‚Misogynie’ – Neue Überlegungen zu einem alten Konzept Andrea Geier Geier (Universität (Universität Tübingen) Tübingen)
Lobspruch des schönen Geschlechts Wir Männer stecken voller Mängel. Es leugne, wer es will! Die Weiber gegen uns sind Engel. Nur taugen, wie ein Kenner will, Drei kleine Stück – und die sind zu erraten; An diesen Engeln Engeln gar nicht viel: Gedanken, Wort und Taten! Handelt es sich hierbei um ein misogynes Gedicht? Die Pointe bringt sicher die (meisten der) RezipientInnen zum Schmunzeln. Sie ist ja auch gut vorbereitet: Zunächst bekommen wir ein Gattungssignal, das Frauenlob, und der männliche Sprecher – ‚wir Männer’ – scheint die Frauen nicht nur an sich loben zu wollen, sondern sogar noch im direkten Vergleich mit den Männern, auf deren ‚Mängel’ er explizit verweist. Daß er ‚Weiber’ sagt, klingt in unseren Ohren nicht anstößig, da uns ja bereits die Rede vom ‚schönen Geschlecht’ darauf aufmerksam gemacht hatte, daß wir es nicht mit einem zeitgenössischen Gedicht zu tun haben; Gewißheit hierüber gibt uns die Information, daß der Text aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt. Nach der (scheinbar noch) lobenderhöhenden Bezeichnung ‚Engel’ vollzieht das Gedicht eine Wende, welche die Bezeichnung ‚Engel’ als Lob diskreditiert – schließlich scheinen diese Wesen gänzlich unfähig zu sein; diese Wende trifft uns LeserInnen allerdings nicht ganz unvorbereitet, da sich zuvor schon ‚Engel’ auf ‚Mängel’ reimte. Wenn die drei so gar nicht ‚kleinen’ Fehler der ‚Engel’ so ‚leicht zu erraten’ sind, dann dürfte es sich bei dem benannten ‚Kenner’ des weiblichen Geschlechts wohl um jeden Mann handeln, d.h. der Mann weiß, wie die Frau Frau ist. Die Frage, ob es sich bei diesem kleinen ‚Lobspruch’ denn um ein misogynes Gedicht handele, soll an dieser Stelle noch unbeantwortet bleiben. Stattdessen werde ich anhand einiger Punkte Bedingungen und die Zielsetzung für eine Reformulierung des Konzepts der Misogynie skizzieren.1
1
Die im folgenden erwähnten Beispiele aus der Forschung dienen lediglich dazu, mein Interesse an Misogynie und meine Fragestellungen zu skizzieren; auf eine ausführliche Würdigung dieser Beiträge sowie auf eine komplette Skizze des Forschungsfeldes wird an dieser Stelle verzichtet.
Status quo: ‚Misogynie’ ist out Zu misogynen Phänomenen und Strukturen in der Literatur, der bildenden Kunst, der Philosophie, der Medizin und der Wissenschaftsgeschichte gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen aus dem Zeitraum der späten 60er bis Ende der 70er Jahre. Mit dem Wandel von der Frauen- zur Geschlechterforschung im Kontext poststrukturalistischer und dekonstruktivistischer Theoriedebatten seit Mitte der 80er Jahre hat das Interesse an der Untersuchung von Misogynie stetig nachgelassen. Dies ist nicht weiter erstaunlich, da das Konzept Misogynie eng an den Begriff des Patriarchats gekoppelt ist; wie Doris Feldmann und Sabine Schülting in ihrem Lexikonartikel formulieren, sieht der Feminismus die Misogynie als Form der „[...] Gewalt gegen Frauen und der Abwertung von Frauen [...]; gleichzeitig wird Misogynie auch als Ursache für die Unterdrückung weiblicher Bildung, weiblichen Begehrens und weiblicher Subjektivität erachtet.“2 Die Misogynie werde, so die Autorinnen, entweder ‚biologistisch’ erklärt, d.h. daß sie sich aus der Angst ‚des Mannes’ vor dem Weiblichen und konkreter weiblicher Sexualität speise, oder soziologisch, d.h. im Hinblick auf ‚männliche’ Herrschaft. 3 Katharine M. Rogers, deren Studie The Troublesome Helpmate. A History of Misogyny in Literature aus dem Jahr 1966 auch den
Verfasserinnen als Bezugspunkt dient, argumentiert mit individuellen psychischen Dispositionen einzelner Autoren und fragt nach dem Zusammenhang zwischen patriarchaler Herrschaftssicherung und den Phantasien über die Sexualität. Am Ende ihrer Arbeit schlägt Rogers noch einmal den Bogen von der biblischen Geschichte von Adam und Eva, die zu den grundlegenden misogynen Topoi bis zur frühen Neuzeit gehörte, zur Gegenwart: „[...] the patriarchy tradition has always maintained – has had to maintain, in order to justify itself – that woman is a creature weak in mind and morals who must be kept in check if society is to survive and man to progress. Just as the undue influence of Eve impaired man’s ideals and drove him from Paradise, the undue influence of her twentieth-century daughters is supposed to destroy man’s ideals and undermine ‚the god in him.’“4
2
3 4
Doris Feldmann und Sabine Schülting: Misogynie. In: Metzler Lexikon Literatur und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart, Weimar 1998, S.373/374, hier S.373/374. Die Verfasserinnen schreiben zurecht in ihrem Artikel ‚Misogynie’: „V.a. von frühen Richtungen des Feminismus wurde Misogynie als ein Merkmal patriarchaler Kulturen identifiziert, welches das abendländische Denken seit der Antike prägt.“ (ebd., S.373). In ihrem ebenfalls zusammen verfaßten Artikel ‚Sexismus’ (ebd., S.487/488) aber unterscheiden sie – die ‚spätere’ feministische Forschung aufgreifend – Misogynie als individuelle ‚psychische Verfaßtheit’ von Sexismus als kollektivem Mechanismus des Patriarchats; diese Differenz ist, selbst wenn sie eine der Forschung sein sollte, nicht besonders erhellend. Der hier vorgestellte Ansatz versucht gerade auch, die sehr enge und uneindeutige Verbindung zwischen Misogynie und Sexismus zu lösen. Feldmann/Schülting: Misogynie, S.374. 2 Katharine M. Rogers: The Troublesome Helpmate. A History of Misogyny in Literature. Seattle 1973, S.276.
