Stratz sagt (Naturgeschichte des Menschen): »Auf phylogenetischer Grundlage erscheint die Dolichokephalie als der primitivste Zustand.« — Dies erscheint uns aus der Lehre von den ätherischen Bildekräften durchaus morphologisch begründet und natumotwendig, da eben der Wärme- und Licht-Äther, die beim Dolichoiden verstärkt aktiv sind, auch makrokosmisch phylogenetisch die früheren Bildekräfte sind, als Chemischer und L«bensÄther, die beim Brachoiden verstärkt aktiv sind. Je mehr sich die Menschheit geistig verintellektualisiert, d. h. zum einseitigen »Kopfkugeltypus« hinentwickelt, desto mehr nimmt auch physisch die Tendenz zur Rundschädelbildung zu. Wolff sagt hierzu (Seite 78):»In diesem Sinne spricht auch Czekanowski von der Brachykephalisierung der europäischen Bevölkerung und Rudolf Martin von zunehmendem Brachykephalismus in Europa.« Es ist nun auch ganz charakteristisch und beweiskräftig, sowohl für die Gesichtspunkte der Bildekräftelehre, als auch für die im vorigen angegebenen Auswanderungsströme der Atlantis, daß die Mongolen die am stärksten brachykephaJe Rasse sind. Dies erklärt sich eben auch daraus, daß die Urmongoien nach unserer Darstellung die späteste der in der Atlantis entwickelten Unterrassen sind (siehe Tabelle Seite 99), 122
also der allgemeinen Tendenz zur Biachykephalisierung am stärksten unterlagen. Gleichzeitig bestätigt es in einheitlicher Weise, was wir über die exogenen, kosmischen Bildekräfte-Wirkungen bei den ersten Rassenentstehungen gesagt haben: die Urmongolen sind eine M a r s Rasse. Mars ist aber gemäss der im I. Kap. dieses Buches gegebenen ätherischen Gliederung des Kosmos derjenige Planet, der dem Chemischen Äther zugeordnet ist (siehe Seite 6). Diese Bildekraft wiederum strebt dahin, den Kopf gleichsam zur Kugelgestalt eines Wassertropfens abzuschnüren. So muß der Mongole als Angehöriger einer »Mars-Rasse« (ehem. Äther) zunächst mehr zur Brachykephalie, der Arier, der Homo Europäus, als Angehöriger einer »Jupiter-Rasse« (s. Seite 93/6) (LichtÄther) jedoch mehr zur Dolichokephalie hin veranlagt sein. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, daß wir auch in den Fehler verfielen, den Längen-Breiten-Index für ein Rassenmerkmal zu halten, möchten wir dies noch in folgender Hinsicht präzisieren: wir verstehen unter »Rasse«, wie gesagt, eine Menschengemeinschaft, die eine bestimmte geistige Aufgabe zu erfüllen hat. Der physische Organismus wird als möglichst geeigneter Träger dieser geistigen Funktionen durch die Bildekräfte modelliert, besonders in der Seite 110 erwähnten ersten und zweiten Periode. Schreitet die menschliche Seele, die Entelechie, zur Geburt, so überschaut sie geistig das ätherische Spektrum der Erde. Sie wählt sich dann möglichst diejenigen körperlichen Grundlagen, die am besten denjenigen geistigen Aufgaben entsprechen, welche diese Seele allein oder mit anderen Menschengruppen gemeinsam auf Erden lösen will. In diesem Sinne stellt eine Rasse — namentlich in früheren Entwickelungs-Perioden—nicht eine nur zwangsläufige Blutsgemeinschaft, sondern eine frei gewählte Schicksalsgemeinschaft dar. Gewiß erleichtert die Vererbungsströmung es der Seele, sich einen Körper z. B. mit braehykephaler Kopfform zu modellieren; das aber ist nur die exogene KräfteWirkung, sie bedarf aber der Unterstützung durch die endogenen Wirkungen, durch die Impulse der Seele, die gleichsam in dieser Strömung freiwillig untertauchen und sie fortführen will. Schon während der Embryonal-Zeit entwickelt sich die physische Anlage zur einen oder anderen Kopfform. Wolff gibt (Seite 37) die folgenden Unterlagen von Eugen Fischer: »Ob ein Lang- oder RundSchädel entsteht, ist schon beim Fötus im 8. und 9. Monat ausgeprägt.« »Bernhard Struck äußert sich dazu wie folgt: Tatsächlich sind wie Hecker und Rüdinger nachgewiesen haben, Dolicho- und Brachykephalie schon intrauterin ausgebildet.« Wenn keine Seelen mehr den Impuls haben, eine »Rasse« und deren Aufgaben fortzusetzen, so verwischen sich allmählich die Charakteristica der Rasse, sie vermischt sich mit anderen, sie stirbt aus. Wir werden
hierauf noch im III. Band über »Die Reinkamation vom Gesichtspunkt der heutigen Naturforschung« näher eingehen. Hier sollte nur betont werden, daß eine Rasse nicht eine nur zwangsläufige Vererbungsgemeinschaft, sondern eine freiwillige »Schicksalsgemeinschaft« ist. Auch sprechen wir hier von allgemein gültigen Gesetzmäßigkeiten. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, »Erlöser«, die in einer anderen, ihrem eigenen Wesen fremden Rasse untertauchen, um dieser einen neuen andersartigen Impuls zu bringen. Doch im allgemeinen verdankt die Rasse ihr Werden und Vergehen den oben dargestellten Entwickelungswegen. Die Geschichte der Völkerwanderungen und der Siedelungsgebiete zeigt immer wieder die völlig verschiedenen Impulse des aktiv ausstrahlenden oder des sich vom Weltgeschehen abschnürenden Menschentypus, des Eroberers oder des sich Zurückziehenden, des GliedmaßenMenschen oder des Intellektuellen. K. F . Wolff gibt hierfür ein außerordentlich interessantes Material zunächst aus den Arbeiten von Bürger-Villingen und W. Bräunlich. Letzterer schreibt: »Hat das Schädeldach von oben und im ganzen betrachtet, eine mehr längliche Form (Langschädel), dann betätigt sich ein solcher Mensch gern nach außen, er begnügt sich nicht mit seiner eigenen Person, sondern will auf seine Mitmenschen einwirken, er ist also gewissermaßen a g i t a t o r i s c h veranlagt, während Menschen, deren Schädeldach wie ein in sich geschlossener Kreis (Rundschädel) erscheint, mehr ihrer Person und ihrem Behagen leben, weniger beweglich sind; ihre Gedanken gehen gewissermaßen im Kreise immer wieder zum eigenen Ich zurück Ist der Schädel bei den Langschädeln hoch, dann sind sie zu aufbauender, dem Allgemeinwohl gewidmeter Tätigkeit wie berufen, bei niedrigem Schädel neigen sie zu brutaler Herrschsucht; ein hoher, runder Schädel neigt besonders zu philosophischer, religiöser und mystischer Denkungsart, ein niederer Rundschädel kennt nichts als seine eigene liebe Person.« — Anschließend an die Arbeiten von Lapouge »daß die aus Europa stammenden K o l o n i a l b e v ö l k e r u n g e n im Durchschnitt sämtlich d o l i c h o i d e r oder weniger brachykephal seien, als ihre europäischen Muttervölker,« und andere gleichartige Ergebnisse z. B. bei den europäischen Auswanderern nach den Vereinigten Staaten, sagt Wolff (Seite 58): »Natürlich gilt das nicht nur für die Europäer — es muß für alle Menschengruppen gelten. Tatsächlich sehen wir, daß z. B. die Bewohner von Inseln fast immer dolichoider (oder weniger brachoid) sind, als die Bewohner der benachbarten Kontinente. Umgekehrt hat schon Otto Ammon vermutet, die Brachykephalie der Gebirgsbewohner dürfte durch Abwanderung der dolichoiden Elemente verursacht oder wenigstens verstärkt worden sein. Diese Erscheinungen sind aber nicht an Europa gebunden, sondern kehren 124
ebenso gut auf den Inseln und in den Gebirgsländern von Afrika und Asien wieder.«*) Das wesentliche Fundament, das wir vom Gesichtspunkt der Lehre von den Bildekräften für alle diese Phänomene gewinnen, ist es nun, daß wir eben die konkreten Ursachen angeben können, die morphologisch dazu geführt haben, daß aus geistigen Impulsen und seelischen Temperamenten heraus ganz bestimmte Bildekräfte die, verschiedenen physischen Körpermerkmale modellieren, und daß all diese Zusammenhänge letzlich nur verständlich werden, wenn wir mehr und mehr erkennen, wie das Ätherische die Brücke bildet zwischen den geistigseelischen und den physischen Funktionen des Menschen. Versenken wir uns noch kurz in die Betrachtung jener m i t t l e r e n Sphäre des ätherischen Spektrums der Erde, wo die Polaritäten der westlichen und östlichen Kräfte kämpfend zum Ausgleich kommen: in E u r o p a . Wir hatten schon erwähnt, daß nach der bisherigen Ansicht der meisten Rassenforscher die europäischen Rundschädel, die wie ein Keil zwischen die nördlichen und südlichen Langschädel hineingeschoben sind, aus Asien stammen sollen, daß also angeblich eine ostwestliche Massen-Einwanderung in Europa vom Orient her stattgefunden hätte. Wir haben eine solche Ansicht schon bei Besprechung der vier ersten nachatlantischen Kulturen (Seite 116) abgelehnt und müssen als Grundlage nochmals betonen: die europäischen Massenvölker, sowohl des Nordens, als auch der Mitte und des Südens, stammen insgesamt von den verschiedenen Völker-Strömungen aus der alten Atlantis her. Wir gehen daher mit Wolff nur insoweit einig, als er die Einwanderung von Osten ablehnt, sind jedoch widersprechender Ansicht, wenn er für die europäischen Doiichoiden des Nordens und des Südens völlig verschiedene Entstehungszentren annimmt. Auch können wir logischerweise nicht der Wilser'sehen Ansicht folgen, wenn dieser sagt: »Hätte sich die Mittelmeerrasse nordwärts, die nordeuropäische aber südwärts ausgebreitet, so müßten wir notwendigerweise zwei verschiedene Verbreitungszentren voraussetzen, was bei der Übereinstimmung des Schädelbaues und der sonstigen Verwandtschaft ausgeschlossen ist.« — Wir können alle diese tatsächlichen Phänomene, daß nämlich die nördlichen und südlichen Menschengruppen Europas trotz des dazwischen liegenden Keils starke Übereinstimmung vieler Körpermerkmale aufweisen und sich von Norden und Süden nach Zentral-Europa hineinergossen haben, sofort verstehen, ohne dabei *) Siehe zu diesen Problemen auch: Dr. H e r m a n n P o p p e l b a u m : »Die Bildekräfte der Erdzonen und der Mensch« in »Die Drei«, V. Jahrg., Heft 2, u. a. 0 . und »Gäa Sophia«, Jahrg. I, S. 337ff., sowie Dr. H e l m u t K n a u e r : »Erdfeste und Erdumkreis« in »Die Drei«, V. Jahrg., Heft 8. 125
zwei verschiedene Entstehungszentren dieser so auffallend gleichartigen Gruppen annehmen zu müssen, wenn wir unsere obige Karte der Völkerwanderungen aus der Atlantis zugrunde legen (Seite 108). Dann allein erklären sich alle diese Symptome ganz einfach und folgerichtig: Aus dem Entwickelungsstadium der fünften Unterrasse der Atlantis, also einem e i n h e i t l i c h e n Entstehungszentrum lösen sich zwei verschiedene Strömungen los und wandern ostwärts (siehe Seite 114ff.), die eine über Nord-Europa, die andere südlich über Spanien bezw. Nord-Afrika nach Asien. Das sind vornehmlich die unternehmungslustigen, aktiven Menschen der alten Atlantis und daher beide Gruppen vorwiegend dolichoid. Die eine Gruppe läßt auf dieser Wanderung nach Asien Teile in Nord-Europa, die andere in Süd-Europa zurück. Diese strömen nun mit der Zeit nach Zentral-Europa von Norden und Süden hinein und besiedeln ganz Europa. Dabei bleiben die dolichoiden, mehr aktiven Elemente vorwiegend um die Meere im Norden und Süden Europas gruppiert, von wo Kolonisation, Schiffahrt, Handel usw. leichter möglich sind, also alles was den aktiven Typus anzieht. Die weniger aktiven und zu Unternehmungen und Kämpfen nicht veranlagten Rund schädel, Brachykephalen, konzentrieren sich jedoch mehr in den Rückzugsgebieten der Alpenländer und überhaupt der ruhigeren Teile Mittel-Europas. Das Entstehungs-Zentrum aller dieser »Europäer« war jedoch einstmals das gleiche. So wirken im Sinne einer »dynamischen Anthropologie« sowohl exogene, wie endogene Impulse zusammen, um das eigenartige Bild der europäischen Menschheit von heute allmählich zu gestalten. Betrachten wir diese Entwickelung in Europa noch besonders vom Gesichtspunkte jener äußeren Wirkungen, die mit dem ätherischen Spektrum der Erde zusammenhängen. Wenn wir die oben für die ganze Erdoberfläche gegebene Verteilung der Bildekräfte für E u r o p a z.B. spezifizieren, so ergibt sich hierfür etwa das folgende Bild: (s.S. 127.) Wir hatten gezeigt, daß auf dieses mittlere Gebiet von Osten die licht- und wärmeätherischen, von Westen die lebens- und chemischätherischen Kräfte eindringen und wir hatten auch dargetan, wie ein Übergewicht der einen oder anderen Bildekräfte, wenn sie sich als freie Kräfte im Organismus ausleben können, zu einer bestimmten Tingierung auch des Seelischen z. B. der Temperamente, ja überhaupt der Bewußtseinsformen hinführen kann. Um die besondere Differenzierung der Bildekräfte in Europa zu verstehen, ist es wertvoll, noch einmal auf jene gewaltigen Kräftewirkungen hinzuschauen, die in den Faltungen der großen Gebirgszüge dieses Kontinents ihm ihre übersinnliche Struktur bis ins PhysischSichtbare hinein aufgeprägt haben. Während die asiatischen Gebirgsmassen durch nord-südliche Kräfte bewirkt sind, haben ja in den 126
großen europäischen Gebirgsmassen, vor allem den Alpen, s ü d - n ö r d l i c h gerichtete Kräfte sich ausgewirkt. Nun ist es äußerst charakteristisch, daß von dieser Signatur Europas eine bedeutsame Ausnahme vorliegt: In den Gebirgen, die der italienischen Halbinsel nördlich vorgelagert Die ätherischen Bildekräfte in Europa :
sind, den Dinariden, und dem inneritalienischen Gebirge, dem Apennin. Diese italienischen Gebirgszüge wurden nämlich nicht nach der südnördlichen Tendenz der übrigen großen europäischen Gebirge modelliert, sondern von Kräften, welche die gleiche nord-südliche Wirkenstendenz haben, wie die Gebirge Zentral-Asiens, des Orients. 127
Prof. E. Kayser sagt hierüber (Seite 238): »Nur eine südlichste, im Westen mit den oberitalienischen Seen beginnende und sich nach Osten zu allmählich verbreitende, die sogenannte s ü d a l p i n e Z o n e besitzt gegenüber dem übrigen Alpengebirge . . . ein abweichendes, selbständiges Gepräge. Sie wird daher, wie schon bemerkt, von manchen neueren Forschern samt ihrer südöstlichen Fortsetzung, den dinarischen Alpen oder »Dinariden« von Sueß, als ein von den »Alpiden« ganz unabhängiger Gebirgsstamm angesehen. Die Alpiden . . . sind überall einseitig nach Norden bewegt worden, die Dinariden dagegen, denen man außer den dinarischen Alpen und ihrer südöstlichen Fortsetzung, den »Helleniden« noch die Apenninen zurechnet, ü b e r a l l e i n s e i t i g nach Süden«. Im Sinne der Äthergeographie und einer auf dieser notwendig aufgebauten Völkerpsychologie ist dies außerordentlich charakteristisch und aufschlußreich (siehe Abbildung Seite 127). Die Verjüngungskräfte, die weniger erdenhaften Bildekräfte sind ja dem Italiener noch viel mehr eigen, als manchen anderen Völkern der gleichen Rassenstruktur. Dort begegnen sich, wie überhaupt in den Gebieten der Mitte, okzidentalische und orientalische Einflüsse physischer, ätherischer und auch seelisch-geistiger Art. Bei den Völkern der Mitte überwiegen unterschiedlich zu gewissen Zeiten bald die Kräfte der einen, bald die der anderen Polarität. Etwas Fluktuierendes, nach allen Seiten hin Vermittelndes, Ausgleichendes liegt recht eigentlich in dem Wesen und in den Aufgaben dieser Gebiete der Erde. Für eine sinnvolle Erforschung der wichtigsten Modifikationen des Seelischen hat Dr. Rudolf Steiner dieses gegliedert in eine E m p f i n d u n g s s e e l e , eine V e r s t a n d e s s e e l e und eine B e w u ß t s e i n s seele. Über die Empfindungsseele sagt er: »Ganz wesentlich unterscheidet sich die Tätigkeit, durch welche die Empfindung zur Tatsache wird, von dem Wirken der Lebensbildekraft. Ein inneres Erlebnis wird durch jene Tätigkeit aus diesem Wirken hervorgelockt. Ohne diese Tätigkeit wäre ein bloßer Lebensvorgang da, wie man ihn auch an der Pflanze beobachtet. Man stelle sich den Menschen vor, wie er von allen Seiten Eindrücke empfängt. Man muß sich ihn zugleich nach allen Richtungen hin, woher er diese Eindrücke empfängt, als Quell der bezeichneten Tätigkeit denken. Nach allen Seiten hin antworten die Empfindungen auf die Eindrücke. Dieser Tätigkeitsquell soll »Empfindungsseele« heißen. Diese Empfindungsseele ist ebenso wirklich wie der physische Körper.« Wie das L i c h t ä t h e r i s c h e die irdische Welt erhellt, so durchleuchtet die Kraft der E m p f i n d u n g s s e e l e die von außen an den Menschen herankommenden Eindrücke mit Bewußtsein in seinem Inneren. 128
Wie das C h e m i s c h - Ä t h e r i s c h e die Substanzen in ihrer Trennung und Verbindung regelt und ordnet, so regelt und ordnet die V e r s t a n d e s s e e l e , der menschliche Verstand, in seinem Inneren mit Bewußtsein die Eindrücke, die er von der Sinneswelt empfängt. Die Verstandestätigkeit ist eigentlich ein Chemisieren bis hinein in die Gedankenwelt, ein Assoziations- und Dissoziationsprozeß in den Gedankenkräften. Wie das L e b e n s ä t h e r i s c h e der Substanz feste geformte Gestalt gibt und sie in sich erkraftet, so gibt die B e w u ß t s e i n s s e e l e dem Menschen die Möglichkeit, auch sein eigenes Innenwesen zu gestalten, zu formen und mit Bewußtseinskräften innerlich zu durchpulsen. So ergänzen sich die drei Seelenglieder harmonisch, indem die Empfindungsseele die Eindrücke der Außenwelt mit Bewußtsein durchleuchtet, die Verstandesseele sie ordnet, die Bewußtseinsseele auch die inneren Eindrücke ins Bewußtsein heraufhebt. Und wie die W ä r m e alle Naturreiche, alles Außermenschliche zu durchdringen und zu verwandeln, zu erlösen vermag, und dem Menschen innerlich in seiner Eigenwärme die Möglichkeit gibt, sich von der Wärme der Außenwelt zu unterscheiden, ihm die Basis zur Selbstheit gibt, so vermag auch die ewige Entelechie des Menschen, sein I c h , in alle Wesen und Dinge der Außenwelt erkennend einzudringen, ihm aber auch innerlich die Fähigkeit zu verleihen, die widerstreitenden Disharmonien der Außenwelt und der Innenwelt zu harmonisieren und immer mehr zu beherrschen. Eine solche Gliederung in der Entwickelung der verschiedenen Seelen-Kräfte gilt nun nicht nur für den einzelnen Menschen, sie gilt auch in einem gewissen Sinne für die Differenzierung der Völkerschaften Europas, von denen eine jede zur Ausbildung einer bestimmten Seelenkraft besonders veranlagt ist, so daß das ganze geistige Leben des betreffenden Volkes nach dieser besonderen Richtung hin seine eigenartige Tingierung erhält. Wenn man die oben (Seite 127) dargestellte Karte der Bildekräfte Europas betrachtet, so erzählt sie nicht nur von den physischen und ätherischen, sondern auch von den seelischgeistigen Besonderheiten in den betreffenden Gebieten. Wie aber der einzelne Mensch nur vollkommen wird, wenn er die divergierenden Seelenkräfte in sich harmonisiert, so wird auch ein lebender Organismus, wie es »Europa« und auch die gesamte Erdenmenschheit ist, nur durch einen Zusammenklang all dieser Impulse und Kräfte sein Ziel erreichen können. Wir müssen uns nun noch die Frage vorlegen, wie überhaupt die »Seele« mit der Vererbungsströmung zusammenhängt. Diese Frage bildet ja auch einen sehr wesentlichen Scheideweg für die verschiedenen Tendenzen der heutigen Rassenforschung. Wachsmuth, Äther. Bildekräfte.
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In seiner Auseinandersetzung mit den aktuellen wissenschaftlichen Gesichtspunkten auf diesem Gebiet sagt W. Schmidt S. V. D. in seinem Aufsatz über »Rasse und Seele« (Hochland, 24. Jahrg. Seite 418): »Die Bedenken, ob Anthropologen geeignet sind, die hier vorliegenden Tatsachen zu würdigen, können sich nur verstärken im Angesichte der Leichtigkeit, mit der sich z. B. Fr. Lenz darüber ausspricht. Er schreibt: Die .Frage der gegenseitigen Abhängigkeit des Seelischen und des Körperlichen wird durch die Feststellung der erblichen Bedingtheit der seelischen Anlagen nicht berührt. Irgendwelche Zusammenhänge zwischen Seele und Körper müssen offenbar bestehen, welcher Art sie sind, wissen wir aber nicht. An und für sich ist die Erblichkeit seelischer Anlagen nicht schwerer zu verstehen, wie die der körperlichen. Wenn z. B. irgendeine Färbung erblich bedingt ist — und wir kennen ja massenhaft Beispiele dafür —, so ist da ein körperlicher Zustand erblich, der in fremden Sehorganen einen bestimmten seelischen Eindruck, nämlich die betr. Farbe, hervorruft. Und wenn gewisse Anlagen erblich sind, die bei gegebenem Anlass zu einer Farbwahrnehmung im eigenen Sehorgan führen, so ist das schliesslich auch nicht wunderbarer. Entsprechendes gilt auch von den übrigen seelischen Anlagen' (S. 380). — Auch von den übrigen, also allen seelischen Anlagen? Das ist aber ein sehr summarisches Verfahren. Dasselbe könnte doch höchstens von denjenigen seelischen Anlagen gelten, bei deren Intätigkeittreten auch ein körperliches Organ mitbedingend ist. Was aber, wenn man nicht Anhänger des Wundt'sehen psycho-physischen Parallelismus ist, wenn man im Gegenteil der Ansicht ist, dass es seelische Tätigkeiten gibt, bei denen kein körperliches Organ auch nur irgendwie mitwirkt, und dass dies gerade die bedeutungsvollsten und höchsten Seelen-Tätigkeiten sind? Kann man für diese auch noch den Satz aufrecht erhalten, dass ,an und für sich' die Erblichkeit seelischer Anlagen nicht schwerer zu verstehen sei, wie die der körperlichen?«
Bis hierhin können wir mit Schmidt durchaus übereinstimmen, da auch wir der Ansicht sind, daß es seelische Tätigkeiten gibt, bei denen kein körperliches Organ auch nur irgendwie mitwirkt. Eine Divergenz der Anschauungen ergibt sich jedoch, wenn W. Schmidt dieses schwierige Problem kurzerhand aus den Satzungen der kirchlichen Dogmatik lösen will und sagt: „Breit und tief und ganz unüberbrückbar wird aber der Unterschied, wenn man daran festhält, dass die Seele, wenn auch lebenspendende und gestaltende Form des Körpers, doch eine eigene selbständige Substanz ist, die ihrerseits nicht nur mit keinem Körper, sondern auch nicht mit einer Seele, auch nicht mit den Seelen der eigenen Eltern in irgendeinem erblichen Zusammenhang steht, sondern jedes Mal, für jedes Individuum, neu von Gott geschaffen wird. Das nun aber ist die stets festgehaltene Lehre der katholischen Philosophie . . .
Zunächst gibt es doch auch Stimmen katholischer Philosophen, die in dieser Hinsicht nicht ganz so apodiktisch sind. So sagt z. B. der verstorbene Kardinal Mercier in seiner »Psychologie«*) (2. Bd. Seite 330): »Unter der Bezeichnung Wiedermenschwerdung (Reinkarnation), Netempsychose oder Seelenwanderung kann man sehr verschiedene Dinge verstehen: entweder eine Reihe von Wiederholungen des Daseins unter der zweifachen Bedingung, dass die Seele das Bewusstsein ihrer Persönlichkeit bewahrt, und dass es ein Endglied in der Reihe der Wanderungen gebe; oder eine Reihe von Wiederholungen des Daseins ohne Endglied, jedoch mit dem Vorbehalt, dass die Seele das Bewusstsein ihrer Persönlichkeit bewahre; oder endlich eine unbegrenzte Reihe von Daseinswiederholungen *) Kardinal D. Mercier, „Psychologie". 2. Bd. S. 330, Kösel, Kempten, 1921. 130
mit dem Verlust des Bewusstseins von der persönlichen Identität" „Was die erste Annahme betrifft, so sehen wir nicht, dass die Vernunft, sich selbst überlassen, sie unmöglich oder mit Sicherheit als falsch erklärte*).«
Kardinal Mercier selbst folgert nur (Seite 331): »daß die Unwissenheit über Daseinsformen vor unserem jetzigen Dasein, in der wir uns befinden, eine starke Vermutung gegen die Annahme einer Wiederholung der Existenz in der Zukunft in sich schließt.« — Wenn er auch persönlich gegen die Annahme wiederholter Erdenleben ist, so legt er also doch die Entscheidung über diese Frage nicht von vornherein aus der Dogmatik fest, sondern erklärt sie im Rahmen der Vernunft nicht für unmöglich und spricht die Argumente dagegen nur in Form einer »Vermutung« aus. Wenn also nach den Methoden Rudolf Steiners das Bewußtsein der Menschen auf wiederholte Erdenleben ausgedehnt würde, so müßte sich logischerweise die »Vermutung gegen die Annahme einer Wiederholung der Existenz« in ein mehr und mehr auszubauendes Wissen von der Tatsache der wiederholten Erdenleben wandeln. Wir werden auf diese Fragen noch im III. Bande über »Die Reinkarnation vom Gesichtspunkte der heutigen Naturforschung« näher eingehen. Wir berühren mit dieser Frage aber auch das Problem der Freiheit, ein Hauptproblem der Menschheit. Eine menschliche Freiheit wäre ebenso unmöglich, wenn der Mensch bei der Geburt eine körperlich und seelisch festgelegte »Erbmasse« von den Eltern übernehmen würde, deren Entwickelungs-Maschinerie seit vielen Generationen festgelegt wäre und in den Nachkommen sich nur weiter abrollte, wie es der Materialismus haben wollte, oder wenn man annimmt, daß die Seele als
Entität »jedesmal neu von Gott geschaffen wird,« was also bedeuten würde, daß alle seelischen Entwickelungen gar keinen Sinn haben, da sie mit dem Tode jedes Einzelnen enden und auf die kommenden Generationen und Zeiten nicht übertragbar sind, da Gott jede einzelne Seele neu schafft. Diese zunächst übertrieben scheinende, jedoch logische Schlußfolgerung zieht nun auch W. Schmidt durchaus von seinem dogmatischen Gesichtspunkte aus (Hochland 24. Jahrg. Seite 422): »So grundverschieden die seelische Ur-Veranlagung und die körperliche Erbmasse darin sind, dass die erstere jedem Individuum neu gegeben wird, während die letztere von uralten Generationen überkommen ist, in einem und nicht Unwichtigem stimmen sie doch überein: Sie sind beide für das Individuum etwas Gegebenes und ihm Zugemessenes; es muss sie so hinnehmen, wie sie ihm gegeben werden, und es liegt nicht in der Macht des Individualismus, weder die Annahme zu verweigern, noch auch in ihrem Wesen sie umzuändern. Und ferner: Wie weit der Mensch auch durch Idiokinese diese Erbmasse weiter zu entwickeln vermöchte, zweifellos hat jede Art, jede Rasse und jedes Individuum hier eine jenen Gegebenheiten entsprechende und zwar ziemlich enge Grenze, und es gibt für sie keine unbegrenzten Entwickelungsmöglichkeiten. In diesem Sinne ist es auch richtig was Lenz sagt: ,Es ist daher völlig hoffnungslos, durch Erziehung und Übung das Menschengeschlecht dauernd heben zu wollen* (1 S. 396). Deutlicher und unmissverständlicher drückt das Baur aus: *) Von mir gesperrt. 131
,dass es . . . . möglich sei, einfach auf dem Wege der Erziehung die erbliche Veranlagung zu steigern, ist völlig unbegründet'.«
Wenn dies wahr wäre, dann wären alle Rassen-Entwickelungen, die Völkerwanderungen und ihre Folgen, die gesamte Entwickelung des menschlichen physischen Organismus als eines Trägers geistig-seelischer Funktionen lediglich ein unverständliches Spiel mit menschlichen Schicksalen, in dem der Mensch niemals aus der Freiheit heraus zielvoll mitwirken könnte, da er ja sowohl die jedesmal von Gott neu geschaffene Seele, als auch die körperliche Erbmasse hinnehmen muß, »wie sie ihm gegeben werden« und wobei es »nicht in seiner Macht liegt,« sie »in ihrem Wesen umzuändern«. Ein solcher Mensch wäre völlig unfrei, lediglich Objekt eines zwangsläufigen Geschehens, in dem er nur zwischen Geburt und Tod darinnen steht, um alles durch eigene Kraft Erworbene mit dem Tode dem Erden-Werden auf immer zu entziehen. Ganz anders löst sich dieses Problem vom Gesichtspunkte der Wiederverkörperungslehre. Dadurch daß der Mensch immer wiederum untertaucht in das ErdenWerden, wirkt er dauernd mit am Schicksal der Erde und der gesamten irdischen Menschheits-Entwickelung. So kann er immer wiederum von Zeit zu Zeit aufnehmen, was an neuen Entwickelungsstufen der Erden-Menschheit erreicht worden ist und sich aus einem objektiven höheren vorgeburtlichen Bewußtsein heraus jene physischen Möglichkeiten wählen, die ihm zur Grundlage für die immer vollkommenere Ausbildung seiner eigenen Seelen-Kräfte dienen können, aber auch mitwirken an der zielvollen Weiterbildung der Erde und der Menschheit. Er übernimmt nicht bei der Geburt nur ein zwangsläufig Seiendes, um es nach kurzer Zeitspanne wiederum im Stich zu lassen, sondern bleibt verbunden mit einem Werdenden, einer Entwickelung, deren Schicksale er teilt, die er in früheren Erdenleben selbst mit aufbauen half und in zukünftigen Erdenleben wiederum vorfinden wird, um immer von neuem zielvoll an ihrer Vervollkommnung mitzuarbeiten und das begonnene Werk fortzusetzen. Immer mehr und mehr wird er frei, wenn auch sowohl im Guten als im Bösen, doch ein bewußter und freier Helfer im Werden des Kosmos. Was er bei der Geburt als physische Leibesgrundlage vorfindet, das ist, wie es Rudolf Steiner schildert, gleichsam nur das »Modell«. In dieses taucht er unter mit seiner geistig-seelischen Entelechie. Die ersten Entwickelungsjähre und Kinderkrankheiten sind nur der »Kampf mit dem Modell«, der Ausdruck für das Bestreben der Seele, den physischen Organismus den besonderen Eigenheiten der Seele anzupassen. Und wenn der heutige Naturwissenschaftler resignierend sagt (Fr. Lenz): »Irgendwelche Zusammenhänge zwischen Seele und Körper müssen offenbar bestehen, welcher Art sie sind, wissen wir aber nicht,« — so möchten wir antworten: 132
Diesen Zusammenhang bewirken die ätherischen Bildekräfte; von der geistig-seelischen Wesenheit des Menschen individuell zur Aktivität impulsiert, formen sie das »Modell« des physischen Leibes, dessen Substanz aus der Vererbüngsströmung übernommen wird, allmählich zum Abbild und Träger dieser geistigen Wesenheit. Je individueller, je freier die Menschheit wird, umso individueller wird auch der einzelne gegenüber den Zwangsläufigkeiten der Erdenwelt. So ist es auch das »Ich« der einzelnen Individualität, das diese gegenüber den Gemeinsamkeiten der gesamten Erden-Menschheit, der Rassen und Völker, sondert und ihr ein eigenes Schicksal gibt. So wird dieses ewige »Ich« sein eigenes Schicksal formen, indem es in einem Erdenleben untertaucht und sich seinen Leib aufbaut in jenem Teil des ätherischen Spektrums der Erde, wo die äußeren licht- und wärmeätherischen Strahlungen, die verjüngenden, erdentrückenden Einflüsse, oder ein anderesmal in jenem Teil, wo die Festigkeit schenkenden, erdenhaften Einwirkungen sein aus früherem Erdenleben entwickeltes eigenes Wesen stärken oder zu Starkes in ihm abschwächen, ausgleichen können; — wo das eigene cholerische oder sanguinische, phlegmatische oder melancholische Temperament durch die Erdenbildekräfte seine Bejahung und Basis oder die ihm notwendigen Widerstände finden kann; — wo es die in ihm vielleicht noch schwache Ernpfindungs-, Verstandes-, oder Bewußtseinsseele weiterentwickeln, sein noch einseitig ausgebildetes Denken, Fühlen und Wollen durch Überwindung von Gegenkräften erstarken oder durch die von der Erde gestrahlten Kräfte beleben und ausbilden kann. Die Geburt des Menschen auf Erden unterliegt keinem Zufall. Aus einem höheren, geistigeren Bewußtsein, als dem irdischen, betrachtet er den weisheitsvoll gegliederten Leib der Erde, erkennt das ätherische Spektrum der Bildekräfte und wählt sich denjenigen Ort der Geburt, wo die Substanzen und Kräfte der Erde ihm einen solchen Aufbau seines durchseelten, lebendigen Organismus gewähren, dessen er für die stetige Entwicklung seines ewigen Wesen bedarf. Goethe: »Orphische Ur-Worte«. »Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz, wonach Du angetreten; So mußt Du sein, Dir kannst Du nicht entfliehen: So sagten schon Sibyllen, so Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.«
IL Teil. D i e atneriscne AV elt in der JVunst. IX. Kapitel. Dicntung, .Malerei, Plastik, Architektur. Vv altet im Künstlerischen nur Freiheit, oder gibt es auch dort Gesetzmäßigkeit? War die Menschheit von jeher im Schöpferischen frei oder hat sie sich diese Freiheit im Zeitenlaufe errungen? Wenn es Weltengesetze auch für das Künstlerische des Menschen auf Erden gibt oder gab, wo greifen sie ein? Wie harmonisiert der Künstler Weltengesetze und Menschenfreiheit im Dichterischen, in der Musik,
in der Malerei, in Plastik und Architektur? Das Dichterische im Menschen ist wie das Feuerelement im Inneren der Erde: Es hat drei Wege des Offenbarem. Die Erscheinungswelt der Erde unterliegt oft einer schöpferischen Umwandlung durch die Feuerelemente des Erdinneren im Vulkanischen. Was da geschieht, ist Ergebnis eines unorganischen, gleichsam unbedachtsamen plötzlichen Tuns, die gewaltsame Eruption lang verhaltener innerer Kräfte, ein Schaffen aus ungezügeltem Befreiungsdrang innerer Impulse. Der Vulkan erlöst das ziellos zur Äußerung drängende Innere und ergreift die Außenwelt unbekümmert um die Erfordernisse einer Weltenharmonie von Innen und Außen. Erlösung der Innenwelt wird hier zum lieblos Verderblichen für die Außenwelt. Der Gegenpol solchen Wirkens von innen nach außen zeigt sich im Nur-Gesetzmäßigen. Hier führt das Wärmeelement — in seinem Tun und Lassen von Anbeginn angeblich »apriorisch« festgelegt — den Erdenzustand als gesetzgebundenen Mechanismus vom Urnebel zum Wärmetod. So denkt es sich ja meist unsere abendländische Naturwissenschaft. Die Wärme, in mechanische Gesetze eingespannt, führt zum Wärmetod von Erde und Welt! Aber zwischen den Polaritäten des Vulkanischen hier und der Gesetzesmechanik dort, bleibt dem Feuerelement des Erdinneren ein dritter Weg: Das organische Wirken, das schöpferische Hinein-verwobensein in den harmonischen Werdeprozeß von Innen und Außen, das befruchtende Miterleben der Außenwelt durch die in ihr pulsierende erwärmende Innenwelt; ein Wärmewirken ohne Zerstörung 134
und ohne Wärmetod, ein Wärmewirken als schöpferisch-tätiges Element des organischen Lebens. So auch das Dichterische. Trägt es nur ungezügelte Impulsivität aus dem Inneren des Einzelnen unbedacht in die Außenwelt der Mitmenschheit, dann wird sein Ergebnis Zerstörung sein, oder doch Sinnlosigkeit, Vergeudung, Unwert. Wert erlangt das gleichsam vulkanische Element der Dichtung erst in solcher Poesie, die im Phantastischen doch geistig wahr ist, das Unbedachte doch in Schönheit meistert. Gesetzesmechanik hingegen lebt im Philosophisch-Begrifflichen. Wird dieses Element zum überwiegenden Beherrscher des Dichterischen, so wird Dichtung in Gedankenmechanik, Poesie in Logik, das ursprünglich Schöpferische in seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten absterben. Wie viel Dichtung der letzten Zeiten ist nicht in die Sphären dieser beiden Polaritäten gemündet! Welches der dritte Weg ist, den die Dichtung, gleich dem Feuerelemente des Erdinneren, wählen kann, dies läßt sich nicht aussprechen, es läßt sich nur anschauend erfassen, wenn wir uns Menschen vor die Seele führen wie Goethe und Schiller. Goethe und Schiller mußten ihren Weg gehen durch die Gefahren der Scylla und Charybdis westlicher und östlicher Geistigkeit des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Das Gigantische des von ihnen Vollbrachten liegt — neben den Inhalten des Geleisteten selbst — schon auch darin, daß sie diesen beiden Gefahren n i c h t erlegen sind. Dies aber war für die zukünftigen Epochen von ganz unmittelbarer Bedeutung. Die okzidentalische Kultur hatte damals ein bestrickendes System philosophischer Abstraktionen ausgebildet, durch die das lebendige Gedankenelement des Menschen in eine apriorisch sein sollende Gesetzesmechanik eingespannt wurde und damit den Todeskeim empfing. Schiller's Natur setzte ihn der Gefahr aus, von diesem Todeskeim alles Dichterisch-Schöpferischen angesteckt zu werden. Er entrang sich der Versuchung und blieb Sieger in den »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen«. Ein Mensch wie Kant z. B. unterlag. Schiller streifte die Sphäre Kant's, aber da wo Lebendiges, Entwicklungsfähiges in Schiller atmet, da ist er schon über Kant hinaus, der Gefahr des Allzu-Okzidentalischen entronnen, sonst hätte seine Anschauung über das Wesen und Wirken des Ästhetisch-Schönen im Menschen in ihm nicht geboren werden können. Goethe's Natur neigte mehr zur Gefahr der östlichen Abirrung. Er schreibt einmal (Februar 1797) einen Brief an Schiller, in dem er sagt: »Vielleicht bildet sich die Idee zu einem Märchen, die mir gekommen ist, weiter aus. Es ist nur gar zu verständig und verständlich, drum will mir's nicht recht behagen; kann ich aber das Schiffchen auf dem Ozean der Imagination recht herumjagen, so gibt es doch viel135
leicht eine leidliche Komposition « Goethe weiß selbst sehr gut, daß er Gefahr läuft, vielleicht auch im Ozean der Imaginationen zu ertrinken. Auch er besiegt den Gegener in sich selbst, und, anstatt sich von den Bildern seiner Phantasie treiben zu lassen, zügelt und ordnet er sie zu dem ewig herrlichen Märchen »Von der grünen Schlange und der schönen Lilie«. So werden diese zwei Gestalten in der Geschichte okzidentalischer Geistigkeit dadurch, daß sie gemeinsam — und doch ein jeder auf seine Weise — die Gefahren vulkanischer östlicher Phantastik und toter, allzu westlicher Gedankenmechanik vermeiden, zu einem wachstumskräftigen Wesenskern für die organisch-lebendige Entwicklung des Geistigen einer Gesamtmenschheit der Zukunft. Um das Wesen der von Schiller gebrachten neuen Anschauung voll zu verstehen, wird es notwendig sein, die Genesis des Entwicklungsgedankens selbst zu verfolgen. Man kann sagen: Eine frühere Geistigkeit betrachtete das Menschenwesen mehr gemäß seiner Entwicklung in der Z e i t , den Menschen, wie er sich umbildet im ewigen W e r d e n . Schiller hingegen geht aus einer von Anschauung des Menschen gleichsam im R a u m , wie er jetzt ist, und knüpft erst daran seine Postulate über das, was werden soll. Es ist interessant, wie sich die Philosophie historisch derart ändert, daß sie d e n M e n s c h e n z u e r s t vorwiegend in der Z e i t , s p ä t e r vorwiegend im R ä u m e b e t r a c h t e t , und daraus ihre Erkenntnisse und Willensrichtungen bestimmt. Buddha schaute hin über die endlose Wanderung der Menschheit auf dem Wege zur Überwindung des Leidens. Das allmähliche Verstricktwerden des Menschen in das Sinnlich-Physische ist der Werdeprozeß des Leidens, die allmähliche Überwindung des Physischen ist der Werdeprozeß der Erlösung der Menschheit. Wer diesen schier ewigen Weg des von Brahman sich entfernenden und zu ihm zurückkehrenden Menschen durch die Äonen hindurch anschaut, der erfaßt im Sinne der Lehre Buddhas das Wesen des Menschen. Die jeweilige, vorübergehende innere Strucktur des Menschen ist hierbei von verschwindend geringer Bedeutung. Werden und Vergehen, die Elemente des Zeitlichen, sind das Wesentliche einer solchen Anschauung des Menschen. Gleicherweise dachte noch der Ägypter, seine Philosophie gipfelt im »Totenbuch«, welches davon spricht, woher der Mensch kommt, wohin er geht, was aus ihm w i r d , nicht aber wie er ist. Erst mit dem Aufkommen des mehr auf das menschliche Ich hingerichteten Gedankens im späteren Griechentum, im Neuplatonismus und in der christlichen Gnosis setzt eine punktuellem Betrachtung des Menschenwesens ein. Der Mensch will nun vor allem erkennen, wie geistige und physische Elemente räumlich in ihm selbst wirksam sind, das Problem geht dahin, zu entdecken, wie G e d a n k e , Gefühl u n d Wille im
menschlichen Organismus räumlich verankert sind, wie der Grundriß der geistigen und physischen Struktur des Menschen gezeichnet ist. — Das Hineinstellen des Menschen in ewige makrokosmische Zeitenrhythmen macht Platz einer Anschauung der mensch» liehen Struktur, wie sie jetzt ist, im Räume, in ihrer Wechselbeziehung von Materie und Geist. Das Mysterien-Standbild der ägyptischen Weisen und Priester zu Sais trug einst die Inschrift: »Ich bin, die da war, die da ist, die da sein wird.« Man dachte damals: Wer vom Werdenden den Schleier hebt, versteht Welt und Mensch. — Die Erkenntnis seit Beginn des Christentums aber will sich durchringen zum Verstehen des »Ich bin der Ich-bin«. — Wer vom Seienden den Schleier hebt, versteht Welt und Mensch. Doch man trat bisher an diese Aufgabe nur mit dem Rüstzeug des abstrakten Gedankens heran, daher gelang es letztlich noch keinem, den Schleier zu lüften. Noch einmal bricht die genetische Philosophie durch in Lessings »Erziehung des Menschengeschlechtes«. Er sagt sich, daß man kein Verständnis für den Sinn und das Geartetsein des Menschenwesens finden kann, wenn man nur die geistig-seelische Organisation des heutigen Einzelmenschen betrachtet, sondern erst dann, wenn man jede Einzelseele immer wieder hineingestellt weiß in den zeitlichen Entwicklungsprozeß, wenn man sie verfolgt, wie sie immer wieder und wieder herabsteigt in die Verkörperung auf Erden, um dasjenige aufzunehmen, was die sich fortentwickelnde Erde mit ihren wechselnden Kulturen ihr immer in neuer Weise zu bieten hat. Lessing will die menschliche Seele erkennen als eine Summe von Weltenerfahrung, deshalb muß er zur Anerkennung der Wiederverkörperungslehre kommen. Die Zeit ist ihm eine der wichtigsten Erzieherinnen des Menschengeschlechtes. Von ganz anderen Gesichtspunkten geht Schiller aus. Er fragt zuerst nach der inneren Struktur des jetzigen Menschen, um aus ihr die Erziehung der Zukunft ableiten zu können. Er geht nicht aus von dem Nacheinander der Seelenentwicklung, sondern betrachtet zuerst das Nebeneinander der Triebe im Menschen, wie er heute ist. Und da sagt er sich, daß man im Menschen vor allem eine Gegensätzlichkeit vorfindet zwischen zwei Grundtrieben, dem Vernunfttrieb und dem Naturtrieb. Beides sind keine Elemente, die den Menschen zur wahren Freiheit hinführen können. Schiller suchte aber diejenigen Seins- und Wirkens-Sphären des Menschen, in denen er wahrhaft frei sein kann. Lebt sich der Mensch im Gebiet des Naturtriebes aus, so ist er in die Naturnotwendigkeiten, in den Zwang der Naturgesetzlichkeit eingespannt. Die physische Natur des Menschen als Grundlage seiner dorthin gerichteten Triebe ist eingebaut in das Räderwerk des geregelten Naturgeschehens, hier ist der Mensch unfrei. Aber auch am Gegenpol liegt nicht die Erlösung. Denn der Vernunfttrieb des Menschen 137
unterliegt der Vernunftnotwendigkeit, dort trägt er die Zwangsjacke der Logik, der geistigen Gesetzmäßigkeiten, nach denen die Welt gleichsam durchmathematisiert ist. Auch hier ist er unfrei. Pendelt der Mensch nur zwischen Naturtrieb und Vernunfttrieb hin und her, so ist er eingespannt in Naturnotwendigkeit und Vernunftnotwendigkeit. Die Freiheit wird er in diesen Sphären niemals finden können. Aber Schiller weist nun dem Menschen noch einen mittleren Zustand zu, den des »Spieltriebes«. Es ist die Sphäre des Schönen, des Ästhetischen, es ist diejenige, wo er sich nicht durch gedankliche oder leiblich-natürliche Notwendigkeit bestimmen läßt, sondern im mittleren Zustande zwischen beiden frei ist im Lieben oder Nichtlieben, im ästhetischen Erlebnis, aktiv im künstlerischen Schaffen, passiv im künstlerischen Genießen. Ja, erst aus dieser Freiheit heraus gibt er dann von sich aus dem Gedanklichen und dem Naturgegebenen neue Normen hinzu in der künstlerischen Schöpfung, sei es in der Dichtung, in der Plastik oder irgendeinem anderen Ausdrucksmittel des freien Künstlers. — Die Erfassung dieses mittleren Zustandes des Menschen im Spieltrieb war gewiß eine der genialsten Konzeptionen Schillers. Wo Gedanke und Wille des Menschen nichts mehr vermögen, weil sie in die Zwangsjacke der Notwendigkeiten eingeengt sind, da kann sich der Mensch im Künstlerischen doch noch in Gebiete befreiend erheben, die jenseits des abstrakten Gedankens und des naturbegrenzten Willens liegen, da kann gleichsam das Herz des Menschen aus dem Erlebnis der symphonischen Sphären des Ästhetischen und des Schönen heraus frei und schöpferisch in die Welten der Vernunftnotwendigkeit und Naturnotwendigkeit gestaltend hineinwirken. Die von Schiller erkannte Dreiheit von Triebsphären im Menschen fordert nun auch eine Seelenlehre, welche fähig ist, die Richtigkeit dieser menschlichen Struktur aus konkreter Erforschung des menschlichen Organismus, in geistig-seelischer und leiblicher Hinsicht auch wirklich zu erweisen. Wer dies sucht, wird die Grundlagen solcher Erkenntnis finden in jenem Buche Dr. Rudolf Steiner's »Von Seelenrätseln«, in dem er der Wissenschaft und Philosophie das Werkzeug gab, dessen sie sich in Zukunft wird bedienen müssen, um das geistig-seelische Wesen des Menschen aus seiner Organisation heraus auch wirklich zu verstehen und die große Wechselbeziehung zwischen Geistigem und Physischem, wie sie uns im Menschen entgegentritt, bis in ihre konkretesten Einzelheiten hinein erforschen zu können. Es ist die Lehre von der »Dreigliederung des menschlichen Organismus«, wie sie Rudolf Steiner seit Herausgabe des Buches »Von Seelenrätseln« auch noch in vielen anderen Schriften und Vorträgen bewiesen, ausgebaut und erläutert hat. Auf diese Literatur kann hier natürlich nur zur Selbstorientierung hingewiesen werden (siehe auch I. Band, Aufl. 2, Seite 220 ff).
