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Franz J. Schneider
Schlaf – der ruhige Weg zum sportlichen Erfolg Der Schlaf1 zeigt sich als ein kompliziertes und – nach wie vor – relativ wenig erforschtes Phänomen. Ebenso wenig sind die Funktionen des Schlafens (und Träumens) wissenschaftlich geklärt. Schlafentzug resp. gestörter Schlaf scheint eher die psychomotorische und mentale Leistung zu beeinflussen als die (rein) physische. Vermutlich verursacht (motorisches) Lernen spezifische Veränderungen in der neuronalen Aktivität während des Schlafens, die der Konsolidierung neu erworbener Gedächtnisspuren (in Form von Neubildung von Synapsen und Veränderungen ihrer Über tragungsstärke) dienen. Besonders verwundbar durch Schlafmangel erweist sich offensichtlich der Hippocampus, eine zentrale neuronale Struktur für kognitives und motorisches Lernen. Obgleich Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der Wirkung von Sportaktivität auf die Quantität und Qualität des Schlafs
1. Einleitung Der Schlaf wird aktiv durch das Zusammenwirken verschiedener neuronaler Populationen erzeugt, die sich unterschiedlicher Transmitter bedienen (Rechtschaffen & Siegel, 2000). Gesunder Schlaf ist durch entsprechende Schlaftiefe und ein schnelles Einschlafen gekennzeichnet. Welchen Wert ausreichender Schlaf im Trainingsprozess hat, ist schon daran ablesbar, dass im Schlaf das Wachstumshormon (STH bzw. hGH oder GH), dem beim Erwachsenen für die Regeneration und das Zellwachstum große Bedeutung zukommt, ausgeschüttet wird (Keul, 1978). Schlafstörungen können zum einen die Ausschüttung dieses Hormons und damit die Regeneration beeinträchtigen, zum anderen können sie auch als Ursache bzw. Folge eines Übertrainings interpretiert werden (Weineck, 2000). Um die Bedeutung des Schlafs für die Leistungsfähigkeit und Regeneration des Athleten zu beleuchten, werden im vorliegenden Beitrag folgende Aspekte des Schlafs besprochen: Psy1 Das allgemeine und wissenschaftliche Interesse an dem Phänomen Schlaf muss groß sein, denn Google bietet ca. 25 Mio. Einträge, für Schlafstörungen immerhin 3,3 Mio.; Amazon weist 2242 Einträge auf, davon sind 468 Ratgeber zum Thema Schlaf. Die wissenschaftliche Datenbank MedPilot zeigt 71.438 Beiträge zu dem Titelstichwort „sleep“ an, zu „sleep disturbance/disorder resp. insomnia“ insgesamt ca. 26.000. SPOLIT, die bibliografische Datenbank sportwissenschaftlich relevanter Literatur dagegen führt nur 66 Beiträge zu dem Thema „Schlaf“ auf (November 2012).
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bestehen, kamen meta-analytische Studien zu dem Ergebnis, dass akute und chronische Sportaktivität den Slow-Wave(SW)-Schlaf und die Gesamtschlafzeit erhöhen, aber die Schlaflatenzzeit und den REM-Schlaf reduzieren. Interessant ist die Beobachtung, dass Athleten von Individualsportarten (erwartungsgemäß) häufiger von Schlafstörungen vor dem Wettkampftag berichten als Mannschaftssportler, ein Phänomen, das sich sicherlich aus der alleinigen Verantwortung des Individualsportlers für das Abschneiden im Wettkampf erklären lässt. Eine einfache zeitliche Manipulation von Schlaf- und Mahlzeitenplänen vor Wettkämpfen zu ungewohnter Zeit ermöglicht eine Synchronisation der Spitzenleistung und Wettkampfzeit von Athleten, wodurch sich die Chance für eine Leistungsverbesserung in Wettkämpfen erhöht. Die Anpassungszeit an ein Jetlag chologie und Physiologie des Schlafs, Sportaktivität und Schlaf – Auswirkungen von Schlafentzug auf die sportmotorische Leistungsfähigkeit, motorisches Lernen und Schlaf, Veränderungen des Schlafverhaltens infolge körperlicher Beanspruchung, Schlaf vor Wettkämpfen, Jetlag – sowie Schlafstörungen und therapeutische Maßnahmen. Andere exogene Faktoren, wie die Gestaltung der Schlafstätte und des Schlafraums, waren bisher nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, weshalb sie nur kurz gestreift werden. Die Empfehlungen für einen gesunden Schlaf erheben weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf sichere Wirksamkeit. Sie sind fern jeder Dogmatik individuell zu testen.
2. Psychologie und Physiologie des Phänomens Schlaf Die immense Bedeutung und auch die mystische Faszination, die dem Schlaf immanent sind, zogen Dichter und Denker vergangener Zeiten in ihren Bann. Den heutigen Erkenntnissen der Schlafwissenschaft(en) gemäß werden im Schlaf die unerledigten Dinge des Tages weiterverarbeitet, wodurch das Gehirn von überflüssigen Altlasten befreit wird. Dabei zaubert das Gehirn nicht selten fantastische Kurzgeschichten, sprich, Träume. Der Durchschnittsschläfer wechselt ca. alle 20 Minuten seine Schlafposition; es können bis zu 20 größere Bewegungen mit Umdrehen und 50 weitere kleine Bewegungen pro Nacht gezählt werden (Zulley, 2008). Parasympathische Akti-
kann verkürzt werden, indem der Wechsel von Training/Erholung und Helligkeit/ Dunkelheit sowie der Zeitpunkt der Einnahme von Mahlzeiten verändert werden. Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen mag ein chronisches Schlafdefizit (auch bei Leistungssportlern) immer häufiger auftreten, dem vermutlich nur durch Schlafextension begegnet werden kann, um negative Konsequenzen für die Leistungsfähigkeit abzuwenden. Das Ursachengeflecht von (symptomatischen) Schlafstörungen ist breit gefächert und bedarf stets einer individuellen Analyse. Ist allerdings die wahre Ursache gefunden, gilt es in erster Linie, diese zu beseitigen. Von den möglichen Therapieformen sind nur wenige evidenzbasiert. Eingegangen: 4.1.2013
vitäten dominieren. Dementsprechend nehmen Herzschlagzahl und Blutdruck ab, während die Magen-Darm-Tätigkeit ansteigt (Hollmann & Strüder, 2009). Obgleich der Kontakt zwischen Mensch und Umwelt im Schlaf weitgehend aufgehoben ist, laufen auch in der scheinbaren Ruhelage des Menschen aktive Prozesse ab. Der Schlaf ist durch folgende vier Kriterien definiert: 1. reduzierte motorische Aktivität, 2. verminderte Reaktion auf Stimulation, 3. stereotype Haltung(en) und 4. relativ einfache Reversibilität (Rechtschaffen & Siegel, 2000). Die neuronale Aktivität des Gehirns ist während der verschiedenen Schlafstadien (siehe Infokasten 1) von ähnlicher Komplexität wie im Wachzustand. Man weiß, dass weder die Durchblutung des Gehirns noch die mittlere Entladungsfrequenz einzelner Neurone im Schlaf vermindert ist, sondern manchmal sogar erhöht. Während der Nachtruhe kontrahiert und entspannt sich die Muskulatur, die Herzund Atemfrequenz, die Körpertemperatur und der Blutdruck steigen und fallen. In einer bestimmten Schlafphase sind Salven schneller Augenbewegungen („rapid eye movements“, REM) zu beobachten. Beim Mann treten in derselben Phase regelmäßig Peniserektionen auf (Rechtschaffen & Siegel, 2000; Weineck, 2000; Shapiro, 1981). Der Hypothalamus spielt in der Steuerung des Schlafs eine wichtige Rolle. Er verringert die Produktion des Neurotransmitters Histamin
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und des Peptids Orexin. Licht stellt einen wesentlichen Impulsgeber dar. Es beeinflusst die Produktion von Melatonin, welches zusammen mit Serotonin und anderen biochemischen Substanzen den Wach-Schlaf-Zyklus moduliert. Substanzen, welche die Synthese von Serotonin und anderen blockieren, behindern auch den Schlaf (Forbes-Robertson et al., 2012; Hollmann & Strüder, 2009; Mignot, Taheri & Nishino, 2002; Shephard & Shek, 1996). Die Kortisol- und Wachstumshormonspiegel im Blut erreichen während des Schlafs ihre Höchstwerte (Veldhuis et al., 1996; Gusenoff et al., 2001). Zur Funktion des Schlafs gibt es unterschiedli-
INFO 1
che Hypothesen: Aufladung der Energiespeicher bzw. Konservierung metabolischer Energie (die metabolische Rate während des Schlafs ist im Vergleich zur Wachphase um ca. 15 Prozent verringert) und Regeneration (Morris, 1982), Erholung des Immunsystems (es ist gesichert, dass körperlicher und geistiger Disstress das Immunsystem akut schwächt), Überlebensstrategie durch Feindvermeidung, Energieeinsparung durch zeitliche Steuerung der Thermoregulation (Hollmann & Strüder, 2009), Gedächtnisbildung und -konsolidierung (Buzsaki, 1998), Wiederauffüllung von intraneuralen Glykogendepots (Dworak et al., 2008).