So einleuchtend es ist, daß Fragen von Macht und Herrschaft bzw. auch die Angst vor Machtverlust als Hintergrund misogyner Redeweisen benannt werden können, so klar liegen die Probleme einer ausschließlichen und damit einseitigen Konzeptualisierung von Misogynie als ‚Frauenhaß’ auf der Hand. Ein ahistorischer und entkontextualisierter Begriff von Misogynie, der eindeutige und einsinnige Motivationen für diese ‚Superstruktur’ der Geschichte zu benennen weiß und nicht nach spezifischen historisch-kulturellen und medialen Wahrnehmungen und Darstellungsformen fragt, ist für die Forschung unattraktiv geworden. Mit dem mehr oder weniger leisen Verschwinden des Paradigmas Patriarchat aus der Geschlechterforschung wurde auch das Konzept Misogynie sang- und klanglos verabschiedet. Wenn in bestimmten disziplinären Kontexten der ‚traditionelle’ Begriff weiterhin verwendet wird, etwa als ein Erklärungsmuster (unter anderen) für Stereotypisierungen von Frauen in verschiedenen Epochen – Heilige und Hure, Hexe, Vampirin, femme fatale und femme fragile u.ä. – sowie für Gewalt gegen Frauen oder Pornographie gilt dies zumeist nur als Beleg für das Auseinanderdriften der feministischen Forschungsrichtungen (moderne und postmoderne Feminismen). Es soll – dies sei erwähnt, um einem falschen Eindruck vorzubeugen – keineswegs bestritten werden, daß sowohl (eher) psychoanalytisch orientierte Forschungen als auch Fragen nach Macht und Herrschaft im Hinblick auf historische wie auch zeitgenössische alltagspolitische Kontexte, Zielsetzungen und ebenso wissenschaftliche Diskurse zu wichtigen Ergebnissen geführt haben und führen; sinnfällige Beispiele sind so unterschiedliche Aspekte wie der Hexenwahn, mit den berühmt-berüchtigten misogynen Auslassungen des Hexenhammers , oder Debatten um die Bildung/ die Berufstätigkeit/ das Wahlrecht von Frauen u.v.a. Anhand dieser willkürlich benannten Beispiele lassen sich in je verschiedener Weise Verbindungen zwischen zeitspezifischen Diskursen aufzeigen, die ineinander greifen und sich gegenseitig legitimieren; so diente seit dem 18. Jahrhundert mit der Herausbildung der Sonderanthropologie von Frauen das physiologische Wissen immer wieder als Argumente gegen den Zugang von Frauen zu höherer Bildung etc.5 Misogyne Einstellungen werden dabei (vor allem in soziologischer Perspektive) nicht nur als eine Form offener Frauenfeindschaft aufgefaßt, sondern können vielmehr als eine Art geteilter Hintergrundgewißheiten der sozialen Lebenswelt betrachtet werden; in diesem 5
In diesen Kontext gehört etwa der Hinweis, daß es nie einen homogenen Diskurs z.B. um die ‚weibliche Sexualität’ gegeben hat; so bemüht sich etwa Claudia Honegger die allmähliche Herausbildung einer Sonderanthropologie der Frauen als ein umkämpftes Feld zu beschreiben, in dem sich Entwicklungen und natürlich dominante Meinungen feststellen lassen, die diskursbeherrschend waren und tradiert wurden, aber ohne dabei ein ‚patriarchaler Gesamtakteur’ konstruiert würde; vgl. hierzu die Arbeit von Claudia Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750-1840. München 1996, hier S.5.