Wer durch solche Methodik das Ineinanderspielen von GeistigSeelischem und Physischem im Menschen anschauen lernt, der steigt auch auf zu einem tieferen Einblick in die reale Wirkensart des Künstlerischen auf die menschliche Organisation. Rudolf Steiner hat bis ins einzelne gehend dargestellt, worauf wir hier nur hindeuten können, wie das wirklich ästhetische Verhalten des Menschen nun konkret darinnen besteht, daß die Sinnesorgane der menschlichen Wesenheit in einer gewissen Weise durch das Anschauen, das Erleben des Künstlerischen verlebendigt, und diese Lebensprozesse hinwiederum durchseelt werden. Die Wirkung des Ästhetischen, der Kunst, ist also ein realer Prozeß der läuternden Vergeistigung des Physisch-Materiellen, der sich auf dem Schauplatz des menschlichen Organismus abspielt. Gleichwie der Makrokosmos, wenn er nur aus dem stillstehenden, starren Fixsternsystem des Tierkreises bestünde, nur ein toter Kosmos wäre, aber durch die ewig wechselvolle Bewegtheit der Planetensphären verlebendigt, und durch deren lebendige Wesenheiten vergeistigt wird, — so führt im Mikrokosmos des Menschen die wahre Hingabe an den Kunstgenuß dahin, daß die tote, starr-gesetzmäßige Sinneswahrnehmung starker durchpulst und verlebendigt wird von den Lebensprozessen, die ihrerseits vom Erlebnis des Ästhetischen durchkraftet und durchseelt werden. Kunstgenuß, ästhetisches Schaffen und Genießen bewegt, verlebendigt also real die physische Sinneswahrnehmung des Menschenwesens, durchseelt wiederum diesen Lebensprozeß, und erhebt somit dasjenige in ihm, was sonst nur als physisch-naturhafter Vorgang abläuft, in die Sphären des GeistigSchöpferischen. Ist der Mensch aktiv künstlerisch tätig, so durchgeistigt er die Materie außer ihm. Nimmt der Mensch das Künstlerische passiv auf, so durchgeistigt sich das Materielle in ihm. Während der Mensch im Dichterischen nur Geistiges formt, wird in der Malerei, der Architektur und Plastik durch seine Kunst auch die Materie modeliiert und geformt. Doch wenn auch scheinbar am freiesten, so waltet auch in der Dichtung der vergangenen Jahrtausende etwas vom Rhythmus, den die am Menschen modellierenden ätherischen Bildekräfte ihm einprägten. Wie zwischen Blutzirkulation und Atmung des Menschen ein geheimnisvolles Verhältnis besteht, so daß immer ein Atmungsrhythmus sich in vier Rhythmen des Pulsschlags zerlegt (Atmung: Blutrhythmus = 1:4), so schwelgt der Mensch auch in vielen seiner Versmaße (— o u oder u o —) selbst schöpferisch in dem ihm einstmals einverwobenen Weltenrhythmus, derart kosmische und menschliche Harmonien in dem Wesen der Dichtung spiegelnd und von neuem erschaffend. Die viergliedrigen Rhythmen in der Dichtung sind zweifellos die ursprünglichsten, die andern nur von diesen abgeleitete 139
Variationen. Wie die vier ätherischen Bildekräfte, die im oberen und unteren Menschen sich in mächtigen Spannungen polarisch entgegenstehen, in dem mittleren rhythmischen System des Menschen im Rhythmus 1:4 sich ausgleichend, harmonisierend begegnen, so freut der Mensch sich auch dieses eigenartigen Wellenschlages in den Rhythmen seiner Dichtungen, ihn nun schöpferisch variierend und wandelnd. — Stärker noch als in der Dichtung dient das Wesen des Ätherischen dem Menschen als richtunggebend in der Malerei, in Plastik und Architektur. Die große Entwicklungslinie der Kunstgeschichte auffinden zu wollen, ohne den Wandel der ätherischen und physischen Organisation des Menschen zu durchschauen, ist völlig unmöglich. Die Freiheit des Künstlers im Gestalten der Materie ist nur ein Faktor beim Entstehen des Kunstwerkes, ein anderer Faktor ist dieser: wie sieht der schaffende Künstler jetzt und wie sah er vor Jahrhunderten, wie sah er vor Jahrtausenden? Welches war das Verhältnis des menschlichen Auges, des menschlichen Organismus überhaupt zu der ihn umgebenden Farbenund Formenwelt im Mittelalter, in der griechischen Epoche, im alten Orient? Die Kunstgeschichte ist als Ganzheit nicht nur eine Geschichte absoluter menschlicher Freiheit, sondern auch eine Geschichte des menschlichen Sehens, Tastens usw. In vorbildlicher Weise hat Heinrich Wölfflin diese Aufgabe in seinem Werk über »Kunstgeschichtliche Grundbegriffe«*) gekennzeichnet, wo er sagt: »Es muß endlich eine Kunstgeschichte kommen, wo man Schritt für Schritt die Entstehung des modernen Sehens verfolgen kann, eine Kunstgeschichte, die nicht nur von einzelnen Künstlern erzählt, sondern in lückenloser Reihe zeigt, wie aus einem linearen Stil ein malerischer geworden ist, aus einem tektonischen ein atektonischer usw. Diese Entwicklung in der Figurenzeichnung, Gewandzeichnung, Baumzeichnung nachzuweisen, wäre noch nicht die ganze Aufgabe, es müßte die veränderte Bildgestaltung im allgemeinen, der Wechsel der Bildvorstellung überhaupt dargelegt werden, und die Schilderung bliebe immer einseitig und wacklig, wenn nicht Architektur und Dekoration zu den darstellenden Künsten hinzugenommen würden.« »Es wird hier kaum nötig sein für die Kunsthistoriker einzustehen und ihre Arbeit vor einem zweifelnden Publikum zu verteidigen. So natürlich für den Künstler der Standpunkt ist, das allgemein Gesetzliche in den Vordergrund zu rücken, so wenig wird man dem historischen Betrachter das Interesse an der Verschiedenartigkeit der Form verargen dürfen, unter der die Kunst auftritt, und es bleibt ein unverächtliches Problem, die Bedingungen aufzudecken, die als stofflicher Einschlag — man nenne es Temperament oder Zeitgeist oder Rassencharakter — den Stil von *) Heinrich Wölfflin, München 1915. 140
»Kunstgeschichtliche Grundbegriffe«.
Bruckmann,
Individuen, Epochen und Völkern formen Jeder Künstler findet bestimmte »optische« Möglichkeiten vor, an die er gebunden ist. Nicht alles ist zu allen Zeiten möglich. Das Sehen an sich hat seine Geschichte und die Aufdeckung dieser »optischen Schichten« muß als die elementarste Aufgabe der Kunstgeschichte betrachtet werden.« »Es ist eine weitere Frage, inwiefern »das Auge« Entwicklungen für sich durchmachen kann und inwiefern es dabei bedingt und bedingend in die anderen geistigen Sphären übergreift. Gewiß gibt es kein optisches Schema, das, nur aus eigenen Prämissen hervorgegangen, der Welt gewissermaßen wie eine tote Schablone aufgelegt werden könnte; man sieht wohl jederzeit so, wie man sehen will, aber das schließt doch die Möglichkeit nicht aus, daß in allem Wandel ein Gesetz wirksam bleibe. D i e s e s G e s e t z zu e r k e n n e n wäre ein H a u p t p r o b l e m , das Hauptproblem einer wissenschaftlichen Kunstgeschichte.« Wöfflin hat die Aufgaben des Kunsthistorikers so vorzüglich ausgesprochen, daß wir uns in vielen Punkten seiner Darstellung der Phänomene anvertrauen können, — was wir zu seiner Schilderung der Phänomene jedoch versuchen wollen hinzuzufügen, ist eine Darstellung der U r s a c h e n für diese Phänomene, ist eine Erklärung der Geschichte des menschlichen Sehens aus der geschichtlichen Metamorphose des menschlichen Organismus heraus. Hierbei ist der physische Körper des Menschen für sich allein betrachtet nur ein unverständliches Aggregat, erst das Durchschauen des Verhältnisses des ätherischen zum physischen Organismus läßt uns die Ursachen der Metamorphose des sehenden Auges, der tastenden Hand finden, läßt uns die Brücken schlagen zum Erkennen des Ineinanderverwobenseins von menschlichen Temperamenten, Merkmalen der Zeitepochen, Rassen- und Völkerbesonderheiten, und der Geschichte der menschlichen Meisterschaft über die Materie in der Kunst. Am Schluß seiner Betrachtungen sagt Wölfflin: »Daß aber eine klassische Kunst überhaupt entsteht, daß das Streben nach einem plastisch-tektonischen, klar und allseitig durchdachten Weltbild vorhanden ist, das ist durchaus nicht selbstverständlich und ist nur zu bestimmten Zeiten und an einzelnen Orten in der Menschheitsgeschichte vorgekommen. Und wenn wir den Ablauf der Dinge als einleuchtend empfinden, so erklärt das natürlich noch nicht, warum er überhaupt statthat. Aus welchen Gründen kommt es zu dieser Abwickelung? Wir stoßen hier an das große Problem, ob die Veränderung der Auffassungsformen Folge einer inneren Entwicklung ist, einer gewissermaßen von selber sich vollziehenden Entwicklung im Auffassungsapparat, oder ob es ein Anstoß von außen ist, das andere Interesse, die andere Stellung zur Welt, was die Wandlung bedingt. Das Problem führt weit hinaus über das Gebiet der beschreibenden Kunstgeschichte.« — 141
Aus einem solchen umfassenderen Rahmen heraus, aus der Ätherlehre, wollen wir versuchen, aufzuzeigen, was die Wandlung bedingt. Es sind vor allem drei grundlegende Ursachen, welche das Verhältnis des Menschen zu der künstlerisch von ihm zu bemeisternden Materie verwandeln: 1) Die bereits (Seite 136) erwähnte Tatsache, daß der Mensch in früheren Zeiten in seiner Weltanschauung die Dinge mehr in der Z e i t , später im R a u m betrachtet. Die Kunst der griechischen Epoche und die der sie wieder belebenden Renaissance werden wir in diesem Sinne als »Raumkunst«, die des Orients und die des Barock als »Zeitkunst« kennen lernen. Die eine betont das Sein, die andere das Werden und Vergehen. Das »Warum« werden wir zu beantworten haben. 2) Die Verwandlung der künstlerischen Erfassung und Gestaltung der Umwelt durch den Menschen war bedingt durch seine dreigliedrige Wesenheit. Am Beginn der Entwicklung erlebt und meistert er die Umwelt als Gliedmaßen-Mensch, dann als rhythmischer Mensch, dann als Nerven-Sinnesmensch. Wölfflin sagt: »Die begriffliche Forschung in der Kunstwissenschaft hat mit der Tatsachen-Forschung nicht Schritt gehalten. Während die Kunstgeschichte nach ihrer stofflichen Grundlage durch die Arbeit der letzten Generation fast überall und von Grund aus eine neue geworden ist, haben die Begriffe, mit denen diese Tatsachen für die geschichtliche Erkenntnis bearbeitet werden sollen, sich weniger verändert.« »Besonders die Begriffe »optisch« und »haptisch« (taktisch) — Sehwerte und Tatswerte — sind, nachdem schon Wickhoff über das Malerische aus starker Anschauung heraus ein paar bedeutende Seiten geschrieben hatte, von ihm wirkungsvoll geprägt worden.« Es wird unsere weitere Aufgabe sein zu zeigen, wie der »Tastmensch« und der »Sehmensch« Entwicklungsstadien des menschlichen Organismus im Organismus der Erde darstellen. 3) Eine der wichtigsten Unterscheidungen in der Geschichte des »sehenden« und danach gestaltenden Menschenwesens ergibt sich aus dem Übergang von jener Epoche, da das menschliche Auge noch Ätherisches wahrnimmt, zu jener Zeit, wo das Auge nur noch Physisches wahrnimmt. Alle Grundlagen für ein Verständnis der Unterschiede von linearer und malerischer, flächenhafter und räumlicher, telefonischer und atektonischer Malerei, Plastik und Architektur, wurzeln in diesem Verwandlungsprozeß der Wahrnehmung. Ein menschliches Auge, welches Ätherisches wahrnimmt, wie es im alten Orient der Fall war, impulsiert die menschliche Hand zu anderer Malerei, Plastik, Architektur, als unser heutiges Auge. Das Ur-Phänomen im Wahrnehmen des Ätherischen ist zunächst, daß im allgemeinen ein von der M a t e r i e losgelöster ä t h e r i s c h e r 142
Vorgang z w e i d i m e n s i o n a l w a h r g e n o m m e n wird. Bei einem Bild, einem Vorgang, wenn dies im rein Ätherischen angeschaut wird, läßt sich räumlich sofort oben und unten, rechts und links bestimmen, aber nicht vorn und hinten. Für den Menschen unserer Zeit, der in seiner gewöhnlichen Sinneswelt an die dreidimensionale Wahrnehmung aller Dinge und Vorgänge gewöhnt ist, hat dies zunächst etwas Befremdendes. Aber wir müssen uns eben bewußt sein, daß unsere heutige Art der Wahrnehmung ja nur einer ganz bestimmten Entwicklungsphase des menschlichen Organismus eigen ist, daß viele uns umgebende Lebewesen, deren Sinnesorgane eine andere Struktur haben, die Umwelt nicht in unserer Art dreidimensional sehen. Das dreidimensionale Weltbild ist eine Funktion des menschlichen Auges. Und zwar nur der jetzigen Entwicklungsphase. Der Mensch des alten Orients sah die Dinge nicht nur in der räumlichen Art wie wir heute, er sah in diese räumliche Welt hineinverwoben ätherische Vorgänge, und zwar solche, die am Aufbau der Materie beteiligt waren, aber auch solche, die nur im Äther sich abspielend ihn in farbenflutenden Bildern umgaben. Diese letzteren sah er zweidimensional. Dies sagt noch nicht, daß sie so »waren«, er »sah« sie aber zweidimensional, wie dies auch heute meist noch der Fall ist; das vorn-hinten hatte bei dieser Art der Anschauung keine Bedeutung. Hierin liegt die wahre Ursache der »flächenhaften« Kunst aller primitiven Völker, dessen was wir das »Unperspektivische« der primitiven Malerei, Reliefs usw. nennen. Denn gerade diese ätherischen Vorgänge waren es, die der damalige Mensch als die geistigsten, dem Göttlichen am nächsten stehenden ansah, die ihm zum Vorbild für die damals noch ganz im Religiösen wurzelnde Kunst wurden. Das Kunstwerk war bestimmt einerseits durch jene Schauungen im Ätherischen, anderseits durch das physische Material, das der Künstler zu bewältigen hatte. Es ist unrichtig, wenn wir die zweidimensionale »unperspektivische« Kunst jener Zeiten nur aus dem »Nicht-Können« der damaligen Menschen erklären wollen, es war das »Anders-Sehen« wesentlich mitbestimmend in jenen Zeiten. Erst als das menschliche Auge — aus Gründen, die noch zu besprechen sein werden — nicht mehr das Ätherische in der Welt wahrnahm, sondern nur noch das Physische, Dreidimensionale, da beginnt jenes stammelnde Suchen nach einem Hineintragen des Dreidimensionalen auch in die Kunst. Wer Ägypten bereist und die dortige Kunst der ägyptischen Epoche unbefangen und vorurteilslos kennen gelernt hat, wird bald von dem Hochmut befreit sein, daß erst unsere Zeit die wahren künstlerischen Darstellungsmittel entdeckt habe, daß aber der Ägypter in seinen BasReliefs nicht dreidimensional, nicht perspektivisch hätte sein »können«. Er »wollte« es gar nicht, denn er wollte ätherische Bilder in seiner Kunst darstellen, und die sah er im wesentlichen so, wie er sie darstellte. Wenn 143
er dreidimensional sein wollte, so konnte er es, wie uns seine erhabene Meisterschaft in der Plastik der Statuen beweist. Gewiß hat sich die menschliche Fertigkeit in dieser Hinsicht gesteigert, aber dies ist nur ein technischer Gesichtspunkt, er trifft nicht das Wesentliche, auf jeden Fall nicht das Wesentliche einer k ü n s t l e r i s c h e n Kunstgeschichte. D e r V e r l u s t d e r W a h r n e h m u n g des Ä t h e r i s c h e n d u r c h das m e n s c h l i c h e Auge b e d e u t e t die A b k e h r vom F l ä c h e n haften, den Ü b e r g a n g z u m R ä u m l i c h e n in d e r K u n s t . Es ist dies also kein Problem der menschlichen Geschicklichkeit und Handfertigkeit, sondern des menschlichen Sehens. Bevor wir näher eingehen auf den letzten Entscheidungskampf zwischen diesen beiden Weltbildern, dem das Ätherische einbeziehenden und dem rein physischen Weltbild, wie er schließlich in den Zeiten nach dem 15. Jahrhundert stattgefunden hat, wollen wir zunächst noch einen Blick in jene Entwicklungsepochen werfen, in denen der Einfluß der ätherischen Welt auf den Menschen noch unmittelbar und dem Menschen bewußt war. Denn die am Menschen modellierenden Bildekräfte haben ihn erst allmählich so gewandelt, daß er die Materie so sieht und meistert, wie unsere Zeit, daß er das als künstlerisch empfindet, was wir heute künstlerisch nennen. Goethe sagt einmal, die Kunstwerke seien »eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne ihre Erscheinung ewig wären verborgen geblieben«, und vom Menschen, der das Kunstwerk schafft: »Indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich endlich bis zur Produktion des Kunstwerkes erhebt.« Es hängt nun auch von dem Material ab, das der Künstler zu bemeistem hat, ob es zu einer mehr oder weniger leicht entzifferbaren »Manifestation geheimer Naturgesetze« werden kann. Je weniger das Material, das der künstlerischen Formung unterliegt, der erdenhaft verdichteten Substanz entnommen werden muss, um so fluktuierender werden die darin waltenden Naturgesetze sein, um so weniger leicht sich offenbaren. Wenn jedoch der Künstler mit der festen Erdensubstanz arbeiten muss, so ist die Kraft der geheimen Naturgesetze darin meist stärker ausgeprägt, das Material intensiver von der Naturgesetzlichkeit durchwirkt und wird sie daher auch leichter offenbaren können. Darum werden wir zunächst leichter die geheimen Naturgesetze in ihrer Offenbarung entdecken an Werken der Plastik oder Architektur, als an Werken etwa der Musik oder der Dichtkunst. 144
Kennen wir nun jene Urformen, welche die ätherischen Bildekräfte in der Substanz zu verwirklichen streben, so entdecken wir in der Geschichte der von Menschen seit Urzeiten errichteten Bauwerke eine wundervolle Naturgesetzlichkeit waltend, eine ergreifende und beglückende Entdeckung für jeden Menschen, der die Geschichte der
Kunst sonst nur vom Chaos des Zufalls beherrscht glauben müßte. Die Genesis der ätherischen Bildekräfte und der von ihnen in der Substanz erstrebten Urformen spiegelt sich auch in der Kunstgeschichte, in der Geschichte gerade derjenigen heiligen Bauten, durch welche die Menschheit in den verschiedenen Zeitenepochen das Erleben der schöpferischen göttlich-geistigen Welt suchte, in der Geschichte der Tempel- und Kultbauten. Eine Naturwissenschaft, welche sich nur mit »Kraft und Stoff« befaßt, kann niemals jene »geheimen Naturgesetze« entdecken, welche in der künstlerischen F o r m offenbar werden sollen. Wir können dies nur, indem wir statt der Zweiheit von Kraft und Stoff die Dreiheit von Kraft, Stoff u n d F o r m erforschen und aufzeigen, wie sie g e m e i n s a m aus dem Wirken des Ätherischen hervorgehen, von dessen
Gesetzen einheitlich beherrscht und zu einander in innere Beziehung gesetzt werden. Indem wir mit Hilfe der Erkenntnis des Ätherischen zu der Lehre von Kraft und Stoff die F o r m e n l e h r e hinzufügen, finden wir die Brücke von der Wissenschaft zur Kunst. Bevor wir zu den geschichtlichen Entwicklungsgesetzen der von Menschen geschaffenen Plastik und Architektur übergehen, vergegenwärtigen wir uns noch einmal kurz die Entwicklungsgesetze der natürlichen Plastik und Architektur, wie sie im Organismus der Lebewesen zur Offenbarung kommen. Wir hatten gezeigt, daß die Formtendenzen der verschiedenen ätherischen Bildekräfte so geartet sind, daß der Wärmeäther, wenn er sich in der Substanz unbeeinträchtigt auswirken kann, die Tendenz hat, kreisförmige, bezw. sphärische, der Lichtäther dreiecksförmige, der Chemische Äther halbmondförmige, der Lebensäther viereckige Formen zu bilden, (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 44 ff.). Und wir konnten dies nicht nur veranschaulichen in den anorganischen, sondern auch in den organischen Naturreichen. Auch ließ sich jenes wundervolle Entwicklungsgesetz entdecken, daß der phylogenetische Werdegang der Bildekräfte sich auch in den verschiedenen Entwicklungs-Stadien der Lebewesen spiegelt. Wir sagten: Die Urformen, welche wir schon bei der Urpflanze, dem Blatt, in der Gestalt des Blattrandes beobachteten, treten auch z. B. in den tierischen und menschlichen Blutkrystallen in die Erscheinung. Sehr aufschlußreich ist hierbei die Tatsache, daß bei einem niederen Tier (Meerschweinchen) phylogenetisch weniger entwickelte Bildekräfte in der Blutbildung tätig sind, während bei einem höher entwickelten Wachsmuth, Äther. Bildekrafte.
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Tier auch phylogenetisch höher entwickelte Bildekräfte im Blute einzugreifen beginnen; beim Menschen schließlich finden wir die Urformen der am höchsten entwickelten Bildekraft. (Lebensäther). Hierbei spielen auch die horizontalen und vertikalen Ströme im Erdorganismus, deren Zusammenhang mit den Rückgratlagen und Bewußtseinszuständen der Naturreiche wir schilderten, eine wichtige Rolle. Wer sich dessen bewußt ist, daß ein Studium der »offenbaren« Naturgesetze in den Naturreichen es wesentlich erleichtert, auch die »geheimen Naturgesetze« zu entdecken, die uns, nach Goethes Wort, durch die Kunstwerke offenbar werden sollen, der wird, ohne Anstoß zu nehmen, auch die Brücke von den folgenden Tatsachen zu den künstlerischen Fragen finden. Vergessen wir nicht, daß die Natur eine Künstlerin ist.
Blutkristalle aus dem Blute des Meerschweinchens.
Es zeigen sich hierbei folgende ätherische Bildekräfte: Reines Dreieck (Lichtäther.)
Blutkristalle aus dem Blute des Eichhörnchens.
Kombiniert Dreieck (Lichtäther) und Viereck (Leb.ensäther) Ubergangsform.
Blutkristalle aus dem Blute des M e n s c h e n .
Reines Viereck (Lebensäther.)
So finden wir die wenigst entwickelten Bildekräfte im Blute desjenigen Tieres, dessen Rückgratlage noch ganz horizontal ist. Höher entwickelte Kräfte beginnen sich im Blutbild zu äußern bei einem Tier, das dazu übergeht, sich in die Vertikale aufzurichten. Die höchsten Bildekräfte schließlich formen die Blutkrystalle des Menschen, 146
der im tagwachen Leben voll in die Vertikale aufgerichtet ist. Je höher entwickelt ein Organismus ist, desto höher entwickelte ätherische Bildekräfte greifen also auch in die Blutbildung ein. Es enthüllt sich nun eine der wunderbarsten Harmonien in dem makrokosmischen und mikrokosmischen Werden der Natur und ihrer Geschöpfe, wenn wir die Geschichte jener Urformen studieren, die der Mensch seinen künstlerischen Schöpfungen in den zeitlich auf einander folgenden Kulturperioden eingeprägt hat. Es muß hier natürlich vorweg betont werden, daß sich die Gesetzmäßigkeiten des künstlerischen Schaffens gewiß nicht nach Maß, Zahl und Gewicht ordnen lassen. Ein solches Bestreben würde am Wesen der Kunst völlig vorbeidenken. Sondern es kann sich nur darum handeln, zu entdecken, ob das Arbeiten mit ganz bestimmten charakteristischen Formen in ganz bestimmten geschichtlichen Perioden nur dem Zufall zuzuschreiben ist, also das Chaos waltet, oder ob in der Verwendung der schöpferischen Naturkräfte durch den Menschen in der Kunst ein naturgegebener großer Rhythmus waltet. Wie in der Blutbildung des Menschen höhere Bildekräfte am Werk sind, als bei den niederen Lebewesen, so greifen auch in der Entwicklung der Gesamtmenschheit seit der ur-indischen Kulturperiode immer höhere Bildekräfte in den ätherischen Leib und vor allem in das Haupt des Menschen ein. Wie die letzten großen Wanderungen der Kulturen der Menschheit von Osten nach Westen führten, und sie dadurch immer wieder in andere Kräfte-Sphären der Erde untertauchte, so bringt es auch die Entwicklung mit sich, daß immer höhere Bildekräfte in das Haupt des Menschen hereindringen, von ihm mehr oder weniger bewußt
oder unbewußt erlebt werden und nun von ihm selbst schöpferischtätig verwandt werden. Was zuerst abgedämpft bewußtes Erlebnis seines Hauptes ist, strömt nach und nach in das Tun seiner Hand. Brechen die wärmeätherischen Kräfte in sein Haupt ein, so will seine Hand deren runde, sphärische Formen schaffen, beginnt das Lichtätherische in ihn einzudringen, so will seine Hand deren Dreieckssymbol verwirklichen usf. Man könnte bildhaft jenen Vorgang des. Empfangens und Gebens etwa so darstellen:
>-•
Diejenigen Stätten nun, wo der Mensch sich jeweils zuerst der geheimen Naturkräfte und Naturgesetze bewußt wurde, waren die alt147
orientalischen Mysterien, jene heiligen Kultstätten, wo aus dem Erleben des Göttlich-Geistigen noch Wissenschaft, Kunst und Religion ihre gemeinsamen Impulse empfingen. Und wir entdecken deshalb in der Geschichte der Kult-Bauten jene Urformen der ätherischen Bildekräfte wieder, die zuerst den Menschen schöpferisch ergriffen, und die er dann selbst schöpferisch bemeisterte und wie ein gewaltiges Symbol in den Tempelformen zur irdisch-physischen Anschauung wiedergab. Beginnen wir bei den archaischen Bauten des fernen Ostens. In jenen Urzeiten hatte der Mensch zunächst nur das Erlebnis der Feuerkräfte, des Wärmeätherischen, der auch in der makrokosmischen Genesis zuerst entstandenen Bildekräfte. Deren Formtendenz ist ja die runde bezw. die sphärische. So gibt auch der, Mensch in jenen primitiven Entwicklungsstadien seinen Weiheorten und Symbolen vorwiegend kreisförmige Gestalt. Es ist wie wenn sich der Mensch dieses Geschenk der göttlich-geistigen Welt immer wieder in physischen Formen ins Gedächtnis zurückrufen wolle. Die folgenden Abbildungen zeigen einige solcher a l t o r i e n t a lischen religiösen Bauten, die das Motiv des Kreisförmigen, oder des Kugeligen, Sphärischen, betonen (Abb. S. 148/149):
Es ist äußerst charakteristisch und für die hier ausgesprochene Gesetzmäßigkeit wesentlich, zu sehen, wie der Orientale jener Zeiten infolge seines Durchwirktseins mit dem Erlebnis des Wärmeätherischen, der Feuer-Kräfte, die gerade Linie möglichst vermeidet und auch im künstlerischen Wirken die gebogene Linie immer wieder verwirklicht. Ja, sogar, wenn er einmal aus vielleicht äußeren Gründen zum Dulden einer geraden Linie an seinen Kultbauteri geführt wird, so löst er das Erlebnis der geraden Linie meist sofort wieder dadurch auf, daß er an das Ende solcher Linie ein Flammen-Motiv (S. 151) setzt, also die Gerade sich gleichsam durch Feuer-Flammen wiederum auflösen läßt. Jene eigenartigen Gebilde an den altorientalischen Bauten Chinas, Indiens usw. (siehe Abbildungen S. 151) sind, wenn wir das Künstlerische 148
(Abb. v. K. With, Java; Indische Baukunst; Döhring, Buddhistische Tempel). 149
nicht nur vom Chaos des Zufalls erzeugt wissen wollen, nur zu verstehen aus dem starken inneren Verbundensein jener Menschen mit dem Wärmeätherischen, mit dem Feuerelement, der Flamme. Die Menschheit des Orients hatte in ihren Mythen und religiösen Gleichnissen noch ein tiefes Wissen von den verborgenen Zusammenhängen der einzelnen Urformen mit den ätherischen Kräften des Menschen und der Welt. Der Orientalist Prof. Dr. H. Beckh hatte die Güte, wofür ihm auch hier der herzlichste Dank gesagt sei, mich darauf aufmerksam zu machen, daß in der buddhistischen Lehre vom heiligen Berge Meru die ihn umgebenden Ur-Kontinente gerade jene 4 Urformen aufweisen, die ich im I. Band den 4 ätherischen Bildekräften zugeordnet hatte; und daß weiterhin in der alten tibetanischen Erzählung von Milarepa gleichfalls das Wissen der orientalischen Mysterienstätten um diese Urformen zum Ausdruck kommt. Diese beiden wichtigen Dokumente der orientalischen Geistesgeschichte spiegeln in wundervoller Klarheit die intuitive Weisheit Zentralasiens, die jene geistigen Urbilder, Kräfte und Gesetze kannte,*) welche die religiöse und künstlerische Geschichte der folgenden Jahrtausende so entscheidend beeinflussen sollten. In seinem Werk über »Die Religion des Buddha und ihre Entstehung«**) sagt C. F . Koeppen über diesen mythischen Berg Meru in der buddhistischen Kosmogonie (Seite 232): »Den Mittelpunkt und Grundstock einer Welt bildet der M e r u oder S u m e r u , der König unter den Bergen Das Meer, welches den Meru umspült, wird von einem Felsgürtel eingeschlossen, dieser wiederum von einem Meere und so folgen in konzentrischen Kreisen, deren Mittelpunkt der Meru ist, sieben Meere und sieben Felsgürtel An der Außenseite des siebenten, äußeren Felsringes (Acvakarna) beginnt das eigentliche Weltmeer, ,das die Menschen kennen', und in diesem sind nach den vier Seiten des Meru, d. h. nach den vier Himmelsgegenden die vier großen Erdteile oder Welteilande gelegen Der östliche, Purvavideha, bildet einen H a l b z i r k e l , der südliche, Djambudvipa, fast ein D r e i e c k — er gleicht einem Schulterblatte —, der westliche, Godhanya oder Aparagodana, ist kreisförmig, der nördliche, Uttarakuru, ein Q u a d r a t . Die nämliche Gestalt, wie die Kontinente, zeigen auch die Gesichter der Bewohner: auf der nördlichen z. B. eine viereckige, auf der südlichen eine beinahe dreieckige usw.« (Norden, Süden sind bei diesem Mythos natürlich nicht nur im irdisch-geographischen *) Siehe G. Schubert „Gäa~Sophia" I. Jahrg. „Indische Bezeichnungen für die Ätherarten". **) C. F. Koeppen „Die Religion des Buddha und ihre Entstehung" Berlin 1857. 150
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Sinne zu verstehen.)*) (Koeppen Seite235):» Vom Meru an aufwärts erheben sich die Himmel; zunächst die sechs Götterhimmel (Deva loka's) die zusammen mit der Erde nebst allem Zubehör die Welt des G e l ü s t e s (Kama dhatu od. Kamavatschara) konstituieren, über der Welt des Gelüstes liegt die W e l t d e r F o r m (Rupa dhata od. Rupavatschara) in vier sogenannten Stufen der Beschauung (Dhyana) abgeteilt; und innerhalb dieser bei den südlichen Buddhisten sechzehn, bei den nördlichen bald siebzehn, bald achtzehn Himmel umspannend; über diesen endlich die Welt o h n e F o r m (Arupa dhatu od. Arupavatschara) mit vier Himmeln.« u. a. 0 . (II. Seite 261): »Nun ist, wie mir scheint, jeder kunstgerecht gebaute buddhistische und lamaische Klostertempel — oder enthält wenigstens irgendwie — eine symbolisch-architektonische Darstellung der Götterregionen des Meru und der sich über denselben bis in das Empyräum des Nirvana erhebenden Himmel der Götter, Heiligen und Buddhas. An der Eingangspforte der großen Tempel stehen daher gewöhnlich die Bilder jener Geisterkönige mit erhobenem Schwerte, als Wächter des Heiligtums gegen alles, was den wohltätigen Göttern und verklärten Heiligen feindselig ist; hier sind sie nicht bloß Welthüter (Lokapalas), sondern auch Religionshüter
(Dharmapalas).
Genau nun die nämliche Stellung und Bedeutung, welche diese in der Kosmologie und Mythologie und andererseits im Tempel oder vielmehr am Eingange des Tempels, an der Grenze des Heiligen einnehmen, haben jene magischen Glaubenshüter (Tschhoss ssKjong) in der lamaischen Kirche.« Man könnte diesen Zentral-»Berg« der Welt einem Turmbau der Götter vergleichen, von dem jene vierfach differenzierte Welt der »Kontinente« ausging, in denen je eine der vier Bildekräfte die Urformen der Materie, des Menschen, ja der gesamten Natur beherrschte und sonderte. Es ist das kosmogonische Urbild jenes Gesetzes, das dann nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich der Entwicklungsgeschichte der nachatlantischen Menschheit das Gepräge gab. Es ist die Erinnerung an die Ätherwelt, die bei den Indern in diesen Bildern noch fortlebte. Noch deutlicher kommt dieses »Turmbau-Motiv« mit seinen bedeutsamen religiösen und künstlerischen Hintergründen zum Ausdruck in der tibetanischen Mythe von M i l a r e p a . In der »Orientalistischen Literaturzeitung« findet sich die folgende kurze Wiedergabe dieses tibetanischen Werkes:**) »Der erste Teil des Buches handelt von den Verbrechen Milarepas. Daß dieser als Jüngling einen Kursus *) Siehe hierzu auch Prof. Dr. H. Beckh „Der Hingang des Vollendeten", S. 105 ff. u. Monatsschr. „Die Drei". Jahrg. V, S. 928. **) s. Bacot, Jacques; Le Poete tibetain Milarepa, ses crimes et ses epreuves, son nirvana, traduit du Tibetain avec une introduction. Paris: Bossard 1925. 152
im Zaubern durchmachte, wird ihm nach tibetischer Auffassung noch nicht als Sünde angerechnet. Die Sünde bestand vielmehr darin, daß er seine Zauberkunst dazu anwandte, sich und seine Mutter an den Verwandten, die ihnen ihr Gut genommen hatten, zu rächen. Mit Hilfe seiner Zauberkraft gelang es ihm, 35 seiner Verwandten umzubringen, und bei einer anderen Gelegenheit, ihnen die Ernte durch Hagel zu zerstören. Die Süßigkeit des Rachegefühls hielt nicht lange an; Milarepa wurde vom Beruf des Zauberers angeekelt und fortgetrieben. Ihn zog es zum Besseren. Er wollte ein Heiliger werden. So begab er sich zum Gelehrten Mar-pa, der, wie jedermann wußte, eine erhabene Lehre mitzuteilen hatte, und flehte um Belehrung. — Dazu kam es nicht so bald, denn für Milarepa galt es zunächst noch Buße zu tun für die schwarze Magie (Magie, mit der man anderen schadet), welche er getrieben hatte. Und die Buße war lang und schwer. Der Schüler bekam nacheinander 4 T ü r m e zu b a u e n , welche immer vor der Vollendung vom Auftraggeber zerstört wurden. Der erste Turm hatte den Grundriß eines K r e i s e s , der zweite den eines H a l b m o n d e s , der dritte den eines D r e i e c k s , und der vierte den eines Vierecks. Diese Arbeit, welche viele Jahre lang dauerte» brachte dem Geprüften schwere Wunden auf dem Rücken und veranlaßte ihn schließlich zum Davonlaufen. Er kommt allerdings bald von seinem neuen Lehrer zurück, da ihm das die Entlassung bezeugende Zeugnis Mar-pas fehlt. Endlich wird die Schuld Milarepas als gesühnt anerkannt. Er darf sich als angenommen betrachten, und ihm wird nun die geheime Lehre von Marpa mitgeteilt.« Milarepa ist im Mythos ein Repräsentant der Menschheit. Wie diese in der atlantischen Zeit die ihr verliehene Herrschaft über die magischen Lebenskräfte mißbraucht hatte (siehe Seite 105/115) und ihr nun in der nachatlantischen Zeit diese Kräfte zunächst entzogen werden mit dem Auftrage, sie in neuer bewußter Erkenntnis und harter Arbeit wieder zu erringen, so auch Milarepa. Was ihm, dem Schüler, der eingeweihte Lehrer Marpa ins Bewußtsein heben will, das ist die wahre Gesetzmäßigkeit seines ätherischen Leibes. Erst nachdem er die vier Bildekräfte und deren Urformen, Kreis, Dreieck, Halbmond und Viereck, in jenen 4 Turmbauten vor sein anschauendes Bewußtsein hingestellt und in ihrer Handhabung meistern gelernt hat, darf der Schüler vom Lehrer in die Geheimnisse der göttlich-geistigen Welt eingeweiht werden. Dies Schicksal Milarepas war das Schicksal der ganzen Menschheit. In den religiösen Kultbauten der 4 nachatlantischen Epochen lernte die Menschheit die 4 Bildekräfte und ihre Urformen allmählich bemeistem. — Die Rundbauten des alten Orients, die Flammen-Motive der dortigen Kunst waren nur ein erster Schritt auf diesem mühsamen Wege. 153
Die Wanderung von Osten westwärts führt historisch und geographisch nun zu den Stätten der p e r s i s c h e n Kulturepoche. Hier finden wir die Vorliebe für die gebogenen, kreisförmigen Bauten noch stark betont, aber auch schon Ubergangsformen zu anderen Gebilden:
(Abb. aus »Persien«).
Am eigenartigsten und wohl am charakteristischsten sind in der Menschheitsgeschichte die ätherischen Bildekräfte und deren Urformen zur Geltung gekommen in der nun folgenden ägyptischen Kulturepoche. Wer aus dem Niltale oder aus den weiten Wüsten Afrikas kommend sich den Orten nahte, wo der Mensch zurückgeführt werden sollte in seine Urheimat, die göttlich-geistige Welt, der sah am Horizonte auftauchen das gewaltige Wahrzeichen des Dreiecks, er sah die monumentale Urform der Pyramiden. Wohl nie ist in Raum und Zeit, in anderen Ländern der Erde oder anderen Perioden der Menschheitsgeschichte, durch die heiligen Kultbauten eine Urform in solcher Reinheit und Kraft vor den zur geistigen Welt hinstrebenden Menschen hingestellt worden, wie in diesen ägyptischen Pyramiden das Dreiecks154
symbol des Lichtätherischen. Denn die ägyptische Periode steht im Zeichen des Lichtäthers und seiner Urform, des Dreiecks. Wie in der natürlichen Genesis auf die Herrschaft des Wärmeätherischen,
der Feuer-Kräfte, der Lichtäther im Makrokosmos zur Wirksamkeit kam, so folgte auf das Erlebnis der Feuer-Kräfte und deren Symbolik durch die Mysterienpriester Asiens, eine Periode des intensivsten Erlebnisses der Lichtkräfte durch das ägyptische Priestertum. Und nicht eindrucksvoller konnten jene Eingeweihten der ägyptischen Zeit diesen großen Entwicklungsschritt vorwärts im Übergang vom Erlebnis 155
der Feuer-Kräfte zum Erleben der Lichtkräfte ihren Schülern und Mitmenschen vermitteln, als durch die großartige Verwirklichung dieser Dreiecksform im Kultbau der Pyramide.
. •.
-
(Abb. s. »Wonders of the Past«; A. Springer, Kunstgeschichte).
Es könnte mit Recht die Frage aufgeworfen werden, warum niemals in anderen Perioden der Geschichte und anderen Gebieten Afrikas, Europas und Asiens wieder jene an sich so einfache und naheliegende Form für die heiligen Tempelbauten verwendet wurde. Weder die Übertragung unserer heutigen rein utilitaristischen Gesichtspunkte auf die damalige Zeit, noch die Ausflucht auf das Chaos des Zufalls 156
kann uns jenen groß angelegten Plan der Pyramidenbauten mit ihrer gewaltigen Dreiecksform verständlich machen. Nein, die ägyptischen Priester wußten sehr wohl, was sie taten, überließen die Formen ihrer Tempel nicht einem beliebigen ästhetischen Einfall; sondern sie erlebten, wenn sie durch die Einweihung der damaligen Zeit ihren ätherischen Leib aus der Fesselung und Verfinsterung durch den physischen Leib befreit hatten, die göttlich-geistigen Mächte wirkend im Lichtätherischen, und darum ließen sie dieses Erleben übergehen in das Werk ihrer Hände und modellierten die Substanz zum Gleichnis des geistig Erschauten, stellten vor die Augen ihrer Mitmenschen das herrliche Symbol des Lichtäthers hin, ihnen gleichsam dadurch zurufend: Erlebet das Dreieck und ihr verbindet euch mit jenen Kräften, die in dieser Zeit das Erlebnis der geistigen Weiten vermitteln! Auf einem von der Verbindung mit Afrika, Europa und Asien scheinbar völlig abgeschnittenen Erdteil hatten Priester, welche Kultbauten errichten wollten, das gleiche Erlebnis und das gleiche Ziel: in Mexiko. Es hat der heutigen Forschung die größten und noch völlig ungelösten Schwierigkeiten bereitet, daß nur in Ägypten und Mexiko solche Pyramidenbauten zu finden sind. Diese Schwierigkeiten hat man noch dadurch vermehrt, daß man meistens sogar die Existenz des einstigen Kontinents der A t l a n t i s leugnete, welcher Europa und Amerika verband. Wer geistige Gesetze leugnet oder ignoriert und nur physische Übertragung gelten lassen will, sah sich auf diese Weise der letzten Erklärungsmöglichkeit für die auffallenden Parallelen bei den ägyptischen und mexikanischen Pyramidenbauten beraubt, und vor das seltsame Rätsel gestellt, daß auf zwei Erdteilen, die nach solcher Ansicht keinerlei Verbindung mit einander haben konnten, die Mysterienpriester völlig gleichartige Maßnahmen ergriffen; denn die Parallelen Ägyptens und Mexikos erstrecken sich ja nicht nur auf die einzigartige Dreiecksform der Kultbauten, sondern auf eine ganze Reihe von Einzelheiten (siehe Abb. 158). Für eine geisteswissenschaftliche Betrachtung und Erkenntnis vom Wesen des Ätherischen ist es jedoch der herrlichste Ausdruck für den Einklang in den Entwicklungsgesetzen der Menschheit und ihrer verschiedenen Völkerschaften, daß zwei scheinbar völlig von einander getrennte Rassen in einem bestimmten frühen Entwicklungsstadium in völlig gleicher Weise zum Erleben der genetisch frühen Kräfte des Lichtäthers und deren Urform gelangen, und daß sie diesem Erlebnis in gleicher Weise in ihren Kultbauten so eindeutigen Ausdruck verliehen. Die Pyramide ist eben ein Wahrzeichen dafür, daß das betreffende Volk in seiner Entwicklung beim Erlebnis der schöpferischen Kräfte des Lichtätherischen angelangt ist. Wir werden mehr und mehr erkennen: D i e U r f o r m e n der K u l t b a u t e n einer 157
Rasse oder eines Volkes sind G r a d m e s s e r für das E n t w i c k l u n g s s t a d i u m , welches von der M e n s c h h e i t in d e m b e t r e f f e n d e n Z e i t p u n k t e r r e i c h t worden ist, u n d zwar nach einer G e s e t z m ä ß i g k e i t , die sich aus der E r k e n n t n i s des Ä t h e r i s c h e n ergibt. Der Zeitpunkt, an dem das betreffende Entwicklungsstadium durchlaufen wird, ist für die verschiedenen Erdteile und Völker verschieden, die ätherische Gesetzmäßigkeit ist jedoch für alle zunächst die gleiche und wird nur durch das Entwicklungstempo der einzelnen Rassen oder durch die individuellen Schicksale der einzelnen Erdteile entsprechend modifiziert. Sowohl für die Völkerkunde, als auch besonders für die vergleichende Kunstgeschichte liegen hierin wichtigste Erkenntnismöglichkeiten offen.
