L Barchudarou
..Sprache Übersetzung PROBLEME DER ALLGEMEINEN UND SPEZIELLEN UBERSETZUNGSTHEORIE
Verlag Progreß Moskau 1979
Цо Л. Б а р х у д а р о в ЯЗЫК И ПЕРЕВОД Вопросы общей и частной теории перепода Autorisierte Übersetzung ins Deutsche von M. Zwilling
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Издательство „Международные отношения", Москва, 1979 Deutsche Übersetzung Verlag Progreß Moskau 1979 , Г) Best.-Nr.: 576 979 6 riA B
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VORWORT
Das vorliegende Buch ist die deutsche Ubersetzung meiner Monographie „ Я з ы к и перевод", die 1975 im Verlag „Международные отношения" in Moskau erschienen ist. Der Arbeit liegen ein mehrjähriger Vorlesungszyklus des Verfassers an der Moskauer staatlichen pädagogischen H o c h schule „Maurice Thorez" sowie Beobachtungen und Erkenntnisse zugrunde, die er in früher veröffentlichten Aufsätzen dargelegt hatte. Im Mittelpunkt der Monographie stehen Prägen, die mit der allgemeinen Ubersetzungstheorie verbunden sind; zu ihrer Konkretisierung sowie zur Illustration der v o m Autor vertretenen allgemein-theoretischen Auffassungen dienen Beispiele übersetzungsmäßiger Entsprechungen im Beziehungsfeld v o n drei Sprachen: Bussisch, Englisch und Deutsch. Daher auch der Untertitel der Arbeit: „l'Vagen der allgemeinen und der speziellen ÜbersetzungsLheorie"; die allgemeine Übersetzungstheorie ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit, die spezielle Ubersetzungsl.lieorie ihr Material. Da der Ausbau der allgemeinen Übersetzungstheorie ohne Verarbeitung der einschlägigen linguistischen Problematik nicht möglich ist, mußte bei der Niederschrift dieser Arbeit der Betrachtung v o n Fragen große Aufmerksamkeit gewidmet worden, die eigentlich nicht zum Bereich der Ubersetzungsllioorie, sondern zur allgemeinen Sprachwissenschaft gehören. Dies gilt vor allem für die Problematik der Semantik und dor Semasiologie, zumal im Rahmen der v o m Autor akzeptierten übersetzungstheoretischen Anlage eine adäquate semantische Theorie notwendige Voraussetzung ist. Dies führte dazu, daß in einigen Fällen eine „Akzentverschiebung" vor3
genommen werden mußte, durch die der Schwerpunkt sich u. U. von der eigentlichen übersetzungstheoretischen Problematik auf Fragen der allgemeinen und „kontrastiven" Sprachwissenschaft verlagerte, was offenbar nicht nur unumgängl i c h , sondern in gewissem Sinne auch begrüßenswert ist. Als Material für die Untersuchung dienten vor allem veröffentlichte Ubersetzungen v o n Werken der schönen Literatur und zum Teil auch gesellschaftspolitischer Texte. Die Namen der Übersetzer werden nur beim jeweils ersten Zitat angegeben. Die Ubersetzungen ohne Quellenangabe stammen v o m Verfasser oder v o m Ubersetzer dieser deutschsprachigen Ausgabe des Buches. Selbstverständlich kann dieses für den deutschen Leser bestimmte Buch nicht mit der für den russischen Leser bestimmten Originalausgabe identisch sein. Die russische Ausgabe operierte ausschließlich mit russisch-englischen bzw. englisch-russischen Übersetzungsbeispielen; in die deutsche Ausgabe sind dagegen zusätzlich zahlreiche B e i spiele deutsch-russischer und z. T. deutsch-englischer Entsprechungen aufgenommen worden. Eine nicht zu überschätzende Hilfe leistete dem Verfasser dabei Dr. M. J. Z w i l ling, der nicht nur die Ubersetzung dieser Monographie ins Deutsche besorgte, sondern darüber hinaus auch als Redakteur und in gewissem Sinne sogar als Mitverfasser wirkte. Ich möchte ihm an dieser Stelle meinen aufrichtigen und tiefempfundenen Dank aussprechen. L. Moskau,
im
Juni
1978
Barchudarow
VORBEMERKUNG DES ÜBERSETZERS
Das russische W o r t „перевод", das sowohl im A l l t a g als auch in der Wissenschaft allgemein gebräuchlich ist, wird in diesem Buch durchgehend mit „Ubersetzung" wiedergegeben. Eine mißverständliche Auffassung des deutschen Wortes, das sich in seinem Bedeutungsumfang nicht exakt m i t dem russischen W o r t e deckt (da im Russischen die Gegenüberstellung Übersetzen — Dolmetschen nicht sprachlich expliziert ist), ist schon durch die ausführliche A n a lyse und anschließende Definition dieses Begriffes am Anfang des Buches ausgeschlossen. Auf die Verwendung der in Arbeiten v o n Fachkollegen in der D D R üblichen Bezeichnungen „Sprachmittlung" b z w . „Translation" wurde deshalb verzichtet, weil es sich bei ihnen, im Gegensatz zu dem im Russischen gebräuchlichen W o r t um ausgesprochen terminologische Bildungen handelt, die in ein spezifisches System v o n theoretischen Anschauungen eingebettet sind. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesen würde aber den Rahmen dieser Abhandlung sprengen. M.
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ERSTES KAPITEL DAS WESEN DER ÜBERSETZUNG
1. Der Gegenstand der Übersetzmigstheorie § 1. Das W o r t „Übersetzung" hat im Deutschen, wie in den meisten anderen Sprachen, zwei verschiedene Bedeutungen: 1 . „Ubersetzung als E r g e b n i s eines Proz e s s e s " — dabei bezeichnet dieses W o r t eigentlich einen übersetzten Text (etwa in Aussagen wie „Dies ist eine sehr gute Ubersetzung des Bomans von Dickens", „Neulich erschien eine neue deutsche Ubersetzung von Twardowskis ,Wassili T j o r k i n ' " , „Er hat diesen Autor nur in der Übersetzung gelesen" usw.). 2. „Ubersetzung als P r o z e ß " — als Tätigkeitsbezeichnung nach dem Verb „übersetzen", d. h. als Vorgang, der zur Entstehung der Ubersetzung in der ersten, oben behandelten Bedeutung führt. Nachstehend soll das W o r t „Ubersetzung" vor allem in dieser zweiten Bedeutung verwendet werden. Allerdings ist gleich am Anfang eine Erläuterung notwendig, in welchem Sinne hier Ubersetzung als Prozeß bzw. Vorgang verstanden werden soll. Es sei zunächst festgestellt, daß damit nicht die psychische oder geistige Tätigkeit des Ubersetzers gemeint sein kann, also nicht etwa die psycho-physiologischen Abläufe im Gehirn des Ubersetzenden. Allerdings ist auch die Untersuchung dieser Prozesse, psycho]inguistisch gesehen, von großem Interesse, besonders im Bereich des Dolmetschens. Doch abgesehen d a v o n , daß wir gegenwärtig eine noch sehr vage Vorstellung v o m eigentlichen Charakter dieses Prozesses haben (er kann seinem Wesen nach nur in einem komplexen psycho-physiologisch7
linguistischen Verfahren untersucht werden), interessiert uns im gegebenen Fall der Ubersetzungsprozeß vorrangig unter rein linguistischen Gesichtspunkten, ohne Berücksichtigung der physiologischen und psychologischen Faktoren, die seine Realisierung mitprägen. Der Begriff „Prozeß" wird von uns somit auf die Übersetzung in rein linguistischem Sinne angewandt, d. h. im Sinne einer sprachlichen oder vielmehr zwischensprachlichen Umwandlung oder Transformation eines in einer gegebenen Sprache vorliegenden Textes in einen Text einer anderen Sprache. Auch das W o r t „Umwandlung" ist hier nicht wörtlich zu nehmen, denn das Original, der Ausgangstext, wird ja eigentlich gar nicht „umgewandelt", an ihm ändert sich nichts, es bleibt in unabgewandelter Form bestehen. A n d e rerseits entsteht aber auf der Basis ebendieses Textes ein neuer Text in einer anderen Sprache, den wir eben als „Ubersetzung" (in der ersten Bedeutung des Wortes) bezeichnen. Der Ausdruck „Umwandlung" (bzw. „Transformation") wird hier nur in dem Sinne verwendet, wie das im allgemeinen bei der synchronen Sprachbeschreibung üblich ist: Es handelt sich um ein Verhältnis zwischen zwei Sprachoder Rede-Einheiten, bei dem die eine den Ausgangspunkt bildet und die andere auf ihrer Grundlage gebildet wird. Oder, auf unseren Fall angewendet: D e m Ubersetzer liegt der Ausgangstext a in der Sprache A vor, auf dessen Grundlage er durch Operationen (die weiter als „Übersetzungstransformationen" näher untersucht werden sollen) den T e x t b in der Sprache B erzeugt, der bestimmte gesetzmäßige Relationen zum Text a aufweist. Diese sprachlichen (zwischensprachlichen) Operationen machen in ihrer Gesamtheit das aus, was wir als „Ubersetzungsprozeß" im linguistischen Sinne bezeichnen, s Folglich kann die Übersetzung als eine bestimmte Art der Transformation betrachtet werden, nämlich als zwischensprachliche Transformation. Zusammenfassend läßt sich sagen, der Gegenstand der linguistischen Übersetzungstlieoiie ist die wissenschaftliche Beschreibung des Prozesses der übersetzung als zwischensprachliche Transformation, d. Ii. als Umwandlung eines Textes in einer gegebenen Sprache in einen ilnn äquivalenten Text in einer anderen Sprache (vom Inhalt des Terminus „äquivalent" soll weiter noch die Hede sein). Oder anders ausgedrückt: die Aufgabe der Ubersetzungstheorie ist die 8
Modellierung des legten Sinne.
Übersetzungsprozesses
im
oben darge-
§ 2. Die linguistische Ubersetzungstheorie stellt sich folglich die Aufgabe, ein Modell des Ubersetzungsprozesses zu entwickeln, ein wissenschaftliches Schema zu schaffen, das mit befriedigender Genauigkeit die wesentlichen Seiten dieses Prozesses abbildet. Da es sich dabei um einen Fall des theoretischen Modellierens handelt, gilt für die Übersetzungstheorie sinngemäß alles, was im allgemeinen für theoretische Modelle gilt. Dabei sind folgende zwei Erwägungen besonders hervorzuheben: 1. W i e jedes andere theoretische Modell bildet die Ubersetzungstheorie nicht alle, sondern nur die wesentlichsten Merkmale der darzustellenden Erscheinung ab. Die Ubersetzungstheorie behandelt nicht beliebige Relationen zwischen Texten in der Sprache des Originals und Texten in der Sprache der Übersetzung, sondern nur gesetzmäßige, d. h. typische, regelmäßig wiederkehrende Relationen. Bei der vergleichenden Analyse, der Ubersetzung und des Originals treten aber neben diesen Relationen meist zahlreiche einmalige, irreguläre Relationen (Entsprechungen) zutage, die nur für den konkreten Einzelfall gelten. Insofern sich derartige Einzelrelationen nicht verallgemeinern lassen, bleiben sie selbstverständlich auch von der linguistischen Ubersetzungstheorie unberücksichtigt, obwohl es zweifellos häufig gerade diese „unregelmäßigen" Entsprechungen sind, die in der Ubersetzungspraxis die größten Schwierigkeiten bereiten. Andererseits ist jedoch festzustellen, daß mit fortschreitender Entwicklung der Ubersetzungstheorie nicht wenige Erscheinungen, die man zunächst für einmalig, irregulär hielt, sich nach und nach zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen, eine entsprechende Erklärung finden und zu einem Untersuchungsobjekt der Ubersetzungstheorie werden. W i e in jeder anderen Wissenschaft äußert sich auch in der Ubersetzungstheorie der Fortschritt u. a. darin, daß aus dem scheinbaren Chaos von „Ausnahmen" und „Unregelmäßigkeiten" allmählich eine allgemeine Gesetzmäßigkeit hervortritt, der alle diese Einzelfälle unterliegen und v o n der sie in ihrem Wesen bestimmt werden. 2. W i e in jeder anderen wissenschaftlichen Disziplin, ist auch in der Übersetzungstheorie die Möglichkeit gegeben, 9
und auch praktisch realisiert worden, nicht ein einziges Modell, sondern eine Vielzahl von Modellen zu schaffen, die den zu modellierenden Prozeß auf verschiedene Art und Weise abbilden und jeweils andere Seiten dieses Prozesses erfassen. Die Kompliziertheit des zu beschreibenden Objekts, seine Vielseitigkeit machen es unmöglich, ein einziges „Universalmodell" zu konstruieren, das imstande wäre, gleichzeitig alle Seiten des Untersuchungsobjekts m i t allen ihren Verflechtungen und Wechselbeziehungen zu erfassen. Daher bestehen in der modernen Ubersetzungstheorie mehrere sogenannte „Ubersetzungsmodelle"* nebeneinander, wobei jedes Modell eine jeweils andere Seite, einen jeweils anderen Aspekt des real bestehenden Objekts „Ubersetzungsprozeß" (als besondere Art zwischensprachlicher Transformation) widerspiegelt. Es wäre indessen naiv, die Frage stellen zu wollen: „ W e l c h e s von den vorhandenen Ubersetzungsmodellen ist das richtige, das wahre?" — Sie stimmen alle, jedes auf seine Art, denn sie bilden ein und dieselbe Erscheinung nach, nämlich den Ubersetzungsprozeß, wenn auch v o n verschiedenen Seiten her; dabei kann selbstverständlich keines der Modelle Anspruch auf absolute Allgemeingültigkeit oder Universalität erheben. Dasselbe gilt allerdings auch für jenes Ubersetzungsmodell, das der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt wurde und das sich als „semantisch-semiotisches Modell" bezeichnen ließe (die Begründung dieser Bezeichnung siehe in Kapitel 2). Es ist aber auch zu berücksichtigen, daß die bestehenden (und auch die noch in Zukunft zu erwartenden) Übersetzungsmodelle einander keineswegs ausschließen, sondern vielmehr miteinander in vielerlei Hinsicht übereinstimmen, sich teilweise überschneiden und nur in ihrer Gesamtheit dem Ubersetzungsprozeß in seiner ganzen Vielseitigkeit und in seinem ganzen Erscheinungsreichtum gerecht werden.