Sinne begreift sie Hans Dieter Schmidt in seinem Aufsatz zu sozialpsychologischen und gesellschaftspolitischen Phänomenen der Misogynie aus dem Jahr 1973 und spricht daher von Misogynie als „[...] ‚Ablehnung von Gleichberechtigung’ [...] Einstellungsobjekt ist also nicht die Frau als solche, sondern eine ganz bestimmte traditionelle Auffassung von der Frau.“6 Daß sich jenseits dieser Aspekte ein Zusammenhang zwischen (sexuellen) Ängsten und misogynen Vorstellungen über Frauen feststellen läßt – die ihre Legitimation auch aus wissenschaftlichen Diskursen beziehen oder denen umgekehrt die Wissenschaften Legitimationen verliehen haben –, muß hier ebensowenig infrage gestellt werden; in jüngerer Zeit hat etwa Bram Dijkstra Aufsehen mit seiner Studie Das Böse ist eine Frau. Männliche Gewaltphantasien und die Angst vor der weiblichen Sexualität (1999) erregt, in
der er Phantasien der Wissenschaft über weibliche Sexualität im 19. Jahrhundert (die Frau als Triebwesen wird zur „Inkarnation des Bösen“ 7) sowie den Zusammenhang von Phantasien über Rasse und Geschlecht untersucht.8
Pluralisierung – Diskursphänomen Misogynie Statt einer radikalen Abwehr solcher Forschungsansätze scheint mir eine Neuformulierung des Konzepts der Misogynie sinnvoll, welche jenseits dieser Aspekte des ‚Frauenhasses’ als einer stets pragmatisierenden Rede von Misogynie differente Momente zu erfassen vermag, die sich aus je spezifischen diskursiven Bedingungen ergeben. Fragt man beispielsweise nach misogynen Strukturen in der Moderne, sieht man, daß sich misogyne Konzepte von ‚Weiblichkeit’ mit Momenten wie Zivilisationskritik oder Sprachkrise verbinden, und es ist schlicht unergiebig, dies (allein) auf die psychische Verfaßtheit der Autoren zurückzuführen und als Ausdruck einer individuellen oder auch kollektiven Männerangst und Abwehrstrategien gegen ‚das Weibliche’ zu interpretieren, die sich, wenn auch in anderer Ausprägung, im Grunde seit der Antike fänden. Auch mit anderen Diskursen, in denen misogyne Aussagen erkennbar sind bzw. erörtert werden –
6
7 8
Hans Dieter Schmidt: Zur Einführung. Sozialpsychologische und gesellschaftspolitische Aspekte der Misogynie. In: Ders. et al.: Frauenfeindlichkeit. Sozialpsychologische Aspekte der Misogynie. München 1973, S.7-20, hier S.17. Bram Dijkstra: Das Böse ist eine Frau. Männliche Gewaltphantasien und die Angst vor der weiblichen Sexualität. Deutsch von Susanne Klockmann. Reinbek 1999, S.9. „Am Ende meines Buches Idols of Perversity (1986) habe ich die These aufgestellt, daß die erotischen Phantasien des späten 19. Jahrhunderts über die tödliche Natur weiblicher Sexualität einen bedeutenden Einfluß auf das rassistische Denken in unserem Jahrhundert hatten. [...] Die ‚erotischen’ Phantasien vom Gynozid ebneten dem Genozid den Weg, Das Böse ist eine Frau stellt dar, wie diese Verlagerung vor sich ging und woher sie ihren tödlichen Impuls bezog.“ Ebd., S.10/11.
etwa die frühneuzeitliche Querelles des femmes 9 –, sind sie offenkundig schlicht nicht vergleichbar. Allein die Frage nach ihrer Funktion in spezifischen Diskursen stellt eine Verbindung zwischen ganz unterschiedlichen Phänomenen und Debatten her. Der Einspruch gilt also Bestimmungen von Misogynie als überhistorischem Ausdruck männlicher psychischer Strukturen (die Angst ‚des Mannes‘ vor ‚dem Weiblichen‘) bzw. als einem
intentional-strategischen
Moment
patriarchaler
Herrschaft.
Gegen
eine
monolithische Einschränkung des Begriffs möchte ich vorschlagen, Misogynie gewissermaßen zu pluralisieren und als einen Oberbegriff für verschiedene diskursive Formationen zu verwenden, in denen sich ‚misogyne’ Elemente in verschiedenartigen Äußerungsformen feststellen lassen. Eine Neuformulierung der Misogynie müßte die traditionelle ‚überhistorische’ Struktur zum Ausgangspunkt nehmen, in der diese bislang gedacht wurde: wenn die Geschichte der Misogynie als eine durchgängige Genealogie von misogynen Phänomenen erzählt wurde, liegt es nahe, sowohl verschiedene Diskurse und ihr Zusammenspiel innerhalb einer Epoche sowie diese Diskurse (z.B. um weibliche Sexualität) epochenübergreifend zu beleuchten, um vor diesem Hintergrund diese ‚Superstruktur der patriarchalen Geschichte’ selbst zu befragen. Dabei müßten dann Wandel, Transformationen und vor allem auch Brüche fokussiert werden, die sich immer auf zwei Aspekte beziehen: Misogynie als diskursives
Phänomen
in
verschiedenen
Konstellationen
sowie
die
forschungsgeschichtlichen Diskurse zu diesen Phänomenen. Dies ist wichtig, da ein zentrales Problem in der Feststellung von Misogynie die Rezeption betrifft und damit die Prämissen, unter denen Phänomene als misogyn erkannt wurden – oder auch umgewertet wurden. Die entscheidende Frage im Hinblick auf literarische Texte lautet: In welcher Weise ist ‚Misogynie’ in literarische und rhetorische Strukturen eingebunden und inwiefern kann man sowohl von Verbindungen als auch von Differenzen/Abbrüchen zu geschlechtsspezifischen Habitualisierungen und eher gesellschaftspolitischen sowie wissenschaftlichen Diskursen ausgehen?