Gesunder Schlaf Der gesunde Schlaf ist durch schnelles Einschlafen, eine entsprechende Schlaftiefe und eine charakteristische Abfolge der Schlafphasen bzw. -stadien (vgl. Infokasten 1) gekennzeichnet. Die individuell optimale Schlafdauer hängt offenbar vom genetischen Phänotyp ab. Ob man es mit Napoleons Zitat „Fünf Stunden Schlaf für einen Mann, sechs für einen Jüngling, sieben für eine Frau – und acht Stunden für einen Dummkopf“ hält oder ob man mit dem englischen Sprichwort „Die Natur fordert fünf Stunden Schlaf, die Gewohnheit sieben, die Faulheit neun und die Bosheit elf“ überein-
non-REM- und REM-Schlaf
In der schlafmedizinischen Forschung wird das Elektroenzephalogramm (EEG) zur Bestimmung der Schlaftiefe herangezogen. Mit seiner Hilfe sind zwei Schlafphasen voneinander abzugrenzen: Die erste Phase (nonREM/NREM mit 3 bis 4 Stadien) ist insbesondere durch ein EEG mit niedriger Frequenz und hoher Amplitude charakterisiert. Es ist das Hirnstrombild des Schlafenden (SWS = slow wave sleep, Walker & Stickgold, 2004, S. 122) und wird daher auch als orthodoxer Schlaf bezeichnet. Während der NREM-Phase sind die neuronale Aktivität, die metabolische Rate und die Gehirntemperatur deutlich vermindert. Ferner sind eine reduzierte Aktivität des Sympathikus, eine Verminderung der Herzfrequenz und des Blutdrucks charakteristisch für diese Schlafphase. Demgegenüber ist eine erhöhte parasympathische Aktivität zu verzeichnen (Rechtschaffen & Siegel, 2000).
Die zweite Phase (REM) zeigt ein EEG, das mit dem Wachhirnstrombild vergleichbar ist, daher die Bezeichnung paradoxer Schlaf. Zu dieser Zeit treten die rhythmischen Bewegungen der Augenmuskeln auf, die namensgebend waren. Während die Muskulatur ganz entspannt ist, sind die Herz- und Atemfrequenz sowie der Blutdruck erhöht. In Über-
einstimmung mit einer allgemein erhöhten neuralen Aktivität im Gehirn steigen in der REM-Phase die Gehirntemperatur und die metabolische Rate an (Rechtschaffen & Siegel, 2000). In dieser Phase ist es äußerst schwer, den Schlafenden zu wecken – der Schlaf ist tiefer als in der ersten Phase.
Wach-/SchlafStadium
Elektroenzephalogramm (EEG)
Elektrookulogramm (EOG)
Elektromyogramm (EMG)
Anteil an Gesamtschlafdauer (%)
Wach-Stadium (W)
Beta- (13-30 Hz) und AlphaAktivität (8-13 Hz) Theta-Aktivität (4-7 Hz), Vertex-Zacken1 Theta-Aktivität (4-7 Hz), K-Komplexe2, Schlafspindeln (12-14 Hz)3 Delta-Aktivität (0,5-3,5 Hz) mehr als 20 Prozent Theta- (auch Alpha-) Aktivität, Sägezahnwellen4
Lidschläge, rasche Augenbewegungen Rollende Augenbewegungen
ca. 5
Keine Augenbewegungen, EEG-Artefakte
Hoher Muskeltonus, EMG-Artefakte Abnahme des Muskeltonus (geringer als im Wachstadium) Abnahme des Muskeltonus (geringer als in NREM-1)
Keine Augenbewegungen, EEG-Artefakte Rasche Augenbewegungen = rapid eye movements (REM)
Abnahme des Muskeltonus (geringer als in NREM-2) Niedrigster Muskeltonus (kleiner/gleich NREM-3-4)
ca. 20
NREM-1 NREM-2 NREM-3-4 REM
ca. 5 ca. 50
ca. 20-25
1 Vertexzacken zeigen den physiologischen Einschlafmoment an; 2K-Komplexe sind für die NREM-2-Phase charakteristische Wellenmuster; 3Schlafspindeln = sinusförmige Wellen niedriger Amplitude; 4Sägezahnwellen sind Wellenmuster in der REM-Phase (~2 Hz, 40-50 µV) (nach Blischke & Erlacher, 2007, S. 5; Erlacher et al. 2012, S. 6)
Die REM-Phasen kehren im Normalfall alle 90 Minuten wieder. Ihre durchschnittliche Dauer liegt bei etwa 20 Minuten und nimmt im Verlauf des Schlafens zu (Pape, 2001; Schmidt, 1983). Die meisten Traumberichte (60 bis 90 Prozent) gehen auf das REM-
Schlafstadium zurück. Entzieht man Menschen durch Wecken diesen paradoxen Schlaf, zeigen sie nach gewisser Zeit Verstimmung und neurotisches Verhalten. Die für das körperliche Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit maßgebliche Tiefschlafge-
samtdauer reduziert sich von 25 Prozent in der Jugend auf nur noch 5 Prozent im höheren Alter. Diese (altersbedingten) Vorgänge gehen mit einer um bis zu 50 Prozent reduzierten Melatoninsekretion einher.
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stimmen möchte, die wissenschaftlich beobachtete Schlafdauer variiert zwischen 5 und 10 Stunden; der Durchschnitt liegt bei 7,5 Stunden und hängt stark vom Alter ab. Während Säuglinge und Kleinkinder zwischen 14 und 16 Stunden Schlaf benötigen, kommt der ältere Mensch mit 5 Stunden Bettruhe aus (Hales, 1989; Bierach, 1991; Zulley, 2008). Insgesamt verbringt der Mensch folglich mindestens ein Drittel seines Lebens im Bett. Dass der viel gerühmte Schlaf vor Mitternacht der Schönheit diene oder der gesündeste sei, entbehrt bislang eines wissenschaftlichen Nachweises – allerdings weist Mutter (2009) darauf hin, dass in dieser Zeit verstärkt Melatonin gebildet wird, sofern kein Elektrosmog vorhanden ist. Jedes Geräusch, das lauter ist als 70 dB, was etwa der Lautstärke des Verkehrs auf einer mäßig befahrenen Straße entspricht, aktiviert das Nervensystem. 120 dB bilden die natürliche Schmerzgrenze. Auch diesbezüglich finden sich große interindividuelle Unterschiede. Manche Menschen sind bis zu siebenmal geräuschempfindlicher als andere. Frauen wachen nachgewiesenermaßen bei Lärm eher auf als Männer. Ältere Menschen sind trotz erniedrigten Hörvermögens lärmempfindlicher als junge. Untersuchungen an Personen, die in Flughafennähe wohnen, belegten eine geringere Schlaftiefe und ein häufigeres Aufwachen (Hales, 1989).