2. Das Wesen der Übersetzung § 3. D i e Übersetzung wurde von uns weiter oben als Transformierung eines Textes in einer Sprache in einen T e x t einer anderen Sprache definiert. Man hat es bei der Übersetzung *Die wichtigsten dieser Modelle werden im Buch von A. D. Schweizer beschrieben. А. Д. Швейцер: „Перевод и" лингвистика", М . , Воениздат, 1973, гл. 1, 2.
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stets mit zwei Texten („Redeerzeugnissen") zu tun, von denen der eine die Ausgangsbasis bildet und unabhängig v o m zweiten erzeugt wird, während der zweite auf der Grundlage des ersten durch bestimmte Operationen — zwischensprachliche Transformationen — produziert wird. Den ersten T e x t nennt man „Originaltext" (oder kurz Original"), den zweiten — „Übersetzungstext" (oder einfach „Ubersetzung", gemäß der am Anfang dieses Kapitels erläuterten zweiten Bedeutung dieses Wortes). Die Sprache, in der der Originaltext geschrieben bzw. gesprochen wurde, nennen wir die Ausgangssprache ( A S , englisch: source language, SL, russisch:1 исходный язык, И Я ) . Die Sprache, in die übersetzt wird (die Sprache des Übersetzungstextes), nennen wir die Zielsprache (ZS, englisch: target language, T L , russisch: переводящий язык, П Я ) . Nun müssen wir aber noch das eigentlich Wichtigste definieren — nämlich, was uns dazu berechtigt, den T e x t der Ubersetzung als dem Originaltext äquivalent zu betrachten. W a s berechtigt dazu, den deutschen Satz Mein Bruder wohnt in Moskau als Ubersetzung des russischen Satzes Мой брат живёт в Москве zu bezeichnen und den Satz Ich studiere an der Universität als Übersetzung ebendesselben Satzes abzulehnen, ihn als nichtäquivalent zu verwerfen? Es leuchtet ein, daß nicht jede Substituierung eines anderssprachlichen Textes für einen gegebenen T e x t als Ubersetzung gelten kann. Derselbe Gedanke läßt sich auch anders formulieren: Der Ubersetzungsprozeß, die zwischensprachliche Transformation, vollzieht sich nicht willkürlich, sondern nach gewissen feststehenden Regeln, innerhalb streng umrissener Grenzen, bei deren Überschreitung man nicht mehr von einer Übersetzung sprechen kann. Um als Übersetzung bezeichnet werden zu können, muß der zielsprachliche Text das enthalten, was der ausgangssprachliche T e x t enthielt. Wenn also der zielsprachliche Text an die Stelle des ausgangssprachlichen Textes tritt, muß eine bestimmte Invariante erhalten bleiben, das Erhaltungsmaß dieser Invariante ist der gesuchte Maßstab für die Äquivalenz v o n Übersetzung und Original.- Es k o m m t folglich zunächst darauf an, festzustellen, was eigentlich während des Übersetzungsprozesses, also bei der Transformierung des AS-Textes in den Z S - T e x t unverändert bleibt. S" Bei der Beantwortung dieser Frage ist v o n folgender Voraussetzung auszugehen. Der Ubersetzungsprozeß wird 11
unmittelbar v o n dem geprägt, was in der Semiotik — der Wissenschaft von den Zeichensystemen — das Doppelwesen des Zeichens genannt wird. Jedes Zeichen besitzt nämlich zwei Seiten oder auch Ebenen — die Ausdrucksebene (oder die Ebene der Form) und die Inhaltsebene (oder die Ebene der Bedeutung)?; Die Sprache ist bekanntlich ein spezifisches Zeichensystem, daher besitzen die sprachlichen Einheiten (von deren Arten in K a p . 4 die Rede sein wird) ebenfalls ein doppeltes Wesen, sowohl eine Form als auch eine Bedeutung. Entscheidend für die Ubersetzung ist dabei die Tatsache, daß verschiedene Sprachen Einheiten enthalten, die sich in der Ausdrucksebene, d. h. v o n der Form her, voneinander unterscheiden, sich aber inhaltlich, d. h. in ihrer Bedeutung, miteinander decken. So besteht z. B. in den vorstehend angeführten Sätzen ein Unterschied in der Form zwischen russisch брат, und deutsch Bruder*, während die beiden Wörter in ihrem Inhalt, in ihrer Bedeutung gleich sind. (Der Einfachheit halber sehen wir vorläufig von der übersetzungstheoretisch schwer ins Gewicht fallenden Tatsache ab, daß diese inhaltliche Kongruenz von Einheiten verschiedener Sprachen meist nur eine partielle und fast nie eine totale ist. Das deutsche W o r t Bruder hat nicht nur die Bedeutung v o n russisch брат, sondern darüber hinaus auch noch die v o n собрат, тип usw., während wiederum dem russischen брат in der Fügung двоюродный брат das deutsche W o r t Vetter gegenübersteht. W i r werden weiter sehen, daß diese unvollständige Kongruenz der Bedeutungssysteme verschiedener Sprachen den Ubersetzungsprozeß wesentlich erschwert, seinen grundsätzlichen Charakter aber unberührt läßt.) W e n n wir nun das deutsche W o r t Bruder durch das russische брат ersetzen, so können wir das auf Grund des vorstehend Gesagten als Übersetzungsprozeß bezeichnen, da diese beiden in ihrer Form verschiedenen Wörter inhaltlich, d. h. in ihrer Bedeutung, kongruieren, bzw. äquivalent sind. Der kleinste real bestehende T e x t (das minimale Bedeprodukt) ist aber stets ein Satz, und daher vollzieht sich der Übersetzungsprozeß mindestens *Die phonetische Ähnlichkeit von „Bruder" und „брат" hat etymologische Gründe und beruht auf der gemeinsamen Abstammung dieser Wörter von derselben indoeuropäischen Wurzel. Für die Übersetzung ist dies völlig belanglos: die phonetisch einander unähnlichen Wörter „Vater" und „отец" kongruieren semantisch genauso miteinander wie „Bruder" und „брат".
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an Sätzen* (häufiger jedoch an Satzgruppen). Innerhalb der Sätze werden aber auch die Inkongruenzen in den Bedeutungen der Einheiten verschiedener Sprachen behoben bzw. überwunden, v o n denen oben die Rede war (Näheres darüber siehe Kapitel 2). Auf unser Beispiel bezogen heißt das, daß wir bei der Ubersetzung nicht einfach das deutsche W o r t „Bruder" durch das russische брат und das deutsche „wohnt" durch das russische живёт ersetzen, sondern eben den deutschen Satz „Mein Bruder wohnt in Moskau" als Ganzes durch den russischen Мой брат живёт в Москве, der sich v o m Ausgangssatz in der Form unterscheidet, aber ihm inhaltlich äquivalent, d. h. bedeutungsgleich ist. Davon ausgehend können wir nun nachstehende präzisierte Definition der Ubersetzung formulieren: Die Übersetzung ist der Prozeß der Umwandlung eines Redeprodukts in einer Sprache in ein Redeprodukt in einer anderen Sprache unter Wahrung des unveränderten Inhalts, d. h. der Bedeutung. Gleich am Anfang ist hier allerdings ein zweifacher Vorbehalt notwendig. 1. Der Begriff „Inhalt" b z w . „Bedeutung" ist hier im weitesten Sinne zu verstehen, er umfaßt alle Arten v o n Beziehungen, deren Träger die Zeicheneinheit (in unserem Falle die Spracheinheit) ist. Die Beschreibung dieser Beziehungen macht den Inhalt des nächsten Kapitels aus; hier sei dazu lediglich festgestellt, daß kein triftiger Grund besteht, den Begriff „Bedeutung" ausschließlich darauf zu reduzieren, was gemeinhin als „logisch-gegenständliche" bzw. „denotative" (oder in der Terminologie dieses Buches „referentielle") Bedeutung bezeichnet wird. Das richtige Verständnis des Wesens des Übersetzungsprozesses setzt somit vor allem eine detaillierte Entwicklung der Theorie der sprachlichen Bedeutungen oder der Semasiologie voraus. 2. V o n der „unveränderten Erhaltung des Inhalts" kann nur im relativen und keineswegs im absoluten Sinne gesprochen werden. Bei zwischensprachlichen Transformationen (wie bei jeder anderen Umwandlung) sind Verluste oft unvermeidlich, die Wiedergabe der im Originaltext enthal* Ausnahmsweise kommt es manchmal auch zur Ubersetzung isolierter Wörter, z . B . technischer Fachwörter in Stücklisten, technischen Zeichnungen und anderen technischen Dokumenten, aber auch diese Fälle können als Nennsätze besonderer Art betrachtet werden.