Funktionszusammenhänge, Topoi/Stereotype, Intentionalität – Annäherung an ‚Misogynie’ über die Frage nach einigen Kriterien Elisabeth Bronfen hat in ihrem Aufsatz zu Weiblichkeit und Repräsentation deren grundlegende Struktur herausgestellt: ‚die Frau’ besetzt jeweils die Extreme einer Kultur, 9
Vgl. hierzu Quer elles . Jahrbuch für Frauenforschung 1997, Bd. 2: Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert. Hrsg. von Gisela Bock und Margarete
womit sehr unterschiedliche und aufgrund ihrer Gleichzeitigkeit paradox erscheinende Codierungen von ‚Weiblichkeit’ einhergehen. „Die Frau repräsentiert die Grenzen, Ränder oder Extreme der Norm – das extrem Gute, Reine und Hilflose oder das extrem Gefährliche, Chaotische und Verführerische. Die Heilige oder die Hure, Jungfrau Maria oder Eva. Als Außenseiterin per se kann die Frau auch für eine komplette Negation der herrschenden Norm einstehen, für jenes Element, das die Bindungen normaler Konventionen sprengt, und für den Vorgang, durch den diese Gefährdung der Norm sich artikuliert.“ 10 Die Misogynie ist als eine Form dieser Gestaltung von Vorstellungen und Darstellungen von ‚Weiblichkeit’ in verschiedenen gesellschaftlichen und literarischen Diskursen zu betrachten, und weder ihre jeweilige Funktion noch ihre Effekte sind einsinnig beschreibbar. Die Untersuchung misogyner Aspekte gehört also, wie es auch R. Howard Bloch und Frances Ferguson in ihrer Einleitung zu dem Band Misogyny, misandry, and misanthropy (1989) vorgestellt haben, schlicht zu den Grundfragen der Repräsentation. 11
In anderem Zusammenhang, aber auch mit Bezug auf misogyne Topoi, haben Katharina Kellermann und Renate Stauf 1998 eine Neuorientierung der Forschung zur ‚Weiblichkeit’ eingeklagt, die sich von der isolierten Identifizierung einzelner Phänomene lösen müsse: „Allerdings hat die Diskussion der letzten Jahre auch gezeigt, daß durch die allzu enge Begrenzung auf die misogynen Aspekte derartiger Weiblichkeitsentwürfe [etwa: Bilder ‚todbringender Frauen’ etc.; A.G.] der Blick für ihre Funktion innerhalb umfassender Versuche des gesellschaftlichen und literarischen Ordnungsstiftens verstellt wurde. So ist der epochenübergreifende Zusammenhang zwischen der Konzeption sinnlicher Frauen und der Gefährdung und Störung der jeweils sehr spezifischen Ordnungssysteme bisher kaum untersucht worden. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Darstellung weiblicher Sinnlichkeit ein besonderes Gewicht zukommt, wenn gesellschaftliche etablierte Ordnungen – seien sie sittlich-moralischer, ästhetischer oder politisch-staatlicher Natur – in die Diskussion kommen. Als literarische Imaginationen wird das Weibliche offenbar gebraucht, um bestehende Ordnungen zu stützen oder neu zu bestätigen, gegebenenfalls neue Ordnungen zu begründen oder um jeglichen Versuch des Ordnungsstiftens fundamental in Frage zu stellen.“ 12
Zimmermann. Stuttgart, Weimar 1997. Auch im Internet publiziert, http://www.querellesnet.de/pub/jahrb2.html. 10 Elisabeth Bronfen: Weiblichkeit und Repräsentation – aus der Perspektive von Semiotik, Ästhetik und Psychoanalyse. In: G ENUS . Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften. Hrsg. von Hadumod Bußmann und Renate Hof. Stuttgart 1995, S.408-445, hier S.418f. 11 „Assuming, then, its existence, we were attracted to misogyny as a question that makes visible certain perhaps intractable antagonisms between texts and their readers, as well as between texts and the person who become the objects of their representation. That is, misogyny seemed us to emblematize the problem that representation poses, when it creates oppositions between what we perceive and what we endorse. And in that sense, misogyny provides the occasion for a discussion of the limits of idealism, or of conflict between authors and readers comparable to the conflict between misogynists and the women who are misrepresented by its pervasive, but often unrecognized, images.“ Bloch, R. Howard and Frances Ferguson: Introduction. In: Misogyny, misandry, and misanthropy. Edited and with an new introduction by R. Howard Bloch and Frances Ferguson. Berkeley and Los Angeles 1989, S.vii. 12 Katharina Kellermann und Renate Stauf: Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung. Zur Kontinuität literarischer Entwürfe der sinnlichen Frau. In: Archiv für Kulturgeschichte 80, 1998, S.143-191, hier S.143.
Die Frage nach literarischer Misogynie als diskursivem Phänomen richtet sich in dieser Spur auf die Untersuchung von Interferenzen und Dependenzen bezüglich anderer Diskurse; wichtig erscheint mir dabei der Hinweis, daß Bilder der ‚Heiligen’ oder der ‚Hure’ nicht isoliert voneinander betrachtet werden, sondern auch als zwei Seiten derselben Medaille gelten können (dies bleibt auch von theoretisch differenten Zugängen unberührt). Mit der Rede von ‚derselben Medaille’ ist nicht gemeint, daß stets derselbe Zusammenhang zwischen ‚positiven’ [sic!]13 und misogynen Frauenbildern bestehe: In Ehetraktaten können positive und negative Auffassungen von Frauen dieselbe Funktion erfüllen, indem sie auf der Basis derselben Annahmen über die Geschlechter letztlich auf dieselbe Konformität in Rechten und Pflichten abzielen. 14 Aber ebenso – und häufiger – finden sich andersartige Vernetzungen innerhalb eines Diskurses über Frauenrollen, z.B. in Formen von Schrift und Gegenschrift, d.h. daß beispielsweise frühneuzeitliche Traktate des ‚Frauenlobs’ und misogyne Traktate sich auf gegenläufige Weise im Hinblick auf die vertretenen Auffassungen der gesellschaftlichen Position der Frau, ihren Rechten und Pflichten situieren. Allererst diese Öffnung der Fragestellung ermöglicht es jedoch, nicht nur diese Vernetzungen, sondern auch Phänomene in neuem Licht zu sehen, die bislang etwa eindeutig als ‚misogyn’ (im traditionellen Sinne von ‚frauenfeindlich’) erkannt wurden. Denn es muß stets aufs Neue geklärt werden, in welchen Kontexten und mit welchen Bezügen auf (pragmatische) Zusammenhänge bestimmte Bilder/Aussagen konnotiert sind. In den Blick genommen werden müssen daher die diskursiven Äußerungsregeln und Rezeptionsbedingungen, Fragen der Tradierung und des Transfers von Wissen und ihren damit einhergehenden Transformationen innerhalb unterschiedlicher Diskurse. Die Markierung spezifischer Topoi kann daher zwar ein erstes Kriterium sein, um einen Text ‚misogyn’ zu nennen, doch muß dabei untersucht werden, in welcher Weise erstens diese Misogynie zu bestimmen ist und zweitens, aufgrund welcher Effekte/kontextuellen Bedingungen etc. Texte als misogyn rezipiert wurden – oder aus heutiger Sicht aufgrund der Tradierung bestimmter Elemente etc. zu einem Kanon misogyner Texte gehören –, die möglicherweise nicht als misogyn intendiert waren.