3. Sportliche Aktivität und Schlaf Motorische Fähigkeiten Es verwundert, dass den motorischen (v.a. energetisch determinierten) Fähigkeiten ein bislang relativ geringes Forschungsinteresse in Bezug auf die Schlafqualität gewidmet wurde. Dass Schlafentzug sich negativ auf die sportmotorische Leistungsfähigkeit auswirkt, darf jedoch als allgemein gesichert angenommen werden. Nach 50-stündigem Wachbleiben zeigten jugendliche Testpersonen insbesondere in der Beweglichkeit, im Gleichgewicht, in der Ausdauer, Schnellkraft, Reaktionszeit und in
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der Schnelligkeit eine überzufällige Leistungsminderung (Copes & Rosentswieg, 1972; Hollmann & Strüder, 2009). Ebenso konnte experimentell demonstriert werden, dass psychomotorische Aufgaben infolge Schlafentzugs größeren Leistungseinbußen unterlagen; außerdem war das Ergebnis umso schlechter, je komplizierter die Anforderungen waren (Copes & Rosentswieg, 1972; Smith & MacNeill, 1994; Hollmann & Strüder, 2009). Die mentale Leistung scheint eher beeinflusst zu werden als die körperliche. Vermutlich ist das Zentralnervensystem und damit die feinmotorische Koordination von einem Schlafentzug als Erstes und am deutlichsten betroffen, bevor Leistungsverschlechterungen auch in der Grobmotorik konstatiert werden können. Anhand von EEG(Takahashi et al., 1998) und EKG-Parametern (Hayashi et al., 1999) konnte belegt werden, dass ein kurzes Nickerchen nach dem Mittagessen effektiv im Hinblick auf die Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit ist.
Motorisches Lernen im Schlaf Wie der Begriff des Schlafens stellt auch der des Lernens keine singuläre Entität dar. Auch das Lernen, die Gedächtnisbildung, verläuft in verschiedenen Phasen mit unterschiedlichen Funktionen (z.B. Integration, Konsolidierung und Stabilisierung des Lerninhaltes oder Steigerung der Lernleistung) (s. Abb. 1, unten) (Walker & Stickgold, 2004). Darüber hinaus hat sich eine allgemeine Differenzierung zwischen deklarativem und nicht-deklarativem Gedächtnis mit jeweils mehreren Subkategorien, wie z.B. episodisch bzw. prozedural, etabliert (s. Abb. 1, oben) (Squire & Zola, 1996). Diese Unterscheidungen sind für die Forschung von Bedeutung, da Lernen je nach Komplexität unterschiedliche neuronale Prozesse initiiert. Zu den aktuellen Schlaftheorien zählt die Funktion der Gedächtnisbildung und -konsolidierung. Während im Wachzustand die Informationen vom Neokortex zum Hippocampus
Gedächtnissysteme und Gedächtnisbildung Gedächtnis Gedäch chtnis i nicht nich ni chtt deklarativ ddeekl klar araat ativ iv
deklarativ deklar araatiivv
episodisch episod odis isch
semantisch semannttisch
prozedurale proz ozed eduural ale Fertigkeiten Fert Fe rtiggke keit iten en
nichtnich ni chtt tassoziativ aassssoozi ziaat ativ iv
Bahnung Bahn Ba hnun uunng (Priming) ((P Prriimi ming min ng)
Intergration Verlagerung Enkodierung/Erwerb
Konsolidierung
Abruf (von Gespeichertem)
Re-Konsolidierung
Stabilisation Vergrößerung Verlust/Löschung ö Gedächtnissysteme (oben) und Stufen der Gedächtnisbildung (unten) (nach Walker & Stickgold, 2004, S. 122)
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transportiert werden, verläuft der Datentransfer im Schlaf in umgekehrter Richtung (Buzsaki, 1998). Man vermutet, dass Lernen spezifische Veränderungen in der neuronalen Aktivität während des Schlafens verursacht, die der Konsolidierung neu erworbener Gedächtnisspuren dienen (u.a. Gais & Born, 2004a; Mölle et al., 2004; Smith et al., 2004; Walker & Stickgold, 2004; Blischke & Erlacher, 2007; Beck & Beckmann, 2010). Der Schlaf scheint ein optimales Milieu für die erneute Verarbeitung von Gedächtnisinhalten dadurch bereitzustellen, dass die cholinerge Aktivierung und die Kortisol-Rückkopplung zum Hippocampus während des „slow-wave sleeps“ (SW-Schlaf) reduziert sind (Gais & Born, 2004b; Payne & Nadel, 2004). Während die Rolle des NREM-Schlafs also in einer Reaktivierung der hippocampalen-neokortikalen Schaltkreise liegt, die im Verlauf einer Lernperiode aktiviert wurden, scheint der REM-Schlaf für die Konsolidierung des neu gelernten Inhalts im Langzeitspeicher verantwortlich zu sein (Walker & Stickgold, 2004; Cartwright, 2004). Nach Walker und Russo (2004) hängt eine effektive Konsolidierung von Gedächtnisinhalten darüber hinaus auch von der Dynamik des gesamten Schlafzyklus ab. Gemäß Guan et al. (2004) ist der Hippocampus vermutlich besonders anfällig gegenüber Schlafmangel. Der Lernvorgang einer motorischen Fertigkeit durchläuft eine Serie verschiedener Gedächtnisphasen. Die motorische Leistung verbessert sich zunächst während des Trainings und dann, ohne weiteres Üben, im Verlauf der nachfolgenden Schlafperioden. Dies scheint besonders für schwierigere motorische Fertigkeiten zu gelten. Im Experiment betrug die Leistungsverbesserung zwischen „post-training“ und „Retest“ nach Nachtruhe 28,9 Prozent (Kuriyama et al., 2004). Walker et al. (2002) konnten experimentell belegen, dass der Schlaf einer Nacht zu einem 20-prozentigen Anstieg der motorischen Geschwindigkeit ohne Genauigkeitsverluste führt, während eine vergleichbare wachend verbrachte Zeitdauer keine signifikante Verbesserungen bewirkte. Darüber hinaus bestand eine signifikante Korrelation zwischen der über Nacht erzielten erhöhten Leistungsfähigkeit und der Summe des NREM-Schlafs in Phase 2. Gais et al. (2000) entzogen Versuchspersonen selektiv entweder den frühen Schlaf (SWSchlaf) oder den Schlaf in der tiefen Nacht (REM-Schlaf), nachdem diese sich einem Lernprozess zur visuellen Wahrnehmung gestellt hatten. Aus den Befunden zogen die Autoren den Schluss, dass die Konsolidierung durch Prozesse des SW-Schlafs initiiert wurde, während der REM-Schlaf daraufhin eine zusätzliche Steigerung der Lernleistung bewirkte. Darauf aufbauend, konnten Walker und Stickgold (2004) zeigen, dass diese Verbesserungen speziell schlaf- und nicht zeitabhängig sind und positiv mit der Quantität sowohl des SW- als auch des REM-Schlafs korrelieren. Die schlafbedingten Leistungsverbesserungen (sogenannte „off-line“-Gedächtnisprozesse) scheinen besonders von dem Schlaf in der ersten Nacht nach dem Fertigkeitserwerb abhängig zu sein.