„Sonnen"-Pyramide in Mexico, San Juan Teotihuacan (s. » Wonders of the Past«).
Die den einzelnen Bildekräften zugeordneten Urformen wurden sogar nicht nur in den äussern Formen der Kultbauten, sondern auch in den Symbolen und Inschriften der ägyptischen und mexikanischen Tempelstätten zur Darstellung übersinnlicher Erlebnisse verwendet.*) Während im alten Orient, in den Kultbauten Asiens die Urformen des W ä r m e ä t h e r s , in Ägypten die des L i c h t ä t h e r s vorherrschten, tragen die Kultbauten jener Landstriche, welche bei der Wanderung von Ägypten um das Mittelmeer herum nach Griechenland berührt werden, nämlich die Kulturzentren K l e i n a s i e n s , die dann zum Ausgangspunkt der mächtigen Strömung des Mohamedanismus wurden, Nordwestarabien, Palästina, Türkei etc. ein ganz anderes Symbol: den H a l b m o n d . Auf tausenden von Moscheen und Minarettürmen ragt in diesem Gebiet der Erde dieses besondere Symbol zum Himmel. *) Siehe hierzu auch Prof. H. Beckh: „Ätherische Bildekräfte und Hieroglyphen" in »Gäa-Sophia« 1927, S. 383 ff. u . a . O . 158
Wiederum können wir die berechtigte Frage stellen: Warum wurde das eigenartige Symbol des Halbmondes nur in dieser Kulturepoche und von diesem kleinen Erdgebiet ausgehend zum Wahrzeichen des geistigreligiösen Erlebens gewählt und in unzähligen von Kultbauten zum Symbol der Religion und zum Motiv des Künstlerischen ausersehen. Denn jede Moschee, fast jedes Fenster, Bild, Ornament usw. bringt in den allerverschiedensten Metamorphosen immer wieder und wieder jenes eine Motiv des Halbmondes. Ist dies alles Zufall, geboren aus einer religiösen oder künstlerischen Laune, aus dem chaotischen Aberglauben oder dem willkürlichen Ästhetizismus einer Zeit? Nein, eines der erhabensten Entwicklungsgesetze der gemeinsamen Geschichte von Wissenschaft, Kunst und Religion spricht sich auch in diesem Phänomen wiederum aus, es ist die Spiegelung der makrokosmischen Genesis der ätherischen Bildekräfte bis in den religiösen und künstlerischen Werde-
(Abb. s. E. Diez, Kunst der islamischen Völker; T . Mann, Der Islam).
gang der Menschheit hinein. Wie in der Erschaffung des Weltalls nach den Bildekräften des Wärme- und Lichtätherischen der Chemische Äther zur Aktivität kam, so finden wir diese Bildekräfte in den Urformen auch bei derjenigen Kulturströmung, die von dem Erdgebiet Kleinasiens, von Nordwestarabien, Palästina, der Türkei ausstrahlte, sie steht im Zeichen des Chemischen Äthers und dessen Urform, dem Halbmond. Die besondere Beziehung dieser ätherischen Kräfte zu dem Mondenhaften konnten wir ja schon im I. Bande darstellen. Wenn sich der Mensch jener Kulturströmung, die im Mohamedanismus, im 159
»Arabismus« zum Ausdruck kam, mit seinem ätherischen Leib aus der Gebundenheit an das Physische zum Geistigen erhob, so kam er infolge seiner besonderen Struktur vor allem zum Erlebnis jener mondenhaften ätherischen Kräfte und Mächte, und er prägte dieses Erlebnis wiederum auch dem Werk seiner Hände auf Erden ein und rief seine Mitmenschen auf zum Anschauen jenes Symbols des Halbmondes, das die dort herrschenden geistigen Kräfte und Mächte aussprechen sollte. Die unzähligen Halbmonde, die auf den Türmen der Kultbauten, der Minarets, zum Himmel hinaufragen, sie sind wie eine vielstimmige Antwort jener Menschen an die Gottheit: Ja, ich habe Dich verstanden, ich soll mich versenken in die Wesenheit der Mondenkräfte, und zum Zeichen des Einverständnisses von Gottheit und Menschheit strecken meine Hände das Symbol des Halbmondes von der Erde dem Himmel entgegen: •W.>;:«.-;'...-
Die Hagia-Sophia zu Konstantinopel.
Wie sollte eine Kulturströmung nicht bis in das innerste Wesen ihrer Erkenntnis, ihrer Religion, ihrer Kunst vom Mondenhaften beherrscht sein, wenn alle religiösen Bauten vom Halbmond gekrönt, alle Künste von diesem Motiv beherrscht sind? Wer das Wesen des Mohamedanismus studiert, und die Anbetung des Jahve, der kein Sonnen-, sondern ein Monden-Gott ist, der nicht wie die Licht-Gottheiten der Ägypter geartet ist, sondern der gleichsam wie ein gewaltiger Alchymist die menschlichen Schicksale wie die Substanzen mischt und trennt, unter dessen Vorherrschaft sich die Menschen fatalistisch in einen nur gesetzmäßigen Prozeß unentrinnbar und unfrei verwoben glauben, der versteht jene Zusammenhänge. 160
Die göttlich-geistigen Mächte der Urvölker Asiens sind geartet wie das Feuerelement, sie durchströmen alles Seiende und lösen letztlich die Welt der Substanz wiederum erlösend in das »Nichts« auf. Im religiösen Erleben der Ägypter herrschen strahlende Lichtwesen, Ra und Aton und andere Sonnen- und Licht-Götter durchleuchten die Erdenfinsternis, den Menschen von den schweren Erdenschicksalen wieder befreiend. Der Gott des Mohamedanismus ist ein unerbittlicher Alchymist, der das Mischen und Entmischen von Seelen und Stoffen nach unerbittlichen Gesetzmäßigkeiten beherrscht und diesen Prozeß der Weltenchemie sich abrollen läßt. Kein erlösender, kein strahlender Gott, sondern ein Gott des Gesetzes. Die allwaltenden Kräfte, mit denen er herrscht, sind nur darstellbar im Zeichen des Halbmondes. Weiter westlich noch als die orientalischen Kulturen Asiens, Ägyptens, Kleinasiens, liegt die kleine Halbinsel G r i e c h e n l a n d s , die wohl der wichtigste Ausgangspunkt unserer späteren westlichen Kulturen gewesen ist. Hier wurde das Wesen des Menschen zum ersten Male in
Rek. Ansicht der Akropolis zu Athen. (Abb. S. 161—164 aus A. Springer, Kunstgeschichte.)
der Genesis ganz und gar erdenhaft. Die griechische Kulturepoche ist ja gewissermassen der Endpunkt der menschlichen Involution, der Anfangspunkt einer völlig neuen Entwicklungsphase. Sie ist in der Linie des Abstiegs der Menschheit der tiefste Punkt, wo das Hineintauchen des Menschen mit seiner geistigen Wesenheit in die irdische Materie ihre größte Intensität erfahren hat, wo er ganz Erdenmensch geworden ist, geistig-seelisch und körperlich. In die Nachklänge jener Kulturepoche fällt hinein das Erscheinen des Christus, der zu den am tiefsten in die Materie hineingetauchten Menschen sagt: »Ihr seid das Salz der Erde.« Denn wie sich das feste, ganz erdenhafte Salz aus den feineren flüssigeren Zuständen der Substanz im Salzkristall niederschlägt, so hat der Mensch der damaligen Zeit seinen Körper ganz mit den erdenhaften Kräften durchdrungen, Wachsmuth, Äther. BUdekräfte.
11
161
hat sein Bewußtsein ganz auf das Erdenhafte hingerichtet, während er in den früheren orientalischen Kulturen noch viel mehr von dem Unirdischen, Kosmischen erfüllt war. Die Gottheiten früherer Epochen waren noch ganz göttlich-kosmische Wesenheiten. Die Götter der
Korenhalle des Erechtheion.
Grundriss eines Tempels bei Milet.
Griechen tragen Erden-Wesenheit, irdisch-menschliche Züge. Während der Mensch früherer Epochen das Erdenleben nur als einen Durchgang bis zur Rückkehr in die geistige Welt betrachtete und seine Religion die Sehnsucht nach einer Erlösung aus dem Irdischen verwirklichen sollte, liebt der Grieche das Erdenleben und ist beherrscht von Furcht gegenüber den unbekannten Welten, die ihn nach dem Tode erwarten. Novalis sagt in seinen Fragmenten: »Sonderbar genug ist es, daß die griechische Mythologie so unabhängig von der Religion war. Es scheint, 162
daß die Kunstbildung in Griechenland vor der Religion und ein unendlich erhabener Idealismus der Religion den Griechen Instinkt war. Die Religion war wesentlich Gegenstand der menschlichen Kunst. Die Kunst schien göttlich, oder die Religion künstlich und menschlich. Der Kunstsinn war der Religions-Erzeugungssinn. Die Gottheit offenbarte sich durch die Kunst.« Negierung der irdischen Welt und Sehnsucht nach Rückkehr in das Rein-Geistige ist religiöse Stimmung der orientalischen Kulturen. Irdische Lebensfreude tind Furcht vor dem Jenseits ist religiöse Stimmung der Griechen. Die typischen Bauten einer solchen Epoche können nur im Zeichen jener Kräfte stehen, welche den festen erdenhaften Zustand bejahen, derKräftedesLebensäthers, die das Salzkristall mit seinen scharfen viereckigen Formen bewirken. Ein vergleichender Blick auf die geschwungenen, himmelwärts strebenden, alles Starre auflösenden, gebogenen Formen der Kultbauten
Rek. Altar des Zeus zu Pergamon. (Aus Wägner-Baumgarten, Hellas). 163
des Orients und dann auf die ganz irdischen, geraden, würfelförmigen Bauten einer griechischen Tempelstätte genügen, um zu erkennen, welche ganz anderen Bildekräfte hier die Hand des Baumeisters regierten. Einer Kristallstadt aus Salzwürfeln könnte man die griechischen Bauten vergleichen. Zu solcher Menschheit konnte auch das Wort gesprochen werden »Ihr seid das Salz der Erde.«. In allen Formen, sei es im Äußeren der Tempelbauten oder in der inneren Ausgestaltung herrscht das Viereck. Die lebensätherischen, erdenhaften Kräfte, die vom Menschen ganz Besitz ergriffen haben, wirken in der Hand der Künstler, welche das Viereck, das diese Bildekraft erstrebt, der Materie aufprägen. Gewiß lebt in den Linien der Giebel noch ein Nachklang an das Himmelweisende des Orients, aber nicht wie in der steilen Spitze der Pyramide, sondern niedrig und flach legen sich diese Aufbauten auf den großen Würfel des Tempels auf, der das Wesentliche im Erleben der Formen vermittelt. — Erdenhaft ist nicht nur die Architektur, sondern auch die Plastik, nicht mehr imaginativ, wie die das Übersinnliche darstellende Bildersprache Ägyptens und Asiens, sondern irdischmenschlich. Darum doch gewiß nicht weniger erhaben, nicht weniger zum Göttlichen im Menschen sprechend, ja, die größere Ecke des pergamenischen Altars. Meisterschaft des Künstlers liegt vielleicht noch mehr im freien Bemeistern des Allerirdischsten, als im Nachbilden überirdischer Vorbilder. Je dichter die Materie, um so größer das Erlösungswerk des Künstlers, der sie zum Geistigen im Kunstwerk zurückführt. Ein Blick auf die Urformen der griechischen Kultbauten genügt, um zu erkennen, daß der Mensch die höchsten Bildekräfte, die des Lebensätherischen, zu bemeistern gelernt hat. Das Erbe jener Erringung der Vierecksform durch den Menschen beherrscht ja eindeutig noch unsere heutige Baukunst. Nur ein künstlerischer Banause möchte vielleicht den Utilitarismus unserer heutigen Zeit auf die Baukunst der Griechen übertragen, glaubend, daß die Erringung dieser Form damals nur der Ausdruck eines Strebens nach praktischer Einfachheit war, der ein Vierecksbau am bequemsten gerecht werde. Gewiß mögen 164
auch diese Gesichtspunkte mitgesprochen haben, aber für die religiöskünstlerische Seite der Tempelbauten ist sie von sekundärer Bedeutung gewesen, primär jedoch das Erleben und Verwirklichen jener Urformen der ätherischen Welt, die das Wesen des Irdischen am intensivsten zu gestalten vermögen. Gewiß gibt es auch schon in früheren Epochen Vierecksbauten, noch in späteren Zeiten Rundbauten, denn in einem Künstler mögen spätere Kräfte einmal früher zum Durchbruch kommen, in einem anderen frühere Formenerlebnisse nachklingen. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß ja die Epoche des Auftretens des Halbmondes wenigstens zeitlich etwas nach dem Einsetzen der griechischen Epoche erfolgte, also im Rhythmus zeitlich etwas verschoben ist. Aber wie die Blüte einer Pflanze, etwa die der Herbstzeitlose, gegenüber dem Blühen der anderen Pflanzen etwas verspätet, d. h. verschoben ist, so kann auch im Kulturprozeß der Menschheit einmal eine Bildekraft durch äußere oder innere Ursachen in ihrem Eingreifen verzögert werden; doch das Wesentliche ist ja vor allem, daß die betreffenden Bildekräfte und die ihnen zugeordneten Phänomene tatsächlich auftreten und man wird den Organismus des Ganzen nur recht erkennen, wenn man auch die Anomalien desselben in das Bild des Werdenden verstehend einzureihen vermag. Ja, eine Anomalie kann für den Forscher manchmal gerade wichtigste Aufschlüsse für das Verständnis vermitteln. Solche Werdeprozesse sind nur in ihrer großen Gesetzmäßigkeit zu erkennen, wenn man großzügig auf das Ganze schaut und erlebt, wie in jeder Kulturepoche neue Urformen ihre Vorherrschaft erringen und die anderen mehr oder weniger zu verdrängen vermögen. Das Entwicklungsgesetz, das sich in den Rundbauten und gebogenen Linien des Orients, in den dreieckigen Pyramiden Ägyptens, in dem allbeherrschenden Halbmondsymbol Kleinasiens, und in den viereckigen »Salzwürfel-Bauten« der griechischen Zeit deutlich ausspricht, wir entdecken es leicht, wenn wir, statt in den so verschiedenen Stadien der religiösen Bauten und der Kunstgeschichte das Chaos des Zufalls oder den banalen Utilitarismus oder die künstlerische Laune zu sehen, vielmehr hinschauen auf den Wandel des Verhältnisses der Menschheit zur ätherischen Welt; wenn wir sehen, wie sich die makrokosmische Genesis der Bildekräfte bis in die modellierenden Hände der Künstler jener Kulturepochen hinein spiegelt und an den Formen der heiligen Bauten ablesen läßt. Wenn wir uns die ost-westliche Wanderung der Kulturen auf den drei Kontinenten in ihrer großen Linie anschauen, so ergibt sich etwa das folgende Bild: (s. Abb. S. 166). Gehen wir in der geschichtlichen Entwicklung in spätere Kulturepochen über, in der geographischen Wanderung noch weiter von Osten 165
&
Das Entwicklungsgesetz der Urformen in den religiösen Kultbauten und in der Kunstgeschichte.
nach Westen, so entdecken wir in den seither geschaffenen Baustilen nunmehr die vielgestaltigsten Variationen jener Urtypen. Betrachten wir z. B. die elementarsten Formen der G o t i k , so finden wir in dem Wesen des Verhältnisses von unten und oben jene Kombination von Viereck und Dreieck, die Kombination der Erdenkräfte, die zu den endgültigen Errungenschaften der griechischen Formen gehörten und der noch himmelwärts-sehnsüchtigen Lichtkräfte, denen die Pyramidenbauten der ägyptischen Aera vornehmlich Ausdruck verliehen. Es ist ein Wahrzeichen jenes Konfliktes zwischen dem Allzu-Irdischen (|~~)) und der Sehnsucht nach Rückkehr zu den verlorenen Sphären des Göttlich-Geistigen ( A ) . der das ganze Wesen der Gotik charakterisiert und sich so wahrhaftig bis in die Urformen ihrer Bauten hinein verfolgen läßt. Hier ist der stark in die Horizontale verflachte Giebel der griechischen Tempelbauten wiederum gewandelt in die Vertikale, in das himmelwärts, lichtwärts weisende, spitze Dreieck der hohen Dächer der gotischen Kathedralen (s.S. 168). Und im Spitzbogen der zur lichten Welt hinausführenden Fenster ist eine andere Metamorphose jenes Zwiespaltes, der in dem Nebeneinander von Viereck und Dreieck sich ausspricht, auch in der Formensprache zum religiös-künstlerischen Ausdruck gebracht. In den Bauten der Gotik wiederholen die modellierenden Hände der M e n s c h e n unbewußt ein Urmotiv, das die N a t u r selbst z. B. beim Modellieren der Blutkrystalle von Lebewesen verwendete: Wenn die Schöpferkräfte der Natur die Blutkrystalle eines Lebewesens formen, das die besondere Eigenschaft hat, daß es sich aus der horizontalen Erdengebundenheit des Tierreiches nach oben aufrichten möchte, z. B. des Eichhörnchens, so wählt die Meisterin Natur die eigenartige Kombination von Viereck und Dreieck (Lebensäther und Lichtäther, siehe Abb. Seite 146). Es ist dies mehr als ein Vergleich für den künstlerischen Naturforscher: Wie die tragische Sehnsucht des Eichhörnchens, sich aus der Horizontale der Tierreiche nach oben in die Vertikale aufzurichten, sich bis in die Form der Blutkrystalle ausdrückt; so drückt sich die Sehnsucht des gotischen Menschen, der von der Erde himmelwärts strebt, in dem gleichen Formmotiv seiner Bauten aus. So paradox es klingt: Die Künstlerin Natur verwendet hier für das sich aufrichtende Lebewesen die gleiche Urform, wie der himmelwärts strebende Mensch für sein Kunstwerk. Dies erinnert an die Worte Goethes: »Indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich endlich zur Produktion des Kunstwerkes erhebt.« — Eine Kunst, die zur Offenbarung geheimer Naturgesetze werden kann. 167
ff
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(Abb.
168
Die Kathedrale von Chartres (zu S. 167). E. Houvet, Monographie de la Cathedrale de Chartres).
Je weiter die Baukunst sich nun entwickelt, umso komplizierter, differenzierter werden naturgemäß auch die Variationen und Kombinationen der einstigen Urformen. Auch wird die Baukunst mehr und mehr zum Ausdruck dafür, daß dem Menschen der Einblick in die ätherische Welt nunmehr völlig verschlossen ist, daß er gleichsam im Finstern tappt und sich ohne die Einsicht in das Wesen der Bildekräfte, nicht wissend von den einst erlebten und nun verlorenen Gesetzen des Ätherischen, in freier Willkür in der Mannigfaltigkeit der Formenwelt auslebt, ja sich darin zu verlieren droht. Denn der Erbauer der Kultbauten früherer Zeiten verwirklichte zwar durch seiner Hände Werk die geistigen Erlebnisse der gerade in seiner Epoche regierenden ätherischen Kräfte und ihre Urformen in den heiligen Tempelbauten, aber er war dadurch auch noch nicht ganz frei, er stand selbst als Schöpfer irdischer Formen noch unter dem großen Entwicklungsgesetz des Ätherischen, war selbst noch Werkzeug einer im Zeitenrhythmus durch ihn sich verwirklichenden höheren Welt. Erst als alle Bildekräfte seit der griechischen Zeit den Menschen ganz durchdrangen, konnte er selbst ihr Meister werden und sich völlig frei ihrer Kräfte und Formen bedienen. Ein Hineinziehen äußerer schöpferischer Kräfte in das Innere des Menschen bedeutet darum immer einen Schritt vorwärts auf dem Wege seiner eigenen Freiheit im Schöpferischen, seiner Meisterschaft über jene Substanz, in der diese Kräfte auch außer ihm gebunden und wirksam sind. Aber dadurch gleichsam losgelöst von der Führung einer Welt außer ihm, frei im künstlerischen Verwenden aller Kräfte und Formen, droht ihm das Schicksal, sich im Chaos der unendlichen Möglichkeiten zu verlieren, wenn er sich nicht wieder erringen kann ein Wissen um das übersinnliche Wesen dessen, was ihm nunmehr frei in die Hand gegeben ist. Um die eigenartigen Verwandlungen verstehen zu können, die im M i t t e l a l t e r in der Kunstgeschichte so plötzlich auftauchen, ist es vor allem notwendig, sich der entscheidungsvollen Tatsache bewußt zu sein, daß im 15. Jahrhundert die vierte nachatlantische Kulturepoche, deren bedeutendster Höhepunkt das Griechentum war, zu Ende geht, und die fünfte nachatlantische Kulturepoche beginnt, in welcher der Mensch dasjenige ausbilden soll, was Rudolf Steiner die »Bewußtseinsseele« genannt hat, während die griechische Epoche der Ausbildung der »Verstandesseele«, die noch früheren Epochen der »Empfindungsseele« des Menschen dienten. Ein solcher weltgeschichtlicher Wendepunkt, wie der Beginn der fünften nachatlantischen Epoche, der Ausbildung der Bewußtseinsseele, tritt in der irdischen Welt — wie wir sehen werden — überall erkennbar in die Erscheinung, und er kündigt sich im Organismus der Erdgeschichte auch schon vorher durch bedeutsame Phänomene an. Es ist 169
ein schon öfters hier aufgezeigtes Naturgesetz, daß, wenn ein völlig neuer Zustand auftritt, sich die früheren Entwicklungsphasen vorher noch einmal rasch wiederholen. Das Geschehen in den Zeiten des 12.—15. Jahrhunderts ist nur unter diesem Aspekt zu verstehen. Was am Wendepunkt des 15. Jahrhunderts und in den unmittelbar darauffolgenden Zeiten geschieht, ist eine völlige U m w a n d l u n g des m e n s c h l i c h e n W e l t b i l d e s vom F l ä c h e n h a f t e n ins R ä u m liche. Kopernikus (1473—1543) konzipiert das kopernikanische Weltbild, in welchem der Mensch die Erde als um die Sonne rotierende Kugel sehen lernt. Der primitive Mensch dachte die Erde flächenhaft und unbewegt. Die neuauftretende Astronomie betont vor allem zwei Grundbegriffe: räumliche Tiefe und Bewegtheit. Der Kulturmensch, vorher auf ein verhältnismäßig enges Gebiet der Erdoberfläche begrenzt, beginnt diesen Erdkörper, den er im neuen Licht sieht, abzutasten: Columbus fährt 1492 nach Amerika. Der Begriff der Antipoden nimmt reale Gestalt an. Die Tiefengliederung der Erde tritt ins menschliche Bewußtsein. All dies sind die ersten großen Schritte der hereinbrechenden »Bewußtseinsseele«. Es ist unmöglich, das Wesen der Barock-Kunst zu verstehen — Tiefe und Bewegtheit, statt Flächenhaftigkeit und Unbewegtheit der künstlerischen Formen — ohne die Umwandlung des Weltbildes durch Kopernikus und Columbus. Man könnte auch sagen: Kopernikus ist ein Barock-Astronom. Was er für das Bild von der Erde gibt — Tiefengliederung und Bewegung — das tragen nach ihm die Barock-Künstler in die Kunstformen hinein; oder: Barock ist kopernikanische Kunst. Der »Tastmensch« und »Sehmensch« wird von Grund auf gewandelt. Will man die seltsamen Metamorphosen in der Kunstgeschichte des 12.—15. Jahrhunderts verstehen, so läßt sich dies vielleicht durch das folgende Bild veranschaulichen: Wenn die Wogen des Ozeans gegen die Felsenküste branden, wenn also das wässerige Element plötzlich auf ein anders geartetes dichteres Erdenelement stößt, so werden diese Wogen noch einmal im Anprall zusammengestaut, bevor sie zerstieben. So auch die Kräfte der Verstandesseelen-Kultur, als sie auf das neue Element der Bewußtseinsseele stießen. Die Renaissance, die »klassische« Epoche im 15. und 16. Jahrhundert ist eine solche letzte große Stauung der Verstandesseele, der letzten geistigen Kräfte des Griechentums, am Ende ihrer Epoche, da sie auf ein neues Element der Evolution aufstoßen. Dies bedeutet noch einmal eine gewaltige Intensivierung des Bisherigen. Ein Blick in die Welt der Kunstgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts offenbart dieses Erden-Drama. Leonardo da Vinci ist ein charakteristischer Repräsentant dieses Vorgangs. Bevor wir auf diese Epoche näher eingehen, wollen wir zunächst noch kurz jenes Vorgeschehen betrachten, das den großen Wendepunkt 170
vorbereitet. Der erste Vortakt, gleichsam die Ouvertüre zum neuen Drama, spielt im 12.—14. Jahrhundert. Wiederum gehen Verwandlungen des Weltbildes und der Kunst des Menschen parallel. In der Geistesgeschichte finden wir in dieser Zeit die Blüte der bedeutsamen Schule von Chartres*), jener geistigen Strömung, die noch einmal den letzten Versuch macht, das spirituelle Weltbild früherer Zeiten, den von Geistwesen belebten Kosmos, das alte Mysterienwissen vor die Menschen hinzustellen. Der inspirierte »Natura«-Schauende Brunetto Latini reicht solche Weisheit dem Dichter Dante, der sie noch einmal in der »Divina Gomedia« künstlerisch darstellt. In der Malerei liegt die entscheidende Wandlung zwischen Gimabue und Giotto (geb. 1267). Rudolf Steiner sagt hierüber (18. Oktober 1916): »Und so sehen wir denn, daß von den starren Linien und von dem flächenhaft Gedachten des Cimabue die Strömung herüber führt zu Giotto, so daß wir nunmehr Nachbildung des Natürlichen, Individuellen, Angeschautes und Wirklichkeit, immer mehr und mehr im Raum drinnen Stehendes, nicht aus der Fläche heraus Sprechendes bei Giotto sehen.« Wölfflin beginnt sein Werk über »Die klassische Kunst«**) und deren Vorgeschichte mit den Worten: »Am Anfang der italienischen Kunst steht Giotto. Er ist es, der der Kunst die Zunge gelöst hat.« Im 12.—13. Jahrhundert, in der Schule von Chartres, in dem eigenartigen Lebensgestaltungs-Impuls, der von Franz von Assisi ausgeht, in der Weisheit des Brunetto Latini und Dante, in dem Wandel von Cimabue zu Giotto, liegt der Übergang von der Welt des alten Orients, von den menschlichen Seelenkräften der Empfindungsseele zur Bewußtseinsseele, zum ganz erdhaften Bewußtsein, das kommen soll. Zwei große Wogen türmen sich noch einmal auf, bevor die Weltgeschichte gegen das neue Element stößt: Die erste Woge im 12.— 13. Jahrhundert wird zum Untergang der Seelenkräfte der vom alten Orient überlieferten Empfindungsseele, die zweite Woge im 15.—16. Jahrhundert zur letzten Stauung der vom Griechentum überlieferten Verstandesseele, bis dann in den folgenden Jahrhunderten sich das Neue, die Bewußtseinsseele festigt und zur Herrschaft kommt. Diese Wiederholung der früheren Entwicklungsstadien vor Eintreten einer neuen Stufe ist eben ein Ur-Phänomen in der Genesis. Auch in der Kunstgeschichte ist es zu finden. Wir hatten gesagt, daß sich folgende Metamorphosen abspielen: Die Verwandlung der künstlerischen Erfassung und Gestaltung der Umwelt durch den Menschen war bedingt durch seine dreigliedrige Wesenheit. Am Beginn der Entwicklung erlebt und meistert er die *) Siehe hierzu Dr. Karl Heyer »Das Wunder von Chartres«, Verlag Geering, Basel 1927. **) Heinrich Wölfflin »Die klassische Kunst«, Bruckmann, München 1914. 171
Umwelt als Gliedmaßenmensch, dann als rhythmischer Mensch, dann als Nerven-Sinnesmensch. Die Kunst des alten Orients, insoweit sie nicht übersinnlich-ätherisch Erschautes, sondern Erlebnisse der physischen Erdenwelt zum Gegenstand hat, ist eine mehr durch das Abtasten der Dinge — im weitesten Sinne des Wortes genommen — gegebene. Daß das physische Auge noch keine wesentliche Rolle spielt, zeigt schon die Tatsache, daß die eigentliche »Malerei« späteren Epochen angehört. Wölfflin formuliert das Phänomen in vorzüglicher Eindeutigkeit, indem er sagt: »Der Fortgang von der handgreiflichen plastischen Auffassung zu einer rein optisch-malerischen hat eine natürliche Logik und könnte nicht umgekehrt werden« u. a. 0 . »Das Umreißen einer Figur mit gleichmäßig bestimmter Linie hat noch etwas von körperlichem Greifen an sich. Die Operation, die das Auge ausführt, gleicht der Operation der Hand, die tastend am Körper entlang geht, und die Modellierung, die in der Lichtabstufung das Wirkliche wiederholt, wendet sich ebenso an den Tastsinn. Eine malerische Darstellung dagegen in bloßen Flecken schließt diese Analogie aus. Sie wurzelt nur im Auge und wendet sich nur an das Auge, und wie das Kind sich abgewöhnt, alle Dinge auch anzufassen, um sie zu »begreifen«, so hat die Menschheit sich abgewöhnt, das Bildwerk auf das Tastbare hin zu prüfen. Eine entwickeltere Kunst hat gelernt, der bloßen Erscheinung sich zu überlassen. Damit hat die ganze Idee des Bildwerks sich verschoben: das Tastbild ist zum Sehbild geworden, die kapitalste Umorientierung, die die Kunstgeschichte kennt.« — Wir können diesen Vorgang ganz aus der Wesenheit des Menschen erklären. Wie das Kind zuerst ganz Gliedmaßen-Mensch ist, die Welt durch Tasten und Greifen kennen lernen will, und erst später dem Organ der Hand das Organ des Auges, schließlich das des Denkens zu Hilfe kommt, so geht auch die Menschheit als Ganzes diesen Entwicklungsgang. Die Malerei tritt erst auf, sobald sich der rhythmische und der Kopf-Mensch bewußter in die physische Umwejt hineinstellen. Es kommt aber noch ein anderer Gesichtspunkt hinzu. Während der Gliedmaßen-Mensch, der Tastmensch, die Welt vor allem in der Bewegung, also im Zeitlichen, im Nacheinander kennen lernt, wählt der das Organ des Sehens und des Denkens verwendende Mensch immer mehr einen bestimmten Ruhepunkt, von dem aus er die Dinge überschaut — im R ä u m e , im Nebeneinander. Die Zeit hat in ihrem Wesen etwas Zwei-dimensionales, es gibt nur den Blick m die Vergangenheit und in die Zukunft. Erst der mehr und mehr räumlich empfindende Mensch, der Sehmensch, betont das Dreidimensionale. Parallel mit dieser Entwicklung geht der schon erwähnte Verlust des Bewußtseins der Menschheit vom ätherischen Leibe. Der ätherische Leib ist aber seinem Wesen nach ein Zeitleib, der physische ein Raumes172
Leib. Das Wesentliche am ätherischen Leibe des Menschen ist es ja, daß er fast alle Prozesse in sich wiederholenden Zeitperioden, in bestimmten Rhythmen vollzieht. Nur für das an die Gesetze des Physischen gewöhnte Vorstellungsvermögen des Menschen und insoweit er in Physisches eingreift, muß der ätherische Leib auch in räumlichen Bildern dargestellt werden, sein Wesen liegt aber im Rhythmischen, im Zeit' liehen. Daher ist die noch aus dem Wahrnehmen des Ätherischen entspringende, noch unräumliche, die Zweidimensionalität betonende Kunst entwicklungsgeschichtlich die frühere, die das rein Physische betonende dreidimensionale, räumliche Kunst die spätere. Wir hatten weiterhin gesagt, daß der Mensch des alten Orients, insoweit er überhaupt schon Sehmensch war, in seiner Kunst nicht das physisch Gesehene, sondern das ätherisch Geschaute wiedergab, das ihm von übersinnlichgeistigen Welten kündete; und daß er, da das ätherische Bild zunächst im Zweidimensionalen erlebt wird, deshalb auch das Flächenhafte bejahte, weil ihm das Perspektivische unserer Kunst als falsch erschienen wäre, für das was er darstellen wollte. Erst der ganz in das physisch Erdenhafte untertauchende Mensch, der die Kräfte der Bewußtseinsseele ausbilden sollte, betonte in seinem Weltbild und in seiner Kunst das Erlebnis der Raumtiefe. Wenn daher Wölfflin sagt: »Während die unentwickelte Vorstellung der Primitiven zwar im allgemeinen an die Fläche gebunden ist, aber doch beständig Versuche macht, diesen Bann der Fläche zu durchbrechen« — so möchten wir dies nur auf die »Primitiven« der nach-griechischen Epoche angewandt wissen. Denn der alte Orient ist eben aus einem ganz anderen Grunde flächenhaft, als das Griechentum oder die Renaissance. Er ist nicht an die Fläche »gebunden«, nicht in ihrem »Bann«. Der alte Orient, bis zur ägyptischen Kunst, sieht ätherisch zweidimensional und ist deshalb gewollt flächenhaft. Dieser die Kunst aus übersinnlichen Welten konzipierenden Epoche folgt eine solche, wo der Mensch, da er von diesen Quellen abgeschnitten ist, über die Gesetze des Künstlerischen intellektuell nachzudenken beginnt, sich der Verstandesseele bedient. Am Gipfelpunkt der letzten großen Stauung dieser Entwicklungswoge, am Wendepunkt zur neuen Epoche, steht Leonardo da Vinci. Diese Übergangszeit ist aus einem Verstandes-Motiv, aus Überlegung flächenhaft. Erst nachher kommt die Welt der Tiefengliederung: Der Barock. Wie nachdenklich experimentell Leonardo vorgeht, zeigt sich in den folgenden Worten: »Obgleich die dem Auge gegenüber stehenden Dinge, wie sie allmählich hintereinander folgen, in ununterbrochenem Zusammenhang eins das andere berühren, so werde ich nichtsdestoweniger meine Regel (der Abstände) von 20 zu 20 Ellen machen, ebenso wie der Musiker 173
zwischen den Tönen, obwohl diese eigentlich alle in eins aneinanderhängen, einige wenige Abstufungen von Ton zu Ton angebracht hat (die Intervalle).« — Er will die »Regel« finden, den Raum so einzuteilen, wie der Musiker die Saiten. Er ist ja auch der Vater der »Perspektive«. Neben den Künstler, der rein aus dem Ästhetisch-Schönen, aus dem Spieltrieb (im Sinne Schillers) schafft, tritt nun der Kopf-Mensch und beginnt immer entscheidender mitzusprechen. Das ist nicht im mindesten etwas negativ zu Wertendes, obgleich es gewiß auch nur ein Ubergangsstadium zu etwas Umfassenderem ist. Es ist zunächst eine Ergänzung, die entwicklungsgeschichtlich durchaus notwendig ist und in deren Inaugurierung gerade Leonardos überragende Größe liegt. Novalis sagt einmal für sein eigenes Gebiet künstlerischen Schaffens, die Poesie, in seinen Fragmenten*): »Die Trennung von Poet und Denker ist nur scheinbar und zum Nachteil beider. Es ist ein Zeichen einer Krankheit und krankhaften Konstitution Je größer der Dichter ist, desto weniger Freiheit erlaubt er sich, desto philosophischer ist er. Er begnügt sich mit der willkürlichen Wahl des ersten Moments und entwickelt nachher nur die Anlagen dieses Keims.« Etwas eigenartig Gesetzmäßiges erkennen wir, wenn wir die ätherischen Kräfte gerade des menschlichen Hauptes betrachten, die in jener Epoche des Leonardo mit erhöhter Stärke zu wirken beginnen, und wenn wir uns sein wohl bedeutendstes Werk, das Abendmahl, anschauen. Im menschlichen Haupt wirkt das Lebensätherische, das wenn es im Physischen zum Ausdruck kommt, den Salzbildungs-, Kristallisationsprozeß und die viereckigen bezw. kubischen Formen anstrebt. Wir hatten auf den Einfluß dieser Kräfte in der griechischen Kulturepoche schon hingewiesen (siehe Seite 163). Die Epoche der Renaissance läßt ja diese Welt auf neuer Grundlage auferstehen. Ein sich gleichsam klar kristallisierendes Denken leitet den Künstler Leonardo, und wir staunen, mit welcher Konsequenz das Abendmahlsbild vom »Viereck« als Urform durchaus beherrscht ist. Friedrich Doldinger hat in so schöner Weise über den Zusammenhang einer das Ätherische einbeziehenden Naturbetrachtung mit religiös-künstlerischen Wahrheiten im Abendmahlsbilde des Leonardo gesprochen**): »Eine der größten künstlerischen Offenbarungen des Erdgeistes ist das Abendmahl des Leonardo da Vinci. Es stellt dar den.Augenblick, da Christus mitgeteilt hat : Einer unter Euch wird mich verraten. Die Gruppe der Jünger ist in Bewegung, jeder einzelne charakteristisch dargestellt. Und doch wendet sich das Ganze auf den Christus selbst. Das erreicht der Künstler nicht nur dadurch, daß er die Christus-Gestalt in die Mitte setzt. Läßt *) Novalis »Fragmente« Diederichs 1907, Bd. 3. **) Dr. Friedrich Doldinger »Gäa-Sophia«, Jahrbuch 1926. 174
man das Bild längere Zeit auf sich wirken, so ist es, als werde alles wie auf den Christus hin eingesaugt. Rein formal wird der Eindruck dadurch hervorgerufen, daß sich die Fluchtlinien im Haupte des Christus schneiden, dadurch wird alles auf den Fluchtpunkt hingesaugt. Von der Christus-Figur wird berichtet, daß Leonardo nach sechzehnjähriger Arbeit noch nicht eine ihn befriedigende endgültige Lösung fand. Die Menschenform fand er nicht, das kosmische Wesen aber hat er durch jenes formale Kompositionselement in vollendeter Weise zum Ausdruck gebracht. Christus ist die Sonne auf der Erde. Er bewirkt ja auch das, was sonst die Sonne während eines Jahreslaufes tut, er verwandelt Wasser in Wein Denken wir nun noch daran, daß dem Lebensäther nach der Wachsmuthschen Ätherlehre die viereckige Formtendenz zukommt und wenden unseren Blick zum Gemälde des Leonardo zurück, so werden wir finden, daß in einer so vollkommenen Weise, als es im sinnlichen Abbild überhaupt nur möglich ist, das geistige Wesen der Sonne zum Ausdruck kommt, bis auf die Fensteraussparung in der Wand, die das Haupt des Christus umrahmt. Viereckig ist der Raum, viereckig der Tisch, viereckig die Wandfüllungen, viereckig die Gebälkwerksfelder an der Decke. Der Fluchtpunkt in der Mitte der Fensterfläche ist zugleich noch der Schnittpunkt der das Bild halbierenden Vertikale und der Horizontale, die durch die Köpfe der Apostel markiert ist. Es entsteht so raumdynamisch ein Kreuz um das Haupt des Heilandes. Für die Wirkung ist auch dies wesentlich. Es ist die unsichtbare, durch die Raumeskräfte des Bildes selbst und deshalb durchaus anwesende vierteilige Aura des Christus. Die frühchristlichen Mosaiken, die noch vom Urchristentum inspiriert sind, betonen diese viergeteilte Aura ja auch mit solcher Treue. Sie kennzeichnet Christus wiederum als Sonnenwesen Durch all dies erscheint auch der Ausspruch Rudolf Steiner's in einem neuen Lichte, daß wenn ein Bewohner des Mars etwa auf die Erde kommen könnte und nichts begreifen würde, so würde er doch wissen, was mit der Erde ist, wenn er vor dem Abendmahl des Leonardo betrachtend stünde.« — Von der Zeit des Leonardo beginnend wird das Erbe der Verstandesseele durch die Kräfte der Bewußtseinsseele langsam überwunden. Die interessanteste Erscheinung in diesem Uberwindungsprozeß ist der Barock. Wenn man sich in das Wesen des Barock zu vertiefen sucht und ihn in dem Rahmen der damaligen Zeitepoche verstehen will, so wird man, glaube ich, seine ursprünglichsten Motive und Impulse zunächst nicht in der beabsichtigten Schaffung eines völlig neuen Stils, sondern vorerst aus der Tendenz zur Auflösung der bisherigen Formenwelt erklären müssen, noch nicht in der Bejahung eines klar erkannten Zieles, sondern aus der Verneinung dessen, was dem neuen Geist nicht mehr möglich ist. Der Barock ist eine künstlerische Revolution. Aber eine 175
aus tiefen geistigen Quellen imputierte Durchbrechung der von der Vergangenheit gegebenen Gesetze, des Zwanges der VerstandesseelenKultur. Rudolf Steiner hat in dem Barock einen bedeutsamen Versuch gesehen, wichtige geistige Impulse in jener Zeit zu verwirklichen, ein Versuch, der allerdings nicht geglückt ist, da er sich über sein Ziel auf Erden letztlich nicht klar werden konnte und deshalb mißglückte. Darum fiel ja auch die kunstgeschichtliche Strömung schon um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wieder in das Verstandesmäßige zurück. Was charakterisierte den Barock? Wölfflin formuliert wiederum eindeutig: »Der klassische Geschmack arbeitet durchweg mit linienklaren, tastbaren Grenzen; jede Fläche ist bestimmt gerandet; jeder Kubus spricht als völlig tastbare Form, es ist nichts da, was nicht in seiner Körperlichkeit rein auffaßbar wäre. Der Barock entwertet die Linie als Grenzsetzung, er vervielfacht die Ränder, und indem die Form an sich sich kompliziert und die Ordnung eine verwickeitere wird, wird es den einzelnen Teilen immer schwerer, als plastische Werte zur Geltung zu kommen: es entzündet sich, unabhängig von der besonderen Ansicht, eine (rein-optische) Bewegung über die Gesamtheit der Formen hin. Die Wand vibriert, der Raum zuckt in allen Winkeln Auch in der tektonischen Kunst soll sich nichts mehr verfestigen in tastbaren Linien und Flächen, auch in der tektonischen Kunst soll der Eindruck des Bleibenden aufgehoben werden durch den Eindruck des Sich-Verändemden, auch in der tektonischen Kunst soll die Form atmen. Das ist, abgesehen von allen Ausdrucksverschiedenheiten, die Grundidee des Barock Alle klassische Architektur sucht die Schönheit in dem, was ist, Barock ist Schönheit der Bewegung. Dort haben die »reinen« Formen ihre Heimat und man sucht der Vollkommenheit ewig-gültiger Proportionen sichtbare Gestalt zu geben, hier verblaßt der Wert des verlängerten Seins vor der Vorstellung des atmenden Lebens. Die Beschaffenheit des Körpers ist nicht gleichgültig, aber das Erste ist, daß er sich bewege: in der Bewegung vor allem liegt der Reiz des Lebendigen. Das sind Grundunterschiede der Weltanschauung.« Als Naturforscher die Erde von einem künstlerischen Gesichtspunkte aus betrachtend, können wir sagen: Die Erde als Organismus und Kunstwerk der Natur ist »barock«, nicht flächenhaft, sie ist nicht ruhend, sondern bewegt, das wissen wir seit der Zeit des Kopernikus. Sie hat Tiefengliederung, sie hat ein erhabenes Relief, das wissen wir seit den großen Seefahrern. Die Barockkunst hat es dem Menschen erleichtert, sich auf das neue Weltbild umzustellen. Kunst und Natur-Erkenntnis haben in jener Epoche noch ineinandergeklungen. Das Treffendste und Wichtigste, was Wölfflin über die BarockArchitektur sagt: »Der Barock will nicht, daß der Baukörper in bestimmten Ansichten sich verfestige. Durch Abstumpfung der Ecken 176
gewinnt er Schrägflächen, die das Auge weiterführen. Ob man sich der Vorder- oder Seitenfront gegenüber stelle, immer gibt es im Bild verkürzte Teile Daß man dem Körper von keiner Seite ganz beikommen kann — oder um den Ausdruck zu wiederholen — daß der Körper sich nicht in bestimmten Ansichten verfestige.« — Das ist die große Forderung, welche m jener Zeitepoche die Erde und auch die Kunst an den Menschen richtet: Glaube nicht, daß Du die Architektur der Natur oder auch die rechte Architektur des Menschen voll erleben kannst, wenn Du sie nur von einer Seite betrachtest. Du mußt um das Bauwerk herumgehen, es von allen Seiten betrachten. Du mußt Dich nicht auf irgend eine Fläche beschränken, sondern jede Fläche führt Dich durch ihre innere Bewegungstendenz zu einer anderen Fläche hin, die Dich in eine andere Dimension, in eine neue Formenwelt hineinführt, diese wiederum in eine andere, bis Du den ganzen Organismus des Gewordenen umwandert, durchlebt, innerlich mit Deinen mitfühlenden Seelenkräften noch einmal auferbaut hast. — Zeit und Raum werden wieder flüssige Gebilde durch den Barock. Die klassische Kunst führt im Wesentlichen zum Erlebnis der Gesetzmäßigkeiten des Anorganischen, der Barock will wiederum einführen in die Welt des Organischen. • Das Gleiche gilt für den Übergang vom linearen zum malerischen Stil. Wölfflin sagt: »Klar ist zunächst soviel, daß der Sprachgebrauch jedes Formganze als malerisch bezeichnet, daß, auch wenn es ein Ruhendes ist, einen Bewegungseindruck auslöst. Der Bewegungsbegriff gehört aber auch zum Wesen des malerischen Sehens: das malerische Auge faßt alles als ein Vibrierendes auf und läßt nichts in bestimmten Linien und Flächen sich verfestigen.« »Der große Gegensatz des linearen und des malerischen Stils entspricht einem grundsätzlich verschiedenen Interesse an der Welt. Dort ist es die feste Gestalt, hier die wechselnde Erscheinung; dort ist es die bleibende Form, meßbar, begrenzt, hier die Bewegung, die Form in Funktion; dort die Dinge für sich, hier die Dinge in ihrem Zusammenhang über das Greifbar-Gegenständliche tritt aber jetzt die Empfindung auch in das Reich des Ungreifbaren: erst der malerische Stil kennt eine Schönheit des Körperlosen. Aus dem verschieden orientierten Interesse an der Welt entspringt jedes Mal eine andere Schönheit.« Warum hat nun aber der Barock diese neue Ideen-, Farbenund Formenwelt nicht zu einem dauernden Fundament der Kunstgeschichte auswirken können? Seine Tendenzen entsprechen doch dem neuen Weltbild von der bewegten, beweglichen Erde. Hier hätten doch Naturforschung, Kunst und auch die sich allmählich mit der bewegten Erde befreundende Religion einmal gemeinsam am Weltbild des Menschen zimmern können. Es kam statt dessen jene Epoche des tiefsten Untertauchens des Menschen in den Materialismus, zuerst in Wachsmuth, Äther. Bildekräfte.