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tenen Bedeutungen ist notgedrungen unvollständig. D e m zufolge kann der Ubersetzungstext fast nie ein v o l l k o m menes und absolutes Äquivalent des Originals sein. Es ist die Aufgabe des Ubersetzers, die m a x i m a l erreichbare Äquivalenz zu gewährleisten, die Verluste auf ein Mindestmaß herunterzudrücken, aber die Forderung nach „hundertprozentiger" Ubereinstimmung der Bedeutungen der Ubersetzung mit denen des Originals ist unrealistisch. Daraus ergibt sich auch als Aufgabe für die Ubersetzungstheorie die Ermittlung der Prioritäten der Wiedergabe der Bedeutungen. Da es bekanntlich verschiedene T y p e n von Bedeutungen gibt, gilt es festzustellen, welche v o n ihnen, beim Ubersetzungsprozeß den Vorrang genießen und welche man „opfern" darf, wenn man die semantischen Verluste bei der Ubersetzung minimieren w i l l . Dieses Problem wird im weiteren ausführlich behandelt werden. Mit diesen beiden wesentlichen Vorbehalten können wir nun die obige D e f i n i t i o n der Übersetzung als Arbeitsdefinition akzeptieren und dem hier zu entwickelnden „semanlischsemiotischen Modell" der Ubersetzung zugrunde logen. § 4. Um die Betrachtung des Wesens der Übersetzung abzurunden, müssen wir noch auf ein weiteres Problem eingehen, das sich aus der vorstehenden Äquivalenzdefinition ergibt, die sich auf die Erhaltung der unveränderten Bedeutung stützt. D i e Möglichkeit, den Inhalt, d. h. die Bedeutung, bei der Ubersetzung zumindest relativ unverändert zu erhalten, beruht, wie bereits gesagt, auf dem angenommenen Vorhandensein inhaltsgleicher Einheiten in verschiedenen Sprachen. Hier ist jedoch die Frage berechtigt, inwieweit diese Annahme den Gegebenheiten entspricht. W e n n die Bedeutung, wie wir meinen (und nachstehend begründen werden), ein integrierender Bestandteil des Zeichens und s o m i t auch der Spracheinheiton ist, so scheint daraus zu folgen, daß jedes Zoichonsystom und somit auch jede einzelne Sprache über eigene, spezifische Bedeutungen verfügt. Daraus aber würde sich wiederum ergeben, daß bei der Umwandlung des ausgangsspracliliclien Textes in den zielsprach]icben zusammen m i t den sprachlichen Formen zwangsläufig auch dio durch sie ausgedrückten Bedeutungen ausgetauscht werden. Mit welchem Recht sprechen wir dann also von der Unveränderlichkeit der Bedeutung bei der Übersetzung? 14
Öiese Frage ist durchaus ernst zu nehmen und verdient eine eingehende Erörterung. Die Diskrepanz der semantischen Systeme verschiedener Sprachen ist eine unbestreitbare Tatsache, die den Ubersetzer beim Vollzug der Ubersetzung vor zahlreiche Schwierigkeiten stellt. In Kapitel 3 sollen diese Diskrepanzen näher behandelt werden. V e r schiedene Autoren glauben, dies berechtige sie zur Behauptung, daß die Äquivalenz des Originals und der Ubersetzung nicht auf der Identität der in ihnen enthaltenen Bedeutungen beruht. Stellvertretend für zahlreiche andere sei hier nur der Standpunkt des englischen Ubersetzungstheoretikers J. C. Catford angeführt: „Die Ansicht, daß der A S - T e x t und der ZS-Text ,ein und denselben Inhalt' haben, oder daß bei der Ubersetzung eine ,Bedeutungsübertragung' erfolgt, ist unbegründet. Die Bedeutung ist für uns die Eigenschaft einer bestimmten Sprache. Der A S - T e x t besitzt die der Ausgangssprache eigene Bedeutung, während der ZS-Text die der Zielsprache eigene Bedeutung besitzt. So besitzt z. B. ein russischer T e x t eine russische Bedeutung (und ebenfalls eine russische Phonologie oder Graphologie, Grammatik und Lexik), der ihm äquivalente englische T e x t aber eine englische Bedeutung."* W i r bestehen aber trotzdem auf der Stichhaltigkeit der von uns vorstehend formulierten Definition der Ubersetzung und wollen dies durch folgende Argumente bekräftigen: 1. Das Bedeutungssystem einer jeden Sprache speichert die menschlichen Erfahrungen, d. h. die Ergebnisse dex Erkenntnis der objektiv bestehenden Wirklichkeit durch den Menschen. In jeder Sprache ist das System der sprachlichen Bedeutungen ein A b b i l d der den Menschen umgebenden Außenwelt in ihrer Gesamtheit sowie seiner eigenen Innenwelt, es fixiert die gesamte praktische Erfahrung der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Gleiche Erfahrungen verschiedener Sprachgemeinschaften schlagen sich in gleichen Bedeutungen nieder, die sich in den Sprachen dieser Gemeinschaften vorfinden. Gleich sind jedoch, wohlgemerkt, nur die Bedeutungen an sich und nicht etwa die sie ausdrückenden Spracheinheiten. Da aber die reale W i r k l i c h k e i t , in der verschiedene Sprachgemeinschaften leben, viel mehr gemein*/. C. Catford: A Linguistic Theory of Translation, Ldn., 1965, p. 35.
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same Züge als Unterschiede aufweist, bestehen auch zwischen den Bedeutungen verschiedener Sprachen viel mehr Übereinstimmungen als Verschiedenheiten. Die Tatsache, daß diese Bedeutungen (atomare Bedeutungseinheiten oder „Seme") in jeder Sprache anders kombiniert werden, auf spezifische Art gebündelt sind, liegt auf einer ganz anderen Ebene. Das gehört nicht zum Inhalt, sondern zu den Ausdrucksformen der Sprache. W e i t e r sollen zahlreiche Beispiele dafür angeführt werden, wie verschieden die Bedeutungen in verschiedenen Sprachen (Englisch, Russisch, Deutsch) gegliedert, klassifiziert und zusammengefaßt werden. Diese Erscheinung macht den Ubersetzungsprozeß zu einem recht komplizierten Vorgang, das Prinzip der Ubersetzung aber bleibt davon unberührt, die Wiedergabe der Bedeutungen mit den Mitteln einer anderen Sprache wird dadurch nicht unmöglich gemacht. 2. Aus dem Gesagten geht hervor, daß die größten Übersetzungsschwierigkeiten dort auftreten, wo sich für die im Ausgangstext dargestellte Situation kein Gegenstück in den Erfahrungen der zielsprachlichen Gemeinschaft findet, wenn im Ausgangstext sogenannte „Realien" beschrieben werden, Gegenstände und Erscheinungen, die für das gegebene V o l k oder Land spezifisch sind. Daß die Lösung des Ubersetzungsproblems in derartigen Fällen m i t Schwierigkeiten verbunden ist, bedeutet keinesfalls, daß es grundsätzlich unlösbar ist. Jede menschliche Sprache ist nämlich so angelegt — und das unterscheidet sie offenbar von allen oder fast allen anderen Zeichensystemen —, daß sich m i t ihrer Hilfe nicht nur bereits bekannte, sondern auch v ö l l i g neuartige, bisher nie aufgetretene Situationen beschreiben lassen, und zwar eine unbeschränkte Anzahl solcher neuen, bisher unbekannten Situationen. Eine Sprache, der diese Eigenschaft abgeht, die unfähig ist, neue, bisher unbekannte Situationen zu beschreiben, würde keinerlei k o m m u n i k a t i ven W e r t besitzen, denn in ihr ließe sich nur ausdrücken, was schon bekannt, was schon früher einmal gesagt worden ist. Ebensowenig könnte eine solche Sprache als Erkenntnisinstrument dienen, und der Menschheit wäre dadurch jeder Fortschritt verwehrt. Die Fähigkeit, neue, unbekannte Situationen zu beschreiben, ist eine unabdingbare Eigenschaft einer jeden Sprache, und diese Eigenschaft ist es, die den uns interessierenden Vorgang — die Wiedergabe spezifischer Realien eines Volkes oder Landes, die keine Ana16
loga im Leben anderer Völker und Länder haben, m i t den Mitteln einer anderen Sprache — erst möglich m a c h t . * W i e diese Realien bei der Übersetzung wiedergegeben werden, soll im weiteren näher behandelt werden, hier sei nur die grundsätzliche Möglichkeit dieser Wiedergabe festgestellt. 3. W i r haben die Ubersetzung vorhin als Prozeß der Umwandlung eines Redeprodukts in einer Sprache in ein Redeprodukt in einer anderen Sprache definiert. Der Übersetzer hat es f o l g l i c h nicht mit Sprachen als Systemen zu tun, sondern mit Redeprodukten oder Texten. D i e Verschiedenheiten im semantischen Bereich, die Bedeutungsunterschiede, v o n denen oben die Rede war, treten vor allem in den Systemen verschiedener Sprachen zutage, in der Rede aber werden diese Unterschiede meist neutralisiert, überbrückt oder ausgelöscht. Wenn man sich auf die Unterschiede der Bedeutungssysteme beruft, um damit die angebliche Unmöglichkeit der Wiedergabe der ausgangssprachlichen Bedeutungen mit zielsprachlichen Mitteln zu beweisen, so führt man als Beispiele semantischer Differenzen meistens entweder Einzelwörter oder bestenfalls isolierte, aus dem K o n t e x t herausgelöste Sätze an. Bei der Übersetzung k o m m t es aber nicht auf die Äquivalenz der Bedeutungen einzelner Wörter und auch nicht isolierter Sätze an, sondern auf die Äquivalenz des zu übersetzenden Textes (Redeprodukts) als Ganzheit gegenüber dem gesamten Übersetzungstext. Die konkrete Verteilung der elementaren Bedeutungseinheiten („Seme" bzw. „semantische Komponenten") auf die jeweiligen W ö r ter, Wortfügungen und Sätze des Textes ist ein Ergebnis der Wirkung zahlreicher und vielfältiger Faktoren und zeigt in der Regel im A S - T e x t und im Z S - T e x t keine K o n gruenz. D o c h dies ist wiederum ein Faktum der Ausdrucksebene und nicht der Bedeutungsebene und kann somit nicht als eine Verletzung des Prinzips der semantischen Ä q u i v a lenz von Original und Ubersetzung angesehen werden. W i r wollen das Gesagte durch zwei Beispiele untermauern. Beim bekannten britischen Schriftsteller S. Maugham *Vgl. O. Kade. Kommunikationswissenschaftliche Probleme der Translation. Beihefte zur Zeitschrift „Fremdsprachen", II. Leipzig, 19ß8, S. 10; В. II. Комиссаров: Слово о переводе, М . , „Международные отношения", 1973, с. 89. 2-019
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treffen wir in der Kurzgeschichte „A Casual Affair" f o l genden Satz: H e ' d always been so spruce and smart; he was shabby and unwashed and wild-eyed. Die deutsche Übersetzung dieser Stelle könnte etwa so klingen: Früher ist er immer so elegant, so modisch gekleidet gewesen, jetzt aber schleppte er sich schmutzig und abgerissen, mit wirrem B l i c k durch die Straßen von Singapur. Auf den ersten B l i c k scheint der deutsche T e x t als dem englischen nicht vollständig äquivalent zu sein. Für die W o r t e früher, jetzt, schleppte sich ... durch die Straßen von Singapur finden sich keine direkten Entsprechungen im Original. In Wirklichkeit aber ist hier die semantische Äquivalenz gewährleistet, obwohl die wörtliche Äquivalenz fehlt. Die deutschen W ö r t e r früher und jetzt geben hier Bedeutungen wieder, die im Englischen allein durch die g r a m m a t i s c h e n F o r m e n des Hilfsverbs b e („had been" und „was") zum Ausdruck gebracht werden. Die Aufeinanderfolge der Ereignisse wird im Deutschen aber zusätzlich durch die entsprechenden Adverbien charakterisiert. Die W o r t e schleppte sich durch die Straßen von Singapur enthalten eine Information, die im englischen T e x t ebenfalls vorhanden ist, wenn auch nicht in dem betreffenden Satz, sondern i n e i n e m d e r v o r a n g e g a n g e n e n S ä t z e (He d i d n ' t keep the j o b i n Sumatra long and h e w a s b a c k a g a i n i n S i n g a p o r e ) . Die semantische Äquivalenz ist hier folglich nicht zwischen einzelnen Wörtern, ja nicht einmal zwischen einzelnen Sätzen gewährleistet, sondern zwischen d e m ganzen A S-T e x t und dem ganzen Z S - T e x t. Ein anderes'Beispiel dazu. In der Erzählung der amerikanischen Autorin Harper Lee „ T o Kill a Mookingbird" gibt es folgenden Satz: Mr. R a y m o n d sat up against the tree-trunk, deutsch: Mr. Raymond setzte sich hin und lehnte sich gegen den Stamm der Eiche. Man könnte meinen, daß auch in diesem Falle der deutsche Satz auf Grund der in ihm enthaltenen Bedeutungen mit dem englischen nicht vollständig übereinstimmt, denn wir finden hier das W o r t lehnte sich, das im Original fehlt. Das englische A d v e r b up in sat up weist darauf hin, daß das Subjekt der Handlung 18