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Das Beherrschen vieler komplexer motorischer Fertigkeiten, vom Erlernen eines Musikinstruments bis zur Koordination sportlicher Bewegungen, chirurgischer Fertigkeiten und artikulatorischer Sprachmuster, unterliegt wahrscheinlich ähnlichen schlafabhängigen Mechanismen. Gedächtnisbildung hängt von der Plastizität des Gehirns, d.h. von dauerhaften strukturellen und funktionalen Veränderungen in Neuronen als Antwort auf einen Stimulus, ab. Maquet et al. (2003) konnten mittels funktionaler Magnetresonanztomografie (fMRT) eine schlafabhängige Plastizität nach einer prozeduralen visuo-motorischen Verfolgungsaufgabe demonstrieren. Entsprechende Aktivierungsmuster im Gehirn sowohl nach der gegebenen Trainingsphase als auch während der folgenden REMSchlaf-Episoden konnten auch infolge einer motorischen Reaktionszeitaufgabe beobachtet werden (Maquet et al., 2000). Das Ausmaß der Leistungsverbesserung während des Trainings steht wahrscheinlich in direktem Bezug zum Maß der Reaktivierung während des REMSchlafs. Mit Bezug auf prozedurales Lernen unterstützen einige Studien die Assoziation mit dem REM-Schlaf, während andere Arbeiten motorisches Lernen eher mit dem Schlafstadium 2 in Verbindung bringen. Schredel und Erlacher (2007) beispielsweise kamen zu dem Ergebnis, dass eine Leistungssteigerung über Nacht mit der Dauer des REM-Schlafs, nicht jedoch mit den anderen Schlafphasen korreliert. Erlacher et al. (2009a) zeigten, dass das Erlernen einer großmotorischen Bewegung (hier: Trampolinspringen) zu einem signifikanten Anstieg des REM-Schlafanteils führt; infolge der Ausführung einer motorischen Kontrollaufgabe, die keinen Lernprozess erforderte, war ein solcher Anstieg nicht zu beobachten. Tamaki et al. (2009) untersuchten, ob langsame und/oder schnelle Schlafspindeln (s. Infokasten 1) in Bezug zum visuo-motorischen Lernen stehen. Die Amplitude der schnellen Spindeln war in der Nacht im Anschluss an eine Lerneinheit am Vortag im Vergleich zur Kontrollsituation (ohne Lerneinheit) signifikant erhöht, und zwar besonders im linken Frontalbereich. Das der Generierung von schnellen Spindeln zugrunde liegende thalamokortikale Netzwerk könnte den Autoren zufolge zur synaptischen Plastizität während des Schlafs beitragen. Motorisches Lernen und Gedächtniskonsolidierung bedürfen der Beteiligung verschiedener kortikaler Areale. Beim Erlernen motorischer Sequenzen spielt der primäre motorische Kortex eine prominente Rolle. Nitsche et al. (2010) schließen aus ihren Untersuchungsbefunden, dass der prämotorische Kortex an der Konsolidierung motorischer Gedächtnisinhalte während des REM-Schlafs beteiligt ist. Gemäß Peters et al. (2007) hängen die Veränderungen der Mikroarchitektur des Schlafs infolge prozeduraler Lernprozesse vom anfänglichen Fertigkeitsniveau ab. Summa summarum provoziert motorisches Lernen bzw. Training Veränderungen kortikaler Bewegungsrepräsentationen, die
u.a. auf der Neubildung von Synapsen und den Veränderungen ihrer Übertragungsstärken beruhen. Nach einem motorischen Training treten außerdem Konsolidierungsvorgänge auf, die zu Leistungssteigerungen führen. Bei diesen kortikalen Prozessen spielt der Schlaf eine bedeutsame Rolle (u.a. Walker & Stickgold, 2004; Beck & Beckmann, 2010).
Psychische Belastung Intensität und Umfang Die im Folgenden präsentierten wissenschaftlichen Befunde zur Wirkung sportlicher Aktivität auf den Schlaf sind teilweise widersprüchlicher Natur. Unter Verwendung eines Selbstbewertungs-Fragebogens fanden Porter und Horne (1981) bei regelmäßig sporttreibenden Testpersonen, dass sie im Vergleich zu nicht sportaktiven Personen später zu Bett gingen, kürzer schliefen, schneller einschliefen, sich beim Erwachen weniger müde fühlten und seltener von schlechtem Schlaf oder vom Verlangen, länger zu schlafen, berichteten. Trainierte benötigen demnach weniger Schlaf und/oder schlafen effizienter. Montgomery et al. (1985) dagegen berichteten, dass der SW-Schlaf und die Gesamtschlafzeit verlängert waren, während die Zeit bis zum Einschlafen infolge körperlichen Trainings (hier: unterschiedliche Formen von Ausdauerbelastungen) verkürzt war. Vuori et al. (1988) empfahlen im Besonderen leichte bis moderate Sportaktivität am frühen Abend als probates Mittel zur Verbesserung der Schlafquantität und -qualität, doch auch eine intensive körperliche Betätigung zeigte positive Schlafeffekte bei einer größeren Anzahl an befragten Personen im Rahmen einer epidemiologischen Studie. Youngstedt et al. (1999) unterzogen 16 männliche Radfahrer einer dreistündigen Belastung auf dem Fahrradergometer bei 65 bis 75 Prozent ihrer maximalen Herzfrequenz. Im Vergleich zu Kontrollmessungen fanden die Autoren keine signifikanten Differenzen bzgl. objektiver und subjektiver Schlafvariablen. Die Autoren stellten fest, dass ihre Ergebnisse mit der generellen Meinung, wonach hohe körperliche Belastung kurz vor dem Zubettgehen den Schlaf störe, nicht übereinstimmen. Dworak et al. (2008) belegten, dass eine hochintensive Belastung auf dem Fahrradergometer (85 bis 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz) in einem signifikant erhöhten SWSchlaf-Anteil, weniger Schlaf im Stadium 2, einer höheren Schlafeffizienz und einer kürzeren Einschlafdauer im Vergleich zu einer moderaten Belastungsintensität (65 bis 77 Prozent der maximalen Herzfrequenz) resultierte, was insgesamt die Hypothese einer homöostatischen Schlafregulation unterstützt. Überdies fanden die Autoren keine Auswirkungen auf den REMSchlaf in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Belastungsintensität. Flausino et al. (2012) fanden infolge unterschiedlicher sportlicher Aktivität eine verbesserte Schlafeffizienz und einen Anstieg der REM-Schlaflatenz sowie eine prozentuale Abnahme des Stadium-1Schlafs und des Aufwachens im Schlaf selbst bei guten Schläfern. Freizeitsportler mit einem
höheren Belastungsumfang (durchschnittlich 8,5 Stunden/Woche) zeigten im Vergleich zu Versuchspersonen mit einem niedrigeren Umfang (im Mittel 2 Stunden/Woche) mehr SWSchlaf und weniger REM-Schlaf sowie eine verkürzte Schlaflatenzzeit und selteneres Aufwachen (Brand et al., 2010). Gestörter Schlaf infolge sportlicher Aktivität? Es gibt Hinweise dafür, dass Sportaktivität unter bestimmten Bedingungen Schlafstörungen provoziert, die Summe des REM-Schlafs reduziert und den Beginn der REM-Phase verzögert (Montgomery et al., 1985). Diese negativen Auswirkungen scheinen mit folgenden Faktoren assoziiert zu sein: Training am späten Abend, schlechter Trainingszustand, hohe Intensität der Belastung und fortgeschrittenes Alter des Sportlers. Vermutlich addieren sich diese Variablen, die wahrscheinlich als Konsequenzen von durch Sport induziertem Stress zu verstehen sind. Als Indikatoren dafür konnten bei Personen, deren Schlaf gestört war, erhöhte Kortisol- und Katecholaminspiegel festgemacht werden. Während bei jungen Langstreckenläufern eine deutliche Verlängerung des SW-Schlafs und der Gesamtschlafzeit beobachtet werden konnte, provozierte ein Testmarathon, dem sich im Durchschnitt 41 Jahre alte, erfahrene Läufer unterzogen, eine aus schlafmedizinischer Sicht dramatisch gestörte Nachtruhe. Eine erhöhte Kortisolsekretion koinzidierte mit gestörtem Schlaf. Das Schlafverhalten hatte sich allerdings bereits in der zweiten Nacht nach dem Marathon wieder normalisiert (Montgomery et al., 1985). Gemäß Driver et al. (1994) scheint der REM-Schlaf ein sensitiverer Indikator für belastungsinduzierten Stress zu sein als der SW-Schlaf. Nach einem Ultra-Triathlon fanden die Autoren im Vergleich zu einem 15-km- und einem Marathon-Lauf eine erhöhte Schlaflosigkeit und einen verminderten REM-Schlaf. O’Brian (1994) wies nach, dass beim Übertraining die Phasen des SW-Schlafs zu kurz sind. Diese Schlafphasen, in denen es zur Ausschüttung von STH (somatotropes Hormon; Wachstumshormon) kommt, spielen im Hinblick auf die Regeneration eine entscheidende Rolle. Schlafmodulation Kern et al. (1995) testeten die Hypothese, dass eine langdauernde Sportaktivität bei moderater Belastungsintensität die typischen Zeitmuster der Hormonfreisetzung während des nächtlichen Schlafs in der darauffolgenden Nacht verändert, nicht jedoch eine langdauernde Sportaktivität bei niedriger Belastungsintensität. Anhand polysomnografischer Aufzeichnungen und der Bestimmung der Konzentrationen von Kortisol, Wachstumshormon und Testosteron konstatierten die Autoren, dass die nächtlichen Profile von Kortisol und Wachstumshormon als Indikatoren für eine Störung der normalen anabolen Funktionen des Schlafs infolge sportlicher Aktivität am Tag dienen können. Hackney et al. (1989) fanden signifikant erhöhte Prolactinund Thyroxinspiegel sowie erniedrigte Kortisol-