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der Naturforschung, dann in der Kunst. Während sich das irdische Weltbild des Menschen in seinem Horizonte erweiterte, er durch Ausbau der Seefahrt, der Reisen, der Kolonisation, das physische Relief des Erdkörpers mehr und mehr abtastete, wurden seine Augen immer blinder, seine Gedanken immer unzugänglicher für jene gestaltenbildende, übersinnlich-geistige Kräftewelt, deren Werk der abgetastete Erdenleib ist. So kam um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert der große Rückschlag. Die Rückkehr vom rein Malerischen zum Linienhaften, vom barocken Tiefenerlebnis zum flächenhaft Geometrischen, vom lebendig Bewegten zum Intellektuell-Gesetzmäßigen, ja phantasielos Naturalistischen und schließlich gar Utilitaristischen, vor allem in der Baukunst. Hätte der Barock den geistigen Impulsen weiter dienen können, deren Wesen er in sich trug, so hätte er dem Menschen wenigstens in der Kunst ein Gebiet während der finsteren materialistischen Epoche offen halten können, wodurch er das Wesen des Lebendig-Organischen noch hätte erleben können. Aber wir sagten schon, daß der Barock bei seiner Entstehung zunächst mehr eine künstlerische Revolution, eine Verneinung der Zwangsjacke des Verstandesseelenhaften war, als eine Bejahung eines klarbewußten Zieles. Die »Methodik« des Barock war eine durchaus im Sinne der geistigen Evolution liegende, aber da seine Vertreter in einer Zeit wirken mußten, wo die Einsicht in die geistigen Welten gerade am stärksten zu schwinden begann, so verlief der Impuls des Barock im Uferlosen und erstickte schließlich in der toten mechanistischen und utilitaristischen Begriffswelt des 19. Jahrhunderts. Es fehlte in der Außenwelt eben noch jenes Weltbild, welches mit den Mitteln der Erkenntnis dasjenige hätte begreiflich machen können, was der Barock mit künstlerischen Mitteln darzustellen suchte. Die schematisch viereckigen und kantigen banalen Nutzbauten in der Architektur, ein geistloser Naturalismus in den anderen Künsten, paßten besser zu dem Weltbild der Nur-Mechanik, der »Zuchtwahl«, der nach Art einer Dynamo-Maschine durch den toten Kosmos rotierenden Erde, die sich dem Menschenkopf als eine Summe geologischer Schichten, abstrakter Längen- und Breitengrade darstellte. Es soll gewiß nichts gegen die Entwicklungsnotwendigkeit jenes Durchganges der Menschheit durch die materialistisch-mechanische Epoche gesagt werden, doch ist ihre Erwähnung erforderlich, um das erstaunliche Auslöschen der produktiven Kräfte in der Kunstgeschichte während jener Zeit zu verstehen. Denn die wenigen Ausnahmen vermochten nicht die Allgewalt jenes Stromes in andere Bahnen zu lenken. Eines zeigt die Geschichte der Künste gewiß: das Weltbild des Menschen und seine Kunst sind innig ineinander verwoben*). Wie er Kosmos, Erde und Mensch erlebt, so gestaltet er auch in der Kunst. Das Kunstwerk ist nicht n u r das *) Siehe auch Dr. Erich Schwebsch »Gäa-Sophia«, Jahrg. I, S. 394 ff. 178
Ergebnis einer gnadevollen Inspiration aus einer von der Erdgeschichte völlig losgelösten geistigen Welt. Der Tast- und Sehmensch muß in der ihn umgebenden Natur Geistiges erleben können, um schöpferisch zu sein und zu bleiben. Die Entwicklungslinie der Kunstgeschichte der Zukunft ist durch einen aufrichtigen und umfassenden Rückblick in die Vergangenheit eigentlich klar vorgezeichnet: der Mensch der orientalischen Epoche
sah das Ätherische, empfing seine Inspirationen durch eine damals allgemein verbreitete Hellsichtigkeit, durch die bewußte Wahrnehmung der Schöpferkräfte und -Mächte in der Natur. Das rein Physische war ihm jedoch noch nicht ganz durchschaubar, noch mehr in Finsternis getaucht. Dann wechselten Licht und Finsternis für die menschliche Wahrnehmung. Die geistige Welt wurde ihm mehr und mehr verschleiert, schließlich ganz verdüstert. Die Geschichte des menschlichen »Sehens« endete bisher in einer Verfinsterung des Geistigen, einer Durchheilung des rein Physischen in der Natur. Nach dem 15. Jahrhundert wurde das flächenhafte, von der ruhenden Erdscheibe ausgehende Weltbild gestürzt durch das Bild von der Tiefengliederung und Bewegtheit der Erde, durch Kopernikus und den Barock. Aber eine Natur, die einen scheinbar nur materiellen Erdball rotieren läßt, ohne daß der Mensch Ursache und Sinn all dieses Geschehens entziffern kann, wird ihn auch nicht inspirieren können, weder religiös noch künstlerisch. Das Wiedererkennen der künstlerischen, schöpferischen Welt, die all dieses Geschehen impulsiert und ihm Sinn und Richtung gibt, ist daher auch eine Lebensfrage für den Künstler. Eine Landschaft wird anders gemalt, eine Plastik anders gemeißelt oder geschnitzt, eine
Architektur anders modelliert sein, wenn der daran schaffende Mensch durchschaut, wie die Natur selbst an ihren Geschöpfen modelliert, das Mißlungene korrigiert, das Geglückte steigert und zu immer größerer Schönheit führt. Nach dem Erlebnis der griechischen Kunst schrieb Goethe nieder: »Die hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und n a t ü r l i c h e n Gesetzen hervorgebracht worden.« Rudolf Steiner sagte über dieses Problem: »Wenn der Mensch sein Inneres über die Natur sprechen läßt, so erkennt er, daß die Natur hinter dem zurückbleibt, was sie vermöge ihrer Triebkräfte leisten könnte. Der Geist sieht das, was die Erfahrung enthält, in unvollkommener Gestalt. Er findet, daß die Natur ihre Absichten in ihren Schöpfungen nicht erreicht. Er fühlt sich berufen, diese Absichten in vollendeter Form darzustellen. Er schafft Gestalten, in denen er zeigt: dies hat die Natur gewollt, aber sie konnte es nur bis zu einem gewissen Grade vollbringen. Diese Gestalten sind die Werke der Kunst. In ihnen schafft der Mensch das in einer vollkommenen Weise, was die Natur unvollkommen zeigt.« — Und er ließ es nicht beim Postulat
bewenden, sondern schuf als Künstler im »Goetheanum« in diesem Geiste eine neue Architektur, Plastik, Malerei usw. Betrachten wir den Grundriß des ersten »Goetheanum« vom Gesichtspunkte der Urformen, so finden wir dort ein Naturgesetz künstlerisch manifestiert, das allem Werden des Lebendigen innewohnt. Wie die einfachsten Urgebilde der Schöpfung meist eine kreisförmige oder kugelige Gestalt haben, die um einen einzigen Mittelpunkt aufgebaut ist, aber bei höherer Entwicklung — sei es z. B. in der Eiform etc. — sich zu einem Gebilde ausgestalten, das gleichsam auf zwei Mittelpunkte hinorientiert ist, so zeigten auch die Rundbauten der frühesten orientalischen Kulturen die um e i n e n Mittelpunkt aufgebaute KreisGoETHEANUM DoBHACH
U I I H B O - I ajEfcw-iflM.
oder Kugelform (siehe Seite 148/149), während nach Durchlaufen jener vielen Zwischenstadien vergangener Epochen Rudolf Steiner dem Grundriß seines Menschheitsbaues eine Form gab, die auf zwei verschiedene Mittelpunkte hinorientiert war, deren Kreise sich aber liebend durchdrangen und so zu gemeinsamen Sphären des scheinbar Getrennten führten. Rudolf Steiner hat selbst gelegentlich darauf hingewiesen, daß es einige,Charakteristika dieser neuen Kunst gibt, welche den Impulsen des Barock verwandt sind, aber vieles Wesentliche geht doch einen völlig verschiedenen Weg. Würden wir zunächst versuchen, uns ein Bild von dem Gemeinsamen zu machen, so könnten wir vielleicht mit Recht hinweisen auf die Betonung des Beweglich-Lebendigen, des Flüssigen der Formen, anderseits die Negierung des Linearen, Flächen180
haften. Auch hier wird darauf gesehen, daß der Baukörper sich nicht in bestimmten Ansichten verfestige, daß durch Abstumpfung der Ecken Schrägflächen gewonnen werden, die das Auge immer weiterführen, so daß »man dem Körper von keiner Seite ganz beikommen kann.« Das Auge, ja das ganze Innere, Seelische des Menschen soll bei Betrachtung solcher Architektur, Malerei und Plastik, nie in Ruhe oder behäbigem Verweilen erstarren können, sondern angeregt werden, von Form zu Form weiterzuwandem und von der »Schönheit der Bewegung« durchdrungen und verlebendigt zu werden. Eine Kunst, die um das Weben und Wirken des Ätherischen im Physischen weiß, bringt das atmende Leben in die Formenwelt, in die Rhythmik, in die organische Gliederung des Kunstwerkes hinein. Solche Kunst will nicht innerlich ruhend betrachtet, sondern als »Führer« erkannt sein, die den Beschauer zu innerer lebendiger Bewegtheit impulsiert und ihn erst Halt machen läßt, wenn er diesen Mikrokosmos, sei es eine Plastik oder ein Bau, von allen Seiten und allen Aspekten betrachtet hat. Eine Kunst, in der man nicht durch frontales ruhendes Anschauen, sondern nur durch eigene innere Regsamkeit mit dem Wesen des Kunstwerkes eins werden kann. Sie hat nicht nur einen genießerischen Charakter, sie hat einen erzieherischen, einen verlebendigenden, die Seelenkräfte stärkenden Impuls in sich ( s . S . 139). Der englische Architekt Mr. Montague Wheeler hat in der Londoner »Times«*) von dieser neuen Kunst mit Recht die folgende Darstellung gegeben: „Wer in England die Bücher des verstorbenen Rudolf Steiner gelesen hat oder seine Vorlesungen in London, Oxford oder anderen Städten besucht hat, wird ihn vermutlich mit Philosophie, Erziehung und seiner eigenen speziellen Wissenschaft, der Anthroposophie, verknüpfen, aber wenige werden von ihm als einem Architekten wissen. Trotzdem verdient eine Persönlichkeit, welche ein Gebäude erbaute, gross genug, um eine Zuhörerschaft von 1000 Menschen zu fassen, überwölbt von sich schneidenden Kuppeln, deren höhere eine etwas grössere Spannweite als die Peterskirche hat, ernsteste Beachtung von allen, welche die Kunst der Architektur ausüben. Dieses Gebäude hat nichts den traditionellen Stilen entlehnt. Der Schöpfer suchte weder eine Wiedergabe dessen zu geben, was die Tempel des antiken Griechenlands zur Kunst des modernen Europas beigetragen haben, noch wurden die Formen der mittelalterlichen Gothik entlehnt und zurechtgemacht. Es war in keiner Hinsicht eine Reissbrettzeichnung. Es wurde konzipiert und entworfen so, wie Architektur immer entworfen werden sollte, nämlich in drei Dimensionen und es sollte deshalb in drei Dimensionen auch gesehen werden, um verstanden werden zu können. Unglücklicherweise wurde es vor mehr als einem Jahr durch eine Feuersbrunst zerstört; aber als ein neuer Schritt zur Darstellung einer neuen Architektur wird es wohl keinen Rivalen in der Geschichte der Künste haben. Steiner entwarf das Gebäude, welches er „Goetheanum" nannte, als ein Theater für die Aufführung seiner Mysterienspiele und für Darbietungen der Eurhythmie, jener Bewegungskunst, die er auch selbst geschaffen hat. Die kleinere Kuppel überwölbte die Bühne. Das Gebäude stand auf der Spitze eines der vorgelagerten Hügel des Jura-Gebirges bei dem Orte Dornach in der Schweiz und hatte zu seinem Hintergrunde schroffe Hügellinien und Felsen. *) Aus der Londoner Tageszeitung »Times« v. 18. XI. 25. 181
An derselben Stätte wird nunmehr ein neues Gebäude errichtet, wieder auf demselben Grundriss, obgleich etwas grösser, jedoch mit völlig neuen Formen und neuen Materialien. Es sind jedoch selbstverständlich dieselben Gestaltungsprinzipien angewendet worden. . . . Es sind eine Fülle von Anzeichen da, dass die Traditionen der Vergangenheit nicht mehr den künstlerischen Bedürfnissen der Gegenwart genügen, und es wird deshalb eine wachsende Aufmerksamkeit dem Werke eines jeden Künstlers entgegengebracht, der etwas Neues zu geben hat. In erster Linie und vor allem ist Architektur eine dreidimensionale Kunst. Ein Gebäude muss konzipiert und modeliiert werden in drei Dimensionen. Reissbrett und Richtscheit sollten nicht benutzt werden, bevor das Modell komplett, mit Ausnahme des Grundrisses, fertiggestellt ist. Sie sind notwendige Handwerkszeuge, um die Zeichnungen auszuarbeiten, aber sollten nicht die Kontrolle haben über die grossen Linien. Steiners Entwürfe sind sehr schwer aufs Reissbrett zu bringen; sie müssen von allen Seiten in der Runde betrachtet werden. Der Unterschied zwischen dem Modellieren und der mehr gebräuchlichen Methode, einen Entwurf durch einige rauhe Bleistiftstriche zu beginnen, ist einfach gewaltig. Kein Wunder, dass das Ergebnis diejenigen zunächst verblüfft, die den Übergang ins Dreidimensionale erst rinden, wenn ihre Bauwerke fertig dastehen. Man könnte einwenden, dass ja jeder Architekt das Dreidimensionale in Gedanken vor sich habe, während er seine Zeichnungen macht. Das mag vielleicht so sein, obgleich es zweifelhaft ist. Aber der ausschlaggebende Punkt ist, dass er eben doch nicht in drei Dimensionen arbeitet. Darin liegt die grosse Bedeutung; denn Architektur ist wirklich eine plastische Kunst. Jeder, der nur einmal versucht hat, das einfachste Gebäude zu entwerfen durch das Kneten von einem Stück Ton in seinen Händen, wird erkennen, was das bedeutet. Der Unterschied wird besonders stark, wenn man zum Entwurf des Daches kommt. Die charakteristische Art, einem Gebäude eine Bedachung zu geben, wenn man mit Ton arbeitet, ergibt etwas ganz anderes, als wenn man nur auf dem Reissbrett zeichnet. Die Behandlung des Plastischen in der Architektur wurde sehr gefördert durch den Gebrauch von verstärktem Beton, obgleich man bis jetzt meistens Beton nur so verwendet, als wenn er gewöhnlicher Stein wäre, indem man ihn in Blöcke verarbeitet und trockenlegt oder mit horizontalen und vertikalen Linien an der Oberfläche anordnet, die mit der grossen Linienführung gar nichts zu tun haben. Die Gestaltung der Treppen kann z. B. Steiners Gestaltungsmethoden veranschaulichen. Er vermeidet absichtlich die schematischen Vierecksformen und man fühlt, dass seine Formen eher organisch als statisch gedacht sind. Die Haupttreppe des Goetheanums ist eines der besten Beispiele für diese Anschauung. Das Werk des Architekten, obgleich es auch plastisch ist, unterscheidet sich doch von dem des Bildhauers, insofern es hohl ist. Die vom Bildhauer hervorgebrachten Formen erhalten ihre Gestaltung von aussen; die Formen eines Gebäudes sollten nach den aus dem Innern heraus wirkenden Kräften gestaltet werden, in Mass und Richtung gehalten von aussen. Steiner geht von der Anschauung aus, dass wenn auch der Mensch es zunächst zu tun hat mit dem, was sich äusserlich manifestiert und der Wissenschaft davon, so kann er doch zur Erkenntnis einer geistigen Tätigkeit kommen, die hinter diesen Manifestationen am Werk ist und kann, wenn er dies studiert, lernen, schöpferische Formen zu gestalten, wie auch die Natur solche gestaltet, und zwar im Einklang mit dem darin tätigen Geistigen. Dies will natürlich nicht sagen, dass die von der Natur geschaffenen Formen in den architektonischen Entwürfen einfach kopiert werden sollten. Ganz im Gegenteil. Es würde für den Menschen ebenso absurd sein, ein Haus genau wie einen Baum zu gestalten, als es für die Natur unmöglich wäre, einen Fisch wie einen Stein zu formen. Jedes Gebäude muss in seinem Entwurf seinen Gebrauchszwecken, seinem Material und seiner besonderen Lage in der Landschaft gerecht werden. Die Möglichkeiten der künstlerischen Entwicklung sind grenzenlos, wenn man einmal erkannt hat, dass die moderne Wissenschaft dem Architekten ein Material an die Hand gegeben hat, das genau so plastisch ist wie der Ton. Ein Betonbau sollte nicht in der Maskerade eines Steinbaues auftreten; ein Architekt, der Beton in dieser Weise verwendet, wird die griechischen Tempelformen nicht los werden können. Anstatt seine neuerlangte Freiheit schöpferisch zu verwenden, freut er sich im all-
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gemeinen nur, eine bequemere Art gefunden zu haben, um ein Fensterbord zu konstruieren. Steiner hat deshalb in einer grossartigen Weise an diejenigen appelliert, die einen Ausweg aus dem Wirrwar jener erstorbenen Kunstformen suchen, die gewiss schön waren, aber eben nicht mehr in der Seele des 20. Jahrhunderts lebenskräftig sind."
Was diese neue Kunst mit dem Barock gemeinsam hat, ist die »Schönheit der Bewegung«. Aber wie wir schon sagten, ist beim Barock die Bewegung gleichsam nur Revolution gegen die Ruhe, also aus einer Negation geboren. Dies ist verständlich aus jener Zeitepoche, als Kopernikus und die religiösen Reformatoren und Revolutionäre das vorher Ruhende für bewegt erklärten und gegen das vorher DogmatischGesetzliche protestierten. — Aus einem völlig anderen Geist heraus hat Rudolf Steiner in unserer Zeit die neue Kunstrichtung inauguriert. Hier ist die Erde nicht nur durch unbekannte Kräfte u m sich selbst und im Kosmos bewegt. Die Erde wird zum Organismus, sie hat nicht nur einen physischen, sondern auch einen ätherischen Leib, sie bewegt sich nicht nur, sondern sie atmet. Dadurch wird die Anschauung eines jeden Baumes, Tieres, Menschen, ja ein jedes Stück Natur für das E r lebnis des Menschen völlig verwandelt. Wie Kopernikus und seine Zeitgenossen das Weitbild und damit das Schaffen des Barockkünstlers beeinflußten, so m u ß auch in unserer Zeit das neue Weltbild eine neue Kunst bedingen. Der Barock kommt zur Bewegtheit durch N e g a t i o n des Ruhenden, Allzugesetzlichen; aus diesen Motiven der Negation heraus wird er aber deshalb auch atektonisch, unorganisch, löst jede Formgeschlossenheit und Einheitlichkeit letzten Endes auf. Die neue Kunst hingegen kommt zur Bewegtheit und Lebendigkeit der Formen durch B e j a h u n g , durch Erkenntnis einer höheren Gesetzlichkeit, als derjenigen der Materie, nämlich der Gesetze des übersinnlichen, Lebendigen, Organischen. Das, was an den Errungenschaften des Barock gegenüber d e m Klassizismus bedeutsam und wahr ist, nämlich Bewegtheit und Lebendigkeit, das hat dieser neue Stil auch, aber er verliert sich nicht, wie jener, negativ ins Atektonische, sondern er ist im Gegenteil aus seinem völlig neuen Weltbild heraus betont tektonisch. d. h. er bejaht die Formgeschlossenheit und Einheitlichkeit des Ganzen, weil er in ihm einen »Organismus« sieht. O h n e das Einbeziehen der ätherischen Welt in das Weltbild des Menschen wäre dieser mächtige Schritt vorwärts auch in der Kunst nicht möglich gewesen! Rudolf Steiner fordert deshalb auch von einer solchen Architektur, daß das Gebäude als Ganzes einen künstlerisch durchgebildeten Organismus darstelle, wo jedes einzelne Motiv mit dem Ganzen im rechten Zusammenhang steht. Und er spricht von der Ausgestaltung eines »organischen Baustiles« im Gegensatz zu einem bloß auf Statisches oder Dynamisches sich stützenden Baustil. Gewiß zum erstenmale in der Geschichte wurde ein so gewaltiger Bau, an dessen Aufbau u n d 183
1) Weissbuche fj,
2) Esche ©
Kapitale der 7 Säulen
6) Ahorn %
7) Birke $
3) Kirsche £
4) Eiche rf
5) Rüster §
I) Weissbuche ti
2) Esche 0
Sockel der 7 Säulen
6) Ahorn %
7) Birke 9
3) Kirsche £
4) Eiche cf
5) Rüster 5?
künstlerischer Ausgestaltung Angehörige von 17 Nationen der Erde mitwirkten, ganz aus Holz d. h. aus lebendigem, organischem Material errichtet. Und seine künstlerischen plastischen Formen offenbarten so viele geheime Naturgesetze, führten so viele von der Natur gewonnene Gestaltungen durch Menschenhand künstlerisch auf einen höheren Gipfel, daß noch viele Generationen aus dieser Formensprache Anregungen für ihre Naturerkenntnis, für ihr künstlerisches Schaffen, ja für ihr religiöses Erleben der geistigen Welten werden empfangen können. Als Beispiel seien hier die Motive der Kapitale und Sockel der grossen Säulen wiedergegeben, die so gestaltet waren, daß es sich künstlerisch von selbst ergab, daß das 7. Gebilde dem 1. als Ergänzung entspricht, das 6. dem 2., das 5. dem 3., das 4. jedoch als Mitte für sich dasteht (s.Abb.S.l 84 -187.) Was hier ohne jede Spekulation, rein aus der künstlerischen Formensprache heraus sich ergab, es antwortet gleichsam der Natur auf ihr eigenes Schaffen. Denn einen solchen Rhythmus hatten wir ja auch schon bei der Künstlerin Natur entdeckt (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 110 und 114). Hierbei kann natürlich auf die näheren Einzelheiten nicht eingegangen, sondern nur auf das Selbststudium der in dieser Hinsicht schon vorhandenen Literatur*) und Kunst hingewiesen werden. Unsere Aufgabe soll es ja sein, dem Künstler den Weg zu einer solchen Naturbetrachtung zu ebnen, die ihm zeigt, wie die Natur selbst als Künstlerin tätig ist und wie sie ihre schöpferischen Kräfte verwendet. Wie stark kann z. B. in der Malerei das Wesen des Ätherischen dem Künstler richtunggebend sein! Nicht nur seinem eigenen Inneren, sondern auch der Farbe muß der Künstler hierbei ihr Wesen ablauschen und beide im Kunstwerk so verschmelzen, daß das eine dem anderen nicht Gewalt antut. Während im R o t und G e l b die wärme- und lichtätherische Welt ihr strahlen-wollendes, gleichsam aggressives, vorwärts stürmendes Wesen zur Offenbarung bringt, saugen die Kräfte des Chemischen- und Lebensätherischen in den blauen u n d violetten Farbennüancen die Außenwelt an sich heran und erzeugen Gefühle der Ruhe, der Insich-Geschlossenheit, der konturierten Formprägung und der stillen Verinnerlichung. Eingehendes Studium und Verwirklichung der von Dr. Rudolf Steiner in seinen Farbenvorträgen den Künstlern gegebenen Richtlinien wird den Beginn einer neuen Epoche der Malerei bedeuten, die dem Wesen des Menschen und dem Wesen der Farben ihre Geheimnisse ablauscht und im Kunstwerk zur Offenbarung bringt**). *) Dr. Rudolf Steiner »Wege zu einem neuen Baustil«, herausgegeben und eingeleitet von Frau Marie Steiner, Dornach 1926. **) Siehe hierzu die Aufsätze über das Wesen der Farben von Albert Steffen in der Wochenschrift »Das Goetheanum« Jahrg. V und VI.
Wenn ein Künstler das Wesen der ätherischen Bildekräfte erkennt, wie es sich in den einzelnen Farben darlebt, wird er zukünftig eine Bildersprache zu sprechen vermögen, in der das Wesentliche nicht nur im Inhalt und der Gestaltung des Dargestellten, sondern mehr und mehr im übersinnlichen Tun der Ätherwelt in den Farben zur Wirksamkeit kommt. Eine »magische« Malkunst — im guten Sinne des Wortes — wird der die ätherische Welt beherrschende Künstler der Zukunft zu schaffen vermögen. Gleiches gilt von der Plastik. Es ist für den Künstler wesentlich zu durchschauen, in wie völlig anderer Weise die Bildekräfte der Natur in einem lebendigen, organischen Material, z. B. Holz, zu Werke gehen, als bei einem anorganischen Material, z. B. Marmor. Wir hatten ja im I. Band aufgezeigt, daß die Substanzeinheiten der anorganischen und der organischen Materie sich polarisch verschieden zum Ätherischen verhalten: Lebende Substanzeinheit.
Tote Substanzeinheit. Feste Substanz Lebensäthersphäre I—|
übrige ätherische Bildekräftesphären
(s. hierzu auch Abbildungen I. Bd., Aufl. 2, S. 171/238).
Wenn wir die (hier schwarz dargestellte) Sphäre des Lebensäthers als diejenige ansehen, welche die feste G e s t a l t eines Körpers bewirkt, so zeigt sich also, daß beim anorganischen Körper (z. B. Marmor) die ätherischen Kräfte nach außen verdrängt sind, beim organischen Körper (z. B. Holz) jedoch nach innen hinein gedrungen sind. Wir können sagen: In der N a t u r v e r d r ä n g t die tote M a t e r i e das Ä t h e r i s c h e nach a u ß e n , bei der l e b e n d i g e n Materie d r i n g t das Ä t h e r i s c h e nach innen. So läßt uns die Ätherlehre auch verstehen, was Rudolf Steiner als einen wichtigen Grundsatz für die verschiedene Gestaltung z. B. von Holz und Beton hingestellt hat: »In das Holz arbeitet man die Raumform hinein; man läßt durch Vertiefung einer Hauptfläche die Form entstehen. Beton dagegen ist ein Material, aus dem man die Form durch E r h ö h u n g der Hauptfläche so herausarbeiten muß, wie man sie zur Begrenzung des notwendigen Raumes braucht. Das macht sich dann auch geltend in der Bildung der nach außen gehenden Formen. Flächen- und Linienführungen, Winkelgestaltungen usw. sind so zu halten, daß, was im Innern gestaltet und gegliedert ist, wie in die Außenformen d r ü c k t und dadurch sich offenbart«. — Der Künstler wird, wenn er dies alles durchschaut, Hammer und Meißel anders führen, anders bei Holz, als bei Marmor usw., 189
seine physischen Formen anders auftragen oder einkerben, als wenn er den Aufbau der Materie, die er bemeistern soll, nicht kennt. Man könnte einwenden, Michelangelo und Leonardo hätten jenes Verhalten der Bildekräfte wohl nicht gekannt und doch ihre herrlichen Plastiken geschaffen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß seither die Entwicklung viele Jahrhunderte weitergeschritten ist, daß zwischen Michelangelo und uns das immer tiefere Eintauchen der Menschheit in die Materie und der Verlust der früheren Geistigkeit liegt, und daß schon Leonardo — dem Zeitenwandel gerecht werdend — begann, sein Material bewußter zu studieren, als je ein Künstler vor ihm. Nicht nur das Wissen vom Geistigen in der Natur, sondern auch die atavistisch überlieferten künstlerischen Fähigkeiten der Menschen sind durch die materialistische Epoche immer geringer geworden. Was uns nicht mehr aus ererbter Fähigkeit und gnadevoller Inspiration möglich ist, müssen wir uns bewußt wieder erringen. Produktivität war früher ein Gnadengeschenk, in unserer Zeit will sie auch immer von Neuem bewußt erobert sein. Seit der Tastmensch durch den Sehmenschen und Kopfmenschen abgelöst wurde, braucht der Künstler mehr bewußte M a t e r i a l - K u n d e , als früher, wo er dies gleichsam »aus dem Handgelenk« tat. Gewiß kann nicht alles so errungen werden, aber doch vieles Wesentliche. Die M a t e r i a l - K u n d e des zukünftigen K ü n s t l e r s b r a u c h t ein Wissen von den ä t h e r i s c h e n Bildekräften. Hier beginnt das schöne gegenseitige Fragen und Antworten zwischen Naturforschern und Künstlern. Diese neue Epoche der Geschichte des menschlichen »Sehens« und somit auch der Kunstgeschichte wird kein Motiv so denken und darstellen können, daß es nicht irgendwie sein Hinein-gestellt-sein in die lebendigen Kräfte der ganzen Erde, ja des Kosmos, zum Ausdruck bringt. Ein Baum ist an sich keine »Realität«, wenn er nicht von der Tatsache erzählen kann, daß er ein Glied im Organismus der Erde ist, daß der Lebensatem der Erde ihn durchströmt, kosmische und irdische Einflüsse ihn betasten, stärken oder beeinträchtigen, Gestalt, Färbung und Formgebung tingieren. Wie kann der Künstler dies aber zur Darstellung bringen, ohne die Atmung der Erde, die großen Rhythmen des Lebendigen, die geheimnisvollen Bildekräfte der Farben in ihrer Aktivität und Passivität, in ihrem Schaffen und Weben durchschaut und innerlich erlebt zu haben? Rudolf Steiner sagt z. B. von der Gestaltung eines künstlerischen Reliefs, das ja die Überwindung des Zweidimensionalen, den Übergang ins Dreidimensionale, Räumliche, darstellt: »Ein Relief hat gar keinen Sinn, wenn man die Figuren nur an eine Wand anmalt. Es hat nur dann einen Sinn, wenn man die Anschauung hervorruft, daß die Wand selber lebe und die Figur hervorbringen kann.« Und er spricht in wundervollen Worten von der Oberfläche der Erde als der 190
Wandung eines architektonischen Kunstwerks, einer Wand, die ein solches Relief lebendig aus sich hervorbringt: »Es gibt ein Relief, das ganz sinnvoll schon in die Welt hineingestellt ist; nur können wir dieses Relief nicht ordentlich beobachten. Es gibt ein Relief, das nach dem richtigen Begriffe gebaut ist, so daß die Wände das hervorbringen, was die ReliefDarstellung ist. Diese Relief-Darstellung ist die Erde, die Erde mit ihrer Pflanzenwelt. Nur müßten wir von der Oberfläche der Erde in den Weltenraum hinaustreten, um dieses Relief zu studieren. Die Erde ist die Fläche, die lebendig ist, welche aus sich hervorbringt ihre Gebilde. So aber muß unser Relief sein: Daß wir der Wand ihre Lebendigkeit glauben, wie wir der Erde es glauben, daß sie aus ihrem Schöße die Pflanzen hervorbringt. Dann erreicht man die wirkliche Reliefkunst. . . Wäre der Mensch im Paradies geblieben, so hätte er das wunderbare Relief der Erde mit den Pflanzenformen von außen gesehen, so aber wurde er auf dieses Relief selbst versetzt. Er konnte es nicht von außen beobachten, er ist aus dem Paradies ausgezogen. Die Sprache der Götter kann nicht mehr sprechen zu den Menschen. Die Sprache der Erde übertönt die Sprache der Götter. Belauschen wir die Organe der Götter, die sie selbst geschaffen haben, als sie als Elohim der Erde den Menschen gegeben haben. Belauschen wir die ätherischen Formen der Pflanzen und bilden wir nach diese ätherischen Formen der Pflanzen, dann schaffen wir — wie die Natur im Menschen den Kehlkopf zum Sprechen geschaffen hat, — so scharfen wir die Kehlköpfe, durch die die Götter zu uns sprechen können. Belauschen wir die Formen an den Wänden unseres Baues, die da sind die Kehlköpfe für die Götter, und wir suchen den Weg zurück zum Paradies.« Die Kunst soll wiederum zum Menschen von der geistigen Welt sprechen, sie soll zur unmittelbaren Anschauung bringen, wie die schöpferischen Kräfte und Mächte in ihrer Aktivität durchschaut und wie die von der Natur begonnene Werke vom Menschen zu immer höheren Stufen der Vollkommenheit und Schönheit geführt werden können. Zu diesem Ziele aber müssen Naturerkenntnis und Künstlertum Hand in Hand gehen. Schenkt der Naturforscher dem Künstler ein Weltbild, in dem nur tote materielle Prozesse verständlich sind, so wird er seine Produktivität mit der Zeit abtöten, gibt er ihm jedoch ein solches Weltbild, in dem das Physisch-Materielle gleichsam durchsichtig wird und sich die darin wirksamen Schöpferkräfte und geistigen Impulse entdecken lassen, so wird ihm der Künstler zum Dank durch seine Werke manche weitere »geheime Naturgesetze« offenbar machen, und der Naturforscher wird selbst schon als Erkennender zum Künstler werden können und müssen. Der Künstler braucht das Bewußtsein vom Wesen und Wirken der ätherischen Welt gleich notwendig wie der Naturforscher. Sie sollten gemeinsam auf diese Entdeckungsreise 191
gehen. Es wird ein Weg zu Schönheit und Freiheit sein, zu einer Freiheit, die den Menschen aus dem Zwange eines naturgesetzlichen Weltenplanes herauslöst, ihn aber nicht nur willkürlich und blindlings gegen diesen Weltenplan der Natur arbeiten läßt, sondern die ihn zu demjenigen Wesen macht, das die geheimen Intentionen des Weltenplanes in der Natur erkennt und gleichsam als ein Gehilfe der Schöpfermächte das von ihnen Begonnene planvoll und künstlerisch schaffend fortsetzt, ergänzt, verschönert, zum Ziele führt. Das Werden der belebten und unbelebten Natur im Kunstwerk fortzuführen und zu vervollkommnen, dies heißt den göttlichen Funken im Menschen wirken lassen. Goethe sagt: »Wenn die Natur des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in einem großen, schönen, würdigen und werten Ganzen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm ein reines, freies Entzücken gewährt, dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und Wesens bewundern.« Wenn wir rückblickend die Geschichte der religiösen und künstlerischen Bauten der Menschheit überschauen, so entdecken wir einen Weg, der ausgeht von einer weisheitsvollen Verwirklichung der Urformen der ätherischen Welt nach ihrem eigenen Rhythmus durch die um das Wesen des Ätherischen noch wissenden Priester des alten Orients. Doch dieses Hin-orientiert-sein auf ein Geist- und Natur-Gegebenes bedeutet noch teilweise Unfreiheit. Mit dem Hineintauchen in die volle Erdenhaftigkeit verliert der Mensch das Wissen von dem Ätherischen, vergißt die einstigen Gesetze der Kunstgeschichte, der Urformen, aber gerade dadurch wird er frei, sieht sich nun gleichsam blind gegenüber dem Wesen der Bildekräfte vor das Chaos der unendlichen Möglichkeiten gestellt. Allzu frei vielleicht, denn oft vergewaltigt er nun die Natur in der Willkür des versuchten Kunstwerks oder handelt doch nicht im Geiste ihrer geheimen künstlerischen Harmonien, ihres kunstvollen Weltenplanes, den er fortsetzen soll, aber vergessen hat. Zukünftige wahre Kunst wird aus der errungenen inneren Freiheit, aber auch aus dem bewußten Erlebnis der im schöpferischen Bereich des Ätherischen waltenden Impulse heraus, das begonnene Schaffen der Natur künstlerisch fortsetzen und auf solche Weise innerlich frei dem Weltenplane der Gottheit im Kunstwerk dienen.
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X. Kapitel. D i e ätherische VVelt u n d die ^M-usik. Während in Architektur und Plastik der Materie Geistiges so eingeprägt wird, daß der schöpferische Gedanke des Künstlers für längere Zeit irdische Gestalt annimmt, meistert die Musik das Irdische nur im Augenblick des künstlerischen Tuns. Sobald jedoch das Tongebilde verklungen ist, fällt die dadurch ergriffene Materie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. In Architektur, Plastik und Malerei meistert der Künstler die Materie in der Dauer, im Musikalischen jedoch nur im Augenblick. Das Musikalische ist deshalb weniger den Naturgesetzen der Materie Untertan, als die anderen Künste, ist näher dem rein Geistigen, ist freier. Die Musik hat ihre Formensprache und ihre Gesetze von jeher aus anderen Quellen, als denen der irdischen Umwelt empfangen. Und die Entwicklung der Musik ist daher meist auch andere Wege gegangen, als die der Schwesterkünste. Frühere Zeiten suchten die Ursachen der musikalischen Harmonien fast ausschließlich im Makrokosmos, in der Sternenwelt. Von den Sphärenharmonien sprach die pythagoräische Schule und sie sah in der von Menschen geschaffenen musikalischen Tonwelt nur einen irdischen Abglanz der kosmischen Harmonien. Die Hervorbringung irdischer Harmonien wurde von den Mysterienstätten streng geregelt. Willkürliche Hinzufügung neuer Intervalle oder gar einer neuen Saite auf einem Instrument konnte im alten Orient für den Komponisten die Todesstrafe nach sich ziehen. Man erforschte in den Mysterien die Weltengesetze und gestattete nur die Anwendung jener Intervalle und Harmonien, die man in der entsprechenden Epoche der Menschheitsentwicklung für heilsam hielt. Die Musikgeschichte lehrt uns eindringlich, welche starke Metamorphose die Stellung des Menschen zu den einzelnen Intervallen, zur Anwendung von Harmonie, Melos und Rhythmus durchgemacht hat. Wie frühere Zeiten den Menschen aus dem Schöße des Makrokosmos und aus den Sphärenharmonien herausgeboren wußten, so regelten sie die irdischen musikalischen Harmonien auch nach den Gesetzen jener einstigen Heimat der Menschheit. Berühmt ist jenes von der Bildung der Weltseele handelnde Gespräch, das der sternkundige Lokrer Timaios, der Vertreter der pythaW a c h s m u t h , Äther. Bildekräfte.
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goräischen Schule, einst in Athen führte, als er vor Sokrates und dessen Freunden die harmonikale Lehre der Pythagoräer vertrat, wovon uns Plato berichtet. Bevor wir auf die heutigen Wege des Musikalischen eingehen, wollen wir uns kurz mit jener früheren Anschauung der Schüler des Pythagoras von den Sphärenharmonien als der historischen Basis befassen. Nach einer Schilderung der Beschaffenheit der E l e m e n t e , aus denen das Weltall aufgebaut ist und einer Beschreibung der K u g e l g e s t a l t , welche*) »als das vollkommenste Bild des sich selbst Gleichen der Schöpfer dem Weltall verliehen habe«, sagt Timaios: »Der Mitte dieses vom Mittelpunkte aus nach allen Richtungen ebenmäßig gleichen, vollkommen zusammengesetzten Körpers, hat Gott die Seele eingepflanzt, indem er diese das Ganze durchdringen ließ und mit ihr auch noch von außen her den Körper umhüllte und diesen alleinigen einzigen Himmel bildete als einen im Kreise sich drehenden Kreis, vermögend durch eigene Kraft sich selber zu befruchten, und keines anderen bedürftig, sondern sich selbst zur Genüge bekannt und befreundet; so erzeugte er ihn als einen durch dieses Alles beseligten Gott Er aber gestaltete die ihrer Entstehung und Vorzüglichkeit nach frühere und ältere Seele als Gebieterin und Beherrscherin des ihr unterworfenen Körpers aus solchen Bestandteilen und auf solche Weise: aus dem Unteilbaren und allezeit nach dem Selbigen sich verhaltenden Wesen, und wiederum aus dem an den Körpern teilbar gewordenen, mischte — die Mitte zwischen beiden innehaltend — er aus ihnen eine dritte, aus der Natur des S i c h - s e l b s t - g l eichen, wie auch aus der des A n d e r s - S e i n s zusammengesetzte Art von Wesenheit, und stellte sie solchergestalt in die Mitte des Unteilbaren von ihnen, und des an den Körpern Teilbaren. Und hinwiederum diese drei Wesen nehmend, mischte er sie zu einem Urgebilde zusammen, indem er die Natur des Anderen, da sie schwer zu vermischen war, mit Gewalt zu dem Sichselbst-gleichen fügte. Und auch der (dritten) Wesenheit sie vermischend, und so aus dreien Eins machend, teilte Er von Neuem dieses Ganze in so viele Teile als sich geziemte, jeden aber wiederum aus dem Sichselbst-gleichen, dem Anderen und dem (dritten) Wesen zusammengesetzt.« Nachdem die Gottheit auf solche Weise die Weltseele dem dreigliedrigen Weltall-Körper einverleibt hat, folgt nun eine musikalische Einteilung: »Es begann (der Gott) aber die Teilung in nachstehender Weise. Zuerst entnahm Er einen Teil dem Ganzen; dann das Doppelte *) Siehe Freiherr von Thymus, »Die harmonikale Symbolik des Altertums«. »Die pythagoräisch-platonische Lehre vom Werden des Alls und von der Bildung der Weltseele in ihren Beziehungen zur semitisch-hebräischen und chamitisch-altägyptisehen Weisheitslehre und zur heiligen Überlieferung der Urzeit«. Köln 1876. 194
dieses Ersten; als dritten das Anderthalbige des zweiten oder dreifache des ersten; als vierten das Doppelte des zweiten; als fünften das Dreifache des dritten; als sechsten das Achtfache des ersten; als siebenten das Siebenundzwanzigfache des ersten. Hierauf aber füllte er die zweifachen und dreifachen Abstände dadurch aus, daß er dorther nochmals Teile abschnitt und sie in die Mitte jener setzte, so daß in jedem Abstände zwei Mittelglieder sich befanden, deren Eines um denselben Teil das eine Äußere übertraf, um welchen es von dem Andern übertroffen wurde, das Andere dagegen um die gleiche Zahl das Eine (der beiden äußeren) übertraf und dem Anderen nachstand « — Und nachdem Thymus die von Plato berichteten Zahlenangaben verschiedenen Ergänzungen und Transformationen unterzogen hat, glaubt er — im Gegensatz zu anderen Musik-Geschichtsforschern — hierdurch rekonstruieren zu können »jene den diatonischen Stufen der Tonlagen des Quintenzirkels entsprechende Folge von Ober- bezw. Unterquinten des Zeugertones D (= 1) der Mitte, aus welchem Timaios das Grundgerippe der Zahlen des harmonikalen Diagramms der Weltseele zusammensetzt.« Nicht etwa, weil wir diese für richtig hielten, sondern nur um ein konkretes Beispiel von einem jener Ergebnisse zu zeigen, zu denen eine rein mathematisch vorgehende theoretische Rekonstruktion der griechischen Sphärenharmonien geführt hat, sei hier das Ergebnis der Forschungen des Frhr. v. Thymus wiedergegeben, da er gewiß mit zu den umfassendsten Kennern der überlieferten Literatur, sowohl der Antike als des Orients gehört (s. Abb. S. 196). Doch was nützen alle solche Betrachtungen und Rekonstruktionen dem Menschen der Gegenwart, insbesondere dem Komponisten und Musiker? Da der Mensch in unserer Zeit nicht mehr, wie die Schöpfer des Musikalischen in der griechischen und vorgriechischen Zeit, die Sphärenharmonien erkennen kann, so kann er die Grundlagen für Harmonie, Melos und Rhythmus nicht mehr aus dem Singen der Weltseele ableiten, sondern er muß sie finden aus dem Wesen seiner eigenen Individual-Seele heraus, die gleich einem Tropfen aus dem Meere der Weltseele in ihm selbst ruht und ihn zukünftig auf dem Wege ins Musikalische fuhren muß. Wir wollen darum im Folgenden versuchen, uns ein Bild zu machen vom Wesen des Musikalischen, wenn wir es nicht aus dem Singen der »Weltseele«, sondern aus dem Singen der »Individualseele«, nicht aus dem Kosmos, sondern aus dem Menschen ergründen. Wenn wir noch einmal einen kurzen Blick werfen über die geschichtliche Entwicklung der Anschauung des Menschen vom Wesen des Musikalischen, so zeigt sich uns das Bild eines immer tieferen Abstieges auch des Musikalischen in die Materie. 195
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ffinler-SolstizialpiudsL(Nach Frhr. v. Thymus, »Die harmonikale Symbolik des Altertums«.)