vor dem H i n s e t z e n gelegen haben mußte (vgl. sat down); im Deutschen ist diese Information weggelassen. Das englische tree-trunk bezeichnet schließlich einen Baumstamm schlechthin, ohne Angabe der Art, also auch nicht speziell eine Eiche. Die bedeutungsmäßige Äquivalenz ist hier aber trotzdem gegeben, kann aber nur dann festgestellt werden, wenn man einmal die lexikalisch-grammatischen Umwandlungen (übersetzungsmäßige Transformation) b e rücksichtigt, die beim Ubersetzungsprozeß auftreten, und zum anderen über den Rahmen dieses Einzelsatzes in den weiteren K o n t e x t hinausgeht. Das deutsche setzte sich hin und, lehnte sich entspricht dem englischen sat up against insoweit, als die Präposition against unter anderem auch die Bedeutung der Berührung mit etwas oder des Lehnens gegen etwas hat. Die spezifische Information, die in sat up enthalten ist, ergibt sich i m deutschen T e x t aus dem d a r a u f f o l g e n d e n Satz: Er hatte im Gras gelegen. Der Baum, gegen den sich R a y m o n d lehnte, wurde wiederum i m v o r h e r g e h e n d e n K o n t e x t spezifiziert, e s geht dort ausdrücklich um eine Eiche ( W e cliose the fattest live o a lc and we sat under it). Die sinngemäße Äquivalenz des A S - und des ZS-Textes wird in diesem Falle nicht auf der Ebene der einzelnen Wörter und nicht einmal auf der der Sätze hergestellt, sondern auf der Ebene des gesamten Textes (vgl. auch K a p . 4). W i r sehen also, daß die semantischen Diskrepanzen zwischen den Sprachen kein unüberwindliches Hindernis für die Übersetzung sein können, da es die Übersetzung nicht m i t den Sprachen als abstrakten Systemen zu tun hat, sondern mit konkreten Redeprodukten (Texten), in denen eine vielfältige Verflechtung und Wechselwirkung verschiedenartiger bedeutungstragender sprachlicher Mittel — Wörter, grammatische Formen, syntaktische und „suprasegmentale" Mittel usw. — stattfindet, die in ihrer Gesamtheit eine gegebene semantische Information vermitteln. Die semantische Äquivalenz des Ziel- und des Ausgangstextes, die nach unserer Auffassung die notwendige Voraussetzung für das Zustandekommen der Übersetzung ist, besteht nicht zwischen einzelnen Elementen dieser Texte, sondern zwischen den Texten als Ganzheiten, wobei innerhalb des jeweiligen Textes zahlreiche Umgruppierungen, Umstellungen und Umverteilungen einzelner Bedeutungselemente (eben „Übersetzungstransformationen") nicht nur erlaubt, sondern häufig •A*
geradezu unerläßlich sind. Ein unumstößlicher Grundsatz der Ubersetzung ist folglich das Prinzip der Unterordnung der Elemente unter das Ganze, der niederen Einheiten unter die höheren, w o v o n wir uns im weiteren noch öfter werden überzeugen können. 4. Das Gesagte soll keineswegs bedeuten, daß im Ubersetzungsprozeß eine absolut vollständige („hundertprozentige") Wiedergabe aller im Originaltext vorgefundenen Bedeutungen stattfindet. W i r haben bereits festgestellt, daß bei der Übersetzung semantische Verluste unvermeidlich sind und daß e s nur u m die m ö g l i c h s t v o l l s t ä n d i g e Wiedergabe aller Bedeutungen gehen kann, die im Ausgangstext ausgedrückt sind. Zweifel an der Möglichkeit der W a h r u n g der im ausgangssprachlichen T e x t enthaltenen Bedeutungen bei der Übersetzung sind nur insofern berechtigt, als es um die absolute Identität der Bedeutungen geht. Diese Zweifel schwinden indessen, wenn man bedenkt, daß es uns nicht auf eine absolute, sondern auf eine höchstm ö g l i c h e Vollständigkeit der Wiedergabe der Bedeutungen a n k o m m t , und zwar unter Berücksichtigung ihrer „Bangordnung".
§ 5. Das bisher Dargelegte genügt eigentlich schon zur Klärung der Frage nach der Wiedergabe der durch den A S - T e x t ausgedrückten Bedeutungen bei der Übersetzung in die Zielsprache. Um jedoch mit diesem Problem, dem „Problem der Übersetzbarkeit", wie man es nennt, endgültig ins reine zu kommen, muß noch ein Zweifel ausgeräumt werden, der die Möglichkeit der vollständigen und adäquaten Wiedergabe der in einer Sprache ausgedrückten Bedeutungen m i t den Mitteln einer anderen Sprache betrifft. Die Ursache dieses Zweifels ist die Ansicht oder eher das Vorurteil, es gäbe einerseits „entwickelte", „zivilisierte" Sprachen und andererseits „unentwickelte", „primitive", „rückständige". V o n diesem in Laienkreisen noch heute vertretenen Standpunkt aus treffen die vorstehend dargelegten Argumente zugunsten der Ubersetzbarkeit nur für „entwickelte" Sprachen zu. Für „primitive" oder „unentwickelte" Sprachen sei das ungültig, da sie auf Grund ihrer „Rückständigkeit" unfähig seien, alle diejenigen Bedeutungen auszudrücken, die sich in den „entwickelten", „zivilisierten" Sprachen ausdrücken lassen. 20
Dieser Standpunkt muß entschieden zurückgewiesen werden, da er in jeder Hinsicht v ö l l i g unhaltbar ist. Seine politische Unhaltbarkeit liegt auf der Hand, wenn man ihm die These des Marxismus-Leninismus v o n der Gleichberechtigung der Sprachen entgegenhält. „ W e r die Gleichberechtigung der Nationen und Sprachen nicht anerkennt und nicht verteidigt ... der ist kein Marxist, der ist nicht einmal ein Demokrat", sagt W. I. Lenin.* Die politische Gleichheit der Sprachen setzt aber ihre linguistische Gleichheit voraus, da sonst das Prinzip der Gleichberechtigung der Sprachen zu einer bloßen Formalität ausarten würde. Aber auch rein linguistisch gesehen ist dieser Standpunkt unhaltbar. Bei der Untersuchung zahlreicher „exotischer" Eingeborenensprachen Afrikas, Australiens, N o r d - u n d Südamerikas konnten die Sprachwissenschaftler feststellen, daß diese Sprachen alle eine ausreichend „entwikkelte" grammatische Struktur und einen reichen W o r t schatz haben. Bei keiner bisher bekannt gewordenen Sprache — ob lebend, oder tot — konnten Merkmale nachgewiesen werden, die man mit einiger Sicherheit als K e n n zeichen v o n „ P r i m i t i v i t ä t " oder „Rückständigkeit" werten könnte. Uber legen wir einmal: W o r i n eigentlich kann sich der Unterschied zwischen „entwickelten" und „unentwickelten" Sprachen äußern? Die Eigenart einer jeden Sprache wird bestimmt durch ihr Lautsystem (1), durch ihr grammatisches System (2) und durch ihren Wortbestand (3). W a s das Lautsystem anbetrifft, wird es kaum jemandem einfallen zu behaupten, daß es einen Unterschied zwischen einem „primitiven" und einem „zivilisierten" Lautsystem gibt. In vielen „exotischen" Sprachen k o m m e n freilich für uns recht fremdartige Laute vor (wie z. B. die sogenannten „Clicks" oder „Schnalzlaute" in den Hottentotten- und Buschmännersprachen), doch gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß diese Laute ihrem Charakter nach in irgendeiner Hinsicht „primitiv" oder „unzivilisiert" seien. Somit verbleiben nur die Grammatik und der Wortbestand als etwaige Kriterien. Aber auch die Analyse dieser Seiten der sprachlichen Struktur liefert nicht das geringste Beweismaterial zugunsten einer Einteilung der Sprachen in „primitive" und „entwickelte". In der Tat besitzen viele Spra*W• I• Lenin: Werke, B d . 20, S. 13.
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chen einen eigenartigen, spezifischen grammatischen Rau, der nicht mit den gewohnten Mustern der lateinischen, deutschen oder russischen Grammatik übereinstimmt. Doch ist das etwa Grund genug, um ihre grammatische Struktur als „primitiv" abzustempeln? Das Fehlen der grammatischen Kategorien „Zeit" oder „Zahl" in verschiedenen „exotischen" Sprachen berechtigt nicht zu dem Schluß, daß die entsprechenden Begriffe an sich dem Denken der Menschen dieser Sprachgemeinschaften fremd sind. Die Analyse der Struktur dieser Sprachen beweist, daß sie beliebige Begriffe auszudrücken vermögen und diese Möglichkeit auch praktisch realisieren, indem sie selbst die abstraktesten Begriffe wie die Zeit der Handlung oder die Zahl von Gegenständen nicht grammatisch, sondern eben lexisch zum Ausdruck bringen. Es wäre viel zu simpel, dies als „Primitivität" dieser Sprachen auszulegen. S p r a c h e n von b e l i e b i g e m g r a m ra a t i s c h e m Auf b a u s i n d imstande, einen b e l i e b i g e n G e d a n k e n und einen bel i e b i g e n B e g r i f f a u s z u d r ü c k e n . Das ist eine unumstößliche Tatsache, die bisher v o n niemandem w i derlegt werden konnte. Aufschlußreich ist folgende „Gesetzmäßigkeit", die in den Deutungen des Sprachbaus verschiedener Sprachen durch Anhänger der Theorie v o n der Ungleichwertigkeit der Sprachen zutage tritt. Wenn in einer „exotischen" Sprache eine bestimmte grammatische Kategorie fehlt, wird dies als Merkmal v o n „diffusem", „ungegliedertem" primitivem Denken ausgelegt; stellt man dagegen eine Kategorie fest, die den uns vertrauten (vor allem europäischen) Sprachen fremd ist, so führt man dies auf mangelnde „Abstraktionsfähigkeit" des primitiven Denkens und auf sein Unvermögen zurück, sich über den Ausdruck konkreter Bedeutungen und Verhältnisse zu erheben. Ein und dieselbe Erscheinung ist in den „eigenen" Sprachen ein Merkmal hohen Entwicklungsstandes („Abstraktheit" und differenzierte „Gliederung" sind gute Eigenschaften!), in den „primitiven" Sprachen aber ein Merkmal v o n Rückständigkeit („Ungegliedertheit" und „übermäßige Konkretisierung" erhalten das Prädikat „schlecht"). Hier wird konsequent die absolute Überlegenheit der eigenen Sprache immer als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, was mit wissenschaftlicher Argumentation natürlich nichts gemeinsam hat. 22
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt man bei der Analyse des Wortbestandes der sogenannten „exotischen" Sprachen. Der Wortbestand der Sprache speichert und verankert bekanntlich auf unmittelbare und direkte Weise die menschlichen Erfahrungen, d. h. die reale Wirklichkeit, die im Bewußtsein der Trägergemeinschaft der jeweiligen Sprache abgebildet ist. Es ist nicht zu bestreiten, daß in den Sprachen der Völker, die sozial und kulturell auf einem niedrigen Entwicklungsstand stehen, die wissenschaftliche, technische und politische Terminologie, Bezeichnungen für abstraktphilosophische Begriffe und andere ähnliche Wortschatzgruppen entweder ganz fehlen oder nur sehr spärlich vertreten sind, und zwar aus dem ohne weiteres einleuchtenden Grunde, daß es die dazugehörigen Gegenstände oder Gedankeninhalte in der Erfahrung des Sprachträgerkollektivs nicht gibt. Ist das aber ein Grund, diese Sprachen als „prim i t i v " , „unentwickelt" zu bezeichnen? Diese Frage muß entschieden negativ beantwortet werden, denn im Prinzip sind alle diese Sprachen f ä li i g, beliebige Begriffe, Gegenstände und Situationen zu bezeichnen und zu beschreiben, mit denen ihre Träger in der Gegenwart oder Zukunft konfrontiert werden. Sobald ein Trägerkollektiv solch einer „primitiven" Sprache irgendwelche neue Gegenstände, technische Vorrichtungen, politische Institutionen, wissenschaftliche Begriffe u. dgl. kennenlernt, tauchen in seiner Sprache die erforderlichen Bezeichnungen für diese Gegenstände und Begriffe, d. h. die bisher fehlenden Wörter und Ausdrücke auf. W i r erinnern in diesem Zusammenhang an das bereits früher (s. §§ 2, 4 dieses Kapitels) Gesagte: Jede menschliche Sprache ist so eingerichtet, daß man mit ihrer Hilfe nicht nur bereits bekannte Gegenstände, Begriffe und Situationen bezeichnen kann, sondern auch v ö l l i g neuartige, die den Sprachträgern bisher unbekannt waren. Anders ausgedrückt: Das Lexikon einer Sprache ist ein offenes System, das zu ständiger Ergänzung und Bereicherung fähig ist. Dies gilt für jede Sprache ohne Ausnahme und nicht etwa nur für die sogenannten „entwickelten" oder „zivilisierten" Sprachen. Man darf andererseits aber auch nicht außer acht lassen, daß lexikalische Teilbereiche wie die wissenschaftliche, technische und abstrakt-philosophische Terminologie im aktiven und selbst im passiven Wortschatz vieler Menschen fehlen, die eine sogenannte ,,entwickelte" Sprache sprechen. 23