13
14
Diese Bestimmung bezieht sich natürlich ausschließlich auf die kulturellen und zeitspezifischen Diskurse, in denen solche Codierungen erfolgen, welche stark variieren. In diesem Sinne haben etwa Christiane Schmerl und Dieter Steinbach Formen der ‚Ritterlichkeit’ als eine Verhaltensweise von Männern beschrieben, welche durch Bevormundung etc. indirekt ein angestrebtes ‚Wohlverhalten’ von Frauen, d.i. die Erfüllung einer bestimmten Frauenrolle, bewirken soll; im Gegensatz zur offenen Misogynie handelt es sich hierbei um einen belohnenden disziplinierenden Effekt; vgl. Christiane Schmerl und Dieter Steinbach: Ritterlichkeit – eine indirekte Form der Misogynie? In: Hans Dieter Schmidt et al.: Frauenfeindlichkeit. Sozialpsychologische Aspekte der Misogynie. München 1973, S.56-79, insb. S.61/64.
Denn die Identifizierung von als misogyn erkannter Topoi sagt an sich noch wenig darüber aus, ob der betreffende Text im traditionellen Sinne als misogyn, d.h. als frauenfeindlich gewertet werden muß. So hat etwa Detlef Roth in einem Beitrag zur Frage mittelalterlicher Misogynie seinem Unmut darüber Ausdruck verliehen, daß die Forschung vielfach einen homogenen mittelalterlichen Diskurs der Misogynie konstruiere, denn es gar nicht gäbe, da man „[...] weder den Kontext oder die Funktion dieser Aussagen noch die Gattung oder die Redesituation der entsprechenden Texte genügend berücksichtigt [...]“ habe.15 Roth geht vom der Frage aus, ob ein Mann heiraten soll, die im Mittelalter Gegenstand von Disputationen (als Teifrage der Ethik) ist; diese rhetorische Gattung wendet sich an bestimmte Adressaten und greift in ihren Argumentationen auf antike Zitate und Exempla zurück16, d.h. die Texte besitzen, wie Roth ausführt, damit zugleich einen begrenzten Geltungsanspruch. Während Roth jedoch dafür plädiert, diese Texte aus dem Kanon misogyner Schriften auszuklammern, da sie kein Lebensmodell für die Gläubigen entwerfen17, könnte man sie aufgrund ihrer Rezeption doch weiterhin als ‚misogyn’ in neuem Sinne fassen. Denn nicht die misogyne Intention macht Texte der Misogynie aus, sondern daß ihre Argumente – am Beispiel der Traktate zur Ehe – losgelöst von den ursprünglichen Spezialdiskursen, in neuen Zusammenhängen rezipiert werden und dabei neue Geltung erhalten. Sie gehören daher als Fundus der Topoi zum Feld der Misogynie – und nicht erst die von Roth sogenannten ‚Mischdiskurse’, in denen solche Argumente popularisiert werden. Die Frage nach der Intention kann also eine Rolle spielen, sie ist aber nicht dasigt [cht 0.Topoi zterhium, umMisogynie zu estimmtn, wieilman sinstraus, Tj 0 -21 TD
klargestellt, daß er in seiner Analyse der literarischen Texte misogyne Elemente mittelalterlicher Literatur, die er gleichwohl als eine Liste misogyner Klischees präsentiert – von ‚abandons children’ und ‚animal passions’ bis ‚weak spirited’, ‚wicked’ und ‚witch’ 19 –, nicht einfach als ‚Beweise’ für ‚Frauenhaß’ ansieht: „When we speak of misogynistic tendencies or antifeminist attitudes, we do not necessarily speak of hatred of women on the part of an author who expresses such tendencies or attitudes. We seek more to indicate that the author recognizes and perhaps satirizes, criticizes or deplores certain weeknesses and faults either justly or unjustly attributed to women in prejudicial manner.“20 Die Frage nach Misogynie in literarischen Texten richtet sich also zunächst einmal gar nicht auf ‚misogyne Einstellungen’, um sie als Ausdruck von Frauenfeindlichkeit werten zu können. Die Tatsache, daß literarische Texte Bezüge zu gesellschaftspolitischen Fragen der Geschlechterordnung aufweisen, in denen negative Stereotype über Frauen zu finden sind, bedeutet nicht, daß sie diese Elemente affirmieren müssen. Die Literatur hat Anteil an der Herstellung und Veränderung kultureller Codes, und sie ist ein Medium, in das diese Codes einfließen und sich affirmativ oder kritisch widerspiegeln können. Literarische Diskurse der Misogynie zu rekonstruieren, meint deshalb, nach der Art und Weise zu fragen, wie bestimmte misogyne Elemente, die entweder bereits zum literarischen Kanon gehören oder aus anderen Diskursen (medizinischen, klerikalen, philosophischen, politischen) stammen, in literarischen Texten gestaltet werden. Die je spezifische Form und kontextuellen Bedingungen, in der misogyne Bilder und Stereotype geäußert und rezipiert werden, ist entscheidend. Daher gehört zur Rekonstruktion eines misogynen Diskurses etwa auch der Blick auf dezidiert anti-misogyne Schriften und solche, in denen Topoi auftauchen, aber nicht kritisch verhandelt werden, ohne daß diese deshalb im traditionellen Sinne ‚misogyn’ zu nennen wären. Die expliziten ‚Gegenreden’ sind also auf ihre Verbindungen mit misogynen Texten und auf ihre Darstellung und Neucodierung von misogynen Topoi und Stereotypen zu untersuchen: So setzt sich beispielsweise die Venezianerin Moderata Fonte in ihrer Schrift Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer (1600
posthum erschienen) , die zur Querelle des Femmes gehört, mit verschiedenen misogynen Topoi
auseinander
und
läßt
die
Frauen
über
die
Ungerechtigkeit
der
Geschlechterverhältnisse sprechen; dabei nimmt sie beispielsweise eine hinsichtlich von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen von Sinnlichkeit und Bildung von Frauen und
19 20
Andrée Kahn Blumstein: Misogyny and Idealization in the Courtly Romance. Bonn 1977 (=Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik; 41), S.20/21. Ebd. S.5/6.