Für die Anschauung der alten i n d i s c h e n Kulturepoche gab es nicht nur vier Elemente und die darin wirksamen Bildekräfte: vayu, tedschas, apas, prthivi, sondern noch ein Fünftes, »Akasha« genannt. Nun gab der Inder nicht, wie wir es heute tun müssen, dem Chemischen oder Klangäther die Eigenschaft des Tönens, sondern er ließ die Welt der Elemente und deren Bildekräfte hervorgehen aus »Akasha«, dem er die Eigenschaft des Tönens zuspricht. Für den Inder war also die ganze geschaffene Welt aus dem »Ton«, aus dem Musikalischen geboren. Ton, Musik, war die Schöpfermacht, welche die Kräfte und Elemente, Welt und Menschheit erzeugt hat. Diese Anschauung verliert sich in der ä g y p t i s c h e n und später g r i e c h i s c h e n Epoche. Der Grieche spricht von dem Äthermeer des Kosmos, das die Töne der Sphärenharmonien hervorbringt und übersinnlich hörbar erklingen läßt. Der Ton ist nicht mehr Erzeuger des Ätherischen und Physischen, sondern wird selbst erzeugt beim Wirken des Ätherischen, ist ein Ergebnis der Bewegungen im makrokosmischen Äthermeer der Planeten. Dem Menschen u n s e r e r Zeit ist schließlich auch dieses Singen der Weltseele, diese Sphärenharmonie nicht mehr wahrnehmbar, für ihn ist Ton das Ergebnis rein materieller Vorgänge, ist die Materie die Erzeugerin des Tones. So steigt das Musikalische immer tiefer in die Materie hinab. Der Inder läßt die Welt aus dem Ton geboren werden. Der Ägypter und Grieche weiß noch um die Musik, welche, dem übersinnlich wahrnehmenden Menschen nur hörbar, in den ätherischen Welten des Kosmos erklingt. Der heutige Mensch spricht nur von jener Tonwelt, die aus bestimmten Veränderungen in der Materie erschaffen wird. Darum muß ein Weg gefunden werden, daß gerade der heutige Mensch wieder den geistigen Ursprung und das geistige Wesen des Tones erkennen lernt, damit die Individualseele des Menschen nicht in willkürlich chaotischer Weise, sondern in bewußter Harmonie wiederum lernt mitzusingen im Gesang der Weltseele in der Natur. Wir müssen uns zunächst fragen: Wie ist das Wesen des Tones verknüpft mit der Materie? In seinem »Lebensgang« sagt Dr. Rudolf Steiner: »Ich fand, daß man das Licht und den Schall in der naturwissenschaftlichen Betrachtung in einer Analogie dachte, die unstatthaft ist. Man sprach vom »Schall im allgemeinen« und »Licht im allgemeinen« Mir wurde damals diese Analogie zu einem wahren Peiniger meines Seelenlebens. Denn ich vermeinte, völlig im Klaren darüber zu sein, daß der Begriff »Schall« nur eine abstrakte Zusammenfassung der einzelnen Vorkommnisse in der tönenden Welt, während »Licht« für sich ein Konkretes gegenüber den Erscheinungen in der beleuchteten Welt darstellt. »Schall« war für mich ein zusammengefaßter abstrakter Begriff, »Licht« eine konkrete Wirklichkeit. Ich 197
sagte mir, das Licht wird gar nicht sinnlich wahrgenommen; es werden »Farben« wahrgenommen durch Licht, das sich in der Farbenwahrnehmung überall offenbart, aber nicht selbst sinnlich wahrgenommen wird.« — Licht erfüllt als übersinnliche Wirklichkeit den Raum, die Farben sind nur Modifikationen des Lichtes, die wir in der Erscheinungswelt wahrnehmen; man könnte im Sinne der Griechen sagen, das Licht selbst sei ein »Allezeitselbiges«, das sich in der Dauer als solches gleich bleibt. Nicht so der Ton. Er entsteht und vergeht sofort wieder. Er hat nichts Dauerndes in sich. Wir hatten im I. Band, Kapitel IX, die Entstehung des physisch hörbaren Tones besprochen und gesagt: Der Ton, den wir sinnlich wahrnehmen, ist das Ergebnis einer kämpfenden Tätigkeit des Chemischen oder Klangäthers in der Substanz um deren Verdichtung. Der gasförmige Zustand ist bewirkt durch den Lichtäther, eine ausdehnende Kraft, er stellt eine Verdünnung der Substanz dar. Der Chemische Äther ist dagegen eine saugende, zusammenziehende Kraft, er sucht eine Verdichtung der Substanz zu bewirken. Was tritt also ein, wenn der Chemische oder Klangäther in den gasförmigen Lichtätherzustand der Luft hineinwirkt? Ein Kampf! Der Lichtäther sucht eine Verdünnung der Substanz zu bewirken, der Klangäther eine Verdichtung. Dieses ständige Hin- und Herschwingen der Substanz, der Luft, zwischen Verdünnung und Verdichtung an einem bestimmten Orte überträgt sich naturgemäß auch auf die Umgebung und versetzt sie in eine rhythmische, schwingende Bewegung, die nun auch das Trommelfell des menschlichen Ohres mitmachen muß. Hier wird die Tätigkeit des Klangäthers dem menschlichen Erleben vermittelt. Wir dürfen hierbei aber nicht in den Fehler verfallen, das sinnlich hörbare Ton-Phänomen erst im menschlichen Ohr oder irgend einer undefinierbaren Stelle des menschlichen Gehirns entstehen zu lassen, das Ton-Phänomen als Entität entsteht in dem Augenblick und an dem Punkte, wo der Kampf des Chemischen Äthers und des Lichtäthers um die Substanz, um Verdünnung und Verdichtung, einsetzt. Wenn wir tiefer in die Kräfte-Wirksamkeit und das übersinnliche Wesen der Ton-Entstehung eindringen, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß, wenn ein Ton entstehen soll, die Materie zur Verdichtung gezwungen wird und daß dann immer ein wenn auch geringes Auslöschen von Licht-Wirksamkeit in der Materie stattfindet. Ton zwingt Materie zur Verdichtung, der physisch hörbare Ton ist der Klage laut der zur Verdichtung gezwungenen Materie. Ton erstrebt ausgelöschte LichtWirksamkeit. Daher auch das eigenartige (s. Band I, Aufl. 2, S. 167) NaturPhänomen, daß der Ton bei Finsternis, bei Nacht stärker ist, als bei Tag. Rudolf Steiner hat einmal darauf hingewiesen, daß das Entstehen von Wärme in der Substanzwelt das Ergebnis jenes Opfers ist, welches das Geistige bringt, wenn es sich in die Materie hineinverdichtet.
Wärme entsteht durch das Opfer des Geistigen, wenn es in die Materie herabsteigt. Und vom Licht sagt er, daß es die waltende Weltenweisheit in sich birgt. Licht-Wirken ist Weisheits-Wirken. Wir können nunmehr hinzufügen: Ton ist die Offenbarung der Klage des Geistigen, das zur Verdichtung in die Materie gezwungen wird. So ist W ä r m e die Offenbarung des O p f e r s des in die Materie hinabsteigenden Geistigen. So ist L i c h t die Offenbarung der W e i s h e i t des in die Materie hinabsteigenden Geistigen. So ist T o n die Offenbarung der K l a g e des in die Materie hinabsteigenden Geistigen. Erst durch das bewußte Lebewesen auf Erden kann der Ton vom Klagelaut wieder zum Jubel verwandelt werden. Wenn man nun versucht, das Verhältnis der Tonwelt zum menschlichen Organismus zu klären, so stößt man auf sehr große Schwierigkeiten. Denn die vom Menschen, sei es beim Sprechen oder Singen hervorgebrachten Töne unterliegen seiner Willkür und geben daher zunächst kein objektives Bild. Es gibt jedoch ein solches Phänomen, welches das Verhältnis von Ton und menschlichem Organismus in ganz objektiver, vom Menschen unbeeinflußbarer Weise zur Offenbarung bringt, und wir müssen uns deshalb, um diese Rätselfragen zu klären, mit ihm sachlich auseinandersetzen: Es ist der S t i m m w e c h s e l des K n a b e n um das 14. Lebensjahr. Nachdem der werdende Mensch ca. zweimal 7 Lebensjahre herangewachsen ist, wird von der Natur dieses Instrument »Mensch« in seiner Tonhöhe herabgestimmt. Ohne das Zutun des Menschen, ja ohne daß er diesen Vorgang überhaupt durchschaut, stimmt der große Musiker »Natur« das Instrument »Mensch« auf eine tiefere Tonhöhe. Es sei nur daran erinnert, wie wichtig dieses Phänomen schon dadurch ist, daß dieser Vorgang beim Knaben für die menschliche Musik zur Grundlage für die Differenzierung der Stimmen z. B. in Sopran, Alt, Tenor, Baß wird. Der Musiker muß also diesen Prozeß durchschauen können, wenn er das Verhältnis von Ton und Mensch klären will. Nun ist dieser eigenartige Prozeß ja noch in einer für die heutige Erkenntnis undurchschaubaren Weise verknüpft mit einem anderen bedeutsamen Ereignis im Werdegang des Menschenwesens, der Stimmwechsel tritt gleichzeitig ein mit der Geschlechtsreife, d. h. das Instrument »Mensch« wird von der Natur in seiner Tonhöhe tiefer gestimmt in dem Augenblick, wo er die Fähigkeit erlangt, seinesgleichen hervorzubringen. Das Durchschauen dieser eigenartigen Parallelität führt uns zu den tiefsten Geheimnissen der menschlichen Wesenheit. Um die Bedeutung der »Tonhöhe« zu klären, die ja auch für den Komponisten und Musiker eines seiner wichtigsten Elemente ist, be199
trachten wir vorerst einmal kurz deren Auftreten in der außermenschlichen Natur, d. h. im Sinne der Griechen gesprochen: beim Tönen der Weltseele. So wie in den Elementen Feuer, Luft, Wasser, Erde verdichtete Wärme und verdichtetes Licht enthalten ist, so erklingt auch die Natur übersinnlich in allen Teilen und Elementen in bestimmten Tönen. Jede Flamme, jeder Wassertropfen, jede Pflanze, jedes Kristall hat einen eigenen Ton, auf den die innere Spannung und die äußere Form gestimmt sind. Wie bei den Chladni'schen Klangfiguren durch Töne bestimmte Figuren erzeugt werden, so ist auch in der Natur ein jedes Ding, ob lebendig oder unlebendig, auf seinen Eigen-Ton gestimmt, in dem es übersinnlich schwingt und erklingt. Je mehr sich die Elemente, Feuer, Luft, Wasser, Erde, in die Materie verdichten, um so höher wird der Ton, der ihnen entspricht. D i e N a t u r r e i c h e sind verd i c h t e t e r K l a n g und in dieser Welt von Tönen singt das Mineral am höchsten, höher als Wasser, Luft und Flamme. So sind die hohen Töne entwicklungsgeschichtlich die späteren, die tiefen Töne die früheren. Man könnte die Schöpfung und das Werden des Kosmos durch das bewegte Wirken geistiger Wesenheiten durch einen Vergleich veranschaulichen — der zwar nur einseitig und banal ist, aber doch eine wichtige Seite verdeutlichen kann — mit einer tönenden Sirene, die, je schneller und intensiver ihre Aktivität wird, immer höhere Töne erzeugt. Wollte ein Musiker das Werden des Kosmos bis zur Entstehung des Erdenzustandes (s. Bd. I, Aufl. 2, S. 54) in einer künstlerischen Komposition verherrlichen, so würde er, wenn in ihm das Singen der Weltseele erklingt, vom »Saturn«- zum »Sonnen«,- »Monden«- und »Erden«-Werden sich in immer höhere Tonsphären hinauf steigern, um erst beim Erlebnis der lernurischen Zeit angelangt wiederum in die tieferen Tonweiten hinunterzusinken. Wollten wir die »Tonhöhen« in Beziehung setzen zu den Farben, den ätherischen Bildekräften und Elementen der Natur, so könnte dies also — natürlich nur in schematischer Weise — etwa in folgender Art geschehen: tiefe Töne rot-gelbWärme-LichtFeuer Luft
hohe Töne blau-violett Chem.-Lebens-Äther Wasser Erde.
Es gibt ein einfaches Experiment, das uns vieles Wesentliche in intensivster Weise zum persönlichen Erlebnis bringen kann. Wenn sich eine Flamme in einem durch eine Glaswand begrenzten Luftraum entwickelt, so wird in einem bestimmten Augenblick dieses 200
Entwicklungsprozesses plötzlich ein eigenartiger Ton hörbar. Es ist meist ein tiefer Ton, der sich von den durch andere Instrumente hervorgebrachten Tönen wesentlich unterscheidet. Hier erzeugen also Feuer und Luft einen Ton. Wer solche Töne einmal gehört hat, wird durch diese eindrucksvolle Erfahrung vieles von dem oben Gesagten als Erlebnis bestätigt finden. Dieser eigenartige tiefe Ton, der da von Feuer und Luft, den erdenflüchtigeren Elementen erzeugt wird, hat nicht das mehr Objektive der Töne künstlicher Musikinstrumente, sondern offenbart jenen erwähnten KlageLaut der Natur so stark, daß dieses Erlebnis für jeden Menschen, wenn es gesteigert wird, zu einem erschütternden Eindruck werden kann. Dieses Phänomen bringt auch noch einen Ausspruch Dr. Rudolf Steiner's zum Erlebnis, welcher besagt: In den hohen Tönen spricht sich das Ethos aus, in den tiefen Tönen das Pathos. Geistiges taucht durch die Flamme im Luftelemente unter und begleitet dies mit jenem eigenartigen * Klagelaut. Feuer und Luft erzeugen den tiefen Ton. Um das Verhältnis der Tonhöhe zu dem Instrument »Mensch« durch das Phänomen des Stimmwechsels beim Knaben, bei der Geschlechtsreife, verstehen zu können, erinnern wir uns dessen, was im Kapitel VII, Seite 78 ff. über den Unterschied des ätherischen Leibes ^=s-__, beim männlichen und weiblichen Organismus gesagt wurde. Denn der Stimmwechsel tritt ja eigenartigerweise nur beim männlichen, nicht beim weiblichen Organismus auf. Wir hatten darauf hingewiesen, daß der Mensch die ätherischen Bildekräfte entweder im Leiblichen oder im Seelisch-Geistigen verwenden kann, und gesagt: Dies ist ein Urgesetz aller Lebewesen, daß diejenigen Bildekräfte des ätherischen Leibes, die zu leiblichen Funktionen verwendet werden, für die geistig-seelischen Funktionen geschwächt oder ganz entzogen werden, daß hingegen diejenigen Bildekräfte, die nicht zu leiblichen Funktionen im Organismus verbraucht werden, als freie Kräfte den geistig-seelischen Funktionen dienen können. Und wir hatten weiterhin gezeigt, daß — schematisch dargestellt, d. h. ohne Berücksichtigung der natürlich möglichen Variationen — die ätherischen Bildekräfte im ausgewachsenen männlichen und weiblichen Organismus zunächst in der auf S. 78 dargestellten verschiedenen Weise angeordnet sind. Betrachten wir nun zunächst das Kind vor dem Stimmwechsel und der Geschlechtsreife, also solange die Tonhöhe des Instrumentes 201
»Mensch« noch für beide Geschlechter nahezu die gleiche ist. Das Kind ist noch ganz rezeptiv den Kräften und Einflüssen seiner Umwelt hingegeben. Was nun im Werden des Menschen um das 14. Lebensjahr geschieht, ist die Folge davon, daß vor allem die wärmeätherischen Bildekräfte, die aktiven, produktiven Kräfte, welche vorher im kindlichen Organismus anderen Funktionen dienten, in diesem Zeitpunkt gleichsam in neuer Weise in die Materie eingreifen, und dadurch sowohl am oberen, als auch am unteren Pol des menschlichen Organismus bedeutsame physiologische Veränderungen hervorrufen. Am unteren Pol bewirkt diese Veränderung der Aktivitäten und Funktionen der ätherischen Bildekräfte die Geschlechtsreife, am oberen Pol den Stimmwechsel. Die wärmeätherischen Bildekräfte geben dem männlichen Menschen am unteren Pol die Möglichkeit, seinesgleichen hervorzubringen, am oberen Pol greifen sie in den Kehlkopf ein und stimmen dadurch das Instrument »Mensch« auf eine tiefere Tonhöhe. Denn wir hatten ja gesehen, daß unter den Elementen der Natur, Feuer, Luft, Wasser, Erde, die ersteren den tieferen Tönen zugeordnet sind. Greif t* d e r W ä r m e ä t h e r also in j e n e m E n t w i c k l u n g s s t a d i u m d e s M e n s c h e n in den ä t h e r i s c h e n u n d p h y s i s c h e n Kehlkopf e i n , so e r h ä l t der M e n s c h eine t i e f e r e T o n h ö h e . In diesem Phänomen wird uns das Geheimnis des Verhältnisses der Tonwelt zum menschlichen Organismus offenbar und objektiv durchschaubar. Sowohl sehr wesentliche entwicklungsgeschichtliche, physiologische, als auch musikalische Probleme erhalten ihre Lösung. Denn dieses Geschehen ist die Basis für alle die vielfachen Variationen der menschlichen Stimme, für welche die Gliederung in Sopran, Alt, Tenor und Baß ja nur eine der elementarsten und einfachsten ist. Wichtigste Geheimnisse der menschlichen Sprachkräfte werden hierdurch verständlich. Wir werden auf die Zusammenhänge mit dem »verlorenen« und »wiedergefundenen Wort« noch im weiteren eingehen (Kapitel XIII). Hier sollte ja zunächst eine Basis gefunden werden, um das Wesen der Ton weit in ihren Beziehungen zum Menschen zu erkennen, da der heutige Mensch sein Verhältnis zur Tonwelt nicht wie frühere Zeiten auf dem Singen der »Weltseele«, sondern auf dem Tönen und Singen der »Individualseele« aufbauen muß und wird. Selbst wenn es uns gelingen würde, aus den überlieferten Schriften der Griechenzeit festzustellen, wie die Sphärenharmonien in der griechischen Epoche geartet waren, daß — um ein beliebiges Beispiel zu nehmen — etwa der Planet Jupiter damals auf den Ton G, der Merkur auf den Ton C, Widder auf D usw. erklungen haben mag, so wäre dadurch für den heutigen Menschen nichts gewonnen, als etwa die Feststellung eines historischen Faktums. Denn wer sagt uns, — wenn
wir wissen, daß durch das Eingreifen neuer Kräfte in einen Organismus dessen Tonhöhe verändert wird — daß nicht auch der Kosmos, der Weltorganismus, seit der griechischen Zeit einem »Stimmwechsel« unterlag? Daß also z. B. eine Planetensphäre, die einst auf C erklungen ist, heute vielleicht auf den Ton F gestimmt ist usf. — Haben wir einmal das Wesen des »Stimmwechsels«, der Veränderung der Tonhöhe einer Kräftesphäre, eines Organismus, erkannt, so gilt dieses Gesetz für den Makrokosmos ebenso wie für den Mikrokosmos. Der Mensch der Gegenwart ist aber, da das Hineinhorchen in die Sphärenharmonien des Kosmos ihm verschlossen ist, zunächst ganz auf das »Erkenne Dich selbst« zurückverwiesen, wenn er die Fundamente einer neuen Harmonielehre entdecken will. Doch auch hier ergeben sich sogleich große Schwierigkeiten, wenn man das Wesen des Tones und sein Verhältnis zum Menschen ergründen will. Es hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt, daß eine rein mathematische Fixierung gewisser Töne und Intervalle, wie dies im »wohltemperierten« Klavier zum Ausdruck kommt, oder die Basierung auf gewissen festgelegten Grundtönen, wie dies auf Grund der Helmholtz'schen Berechnungen ausgebaut wurde, wohl vielleicht den Wissenschaftler und Theoretiker, jedoch nicht den Künstler, den Komponisten und Musiker auf die Dauer zu befriedigen vermag. Die ganze Tendenz der modernen Musik, wie sie z. B. in der atonalen Musik oder in der Aufstellung von Vierteltönen usw. zum Ausdruck kommt, zeigt die Sehnsucht gerade des schöpferischen Künstlers, die Zwangsjacke des »wohltemperierten« Klaviers irgendwie zu durchbrechen. Es handelt sich hier nicht um irgend welche Wertung dieser Versuche, sondern nur um die objektive, musikgeschichtlich sich ergebende Tatsache, daß, ebenso wie wir heute ein ganz anderes Tonsystem haben, als etwa die Orientalen, Chinesen, Inder usw. und auch die Griechen*), so auch immer deutlicher das Bestreben der musikalisch-schöpferisch tätigen Menschen unserer Zeit zutage tritt, die in den letzten Jahrhunderten gültigen Gesetze von Harmonie, Melos, Rhythmus usw. zu durchbrechen bezw. zu etwas Neuem zu metamorphosieren. Während jedoch der Wille zur Änderung klar erkennbar ist, herrscht in bezug auf dasjenige, was anstelle des Alten treten soll, noch ein völliges Chaos, was gerade die ernst Strebenden gewiß am ersten bestätigen werden. Die alten Fundamente wanken, aber die neuen Fundamente sind noch nicht gefunden. Mit der Durchbrechung der bisher üblichen tonalen Musik und ihrer Gesetze ist der schöpferische Mensch zunächst ganz darauf angewiesen, die neuen Harmonien, Intervalle usw. und deren *) Siehe hierzu die interessanten Forschungen von Mrs. Kathleen Schlesinger, London, über die Rekonstruktion der griechischen Tonarten u. Prof. H. Beckh, „Das geistige Wesen der Tonarten". 203
Gesetzmäßigkeit aus sich selbst zu gebären. Eine ganze Reihe schwerwiegender Fragen können dabei für ihn auftauchen: z. B. auf welchem Grundton soll die zukünftige Musik aufbauen? Ist dieser Grundton für alle Musiker der gleiche? Höre ich überhaupt den gleichen Ton als mein Mitmensch, wenn ein bestimmter Ton eines Instrumentes erklingt? Ja, wenn man ehrlich und konsequent ist, wird man sogar auch fragen müssen: höre ich den gleichen Ton im Frühjahr und im Herbst? usw. Gewiß, man kann antworten: eine solche Fragestellung treibt uns in das völlige Chaos hinein. Aber vielleicht müssen wir, wenn wir ehrlich sind, die Feststellung machen, daß wir in diesem Chaos schon darinnen sind und daß uns nur die Aufgabe bleibt, einen neuen Weg aus diesem unhaltbaren Zustand herauszufinden. Eis kann sich natürlich niemals darum handeln, Gesetze für die Komposition als solche zu finden, sie liegt im Bereich der Freiheit des schöpferischen Menschen, aber seine Freiheit kann er nicht nützen, wenn er das Werkzeug nicht durchschaut, mit dem er arbeiten soll, wenn er das Fundament nicht kennt, auf dem er aufbauen muß; darum muß zunächst tastend der Versuch gemacht werden, das Verhältnis von Ton und Mensch mehr und mehr zu klären. Gibt es einen für a l l e Menschen unserer Zeit gültigen Grundton, auf dem die Intervalle aufgebaut werden können? Die Physiker werden auf diese Frage mit einer Schwingungszahl antworten, die Künstler werden dies aber wohl mehr und mehr verneinen, oder doch in Frage stellen. Dann müssen wir die weitere Frage stellen: gibt es wenigstens für den e i n z e l n e n Menschen einen bestimmten Grundton, auf dem er aufbauen kann? Hiermit betreten wir festeren Boden. Wir hatten schon darauf hingewiesen, daß jeder Körper gleichsam verdichteter Ton ist, daß er übersinnlich in einem ganz bestimmten Ton erklingt, der sich aus seiner inneren Kräftespannung und -Struktur ergibt. Auch jeder einzelne Mensch ist auf einen bestimmten Ton gestimmt, der seiner individuellen Kräftestruktur entspringt. Dieser Ton ist zunächst für den e i n z e l n e n M e n s c h e n d a u e r n d der g l e i c h e , aber er ist f ü r jeden M e n s c h e n im V e r h ä l t n i s zu a n d e r e n M e n s c h e n v e r s c h i e d e n . Wir können diesen Grundton, auf den der einzelne Mensch gestimmt ist, seinen »individuellen G r u n d t o n « nennen, oder seine »individuelle Prim«. Ebenso wie der Mensch von Wärme durchdrungen ist, so ist er auch von solchen Kräften durchdrungen, die übersinnlich als Ton wahrgenommen werden können. Wie der Kosmos von den Tönen der Sphärenharmonie durchwogt und durchwebt ist, so auch der menschliche Organismus. Rudolf Steiner hat diese Kräftestruktur im Menschen
den Astralleib genannt und er sagt hierüber: »Es wird gar nicht viel Zeit dazu gehören, so werden die Menschen es einsehen, daß der Muskel allerdings nicht in Bewegung gebracht wird durch Nervenvorgänge, sondern daß er in Bewegung kommt durch unseren astralischen Leib — und zwar durch das in unserem Astralleibe, was in diesem zunächst nicht unmittelbar so wahrgenommen wird, wie es ist. Denn das ist ein Gesetz, daß das, was wirken soll, nicht unmittelbar wahrgenommen wird. Was den Muskel in Bewegung bringt, was irgendeine Bewegung des Muskels hervorruft, das hängt zusammen mit dem Astralleib — und zwar so, daß im Astralleib selber zur Bewegung des Muskels eine Art T o n e n t w i c k l u n g , eine Art Schallentwicklung stattfindet. Etwas wie eine Art Musikalisches durchdringt unseren Astralleib, und der Ausdruck unserer Tonentwicklung ist die Muskelbewegung. Es ist wirklich so, wie wenn wir bei den bekannten Chladni sehen Klangfiguren leicht beweglichen Staub auf eine Metallplatte bringen und diese dann mit einem Violinbogen streichen: da bekommen wir eine Figur. Von lauter solchen Figuren — die aber Tonfiguren sind — ist auch unser Astralleib durchzogen, die zusammen bewirken, daß unser Astralleib eine bestimmte Lage annimmt. Ganz trivial können sich die Menschen davon überzeugen, wenn sie den Bizeps, den Oberarmmuskel, recht anspannen und ihn dann ans Ohr bringen (dabei den Daumen fest in das Ohr pressen): wenn sie sich einige Übung dafür aneignen, nur den Muskel recht anspannen und den Daumen anlegen, dann können sie den Ton hören. Es soll das kein »Beweis« sein, sondern nur etwas, wodurch man trivial illustrieren kann, was damit gemeint ist. So sind wir musikalisch durchdrungen und leben es aus in unseren Muskelbewegungen.« So wie ein Instrument auf einen bestimmten Grundton gespannt ist und nun durch Veränderungen seiner Struktur in den verschiedensten anderen Tönen erklingt, so ist auch das Instrument »Mensch« auf einen bestimmten Grundton, einen »Ich«-Ton gestimmt. Hier liegt der Ausgangspunkt. Jeder Ton der Außenwelt bildet zu diesem Grundton, zu dieser »individuellen Prim« des Menschen schon ein Intervall. Jeder andere Mensch, der ja auf einen anderen Grundton gestimmt ist, ja auch Tier, Pflanze, jedes Mineral bildet zu dieser individuellen Prim des Menschen einen harmonischen oder disharmonischen, schönen oder häßlichen, wohltuenden oder schmerzenden, »wohltemperierten« oder schlechttemperierten Akkord. So wandelt der Mensch akkordbildend durch das Äthermeer des Kosmos, bei seiner Begegnung mit den sich ebenfalls in diesem Äthermeer bewegenden Wesen und Geschöpfen der Natur ständig neue Tonharmonien oder Disharmonien erzeugend. Alles Geschehen in der Natur ist ein übersinnlich tönendes Geschehen, eine Welt der Klänge. 205
Der Komponist nun, wenn er etwa eine uns wohltuende Symphonie schafft, verdichtet gleichsam diese Harmonie der Natur in das irdischphysisch Hörbare hinein, das Werk der Natur in freier schöpferischer Weise fortbildend, ergänzend, metamorphosierend, verherrlichend. Mag ihm dies bewußt sein oder nicht, die wesentlichen Elemente seiner Komposition erlauscht, hört der Musiker aus den übersinnlichen Harmonien der Natur heraus, aus jenen unendlich mannigfaltigen Intervallen und Akkorden, welche sein eigener individueller Grundton beim Durchwandeln des Äthermeers mit den Tönen der Natur bildet, oder welche von anderen Geschöpfen der Natur untereinander gebildet werden. Diese Weltenmusik tritt in einer ihm selbst meist nicht durchschaubaren Weise in .sein Erdenbewußtsein hinein und gibt ihm die Grundlage seiner Komposition. Hier liegt aber auch das Wesentliche jener Unterschiede der früheren und der heutigen Musik. Während der Mensch in früheren Jahrtausenden, ja noch in den vergangenen Jahrhunderten kein so stark entwickeltes Ichbewußtsein hatte, sondern sein Eigen-Wesen weitgehendst ausschalten konnte, um nur zum Empfänger und irdischen Gebärer der Weltenharmonie zu werden, hat sich nunmehr die Ichheit, das Eigen-Wesen des Menschen so stark entwickelt, daß der eigene Grundton, die individuelle Prim des Musikers mehr und mehr eine entscheidende Rolle bei der Komposition spielen muß. Während die meisten »musikalischen« Menschen bisher beim Anhören einer der bekannten Kompositionen der vergangenen Jahrhunderte (z. B. eines Bach, Mozart, Beethoven, Brückner, um irgend ein beliebiges Beispiel zu nennen) ein intensives Erleben innerer Befriedigung, Stärkung, Belebung, Harmonisierung empfanden, also die Komposition eine sehr weitgehende einheitliche Wirkung auf die Mitmenschen ausübte, wird es — das ist ja wohl eine recht allgemeine Erfahrung — den meisten Menschen bei den modernsten Kompositionen unserer Gegenwart oft so gehen, daß man den Konzertsaal verläßt mit der inneren Frage: wozu das alles? Gewiß hat auch in früheren Epochen der Mensch einige Zeit gebraucht, um sich in neue Musikformen hineinzuleben, aber in der jetzigen Zeit spricht noch etwas Anderes mit. Man könnte etwa den folgenden Vergleich gebrauchen: früher sprach der Komponist eine Sprache, die der musikalische Mensch zwar nicht sogleich beherrschte, von der er aber das Gefühl hatte, daß er sie selbst in vergangenen Zeiten schon einmal gesprochen habe und daß er nur sein Gedächtnis zu stärken brauche, um diese Sprache rasch zu verstehen und mitzusprechen. Es war eine gemeinsame musikalische Ursprache der ganzen Menschheit, in der der Komponist nur neue Wort-Kombinationen wählte. Beim heutigen Komponisten jedoch entsteht das Gefühl, daß er eine völlig neue Sprache bis in die einzelnen
Buchstaben hinein schaffen will, die er einsam und allein versteht, die aber seinen Mitmenschen zunächst nicht verständlich ist. Die tiefere Ursache dieses Prozesses liegt eben in der immer stärker werdenden Rolle, welche der vorher beschriebene individuelle Grundton, der Ich-Ton des einzelnen Menschen im Verhältnis zur übrigen Tonwelt spielt. Der Komponist singt in seinem Werk bewußt oder unbewußt das Verhältnis seiner »individuellen Prim« zu den Tönen seiner Innenund Außenwelt. Dies hat die entwicklungsgeschichtlich notwendige Folge, daß die Musik der Gegenwart und unmittelbaren Zukunft vorerst immer individueller, immer subjektiver wird. Denn der Musiker lebt nicht mehr, wie in der vorgriechischen und griechischen Zeit, ja noch in der vergangenen Epoche, in der Welt der Sphärenharmonien, sondern er baut seine Komposition auf seinen eigenen subjektiven Intervall-Bildungen auf. Darum war die frühere Musik soviel leichter allen anderen Mitmenschen verständlich, darum ist die heutige Komposition meist den Mitmenschen so fremd, ist eigentlich nur der Komponist allein recht befriedigt. Die pythagoräische Sphärenharmonie ist noch ohne den Menschen denkbar, in den Weltenharmonien des Kosmos der Zukunft jedoch spielt der individuelle Grundton des Menschen eine wesentliche Rolle. Früher war der Mensch noch mehr ein Zuhörer in den Harmonien der Welt, jetzt wird er mehr und mehr zu einem wichtigen Mitsänger in der Partitur der Welt. Doch da er jene gegebenen Harmonien nicht mehr hört, singt er zunächst oft falsch, disharmonisch gegenüber der objektiven Welt, allzu subjektiv gegenüber seinen Mitmenschen. Wir müssen uns sagen: je mehr der Mensch sich individualisiert, umso weniger gibt die objektive »Weltseele« den Grundton an, umsomehr hat die zukünftige Harmonie als einzigen Grundton, als einzige Prim den Prim-Ton der Individualseele, den der einzelne Mensch von sich aus bildet. In diesem Sinne sind Tier, Pflanze, Mineral »rezeptiv akkordbildend«, sie haben kein sie aus der Außenwelt heraussonderndes Ich, sondern empfangen ihre »Töne« von der Natur, von der Weltseele. Der unmusikalische Mensch ist schon aktiv »tonbildend«, aber noch nicht akkordbildend, und zwar aus folgenden Gründen: er bildet zwar einen individuellen Grundton, aber dieser Grundton ist noch nicht fixiert, er schwankt gleichsam noch in der Tonhöhe auf und nieder, deshalb kann der unmusikalische Mensch zu den Harmonien, die dem musikalischen Menschen so vieles besagen, kein »Verhältnis« gewinnen. Erst ein stabilisierter innerer Grundton kann zu anderen Tönen auch ein bestimmtes Verhältnis gewinnen. — Der musikalische Mensch ist »aktiv akkordbildend«, sein Grundton bildet mit allen Tönen ganz bestimmte Intervalle, aber je individuell verschiedener diese Grundtöne der Menschen, der Kom-
ponisten, in unserer Zeit werden, umso individueller, subjektiver wird zunächst auch die Komposition. Es hat keinen Sinn, sich nur darüber zu entsetzen, daß wir in der Musik dadurch scheinbar dem völligen subjektivistischen Chaos zutreiben. Wir sind in diesem Chaos wohl schon darinnen, und es kann sich deshalb nur darum handeln, jenen Weg zu finden, der vom rein Subjektiven wieder zu einer allgemein gültigen Grundlage zurückführen kann. Diesen Weg zeigt Rudolf Steiner in seinem Buch »Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten«. Wenn der Mensch den Weg aus seiner immer stärker werdenden subjektiven Vereinzelung und Vereinsamung zurückfinden will in jene übersinnliche Heimat, aus der alle Menschen als geistige Wesen ihren Ursprung haben und in die sie zurückkehren, so muß er im Erdenleben jene Kräfte in sich erstarken, die ihn wieder in bewußten Kontakt und Zusammenklang bringen mit den übersinnlichen, produktiv geistigen Welten. Denn ohne daß er durch eigenes Tun mitwirkt, wird der Mensch in Zukunft mehr und mehr vergebens auf die Inspiration warten und die schöpferischen Kräfte in sich zum Erlahmen und zur Unfruchtbarkeit verurteilt sehen. Rudolf Steiner hat gezeigt, wie durch eine dem Wesen des westlichen Menschen entsprechende Konzentration und Meditation die Erkraftung stattfinden kann, die zu den Schöpferkräften und geistigen Quellen hinführt. Er sagt, nachdem er die Ausbildung bestimmter Kräftezentren im ätherischen Leibe des Menschen durch Konzentration und Meditation geschildert hat: »Der Mittelpunkt im Kopfe wird dann, wenn er gehörig gefestigt ist, weiter nach unten verlegt und zwar in die Gegend des Kehlkopfes. Das wird im weiteren Anwenden der Konzentrations-Ubungen bewirkt. Dann strahlen die charakterisierten Bewegungen des ätherischen Leibes von dieser Gegend aus. Sie erleuchten den Seelenraum in der Umgebung des Menschen. — Ein weiteres üben befähigt den Schüler, die Lage seines ätherischen Leibes selbst zu bestimmen. Vorher ist diese Lage von den Kräften abhängig, die von außen kommen. Durch die weitere Entwicklung wird der Mensch imstande, den ätherischen Leib nach allen Seiten zu bewegen. Diese Fähigkeit wird durch Strömungen bewirkt, welche ungefähr längs der beiden Hände verlaufen und die ihren Mittelpunkt in der Augengegend haben. Alles dies kommt dadurch zustande, daß sich die Strahlungen, die vom Kehlkopf ausgehen, zu runden Formen gestalten, von denen eine Anzahl zu dem Zentrum im Haupte hingehen, um von da aus als wellige Strömungen den Weg längs der Hände zu nehmen. — Eine weitere Folge besteht darin, daß sich diese Ströme in der feinsten Art verästeln und verzweigen und zu einer Art Geflecht werden, das wie ein Netzwerk (Netzhaut) zur Grenze des ganzen ätherischen Leibes sich umbildet. Während dieser vorher nach außen keinen Abschluß hatte, so daß die Lebensströme aus dem allgemeinen Äthermeer unmittelbar
aus- und einströmten, müssen jetzt die Einwirkungen von außen diese Netzhaut durchlaufen. Dadurch wird der Mensch für diese äußeren Strömungen empfindlich. Sie werden ihm wahrnehmbar. — Nunmehr ist auch der Zeitpunkt gekommen, um dem ganzen Strom- und Bewegungssystem den Mittelpunkt in der Herzgegend zu geben. Das geschieht wieder durch die Fortsetzung der Konzentrations- und Meditationsübungen. Und damit ist auch die Stufe erreicht, auf welcher der Mensch mit dem »inneren Wort« begabt wird. Alle Dinge erhalten nunmehr für den Menschen eine neue Bedeutung. Sie werden gewissermaßen in ihrem innersten Wesen geistig hörbar; sie sprechen von ihrem eigentlichen Wesen zu dem Menschen. Die gekennzeichneten Strömungen setzen ihn mit dem Innern der Welt in Verbindung, zu welcher er gehört. Er beginnt das Leben seiner Umgebung mitzuleben. Damit betritt der Mensch die geistige Welt.« Die bewußte Berührung des Menschen mit der geistigen Welt führt also zu jenem für das musikalische Problem so wesentlichen Erlebnis: »Alle Dinge erhalten nunmehr für den Menschen eine neue Bedeutung. Sie werden gewissermaßen in ihrem innersten Wesen geistig hörbar.« Gleich wie die Flamme — im vorhin erwähnten Experiment (Seite 201) — wenn sie mit ihren unsichtbaren Wärmestrahlen den ganzen Luftraum bis zur abschließenden Glaswand erfüllt, einen Ton erklingen läßt, so erklingt auch der Mensch tönend, wenn er mit seinem Ich, das auf den Strahlen der Wärme ruht, gegen jene ätherische Netzhaut stößt, welche den ätherischen Leib des Menschen begrenzt. Man könnte diese ätherische Netzhaut, welche den Ätherleib des Menschen gegenüber dem Äthermeer des Kosmos abschließt, jener Glaswand vergleichen, innerhalb deren Wänden die Flamme ihren Ton gebiert. Wie der Mensch mit dem »geistigen Auge« den »Hüter der Schwelle« schaut, der ihm seine Harmonie oder Disharmonie mit der objektiven geistigen Welt bildhaft zum Erlebnis bringt, so ist der individuelle Grundton des Menschen und sein Verhältnis zur Tonwelt außer ihm der Ausdruck der Harmonie oder Disharmonie jenes Menschen zur geistigen Welt, jedoch nun nicht sichtbar dem »geistigen Auge«, sondern hörbar dem »geistigen Ohr«. Hat der Musiker durch innere Metamorphose seinen ätherischen Leib in dieser Weise verwandelt, so hört er wiederum hinein in die Welt der Sphärenharmonien und kann nunmehr bewußt erleben, wie sein individueller Grundton innerhalb der geistigen Tonwelt erklingt, Harmonien und Disharmonien erzeugend. Er wird nunmehr bewußt zum Mitwirkenden in der Partitur der Welt. Kompositionen, welche aus solchem mehr und mehr bewußten Erleben heraus geschrieben sein werden, können wiederum etwas geben, das nicht nur den Komponisten selbst, sondern auch seine Mitmenschen befriedigen Wachsmuth, Äther. Büdekräfte.
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und seelisch-geistig erheben kann, denn sie werden den Menschen, wenn auch unbewußt, erinnern an seine geistige Heimat. Auf solche Weise geschaffene Musik unterscheidet sich aber wesentlich von jener alten, aus der Mysterienweisheit früherer Zeiten beeinflußten Musik. Während jene dem Menschen nur ermöglichte, das aus den Sphärenharmonien Empfangene wiederzugeben, ist der Künstler nun ganz frei geworden und besingt gleichsam sein ureigenstes individuelles Verhältnis zur Tonwelt der Natur in Harmonie, Melos und Rhythmus. Zwei Wege kann vor allem solche Musik, die aus d e m C h a o s des N u r ~ S u b j e k t i v e n zum Z u s a m m e n k l a n g des I n d i v i d u e l l e n mit dem O b j e k t i v - G e i s t i g e n zurückführt, gehen: sie kann geistig Gehörtes in der Komposition in physisch Hörbares verdichten und umschaffen, oder sie kann solche Musik sein, welche das Erlebnis des Weges zur geistigen Welt in Tönen vermittelt. Ein Führer zur geistigen Welt kann der Komponist, der Musiker sein. Für jeden Komponisten wird der Weg ein verschiedener sein, je nach dem individuellen Verhältnis seiner inneren Tonwelt zur äußeren Tonwelt; also im Weg ist der Künstler frei, aber das Ziel, zu dem er führt, ist allen Menschen gemeinsam, und nur solche Musik hat letzten Endes einen Wert für die Menschheit der Gegenwart und der Zukunft. Es ist ein eigenartiges Erlebnis, wenn man eine Gruppe junger Komponisten in ihrem ersten Werdegang zu verfolgen das Glück hat. Während ihre Kompositionen anfangs, so lange sie noch etwas vom Althergebrachten schöpfen, weniger individuelle Züge tragen, kommt dann jene Periode, wo der Komponist solche Musik schafft, die n u r er schaffen kann, die eigenstes persönliches Gepräge trägt. Es ist jene Entwicklungsepoche, wo — meist für ihn unbewußt — seine innere Tonwelt, aufgebaut auf seinem individuellen Grundton, seinem IchTon, ihr ganz individuelles Verhältnis zur geistigen Schöpferwelt der Töne gefunden hat. Der Musiker der Zukunft wird, wenn er nicht dem Chaos verfallen oder ewig vom unsicheren Zufall der Inspiration abhängig sein will, den Weg der Einweihung, den Weg zur Entdeckung seiner inneren Tonwelt gehen müssen. Er muß ja jenes Ziel erreichen, wo er mit dem »inneren Wort« begabt wird, wo ihm die Dinge »in ihrem innersten Wesen geistig hörbar« werden, wo sie ihm ihren wahren »Namen« verraten. — Doch von einem eigenartigen Gebot spricht Lohengrin, der Sohn des Parzival, der als ein Ritter des Grals in die Welt hinauszieht, um vom Wesen des Grals zu künden: Er soll seinen eigenen »Namen« verschweigen, ihn nicht den ungeweihten Menschen ausliefern: »Im fernen Land, unnahbar Euren Schritten, Liegt eine Burg, die Montsalvat genannt, Ein lichter Tempel stehet dort inmitten, So kostbar als auf Erden nichts gekannt.
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Drin ein Gefäß von wundertätgem Segen Wird dort als höchstes Heiligtum bewacht, Es ward, daß sein der Menschen reinste pflegen, Herab von einer Engelschar gebracht. Alljährlich naht vom Himmel eine Taube,
Um neu zu stärken seine Wunderkraft, Es heißt der Gral; und selig-reinster Glaube Erteilt durch ihn sich seiner Ritterschaft. Drum wer dem Gral zu dienen ist erkoren, Den rüstet er mit überird'scher Macht, An dem ist alles Bösen Trug verloren Und wer ihn sieht, dem weicht des Todes Nacht. Und wer von ihm in ferne Land' entsendet, Zu streiten für der Tugend Recht ernannt. Dem ward nicht seine heil'ge Kraft entwendet, Bleibt als sein Ritter dort er unerkannt.«
So soll auch der Komponist sein innerstes Wesen, seinen »Namen«, seinen Ich-Ton, jenen individuellen Grundton, auf dem seine persönliche Tonwelt auferbaut ist, nicht preisgeben. Er braucht es auch nicht. Wer kein »Gralsritter« ist, wer den geistigen Ton nicht zu hören vermag, wird ihn aus der Komposition doch nicht erkennen. Wer ihn aber erkennen kann, der ist selbst ein »Gralsritter«, für ihn braucht er kein Geheimnis zu sein. So wird der Komponist ein Verkünder der geistigen Welten sein, ohne sein persönliches Verhältnis zur geistigen Welt preisgeben zu müssen, ein freier Führer.