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und Wachstumshormonkonzentrationen in der Nacht nach einer 90-minütigen Fahrradergometerbelastung bei 70 Prozent der individuellen maximalen Sauerstoffaufnahme; keine bedeutsamen Veränderungen zeigten sich für Testosteron und das luteinisierende Hormon (stimuliert die Ausschüttung von Progesteron, welches Vorläufer der Androgene und Nebennierenrindenhormone ist). Eine wichtige Rolle unter den Substanzen, die den Schlaf modulieren, spielen die in der Erholungsperiode nach einer akuten Belastungseinheit produzierten Zytokine (Entzündungsmediatoren). Verschiedene Studien konnten bestätigen, dass physische Aktivität die Plasmakonzentration vieler pro-inflammatorischer Zytokine verändert, die ihrerseits den Schlaf modulieren (Santos et al., 2007). Myllymäki et al. (2012) untersuchten die nächtliche Herzfrequenzvariabilität (HRV) und konstatierten, dass hohe Belastungsintensitäten und -dauern eine verzögerte Erholung der nächtlichen autonomen kardialen Modulation bewirken. Gleichzeitig konnten sie jedoch keine negativen Auswirkungen hoher physischer Belastungen auf die Schlafqualität feststellen. Während des Schlafs fiel der mittlere arterielle Blutdruck infolge einer Fahrradergometerbelastung bei 70 Prozent VO2max im Vergleich zu einer entsprechenden Belastung bei 40 Prozent VO2max signifikant niedriger aus. Daraus schließen Jones et al. (2009), dass Sportaktivität am Tag einen physiologisch bedeutsamen niedrigeren Blutdruck während des Schlafens bewirken kann, wobei die Belastungsintensität der wichtigste Faktor für diese Beobachtung zu sein scheint. Mit zunehmendem Alter sind bedeutsame Veränderungen in der normalen Schlafarchitektur zu beobachten. King et al. (1997) ziehen in ihrer experimentellen Studie den Schluss, dass (ältere) Erwachsene mit leichten Schlafproblemen durch ein regelmäßiges und moderates sportliches Training die Schlafqualität verbessern können. Bilanz: Nutzungsabhängigkeit Wie wir gesehen haben, liefern Studien zur Auswirkung akuter und chronischer Sportaktivität auf Schlafparameter unterschiedliche Ergebnisse und demzufolge widersprüchliche Interpretationen. Methodologische Unterschiede zwischen den Studien sowie kleine Versuchsgruppen, verbunden mit einer niedrigen statistischen Aussagekraft, tragen ebenfalls zu dem Mangel an Konsens bei. Kubitz et al. (1996) kamen auf der Basis einer Meta-Analyse zu dem Ergebnis, dass akute und chronische sportliche Aktivitäten den SW-Schlaf und die Gesamtschlafzeit erhöhen, aber die Schlaflatenzzeit und den REM-Schlaf reduzieren. Als moderierende Variablen gelten dabei Geschlecht, Alter und Fitnessniveau des Individuums einerseits sowie Tageszeit, Art und Dauer der ausgeübten Sportaktivität andererseits. Offensichtlich kommt nicht jede beliebige sportliche Betätigung dem Schlaf einer jeden Person zugute. Vertrautheit mit der jeweiligen Sportart, Trainingsniveau, Tageszeit der körper-
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lichen Beanspruchung und Belastungsintensität beeinflussen im Verbund die Qualität des Schlafs. Im Leistungssport (insbesondere in der Wettkampfphase), im gesundheitsorientierten Breitensport und in der Therapie von Schlafstörungen kommt vor diesem Hintergrund der individuellen Trainingsgestaltung auch im Hinblick auf den Gesundbrunnen Schlaf eine hohe Bedeutung zu. Allgemein gesprochen, stabilisiert sportliche Aktivität die unterschiedlichen Funktionen und Prozesse des Organismus und schafft mit einer erhöhten Ergotropie (Umstellung auf Leistung) am Tag die Voraussetzung für eine verbesserte Trophotropie (Umstellung auf Ernährung) im Schlaf (Ehrenstein, 1972). Personen, die am Tag (mental und/oder physisch) härter arbeiten, verbringen mehr Zeit im SW-Schlaf. Offensichtlich besteht ein nutzungsabhängiges Bedürfnis nach Schlaf. Denn je mehr eine spezifische Region des Gehirns am Tag angesprochen und genutzt wird, umso größer sind die langsamen Wellen in dieser Region während des Schlafs (Tononi, 2009).
Schlaf vor Wettkämpfen Unerlässliche Voraussetzung für die optimale Erholung nach dem Training oder Wettkampf und v.a. auch als Vorbereitung eines Athleten auf einen am nächsten Tag folgenden Wettkampf ist ein ausreichend langer und ungestörter Schlaf. In einer Studie von Erlacher et al. (2011) wurden 632 Athleten verschiedener Sportarten nach ihren Schlafgewohnheiten während der Nacht bzw. Nächte vor einem wichtigen Wettkampf oder Spiel befragt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass 65,8 Prozent der Athleten mindestens einmal in ihrem Leben in der Nacht vor einem sportlichen Ereignis schlecht geschlafen hatten, wobei ein ähnlich hoher Prozentsatz (62,3 Prozent) diese Erfahrung im Verlauf der vergangenen zwölf Monate gemacht hatte. Athleten von Individualsportarten berichteten häufiger von Schlafschwierigkeiten als Mannschaftssportler. Das Hauptproblem lag im Bereich schlechten Einschlafens. Überraschenderweise gaben die meisten Athleten an, dass gestörter Schlaf keinen Einfluss auf ihre sportliche Leistungsfähigkeit habe, nannten als Auswirkungen jedoch schlechte Stimmung am folgenden Tag, erhöhte Schläfrigkeit über Tag sowie eine schlechtere Leistung im Wettkampf oder Spiel. Semiprofessionelle Volleyballspielerinnen berichteten von einer schlechteren Schlafqualität und einer höheren Häufigkeit nächtlichen Erwachens in der Nacht vor einem Auswärtsspiel im Vergleich zu Nächten vor einem Heimspiel oder regulären Trainingstagen. Die Autoren, Erlacher et al. (2009b), diskutieren, ob die schlechtere Schlafqualität vor einem Auswärtsspiel mit der Leistungsfähigkeit während des Wettkampfs interferiert und deshalb zu dem sogenannten Heimvorteil beiträgt. Sowohl die muskuläre als auch die kognitive Ermüdung können sich im Straßenradsport negativ auf eine konstante, individuell optimale Fahrtechnik auswirken. Selbst in der Vorwett-
kampfphase, in der die meisten Sportler deutlich weniger Disstress verspüren als während der Wettkampfsaison, ist durch Übererregung, Nervosität, Wettkampfangst etc. der zur Regeneration erforderliche Schlaf häufig gestört. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich im Radsport gängige Phänomene wie das ständige Wechseln der Übernachtungsorte sowie die Variation der Startzeiten negativ auf die Schlafqualität und -dauer auswirken. Je nach Ausprägungsgrad der ggf. entwickelten Schlafstörungen (Schlaffragmentierung oder -deprivation) ergeben sich teilweise gewichtige Beeinträchtigungen der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit, wie z.B. erhebliche Schwankungen der Schlafparameter über den Rennverlauf oder tendenzieller Zusammenhang zwischen dem Tiefschlafanteil und der physischen Erschöpfung im Rennen am nachfolgenden Tag (Roth et al., 2010). Taylor et al. (1997) begleiteten Spitzenschwimmerinnen während einer Wettkampfsaison – zu Beginn der Saison, während einer hochintensiven Trainingsperiode und während einer Vorwettkampfphase (Tapering) –, um den Einfluss des Trainingsvolumens auf den Schlaf zu untersuchen. Schlaflatenzzeit, Gesamtschlafzeit und REM-Schlafzeit waren in allen drei Trainingsphasen gleich. Der SW-Schlaf bildete einen hohen Prozentsatz in der Trainingsphase zu Beginn der Saison (26 Prozent) und in der Zeit hoher Belastungsintensität (31 Prozent), wogegen er in der Vorwettkampfphase signifikant reduziert war (16 Prozent). Diese Beobachtung unterstützt die Theorie, dass das Bedürfnis nach erholsamem SW-Schlaf sich entsprechend physischer Beanspruchung reduziert. Die Zahl der Bewegungen während des Schlafs war in der Zeit größerer Belastungsumfänge signifikant erhöht. Javierre et al. (1996) belegten in einem Experiment mit Sprintern auf nationalem Leistungsniveau, dass eine einfache zeitliche Manipulation von Schlaf- und Mahlzeitenplänen eine Synchronisation der Spitzenleistungen und Wettkampfzeiten ermöglicht, wodurch sich die Chance für eine Leistungsverbesserung in Wettkämpfen erhöht.