Männern bemerkenswerte Uminterpretation des Sündenfalls als eines zentralen Topos frauenfeindlicher Rede vor. 21 Doch auch Texte, die sich nicht in evident kritischer Weise mit misogynen Stereotypen auseinandersetzen, sind nicht im herkömmlichen Sinne als misogyn zu bezeichnen – wie z.B. unser ‚Lobspruch’. Die literarische Darstellung solcher ‚Extreme’ (Bronfen), respektive die Verwendung bestimmter ‚misogyner’ Stereotype, ist kein Indiz für einen ‚frauenfeindlichen’ Text. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist es trivial anzumerken, aber unabdingbar: Die Sprecherinstanz ist nicht der Autor. Im Gegensatz zu misogynen Äußerungen in eindeutig pragmatischen Kontexten, die sich auf Einstellungen der Sprecher rückbeziehen lassen, ist dieser einfache Rückschluß bei literarischen Texten weder möglich noch sinnvoll. Daher habe ich beim ‚Lobspruch’ auch nicht erwähnt, daß dieses Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing stammt. Denn es wäre weder ein Argument für noch gegen eine Bewertung des Textes als traditionell ‚misogynem’.22 Der Hinweis auf einen pragmatischen Konnex zur Lebenswelt wäre schlicht unbefriedigend: ich weiß nichts über das ‚Loblied’ als literarischen Text , wenn ich sage, daß die Sprecherinstanz des Textes misogyne Äußerungen über Frauen macht. Selbst wenn ich diese Äußerungen konkretisiere – unfähig in „Gedanken, Wort und Taten“ – kann ich nur Auskunft über allgemeine Stereotype geben, die jedoch nicht auf einen spezifischen historischen Kontext rekurrieren oder sich gar auf den Autor Lessing bezögen; vielmehr handelt es sich um eine literarische Tradition und um Topoi. Im Falle des ‚Lobgedichts’ zeigt sich besonders schön, daß der ‚misogyne Effekt’ sich gerade aus dem ironischen Spiel mit seiner literarischen ‚Gegen’-Gattung, dem Lob, ergibt. Das Gedicht bringt zwar einen dem Lob 21
In dieser Schrift wird ein Polylog zwischen sieben Frauen inszeniert, von denen eine das Gesprächsthema vorgibt und den anderen die Argumentation für und gegen die Männer überträgt: „Da meldete sich Helena zu Wort und sagte: ‚Wer war der Grund unserer Verdammnis, wenn nicht Eva, die erste Frau?’ ‚Vielmehr war es Adam’, widersprach Corinna, ‚denn Eva begehrte in guter Absicht zu erkennen, was gut und was böse ist, und ließ sich dazu hinreißen, die verbotene Frucht zu kosten. Aber Adam war nicht von demselben Gedanken bewegt, sondern aß den Apfel aus Gier und aus Freßlust, da er von Eva gehört hatte, daß er wohlschmeckend sei, was eine schlechte Absicht war und größeres Mißgefallen hervorrief. Und daher kommt es, daß Gott sie nicht sofort aus dem Paradies vertrieb, als Eva
entgegengesetzten misogynen Standpunkt zum Ausdruck, aber man könnte sagen, daß es sich nicht nur anfangs als Lob ‚verkleidet’, sondern das Lobgedicht selbst als Teil seiner misogynen Rede verwendet: denn es ist schließlich nicht gerade ein Charakteristikum von ‚Engeln’, daß sie sich in ‚Gedanken, Worten und Taten’ besonders hervortun. Das Gedicht setzt sich also keineswegs kritisch mit Misogynie auseinander, aber es inszeniert in witziger Weise durch seine intertextuelle Struktur den auch in diesem Paper erwähnten Zusammenhang von Frauenlob und Misogynie. Interessant ist daher allein die Frage nach der Misogynie in Lessings Werk, und hier finden sich spielerische Formen wie der ‚Lobspruch’ ebenso wie die Thematisierung der Misogynie im Kontext der aufklärerischen Vorurteilskritik in dem Stück Der Misogyn (1748 / Erstdruck 1755). Ohne Zweifel sind bestimmte literarische Texte – wie etwa auch der erwähnte Verdienst der Frauen von Moderata Fonte – als ‚Beiträge’ zu Debatten intendiert, die sich