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III. Teil. D i e ätherische W e l t in der Religion. Novalis : » Die Religion begreift das ganze Gebiet des sogenannten übersinnlichen und Überirdischen in sich. Sie ist teils theoretisch, teils praktisch.« Christas(Joh. 16/12): »Ich hätte Euch noch viel zu sagen, aber Ihr könnt es jetzt nicht tragen.« — Novalis : »Wer hat die Bibel für geschlossen erklärt? Sollte die Bibel nicht noch im Wachsen begriffen sein?«
XL Kapitel. D i e Jx.rälte der planetariscnen Opnären und die UrJVlysterien. Die
VV e r k z e u g e d e r Juiirweiliung i n
der
Cyeschicnte. Ixeligion kann auf Vertrauen zu einem menschlichen Lehrer, auf Glauben an die Inhalte einer Lehre oder Dogmatik, oder auf unmittelbare Offenbarung und eigenes Erleben der göttlich-geistigen Welt begründet sein. Die Geschichte der Religionen ist ein Kreislauf, der von der Offenbarung ausgehend, für die Menschheit durch die Stadien des Vertrauens und Glaubens hindurchging, aber wiederum am ursprünglichen Ausgangspunkt, bei der unmittelbaren Offenbarung enden muß. Denn die Menschheit erträgt das Unbefriedigende des NurVertrauens und des Nur-Glaubens nur während vorübergehender Entwicklungsstadien. Die Mysterienstätten, die in den früheren Epochen
der Geschichte die Verbindung des Menschen mit der geistigen Welt aufrecht erhielten, stellen den ersten Übergang dar von jener Zeit, wo der gesamten Menschheit noch durch eine damalige Hellsichtigkeit ein Einblick in die geistige Welt möglich war, zu der langen Periode, Kali-Yuga genannt, wo der Mensch durch die ihn innerlich beherr212
sehenden Kräfte und den Strukturwandel seines Organismus von der Geist-Welt gleichsam abgeschnürt wurde und in einem sich immer mehr verdichtenden Körper sich zur heutigen Art der Sinneswahrnehmung und des tagwachen Bewußtseins entwickelte. Dr. Rudolf Steiner hat vielfach darauf hingewiesen, daß dies dadurch bewirkt wurde, daß der ätherische Leib des Menschen, der früher über den physisch-materiellen Leib weit hinausragte und dadurch ein ganz anderes Wahrnehmungsvermögen vermittelte, sich im Laufe der letzten Jahrtausende immer mehr nach innen konzentrierte und sich schließlich in den physischen Leib hinein zusammenzog, dadurch die heutige Art der Sinneswahrnehmung und des Bewußtseins bewirkend. Er sagt über diese radikalste Veränderung der Menschennatur in dem Zyklus »Der Orient im Lichte des Okzidents«: »In den Menschen der griechisch-lateinischen Zeit war schon eine vollständige Durchdringung des Ätherleibes und physischen Leibes erreicht, so daß für das schauende Bewußtsein auf keiner Stelle der menschlichen Organisation der Ätherleib weit hinaus gereicht hätte über den physischen Leib. Bei den alten Indern war das noch nicht der Fall. Da würde sich dem schauenden Blick überall gezeigt haben, wie noch der Ätherleib, namentlich in bezug auf den Kopf, herausragte über den physischen Leib. Daher kam es, daß der Angehörige des alt-indischen Volkes die Welt anders sah, als der Angehörige des ägyptischen. Der Angehörige des griechischlateinischen Volkes hat im Wesentlichen schon so gesehen wie wir heute, er sah eben die Welt ausgebreitet als den Sinnenteppich der Farben, Töne, Formen usw. Fein durchsetzt aber war diese ganze Welt, die da ausgebreitet ist in den heutigen sinnlichen Wahrnehmungen, für den indischen Geist der ältesten Zeit noch von dem, was man nennen könnte Wolken ätherischer Natur Diese eigentümliche Art des Anschauens war damals die natürliche. Sie kann sich heute die Menschenseele nur erwerben durch geisteswissenschaftliche Übungen. Das ist der Sinn der Fortentwicklung der Menschheit durch die verschiedenen Kulturepochen, daß der ätherische Leib immer tiefer und tiefer hineinsteigt in den physischen Leib. Damit ändert sich die menschliche Anschauung, da diese abhängt von der Art, wie der Ätherleib organisiert ist Aber sie hat sich nicht nur geändert für die Beurteilung der Vergangenheit, sondern auch für die Vorbereitung der Zukunft. Wir leben jetzt in der Tat in dem Zeitalter, in dem die innigste Durchdringung zwischen dem Ätherleib und dem physischen Leib schon hinter uns liegt; wir leben jetzt schon wiederum in der umgekehrten Entwicklungsrichtung. Wir leben in einer Zeit, in der der Ätherleib langsam herausrückt aus dem physischen Leib. Das ist die normale Menschheitsentwicklung in die Zukunft hinein, daß der Ätherleib nach und nach wiederum den physischen Leib verläßt; und Zeiten 213
werden kommen, in denen sich die menschliche Organisation wiederum so anschauen wird, wie sie sich angesehen hat in grauer Vorzeit; so daß wir wiederum empfinden werden, wie der Ätherleib herausragt über den physischen. Wir sind mitten drinnen in diesem Vorgang«. — Die Geschichte der Religionen, d. h. der Verbindung des Menschen mit der schöpferischen geistigen Welt, ist also in diesem Sinne eng verknüpft mit der Geschichte des ätherischen Leibes des Menschen. Denn die Möglichkeit, nicht nur die physisch materielle Welt nach Art der heutigen Sinnes-Organe, sondern auch die geistigen Welt-Inhalte und -Vorgänge wahrnehmen zu können, ist gebunden daran, ob der ätherische Leib des Menschen gleichsam an den physischen Leib gefesselt, in diesem wie in einem finsteren Kerker gefangen ist, oder ob er sich von dieser Gefangenschaft befreien und wieder hinausstrahlen und untertauchen kann in die Wahrnehmung der geistigen Welt. Wie auf einer niederen Stufe die Tiere, welche einst Augen zur Wahrnehmung des Tageslichtes hatten, als sie in finstere Höhlengebiete kamen, die Fähigkeit der Wahrnehmung des Tageslichtes verloren, weil der Organismus in der Finsternis keine Seh-Organe mehr ausbildete, so verlor auf einer höheren Stufe der Mensch die Wahrnehmungsorgane für die übersinnlichen, geistigen Vorgänge der Welt, als sein ätherischer Leib sich in die Finsternis des physischen Leibes zurückzog. Die Priester der alten Mysterienstätten vermittelten ihren Schülern die Wahrnehmung der geistigen Welt, indem sie nach entsprechender Vorbereitung den ätherischen Leib des Schülers aus seiner festen Verbindung mit dem physischen Leibe lockerten und ihm dadurch ermöglichten, mit den übersinnlichen Organen des ätherischen Leibes die Offenbarung der geistigen Weit zu erlangen. Noch später vermochten, nach dem Verschwinden der alten Mysterienstätten, selten einige hervorragende Persönlichkeiten in der Menschheitsgeschichte, so die großen Religionsstifter, einige Mystiker und Heilige, in vorübergehenden Augenblicken ihren ätherischen Leib aus der physischen Gefangenschaft zu befreien und in die Lichtwelt des Göttlich-Geistigen unterzutauchen, einzelne Offenbarungen zu empfangen. Zu zeigen, wie sich diese Möglichkeiten seit dem Erscheinen des Gott-Sohnes, des Christus, völlig gewandelt haben, wird im Folgenden noch unsere Aufgabe sein. Ur-Offenbarungen empfingen die noch im freien ätherischen Leibe lebenden frühesten Menschen aus dem Göttlich-Geistigen. Vertrauen in die Lehren der wenigen noch Übersinnliches wahrnehmenden Lehrer leitete die Menschheit beim Untertauchen des ätherischen in den physischen Leib. Glauben tröstete die Menschheit in dem langen finsteren Zeitalter, da der ätherische Leib im Kerker des physischen begraben war. Neue Offenbarung wird der kommenden Menschheit mehr und mehr, weil der ätherische Leib wieder aus der finsteren Ge214
fangenschaft sich befreit und neue Organe ausbilden wird zur unmittelbaren Wahrnehmung auch des Geistigen. Die Geschichte der Religionen ist ein Spiegel dieses Werdeganges gewesen. Beginnen wir bei der Betrachtung der alten Mysterien. Wiederum hat hierfür Rudolf Steiner die allergewichtigsten, grundlegenden Aufschlüsse gegeben. Er schildert, wie die ur-indischen Mysterien, die zum Ausgangspunkt des späteren Mysterienwesens wurden, sich entwicklungsgeschichtlich aufbauten auf den ursprünglichen a t l a n t i s c h e n M y s t e r i e n , die nun derart in verschiedene Gruppen gegliedert waren, daß jede Gruppe einer anderen Planetensphäre zugeteilt war und dadurch auch mit anderen Weltenkräften in Verbindung trat, andere Geheimnisse offenbarte. Es ist nun außerordentlich aufschlußreich, die verschiedene Art von Bewußtseins-Entwicklung, die durch das Arbeiten mit den verschiedenen Planetenkräften in diesen Ur-Mysterien in den Menschen hervorgerufen wurde, mit den am Anfang dieses Buches für die einzelnen Planeten angegebenen ätherischen Bildekräften in Beziehung zu setzen und auf diese Weise wiederum die intime Verbindung von Bewußtsein, ätherischen Bildekräften und physisch-leiblicher Organisation zu studieren. über die Ur-Mysterien und deren Führer sagt Dr. Rudolf Steiner: »Sie wurden die Führer der anderen Menschheit, denen sie die erschauten Geheimnisse mitteilen konnten. Sie zogen sich Schüler heran, denen sie die Wege zur Erlangung des Zustandes wiesen, welcher zur Einweihung führt. Zur Erkenntnis dessen, was früher durch »Christus« sich offenbarte, konnten nur solche Menschen gelangen, die im angedeuteten Sinne zu den Sonnenmenschen gehörten. Sie pflegten ihr geheimnisvolles Wissen und die Verrichtungen, welche dazu führten, an einer besonderen Stätte, welche hier das Christus- oder SonnenOrakel genannt werden soll (Oraculum im Sinne eines Ortes, wo die Absichten geistiger Wesen vernommen werden). Das hier in bezug auf den Christus Gesagte wird nur dann nicht mißverstanden werden, wenn man bedenkt, daß die übersinnliche Erkenntnis in dem Erscheinen des Christus auf der Erde ein Ereignis sehen muß, auf das als ein in der Zukunft Bevorstehendes diejenigen hingewiesen haben, welche vor diesem Ereignis mit dem Sinn der Erdenentwicklung bekannt waren. Man ginge fehl, wenn man bei diesen »Eingeweihten« ein Verhältnis zu diesem Christus voraussetzen würde, das erst durch dieses Ereignis möglich geworden ist. Aber das konnten sie prophetisch begreifen und ihren Schülern begreiflich machen: wer von der Macht des Sonnenwesens berührt ist, der sieht den Christus an die Erde herankommen.« »Die Vulkan-, Merkur- und Venus-Eingeweihten unterschieden sich von den Saturn-, Jupiter- und Mars-Eingeweihten dadurch, daß die letzteren ihre Geheimnisse mehr als eine Offenbarung von oben empfingen, 215
mehr in einem fertigen Zustande; während die Ersteren in Form von eigenen Gedanken, von Ideen, ihr Wissen enthüllt erhielten. In der Mitte standen die Christus-Eingeweihten. Sie erhielten mit der Offenbarung in unmittelbarem Zustande auch zugleich die Fähigkeit, in menschliche Begriffsformen ihre Geheimnisse zu kleiden. Die Saturn-, Jupiter- und Mars-Eingeweihten mußten sich mehr in Sinnbildern aussprechen; die Sonnen-, Venus-, Merkur- und Vulkan-Eingeweihten konnten sich mehr in Vorstellungen mitteilen.« — Wir können dies sofort verstehen, wenn wir uns an die Verschiedenheiten der die einzelnen Planetensphären beherrschenden Bildekräfte erinnern. Wir hatten ja gezeigt (Seite 11), daß die äußeren Planeten, Saturn, Jupiter, Mars, als Gesamtheit mehr von den zentrifugalen, nach außen strahlenden, gleichsam mehr auf die Außenwelt hinorientierten Bildekräften, die inneren Planeten jedoch mehr von den zentripetalen, nach innen wirkenden, verinnerlichenden Kräften beherrscht sind. Wie also die ätherischen Bildekräfte und die sie impulsierenden geistigen Entitäten, Wesenheiten, am Leibe der Planeten modellierten, so modellierte in den Ur-Mysterienstätten der Eingeweihte am ätherischen Leibe des Einzuweihenden, des Neophyten, nachdem er dessen ätherischen Leib aus dem Gefängnis des physischen Organismus gelockert, befreit hatte und imprägnierte ihn mit neuen ätherischen Planetenkräften, ihn dadurch zum Erlebnis makrokosmischer Geheimnisse führend und ihm die Offenbarung von Vorgängen in der göttlich-geistigen Welt vermittelnd. Die Vorgänge in den Ur-Mysterien sind Spiegelungen makrokosmischer Urbilder, Spiegelungen planetarischer Wandelungen im Menschen. Gehörte der Eingeweihte nun mehr den Venus-Merkur-Mysterien an, so führte er den Neophyten zu denjenigen Kräften, die sein InnenWesen verstärkten, ihn zum Verwerten der zentripetalen, konzentrierenden, verinnerlichenden Kräfte anregten, die den inneren Planeten eigen sind, die es ihm nun ermöglichten, durch Konzentration eigene Gedanken, eigene Ideen und Vorstellungen innerlich zu bilden. Gehörte der Eingeweihte mehr den Mars-, Jupiter-, Saturn-Mysterien an, so verstärkte er diejenigen Kräfte in ihm, die den äußeren Planeten zueignen, die zentrifugal wirken, ihm erleichterten, sein Wesen hinausströmen zu lassen in die Außenwelt und deren Gesetze zu erleben, um dann in Sinnbildern von diesen Erlebnissen erzählen zu können. So kräftigten die einen Mysterien-Handlungen die in die Außenwelt führenden, die andern die verinnerlichenden Kräfte, indem sie den ätherischen Leib des Mysterienschülers mit den äußeren oder inneren Planetenkräften in Verbindung brachten. 216
Während bei den Ersteren noch lange Zeit die alte OffenbarungsWeisheit erhalten blieb, führten die Letzteren zielvoll immer mehr zu jenem heutigen Bewußtseinszustand hin, in dem der Mensch sich mit seinen eigenen Gedanken von der Außenwelt abstrahiert, seine eigene abstrakte Logik und Theoretik ausbilden kann, wobei er zwar nicht mehr das Geistige in den Dingen real erlebt, aber doch dadurch zu dem angestrebten Zustand der F r e i h e i t kommen konnte. Denn daß die Menschheit eine Zeitlang durch jenen Zustand der freien Losgelöstheit von der geistigen Welt hindurchgehen mußte, war jenen FührerPersönlichkeiten bekannt und von ihnen erstrebt. Die ätherischen Kräfte der Planeten Sphären waren in den Ur-Mysterien die ersten Helfer in der religiösen Entwicklung der Menschheit. Noch ein anderer Werdeprozeß charakterisiert die Geschichte der alten Mysterien. Das Johannesevangelium beginnt mit den Worten: »Im Urbeginne war das Wort und das Wort war bei Gott und ein Gott war das Wort.« Im I. Band (Seite 231) sagten wir im Zusammenhange mit diesem Problem: Es schwingt im Ätherleib eines Mitmenschen etwas Reales mit, wenn wir mit ihm sprechen und ist durchaus wirksam in seinem ätherischen und somit auch in seinem physischen Organismus! Es ist durchaus nicht immer nur der abstrakte »Inhalt« von zu uns gesprochenen Worten, was uns innerlich »verletzt« oder »belebt«. Ein Wort, d. h. eine bestimmte Kombination von Vokalen, Konsonanten und Tönen, die unseren Sprachorganen entströmt, beeindruckt nicht nur als Schallempfindung unser Ohr oder seinem Inhalte nach unsere Gedankenwelt, sondern weil es im Organismus des Sprechenden seine Entstehung einer bestimmten Kombination ätherischer Bildekräfte verdankt, welche die ertönende Luft zu bestimmten Luftgebilden umformen, so ruft es auch im Ätherleib des Zuhörenden eine reale Wirkung hervor, die je nach der Art des gesprochenen Wortes vorübergehend oder bleibend, gesund oder ungesund, erwärmend oder erkaltend, verletzend oder belebend, aufbauend oder zerstörend sein kann. Da das durch die Luft ertönende Wort aus Geistig-Seelischem (Sinn, Inhalt), Ätherischem (Bildekräfte) und Physischem (Luft) zusammengesetzt ist, so ist seine Wirkung im Mitmenschen auch eine dreifache; und zwar erstreckt sie sich nicht nur auf das aufnehmende Sinnesorgan (Ohr), sondern durch die Vermittlung des Ätherleibes auf den ganzen Organismus des Menschen. Im gesprochenen »Wort« ist das Zusammenwirken von Geistig-Wesenhaftem, ätherischen Bildekräften und Substanz vollkommen. Das vom Priester in den alten Mysterien gesprochene mantrische Wort hatte, da es gebildet war aus einer Kenntnis der in den Sprachelementen, Vokalen und Konsonanten, sich auslebenden ätherischen Kräftewirkungen, einen tiefgehenden Einfluß auf den ätherischen und dadurch auch
physischen Organismus des Schülers. Es wirkte nicht nur seinem Inhalte nach, es wirkte als Kraft, magisch. Außer dem magischen, mantrischen »Wort« diente noch ein anderes Element bei der Einweihung in den Mysterien: die F l a m m e . Die auf dem Altar brennende Flamme hatte nicht nur die abstrakt-symbolische Bedeutung, die man ihr heute zuzuschreiben gewohnt ist. Es war ein ganz besonderes Erlebnis für die Menschheit in der lemurischen Epoche der Erdenentwicklung, als sich die innere Wärme des Menschen von der Wärme der Außenwelt zu unterscheiden begann. Auch der heutige Mensch hat ja ein besonders geartetes, viel höher gelegenes Wärmeniveau, als das der Außenwelt. Wir hatten bereits darauf hingewiesen (Seite 18), daß der Mensch bei verhältnismäßig nicht einmal sehr starken Wärmeschwankungen der Außenwelt das »Bewußtsein« verliert. Diese Ausbildung eines besonderen Wärmeniveaus in seinem eigenen Innern gab dem Menschen zuerst ein Bewußtsein von einer Differenzierung, Aussonderung gegenüber der Außenwelt, das Gefühl einer Eigenheit, Selbstheit, die erste Anlage seines »Ich«-Gefühls, ü b e r die ersten Stadien der damaligen Entwicklung sagt Rudolf Steiner: »Am innerlichsten fühlt sich der Erdenmensch durch die Vorstellungen, welche er durch das Element des Feuers oder der Wärme empfängt. Er unterscheidet bereits seine innere Wärme und die Wärmeströmungen des irdischen Umkreises Aber der Mensch hat nur ein dunkles Bewußtsein von dem, was hinter den Strömungen der äußeren Wärme steht Wenn mächtige Wärmewirkungen in der Umgebung des Menschen auftauchen, dann fühlt die Seele (in jener Epoche): jetzt durchglühen die geistigen Wesen den Umkreis der Erde, von denen ein Funke sich losgelöst hat und mein Inneres durchwärmt.« — Ein zweifaches Erlebnis wollte der Priester der alten Mysterien dem einzuweihenden Schüler vermitteln: Das wahre geistige Erlebnis des Logos, des »Wortes«, durch das die Welt geschaffen, geordnet und geformt wurde, und das wahre geistige Erlebnis des Feuers, durch das der Mensch zur Ausbildung seiner Gesondertheit, seines »Ich« kommen sollte. W o r t u n d F e u e r waren die beiden w e s e n t l i c h e n W e r k z e u g e d e r I n i t i a t i o n in d e n M y s t e r i e n . In seinen Mysteriendramen hat Rudolf Steiner eine solche Einweihungsszene nach dem altägyptischen Ritus wiedergegeben. Die Hierophanten umstehen den Neophyten, und nach einer gebührenden Vorbereitung wird dahin gewirkt, daß sich sein ätherischer Leib von dem physischen Körper lösen kann. Er erhält nun von dem Opferweisen die Mahnung, sich zu versenken, unterzutauchen in eine Flamme, die in diesem Raum auf einem Altare brennt. Ein anderer Hierophant 218
hat die Aufgabe, nach dem alten ägyptischen Ritus, ein Wort, ein mantrisches Wort zu denken, das hinüber wirken soll zu dem Neophyten. Es heißt da: »Es entzündet sich die helleuchtende, züngelnde Opferflamme, die sich auf dem Altar, der in der Mitte steht, befindet: Der höchste Opferweise zum Neophyten : Drum schau — in diese Flamme, die dir näher Ais deines eignen Wesens Leben ist. Und lies die Antwort aus dem Feuer dir.
Der Vertreter des Feuerelements :
Im Weltenfeuer such' dein Sein als Flamme; Verbinde, was du findest, deinem Schein. Im Brennen wird es dir das Sein gewähren. Der Siegelbewahrer : Versteh'n, warum wir dich zur Flamme bilden, Du wirst es erst, wenn du sein Wort befolgst. Der Opfer weise :
Es ist gescheht *n, was unserm Opfer frommt. Die Seele hat vergessen, was sie war, Der Elemente Widersprüche haben Des Irrtums Scheingewebe ihr getilgt; Der lebt im Streit der Elemente fort. Gerettet hat die Seele nur ihr Wesen. Und was im Wesen lebt, sie soll es lesen Im Weltenwort, das aus der Flamme spricht.
Der Neophyt :
Gehorchend eurem strengen Opferworte Versenkt ich mich in dieses Flammenwesen, Erwartend hoher Weltenworte Tönen. Ich fühlte, wie ich mich vom Erdgewicht Mit Lüfteleichtigkeit befreien konnte. — Vom Weltenfeuer liebend hingenommen. Erfühlt ich mich in Geisteswellenströmen. Ich sah, wie meine Erdenlebensform Sich außer mir als and'res Wesen hielt.«
Es wurde also in den Mysterien dem Neophyten die Aufgabe gestellt, eins zu werden mit einer Opfer-Flamme, da sein eigenes Wesen in dieser außer ihm befindlichen Flamme zu finden sei. Er soll den Feuerfunken des »Ich«, der in seinem eigenen Innern abgesondert lebt, in seinem wahren Wesen erkennen lernen, indem er das Wesen des Weltenfeuers in der Altarflamme enträtselt. Die Werkzeuge der Mysterieneinweihung, die Altar-Flamme und das mantrische Wort des Priesters, sind also in der vorchristlichen Zeit dem Nicht-Eingeweihten noch nicht übergeben, er kann ihr wahres Wesen nur erleben, indem er sich mit seinem ätherischen Leibe befreit und außerhalb seines physischen Körpers Flamme und Wort, »Ich« und »Logos«, findet und erkennt. Nun schildert Rudolf Steiner, wie in dem eingeweihten Priester der ägyptischen Epoche die Erkenntnis aufleuchtet, daß eine Wesenheit, ein Menschheitsführer kommen wird, der es einem jeden Menschen ermöglicht, das Wesen des wahren, höheren »Ich« und das Wesen des 219
»Wortes«, des Logos, zu erleben und seiner teilhaftig zu werden, ohne daß die Mithilfe anderer Menschen ihn aus seinem physischen Körper herauszuheben braucht, ein Erlebnis, das vorher nur ganz wenigen Menschen beschieden sein konnte. Daß eine Wesenheit in die Erdenentwicklung eingreifen wird, die es einem jeden Menschen ermöglicht, die Werkzeuge der Einweihung, Flamme und Wort, das höhere Ich und den schöpferischen Logos in seinem eigenen Innern zu finden. Darum bedeutete es einen weltgeschichtlichen Wendepunkt in den Mysterien, als zur Einweihung nicht mehr das mantrische Wort des Priesters den Neophyten von außen ergreifen mußte, da die Menschheit sich jenem Zeitpunkte näherte, als das Wort, der Logos in die Erdenentwicklung eintrat und damit die Möglichkeit brachte, daß mehr und mehr der einzelne Mensch aus eigener Kraft die schöpferische Kraft des Logos finden kann. Der Opferweise :
»Enthalten hab' ich mich, das Wort zu denken, Das nach der Sitte mir geboten ist, Und das, von meinem Denken aus, hinüber Zum Neophyten geistig wirken sollte. So hat der junge Mann nicht fremdes Denken, Er hat sein eignes Wesen hier verkündet. Ich fühle schon die Zeiten nahekommen, Die aus dem Gruppengeist das Ich befreien Und ihm das eig'ne Denken lösen werden.«
Während früher das mantrische Wort vom Eingeweihten zum Schüler hinüber wirken mußte, soll er dessen Kraft von jetzt ab im eigenen Innern finden. So zeigt die Geschichte wiederum eine Spiegelung makrokosmischer Vorgänge: das »Außen« wird zum »Innen«. Was der Mensch vorher außerhalb seiner selbst finden muß, zieht allmählich in sein Inneres hinein. Vor der ägyptischen Epoche sind Wort und Flamme außen. Nach der ägyptischen Epoche ist das Wort innen, die Flamme noch außen zu finden. Seit dem Mysterium von Golgatha sind Wort und Flamme, die Werkzeuge der Einweihung, innen im Menschen zu finden. Die Jünger Christi waren die Ersten, welche im Pfingsterlebnis auch die »Flamme« innerlich erlebten. (Apostelgeschichte des Lukas): »Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er ließ sich hernieder auf einen jeglichen unter ihnen. Und sie wurden alle voll des Heiligen Geistes.« Die beiden Werkzeuge der Einweihung, Flamme und Wort, wurden dem Menschen vor dem Erscheinen des Christus in den Mysterien zum Erlebnis gebracht, indem der ätherische Leib des Einzuweihenden aus dem Kerker des physischen Leibes durch die Hilfe der Priester befreit wurde. Nach dem Erscheinen des Christus soll der Mensch — ohne 220
fremde Hilfe — aus eigenen Kräften in seinem eigenen Innern diese Werkzeuge der Initiation, Flamme und Wort, sein wahres, höheres Ich und das schöpferische Wort, den Logos, entdecken, um mit ihnen den Weg in die göttlich-geistige Welt gehen zu können. Sie sollen mehr und mehr zum bewußten Erlebnis aller Menschen werden. So kann in unserer Zeit das Erlebnis eintreten, dass sich in Höhe der Augenmitte des menschlichen Hauptes eine dauernd brennende Flamme zeigt. Zu ihrer Wahrnehmung bedarf es dann keinerlei besonderer Konzentration mehr. Wenn sie einmal im Wahrnehmungsfeld erschienen ist, bleibt sie immer, auch in den allernüchternsten alltäglichen Verrichtungen, als hellbläulich züngelndes, bewegtes Flammengebilde deutlich sichtbar, auch gleichzeitig mit jeder Sinneswahrnehmung der physischen Umwelt. Ihr Licht ist heller als das Tageslicht, aber auch nachts erstrahlt sie im finstern Raum. Sie ist ein Bestandteil des ätherischen Leibes des Menschen, ein wunderbares Symbol, das die übersinnliche und die sinnliche Welt miteinander vereint. Meister Ekkehard mag sie schon erlebt haben, als er sagte: „Der Mensch hat an seinem oberen Zweige ein Ebenbild Gottes, das dort ohn' Unterlass leuchtet."
XII. Kapitel.
JL)er Jüaum der Ürkenntms und der .Daum des .Lebens. Die Zeit, da eine banale Richtung in der modernen Theologie, die dem materialistischen Zeitgeist unnötige Konzessionen machte, die Wesenheit des Christus zum »schlichten Mann aus Nazareth« herabdeuten wollte, geht eigentlich schon ihrem Ende entgegen. Es erübrigt sich daher, sich hier mit ihr noch auseinanderzusetzen. Wie können wir Christus als den »Sohn« des »Vaters«, des Weltenschöpfers erleben, als den Logos, der von sich sagt, daß er »der Weg, die Wahrheit und das Leben« ist? Christus wollte, wenn er so sprach, nicht nur vergleichen, nicht nur symbolisieren, nicht nur in allegorischen Bildern sprechen, er wollte denen, die Ohren haben zu hören, die Wahrheit offenbaren. Der große christliche Philosoph Vladimir Solovieff sagt in seinen Vorlesungen über das Gottmenschentum: »Gott, der von Ewigkeit her ist, verwirklicht sich ewig, indem er seinen eigenen Inhalt verwirklicht, d. h. indem er alles verwirklicht Eine zur Einheit zurückgeführte Vielheit ist ein Ganzes. Das reale Ganze ist ein lebendiger Organismus. Gott als Seiender, der seinen Inhalt als Einheit
realisiert und die Vielheit in sich beschlossen hält, ist ein lebendiger Organismus Es ist gar kein Grund vorhanden, den Begriff Organismus nur auf stoffliche Organismen zu beschränken, wir können ebenso von einem geistigen Organismus, wie von einem Volksorganismus, von einem Organismus der ganzen Menschheit und daher auch von einem göttlichen Organismus reden « In diesem »göttlichen Organismus« vollziehen sich die makrokosmischen und mikrokosmischen Geschehnisse, auch die Taten des Sohn-Gottes und der Menschen. Bei Betrachtung der Biblischen Schöpfungsgeschichte, wie sie im alten Testament gegeben ist, wird meist nur einer Seite der Erdengenesis für die Menschheit der bedeutsamste Wert zugemessen: Dem Verbot Gottes, der Mensch solle nicht genießen vom »Baum der Erkenntnis«, und den Folgen, welche die Nichtbeachtung dieses Weltengesetzes für die Menschheit hatte. Aber nach der Vertreibung des 222
Menschen aus dem Paradies gibt Gott noch ein weiteres Verbot (Kapitel III, 22): »Nun a b e r , d a ß er n i c h t a u s s t r e c k e seine H a n d u n d b r e c h e auch von d e m B a u m e des L e b e n s u n d esse u n d lebe ewiglich«. — »Und lagerte vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem blossen Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baume des Lebens.« Ist dies nicht vielleicht viel wichtiger für den heutigen Menschen? Was bedeutet dieses Weltengesetz für uns? Nachdem der Mensch in sich aufnahm die Kräfte vom »Baum der Erkenntnis«, soll er nun nicht auch aufnehmen die Kräfte vom »Baume des Lebens«, wodurch er ein ewiges »Leben« erlangen würde. Gerade dies also verbietet die Gottheit dem Menschen in der Alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte. Gilt dieses Verbot, vom »Baume des Lebens« zu essen und dadurch die Kräfte des ewigen Lebens zu erlangen, auch heute noch? Was unterscheidet den »Baum der Erkenntnis« vom »Baum des Lebens?« Christus bezeichnet sich selbst mannigfach als »das Leben« selbst, er sagt: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« »Und er gäbe dir lebendiges Wasser« (Joh. 4, 10) »Und ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet« (5/40) »Ich bin das Brot des Lebens« (6/35) »Ich bin die Auferstehung und das Leben« »Vom W o r t d e s L e b e n s — und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater und ist uns erschienen« (Joh. I. Brf. Kp. 1/2) . . . . »Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht« (Joh. I. Brf. Kp. 5/12) . . . . »Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradies Gottes ist« (Joh. Offbg. 2/7) »Selig sind, die seine Gebote halten, auf daß sie Macht haben an dem Holz des Lebens« (Joh. Offbg. 22/14) »Denn wie d e r V a t e r das L e b e n hat in ihm s e l b e r , also h a t er dem Sohn g e g e b e n , das L e b e n zu h a b e n in ihm selber« (5/26) usf. Wenn wir ehrlich sind, so müssen wir gestehen, daß im Sinne der heutigen Denkweise sowohl das zweite Gebot Gottes an den Menschen, »daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baume des Lebens und esse und lebe ewiglich«, als auch die Tatsache, daß nun gerade Christus sich selbst als das »Leben« bezeichnet, unverständlich, wenn nicht widersinnig sein muß. — Was ist »Leben«? Im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs: eine Summe von Erlebnissen und Erfahrungen zwischen Geburt und Tod eines Menschen. Im modernen naturwissenschaftlichen Sinne: für die Materialisten eine Summe von Substanz-Veränderungen, für die mechanistischen Theorien (Dubois-Raymond): »nichts als eine zur scheinbaren Befriedigung unseres Kausalitätsbedürfnisses eingebildete Ursache von Veränderungen, 223
welche selber das einzig Wirkliche sind, das wir wahrnehmen.« (Hertwig Seite 20.) Für Verworn ist es bereits ein Rest alter Mystik, wenn O. Hertwig zu sagen wagt, »daß der lebende Organismus nicht nur ein Komplex chemischer Stoffe und ein Träger physikalischer Kräfte ist, sondern daß er noch außerdem eine besondere Organisation, eine Struktur besitzt, vermöge deren er sich von der unorganischen Welt ganz wesentlich unterscheidet.« — Auf s o l c h e r Basis ist es natürlich für den ehrlichen Menschen der Jetztzeit völlig unmöglich, mit dem »Baum des Lebens« oder mit dem Wort Christi, daß er »das Leben« selbst sei, irgendwelche realen Vorstellungen zu verbinden. Der Rückzug auf das Gebiet einer abstrakten Allegorik ist aber nur eine ErkenntnisFeigheit, denn mit dem, was wir heute »Leben« nennen, die Vorstellung zu verbinden, daß es von Gott verboten sei und daß Christus es jedoch selbst »ist«, bleibt unmöglich. Auf diese Art müssen sich Religion und Wissenschaft konsequent gegenseitig ad absurdum führen. Sie brauchen es nicht, wenn wir dieses Problem mit der Erkenntnis des Ätherischen durchleuchten. Wir hatten im Kapitel VII gezeigt, daß das zu starke Eindringen des Lichtätherischen in den Organismus des Menschen durch die Vorgänge in der lemurischen Periode der Erdengenesis zu einer Spaltung in der Verwendung der Bildekräfte im Organismus des Menschen und dadurch zu einer Differenzierung des Männlichen und Weiblichen sowohl im Physischen wie im Seelischen führte, sowie daß dieser Vorgang mit einer B e w u ß t s e i n s a u f h e l l u n g gegenüber der physischen Umwelt verbunden war. Das Eindringen der wärmeund lichtätherischen, der »luziferischen« Kräfte in den inneren Erdensphären bedeutete für den menschlichen Organismus die Aufnahme der Kräfte vom »Baum d e r E r k e n n t n i s « . In der herrlichen Bildersprache des Testaments wird ja auch dargestellt, wie es sich um ein von außen an den Menschen herantretendes Ereignis, die »Versuchung« zur Aufnahme der auf ihn einstürmenden Kräfte handelt, der er nicht zu widerstehen vermag. Wir hatten weiterhin darauf hingewiesen, daß in der bis zur lemurischen Zeit hinführenden Entwicklungsepoche der Erde, in der die lichtätherischen Kräfte den Menschen durchdringen, die Loslösung von Sonne und Mond aus der vorherigen Verbundenheit mit der Erde sich abspielt, daß also die besonderen ätherischen Kräfte der Sonne und des Mondes aus dem Organismus der Erde in diesem Entwicklungsstadium ausscheiden. Nach der für die planetarischen Sphären angegebenen Gliederung (Kapitel I Seite 6) ist nun die Sonne vor allem beherrscht vom Lebensätherischen, der Mond von den Kräften des Chemisch-Ätherischen. Ungeheure Mengen dieser Kräfte verlassen also in dieser Entwicklungsepoche den Erdorganismus, die ihn vorher innerlich durchkrafteten, ihm aber nunmehr von außen aus dem Kosmos zugestrahlt werden. Auch dies mußte für 224
den menschlichen Organismus und seine weitere Entwicklung von entscheidender Bedeutung sein. Dr. Rudolf Steiner schildert diese weltenwichtigen Wirkungen mit den folgenden Worten: »Der Mensch durfte nicht so bleiben wie er war, nachdem er die luziferischen Kräfte in sich aufgenommen hatte. Er mußte behütet werden vor der Wirkung der luziferischen Kräfte auf seinen Ätherleib. Das wurde erreicht, indem der Mensch damals unfähig gemacht wurde, seinen vollen Ätherleib zu benutzen. Es wurde ein Teil des Ätherleibes der Willkür des Menschen entzogen. Wäre diese Wohltat nicht gekommen, hätte der Mensch die Kraft über seinen vollen Ätherleib beibehalten, so hätte er nimmermehr den Weg durch die Erdenentwicklung in entsprechender Weise finden können. Gewisse Teile des menschlichen Ätherleibes mußten damals herausgezogen werden und mußten aufgespart werden für spätere Zeiten.« Und nach Erläuterung der vier Bildekräfte sagt er: »Von diesen vier Ätherformen wurden in der lemurischen Zeit nur die zwei u n t e r e n zur freien, willkürlichen Verfügung gelassen: Feuer-Äther und Lichtäther; dagegen wurden die zwei oberen Ätherarten dem Menschen entzogen. Das ist der innere Sinn, wenn uns gesagt wird: nachdem die Menschen durch den luziferischen Einfluß die Unterscheidung von Gut und Böse erlangt hatten — bildlich ausgedrückt vom »Baume der Erkenntnis« gegessen hatten —, wurde ihnen entzogen der Genuß vom »Baume des Lebens«. — Das heißt, der Mensch behielt nur die Willkür über die Kräfte des Wärme- und Lichtäthers, es wurde ihm entzogen die Willkür über die Bildekräfte des Klangäthers und des Lebensäthers. U. a. o. sagt er: »Indem wir auf dieses aufmerksam machen, weisen wir zu gleicher Zeit hin auf diejenigen Regionen, aus denen der Christus zu uns gekommen ist bei der Johannistaufe im Jordan. Woher kam der Christus? Aus denjenigen Regionen kam er, die dem Menschen verschlossen worden sind durch die Versuchung des Lüzifer, aus d e r Region d e r S p h ä r e n m u s i k , aus d e r Region des kosmischen L e b e n s . Diese Regionen hat der Mensch vergessen müssen am Erdenbeginn durch die luziferische Versuchung. Der Christus aber zog bei der Johannistaufe im Jordan in einen Menschenleib ein, und dasjenige, was diesen Menschenleib durchsetzte, das war das Geistige der Sphärenmusik, das war das Geistige des Kosmischen Lebens; das war dasjenige, was zur Menschenseele noch gehörte während früherer Erdenzeit, woraus aber die Menschenseele verbannt werden mußte durch die luziferische Versuchung. Der Mensch gehört eigentlich an mit seiner Seele der Region der Sphärenmusik und der Region des Wortes, des lebendigen kosmischen Äthers. Aber er wurde daraus vertrieben. Und wiedergegeben sollte es ihm werden, so daß er sich nach und nach mit dem, woraus er verbannt worden war, wiederum durchdringen könne.« Wachsmuth, Äther. Bildekräfte.
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Die »Vertreibung aus dem Paradies« bedeutet also für den Menschen, der den eindringenden lichtätherischen Kräften erlegen ist, daß er fortan bewußt arbeiten kann mit den Kräften von Licht und Feuer, daß ihm aber entzogen wird das wahre Wissen und Beherrschen des Klangäthers und des Lebensäthers. Durch die Trennung des Mondes und der Sonne von der Erde verliert der Mensch die ursprüngliche Macht über diese Bildekräfte, wird das »Verbot Gottes« nach dem »Sündenfall« wirksam: »Daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch vom Baume des Lebens und esse und lebe ewiglich.« Mit der Trennung der Sonne von der Erde wird dem Menschen entrückt der »Baum des Lebens«, der die Kraft des Klangätherischen und Lebensätherischen umfaßt. Die Kräfte vom »Baum der Erkenntnis« bleiben der Erde, die Kräfte vom »Baum des Lebens« sind in der Sonne zu suchen. Wissen wir vom Wesen des Ätherischen, so verstehen wir nunmehr, warum Christus so rätselhaft von sich sagt, er sei »das Leben« und warum der Evangelist Johannes am Anfang des Evangeliums Christi sagt: »Im Urbeginne war das Wort « Vom Klangätherischen konnte gesagt werden (I. Band Seite 46): Die Kräfte dieses Äthers sind es nämlich, welche die chemischen Prozesse, das Differenzieren, Trennen und Zusammenfügen der Stoffe bewirken, seine Kräfte sind es aber auch — nur gleichsam in einer Betätigung auf einem andern Wirkensfeld — die den Ton vermitteln. Die innige Verwandtschaft dieser beiden Gebiete wird uns ja deutlich bei dem Phänomen der Chladni'sehen Klangfiguren. Da ist es Ton, der das Durcheinanderfügen, das Ordnen und Formen von Stoffen und Stoffgebilden bewirkt. Was der grobsinnliche Ton da in dem Staub bewirkt, das geschieht überhaupt im Raum. Der Raum wird durchwogt von den Kräften des Chemischen Äthers, des Klangäthers, die den Stoff nach Art der Chladni'schen Staubfiguren differenzieren, trennen und zusammenfügen. Dieser Äther hat aber in Wirklichkeit tonartige, klangartige Wesenheit, wovon der sinnliche Klang, der Ton, den das sinnliche Ohr hört, nur ein äußerer Ausdruck, nämlich ein durch die Luft hindurchgegangener Ausdruck ist. — Durch die Kräfte des Klangätherischen wirkte das schöpferische «Wort», der »Logos«, bei der Entstehung der Welt und die Kräfte des Lebensätherischen durchstrahlten das Werk des Logos im Urbeginn. »In ihm war das Leben« (J°b. I, 4). In der geistesgeschichtlichen Strömung des j o h a n n e i s e h e n C h r i s t e n t u m s wurde von jeher ein tiefes Wissen »vom Wort des Lebens« (Joh. l.Brf. Kp. 1/2) und seinen kosmischen Aufgaben und Wirksamkeiten gehütet. So wie dem »ersten Adam«, dem Erdenwesen, die Kräfte des Lichtes und des Feuers gegeben wurden, der Baum der Erkenntnis, so hütete der »zweite Adam«, das Sonnenwesen, der Sohn des Weltenschöpfers, der 226
Christus, den Logos und das Leben, den Baum des Lebens. Bis dann der Zeitpunkt in der Erdenentwicklung kam, von dem der Evangelist Johannes sagt: »Und das Wort ward Fleisch.« Darum bedeutet das Herabsteigen des Christus auf die Erde in Wahrheit ein kosmisches Ereignis, das die Evolution des vom GottVater umfaßten Weltorganismus in völlig neue Bahnen lenkte, ihr einen neuen wahren Sinn gab, eine Tat, die für die Welt der Involution die Erlösung darstellt, den Mittelpunkt, von dem aus der wahre Aufstieg erst beginnen kann. Die moderne Welterkenntnis spricht von »Urnebel« und »Wärmetod« des Weltorganismus, von Weltenanfang und Weltenende, sie vergißt die Weltenmitte, die gesetzt wurde durch das Ereignis des Mysteriums von Golgatha, durch das Erscheinen des Christus in der Erdenwelt. Mit dem Erscheinen des Christus, des Gott-Sohnes, ist das Verbot des Gott-Vaters an den Menschen: »daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich« beendet. Das Neue Testament ist die Erlösung von den Weltgesetzen des Alten Testamentes. Die Tat des Christus ist es, die einst durch die Sonnentrennung von der Erde für die Menschheit verlorenen reinen Kräfte des Klangätherischen, des Wortes, des Logos, und des Lebensätherischen, des Lebens, wieder mit dem Leib der Erde vereinigt zu haben, es ist die Wiedervereinigung der Kräfte vom Baum der Erkenntnis und vom Baum des Lebens. Das Wort und das Leben durchkraftet die Erde, ein vom Logos durchtöntes und verlebendigtes Licht, verlebendigte Wärme, verändert alle Erdengesetze, gibt aller Erkenntnis neue Rätsel, neue Inhalte, bringt Kosmos, Erde und Mensch neue Entwicklungsmöglichkeiten, besiegt den »Wärmetod«, den die Wissenschaft vom Baum der Erkenntnis lehrt, durch die Erlöserkräfte. »Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.« — Nicht mechanistische Wissenschaft, die ihre Gesetze von Wärme und Licht ableitet, sondern durchchristete Wissenschaft, welche die neuen Kräfte des Wortes und des Lebens in der Erde erkennt, wird das Wesen und Schicksal des Lebendigen zu ergründen vermögen. Leitet nicht alle materialistische Wissenschaft ihre Theorien von der Erkenntnis der Gesetze von Wärme und Licht her, von den Kräften also, die der Baum der Erkenntnis umfaßt. Warum spricht sie das Ignorabimus gegenüber dem Wesen des Lebendigen, ignoriert oder eliminiert, wenn aufrichtig und konsequent, die religiösen Wahrheiten? Christus brachte die Möglichkeit zu einer von der Erbsünde erlösten Wissenschaft. Es ist bald zwei Jahrtausende nach seinem Erscheinen gewiß an der Zeit, daß die Wissenschaft vom Baum des Lebens und seinen Weltenkräften zu zeigen vermag, daß 227
»Urnebel« und »Wärmetod« solche Erkenntnisse sind, die durch das Erscheinen des Christus schon vor zwei Jahrtausenden widerlegt wurden. Wenn einer der bedeutendsten heutigen Physiker, W. Nemst sagt, daß seine Universitäts-Laufbahn im Zeichen der Worte seines Lehrers, Prof. Boltzmann, begann: »Er bemerkte darin u. a. daß alle Versuche, das Universum von dem Wärmetode zu erretten, erfolglos blieben, und daß auch er keinen derartigen Versuch machen wolle. — Diese Stelle, die ich als Student las, machte den größten Eindruck auf mich und stets blieb seitdem mein Blick darauf gerichtet, ob nicht irgendwo ein Ausweg sich zeigte« —, wovon uns aber auch nicht die Theorie rettet, »wonach man den Lichtäther von gewaltigen Energiemengen sich erfüllt denken muß« —, wenn also dieser Ausweg bis heute nicht zu finden war, ja sich nach den modernen naturwissenschaftlichen Theorien immer weniger zeigt, so liegt darin die ganze Tragik des 20. Jahrhunderts. Es ist die Halbheit im Denken, die das Weltall nur aus den Kräften des Baumes der Erkenntnis, nicht auch aus denen vom Baume des Lebens aufgebaut weiß, die »Erbsünde« im D e n k e n , die in diesem Jahrhundert überwunden werden muß. Und das Wissen vom Ätherischen kann hierzu die Brücke sein. Der große Philosoph Friedrich Schlegel hat in seinen »Philosophischen Vorlesungen« auf die tiefgreifenden Wirkungen der Substanzverwandlung durch das Erscheinen Christi hingewiesen*): »Nach der Ansicht, daß mit der Erscheinung Christi der Mensch der Oberherrschaft der Natur entrissen und zu Gott zurückgewandt wurde (weshalb denn auch eben Christus, teils dem Naturgesetz entzogen, teils die Natur besiegend und beherrschend, auch ihr ganz entsagend sich darstellt), erhält auch die ganze Eucharistie eine ganz neue Bedeutung und Klarheit. In dieser neuen Ordnung der Dinge, wo Gott und in Gott auch der Mensch über der Natur steht, kann auch der mindeste, scheinbarste, unbedeutendste Teil der Natur verwandelt, verklärt und gleichsam vergöttlicht werden. Dieses Naturverhältnis des Christentums ist noch sehr wenig beachtet, aber sehr wichtig« » Der Begriff der Transsubstanziation gewinnt ein ganz anderes Ansehen, wenn man sich dieselbe als eine Wiederherstellung und Wiederbringung der verklärten Natur denkt, deren innigster Kern, der eigentliche Lebensstoff und Lebenssaft, ohnehin der Sohn ist« »Dieser Begriff des Geistes der Erde in der Philosophie entspricht jenem des Sohnes in der Religion Für den Menschen ist er der erlösende Sohn, für die Erde der beseelende, ordnende Erdgeist, in dem wir atmen, leben, und der die schützende Macht gegen die Feindseligkeit des bösen Prinzips ist.« — Die Anschauung der ätherischen Genesis der makrokosmischen Welt gibt solcher Philosophie die rechte Grundlage auch in der Naturerkenntnis. *) s. auch Dr. Fr. Doldinger: »Erda-Sophia«.