Jetlag Spitzenathleten nehmen oft an Wettkämpfen oder Trainingslagern im Ausland teil und unterliegen damit einem Zeitzonenwechsel. Dies führt infolge der Phasenverschiebung (engl. jet lag) zu einer Veränderung des zirkadianen Rhythmus und zu dem Problem des Tagschlafs. Da der Tagschlaf nach Ehrenstein (1972) durch einen Mangel an leichtem Schlaf, durch ein Defizit an Paradox- bzw. REM-Schlaf und durch eine Tendenz zum zwischenzeitlichen Erwachen und erschwerten Wiedereinschlafen gekennzeichnet ist, kann es leicht zum Auftreten eines Schlafdefizits mit Folgen wie Verstimmung und Gereiztheit sowie physischen Leistungseinbußen kommen. Differenzen zwischen der Ortszeit und der inneren biologischen Uhr wirken sich sehr intensiv auf psychische und physische Leistungsfakto-
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ren aus. Während z.B. Flüge von Norden nach Süden oder umgekehrt in dieser Hinsicht nahezu bedeutungslos sind, verursachen Flüge von Osten nach Westen und besonders von Westen nach Osten einen bedeutsamen Stress. Bei Interkontinentalflügen mit größeren Zeitverschiebungen sollte deshalb darauf geachtet werden, dass der Sportler im Flugzeug möglichst viel Gelegenheit zum Schlafen erhält (Hollmann & Strüder, 2009). Reilly (1994) empfiehlt pro überflogene Zeitzone eine um einen Tag frühere Anreise. Die Anpassungszeit kann verkürzt werden, indem der Wechsel von Training/Erholung und Helligkeit/Dunkelheit sowie der Zeitpunkt der Einnahme von Mahlzeiten verändert werden (Javierre et al., 1996). Forbes-Robertson et al. (2012) geben weitere praktische Ratschläge für eine optimale Adaptation, beispielsweise hinsichtlich Prä-Adjustierung, Melatonin, Diät und zeitlicher Abstimmung der Mahlzeiten. Manche Athleten nehmen Melatonin ein, um die Schlafqualität zu verbessern oder um Symptome eines Jetlag nach einem transmeridianen Flug zu mildern (Forbes-Robertson et al., 2012). Atkinson et al. (2001) kamen auf der Basis der Ergebnisse ihrer experimentellen Studie zu dem Schluss, dass die Einnahme von 5 mg Melatonin einen bedeutsamen Einfluss auf die physische Leistungsfähigkeit hat. Allerdings gab es keinen Beleg für eine signifikante Verbesserung der Schlafqualität in der untersuchten Population.
Schlafdeprivation in einem markanten Anstieg der Anzahl unterlassener Antworten bei einer Wahlreaktionsaufgabe, wobei jüngere Probanden (18 bis 24 Jahre) stärker betroffen waren als ältere (62 bis 73 Jahre). Im Tierexperiment wirkte regelmäßige körperliche Aktivität (hier: im Laufrad) einer durch Schlafentzug induzierten Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses und der Langzeitpotenzierung2 entgegen (Zagaar et al., 2012). Die negativen Auswirkungen eines Schlafmangels auf die Aufmerksamkeit und die kognitive Leistungsfähigkeit deuten auf eine verminderte Gehirnaktivität und -funktion hin, und zwar primär im Thalamus, eine für die Wachheit und Aufmerksamkeit bedeutsame subkortikale Struktur, und im präfrontalen Kortex, eine der Aufmerksamkeit und kognitiven Prozessen höherer Rangordnung dienlichen Region. Gemäß Thomas et al. (2000) führt eine 24-stündige Schlafdeprivation zu einer Verminderung der Glukosekonzentration im Gehirn. Vollert et al. (2011) haben an Ratten gezeigt, dass akuter Schlafentzug oxidativen Stress im Kortex, im Hippocampus und in der Amygdala induziert, während vorheriges Laufradtraining diese Wirkung abschwächt. Schlafentzug/-verlust wirkt sich nicht nur auf die mentale Leistungsfähigkeit aus, sondern auch auf das Immunsystem, die Muskelmasse, die Regulation von Hunger und Sättigung so-
ABB. 2
2 Langzeitpotenzierung (engl. long-term potentiation, LTP) gilt als wissenschaftlich anerkanntes Modell der Gedächtnisbildung.
Schlafmangel und Proteinsynthese
Schlafdeprivation und -extension Schlafexperten befürchten, dass Schlafmangel zur Norm wird, da eine „Rund-um-die-Uhr“Gesellschaft es den Menschen ermöglicht, zu jeder Tages- und Nachtzeit einzukaufen, draußen zu essen, fernzusehen oder im Internet zu surfen. Hunt (zit. nach FitzGerald, 2003) schätzt für die USA, dass schläfrige Fahrer in 20 bis 30 Prozent der Verkehrsunfälle involviert sind. Gemäß Dement (2005) tragen die meisten Menschen ein Schlafdefizit mit sich. Das Konzept einer Schlafschuld ist relativ neu und bezieht sich auf die Gesamtsumme verlorenen Schlafs. Jede Stunde, um die das nächtliche Schlafbedürfnis eines Individuums reduziert wird, scheint vom Gehirn als Schuld registriert und addiert zu werden. Das Konzept geht von der Annahme aus, dass jedes Individuum eine spezifische Schlafdauer benötigt, um ein optimales Niveau physiologischer Aufmerksamkeit (Wachheit) am Tag aufrecht erhalten zu können. Eine größere Schlafschuld kann nur durch Extra-Schlaf kompensiert werden. Laut Pilcher und Huffcutt (1996) liegt die Gesamt-Effektgröße infolge Schlafdeprivation unterschiedlicher Dauer hinsichtlich motorischer Aufgaben bei -0,87, bezüglich kognitiver Aufgaben bei -1,55 und die Stimmung betreffend bei -3,16. Ein Schlafdefizit nimmt negativen Einfluss auf Faktoren der kognitiven Leistungsfähigkeit, wie z.B. Aufmerksamkeit, Reaktionszeit und Arbeitsspeicher (van Dongen et al., 2003; Goel, et al. 2009). In einer Studie von Smulders et al. (1997) resultierte eine 28-stündige
wie die kardiovaskuläre Gesundheit (Dinges, zit. nach Tuma, 2006). Ratten, die chronisch, d.h. über einen Zeitraum von 2 bis 3 Wochen, ihres Schlafs beraubt wurden, starben (Rechtschaffen & Siegel, 2000). Schlafmangel regt die Bildung pro-inflammatorischer Zytokine (z.B. Interleukin-6) an, welche das Immunsystem beeinflussen und außerdem weitere entzündlich wirkende Proteine triggern, wie z.B. das C-reaktive Protein, das als Marker für kardiovaskuläre Risiken gilt (Gamaldo et al., 2012; Rohleder et al., 2012). Zu den hormonellen Veränderungen infolge Schlafmangels zählt eine gesteigerte Kortisolausschüttung ebenso sowie eine Abnahme der Konzentrationen von Testosteron und dem insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1 (insulin-like growth factor 1, IGF-1), wodurch Bedingungen für eine proteolytische (= eiweißaufspaltende) Umgebung geschaffen werden. Dattilo et al. (2011) stellten die Hypothese auf, dass Schlafmangel die Proteinsynthese verringert und den Abbau von Proteinen verstärkt. Dadurch wird ein Verlust an Muskelmasse begünstigt und eine Erholung muskulärer Strukturen nach belastungsinduzierter Schädigung oder Verletzungen behindert (vgl. Abb. 2).