keineswegs nur als ein literarisches Spiel darstellen, in dem es ausschließlich um das möglichst brilliante Verfechten von Argumenten ginge; vielmehr sind die diskutierten Themen des Textes (Diskriminierung von Frauen, die Ehe als Knechtschaft etc.) wie auch die Uminterpretationen von Topoi und die gelehrten Anspielungen als Widerrede gegen misogyne Texte aufzufassen, die sich eben nicht nur inhaltlich, sondern auch performativ darstellt (als Ausdruck gelehrter weiblicher Autorschaft, Beherrschung von diskursiven Regeln etc.). Doch ist auch hier nicht die Autorintention, sondern die Frage nach den diskursiven Regeln entscheidend, nach denen sich die Form des literarischen Ausdrucks (dialogische Inszenierung etc.) und die pragmatisierenden Aspekte dieser Form von Literatur im literarischen Diskurs der Zeit richten. Wie wichtig es ist, nicht von der Autorintention auszugehen, sondern nach rhetorischen Redeformen und diskursiven Regeln zu fragen, zeigt sich etwa an denjenigen misogynen Elementen in literarischen Texten von Frauen, die weder als Form des ‚Selbsthasses’ noch als ironisches Spiel mit Stereotypen zu beschreiben sind. So hat etwa Ruth P. Dawson auffällige misogyne Elemente in Verserzählungen des 18. Jahrhunderts unter Verweis auf imitatio-Strukturen erklärt, welche die Frauen mit dieser Gattung bewußt übernahmen, um nicht als ‚schreibende Frauen’ wahrgenommen zu werden, sondern sich in den Diskurs der Literatur einzuschreiben: „Der Versuch, das eigene Geschlecht zu überwinden, und die implizite Gleichsetzung von ‚männlich’ mit ‚besser’ und ‚menschlich’, führte zu einem der eigenartigsten Aspekte der Verserzählungen von Frauen: das häufige Auftreten von Misogynie. Wenn Frauen in einer Gesellschaft leben, die ihnen mit wenigen Ausnahmen einen geringeren Stand zuschreibt, in almost any work, how ascribable is it to something on order of individual authorial intention?“ Bloch/Ferguson: Introduction, S.viii.
gibt es einleuchtende psychologische Gründe für den Weiberhaß auch unter Frauen. Im Falle der Verfasserinnen von Verserzählungen muß man nicht nicht auf diese außerliterarischen Momente stützen. Weiberhaß kam in den Verserzählungen des 18. Jahrhunderts oft vor, und die Verfasserinnen haben es in ihre Erzählungen samt Typen und anderen formalen Eigenarten mitaufgenommen.“23 Die Betrachtung misogyner Aspekte führt also von einer ‚Superstruktur’ der Geschichte weg zu einzelnen Diskursen, die jeweils unterschiedlich zu bestimmende Bezüge zu pragmatischen Kontexten aufweisen können und in sich differenziert zu beurteilen sind.
Warum wiederum: ‚Misogynie’? Das Festhalten an der Bezeichung ‚Misogynie’ ist keinem nostalgischen Affekt geschuldet, sondern hat damit zu tun, daß das Verschwinden des Begriffs seine eigenen blinden Flecke produziert. Die Ersetzung durch ‚Sexismus’ bzw. ‚Phallozentrismus’ in der Forschung, welche Doris Feldmann und Sabine Schülting in ihrem erwähnten Artikel anführen, scheint zumindest nicht besonders hilfreich. Denn was ist gewonnen, wenn man dieselben Phänomene, die man früher Misogynie nannte – den neueren Diskursen zur Geschlechterdifferenz
angepaßt
–
als
Auswirkungen
des
‚abendländischen
Phallozentrismus’ etikettiert? Es scheint zwar ein einfacher Weg zu sein, um sich sowohl möglicher essentialistischer Implikationen als auch der Diskussion um die Intentionalität misogyner Äußerungen entledigen zu können, womit schon einmal zwei der wesentlichen Aspekte geklärt wären, um sich misogynen Phänomenen in der Literatur zu nähern. Doch könnte man dies nicht auch mit einem anders gefaßten Begriff der Misogynie erreichen, statt in einen vermeintlich ‚sicheren’ (d.i. hier: nicht politisch-essentialistischen) Theoriehorizont auszuweichen, der Besonderheiten verwischt? Statt misogyne Phänomene als Ausdruck phallogozentrischer Denkweisen zu fassen und damit letztlich wiederum einer, wenn auch andersartigen ‚Großstruktur’ zu subsumieren, möchte ich vorschlagen, den Ausdruck Misogynie beizubehalten und ihn zu pluralisieren. Er sollte so reformuliert werden – und dies ist keine verkappte Definition, sondern erst einmal die Formulierung der Zielsetzung ! –, daß damit Diskurse beschrieben werden können,
in
denen
sich
je
unterschiedlicher
Weise
misogyne
Redeweisen,
Argumentationen, Topoi finden. Eine diskursive Reformulierung könnte die Aporien lösen, die aus dem völligen Verschwinden des Begriffs bzw. seinem Gebrauch in einem nur ‚poststrukturalistischen Sprachkleid‘ entstehen. Denn einerseits öffnet sich der Blick für
23
Ruth P. Dawson: Selbstzähmung und weibliche Misogynie: Verserzählungen von Frauen im 18. Jahrhundert. In: Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Sylvia Wallinger und Monika Jonas. Innsbruck 1986 (=Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft; Germanistische Reihe, Bd. 31), S.133-142, hier S.136.