Vom Gesichtspunkte des Ätherischen betrachtet sind bei Erschaffung der Welt zunächst nur die ausstrahlenden, raumschaffenden, raumbejahenden Kräfte tätig, Wärme- und Lichtäther. Erst nachdem die sonnenhafte Entwicklung sich erfüllt hat, greifen die wiederzusammenziehenden, nach innen strahlenden, verinner!ichenden, raumvermindernden, räum verneinenden Kräfte in das Werk des Weltorganismus ein. Die raumschaffenden Kräfte des Vatergottes werden ergänzt durch das Wirken der raumerlösenden Kräfte des Sohn-Gottes, in dem vom Vater-Gott umfaßten Organismus der Welt (siehe Band I, Kapitel VI). Doch die Entwicklung der Erde verfällt in der lemurischen Epoche einem falschen Gebrauch der Lichtkräfte, das Gute wird dadurch in Böses gewandelt, zum Werkzeug des Luziferischen, die Erde kann nicht mehr Wirkensstätte der reinen klang- und lebensätherischen Kräfte bleiben, die Sonne trennt sich mit ihnen von der Erde. Was damals noch an klang- und lebensätherischen Kräften in der Erde verbleibt, dient meist der Verdichtung im Wässerigen und im festen Erdhaften, ist in die Substanz verstrickt, nicht reine ätherische Bildekraft, sondern dient der Materie, ist gefesselt im Aufbau und Wandel der Elemente. Es ist wiederum nicht nur ein Gleichnis, wenn die biblische Genesis von einem »Fall« des Menschen spricht. Wo ist das Paradies? In der ätherischen Welt, jenseits der Sphären der irdischen Elemente. Alle Kräfte im makrokosmischen Weltorganismus sind ursprünglich, da die Welt der Leib Gottes ist, göttliche Kräfte. Es ist zunächst ein Rätsel, wie die Kräfte der Wärme und des Lichtes, die für den Menschen von jener Zeit an die Kräfte vom Baum der Erkenntnis bedeuten, scheinbar Böses wirken können. Kein Rätsel für jene Art von Theologen, welche die Gottheit irgendwo jenseits und getrennt von der geschaffenen Welt träumen und sich dadurch vor der Lösung des Rätsels zu flüchten suchen, kein Rätsel für solche Wissenschaft, welche die moralische Weltordnung durch einen Gewaltakt des Denkens von der natürlichen Weltordnung getrennt wissen will. Ein gewaltiges Rätsel für den Menschen, der moralische und natürliche Weltordnung ineinander verwoben sieht. Wie können ursprünglich göttliche Kräfte scheinbar Böses wirken? Millionen von Menschen richten nach dem Geheiß Christi täglich von diesem Erdenplaneten ein Gebet zu dem Vater-Gott: » Und führe uns nicht in Versuchung«. Aber die Versuchung war ein Werk luziferischer Mächte, nicht nur im alten, sondern auch im neuen Testament, bei Christus. Wer nicht oberflächlich hierüber hinweggeht, wird sich fragen müssen, was es bedeutet, daß der Mensch Gott bitten soll, er möchte an ihm nicht handeln, wie einst Luzifer an ihm gehandelt habe. Scheinbar ein Widersinn! Die ätherischen Kräfte der Wärme und des Lichts, die raumbejahenden Kräfte, sind gewiß das Werk des Vater-Gottes. Aber in der lemurischen Epoche bemächtigt sich dieser ursprünglich 229
göttlichen Kräfte eine Wesenheit, Luzifer, der »Lichtträger«. Die Menschheit, die diese Kräfte in einer ihnen ursprünglich nicht zugedachten Weise aufnahm, unterliegt einer Wandlung im Organismus, die wir schon schilderten, ein Teil der Kräfte, die im Baum des Lebens dargestellt sind, wird mit der Sonnentrennung der menschlichen Willkür entzogen, die seiner Willkür verbleibenden Kräfte werden von einem Teil der Menschheit mehr im Physischen, von einem anderen Teil mehr im Seelischen verwandt. Die einstige Harmonie der ätherischen Bildekräfte ist zerstört. Darin liegt die Verursachung des »Bösen«. Alle Weltenkräfte sind ursprünglich im Sinne einer moralischen Weltordnung »gut«. »Böse« können sie nicht sein durch ihr eigenes Wesen, sondern nur werden durch die Willkür der Wesenheit, die sie verwendet. Die Bitte an den Vater-Gott: »Und führe uns nicht in Versuchung«, meint darum nicht, er möge an uns nicht handeln wie Luzifer, sondern er möge uns helfen, die reinen ätherischen Kräfte der Warme und des Lichtes in uns in dem ihnen ursprünglich zugedachten Sinne zu verwenden. Eine Wissenschaft, welche die Bildekräfte der Welt nicht nur auf ihr Darinnenstehen in der natürlichen, sondern auch in der moralischen Weltordnung betrachtet, muß sich bewußt bleiben, daß es keine ätherischen Bildekräfte im Weltorganismus geben kann, die ursprünglich böse sind, Böses wirken. Eine Menschheit, die, nachdem sie die Kräfte vom Baum der Erkenntnis, Wärme und Licht, zur freien Willkür erhielt, mehr und mehr nun auch die Kräfte vom Baum des Lebens erkennen und darum frei beherrschen wird, kann nicht mehr wie bisher die natürliche und moralische Weltenordnung von einander getrennt betrachten, sondern muß sich bewußt werden, wie sie in einander verwoben sind, wie physische Ursachen moralische Folgen, moralische Ursachen physische Folgen zu erzeugen vermögen. Es gibt ein menschliches Organ, das am stärksten die Folgen der Trennung der einst in einander wirkenden vier ätherischen Bildekräfte zeigt: das menschliche Auge. Es zerfällt gleichsam in eine Zweiheit. Die vordere Sphäre des Auges, die ja vor allem unserer heutigen Art von Sinneswahmehmung dient, gleicht in ihren Gesetzmäßigkeiten einem physikalischen Apparat, einem Mechanismus, in dem die Kräfte des Lichtes sich nach den physikalischen Gesetzmäßigkeiten auswirken. Anders der hintere Teil des Sehorganes. Er ist viel stärker als der vordere Teil durchblutet, von den Kräften des Wässerigen verlebendigt. Sodaß das menschliche Auge in eine Zweiheit gegliedert ist, einen mehr tot-mechanischen Teil, welcher in erster Linie der Sinneswahrnehmung dient und einen mehr verlebendigten Teil.*) Da der meiste Bewußtseinsinhalt des heutigen Menschen, ja eigentlich sein gesamtes Weltbild *) Siehe hierzu die wichtigen entwicklungsgeschichtlichen Entdeckungen von Albert Steffen in der Wochenschrift »Goetheanum«, Jahrg. VI. 230
auf der Art seiner Sinneswahmehmung aufgebaut ist, so ist es schon von der größten Folgenschwere, daß der Mensch heute mehr mit jenem Teil seines physischen Sehorganes wahrnimmt, der nach den Gesetzen der Wärme und des Lichtes nach Art eines mechanischen Apparates aufgebaut ist. Eine Menschheit, deren wichtigstes Wahrnehmungsorgan, das Auge, mehr von den anderen ätherischen Bildekräften, vor allem dem Lebensätherischen durchdrungen wäre, würde völlig anders geartete Wahrnehmungsinhalte, Bewußtseinsinhalte und dadurch ein von unserem jetzigen durchaus verschiedenes Weltbild haben. Es ist für eine aufrichtige Naturforschung wesentlich, sich solcher möglicher Metamorphosen bewußt zu sein. — Ein Auge, das weniger von den Kräften des Baumes der Erkenntnis, sondern mehr von den Kräften vom Baume des Lebens aufgebaut ist, wird dem Menschen auch eine neue Art der Welt-Anschauung vermitteln. Ebenso wie die »luziferischen « Kräfte die Ursache waren, daß der Mensch die Umwelt in einer neuen Weise »erkannte«, können auch die Erlöserkräfte, die durchchristeten Weltenkräfte dem Menschen die Möglichkeit geben, seinen ätherischen Organismus zu wandeln und seine Umwelt in neuer Art zu schauen und zu erkennen. Bei wahrer Naturerkenntnis muß die Wirksamkeit des Sohn-Gottes bis in die physische Erdennatur hinein erforschbar sein.
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XIII. Kapitel. Crott-Vater, Grott-oonn u n d der O r g a n i s m u s v o n JVosmos, Ü r d e u n d JVLenscn. Der religiöse Aspekt des heliozentrischen und geozentrischen Weltsystems. Wenn wir die Wesenheit des Vater-Gottes und die Wesenheit des Sohn-Gottes nicht, einer außerhalb der Rätsel der Naturvorgänge verbleibenden Theologie oder einer die Einflüsse der göttlich-geistigen Weltordnung ignorierenden Naturwissenschaft zuliebe, aus der Betrachtung des natürlichen Welten Werdens eliminieren, sondern in diese aus geistiger Konsequenz mit einbeziehen, so ergeben sich dadurch für die Naturerkenntnis entscheidend wichtige Folgerungen. Es ist z. B. eines der sowohl von der Naturwissenschaft als auch von der Kirche in der Menschheitsgeschichte am meisten umstrittenen Probleme, ob die Sonne oder die Erde als der Mittelpunkt unseres Weltensystems anzusehen sei. Man pflegt die eine Weltanschauung als die geozentrische zu bezeichnen, deren bedeutendster Vertreter Ptolemäus war, die andere als die heliozentrische, zu der man sich seit Kopernikus und Kepler heute allgemein bekennt. Nun ist es heute im allgemeinen wohl allzusehr in Vergessenheit geraten, daß der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen System nicht etwa deshalb erfolgte, weil durchweg bewiesen worden wäre, daß die Sonne tatsächlich das Zentrum des Weltalls sei und die Erde zur Rotation um diesen Zentralkörper zwinge, sondern man hat diese Anschauung zunächst nur deshalb adoptiert, weil sich eine Reihe von Erscheinungen leichter, bequemer erklären ließ durch diese Annahme. Da aber die bequeme Handhabung einer Hypothese letzten Endes noch kein vollendeter Beweis für deren tatsächliche Richtigkeit ist, so dürfen wir nicht vergessen, daß der Tatsachenbeweis in dieser wichtigsten Frage zugegebenermaßen noch aussteht. So sagt denn auch Prof. E. Plaßmaiin in seiner »Himmelskunde« (Seite 153): »Das Ergebnis unserer Betrachtung ist dieses, daß das heliozentrische System des Kopernikus den scheinbaren Planetenlauf ebenso richtig wiedergibt, wie das geozentrische, das nach Ptolemäus benannt wird«. Wenn er auch dem kopernikanischen System den Vorzug gibt und sagt (Seite 152): »Wir brauchen nur anzunehmen, 232
daß sich die Erde und die Planeten um die Sonne bewegen, und alles deutet sich natürlicher.« — Doch eine einfachere, leichtere Deutung kann immer nur der Inhalt eines begreiflichen Wunsches sein, jedoch nicht als endgültiger Beweis einer Tatsache gelten. Ein wesentlicher Faktor in der Betrachtung des geozentrischen oder heliozentrischen Weltsystems ist das sogenannte Newton'sehe Gravitationsgesetz. Plaßmann sagt (Seite 188): »Schon Kepler selbst hat aus seinem Flächengesetze die Vermutung gezogen, daß eine Kraft den Planeten beständig zur Sonne hintreibe« u. a. o. (Seite 189): »Wir sehen also, daß jeder Planet beständig durch eine nach dem Zentrum der Sonne gerichtete Kraft beeinflußt wird«. Es ist allerdings notwendig, sich diese Vorstellungen ins Gedächtnis zu rufen, bevor die Frage nach der Gültigkeit des geozentrischen oder heliozentrischen Systems gelöst werden kann. Es ist eigenartig, daß dieses entscheidend wichtige Problem bisher immer nur von dem Gesichtspunkte des »entweder-oder« betrachtet worden ist, d. h. man nimmt an, daß während der ganzen Weltentwicklung dauernd immer nur entweder die eine oder nur die andere Möglichkeit bestanden haben kann. Daß sich also entweder immer nur die Sonne um die Erde, oder immer nur die Erde um die Sonne bewegt haben kann und die gegenteilige Meinung falsch sein müsse. Für unsere vom Geisteswissenschaftlichen und Ätherischen ausgehende Betrachtung gibt es jedoch noch einen ganz anderen Gesichtspunkt, den nämlich: daß für eine bestimmte Periode der Weltentwicklung die Sonne, für eine andere Periode der Weltentwicklüng die Erde als das Zentralgestirn anzusehen sei; daß für eine Periode der Weltentwicklüng die kopernikanische, für eine andere Periode die ptolemäische Auffassung die richtige sei. — Seit dem Beginn der Weltenschöpfung sind vier ätherische Bildekräfte beim Aufbau und beim Modellieren des makrokosmischen Weltorganismus zur Aktivität gekommen. Während zuerst, solange noch alle Weltenkörper in einer großen gemeinsamen Urmasse vereinigt waren, diese vier Bildekräfte zusammenwirkten, wurden bei der Trennung der Sonne von der Erde die stärksten und reinsten Kräfte des Lebensätherischen aus dem Erdenplaneten herausgelöst und hatten seither das Zentrum ihrer Wirkenssphäre in der Sonne. Da die lebensätherischen Kräfte zentripetal wirken, so konnte das in der Sonne gelegene Zentrum der Sphäre dieser Kräfte auf die übrigen Weltkörper, die gleichsam im Meer dieser Kräfte schwimmend deren Brennpunkt umkreisen, so wirken, daß die den Planeten innewohnenden Zentrifugalkräfte durch die Zentripetalwirkungen, die Anziehungskräfte der Sonne überwunden wurden. Das Ergebnis dieses ständigen Kampfes sind die verschiedenen Planetenbahnen, überwiegen die Anziehungskräfte der Sonne, so wird sich der betreffende Weltenkörper der Sonne nähern, siegen sie in ihm, mit ihr verschmelzen, 233
eins werden, überwiegen in ihm jedoch die zentrifugalen, gleichsam sonnenfremden Kräfte, so wird er sich in gewissem Abstände von der Sonne halten oder sich von ihr entfernen. Immer vermochten jedoch die Anziehungskräfte des Sonnenzentrums den Weltorganismus zusammenzuhalten und ihm die Orientierung nach dem Zentrum zu erhalten. So lange also die höchstentwickelten, stärksten und reinsten Kräfte des Lebensätherischen vom Sonnenzentrum aus wirkten, war alles Geschehen in der makrokosmischen Sternenwelt auf die Sonne hinorientiert. Wie nun aber, wenn das Zentrum dieser zusammenhaltenden, vereinigenden Kräfte nicht bei der Sonne geblieben wäre? Wenn das Zentrum des »Liebens und Hassens« der Kräfte und Elemente sich verwandelt hätte? Wenn es durch eine gewaltige Änderung im Innern des vom Gott-Vater geschaffenen und umfaßten Weltorganismus in eine andere Sphäre verlegt worden wäre? Wenn die stärksten und reinsten lebensätherischen Kräfte das Sonnenzentrum verlassen und sich mit der Erdensphäre wieder vereinigt hätten? Und dieses makrokosmische Ereignis geschah, erfüllte sich durch die Tat des Sohn-Gottes, welcher die Kräfte vom »Baum des Lebens« auf die Erde zurückbrachte. Das Werk des Sohn-Gottes konnte dem des Vater-Gottes nur ebenbürtig sein, dessen wahre Erfüllung, konnte nur eine Fortführung des schöpferischen Werkes mit allen den Weltorganismus aufbauenden und verwandelnden Bildekräften sein, eine Tat der gewaltigsten Steigerung der Entwicklung, der höchstmöglichen Harmonisierung der das begonnene Werk zu zerstören drohenden Weltenkräfte. Wenn der Gott-Sohn, Christus, von sich selbst sagt: »Ich und der Vater sind eins« und »Denn wie der Vater das Leben hat in ihm selber, also hat er dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in ihm selber«, und sich selbst als »das Leben« bezeichnet, so meint er nicht das Leben, das ja jedes Lebewesen der Erde auch in sich birgt, sondern jene weltenschöpferischen, makrokosmischen, lebensätherischen Kräfte, die bis zum Erscheinen des Sohn-Gottes auf Erden die Welt vom Sonnenzentrum aus durch gewaltige Anziehungsbande zusammenhielten und harmonisierten. Und wie die Sphären des Weltorganismus, des Makrokosmos, zuvor zusammengehalten und geleitet wurden vom Sonnenzentrum aus, wie die Sonne dadurch den Sphären der Welt ihre harmonisierenden Gesetze aufprägte, so sind seit dem Erscheinen des Sohn-Gottes auf dem Erdenplaneten diese Kräfte der Erde verliehen, wird die Erde mehr und mehr zum Zentrum der Anziehungskräfte, der Vereinigungskräfte, zum Mittelpunkte des Kosmos. Christus brachte die stärksten und reinsten Kräfte des Klangätherischen und des Lebensätherischen, der Sphärenharmonie, des »Wortes« und des »Lebens« von der Sonne auf die Erde zurück. Seit dem Mysterium von Golgatha wurde die Erde wiederum zum Zentrum des Weltgeschehens, welches den übrigen Welten-
körpern mehr und mehr die Gesetze für ihre Evolutionen geben wird. Bis zum Mysterium von Golgatha war die Sonne Mittelpunkt der Welt. Seit dem Mysterium von Golgatha ist es die Erde. Das sind keine apokalyptischen Dinge, sondern die nachprüfbaren Tatsachen einer exakten Geisteswissenschaft. Ihre Verwirklichung ist nur eine Frage der Zeit und des menschlichen Erkenntnismutes. Dies wird bis in die astrophysikalischen Gesetze hinein nachweisbar sein. Mag es manchem heutigen Naturforscher noch eine Zeitlang als eine ebensolche Unmöglichkeit erscheinen, wie den Naturforschern noch vor einem halben Jahrtausend die Erde als um die Sonne bewegter Planet eine Unmöglichkeit schien. Die Verlegung der Weltenachse aus der Sonne in die Erde muß für das wahre Weltbild des Naturforschers eine ebensolche Realität werden, wie die Gesetze des radioaktiven Zerfalls der Substanz oder die Gesetze von Wärme und Licht. Die Taten des Sohnes des Weltenschöpfers können nicht nur Inhalte der Religion und Dogmatik bleiben, sie sind Inhalte einer wahren Naturforschung. Die Menschheit wird sich vor die furchtbarsten Konflikte gestellt sehen, wenn sie ständig vom Sohne des Weltenschöpfers spricht und an ihn glaubt, ohne sein Wirken bis in die Weltengesetze hinein zu erkennen. War Christus der Sohn Gottes, so hatte sein Erscheinen Bedeutung für die ganze Welt, wie das Tun des Vaters. So gilt für das heliozentrische oder geozentrische Weltsystem nicht das »entweder-oder«, sondern wir können sagen: bis zum Mysterium von Golgatha galt das heliozentrische Weltsystem zu Recht, seit diesem Zeitpunkt ist das geozentrische zum Weltgesetz geworden. Eine Astronomie, Geologie, ja jede Wissenschaft von Kosmos, Erde und Mensch wird, wenn sie diese gewaltige Metamorphose im Weltenprozeß nicht in ihre Anschauungen und Berechnungen einbezieht, an den Realitäten vorbeirechnen und vorbeidenken. Die Menschheit mußte über die ganze Erde hin mit Recht seit jenem Zeitpunkt auch eine neue Zeitrechnung beginnen. Die Verwandlung von Erde und Mensch durch die Kräfte des Sohn-Gottes. Das Durchdringen der Atmosphäre der Erde mit den reinen klangund lebensätherischen Kräften wird für den Menschen tiefgreifende Wirkungen, unerschöpfliche neue Entwicklungsmöglichkeiten bringen. Wie der Mensch, der etwa in hohen Gebirgen die atmosphärische Luft einatmet, bis in seine Blutbildung hinein eine Verwandlung seines Organismus erfährt, verschieden von den Einflüssen, die ihn beim Atmen der Luft auf dem Meere, in der Ebene, oder im Inneren der Erde verwandeln, so wird auch der ätherische und durch ihn der physische 235
Organismus eines Menschen tiefgreifende Wandlungen erfahren, wenn er die neuen reinen klang- und lebensätherischen Kräfte in sich aufnimmt. Unser heutiges Denken verdanken wir einem Absterbens-Prozeß in unserem Organismus. Dr. Rudolf Steiner hat an Hand eines umfangreichen Materials dargetan, wie die heutigen Bewußtseins-Erlebnisse des Menschen nur dadurch entstehen, daß im Nervensystem immer ein wenn auch verhältnismäßig geringer Abbauprozeß vor sich geht, daß im Nerv immer etwas Materie zerstört werden muß, damit im Menschen das Bewußtsein aufleuchten kann, sei es das Erlebnis einer Sinneswahrnehmung oder auch nur der Ablauf des von der Außenwelt abstrahierten Denkens selbst. Bewußtsein, »Denken« im heutigen Sinne bedeutet für den Organismus einen mehr oder weniger geringen Abbauprozeß, ein Absterben. Und er hat immer wiederum auf die dringende Notwendigkeit hingewiesen, daß die Menschheit anstelle des heutigen abstrakten, »toten« Denkens, ein »lebendiges« Denken entwickeln müsse. Unter »lebendig« ist hierbei natürlich nicht nur im banalen Sinne ein reges, bewegliches Denken gemeint, sondern vielmehr ein solches, das im ätherischen Leibe des Menschen nicht nur diejenigen Bildekräfte zur Denktätigkeit verwendet, die auf die Materie nur auflösend und zerstörend wirken — licht- und wärmeätherische Kräfte —, sondern ein Denken, das nunmehr auch diejenigen Bildekräfte bei seiner Aktivität impulsiert und im Organismus verwendet, die plastizierend, organbildend, verlebendigend wirken; die klang- und lebensätherischen Bildekräfte, die Kräfte des Logos, des »Wortes« und des »Lebens« müssen in das menschliche Denken hineinwirken und ihm zur Grundlage des Bewußtseinsprozesses werden können. So wird der Mensch — nicht im sinnbildlichen, sondern ganz im realen Sinne — nicht mehr ein absterbendes, totes Denken entwickeln, wie es im materialistischen Zeitalter seine höchste Ausbildung erfuhr, sondern ein lebendiges Denken, das nun auch in das Wesen der Lebensprozesse unterzutauchen vermag, was ja mit den bisherigen Denkkräften nicht möglich war. Rudolf Steiner sagt einmal: »Es fehlte bei denjenigen, die aus der mechanischen Welterklärung herausstrebten, zumeist der Mut, sich zu gestehen: wer diesen Mechanismus überwinden will, der muß auch die Denkgewohnheiten überwinden, die zu ihm geführt haben. Ein Geständnis wollte nicht erscheinen, das die Zeit gebraucht hätte. Es ist dieses: mit der Orientierung auf die Sinne hin dringt man in das ein, was mechanisch ist. Man hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an diese Orientierung gewöhnt. Man sollte jetzt, da das Mechanistische unbefriedigt läßt, nicht mit derselben Orientierung in höhere Gebiete dringen wollen. — Die Sinne im Menschen geben sich ihre Entfaltung selbst. Mit dem, was sie sich so geben, wird man
aber niemals etwas anderes, als das Mechanische schauen. Will man mehr erkennen, so muß man von sich aus den tiefer liegenden Erkenntniskräften eine Gestalt geben, die den Sinnes-Kräften die Natur gibt. Die Erkenntniskräfte für das Mechanische sind durch sich selbst wach; diejenigen für die höheren Wirklichkeitfsormen müssen geweckt werden.« Durch das Aufnehmen der lebensätherischen Kräfte aus der Atmosphäre, aus dem Umkreis in seinen Organismus, wird der Mensch ein neues »lebendiges« Denken, neue Formen und Inhalte des Bewußtseins entwickeln. Aber nicht nur in das vor allem im Haupte zentralisierte NervenSinnes-System werden diese Kräfte hineinwirken können, sondern auch in das rhythmische System des Menschen, und hier zu einer tiefgreifenden Wirkung auf die Sprachkräfte und Sprachorgane des Menschen führen. Das Hineinwirken der reinen klang- und lebensätherischen Kräfte in die Sprachorgane des Menschen wird eine seit Jahrtausenden in der Menschheit gehegte Sehnsucht erfüllen können. Es wurde in den alten Mysterienstätten und wird auch noch heute in gewissen Menschheitsgruppen, die sich mit solchen Fragen der Entwicklung beschäftigen, gesprochen von dem »verlorenen Wort«. Was bedeutet dies? Um es für heutige Begriffe verständlich zu machen, müssen wir uns zunächst darüber klar sein, auf welche Weise der heutige Mensch spricht. Was als Sprache aus unserem Munde heraustönt, hat ja vor allem dies Merkmal, daß es nichts Bleibendes ist, daß es in dem Augenblick, wo es unserem Munde entströmt ist, sich sofort auflöst. Unser Sprechen beruht ja nicht nur auf einem Klanglichen, sondern darin, daß wir die unseren Atmungsorganen und unserem Munde entströmende Luft durch den Kehlkopf und seine Nachbarorgane in einer bestimmten Weise formen. Die ausgeströmte Luft wird also zu einem bestimmten Lüftgebilde geformt, modelliert, und zwar zu einem anderen Luftgebilde, wenn wir »a«, als wenn wir »i« sprechen, anders wenn ein Konsonant oder ein Vokal gebildet wird. Geformte Luftgebilde der verschiedensten Art sind es, die beim Sprechen unserem Sprachorgan entströmen. Nur können wir diese Gebilde nicht sehen, weil wir mit unserem heutigen Wahrnehmungsorgan, dem Auge, Luft d. h. überhaupt Gasförmiges an sich nicht wahrnehmen können. Wir wissen zwar, daß die Erde eine Luftatmosphäre hat, wahrnehmen können wir sie nicht, ebenso wie wir bei unseren Mitmenschen und uns selbst die beim Atmen und Sprechen aus- und einströmende Luft nicht wahrnehmen können. Aber einige von deren Eigenschaften können wir wenigstens experimentell feststellen, so z. B., daß die ausgeatmete Luft Wässeriges enthält, das sich auf eine vor den Mund gehaltene Spiegelglasscheibe niederschlägt, oder auch, daß die Atemluft eine gegenüber der äußeren Luft erhöhte Wärme enthält usw. 237
Wärme, Luft und Wässeriges entströmt unserem Munde, wenn wir sprechen. Und den auflösenden Tendenzen der licht- und wärmeätherischen Kräfte entsprechend, von denen die beim Sprechen ausgeatmete Luft beherrscht, ja sogar der geringe wässerige Gehalt verdunstet wird, lösen sich die Luftgebilde, die wir beim Sprechen ausströmen lassen, sofort in der umgebenden Atmosphäre auf. Dadurch ist das gesprochene Wort des Menschen etwas, was als geformtes Gebilde keine Dauer hat. Was würde nun geschehen, wenn die reinen lebensätherischen Bildekräfte bis in die Sprachorgane des Menschen hineinwirken würden, was eben bisher nicht der Fall war? Während Licht- und Wärmeätherisches die Substanz aufzulösen und zu verflüchtigen strebt, hat das Lebensätherische ja die Tendenz, die Substanz zu verdichten, ihr eine feste dauernde Form zu geben, sie zu verfestigen und damit zu bleibenden Gebilden zu gestalten. So daß der Mensch, wenn die reinen Bildekräfte des Klang- und Lebensätherischen, des schöpferischen »Wortes« und »Lebens«, in seine Sprachorgane eindringen werden» die Fähigkeit wird entwickeln können, nicht nur die sich sofort auflösenden Luftgebilde beim Sprechen seinem Munde entströmen zu lassen, sondern solche, denen die Kräfte innewohnen, um sie mehr und mehr zu kondensieren, zu bleibenden Gebilden zu formen. Wenn die lebensätherischen Bildekräfte in die Sprache des Menschen eingreifen werden, so wird er durch sein Wort bleibende Gebilde zu schaffen vermögen, wird das schöpferische Wort sprechen können, wird das »verlorene Wort« wiedergewonnen haben. Diese Vorstellung mag zunächst etwas Erschreckendes haben, daß das vom Menschen Gesprochene bleibenden Charakter tragen wird, als geformtes Gebilde ihn, den Schöpfer, umgeben wird, aber wir müssen bedenken, daß der Mensch die Verwendung jener Kräfte erst sehr allmählich erlernen und sich aneignen wird und daß deren Verwendung oder Nicht-Verwendung ihm in Freiheit in seine eigene Willkür gegeben sein wird. Diejenigen Menschen, die in ihren Sprachorganen jene neuen Kräfte bemeistern werden, sie werden das »schöpferische Wort« nach eigenem Wollen anwenden können oder nicht. Diese Kräfte werden dem Menschen, der sie in sich aufzunehmen weiß, in Freiheit, nicht als Zwang gegeben sein. Aber die Menschheit wird gewisse Schwierigkeiten zukünftiger Entwicklung nicht bemeistern, nicht überwinden, ohne den Gebrauch solcher Bildekräfte zu erlangen, ohne das verlorene schöpferische Wort wiederzufinden. Novalis sagt in seinen »Fragmenten«: »Ist unser Körper selbst nichts, als eine gemeinschaftliche Zentralwirkung unserer Sinne, haben wir Herrschaft über die Sinne, vermögen wir sie beliebig in Tätigkeit zu versetzen, sie gemeinschaftlich zu zentrieren, so hängts ja nur von 238
uns ab, uns einen Körper zu geben, welchen wir wollen. Ja, sind unsere Sinne nichts anderes, als Modifikationen des Denkorgans, des absoluten Elements, so würden wir mit der Herrschaft über dieses Element auch unsere Sinne nach Gefallen modifizieren und dirigieren können.« U. a. o. sagt Novalis: »Auf dieselbe Art, wie wir unser Denkorgan in beliebige Bewegung setzen, seine Bewegung beliebig modifizieren, dieselbe und ihre Produkte beobachten und mannigfaltig ausdrücken — auf dieselbe Art, wie wir die Bewegungen des Denkorgans zur Sprache bringen, wie wir sie in Gebärden äußern, in Handlungen ausprägen, wie wir uns überhaupt willkürlich bewegen und aufhalten, unsere Bewegungen vereinigen und vereinzeln, auf eben dieselbe Art müssen wir auch die innern Organe unseres Körpers bewegen, hemmen, vereinigen und vereinzeln l e r n e n . Unser ganzer Körper ist schlechterdings fähig, vom Geist in beliebige Bewegung gesetzt zu werden. Die Wirkungen der Furcht, des Schreckens, der Traurigkeit, des Zornes, des Neides, der Scham, der Freude, der Phantasie usw. sind Indikationen genüg. Uberdem aber hat man genugsam Beispiele von Menschen, die eine willkürliche Herrschaft über einzelne, gewöhnlich der Willkür entzogene Teile ihres Körpers erlangt haben. Dann wird jeder sein eigener Arzt sein und sich ein vollständiges, sicheres und genaues Gefühl seines Körpers erwerben können. Dann wird der Mensch wahrhaftig unabhängig von der Natur, vielleicht imstande sogar sein, verlorene Glieder zu restaurieren, sich bloß durch seinen Willen zu töten und dadurch erst wahre Aufschlüsse über Körper, Seele, Welt, Leben, Tod und Geisterwelt zu erlangen. Es wird dann vielleicht nur von ihm abhängen, einen Stoff zu beseelen. Er wird seine Sinne zwingen, ihm die Gestalt zu produzieren, die er verlangt, und im eigentlichsten Sinne in seiner Welt leben können. Dann wird er auch vermögend sein, sich von seinem Körper zu trennen, wenn er es für gut findet.« Novalis, der bedeutende Künstler und Naturforscher, hat hier, wie so oft, Zukünftiges voraus verkündet. Eine dritte umgestaltende Wirkung werden diese Bildekräfte des Lebensätherischen im Organismus des Menschen hervorrufen, wenn sie einziehen in das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System. Solche Menschen, deren Körper sich bis in die Gliedmaßen, vor allem bis in die Arme und Hände hinein durchdringen wird, werden neue Heilkräfte entwickeln, die es ihnen ermöglichen, durch die Berührung eines anderen, vielleicht kranken Organismus mit den Händen — wenn es in rechter Weise geschieht — die lebensätherischen Kräfte auszustrahlen und dem kranken Organismus des Mitmenschen dadurch Heilkräfte zu vermitteln. Christus war der »Heiland«, der durch die Berührung der Hand Krankheiten heilte, weil er in sich die reinen lebensätherischen Kräfte trug und bemeisterte. Wir können als aufrichtige Christen die 239
wesentlichsten Taten Christi nicht mit den modernen, von solchen Zusammenhängen nichts wissenwollenden Materialisten leichtfertig in den Bereich der Fabel, d. h. der Unwahrheit verweisen, wir brauchen es auch nicht, sondern können aus dem Wesen und Wirken des Ätherischen erkennen, welche Kräfte es waren, die Christus ganz real zur Heilung kranker Menschen verwandte. Denn letzten Endes ist Krankheit in den allermeisten Fällen nichts anderes, als ein Fehlen gewisser ätherischer Bildekräfte in Teilen des Organismus, die deren zu ihrer gesunden Struktur bedürfen, oder ein Übergreifen von Bildekräften in Teile des Organismus, die gesunder Weise anderen Bildekräften zugeordnet sind. Krankheit ist zumeist letztursachlich bedingt durch eine Störung in der gesunden Harmonie und Verteilung der Bildekräfte oder einem Mangel an solchen Kräften. Deutlich spricht Christus einmal bei einer solchen Heilung davon, wie ihm Kräfte entzogen werden (Lukas 8, 43—47): »Und ein Weib hatte den Blutgang zwölf Jahre gehabt; die hatte alle ihre Nahrung an die Ärzte gewandt und konnte von niemand geheilt werden; die trat hinzu von hinten und rührte seines Kleides Saum an; und alsobald stand ihr der Blutgang. Und Jesus sprach: Wer hat mich angerührt? Da sie aber alle leugneten, sprach Petrus und die mit ihm waren: Meister, das Volk drängt und drückt Dich und Du sprichst: wer hat mich angerührt? Jesus aber sprach: Es hat mich jemand angerührt; denn ich fühle, daß eine Kraft von mir gegangen ist. Da aber das Weib sah, daß es nicht verborgen war, kam sie mit Zittern und fiel vor ihm nieder und verkündigte vor allem Volk, aus welcher Ursache sie ihn hätte angerührt und wie sie wäre alsbald gesund geworden.« — Da Christus die reinen lebensätherischen Kräfte in sich trug, konnte er durch Berührung diese Kräfte ausstrahlen und einem kranken Organismus Heilkräfte geben. Wenn der Heiler, der Arzt der Zukunft, diese Kräfte in sich aufzunehmen und zu bemeistern vermag, wird auch er nicht nur durch Medikament und Operation Krankheiten bekämpfen können, sondern solche Krankheiten, deren Ursache in einer Disharmonie oder einem Fehlen ätherischer Bildekräfte liegt, durch seine aktiven Heilkräfte zu beheben vermögen. So wird das Einziehen der'reinen klang- und lebensätherischen Kräfte, die dem Menschen durch lange Evolutionszeiten hindurch entzogen waren, nun aber wiederum dem Organismus der Erde einverleibt sind, wenn er sie in der rechten Weise in sich aufzunehmen, zu erstarken und zu bemeistern vermag, dem Menschen vielfache neue Fähigkeiten erschließen, neue ätherische und physische Organe der Wahrnehmung und der Aktivität ausbilden. Er wird durch ein lebendiges, mit diesen neuen ätherischen Kräften wirkendes Denken weitere Erkenntnis- und Bewußtseins-Inhalte erlangen, manche seiner Sinnesorgane zu neuen Wahrnehmungsfähigkeiten umbilden; er wird in lang240
samer, stetiger Entwicklung solche Sprachkräfte in sich erstarken, daß die Lüftgebilde des gesprochenen Wortes nicht mehr nur der sofortigen Auflösung verfallen, sondern daß er Formkräfte in seinen Worten haben wird, die nach seinem Willen bleibende Gebilde formen können, geformte Gebilde, die ihn, den Schöpfer, umgeben. Das schöpferische Wort wird er sprechen können, das »verlorene Wort« wiedergewonnen haben. Und er wird aktive Heilkräfte entwickeln können, durch die er dem kranken Organismus seines Mitmenschen zu helfen vermag. Eine neue Epoche des Menschheitswirkens wird dies sein, die aus dem Menschen noch viel mehr einen bedeutsamen Mitarbeiter in der Genesis der Erde und des Kosmos machen wird, als je zuvor. Sakramentalismus. Novalis : »Wenn Gott Mensch werden konnte, kann er auch Stein, Pflanze, Tier und Element werden, und vielleicht gibt es auf diese Art eine fortwährende Erlösung in der Natur.«
Die Taten des Sohnes des Weltenschöpfers sind zugleich Inhalte einer wahren Religion, aber auch einer wahren Naturforschung. Allerdings einer Naturforschung im neuen Geiste. Dies ist von fundamentaler Wichtigkeit für eine jegliche Form von Kultus, von Sakrament, in unserer Zeit und der Zukunft. Gewiß sollte ein menschliches Denken, das noch der »Erbsünde« unterliegt, das mit den toten Gedanken materialistischer Naturbetrachtung des letzten Jahrhunderts belastet ist, nicht an das Wesen des Allerheiligsten tasten. Aber ein Denken, ein menschliches Bewußtsein, das von dem Streben erfüllt ist, die Erlöserkräfte auch im eigenen Denken walten zu lassen, wird, ja sollte nicht nur das Wesen der »Substanz«, sondern auch das Wesen der »Transsubstantiation« in sich aufnehmen. Denn wir leben nun einmal nicht mehr in einer Entwicklungsepoche des Nur-Empfindungsmäßigen, die weit hinter den Aufgaben der jetzigen Zeitperiode zurückliegt, wir beginnen zu überwinden die Epoche des Nur-Verstandesmäßigen und sehen uns nun vor die Aufgaben eines neuen Bewußtseins, der Bewüßtseinsseele, gestellt. Mögen Millionen noch eine Zeitlang das Wesen der Transsubstantiation im geheimnisvollen Schatten der mehr oder weniger egoistischen Empfindungserlebnisse hüten wollen, oder in das entgegengesetzte Extrem verfallen, durch die untauglichen Werkzeuge einer verstandesmäßigen Intellektualität in das lebendige Wesen dieser Vorgänge eindringen zu wollen; die toten Kräfte solchen Denkens werden schon an der Oberfläche reflektiert werden und niemals ins Innere eindringen können. Aber die Menschheit wird sich weder durch die aus früheren Epochen übernommene Dogmatik, noch durch die W a c h s m u t h , Äther. Bildekräfte.