Dasselbe gilt für den Vergleich verschiedener Geschichtsperioden derselben Sprache. Nicht nur in den Sprachen der Eingeborenen Neuguineas oder Zentralafrikas, sondern auch in der deutschen Sprache zu Goethes Zeiten sucht man vergebens nach Wörtern wie Telefon, Rundfunk, Fernsehen, Raumflug, Rationalisator, Betriebsgewerkschaftsleitung, die heute jedem Schüler geläufig sind. W i r d man deshalb die deutsche Sprache, wie sie in den Werken Goethes fortlebt, für weniger „entwickelt" und „zivilisiert" halten müssen als das heutige Deutsch? Rein quantitativ betrachtet, ist der Wortschatz der sogenannten „primitiven" Sprachen keineswegs ärmer als der der „entwickelten" Sprachen. Das Fehlen der wissenschaftlich-technischen und abstrakten Terminologie wird hier aufgewogen durch den Reichtum und die Vielfalt der W ö r t e r , die sich auf lebenswichtige Umweltbereiche der Trägerkollektive dieser „primitiven" Sprachen beziehen. Die Sprachen vieler zivilisationsferner Völker sind gekennzeichnet durch eine Fülle von W ö r t e r n und Ausdrücken für Bereiche des menschlichen Tuns wie Jagd, Fischfang oder Ackerbau, sie sind überaus reich an Bezeichnungen für verschiedene Tiere, Pflanzen, Arbeitsgeräte, von denen viele den Trägern „zivilisierter" Sprachen v ö l l i g unbekannt sind. Die Behauptung, es gäbe Sprachen und Völker mit nur wenigen hundert W ö r t e r n , ist trotz ihrer Häufigkeit wissenschaftlich unhaltbar. Obwohl es äußerst schwierig ist, den genauen Umfang des Wortschatzes selbst eines einzelnen Menschen, geschweige denn eines ganzen Volkes exakt zu ermitteln, dürfen wir mit Sicherheit behaupten, daß es zwischen den „entwickelten" und den „primitiven" Sprachen keinerlei prinzipiellen Unterschied in der Größe ihres W o r t schatzes gibt. Ein weiteres Argument, zu dem die Verfechter der Theorie der Ungleichheit der Sprachen zuweilen Zuflucht nehmen, ist die Behauptung, daß im Lexikon der „unentwickelten" Sprachen angeblich W ö r t e r mit eng begrenzter, konkreter Bedeutung überwiegen, während Wörter mit abstrakter, verallgemeinernder Bedeutung nicht vorhanden sind. Man beobachtet in den sogenannten „exotischen" Sprachen mitunter ein Phänomen, das auf den ersten B l i c k diese Annahme zu bestätigen scheint. In der Busclimännersprache zum Beispiel fehlt nach Angabe ihrer Kenner ein W o r t mit der allgemeinen Bedeutung „tragen", dafür gibt es aber eine 24
ganze Menge v o n Wörtern, die verschiedene Arten des Tragens bezeichnen — auf dem K o p f , auf dem Rücken, auf den Schultern, an einem Schulterstock, in den Armen usw. Aber dieser Umstand berechtigt keinesfalls zur Schlußfolgerung, daß es sich hier um eine besonders „primitive" Sprache handelt; die gleiche Erscheinung, nämlich die stärkere Differenzierung der Wortbedeutungen in einer Sprache gegenüber einer anderen, kann man auch bei einem Vergleich sogenannter „zivilisierter" Sprachen feststellen. In Kapitel 3 werden derartige Beispiele aus dem Bereich der russischen, englischen und deutschen Sprache angeführt werden. Aus ihnen ist zu ersehen, daß die Wortschatzstruktur verschiedener Sprachen eben v e r s c h i e d e n ist, ohne daß sich daraus irgendwelche Anhaltspunkte für die „Überlegenheit" einer Sprache über eine andere ableiten ließen. Aus der Tatsache, daß es im Deutschen (oder Englischen) kein W o r t mit der allgemeinen Bedeutung v o n russisch палец gibt, sondern nur spezialisierte Bezeichnungen (Finger — Zeh, finger — toe), ergibt sich keinesfalls eine Rückständigkeit dieser beiden Sprachen gegenüber dem Russischen. Beim Vergleich „primitiver" Sprachen mit „zivilisierten" beobachtet man übrigens nicht weniger häufig auch ein umgekehrtes Verhältnis: die Nichtdifferenziertheit v o n Wortbedeutungen. So bezeichnet in der schon erwähnten Buschmännersprache ein und dasselbe W o r t nicht nur Fleisch, sondern auch jedes beliebige eßbare W i l d . Die Anhänger der Theorie der „entwickelten" und „unentwickelten" Sprachen lassen sich allerdings dadurch nicht beirren, sie sprechen dann eben v o m „diffusen" Charakter des primitiven Denkens, getreu dem bewährten Grundsatz: „was für die eigene Sprache gut ist, ist für die fremde schlecht."* Schließlich sieht man manchmal einen Unterschied zwischen „fortgeschrittenen" und „primitiven" Sprachen darin, daß den letzteren jede stilistische Differenzierung fehlt, während die ersteren durch eine Vielzahl hochentwickelter Funktionalstile gekennzeichnet sind. Auch dieses Argument ist haltlos: In jeder Sprache gibt es eine bestimmte stilistische Differenzierung, allerdings gibt es nicht in allen Sprachen (und in allen Entwicklungsphasen ein und derselben *E. Nida: Principles of Translation as Exemplified by Bible Translating. „On Translation", ed. by B. Brower. Cambridge. Mass., 1959, p. 26.
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Sprache) die g l e i c h e n Funktionalstile. I n Sprachen sozial und kulturell zurückgebliebener Völker fehlen selbstverständlich solche Stile wie der wissenschaftliche, der publizistische und einige andere, dafür aber sind der religiös-mythologische, der Folklore-Stil, der Stil der alltäglichen Umgangssprache u. a. deutlich genug ausgeprägt. Sobald in einer Sprache eine wissenschaftliche, politische oder andere Literatur aufkommt, entsteht unverzüglich auch der entsprechende Funktionalstil und v o r allem die erforderliche Fachterminologie, was wir bereits im Zusammenhang mit der Behandlung des Wortschatzes der Sprache erwähnt haben. Sicher bewiesen ist auf jeden Fall, daß die Einteilung der Sprachen in „höhere" und „niedere", „fortschrittliche" und „rückständige", „zivilisierte" und „primitive" ihrem Wesen nach rassistisch ist, unabhängig von den jeweiligen subjektiven Standpunkten und Absichten ihrer Vertreter. In nicht allzu ferner Vergangenheit erlebte diese Theorie in der Sowjetunion eine spezifische Verkörperung in der berüchtigten „neuen Sprachlehre" von Prof. N. Marr und seinen Nachfolgern. Ausgehend v o n ihrer vulgärsoziologischen Deutung der Sprache als unmittelbares Produkt des jeweiligen sozialen Entwicklungsstandes der Gesellschaft, versuchten die „Marristen", in der Entwicklung der menschlichen Sprachen bestimmte „Stadien" nachzuweisen. Die auf den unteren Stufen der sozialen Entwicklung stehenden Völker seien durch niedrigere Entwicklungsstufen des Denkens und der Sprache gekennzeichnet, während für sozial höher entwikkelte Völker ein „höheres" Stadium des Denkens und der Sprache typisch sei, sagten sie. Sie räumten zwar ein, daß diese Ungleichheit der geistigen und sprachlichen E n t w i c k lung der Völker nicht rassisch, sondern sozial bedingt sei, doch praktisch lief dieses „Argument" darauf hinaus, daß an die Stelle des biologischen der soziologisieronde Rassismus trat. Hätten die „Marristen" recht, so würde daraus folgen, daß der Ubergang eines Volkes v o n einer niedrigeren auf eine höhere Entwicklungsstufe eine Veränderung des Sprachbaus nach sich ziehen müßte. Die Geschichte der Völker und Sprachen der Sowjetunion widerlegt glatt diese vulgärsoziologische K o n z e p t i o n . Bekanntlich lebten viele Völker des russischen Zarenreiches vor der R e v o l u t i o n unter urgesellschaftlichen Verhältnissen, aus denen sie, die feudalistische 26
und kapitalistische Formation überspringend, direkt zum Sozialismus übergingen. Ihre Sprachen blieben dabei aber im wesentlichen unverändert, es sind keinerlei „qualitative" Wandlungen festzustellen, weder in ihrer Grammatik noch in ihrem Grundwortbestand. Ihr Wortschatz hat allerdings zahlreiche Fachausdrücke aus den Bereichen der Wissenschaft und Technik, der gesellschaftspolitischen Tätigkeit und der Philosophie aufgenommen (durch Entlehnung und durch Nutzung eigener Sprachquellen) — aber ein derartiger Prozeß vollzieht sich, wie bereits gesagt, kontinuierlich in einer jeden Sprache. Unter der Sowjetmacht wurde in die Sprachen der ehemals rückständigen Völker eine umfangreiche wissenschaftlich-technische, gesellschaftspolitische und philosophische Literatur übersetzt, und dabei gab es nie und nirgends unüberwindliche Hindernisse für derartige Übersetzungen. Die sprachpolitische Praxis in der M № ist somit ein denkbar überzeugendes Argument gegen die Konzeption der Uniibersetzbarkeit aus „fortgeschrittenen" in „primitive" Sprachen und umgekehrt, sie hat die Haltlosigkeit einer solchen Einteilung der Sprachen anschaulich bewiesen. Heutzutage sehen nicht nur marxistische Sprachwissenschaftler, sondern auch die meisten Linguisten des westlichen Auslands die Unwissenschaftlichkeit der Einteilung der Sprachen in „entwickelte" und „primitive" ein. Dazu möchten wir nachstehend nur zwei Belege bringen. Zunächst die Stellungnahme des bekannten amerikanischen Linguisten R. A. H a l l : „Alle Untersuchungen, die bisher an p r i m i t i v e n ' Sprachen vorgenommen wurden, ergaben, daß sie über denselben Strukturtyp und einen genauso reichen Wortschatz verfügen wie andere Sprachen... Kurz, es gibt in der gegenwärtigen Entwicklungsphase der Menschheit nichts, was als wirklich ,primitive' Sprache bezeichnet werden könnte. Es muß eine Phase gegeben haben, in der die menschliche Sprache weniger entwickelt war als heute, aber diese Periode liegt Hunderttausende von Jahren zurück, und es haben sich nirgends auch nur Spuren dieses Zustandes erhalten. Alle gegenwärtig gesprochenen Sprachen, die der amerikanischen Indianer, der afrikanischen Buschmänner und der australischen Eingeborenen nicht ausgenommen, haben im wesentlichen den gleichen Entwicklungsstand erreicht... Unsere eigene Sprache, sei es die englische, französische, italienische oder deutsche, wie auch jede andere sogenannte 27
z i v i l i s i e r t e ' Sprache, ist nur insofern zivilisiert, als sie zufälligerweise v o n Menschengruppen gesprochen wird, die in bestimmten Bereichen derartige technische Fortschritte machen konnten, daß sie es zu eigenen Z i v i l i s a t i o n e n ' , d. h. komplexeren Kulturen brachten... Viele der sogenannten p r i m i t i v e n ' Sprachen ... besitzen grammatische Strukturen, mit denen andere, aber nicht weniger wichtige Unterscheidungen in der uns umgebenden W e l t bezeichnet werden, als dies in der Struktur unserer z i v i l i s i e r t e n ' Sprachen der Fall ist. Als ein weitverbreitetes Wochenmagazin (Newsweek — der Verf.) Hindi als ,eine verhältnismäßig primitive Sprache' bezeichnete, 5 der es an wissenschaftlichen und technischen Fachwörtern m a n g e l t ' , haben die Bedakteure der Zeitschrift damit nur ihre eigene Ignoranz bewiesen sowie die Neigung, kritiklos landläufige Urteile nachzuplappern, die in einer wissenschaftlichen oder populären Darstellung v o n Sprachverschiedenheiten v ö l l i g fehl am Platze sind."* Und hier die Meinung des amerikanischen Anthropologen Prof. Bichard Lee, der mehrere Jahre unter den Buschmännern gelebt hat: „Ihre Lebensverhältnisse liefern uns den Schlüssel für das Verständnis vergangener Geschichtsperioden, denn sie müssen in ihrem A l l t a g dieselben Probleme bewältigen, wie die Menschen in grauer Urzeit. Ich habe mehrere Jahre unter ihnen verbracht, ihre Lebensweise kennengelernt und ihre Sprache erlernt. Ich kam zu der Überzeugung, daß ... sie genauso vollwertige Monschen sind wie wir und daß ihr Verstand dem unsrigen in keiner Weise unterlegen ist... Die meisten v o n uns stimmen überein, daß der Bau größerer nuklearer Sprengköpfe niemandem Nutzen bringt. Auf meinen eigenen Fachbereich bezogen, kann ich mit Sicherheit behaupten, daß die Versuche, Unterschiede in den geistigen Fähigkeiten verschiedener Rassen zu finden, keinem guten Zweck dienen k ö n n e n . " * * Man kann es wirklich kaum deutlicher sagen! Uns bleibt nur noch die Schlußfolgerung: Da die Gegenüberstellung von „entwickelten" und „unentwickelten" Sprachen wissenschaftlich unhaltbar ist, gilt der von uns formulierte Grundsatz der prinzipiellen Ubersetzbarkeit (der *R. A. Hall: Introductory Linguistics. Philadelphia, 1964, pp. 1 3 - 1 4 , 469. **Zitiert nach einem Interview in „Moscow News", 2. Oktober 1971.