Schlafdeprivation/ Schlafdeprivation/ -einschränkung -einschränkung Anabole Hormone
Katabole Hormone
GH, IGF-1, Testosteron
Myostatin, Glukokortikoide
Anabole Proteinsynthese Hormone
Proteinabbau
Muskelatrophie Musk Mu skel elat atro tro r phie ph hie Verminderte Verrmin ndertte Satellitenzellproliferation, Sate tell lllit iten enzze elllp prrol olifferrat atio on, -fusion -fu usiio on und un u nd -differenzierung -dif -d ifffe fere ren nziierrung g Reduzierte Red Re duzziie errte e Regenerationskapazität Reg egen ener erat atio io onskapa kapazi zitä tät Schematische Darstellung der Effekte einer Schlafschuld auf den Metabolismus der Skelettmuskulatur (nach Dattilo et al., 2011, S. 221) (GH [engl. growth hormone] = Wachstumshormon; IGF-1 [engl. insulin-like growth factor] = insulinähnlicher Wachstumsfaktor)
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Taheri et al. (2004) wiesen nach, dass Personen, die weniger als acht Stunden schlafen, einen erhöhten Body Mass Index (BMI) und veränderte Konzentrationen von Hormonen, die den Stoffwechsel und das Hungergefühl regulieren, aufweisen. Bei Personen mit durchschnittlich fünf Stunden Bettruhe wurde eine 15-prozentige Reduktion des Hormons Leptin verzeichnet, welches den Appetit unterdrückt, bei gleichzeitigem Anstieg des appetitanregenden Hormons Ghrelin um 15 Prozent, was Berechnungen zufolge in etwa einer Aufnahme von zusätzlichen 500 kcal/d Tag gleichkommt. Schlaffragmentierung und die Unterdrückung (resp. Reduktion) von SW-Schlaf führte in einer experimentellen Studie zu einer verminderten Insulin-Sensitivität, was u.a. als Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes diskutiert wird. Die britische Schlafgesellschaft hat eine Studie über die Schlafgewohnheiten von über 10.300 Angestellten des öffentlichen Dienstes durchgeführt. Demnach verdoppelte sich bei einer Einschränkung des Schlafs von sieben auf fünf Stunden die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen; zudem erhöhte sich das Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes (Cappuccio et al., 2011a; Cappuccio et al., 2011b; Miller & Cappuccio, 2007). Vor dem Hintergrund, dass viele Menschen ein Schlafdefizit mit sich tragen, gingen Kamdar et al. (2004) der Frage nach, welchen Einfluss eine Schlafverlängerung auf die Aufmerksamkeit, Wachheit und Stimmung bei gesunden jungen Erwachsenen hat. Es zeigte sich, dass eine Schlafextension bei allen untersuchten Faktoren substanzielle Verbesserungen bewirkte. Mah et al. (2011) untersuchten die Auswirkungen einer Schlafextension auf die athletischen 3 Bei nicht wenigen Schlafstörungen liegt die Ursache wahrscheinlich im psychischen Bereich. Aufgrund psychologischer Studien soll es sich bei Schlafgestörten – im Vergleich zu Tiefschläfern – v.a. um Menschen mit Neigung zu depressiven Verstimmungen, hypochondrischen Reaktionen, gefühlsmäßiger Unausgeglichenheit, Angstzuständen, Minderwertigkeitsgefühlen, Zwängen, vegetativer Labilität und der Unfähigkeit handeln, über sich und ihre Probleme befreiend zu reden (Auerbach, o. J.).
Leistungen von Basketballspielern. Alle Messgrößen (Sprintfähigkeit, Korbwurferfolge/ Wurfpräzision, Selbstbewertung in Training und Spiel) zeigten im Post-Test hochsignifikante Verbesserungen im Vergleich zum Prä-Test (Tab. 1).
4. Schlafstörungen und entgegenwirkende Maßnahmen Produktivitätsverlust Schlafprobleme und -störungen stellen eine relativ große Belastung der öffentlichen Gesundheitssysteme dar. Annähernd 70 Mio. Menschen (ca. 23 Prozent der Gesamtbevölkerung) leiden z.B. in den USA unter Schlafproblemen, wovon 60 Prozent eine chronische Schlafstörung haben. Allein in den USA verursachen Schlafstörungen pro Jahr ungefähr 16 Mrd. Dollar Gesundheitskosten und fast 50 Mrd. Dollar Produktivitätsverlust (Spiro, 2005). Vergleichbare Prozentrelationen dürften auch für die deutsche Bevölkerung gelten, was Gesundheitskosten von jährlich ca. 3,5 Mrd. Euro und einem Produktivitätsverlust von ca. 10,8 Mrd. Euro entsprechen würde. Noch vor 20 Jahren betrug die mittlere Schlafdauer in Deutschland acht Stunden, 2008 lag sie bei 7 Stunden 14 Minuten (WDR 2, 10.02.2008). Nach Smaldone et al. (2007) sind ungefähr 15 Mio. Kinder in den USA von unzureichendem Schlaf betroffen. In Deutschland liegt die Inzidenz von Schlaflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 19 Prozent (Bös et al. 2002).
Ursachengefüge Schlafstörung ist keine Krankheit an sich, sondern ein Symptom. Sie sollte als Hinweis des Organismus interpretiert werden, der auf diese Weise eine Korrektur des Lebensstils anzeigt. Die Ursachen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, sind mannigfaltig und können folgendermaßen eingeteilt werden: Psychoreaktive Faktoren wie Ärger, Angst, Sorgen etc.; psychosoziale Aspekte wie z.B. familiäre oder sexuelle Probleme; psychische Störungen wie z.B. De-
TAB. 1
pressionen und schizophrene Psychosen3; ungünstige Ess- und Trinkgewohnheiten inkl. Unverträglichkeiten von z.B. Laktose, Fruktose oder Histamin; äußere Bedingungen wie z.B. neue Schlafumgebung, Helligkeit im Schlafzimmer, Lärm, Elektrosmog; Wetter- und Klimaeinflüsse wie z.B. Wetterwechsel und Föhn; organische Ursachen wie beispielsweise Blutdruckschwankungen, Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Schilddrüsen- und Wirbelsäulenerkrankungen sowie Medikamenten- und Drogenabusus (Auerbach, o.J.; Hutter, 2006; Mutter, 2009). Mit Schlafstörungen und Schlaflosigkeit werden – nicht zuletzt – verschiedene (Neuro-) Toxine assoziiert, u.a. Schwermetalle wie Blei und Quecksilber, Lösungsmittel (z.B. Formaldehyd), Pestizide/Insektizide (z.B. Lindan), halogenierte Kohlenwasserstoffe (z.B. PCB), pflanzliche (z.B. Nikotin) und bakterielle Gifte (z.B. Borrelientoxine) (Daunderer, 1990; Bale & White, 1982; Mutter, 2009; s.a. Schneider, 2008). Aus dem umfangreichen Ursachengefüge sollen im Folgenden einige Aspekte exemplarisch und schlaglichtartig beleuchtet werden. Owens et al. (1999) gingen der Frage nach, ob bei Schulkindern ein Zusammenhang zwischen spezifischen Fernsehgewohnheiten, Schlafgewohnheiten und Schlafstörungen besteht. Das Ergebnis war, dass die meisten Fernsehpraktiken mit mindestens einem Typ von Schlafstörungen (z.B. verzögertes Einschlafen, verkürzte Gesamtschlafdauer) assoziiert waren. Christakis et al. (2004) fanden in einer Longitudinalstudie einen substanziellen Zusammenhang zwischen dem Fernsehkonsum von ein- und dreijährigen Kindern und Aufmerksamkeitsproblemen im Alter von 7 Jahren. Gemäß Dworak et al. (2007b) führte Fernsehkonsum zu einer verminderten Schlafeffizienz, zeigte jedoch keinen Effekt auf Parameter der Schlafarchitektur. Computerspiele dagegen verursachten signifikant reduzierte Tiefschlafanteile und außerdem eine Verminderung der verbalen Gedächtnisleistung. Eine Lärmminderung ging nachweislich mit einem quantitativen Anstieg des Schlafstadiums 4 und der Delta-Wellen im EEG einher (siehe
Leistung nach Schlafextension
Sprint, ca. 85,8 m (Sekunden) Freiwürfe (von 10) 3-Punkte-Würfe (von 15) Selbstbewertung im Training (1-10) Selbstbewertung in Spielen (1-10)
Prätest
Posttest
(vor Schlafextension)
(nach Schlafextension)
Signifikanz (p)
16,2 ± 0,61
15,5 ± 0,54
< 0,001
7,9 ± 0,99
8,8 ± 0,97
< 0,001
10,2 ± 2,14
11,6 ± 1,5
< 0,001
6,9 ± 1,41
8,8 ± 1,06
< 0,001
7,8 ± 1,07
8,8 ± 1,19
< 0,001
Parameter der athletischen Leistung von Basketballspielern vor und nach Schlafextension (Mittelwert ± Standardabweichung, Signifikanz) (nach Mah et al., 2011, S. 947)
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Infokasten 1) (Wilkinson & Campbell, 1984). Beide physiologischen Parameter gelten als Indikatoren für Tiefschlaf. Darüber hinaus plagen sich viele Menschen mit weiteren, ganz unterschiedlichen Schlafproblemen, wobei diese in manchen Fällen die soziale Umgebung mehr stören als den Betroffenen selbst: Schnarchen, Schlafwandeln, Sprechen im Schlaf, Zähneknirschen, unruhige Beine, Albträume, Panikanfälle, Magensäurereflux bzw. Sodbrennen, Bettnässen, Schlafapnoe.