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Selbsttäuschungen einer fehlenden Erkenntnis-Tapferkeit ewig von ihren durch die Fortentwicklung gestellten Aufgaben zurückhalten lassen. Und so wird sie doch auch das Wesen der Transsubstantiation und der Sakramente mit dem Lichte eines neuen Bewußtseins durchhellen müssen, eines Bewußtseins, daß nun seine Kräfte nicht vom Licht Luzifers, sondern vom Lichte Christi empfängt. Solche Aufgaben vorausahnend, hat eben der bedeutende Philosoph Friedrich Schlegel jene Worte gesprochen: »Nach der Ansicht, daß mit der Erscheinung Christi der Mensch der Oberherrschaft der Natur entrissen und zu Gott zurückgewandt wurde (weshalb denn auch eben Christus, teils dem Naturgesetz entzogen, teils die Natur besiegend und beherrschend, auch ihr ganz entsagend sich darstellt), erhält auch die Eucharistie eine ganz neue Bedeutung und Klarheit. In dieser neuen Ordnung der Dinge, wo Gott und in Gott auch der Mensch über der Natur steht, kann auch der mindeste, scheinbarste, unbedeutendste Teil der Natur verwandelt, verklärt und gleichsam vergöttlicht werden. Dieses Naturverhältnis des Christentums ist noch sehr wenig beachtet, aber sehr wichtig Der Begriff der Transsubstantiation gewinnt ein ganz anderes Ansehen, wenn man sich dieselbe als eine Wiederherstellung und Wiederbringung der verklärten Natur denkt, deren innigster Kern, der eigentliche Lebensstoff und Lebenssaft, ohnehin der Sohn ist.« Wir würden uns gegen den Sohn Gottes, der im Abendmahl vom Brote als von seinem Leib, vom Wein als von seinem Blut sprach, schwer versündigen, wenn wir ihn nicht als bis in die irdische Substanz hinein wirksam denken könnten. Wie die Priester der alten orientalischen Mysterien über »Flamme« und »Wort« als Werkzeuge der Einweihung des Neophyten verfügten, um ihn aus seiner Gebundenheit an das Nur-Physische zu lockern und mit dem geistigen Wesen der Dinge in unmittelbare bewußte Berührung zu bringen, so hat der Priester unserer Zeit die Sakramente. In den Riten verschiedener religiöser Strömungen, z. B. auch in den »ewigen Lampen« der katholischen Kirche und manchem Anderen, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann, lebt — den Menschen meist nicht mehr bewußt — noch ein ähnliches Element, wie in »Flamme« und »Wort«, das eigentlich einstmals als Werkzeug der Einweihung dienen sollte. Ein Wissen vom Wesen des Ätherischen wird hier manche verschütteten Quellen wieder öffnen, manchem sinn-los gewordenen wiederum seinen heiligen Sinn geben, aber eben in einer dem heutigen, so völlig gewandelten Menschheitsbewußtsein gerecht werdenden Form. Erinnern wir uns noch einmal in diesem Zusammenhang dessen, was über die ätherischen Wirkungen des gesprochenen Wortes gesagt 242
werden konnte: Es schwingt im Ätherleib eines Mitmenschen etwas Reales mit, wenn wir zu ihm sprechen, und ist durchaus wirksam in seinem ätherischen und somit auch in seinem physischen Organismus! Es ist durchaus nicht immer nur der abstrakte »Inhalt« von zu uns gesprochenen Worten, was uns innerlich »verletzt« oder »belebt«. Im gesprochenen Wort ist das Zusammenwirken von Geistig-Wesenhaftem, ätherischen Bildekräften und Substanz vollkommen. Diese Wirkung gilt aber nicht nur für den Menschen, sondern auch für andere irdische Substanz, in ihr liegt das Geheimnis der Transsubstantiation. Wenn wir uns weiterhin entsinnen, was sich für die Veränderung der menschlichen Sprachkräfte durch die Aufnahme der durch Christus der Erde wiederum verliehenen reinen Kräfte des Klang- und Lebensätherischen ergab, für die Wiedergewinnung des verlorenen Wortes, des Logos, so eröffnen sich hierin für den Priester der Zukunft die erhabensten Perspektiven. Aber solche Kräfte wird er gewiß nicht nur durch äußere Examina, sondern vielmehr durch innere Prüfungen, Wandlungen, sich erwerben können. Nimmt er aber in seinen ätherischen Leib solche reinen Kräfte auf, so durchchristet er nicht nur sich selbst, sondern er vermag durch Wort und Handlung auch real zu durchchristen seine Mitmenschen um ihn und sogar die Substanz. Er wird so die heilige Handlung der Transsubstantiation bewußt und wirksam zu vollziehen vermögen. In diesem Sinne wird ein jeder, der diesen Wandel in sich vollzieht, sein eigener Priester sein, aber auch die Fähigkeit erwerben, anderen Mitmenschen zu helfen, die vielleicht noch nicht aus eigener Kraft den Wandel vollziehen können. Das Priestertum dieser Art ist nicht nur ein solches, das ausgerüstet ist mit theologischem Wissen und Können, sondern es ist ein Priestertum als Träger der christlichen Kraft. Es liegt uns fern, hier auf die einzelnen Sakramente eingehen zu wollen, denn dies würde über den gegebenen Rahmen zu weit hinausführen. Hier genügt es zunächst, sich bewußt zu werden, wie die Sakramente im allgemeinen mit dem Wesen des Ätherischen eng verknüpft sind. Wohl nirgends sind Natur und Religion so innig verbunden, wie in den heiligsten Handlungen des Menschen, den Sakramenten. Mit der Einsetzung der Transsubstantiation stellte der Sohn des Weltenschöpfers dem Menschen eine neue, unermeßliche Welten-Aufgabe. Denn der Mensch soll nicht nur den Leib Christi im Brot des Abendmahls heiligen, sondern er soll im Leib der Erde den Leib Christi sehen. Und was der Mensch im Sinne des Sohn-Gottes am Leib der Erde tut, ist eine immer umfassender werdende durchgeistigte Verwandlung der Substanz. Die Aufgabe der Menschheit ist die Transsubstantiation der Erde. 243
XIV. Kapitel. Ü b e r die xiierarcliien. Novalis : »Nur wenrvVir uns, als Menschen, mit anderen Vernunftwesen vergleichen könnten, würden wir wissen, was wir eigentlich sind, auf welcher Stelle wir stehen.«
In allen Epochen der Geschichte hat es Menschen gegeben, die aus geistigen Welten Offenbarungen empfingen, zu ihren Ideen und Handlungen inspiriert wurden. Es genügt nicht, die Genesis des auf Erden dadurch Bewirkten nur vom Gesichtspunkte des Empfangenden, des Menschen, anzuschauen, wir müssen auch die Frage nach den Schenkenden, den Inspiratoren, wagen, damit wir wissen, welchen Weg wir eigentlich gehen und ob es der rechte ist. Novalis nannte einmal in genialer Eindeutigkeit (Fragm. 46): »Piatos Ideen: Bewohner der Denkkraft, des inneren Himmels«, und er sagt: »Die Menschenwelt ist das gemeinschaftliche Organ der Götter.« Wenn wir Naturforschung und Religion aus ihrer uns innerlich zerstörenden Trennung befreien wollen, wenn wir nach det Forderung des Novalis uns »mit anderen Vernunftwesen vergleichen« wollen, um daran zu erkennen, »was wir eigentlich sind, auf welcher Stelle wir stehen«, so dürfen wir nicht nur hinschauen auf das, was an Naturreichen zwischen uns und der toten Substanz liegt, sondern auch auf das, was an Geistesreichen zwischen uns und der schöpferischen Gottheit west und wirkt. Wir waren bei Erforschung der Ursachen aller Bewegung im Kosmos zu folgendem Ergebnis gelangt: Wir können die sämtlichen Bewegungsvorgänge im Kosmos einteilen in solche, bei denen wir diejenige Wesenheit, aus deren »Willen« sie entsprungen sind, in unmittelbar sinnlich-physischer Anschauung kennen lernen können (z. B. den Menschen), und solche Bewegungsvorgänge, bei denen der allererste Antrieb zur Bewegung sich unserer Anschauung entzieht, d. h. bei denen wir die Wesenheit, aus deren Willen die Bewegung entspringt, nicht kennen (Band I.Auflage 2, Seite 30) u. a. O. (Seite 34): So drängt sich uns die zweifache Frage auf: 1. Mit welchen Bewüßtseinsvorgängen sind auch jetzt noch diejenigen Kräftewirksamkeiten und von ihnen veranlaßten Bewegungs244
Vorgänge im Kosmos verknüpft, die nicht von einem menschlichen Ich ihren Anstoß erhalten, und 2. gibt es wissenschaftlich exakte Methoden zur Erforschung anderer Bewußtseinszustände, als es das normale Gegenstandsbewußtsein des Menschen unseres Jahrhunderts ist? Für eine solche Weltbetrachtung ist der Weltenäther, das Ätherische, der beste Wegweiser und der sicherste Vermittler der Erkenntnis. Denn durch das Ätherische bewegt, lenkt, metamorphosiert, schafft und zerstört die geistige Welt die physische Welt. Für eine solche Weltbetrachtung ist der »Geist« nicht nur etwas, was durch ein Protoplasmamolekül »festgehalten« werden kann, oder — wie der moderne naturwissenschaftliche Materialismus meint — überhaupt erst aus der Substanzwelt entstanden ist. Nein, für eine solche Weltbetrachtung ist der Geist das Primäre, die sich metamorphosierende, bewegende Substanz das Sekundäre, sie ist von ihm erschaffen, erhalten, gestaltet und fortentwickelt, sie ist eine seiner Manifestationen, seiner »Erscheinungs«Formen, die er auch wieder auflösen kann, nachdem er sie, in ihr als tätiges Prinzip wirkend, vom Unvollkommenen zum Vollkommenen geführt hat. Das Geistige, Wesenhafte, ist auch heute noch ständig die letzte Ursache aller Bewegung, d. h. auch alles Lebens im Kosmos. — Die sinnlich wahrnehmbare, ewig bewegte Welt ist also eine Manifestation der im Tun begriffenen Ideenwelt, der wesenhaften Geistwelt. Diese im Tun begriffene geistige Welt lebt sich aus in der Natur außer uns, aber auch in uns, ja sogar auch in den aus geistigen Welten empfangenen Offenbarungen des Menschen, in vielen seiner Ideen, — wie Novalis es nennt — »als Bewohner der Denkkraft, des inneren Himmels.« Über jene schöpferischen Mächte, die in unserer Innenwelt und auch im Werdeprozeß der Natur webend und wirkend tätig sind, haben schon die bedeutendsten Menschen aller Zeiten nachzuforschen gestrebt, und wenn auch das materialistische Zeitalter dieses wesentlichste Problem negierte oder doch ignorierte, so kann sich die Zukunft doch nicht innerhalb des so beängstigend engen Horizonts dieser an ihr Ende gelangten Entwicklungsepoche begrenzen. Die zukünftige Naturforschung muß die Hierarchienlehre in den Horizont ihres Forschungsbereichs einbeziehen, wenn sie viele ihrer wesentlichsten Probleme lösen will. Wenn wir im folgenden zunächst als Beispiel einer geschichtlichen Betrachtung die Werke des Dionysius Areopagita wählen, so ist es nicht, weil er uns als Beweis des zu Erforschenden dienen soll, — hierfür dienen die später genannten Quellen—sondern vor allem, weil seine Terminologie dem christlichen Gedankenkreis schon eingeordnet ist, wobei wir die Frage, in welchem Jahrhundert nach Christus er seine Werke geschrieben hat, für das hier zu Erforschende als ganz belanglos erachten können. 245
Analoge Gedankengänge finden sich ja bei so manchen anderen christlichen Kirchenvätern, so bei Gregor von Nazianz, Clemens von Alexandrien, Thomas von Aquino u. a. Dionysius sagt*) (Seite 33): »Die Offenbarung hat den sämtlichen himmlichen Wesen neun Namen gegeben, die über sie Aufschluß bieten. Der göttliche Lehrer, der uns in die heilige Wissenschaft einweihte, gruppiert sie in drei dreiteilige Ordnungen (30) Wir behaupten nun, daß in jeder heiligen Ordnung die höhern Abteilungen auch die Erleuchtungen und Kräfte der tieferstehenden besitzen, daß dagegen die letzten Stufen der Vorzüge der höhern nicht teilhaftig sind . . . . . . . weil alle himmlischen Mächte in Hinsicht auf die Gottähnlichkeit und die aus Gott strömende Lichtfülle einen schwächeren oder intensiveren Anteil besitzen (48) Denn das ist überhaupt ein von dem göttlichen Prinzip aller Ordnung in gottgeziemender Weise aufgestelltes Gesetz, daß die Glieder der zweiten Ordnung durch Vermittlung der ersten an den urgöttlichen Einstrahlungen teilhaben. (66) Um deutlicher zu sprechen und natürliche, naheliegende Beispiele zu gebrauchen (mögen sie auch Gott gegenüber, der über alles erhaben ist, unzulänglich sein, so sind sie doch für uns anschaulicher), der mitgeteilte Sonnenstrahl geht durch die erste Materie, welche durchleuchtbarer als alle andern ist, ohne Widerstand ein und läßt durch sie hindurch seine eigenen Glanzlichter aufblitzen. Wenn er aber auf die dichteren Stoffe fällt, so ist sein mitgeteiltes Licht mehr verdunkelt, weil die erleuchteten Gegenstände kein günstiges Verhältnis für Vermittlung der Lichtspendung besitzen, und infolge davon wird der Strahl allmählich nahezu bis zur vollständigen Unmöglichkeit des Weiterdringens aufgehalten. Die Wärme des Feuers desgleichen teilt sich mehr den dafür empfänglicheren Stoffen mit, welche sich zur Verähnlichung mit ihm gut eignen und erheben lassen. An den widerstrebenden, entgegengesetzten Stoffen dagegen erscheint entweder gar keine oder nur eine dunkle Spur von der in Feuer verwandelnden Wirkung Nach dem gleichen Gesetz nun, das in der physikalischen Ordnung herrscht, läßt auch das ursprüngliche Ordnungsprinzip jeder sichtbaren und unsichtbaren Ordnung übernatürlicher Weise den Glanz der von ihm ausgehenden Lichtspendung in allseligen Ergießungen den höchsten Wesen im ersten Erscheinen aufleuchten und durch diese nehmen dann die nach ihnen folgenden Wesen am göttlichen Strahle teil So ist also Gott für alle, die erleuchtet werden, von Natur aus wesentlich und eigentlich Prinzip der Erleuchtung, da er wesenhaftes Licht und Urheber des Seins und Sehens selber ist . . . . . . (68) Die Ordnungen der tieferstehenden Wesen haben zwar an der Kraft des Erglühens, an der Weisheit, der Erkenntnis, der Aufnahme Gottes Anteil, aber in einem verminderten Anteil, indem sie auf die ersten Wesen schauen und durch sie, die in erster Wirkung der Nachahmung Gottes gewürdigt sind, zu der erreichbaren Höhe der Gottähnlichkeit erhoben werden. Daher führen sie die erwähnten heiligen Eigenschaften, an welchen vermittels der ersten Wesen die nach ihnen folgenden Anteil gewinnen, nächst Gott auf eben dieselben (ersten) als Hierarchien zurück (58) Alle Chöre der Engel sind aber Offenbarer und Künder derer, die vor ihnen sind, die vornehmsten sind Offenbarer Gottes, ihres Bewegers; in entsprechendem Maße sind dann die übrigen Engel Offenbarer der von Gott bewegten Geister * Dionysius Areopagita, Himmlische Hierarchie, Aus dem Griechischen übersetzt v. J. Stiglmayr. S. J. Koesel, Kempten 1911. 246
(19) Zweck der Hierarchie ist also die möglichste Verähnlichung und Einswerdung mit Gott. Hierbei hat sie ihn selbst zum Lehrmeister in jeglicher hierarchischen Erkenntnis und Wirksamkeit, blickt zu seiner göttlichen Schönheit unverwandt empor, gibt dieselbe soweit als möglich im Nachbild wieder und vervollkommnet ihre Mitglieder zu göttlichen Bildern, zu lautersten, fleckenlosen Spiegeln, welche imstande sind, den urgöttlichen Strahl aus der Urquelle des Lichtes in sich aufzunehmen, zu spiegeln, welche dann, von dem einstrahlenden Glanz heilig erfüllt, diesen hinwieder neidlos "über die nächstfolgenden Ordnungen leuchten lassen, so wie es den urgöttlichen Satzungen entspricht Demnach besagt der Ausdruck » Hierarchie« eine gewisse ganz heilige Institution, ein Abbild der urgöttlichen Schönheit, welches in hierarchischen Abstufungen und Erkenntnissen die Mysterien der entsprechenden Erleuchtung heilig auswirkt und Verähnlichung mit dem eigenen Urbild, soweit es nur immer geschehen kann, hervorbringt. Denn für jedes Mitglied der Hierarchie besteht die Vollendung darin, daß es seinem zuständigen Grade entsprechend zum Nachbild Gottes erhoben werde, ja daß es wahrhaftig, was noch göttlicher als alles andere ist, wie die Schrift sagt, zu einem Mitwirkenden mit Gott werde und in sich selbst die göttliche Wirksamkeit nach Möglichkeit zeige und hervortreten lasse. Durch die Stufenordnung der Hierarchie ist es bedingt, daß die einen gereinigt werden, die anderen reinigen, daß die einen erleuchtet werden, die anderen erleuchten, daß die einen vollendet werden, die anderen vollenden. Und wie nach diesem Gesetze einem jeden das Nachbild Gottes angemessen sein wird, so wird er zur Teilnahme an Gottes Wirken erhoben werden (58) Auch das dürfte ich wohl hinzufügen, daß selbst jeder einzelne himmlische und menschliche Geist für sich erste, mittlere und letzte Ordnungen und Kräfte eigentümlich besitzt Gemäß diesen Ordnungen und Kräften erlangt jeder einzelne Geist in dem ihm zustehenden und erreichbaren Maße Anteil an der überheiligsten Reinheit, dem übervollen Lichte, der absoluten Vollendung. (53) Das Leben, das wir haben, ist nämlich nicht dem Zwange unterworfen und wegen der Willensfreiheit derer, welche Gegenstand der Vorsehung sind, wird das göttliche Licht der von der Vorsehung ausgehenden Einstrahlungen nicht verdunkelt, sondern entweder macht die heterogene Beschaffenheit der geistigen Augen die Teilnahme an der übervollen Lichtspendung der väterlichen Güte ganz unmöglich und läßt sie vergeblich abprallen, oder sie bewirkt verschiedene Grade der Mitteilung (4) Denn es ist unserm Geiste gar nicht möglich, zu jener immateriellen Nachahmung und Beschauung der himmlischen Hierarchien sich zu erheben, wofern er sich nicht der ihm entsprechenden handgreiflichen Führung bedienen wollte. Und diese findet er darin, daß er die in die äußere Sichtbarkeit tretenden Schönheiten als Abbilder der unsichtbaren Herrlichkeit studiert (7) Denn ganz natürlich hat sich die Offenbarung bei den gestaltlosen Geistern der dichterischen heiligen Gebilde bedient, weil sie, wie gesagt, auf unser Erkenntnisvermögen Rücksicht nahm (13) Man kann also für die himmlischen Wesen auch aus den niedrigsten Elementen der Materie Gestalten formen, welche nicht unpassend sind. Denn auch die Materie hat ihr Dasein von dem wahrhaft Schönen und besitzt durch alle Reiche ihrer Stoffwelt hindurch gewisse Nachklänge der geistigen Schönheit. Vermittels derselben vermag man sich zu den immateriellen Urbildern zu erheben«
Dionysius spricht, wie er selbst sagt (Seite 86), von den Kräften, Tätigkeiten und Bildern der Engel, d. h. der Hierarchien überirdischer 247
Wesenheiten. Die christliche Terminologie hat ja in Anlehnung an diese Schriften und die anderer Kirchenväter, den Wesenheiten der 3 Hierarchien die folgenden Namen gegeben: Seraphim Cherubim Throne Kyriotetes Dynamis Exusiai Archai Archangeloi Angeloi Aus ganz anderen Quellen, aus unmittelbarer Erforschung der geistigen Welt, hat Rudolf Steiner das Wesen und Wirken der Hierarchien dargestellt, und wenn bei den altorientalischen und auch den frühchristlichen Schriftstellern im wesentlichen nur die Möglichkeit betont wird, den Zusammenhang der Wesenheiten der einzelnen Hierarchien mit dem Sein und Werden der verschiedenen Naturreiche darzutun, hat Rudolf Steiner durch die Ergebnisse seiner Forschung diesen Weg auch wirklich beschritten und für ein Erkennen der im Werdegang von Kosmos, Erde und Mensch waltenden geistigen Impulse unerschöpfliche Zukünftsperspektiven eröffnet. Er sagt in seinem Vortragszyklus über »Die Mission einzelner Volksseelen« (Seite 1): »Für eine wirkliche Psychologie der Völkercharaktere kann die anthropologische, ethnographische, selbst die historische Betrachtung der gewöhnlichen Wissenschaft keine ausreichende Grundlegung geben. Man kommt mit dem von dieser Wissenschaft Gebotenen nicht weiter, als man mit der Anatomie und Physiologie kommt für eine Erkenntnis des Seelenlebens des Menschen. Wie man bei dem einzelnen Menschen vom Leibe zur Seele fortschreiten muß, wenn man sein inneres Leben kennen lernen will, so muß man für die Völkercharaktere zu dem ihnen zugrundeliegenden Seelisch-Geistigen vordringen, wenn man eine wirkliche Erkenntnis derselben anstrebt. Dieses Seelisch-Geistige ist aber nicht ein bloßes Zusammenwirken der Einzelseelen der Menschen, sondern es ist ein diesen übergeordnetes SeelischGeistiges. Ein solches zu betrachten, ist der gegenwärtigen Wissenschaft ganz ungewohnt. Vor ihrem Forum ist es paradox, von Volksseelen als von wirklichen Wesenheiten zu sprechen, wie man vom wirklichen Denken, Fühlen und Wollen des einzelnen Menschen spricht. Und ebenso paradox ist es vor diesem Forum, die Völkerentwicklung auf der Erde in Zusammenhang zu bringen mit den Kräften der Himmelskörper des Weltraumes. Man braucht aber, um die Sache nicht mehr paradox zu finden, sich nur zu erinnern, daß niemand die Kräfte, welche eine Magnetnadel in der Nord-Süd-Richtung
einstellen, innerhalb der
Magnetnadel
selbst suchen wird. Er schreibt sie der Wirkung des Erdmagnetismus zu. Er sucht die Gründe für die Richtung der Nadel im Kosmos. Wird man also nicht die Gründe für die Entwickelung von Volkscharakteren, Volkswanderungen usw. außerhalb der Volkszusammenhänge im Kosmos suchen dürfen? Von der anthroposophischen 248
Anschauung ganz abgesehen, für die höhere geistige Wesen eine Wirklichkeit sind, kommt für den Inhalt dieser Betrachtung noch ein ganz anderes in Betracht. Dieser Inhalt legt allerdings eine höhere geistige Wirklichkeit der Völkerentwicklung zugrunde, und er sucht die Kräfte, welche dieser Entwicklung die Richtungen geben, in einer solchen Wirklichkeit. Allein die Betrachtung steigt dann herab zu den Tatsachen, die im Leben der Völker zutage treten. Und da zeigt es sich, daß diese Tatsachen durch diese Grundlegung verständlich werden. Man kann dadurch die Lebensverhältnisse der einzelnen Völker sowohl, wie auch ihre gegenseitigen Beziehungen durchschauen, während es ohne eine solche Grundlegung ein wahres Erkennen auf diesem Gebiete nicht gibt. Man muß entweder auf eine Völkerpsychologie verzichten, oder man muß für sie eine Grundlegung in einer geistigen Wirklichkeit suchen. — Ich habe mich nicht gescheut, für die höheren geistigen Wesenheiten die Namen anzuwenden, welche in den ersten christlichen Jahrhunderten üblich waren. Der Orientale würde andere Namen wählen. Doch wenn man auch heute das Anwenden solcher Namen wenig »wissenschaftlich« finden kann, so scheint es mir doch richtig, vor solcher Anwendung nicht zurückzuschrecken; erstens wird dadurch dem christlichen Grundcharakter unsrer abendländischen Kultur Rechnung getragen, zweitens ist dadurch doch noch eher eine Verständigung möglich, als wenn völlig neue Namen gewählt würden, oder wenn orientalische Bezeichnungen übernommen würden,, deren wahrer Inhalt doch nur demjenigen gegenwärtig sein kann, der in dem entsprechenden Kulturzusammenhang seelisch darinnen steht. Mir schwebt doch die Möglichkeit vor, daß derjenige, welcher in diese geistigen Zusammenhänge eindringen will, sich, wenn er die Sache als solche nicht ablehnt, an Namen wie Engel, Erzengel, Throne usw. ebensowenig stoßen wird, wie er dies in der physischen Wissenschaft gegenüber Benennungen wie positive und negative Elektrizität, Magnetismus, polarisiertes Licht usw. tut.«
Wir wollen nun an einem Beispiele das Wirken der Hierarchien in der Natur zu veranschaulichen suchen. Rudolf Steiner hat die Beziehungen der verschiedenen Hierarchien zu den Naturreichen in der mannigfaltigsten Weise erläutert. Da wir es hier jedoch vornehmlich mit dem Gebiet des Ätherischen zu tun haben, so wollen wir dieses Walten der geistigen Wesenheiten in den Naturvorgängen am Beispiele der Erzengel-Wesenheiten zu veranschaulichen suchen, die in gewisser Weise für die Wirksamkeit gerade im Ätherischen am bedeutsamsten sind. Da die Erzengel-Wesenheiten ihre Impulse insbesondere auf die Völkerzusammenhänge ausüben, diese aber, wie wir in den vorigen Kapiteln darstellten, mit den ätherischen Einflüssen der verschiedenen Erdgebiete individuell verbunden sind, so wird sich die Erkenntnis dieser Zusammenhänge mit den im Vorigen angegebenen äthergeographischen Faktoren zu einem einheitlichen Bilde ergänzen. Wir dürfen vor allem niemals vergessen, daß wir es bei diesen Phänomenen in der Natur fast immer mit einer Dreiheit zu tun haben: 1) einer die betreffenden Bewegungs- und Verwandlungsvorgänge im'pulsierenden Wesenheit, 2) mit den bewegenden, formenden, verwandelnden ätherischen Bildekräften, 3) mit der bewegten, geformten, verwandelten Substanz. 249.
Schließlich müssen wir auch bedenken, daß das Verhältnis dieser Dreiheit untereinander Entwickelungen und Veränderungen unterworfen ist, daß also z. B. eine Wesenheit eine Zeitlang mit diesen, dann mit jenen Bildekräften in der Substanz wirksam sein und ihre Evolutionen ausführen wird, oder daß sie zeitweise bis in die Substanz hinein, zeitweise aber nur im Bereich des Ätherischen wirksam sein wird. Rudolf Steiner sagt über die Wirksamkeit der Erzengel, daß im Gegensatz zum Menschen, welcher als Ich-Wesenheit in seiner Erdentätigkeit einen physischen Substanzleib an sich trägt und dessen Entwicklung zur wesentlichen Aufgabe hat und nur diesen bewußt dirigieren kann, es sich bei jenen hingegen um Wesenheiten handelt, »die zwei Stufen über uns stehen, Wesenheiten, in denen wir gleichsam vorausgenommen sehen, was wir selber in Zukunft erleben werden, wir blicken zu ihnen auf als zu solchen Wesen, die heute arbeiten an ihrem Ätheroder Lebensleib« »Wesenheiten, die sozusagen im Umkreis unserer Erde wirken, die in der geistigen Atmosphäre unserer Erde enthalten sind mit ihrem Ich« »Wenn wir uns solche Wesenheiten denken, die also auf der Stufe der geistigen Hierarchien stehen, die wir Erzengel nennen, haben wir einen Begriff von dem, was man Volksgeister nennt, was man die dirigierenden Volksgeister der Erde nennt. Die Volksgeister gehören in die Stufe der Archangeloi oder Erzengel. Wir werden sehen, wie sie ihrerseits den Äther- oder Lebensleib dirigieren, und wie sie dadurch wieder hineinwirken auf die Menschheit und diese in ihre eigene Tätigkeit hineinbeziehen. Wenn wir die Mission dieser Wesenheiten erkennen — Inspiratoren der Völker sind diese Wesenheiten — dann können wir sagen, was ein Volk ist. Ein Volk ist eine zusammengehörige Gruppe von Menschen, welche von einem der Archangeloi, einem der Erzengel, geleitet wird.« »Genau so, wie wir als Menschen auf der Erde den Zustand durchmachen, den wir den selbstbewußten Menschheitszustand nennen, so haben während früherer Zustände unserer Erdenentwickelung, während des alten Monden-, Sonnen- und Saturnzustandes andere Wesen die Stufe durchgemacht, die wir heute auf der Erde durchmachen. Es ist dabei ziemlich gleichgültig, ob man mit der Terminologie, die man im Orient gebraucht, oder mit derjenigen, die mehr im Okzident üblich ist, die Wesenheiten benennt. Diejenigen Wesenheiten, die während des Mondzustandes unserer Erde auf der Stufe standen, auf der der Mensch heute steht, und die die nächsthöheren Wesenheiten sind, die über uns stehen, nennen wir in der Terminologie der christlichen Esoterik Angeloi oder Engel. Sie stehen eine Stufe höher als der Mensch, weil sie um eine Epoche früher ihre Menschheitsstufe absolviert haben, so daß diese Wesenheiten dasjenige, was wir heute sind, dazumal während des alten Mondenzustandes waren. Sie waren es aber nicht so, daß sie damals auf dem » Monde« herumgegangen wären wie die Menschen heute auf der »Erde«. Sie waren Wesenheiten auf der Menschheitsstufe, aber sie lebten nicht im Fleische, wie der Mensch heute. So entsprach nur ihre Stufe der Entwicklung dem Menschsein, das der Mensch heute durchmacht. Ebenso finden wir Wesenheiten noch höherer Art, die Erzengel,
welche während des alten »Sonnen «-Zustandes die Menschheitsentwicklung durchgemacht haben. Wenn wir noch weiter zurückgehen, bis zur ersten Verkörperung unseres Erdendaseins, bis zum »Saturn«-Zustand, da finden wir, daß da diejenigen Wesenheiten ihre Menschheitsstufe durchgemacht haben, die wir als »Geister der Persönlichkeit«, Archai, »Urbeginne« bezeichnen, so daß wir, wenn wir bei diesen Wesenheiten beginnen, die also in urferner Vergangenheit, während des alten » Saturn«Zustandes Menschen waren, und dann die Verkörperungen der Erde verfolgen bis auf unseren Zeitpunkt, vor uns haben die Entwickelungsstufen der Wesen bis herunter zu unserer Wesenheit. Wir können also sagen: Archai waren »Menschen« auf dem alten Saturn; Erzengel, Archangeloi waren »Menschen« auf der alten Sonne; Engel oder Angeloi waren »Menschen« auf dem alten Mond; wir Menschen sind »Menschen« auf unserer jetzigen Erde.«
Mit Recht sagt Novalis: »Nur wenn wir uns, als Menschen, mit anderen Vernunftwesen vergleichen könnten, würden wir wissen, was wir eigentlich sind, auf welcher Stelle wir stehen.« Diese Forderung hat Rudolf Steiner erfüllt, indem er uns in der Darstellung der Entwicklungsstufen sowohl der Leiblichkeit als der Bewußtseinsformen der Wesenheiten den Schlüssel zu deren Genesis und weiteren Entwicklungsgesetzen gegeben hat, ja sogar eine »Erkenntnistheorie« für die Bewußtseinsstufe solcher Wesenheiten, die naturgemäß völlig anders geartet sein muß, als diejenige für das heutige Bewußtsein der Menschenwesenheit. Er sagt über die Wahrnehmungsart jener Wesen: »Denken Sie sich diese Wesenheiten als in eine Welt schauend, die nicht das Mineralische, Pflanzliche und Tierische erreicht. Denken Sie, daß dafür deren Blick, der ein geistiger ist, auf ihr Weltbild hingerichtet ist, und daß sie da Mittelpunkte wahrnehmen. Diese Mittelpunkte sind die menschlichen Iche, um die sich wieder etwas gruppiert, das wie eine Art Aura aussieht. Da haben Sie das Bild, wie das Erzengelwesen heruntersieht auf die Persönlichkeiten, die das Volk ausmachen, das zu dem Erzengel gehört. Seine Welt besteht aus einem astralischen Wahrnehmungsfelde, in dem gewisse Zentren darin sind. Diese Zentren, diese Mittelpunkte sind die einzelnen menschlichen Persönlichkeiten, sind die einzelnen menschlichen Iche. Also gerade so, wie für uns Farben und Töne, Wärme und Kälte im Wahrnehmungsfeld liegen und für uns die bedeutsame Welt sind, so sind für die Erzengelwesen, für die Volksgeister wir selbst mit einem Teil unseres Innenlebens das Wahmehmungsfeld, und wie wir in die Außenwelt hineingehen und diese bearbeiten und umgestalten zu Instrumenten, so sind wir diejenigen Objekte — insofern wir zu diesem oder jenem Volksgeist gehören, — welche zu dem Arbeitsfelde der Erzengel oder Volksgeister gehören. Da sehen wir hinein, so sonderbar das auch klingen mag, in eine höhere Erkenntnistheorie der Erzengel. Diese ist nämlich eine ganz andere, als die Erkenntnistheorie der Menschen.«
Wie nun einerseits die ganze geistig-seelische und physische Struktur eines Volkes, in der Art wie es in den vorigen Kapiteln erörtert würde, mit den ätherischen Bildekräften zusammenhängt, welche in dem von diesem Volke belebten Erdgebiet den Erdboden, das Wasser, die Atemluft, die Atmosphäre usw. durchsetzen, so wirkt andererseits auf jene besondere ätherische Sphäre nun auch die mit jenem Volke verbundene Erzengelwesenheit ein. Rudolf Steiner sagt hierüber: 251
»Für das hellseherische Bewußtsein erhebt sich in der Tat über jedem Fleck unserer Erde dieses eigentümliche geistige Wolkengebilde, das man bezeichnen muß als die Äther-Aura eines besonderen Erdengebietes. Diese Äther-Aura ist anders, ganz anders über den Gefilden der Schweiz, als über den Gefilden Italiens und wieder anders über den Gefilden Norwegens, Dänemarks oder Deutschlands usw. So wahr jeder Mensch seinen eigenen Ätherleib hat, so wahr ist über jedem Gebiete unserer Erdoberfläche eine Art Äther-Aura aufgetürmt. Diese Äther-Aura nun unterscheidet sich sehr wesentlich von anderen ätherischen Auren, sagen wir von den ätherischen Auren der Menschen. Wenn wir einen Menschen betrachten, der im Leben steht, dann finden wir, daß die Äther-Aura des Menschen an diesen Menschen gebunden ist, so lange er lebt, d. h. von der Geburt bis zum Tode. Sie war also sozusagen verbunden mit seinem physischen Leibe und ändert sich eigentlich nur insoweit, als der Mensch im Leben eine Entwicklung durchmacht, wenn er in bezug auf Intelligenz, Moral usw. höher steigt. Dann aber sehen wir immer, daß diese ÄtherAura des Menschen sozusagen von innen heraus sich ändert, gewisse Einschlüsse bekommt, die von innen aufglänzen, aufleuchten. Anders ist das bei jenen ÄtherAuren, welche über den verschiedenen Ländergebieten wahrzunehmen sind. Gewiß, sie haben durch lange Zeiten hindurch einen gewissen Grundton, und sie haben etwas, was durch lange Zeiten hindurch bleibt. Aber es gibt in diesen Äther-Auren auch rasch sich vollziehende Änderungen, und diese rasch sich vollziehenden Änderungen sind das, was diese Auren von den menschlichen Auren unterscheidet, die sich langsam und allmählich ändern, und wenn sie sich ändern, diese Änderung nur von innen heraus vollziehen. Diese Auren über den verschiedenen Ländergebieten ändern sich nämlich im Laufe der Entwicklung der Erdenmenschheit dann, wenn ein Volk seinen Wohnsitz verläßt und von einem anderen Erdengebiet Besitz ergreift. Das ist das Eigentümliche, daß in der Tat die Äther-Aura, die über einem bestimmten Erdengebiete ist, nicht allein abhängt sozusagen von dem, was aus dem Boden aufsteigt, sondern daß sie davon abhängt, welches Volk zuletzt seinen Wohnsitz auf diesem Erdengebiet aufgeschlagen hatte. So suchen diejenigen, welche die Geschicke unseres Menschengeschlechtes in ihrer wahren Gestaltung auf der Erde verfolgen wollen, das Ineinandergreifen gerade dieses Teiles der Äther-Auren unserer Erdengebiete zu verfolgen. Sehr, sehr änderten sich die verschiedenen Äther-Auren Europas in der Zeit, die man als die Zeit der Völkerwanderung bezeichnet. Daraus sehen Sie schon, daß in dieser Äther-Aura über einem Erdengebiete etwas veränderlich ist, das in der Tat plötzlich sich umändern kann, und diese Umänderung kann in gewisser Beziehung sogar von außen gebracht werden. So ist eine jede solche ÄtherAura in gewisser Beziehung ein Zusammenfluß von dem, was aus dem Boden stammt und von dem, was sozusagen durch die Wanderungen der Völker hineingetragen w i r d . . . . . . Das, was den physischen Augen entgegentritt in der grünen Pflanzendecke der Erde, der eigentümlichen Konfiguration des Bodens usw., das ist im Grunde genommen nur äußerliche Illusion; das ist gleichsam eine Verdichtung dessen, was in der Äther-Aura wirkt. Allerdings ist nur dasjenige von dem Äußerlichen von dieser Äther-Aura abhängig, worauf die Äther-Aura, d. h. ein sich lebendig organisierendes Prinzip Einfluß haben kann. Die Erzengel, die die geistigen Gesetze inne haben, können nicht in die physischen Gesetze eingreifen. Da hinein, wo also bloß die physischen Gesetze wirken und in Betracht kommen, wie bei den Gebirgsverhältnissen, der Wölbung des Bodens usw., dahin wo das, was die großen Änderungen des Volkes bedingt, abhängig ist von den physischen Verhältnissen, dahin reicht der Einfluß der Erzengel nicht; so weit sind die Erzengel in ihrer Entwicklung noch nicht daß sie in die physischen Verhältnisse eingreifen könnten. Weil sie das nicht können, weil sie da abhängig sind, deshalb müssen sie zu gewissen Zeiten über die Erde wandern.« . . . .
Wir hatten im Vorigen auch zu veranschaulichen versucht, wie die seelischen Temperamente des einzelnen Menschen mit der besonderen Struktur seines ätherischen Leibes zusammenhängen, über die Beeinflussung der Temperamente durch die ätherische Struktur des ganzen Volkes sagt Rudolf Steiner: »Die Äther-Aura des Volkes wirkt auf das cholerische, phlegmatische und sanguinische Temperament. Im allgemeinen also fließt das, was die Kraft der ÄtherAura des Volkes ist, in diese drei Temperamente hinein. Nun können diese Temperamente in der einzelnen menschlichen Individualität in der verschiedensten Weise gemischt sein und zusammenwirken. Unendliche Mannigfaltigkeit kann man sich da denken, wenn die drei Kräfte zusammenwirken, wenn die eine die andere beeinflußt, besiegt usw. Dadurch entsteht die mannigfaltigste Konfiguration, die uns z. B. in Rußland, Norwegen, Deutschland usw. verschiedenartig entgegentritt. Das macht den Volkscharakter des Menschen aus, was in die Temperamente hineinwirkt. Der Unterschied, der hier bei den einzelnen Individuen besteht, wird nur durch den Grad der Mischung bewirkt. Die Volkstemperamente sind also nach den Einwirkungen der Volksaura gemischt Denken Sie sich also nun — damit Sie sich das recht konkret vorstellen — den menschlichen Ätherleib in den Volksätherleib eingebettet; denken Sie sich dann das Ineinanderwirken von menschlichem Ätherleib und Volksätherleib, und denken Sie daran, daß sich der Volksätherleib in den Volkstemperamenten spiegelt, spiegelt in der Mischung der Temperamente der einzelnen Menschen«
Und über die Beziehungen der Erzengelwesenheiten zu diesen ätherischen Vorgängen in den verschiedenen Volksgebieten: »Aber auch sonst steht mit dem Leben dieses Erzengels das Leben des betreffenden Volkes, dem er vorsteht, in gewissem Zusammenhang. Gerade so, wie der Mensch aufsteigende und absteigende Perioden im Leben hat, eine aufsteigende Jugendzeit und die absteigende Zeit des Alters, so erlebt der Erzengel in der aufsteigenden und absteigenden Kultur eines Volkes seine Jugend und sein Alter Ebenso fühlt der Erzengel seinen Tod, die Notwendigkeit, sich von dem betreffenden Volke zurückzuziehen, wenn die einzelnen Wahrnehmungen, die Zentren, die er wahrnimmt, anfangen, weniger produktiv, weniger aktiv zu sein, wenn sie anfangen, weniger Inhalt zu haben. Dann kommt die Zeit, wo er eine solche Volksgemeinschaft verläßt So bedeutet das jugendlich aufsteigende Leben eines Volkes die Jugend des Volksgeistes, und er nimmt sie wahr als ein frisches, strömendes Element, in dem er lebt. Die absteigende Periode des Volkslebens nimmt er wahr als ein Dürrwerden der Zentren, die in seinem Wahrnehmungsgebiete sind Den persönlichen Dingen, die der Mensch dadurch erlebt, daß er Wahrnehmungen durch seine Sinne hat, steht der Erzengel, der das Volk leitet, fremd gegenüber. Aber da gibt es Vermittler, und es ist wichtig, daß wir verstehen, daß es solche Vermittler gibt. Das sind die Wesen, die wir Engel nennen, und die zwischen Erzengel und Mensch stehen Wir können uns also vorstellen, daß wir auf einem Gebiete der Erde ein Volk ausgebreitet haben, und über dieses Volk ist ausgebreitet die Volksaura, die ÄtherAura, und da spielen wieder die Kräfte des Volksgeistes hinein und modifizieren nach den verschiedenen Arten von Kräften den Ätherleib des Menschen. Das, was in diese Volksaura hineinspielt, das ist der Erzengel. Ihn denken wir uns als ein höheres Wesen, als ein Wesen, das in der Entwickelung zwei Stufen höher steht als der Mensch, das über dem ganzen Volke schwebt und die Anordnungen gibt in bezug auf das,
was dieses Volk im Großen zu erfüllen hat. Der Erzengel weiß, was getan werden muß während des Aufstrebens, während der Jugendfrische des Volkes; er weiß, zu welchen Verrichtungen de3 Volkes der Übergang von der Jugend zum Alter benutzt werden muß, damit seine Impulse richtig wirken können. — Diese großen Züge bildet der Erzengel; hier auf dem physischen Plan aber muß der einzelne Mensch arbeiten; hier muß der Mensch dafür sorgen, daß diese großen Ziele verwirklicht werden. Da stehen dann zwischen dem einzelnen Menschen und dem Erzengel die Engel als Mittelwesen, die den Menschen dann hindrängen zu dem Platze, an den er hingedrängt werden muß, damit im Völkerschicksal dasjenige geschieht, was den großen Anordnungen des Erzengels entspricht.«
Jene farbige Karte, die wir von der Äthergeographie Europas und der Erde überhaupt zeichneten (Seite 42 u. 127), sie erzählt also nicht nur von der verschiedenartigen Kräftekonfiguration der Erde in jenen Ländern, sie erzählt auch vieles von dem Wirken der geistigen Hierarchien, insbesondere der Erzengelwesenheiten, und deren Impulsen in jenen verschiedenen ätherischen Gebieten der Erde. Wir haben uns absichtlich ausführlicher mit der »Hierarchienlehre« in ihren historischen und praktisch-menschheitlichen Aspekten befaßt. Denn wir hatten schon am Beginn des I.Bandes (Aufl. 2, S. 37ff.) die geisteswissenschaftliche Beantwortung des Welträtsels vom Ursprung aller Bewegung dargelegt, daß auch heute noch geistige Wesenheiten letztlich, unmittelbar oder mittelbar, die Ursache zu allen Bewegungen im Kosmos geben, daß es keinen Bewegungsvorgang im Weltorganismus gibt, der nicht ursprünglich seine Impulse von irgendeiner wollenden Wesenheit empfangen hätte, der nicht mit Bewußtseinsvorgängen einer geistigen Wesenheit verknüpft wäre, mag diese nun ein im Erdenleben wirkender »Mensch« sein oder unter oder über dem Menschen stehen. Wir dürfen eben nicht bei einer »Erkenntnistheorie« des Menschenwesens stehen bleiben, sondern müssen eine solche auch für das ganz anders geartete Bewußtsein höherer Wesenheiten zu gewinnen suchen und dürfen vor allem nicht solche höheren Formen des Bewußtseins in den Horizont anthropomorpher Vorstellungen hineinzwängen wollen. Es gibt ja eigentlich nur ganz wenige fundamentale Fragen, welche Kopf und Herz des Menschen unserer Tage bewegen. Alles übrige sind Probleme sekundärer Bedeutung, die sich in Gefolgschaft jener Urfragen erst lösen oder komplizieren. Diese ersten Fragen sind; 1) gibt es eine geistige Führung der Menschheit, und wenn ja, wie greift sie ein in das Erden- und Menschen-Schicksal? 2) sind moralische und natürliche Weltordnung ineinander verwoben, oder gehen sie nebeneinander getrennte Wege? Was kann also die Brücke bilden zwischen Wissenschaft und Religion? 3) gibt es eine Erlösung von der »Erbsünde« des Denkens, gibt es eine Natur-Erkenntnis, in der die Taten der Wesenheit des Gott254
menschen, des Christus, verständlich sind, in deren Horizont der Weg des Menschen zur geistigen Welt erkennbar ist? Wir wollen uns zur Erörterung der ersten Frage nach dem Führertum an konkrete Beispiele unserer Zeit halten. Eine Persönlichkeit der Jetztzeit z. B„ welche auf die Schicksale eines Volkes, ja ganz Europas, einen vielumstrittenen, entscheidenden Einfluß ausübt, Benito Mussolini, gründet nach Erringung der höchsten Macht- und Führer-Stellung, unmittelbar nach Antritt seiner immerhin außergewöhnlichen Ministerpräsidentschaft eine Zeitschrift, welche den Titel trägt »Hierarchie« (Gerarchia). In der ersten Nummer dieser neuen Zeitschrift »Hierarchie«, deren Schicksal sich dann eng mit der geistigen Reifung der faszistischen Bewegung verkettete, die Europa in Atem hielt, erläutert Mussolini diesen Titel*), wie er ihn erfaßt wissen will: »Wer von Hierarchie spricht, meint damit die Rangstufen menschlicher Werte, die Abstufung der Verantwortlichkeit und der Pflichten; wer von Hierarchie spricht, meint Disziplin. Die Weltgeschichte zeigt uns ein Panorama von Hierarchien, die entstehen, leben, sich verwandeln, welken und sterben. Es handelt sich also darum, aus Hierarchien, die ihre Aufgabe nicht erschöpfend gelöst haben, die wahren Werte zu konservieren; es handelt sich darum, auf den Stamm mancher Hierarchien neue Lebenselemente aufzupfropfen; es handelt sich darum, neuen Hierarchien den Weg zu bereiten. Auf diese Weise wird der Ring zwischen Vergangenheit und Zukunft geschlossen.« Handelt es sich wirklich nur darum? Wie anders würde eine solche Führerpersönlichkeit vielleicht wirken können, wenn sie von der Grundlage ausginge, daß es nicht nur menschliche »Hierarchien« gibt, die man nach solchen Gesichtspunkten willkürlich modellieren kann, sondern daß die irdischen Hierarchien eine Fortsetzung, eine Spiegelung der himmlischen Hierarchien werden sollten. Durch die frühchristliche Gnosis und andere Weltströmungen kam schon vor anderthalb Jahrtausenden solches Wissen nach Rom. Es ist verschüttet worden. Aber das Problem der Menschheitsführung liegt doch immer noch, ja heute mehr denn je, in dem Wieder-offen-werden des Menschen für das Wissen um die himmlischen »Hierarchien« und um deren Willen. Zum Problem Geist und Volk meint Benito Mussolini weiterhin: »Aber der Staat darf, um stark zu sein und sich Achtung zu verschaffen, nicht das Individuum unterdrücken, das man .standardisiert', sozialisiert, taylorisieit hat, zur Freude aller Statistiker, wie es bei den hypertrophierten, sozialistischen und bürgerlichen Staaten der Fall ist: viel Oberfläche und größere Verwundbarkeit, wenig Inhalt und wenig Prestige. Es ist nicht nötig, daß der Staat Zigaretten liefert, den Tele* Aus M. G. Sarfatti: »Mussolinis Lebensgeschichte«. 255
phonverkehr regelt und Briefe zustellt. Er wird nur dann groß, wenn er von der Herrschaft über die Materie absieht und über den Geist herrscht.« — Wäre es nicht besser, wenn der Geist über den Staat herrschte, als der Staat über den Geist? Die »Mission einzelner Volksseelen«, in dem Sinne wie sie Rudolf Steiner zu erforschen lehrt, kann sub specie aetemitatis nur erfüllt werden, wenn Religion und Wissenschaft sich von neuem verbünden, um dem Menschen wiederum die Möglichkeit zu geben, in einheitlicher Erkenntnis die natürliche Weltordnung an die geistige Weltordnung anzugliedern. Das Schicksal der Völker und der einzelnen Menschen kann auf die Dauer nicht als Objekt eines irdischen Machtwillens, sondern nur als ein Glied im Organismus der Welt entziffert werden, wenn das Problem der Menschheitsführung gelöst werden soll. Das Wissen von dem konkreten Wirken der himmlischen Hierarchien und dem ätherischen Spektrum der Erde, das wir Menschen nicht geschaffen haben, sondern nur zu verbessern oder verschlechtern vermögen, kann uns diejenigen Gesichtspunkte für die heutige und zukünftige Menschheitsentwicklung geben, die nicht dem Augenblick, sondern dem dauernden Weltenplan untergeordnet sind. — Wir haben darzustellen versucht, wie die Völkerwanderungen, durch welche die geistbewußten Führer früherer Zeitepochen ihre Menschheitsgruppen in den verschiedenartigsten Teilen des ätherischen Kräftespektrums der Erde untertauchen ließen, es zur Folge hatten, daß die Menschen je nach ihrem Reifestadium neue Verjüngungs- oder Reifekräfte, erdhafteres oder erdfremderes Denken, Fühlen und Wollen, aus den Kräften der Erde und des Kosmos aufnehmen konnten, um neue Fähigkeiten zu erwerben, zu Schwaches zu stärken, überwucherndes auszugleichen. Dieses intime Zusammenwirken von Kosmos, Erde und Mensch kann nur den rechten harmonischen Entwicklungsweg in die Zukunft gehen, wenn es dem Menschen in das volle Bewußtsein heraufgehoben wird. Dann ist es kein Zwang mehr, denn bewußt Bejahtes liegt im Bereiche der Freiheit, der freien Mitarbeit. Im Nichtwissen von diesen Zusammenhängen liegt auch die Ursache unserer heutigen Führerlosigkeit, der Grund für das beängstigende Völker-Chaos unserer Zeit. Erkennen wir das Wesen des Ätherischen, so entdecken wir die Brücke zwischen physischer und geistiger Natur, wir verstehen die Vermittler-Kräfte, durch welche die geistigen Hierarchien am Organismus von Kosmos, Erde und Mensch modellieren, und wir lernen hineinschauen in den Weltenplan, dem sich eine bewußte Menschheitsführung eingliedern muß. Unsere erste Frage können wir dann bejahen: es gibt eine geistige Führung der Menschheit. Durch das Ätherische bewegt, schafft und zerstört, lenkt und metamorphosiert die geistige Welt das Geschehen der physischen Welt. Hierin liegt auch das Ineinanderverwobensein der moralischen und natürlichen Weltordnung. 256
Auch vom Schicksal des einzelnen Menschen wird uns vieles verständlich, wenn wir uns erinnern, daß der Mensch das ätherische Spektrum der Erde vor sich sieht, wenn er aus den geistigen Welten zur Geburt auf Erden herniedersteigt, und aus einem höheren Bewußtsein sich jenes Erdgebiet wählt, das ihm Substanzen und Kräfte zu geben vermag, die seinem Entwicklungsgang gemäß und notwendig sind. Albert Steffen spricht für den künstlerisch schaffenden Menschen hiervon in seinem Werk über »Die Krisis im Leben des Künstlers«*): »Ob sich nun der Schaffende mehr dem Gestein, den Metallen, dem Holz, der Farbe, dem Ton oder dem Worte zuwendet, ist Schicksal; das liegt in den wenigsten Fällen in der Macht eines Menschen. Freilich kann ein Schicksal auch in späterem Alter und nicht nur bei der Geburt wach werden. Aber das Wollen, das zwischen Geburt und Tod wirksam ist, kann nicht alles zwingen. — Man darf sagen: Es war Schicksal, das vor der Geburt seinen Ursprung hatte, daß Michelangelo den Marmor fand, aus dem er seine Gestalten meißelte; Schicksal, daß Goethe das innige Verhältnis zum Licht hatte, das seiner Farbenlehre zugrunde liegt; Schicksal, daß Rembrandt in die holländische Landschaft versetzt wurde.« — In dem gewiß berechtigten, häufig gebrauchten Satz: Zum Entdecker, zum Völker-Führer, zum Künstler muß man »geboren« sein, von Geburt an bestimmt sein, liegt kein fatalistischer Inhalt mehr, wenn man ihn im Sinne des vorgeburtlichen freien Verhältnisses von Erde und Mensch versteht, wo der Mensch die Kräftestrüktür der Erde, das Werk der Hierarchien, aus höherem Bewußtsein erkennt. Das Erdenschicksal ist aus dem höheren Bewußtsein des vorgeburtlichen Lebens, aus dieser intimeren Kenntnis der Erde frei gewählt. Im Erdenleibe untertauchen bedeutet ein Herabdämpfen jenes Bewußtseins. Je mehr der Mensch nun aber auch im Erdenleben durch eine neue Natur-Erkenntnis die Erde und ihre Kräfte-Gliederung intim und bewüßt durchschauen lernt, umso leichter und besser wird ihm dann auch die Wahl möglich sein, wenn er aus geistigen Welten zur Wiedergeburt schreitend die Erde betrachtet. Eine solche neue Naturforschung wird einen tiefen Einfluß auf die ewige Entelechie, auf das Schicksal des Menschen auszuüben vermögen. Geistiges Leben und irdisches Leben werden so zu einem einheitlichen Strom des Geschehens in einander verwoben sein. — Vor allem auch dem Künstler schuldet der Naturforscher der Zukunft ein solches Weltbild, in welchem sich hinter dem Schleier des Physischen auch das Geistige offenbaren kann. Albert Steffen sagt über ein solches »Werden des Kunstwerks«*): »Selbst im Steine, im Granit, im Kalk, in der Kohle löst sich, bei schöpferischer Betrachtung * Albert Steffen, Die Krisis im Leben des Künstlers, Verl. Seldwyla, Bern 1922. W a c h s m u t h , Äther. Bildekräfte.
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das Vergangene, im Räume wie leblos nebeneinander Liegende, in ein Werdendes auf. Nur der Verstand sieht hier ein Abgeschlossenes. Einer produktiven Anschauung ist das Mineral etwas anderes. Es ist aul einer ersten Stufe der Betrachtung das Zurückgelassene, auf einer zweiten die Erinnerung, auf einer dritten die Tat einer geistigen Wesenheit. Man vermag bei lebendiger Erfassung die Absichten dieser geistigen Wesenheit zu erkennen. Sie dehnen sich über weite Zeiträume aus. Sie erstrecken sich tief in die Zukunft. Der wahrhafte Künstler vermag sie zu ahnen und weiterzuführen. Dann gestaltet er, wie die Götter selber wollen. Er formt die Erde, wie sie in einer späteren Epoche sein könnte: wohnlicher.« — Nur durch die gemeinsame Erforschung der Ätherischen Welt werden Wissenschaft, Kunst und Religion wieder ineinanderklingen und sich gegenseitig zu bejahen und zu befruchten vermögen. Auch die Frage nach einer Erlösung von der »Erbsünde«, nach einer solchen Natur-Erkenntnis, in der die Taten der Wesenheit des Christus verständlich sind, in deren Horizont der Weg des Menschen zurück zur geistigen Welt erkennbar ist, kann nur auf diesem Wege bejaht werden. In seiner Schrift über »Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit« weist Rudolf Steiner auf die zukünftige weltenwichtige Aufgabe der Naturforschüng erkenntnismutig und eindeutig hin: »Künftig werden Chemiker und Physiker kommen, welche Chemie und Physik nicht so lehren, wie man sie heute lehrt , sondern welche lehren werden: ,Die Materie ist aufgebaut in dem Sinne, wie der C h r i s t u s sie nach und nach angeordnet hat*. Man wird den Christus bis in die Gesetze der Chemie und Physik hinein finden. Eine spirituelle Chemie, eine spirituelle Physik ist das, was in der Zukunft kommen wird.« — • Wenn der Mensch mehr und mehr erkannt haben wird, wie das Weltall durch die Impulse der geistigen Hierarchien und durch die Vermittlung der modellierenden ätherischen Bildekräfte geworden ist, dann wird auch er die Meisterschaft über diese Werkzeuge, die Bildekräfte, erringen und als ein Mitarbeiter der geistigen Führermächte am Werk des Weltenbaues in bewußtem Einklang schöpferisch mitzuwirken vermögen. Er wird dann nicht nur eine Erkenntnis vom Weltorganismus als dem Werk des Vater-Gottes erlangen, sondern in seine religiös und künstlerisch durchdrungene Naturforschüng und Naturbemeisterung auch die Taten des Sohn-Gottes, des Christus, aufnehmen und in seinem Sinne tätig sein. Denn Christus sprach: »Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.« —
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