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Ausdrückbarkeit der Bedeutungen e i n e r ' Sprache mit den Mitteln einer anderen) uneingeschränkt fiir jedes beliebige Sprachenpaar.
3. Die Stellung der Übersetzungstheorie unter den anderen wissenschaftlichen Disziplinen § 6. Bisher haben wir einigemal den Ausdruck „1 i n gu i s t i s c h e Übersetzungstheorie" verwendet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, mehrere Probleme zu klären: Erstens, mit welcher Begründung rechnen wir die Übersetzungstheorie zu den linguistischen Disziplinen? Zweitens, sind neben der linguistischen, auch andere, nichtlinguistische Auffassungen über die Übersetzungsproblematik m ö g lich? Drittens, welchen Platz nimmt die Übersetzungstheorie unter den anderen linguistischen Teildisziplinen ein? Bei der Übersetzung erfolgt die Umwandlung eines ausgangssprachlichen Textes in einen zielsprachlichen unter unveränderter Erhaltung des Inhalts bzw. der Bedeutungen, die im A S - T e x t enthalten sind. Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden und die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten des Übersetzungsprozesses zu erfassen, muß die Übersetzungstheorie vor allem die Koinzidenzen und Diskrepanzen bei den Ausdrucksmitteln für identische Bedeutungen beider Sprachen reflektieren und, davon ausgehend, die geeignetsten Mittel zur Überwindung dieser Diskrepanzen („Übersetzungshandgriffe") nachweisen. Eine solche Aufgabe ist ihrem Wesen nach eine linguistische, und eine Übersetzungstheorie, deren Anliegen die Lösung dieser Aufgabe ist, kann nur eine linguistische Disziplin sein. Auf den ersten B l i c k scheint hier allerdings der Einwand berechtigt, daß für die Ermittlung v o n Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten unter den Ausdrucksmitteln verschiedener Sprachen nicht die Ubersetzungstheorie, sondern die kontrastive Linguistik zuständig sein muß. Die Übersetzungstheorie ist in der Tat aufs engste mit der kontrastiven Linguistik verflochten, die ihre unmittelbare theoretische Basis ist, aber zwischen diesen beiden Disziplinen besteht keine Identität. Die kontrastive Sprachwissenschaft hat — wie auch die Sprachwissenschaft im allgemeinen — m i t den S p r a c h e n a l s S y s t e m e n z u tun, ihr geht 29
es um die Peststellung von Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zwischen den Systemen zweier Sprachen im Bereich der Phonologie, des Lexikons und der Grammatik. Deshalb ist es für die kontrastive Linguistik wie für die Sprachwissenschaft im allgemeinen von entscheidender Bedeutung, die E b e n e n der sprachlichen Hierarchie a u s e i n a n d e r / u h a l t e n , d . h . die Einheiten einer Sprache (bzw. eines Sprachenpaares) jeweils einer bestimmten Ebene, einem bestimmten Teilsystem der Sprache zuzuordnen. Die Ubersetzung hat aber, wie bereits ausdrücklich betont wurde, nicht mit sprachlichen Systemen, sondern mit R e d e e r z e u g n i s s e n , also mit T e x t e n z u tun. In der Rede wird aber bekanntlich die Schichtung des sprachlichen Systems in mehrere Ebenen oder Aspekte (den morphologischen, syntaktischen, lexisch-semantischen usw.) überwunden und eine k o m p l e x e Wechselwirkung und Synthese qualitativ verschiedener Ausdrucksmittel innerhalb des geschlossenen Redeerzeugnisses gewährleistet. Folglich ist für die Ubersetzungstheorie die Zugehörigkeit der in Frage kommenden Einheiten zu einer bestimmten Ebene des Sprachsystems v ö l l i g irrelevant. Die Gegenüberstellung der sprachlichen Einheiten erfolgt in der Ubersetzungstheorie einzig und allein auf der Grundlage der Gemeinsamkeit des durch sie ausgedrückten Inhalts, d. h. der Bedeutungen, der semantischen A f f i n i t ä t dieser Einheiten, ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu gleichen oder verschiedenen Ebenen der sprachlichen Hierarchie. Das Gesagte sei durch folgendes konkretes Beispiel erläutert. Nehmen wir an, unser Ziel ist die kontrastive Untersuchung der Zeit- und Aspektformen des Verbs im Deutschen und im Russischen. Die kontrastive Grammatik beider Sprachen müßte sich dabei auf die Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Aspekt- und Zeitf o r m e n des V e r b s beschränken, dürfte also nicht über den Rahmen der morphologischen Ebene im Deutschen und im Russischen hinausgehen. Die Frage, ob diese Bedeutungen in einer der behandelten Sprachen auch mit nichtmorphologischen und überhaupt grammatikfremden Mitteln, etwa im lexikalisch-semantischen Bereich zum Ausdruck kommen, bleibt dabei unberührt und unbeantwortet. Die Ubersetzungstheorie geht an dieses Problem ganz anders heran. Sie kann sich keineswegs mit dem Vergleich innerhalb des morphologischen Systems begnügen, sie 30
gellt über die Grenzen dieser Systeme hinaus, um festzustellen, wie die Bedeutungen, die in einer der beiden Sprachen grammatisch ausgedrückt sind, in der anderen etwa durch lexikalische Mittel zum Ausdruck gebracht werden. Die Bedeutung der deutschen Zeitform Plusquamperfekt wird im Russischen meist durch lexikalische Mittel, Wörter wie прежде, раньше u. dgl. wiedergegeben. Die Ubersetzungstheorie ist somit gegenüber dem sprachlichen Status der korrelierenden Einheiten gleichgültig, ihre Zugehörigkeit zum grammatischen, lexikalischen oder einem sonstigen Subsystem ist für die Ubersetzungstheorie irrelevant. Worauf es ihr ankommt, ist ihre s e m a n t i s c h e Identität, die Gleichheit der durch sie ausgedrückten Bedeutungen. Für die Sprachwissenschaft im allgemeinen und für die kontrastive Sprachwissenschaft im besonderen ist somit die Abgrenzung der Ebenen des sprachlichen Systems von wesentlicher Bedeutung, für die Ubersetzungstheorie hingegen ist das Wesentlichste die Betrachtung und Gegenüberstellung sprachlicher Einheiten in ihrer gegenseitigen Verbundenheit, in der Wechselwirkung, die sie in der Rede, im Gefüge kohärenter Texte eingehen.* Der modernen Sprachwissenschaft ist überhaupt die Tendenz eigen, an die Stelle der Untersuchung der Sprache als abstraktes System die Untersuchung des Funktionierens der Sprache in der Rede treten zu lassen. Diese Tendenz äußert sich u. a. im wachsenden Interesse für die Problematik der Redetätigkeit, m i t der sich die Psycholinguistik beschäftigt, in der Beschäftigung mit der sogenannten „aktuellen Syntax" und der „kommunikativen Gliederung des Satzes", was nur unter Berücksichtigung der Leistung des Satzes in der zusammenhängenden Rede möglich ist, und schließlich in der Entstehung einer neuen linguistischen Teildisziplin — der T e x t l i n g u i s t i k . * * Alle diese Richtungen der Sprachforschung sind aufs engste mit der Ubersetzungstheorie verbunden, ja man kann sogar mit gutem Grund behaupten, daß die linguistische Ubersetzungstheorie selbst eigentlich „kontrastive Textlinguistik" ist, nämlich gegen-
*Vgl. А . Швайцер: К вопросу об анализе грамматических явлений при переводе. „Тетради переводчика", вып. I, М., 1963. „Материалы научной конференции , Лингвистика текста' ", МГПИИЯ им. М. Тореза^ М . , 1974.
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überstellende Untersuchung semantisch gleichwertiger verschiedensprachlicher Texte. Es ist aber noch eine Klarstellung erforderlich. Die Rede (Parole) als solche kann an sich nicht Gegenstand der Sprachwissenschaft sein, denn sie ist stets individuell, einmalig und nicht nachvollziehbar, die Wissenschaft aber kann nur das Allgemeine, Gesetzmäßige, Typische und regelmäßig Nachvollziehbare untersuchen. Die Rede ist für die Sprachwissenschaft lediglich das Material, aus dem diese ihr Untersuchungsobjekt — nämlich die Sprache* — herausarbeitet. W e n n wir sagen, daß in der modernen Sprachwissenschaft eine Tendenz zur Erforschung der Verwendung und Funktion der Sprache in der Rede festzustellen ist, so bedeutet dies eine Verlagerung des Forschungsschwerpunktes am gleichen Objekt: die Sprache wird nicht mehr in der Statik, sondern in der Dynamik untersucht, nicht als Inventar von Einheiten, sondern als Tätigkeit in realer Funktion. Die Hauptaufgabe der modernen Sprachwissenschaft ist die Schaffung eines solchen S p r a c h m o d e l l s , das den dynamischen Aspekt der Sprache repräsentiert, in dem die Sprache, nach W. v. H u m b o l d t , als „energeia" (Tätigkeit) und nicht als „ergon" (Tätigkeitsprodukt) erscheint. Diesen W e g geht eine der maßgebenden Richtungen der modernen Sprachwissenschaft, die sogenannte generative Linguistik. Die linguistische Übersetzungstheorie ist auch ein dynamisches Modell besonderer Art, sie beschreibt in linguistischen Termini den Prozeß des Uberganges v o m A S - T e x t zum ZS-Text, den Prozeß der zwischensprachlichen Transformation bei Erhaltung der inhaltlichen Invarianz. Die Gesetzmäßigkeiten dieses Übergangs, d. h. die „Regeln" der übersetzerischen Transformation machen den eigentlichen Forschungsgegenstand der linguistischen Ubersetzungstheorie aus.