Naturheilverfahren Nach Ernst et al. (2001/2004) werden für die Indikation „Schlaflosigkeit“ (synonym Insomnie, Asomnie) mehr als 70 Therapien empfohlen. Schlaflosigkeit wird definiert als „andauernder Zustand unbefriedigenden Schlafes in Bezug auf Quantität und/oder Qualität, einschließlich Einschlaf- und Durchschlafproblemen“ (ebd., S. 407). Einer Umfrage von Eisenberg et al. (1998) in den USA zufolge wenden sich von Schlaflosigkeit Betroffene vorwiegend Naturheilverfahren zu, wobei pflanzliche Heilmittel und Entspannungstechniken die häufigsten Therapieformen darstellen. Dies ist sinnvoll, weil konventionelle Schlafmittel (i.S.v. Medikamenten) keinesfalls harmlos sind, v.a. dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Die Einnahme von Schlafmitteln ist nur bei medizinischer Indikation angezeigt und sollte die Ausnahme darstellen. Denn die meisten Medikamente reduzieren die Tiefschlafstadien und können abhängig machen. Die klinische Evidenz ausgewählter Naturheilverfahren ist in Tab. 2 dargestellt; detailliertere Informationen finden sich bei Ernst et al. (2001/2004, S. 407-413). Die Autoren resümieren die Bewertung einzelner Therapieformen wie folgt: „Es gibt keine zwingende Evidenz für die Effektivität irgendeines Naturheilverfahrens und nur geringe Anzeichen dafür, dass eines so wirksam sein könnte wie konven-
TAB. 2
tionelle Schlafmittel. Es gibt aber vorläufige, vielversprechende Evidenz für Baldrian und Melatonin. Die Verträglichkeit beider Medikationen scheint gut zu sein. Entspannungstechniken und regelmäßiges körperliches Training scheinen einen kleinen bis mittleren Nutzen für den Schlaf zu haben, und die Patienten sollten dazu ermutigt werden – insbesondere wenn man ihre Harmlosigkeit und weitere positive Wirkungen auf die Gesundheit bedenkt“ (ebd., S. 410). Wissenschaftlich begründet gelten vier Pflanzen, die nur kurmäßig verwendet werden sollten, als schlaffördernd bzw. beruhigend: Baldrian, Hopfen, Johanniskraut und Melisse (Wagner, 1993). Als Tees zubereitet – und Hopfen verkapselt (nicht in Form von Bier) – tritt ein merklicher Effekt allerdings oft erst nach mehreren Tagen oder Wochen ein. Darüber hinaus empfehlen sich als natürliche Schlafmittel: Passionsblume, roher Hafersaft oder ein Kombinationspräparat aus Baldrian und Hopfen. Außerdem können Baldrian oder Johanniskraut als sogenannter Frischpflanzenpresssaft eingenommen werden. Insbesondere an den Schnittstellen von Mikro-, Meso- und Makrozyklen im Trainingsplan sowie vor Wettkämpfen empfehlen sich (vor-)abendliche Vollbäder mit Baldrian(wurzel)- oder Johanniskraut-Öl.
Entspannung und Schlafumgebung „Ob man gut schläft, hängt davon ab, ob man gut lebt“, heißt es im sprachlichen Allgemeingut. Da viele Schlafstörungen ihre Ursache wahrscheinlich im psychischen Bereich haben, sollten adäquate Maßnahmen zur Persönlichkeitsbildung bzw. -stabilisierung und Entspannung einen festen Platz in der Alltagsroutine des Athleten finden. Es empfiehlt sich, verschiedene Entspannungsmethoden, wie z.B. progressive Muskelrelaxation, Feldenkrais, Atemschulung, Stress-Management, kognitives
Refocusing, autogenes Training, Yoga, Tai Chi, Meditation etc., auszuprobieren. Auch die altbekannten Wasseranwendungen des Pfarrers Kneipp zählen zu den bewährten Einschlafhilfen. Kanda et al. (1999), die die Auswirkungen eines Bades auf die Schlafqualität junger und älterer Menschen untersuchten, wiesen in den ersten drei Stunden des Schlafens nach dem Bad eine geringere Frequenz der Körperbewegungen nach. Außerdem berichteten die Probanden von einem „schnellen Einschlafen“ und einem „guten Schlaf“. Schlaffördernd wirken können auch Saunaanwendungen (am frühen Abend) und unterschiedliche Massageformen, wie z.B. Reflexzonen- oder Kopfmassagen. Während in der heutigen Berufswelt eher körperliche Aktivität als Ausgleich zur vorwiegend sitzenden Tätigkeit empfohlen werden muss, kann Athleten – je nach individueller Situation – nach dem Trainingsalltag eine angemessene geistige Beschäftigung, wie z.B. eine leichte Lektüre, angeraten werden. Manche Menschen finden nicht ohne einen kleinen Imbiss in den Schlaf. Das „Betthupferl“ sollte aber möglichst kein Koffein (Nervenstimulans) enthalten. Kaffee, schwarzer und grüner Tee sollten im Übrigen schon ab dem Nachmittag gemieden werden, weil sie bis zu sieben Stunden stimulierend wirken können. Der Genuss von Alkohol suggeriert einen besseren Schlaf infolge eines schnelleren Einschlafens. Insgesamt wird der Schlaf unter Alkoholeinfluss jedoch leichter und zerstückelter (Hales, 1989). * Die Literaturliste ist auf www.leistungssport.net als PDF-Download abrufbar. *
Der Autor PD Dr. Dr. phil. Franz J. SCHNEIDER, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Anschrift: Marienhof, 53501 Grafschaft E-Mail:
[email protected]
Evidenz von Therapieformen
Therapieform
Akupunktur Biofeedback Entspannungstechniken Hypnotherapie Körperliches Training1 Melatonin Vitamin B12 Baldrian Kava-Kava2
Gewichtung der Evidenz
Richtung der Evidenz
0 00 00 00 00 00 0 00 0
왖 왘 왖 왖 왖 왗 왔 왗 왖
Darstellung der klinischen Evidenz von Therapieformen gegen Schlaflosigkeit (nach Ernst et al., 2001/2004, S. 411) 0 = gering, 00 = mittel; 왖 eindeutig positiv, 왗 tendenziell positiv, 왘 tendenziell negativ, 왔 eindeutig negativ; 1 Gewichtung der Evidenz wurde vom Autor dieses Beitrags auf der Basis zahlreicher positiver Studienergebnisse erhöht; 2 in Deutschland nicht zugelassen
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