andere Phänomene und Kontexte bzw. lassen sich traditionell als misogyn verstandene Phänomene möglicherweise neu betrachten. Andererseits werden Fragen nach feministischen Reformulierungen von misogynen Konzepten wie z.B. der ‚Maskerade‘ erst wirklich möglich. Das Bemühen der scientific community, sich von der Misogynie als einem ‚veralteten’ Konzept zu distanzieren, hat nämlich zu erstaunlichen Reformulierungen früherer als misogyn abgelehnter Konzepte von Weiblichkeit geführt; am Beispiel der Maskerade zeigt sich, daß diese Neuformulierungen sehr fruchtbare theoretische Anregungen für die Gender Studies darstellten – doch wurde dabei die Geschichte des Begriffs vielfach einfach ausgeblendet und versäumt, auch die Möglichkeiten des Gelingens und die Risiken solcher Umdeutungen zu reflektieren.24 Die Hinführung anhand des Beispiels ‚Lobspruch’ sollte vor allem eines klar machen: An das Gedicht lassen sich sinnvoll Fragen anschließen, die auf die literarische Gattung des Lobgedichts zielen, auf seine ironische Brechung im literarischen Verfahren und auch auf Topoi der Geschlechtscharaktere, d.h. auf außerliterarisches Wissen und literarische Kenntnisse der RezipientInnen, auf welche das Gedicht Bezug nimmt. Wenn man sich mit 24
Elfi Bettinger und Julika Funk schreiben in ihrem Vorwort zu dem von ihnen herausgegebenen Band Maskeraden. Geschlechterdifferenz in der literarischen Inszenierung (1995): „Maskerade verweist auf die Ebene der Repräsentation, auf den kulturellen Akt der Darstellung und kann so hartnäckige Vorstellungen einer vordiskursiven Natur zurückweisen. Zum anderen greift Maskerade die Verunsicherungen auf, die seit dem 18. Jahrhundert eine überbordende Fülle an Bestimmungen um das Zeichen ‚Frau’ hervorgebracht haben.“ Elfi Bettinger und Julika Funk: Vorwort. In: Maskeraden. Geschlechterdifferenz in der literarischen Inszenierung. Hrsg. von Elfi Bettinger und Julika Funk. Berlin 1995 (= Geschlechterdifferenz und Literatur; Bd. 3), S.7-14, hier S.8. Wenn feministische Konzepte die Metapher der Maskerade als Möglichkeit zur Dekonstruktion vordiskursiver Begründungen von ‚Weiblichkeit’ begreifen, handelt es sich einen ‚Umdeutungsversuch’ der Tradition, die sich zunächst einmal mit dem Ursprung dieses mehrheitlich misogynen Diskurses auseinanderzusetzen hätte, der Frauen qua Geschlecht ‚Falschheit’ und ‚Maskerade’ als ihre ‚Natur’ vorwirft – sie manchmal damit auch zu entschuldigen versucht –, in jedem Fall aber damit die Devianz der Frau gegenüber dem Mann begründet. Dies findet seinen Nachhall sogar noch in den psychoanalytischen ‚Refigurationen’ dieser Figur, wie gerade auch der Aufsatz Weiblichkeit als Maskerade’ von Joan Riviere zeigt, dessen erneute Rezeption die Renaissance dieses Ausdrucks in der feministischen Theoriedebatte begründet hat. Der vielzitierte Kernsatz darin lautet: „Der Leser mag mich nun fragen, wie ich Weiblichkeit definiere und wo ich die Grenze zwischen echter Weiblichkeit und der ‚Maskerade’ ziehe. Ich behaupte gar nicht, daß es diesen Unterschied gibt; ob natürlich oder aufgesetzt, eigentlich handelt es sich um ein und dasselbe.“ Joan Riviere: Weiblichkeit als Maskerade. In: Weiblichkeit als Maskerade. Hrsg. von Liliane Weissberg. Frankfurt a.M. 1994, S.34-47, hier S.38f. Betrachtet man diese Aussage nicht isoliert, sondern im Rahmen der psychoanalytischen Entwicklungsszenarios, wäre zu erläutern, inwiefern sich Riviere als Kronzeugin einer ‚Refiguration’ des Maskeradekonzepts eignet; zwar scheint ein anti-essentialistischer Impuls deutlich zu sein, doch gibt es zugleich angesichts der Darstellung, was Riviere mit Helene Deutsch und Ernest Jones für ‚voll entwickeltes heterosexuelles Frausein’ hält, kein Entrinnen aus einer Konstellation, die ‚Weiblichkeit’ jeweils als Unterordnung gegenüber ‚Männlichkeit’ fixiert, in welchen Varianten sich dies auch zeigen mag (z.B. als ‚Vergessenmachen’/‚Verleugung’ von Kompetenz u.ä.). Vor diesem Hintergrund gelesen, erscheint die Aussage, daß es keinen Unterschied zwischen ‚Weiblichkeit’ als ‚echter’ und als ‚Maskerade’ gebe, nicht gerade subversiv, und die asymmetrische Stellung der Geschlechter wird hinterrücks sogar wieder naturalisiert. Die in dem genannten Band zur Maskerade versammelten Beiträge können zeigen, daß diese Figur in literarischen Texten vor allem auch als subversive Strategie der Entlarvung naturalisierender Begründungen für Geschlechterdifferenz fungiert, doch wird insgesamt vernachlässigt, nach den spezifischen Differenzen zwischen Diskursen des Sozialen und des Literarischen zu fragen.
der Misogynie als literarischem Phänomen beschäftigt, dann bedeutet dies also, daß man sich für Fragen der Abgrenzung zu anderen Diskursen wie das Zusammenspiel literarischer Texte mit anderen Diskursen interessiert und dieses Verhältnis jeweils neu zu bestimmen sucht. Dabei ist es wichtig, nicht ‚misogyne’ Stereotype isolieren zu wollen, sondern nach den Bedingungen der Produktion und Rezeption der literarischen Texte und ihrer
Frauenbilder
zu
fragen,
Traditionszusammenhängen u.v.a.
d.h.
nach
diskursiven
Äußerungsregeln
und