§ 7. Nachdem wir die Übersetzungstheorie als linguistische Disziplin definiert haHen7*Äüssen wir IRren "Platz unter den äncleren "sprachwissenschaftlichen Disziplinen näher bestimmen. In der heutigen Sprachwissenschaft werden gewöhnlich zwei Hauptgebiete unterschieden — die Mikro*A. И. Смирницкий: Объективность М . , изд-во М Г У , 1954, с. 19.
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существования
языка.
linguistik und die Makrolinguistik.* Zum ersten gehört die Linguistik, im engeren Sinne, d. h. die Erforschung der Sprache "an und tur sich", wieTTHe*Saussure es ausdrückte, losgelöst v o n den extralinguistischen Tatsachen, als ein v o n anderen Erscheinungen relativ unabhängiges Objekt. Hierher gehören solche klassische Disziplinen des sprachwissenschaftlichen Zyklus wie die Phonetik und Phonologie, die Grammatik, die Lexikologie und die Semasiologie** — sowohl im Rahmen der allgemeinen als auch der speziellen Sprachlehre, sowohl historisch (diachronisch) als auch beschreibend (synchronisch) angewandt, und auch die historisch-komparativistische und kontrastiv-typologische Sprachforschung. Zur Makrolingujst.ik, d. h. zur Linguistik im weiteren Sinne, gehören die Richtungen der Sprachwissenschaft, die die Sprache in ihren Beziehungen zu den außersprachlichen (extralinguistischen) Gegebenheiten erforschen. Hierher gehören Disziplinen wie die Psycholinguistik, die sich mit den psychophysiologischen Mechanismen der Redetätigkeit befaßt; die Ethnolinguistik, die sich für die Wechselbeziehungen der Sprache uniTcIeFethnisch-kulturellen Faktoren interessiert; die Soziolinguistik, der es um die Wechselwirkung v o n Sprache und sozialen "Faktoren geht; die Sprachgeographie, deren Objekt die Beeinflussung der Sprache~clurch territorial-geographische Faktoren ist, und einige weitere Richtungen derJBprachforschung. Neben UTeSer Teilung der Sprachwissenschaft in M i k r o und Makrolinguistik besteht auch eine Einteilung der sprachwissenschaftlichen Disziplinen in theoretische und angewandte.*** Zu den letzteren rechnet man diejenigen
*Vgl. G. Trager and Ii. Smith: An Outline of English Structure. Washington, 1957, pp. 81—82. Streng genommen umfaßt die Makrolinguistik eigentlich auch die Mikrolinguistik als einen ihrer Teilbereiche. Wir werden im weiteren unter „Makrolinguistik" nur diejenigen ihrer Bereiche verstehen, die nicht unter der „Mikrolinguistik" zusammengefaßt werden können („Metalinguistik" nach Trager und Smith). **Die ausschließliche Zurechnung dieser Disziplin zum mikrolinguistischen Bereich ist allerdings nicht unbestritten, da die Beziehung der Sprachsemantik zu extralinguistischen Faktoren auf der Hand liegt (vgl. auch Kap. 2). ***Man darf aber nicht vergessen, daß die Gegenüberstellung der Begriffe „theoretisch" und „angewandt" in bezug auf wissenschaftliche 3-019
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Teilbereiche der Sprachwissenschaft, die unmittelbar mit der Verwendung der Sprache in verschiedenen Arten der menschlichen Tätigkeit verbunden sind und die dafür erforderlichen wissenschaftlichen Voraussetzungen liefern. Es sind dies der Sprachunterricht; die Teile der Nachrichtentheorie, die sich m i t der Verwendung der Sprache in technischen Informationskanälen (Telefon, Rundfunk) befassen; Probleme der automatischen Informationssuche (Recherchesprachen), des Referierens u. dgl. m . * ; die Theorie der Schrift und die wissenschaftlichen Grundlagen der Schaffung neuer Alphabete; die Rechtlautung und die Sprachpflege und vieles andere. W a s die Übersetzungstheorie anbetrifft, so gehört sie u. E. erstens zu den Disziplinen der Makrolinguistik und zweitens zum Bereich der angewandten Sprachwissenschaft. Daß die Ubersetzungstheorie zu den angewandten Disziplinen gehört, ist selbstverständlich und bedarf wohl keiner besonderen Begründung. Weniger selbstverständlich ist ihre Zuordnung zur Makrolinguistik. Dies bedeutet im Grunde, daß es nach unserer Ansicht unmöglich ist, die Ubersetzungstheorie auf rein linguistischer Basis, ohne Berücksichtigung extralinguistischer Faktoren, aufzubauen, d. h. ohne Bezugnahme auf die Phänomene, die außerhalb der Struktur der Sprache selbst liegen, wenn auch unmittelbar m i t ihr verbunden sind. Nachstehend versuchen wir dies näher zu erläutern. Vorstehend wurde gesagt, daß am Übersetzungsprozeß nicht die Sprachsysteme als abstrakte Objekte, sondern konkrete R e d e e r z e u g n i s s e (Texte) beteiligt sind, die vor allem aus sprachlichem Material aufgebaut sind. Aber dieses sprachliche Material allein macht noch keinen vollwertigen Text aus, ein Text ist nicht restlos auf die Sprache reduzierbar. Notwendige Voraussetzungen für das Zustandekommen eines beliebigen Redeerzeugnisses sind folgende Momente: 1) der Gegenstand (das „Thema") der Mitteilung, das, w o v o n im Text die Rede ist; 2) die Situation des Verkehrs, d. h. die Umstände, unter denen die Disziplinen nur einen relativen Wert hat: jede angewandte Disziplin baut ebenfalls auf einer Theorie auf, die somit die Grundlage für bestimmte „Empfehlungen" oder „Vorschriften" praktischer Art bildet. *Dieser Bereich der Sprachwissenschaft wird auch als „Computerlinguistik" (computational linguistics) bezeichnet.
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K o m m u n i k a t i o n stattfindet; 3) die Teilnehmer des Redeaktes, d. h. der „Absender" (der Sprechende oder der Schreibende) und der „Empfänger" (der Hörende oder der Lesende), die beide über individuelle Erfahrungen sowohl im sprachlichen (Sprachkenntnisse) als auch im außersprachlichen Bereich (Kenntnis der realen Umwelt) verfügen. Ohne diese extralinguistischen Momente — Mitteilungsthema, Verkehrssituation und Teilnehmer des Redeakts — ist der Redeakt genauso unmöglich und unausführbar wie ohne Sprache. Die erwähnten extralinguistischen Faktoren — und dies ist für unsere Problemstellung von vorrangiger Bedeutung — stehen in engster Verbindung, in unmittelbarer Wechselwirkung m i t den sprachlichen Mitteln, aus denen das Redeerzeugnis aufgebaut ist. Das Verstehen, die Erschließung („Entzifferung") der Bedeutung des vorliegenden Textes geschieht nämlich vor allem auf Grund eben dieser extralinguistischen Faktoren, gestützt auf die Information, die der „Empfänger" aus ihnen gewinnt, die gleichberechtigt neben der aus den eigentlichen sprachlichen Komponenten der Mitteilung gewonnenen Information steht. W i e in der sprachwissenschaftlichen Literatur wiederholt festgestellt wurde, besteht der Anteil der extralinguistischen Komponenten des Redeaktes an der Manifestierung der Bedeutung v o n Textelementen in der Beseitigung der lexikalischen und der grammatisch-strukturellen Vieldeutigkeit der im Text verwendeten Spracheinheiten sowie in der Kompensierung v o n Spracheinheiten, die infolge situativ bedingter Ellipsen „eingespart" wurden. An sich besitzt jede Sprache alle Mittel, um einen beliebigen Inhalt vollständig und eindeutig wiederzugeben, ohne zu extralinguistischen Faktoren Zuflucht nehmen zu müssen. In der Praxis wird aber, wie sich zeigt, das Vorhandensein dieser außersprachlichen Faktoren v o n beiden Teilnehmern des Redeaktes v o l l berücksichtigt, wodurch sie befähigt werden, alle oder doch die meisten redundanten Elemente aus der Rede auszuschalten und. dadurch eine höhere Ökonomie der sprachlichen Mittel zu erreichen. Eine vollständige Ignorierung der extralinguistischen (situationsbedingten) Faktoren würde die Beseitigung jeglicher Mehrdeutigkeit erforderlich m a chen — der „Absender" müßte den Inhalt aller Elemente der Rede mit Hilfe sprachlicher Mittel erschöpfend und eindeutig klarmachen, und dadurch würde das Redeprodukt 3*
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unmäßig „anschwellen", einen unvertretbaren Grad an Redundanz erreichen. Die in der Redesituation vorhandenen Elemente, die es ermöglichen, die Bedeutung der sprachlichen Einheiten eindeutig zu erschließen, gestatten die Weglassung (Ellipse) von Textelementen, deren Bedeutung der aktuellen Situation selbst entnommen werden kann. Der russische elliptische Satz Можно? ist an sich, losgelöst v o n einer konkreten Situation, semantisch unvollständig. W e n n aber dieser Satz von einem Menschen gesprochen wird, der hinter einer geschlossenen Tür steht, der vor der Äußerung dieses Satzes an die Tür geklopft hat, so wird dieser Satz ohne weiteres eindeutig ergänzt zu Можно мне войти? (Darf ich eintreten?) In einer anderen Situation erhält derselbe Satz eine andere Interpretation. Wenn ihn ein Kind ausspricht, indem es nach einem auf dem Tisch liegenden Apfel greift, so begreift man ihn als Abkürzung der Frage Можно мне взять яблоко? (Darf ich den Apfel nehmen?) Die als Folge der Ellipse fortgelassenen Elemente des Satzes (Wörter) werden aus der Situation, auf Grund der gegebenen Umstände rekonstruiert, und das Phänomen der Ellipse ist als solches nur m ö g l i c h , weil sowohl der Redende als auch der Hörende die vorhandene Situation eindeutig erfassen und interpretieren kann, so daß die in der jeweiligen Situation redundanten sprachlichen Elemente eingespart werden können. Ähnlich erfolgt auch die Aufhebung der Vieldeutigkeit in einer konkreten Situation, die Erschließung der jeweils in Frage kommenden Bedeutung eines polysemen Wortes oder einer polysemen syntaktischen Konstruktion. Die Bedeutung eines polysemen Wortes wird im allgemeinen durch den Redekontext, d. h. „intralinguistisch" erschlossen. Die Bedeutung des englischen technischen Fachwortes „tube" (seine deutschen Entsprechungen sind u. a. „Rohr", „Röhre", „Schlauch", „[Geschütz-]Lauf", „Tubus") läßt sich im Satz „Such units that use a Single tube for hol Ii functions are called transceivers" eindeutig identifizieren als Radioröhre, und zwar dank dem Vorhandensein des funktechnischen Terminus „transceiver" sowie weiterer funktechnischer Ausdrücke in anderen Sätzen des gleichen Textes. Der fehlende sprachliche K o n t e x t kann aber durch eine bestimmte extralinguistische Situation kompensiert werden. Dasselbe W o r t „tube" kann im Satz „Where did you put the tube?" mit 36
hoher Wahrscheinlichkeit als Radioröhre gedeutet werden, wenn dieser Satz von einem Funktechniker während seiner Arbeit in einer Radiowerkstatt gesprochen wird. Der englische Satz „Passengers are not allowed to ride on the platf o r m " kann wegen der Polysemie des Wortes „platform" nur dann eindeutig verstanden werden, wenn er als A u f schrift in einem Bus gelesen wird — hier kann das W o r t „platform" nur die Plattform des Fahrzeugs bedeuten. Eine nicht geringere, ja eher noch größere R o l l e spielt die extralinguistische Information, über die die Teilnehmer des Redeaktes verfügen, spielen ihre Kenntnisse v o n der sie umgebenden W e l t , ihr Wissen um die Tatsachen der objektiv bestehenden W i r k l i c h k e i t . Das k o m m t ebenfalls in der Fähigkeit zum Ausdruck, die Bedeutung vieldeutiger sprachlicher Einheiten sowohl lexikalisch als auch grammatisch richtig zu identifizieren. Das englische W o r t „pen" verstehen wir im Satz „John is in the pen" als Viehhof und nicht als Federhalter, nur weil uns die Abmessungen dieser Gegenstände bekannt sind, und weil wir wissen, daß ein Mensch w o h l in einem Viehhof, aber keineswegs in einem Federhalter Platz hat. Im russischen Satz Весеннее солнце сменило летнее — оно значительно щедрее erkennen wir ohne weiteres unbeschadet der fehlenden grammatischen Unterscheidungsmerkmale летнее (солнце) als Satzsubjekt, und zwar nur auf Grund der extralinguistischen Tatsache, daß der Sommer auf den Frühling folgt und nicht umgekehrt. Die Zahl solcher Beispiele läßt sich beliebig vermehren. Betrachten wir z. B. folgende Sätze aus Werken v o n Charles Dickens: ...that R o b had anything to do with his feeling as lonely as Robinson Crusoe. (Dombey and Son, Ch. X X X I X ) „ R o m e wasn't built in a day, m a ' a m . . . In a similar manner, m a ' a m " , said Bounderby, „I can wait, you know. If Romulus and Remiss could wait, Josiah B o u n derby can w a i t . " (Hard Times, Ch. X) „1 do not wonder that you ... are incredulous of the existence of such a man. But he who sold his birthright for a mess of pottage existed, and Judas Iscariot existed, and Castlereagh existed, and this man exists!" (Hard Times, Ch. IV) „Open the door", replied a man outside; „it's the o f f i cers from B o w Street, as was sent to, t o - d a y . " ( T h e Adventures of Oliver Twist, Ch. X X X I ) 37
Keiner dieser Sätze kann vollständig begriffen werden, wenn der „Empfänger", in diesem Falle also der Leser, keine ausreichenden Kenntnisse über die darin erwähnten Gegenstände, Personen oder Erscheinungen besitzt, gleich, ob sie real oder nur erfunden sind. Um den ersten Satz zu verstehen, muß man wissen, warum der Name Robinson Crusoe mit dem Begriff der Einsamkeit verbunden wird, und dazu muß man mit dem B o m a n D. Defoes „The Life and Surprising Adventures of Robinson Crusoe" und somit mit der klassischen englischen Literatur bekannt sein. Um den zweiten der hier angeführten Sätze zu verstehen, muß man wissen , wer Romulus und Remus waren, und sich in der Geschichte und Mythologie des alten R o m s auskennen. Das dritte Beispiel bleibt unverständlich, wenn der Leser oder Zuhörer nicht mit der biblischen Legende von Esau vertraut ist, der seine Erstgeburt für ein Linsengericht verkauft hat, und wenn er nicht weiß, daß Judas Ischariot nach der evangelischen Legende der Verräter v o n Jesus Christus war. Darüber hinaus m u ß man mit dem Namen Castlereagh auch etwas anzufangen wissen, um zu verstehen, was er mit den Begriffen Verrat und Bestechlichkeit zu tun hat — den Schlüssel dazu liefert die Kenntnis bestimmter Ereignisse aus der Geschichte Englands. Der letzte Satz ist wiederum nur dem Leser verständlich, der weiß, daß in der Londoner B o w Street das Polizeipräsidium stand. Kurzum, in allen diesen Fällen — wie übrigens in vielen anderen auch — ist die Erfassung der Bedeutung unmöglich ohne die Kenntnis bestimmter Fakten und Erscheinungen, die außerhalb der Sprache liegen, d. h. ohne extralinguistische („enzyklopädische") Information. Diese Erwägung ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Übersetzungstheorie, und zwar nicht nur, weil der Übersetzer über einen bestimmten Vorrat an extralinguistischem Wissen verfügen muß, um den zu übersetzenden T e x t zu verstehen, sondern v o r allem auch deshalb, weil der Übersetzer nie damit rechnen kann, daß die zum Verständnis des Textes erforderlichen Kenntnisse bei den Trägern der Ausgangssprache und den Trägern der Zielsprache in gleicher Qualität und Quantität vorhanden sind. Es ist vielmehr gerade das umgekehrte Verhältnis der Normalfall: Es besteht keine Übereinstimmung der extralinguistischen Information nach Quantität und Qualität bei den Trägern der A usgangssprache und den Trägern der Zielsprache; vieles d a v o n , was den Lesern und 38
Zuhörern im Original bekannt und verständlich ist, ist den Lesern und Zuhörern der Übersetzung fremd und unverständlich. Auf unsere vorstehenden Beispiele zurückkommend, kann man sagen, daß der Ubersetzer mit Sicherheit damit rechnen kann, daß dem deutschen Leser Robinson Crusoe (als Heid eines auch ins Deutsche übersetzten Romans), R o m u l u s und Remus, Judas Ischariot u. a. vertraute Begriffe sind, aber kaum erwarten darf, daß sein Leser auch weiß, wer V i s c o u n t Castlercagh war, und was es mit der B o w Street auf sich hat. Diese Namen, die den englischen Lesern als Dickens' Zeitgenossen geläufig waren, sind dem heutigen deutschsprachigen Leser v ö l l i g bedeutungsleer. Die sich daraus für die Praxis und die Theorie der Ubersetzung ergebenden Schlußfolgerungen haben grundsätzliche Bedeutung, auf dieses Problem soll noch näher eingegangen werden (Kap. 3). Man könnte denken, daß die Notwendigkeit extralinguistischer Kenntnisse beim „Empfänger" (folglich auch beim Übersetzer und beim „Abnehmer" der Ubersetzung — ihrem Leser oder Zuhörer) nur im Falle von Eigennamen (wie in obigen Beispielen), historischen Ereignissen u . d g l . eine R o l l e spielt. In Wirklichkeit ist aber die extralinguistische Information für die Teilnehmer des Redeaktes nicht nur in diesen Spezialfällen, sondern grundsätzlich bei j e d e m K o m m u n i k a t i o n s a k t unerläßlich, ohne sie ist der sprachliche Verkehr unmöglich. Jedesmal, wenn wir mit sprachlichen Mitteln Gedanken austauschen, setzen wir bei unserem Partner die begriffliche Vorstellung v o n der uns umgebenden W e l t voraus, v o m dreidimensionalen R a u m , v o n den zeitlichen, kausalen und sonstigen Verhältnissen, d. h. die Kenntnis der objektiven Wirklichkeit selbst. W i e weiter (vgl. K a p . 2) gezeigt werden soll, beinhaltet der Begriff der sprachlichen Bedeutung v o r allem die Bezogenheit des sprachlichen Zeichens auf die objektive W i r k l i c h keit, auf die Gegenstände und Begriffe, die in der uns umgebenden W e l t existieren und uns durch Erfahrung gegeben sind. Ohne Kenntnis dieser Gegenstände und Begriffe ist keinerlei K o m m u n i k a t i o n m ö g l i c h : Es würde nicht nur jede Rede unverständlich werden, sondern die Redetätigkeit als solche könnte einfach nicht zustande k o m m e n , da es ja keinen Austausch v o n Informationen geben kann, wenn jede Information fehlt. Man kann keine Gedanken austauschen, wenn es für Gedanken keinen Gegenstand gibt. 39
§ 8. W i r sind somit zur Schlußfolgerung gekommen, daß für das Zustandekommen eines Redeprodukts außer der Sprache, die das Baumaterial dafür liefert, auch bestimmte extralinguistische Faktoren erforderlich sind, und zwar: das Thema (der Gegenstand) der Mitteilung, die über eine bestimmte linguistische und extralinguistische Information verfügenden Teilnehmer des Redeaktes und die Umstände (die Situation) des Verkehrs. Die extralinguistischen oder nichtsprachliclicn Faktoren sind nicht etwa eine Art „übersprachliches Restgut", sondern sie sind integrierender Bestandteil des Redeprozesses (des Kommunikationsaktes) selbst, ohne den die Rede undenkbar ist. Deshalb ist für den Übersetzer als Teilnehmer (besonderer Art!) am Redeakt der Besitz bestimmter extralinguistischer Informationen unerläßlich. Um übersetzen zu können, muß man außer der Ausgangssprache, der Zielsprache und den Übergangsregeln von der einen zur anderen auch noch den G e g e n s t a n d und die U m s t ä n d e der K o m m u n i k a t i o n kennen, d. h. man muß wissen, w o v o n in dem zu übersetzenden T e x t die Rede ist und in welcher Situation der vorliegende Text funktioniert. Das hier Gesagte ist jedem praktizierenden Ubersetzer aus eigener Erfahrung bekannt: Um der Aufgabe des Übersetzers gerecht zu werden, bedarf es nicht nur der Kenntnis beider Sprachen (der Ausgangssprache und der Zielsprache), sondern auch der Vertrautheit m i t dem Gegenstand der Rede. Das gilt für alle Arten der Ubersetzung und des D o l m e t schens und für Texte jeder Gattung — literarische, gesellschaftspolitische, technisch-wissenschaftliche. Für den Übersetzer der schöngeistigen Literatur ist es unerläßlich, den von ihm übersetzten Autor zu kennen, über seine W e l t a n schauung, seine ästhetischen Ansichten und Neigungen, die ihn prägende literarische Strömung, seine Schaffensmethode im Bilde zu sein und eine umfassende Vorstellung von der im W e r k dargestellten Epoche, den Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, der materiellen und geistigen Kultur usw. usf. zu besitzen. Der Übersetzer von gesellschaftspolitischen Materialien muß den Staatsaufbau, die politische Lage und andere Faktoren des Landes, aus dem der zu übersetzende T e x t stammt, genauso gut kennen, wie die Epoche, in welcher dieser T e x t geschrieben oder gesprochen wurde. Der Übersetzer von wissenschaftlich-technischen Texten wiederum muß über ein bestimmtes Wissen im 40
Fachbereich verfügen, auf den sich seine Ubersetzungsvorlage bezieht, ob es nun die Biologie, die Physik, die Astronomie oder ein anderer Wissenszweig ist. Es sei hier noch einmal betont, daß das Gesagte für alle Aspekte oder „Ebenen" des sprachlichen Systems gilt, sowohl für die L e x i k als auch für die Grammatik. Es mag zunächst überraschen, daß zum Verständnis grammatischer Konstruktionen die Kenntnis des Redegegenstandes, d. h. der im Text behandelten Fakten der W i r k l i c h k e i t , erforderlich ist. Aber es verhält sich in der Tat so und nicht anders. Ein Beispiel genügt, um dies zu veranschaulichen. In einem wissenschaftlichen Text stößt der Ubersetzer auf folgende Wortgruppe: investigation of microdocument storage system using fractional wavelength optical reading methods. Bei dieser Wortgruppe haben wir es mit einem typischen Fall der sogenannten strukturellen (syntaktischen) Zweideutigkeit zu tun, da das Partizip using hier sowohl auf investigation, als auch auf system bezogen werden kann. Eine Entscheidung ist nur auf Grund konkreter Sachkenntnis m ö g lich, die formal-grammatischen Unterscheidungsmerkmale nützen uns hier nicht. Nur der Fachmann kann eindeutig entscheiden, welche v o n beiden Deutungen die sinngemäß zulässige ist. In der W o r t f ü g u n g the m a n in the armcliair reading a newspaper verfahren wir genauso, wenn wir reading richtig auf man und nicht auf armcliair beziehen, denn wir gehen nicht etwa v o n grammatischen Kennzeichen aus (die es hier nicht gibt), sondern v o n der allgemein bekannten Tatsache, daß das Subjekt des Lesens eben nur ein Mensch, keinesfalls aber ein Lehnstuhl sein kann. Dieser Umstand — die Notwendigkeit extralinguistischer Kenntnisse — erwies sich als ernsthaftes Hindernis für die Entwicklung der maschinellen Übersetzung. Die Maschine, die keinerlei Kenntnisse über die uns umgebende W e l t besitzt, zeigte sich unfähig, Konstruktionen dieser Art zu „begreifen", d. h. richtig zu analysieren, da die Aufhebung der lexikalischen bzw. syntaktischen Vieldeutigkeit beim „Empfänger" die Kenntnis der Tatsachen der Wirklichkeit voraussetzt. In einem Experiment übersetzte die Maschine die englische Wortgruppe De Gaulle's rule als die Regel de Gaulies statt die Regierung de Gaulies. Das englische W o r t rule bedeutet sowohl Regel als auch Regierung. Um in diesem Falle ein passendes Äquivalent zu finden, muß man wissen, daß de Gaulle ein Staatsmann, nämlich der Präsident 41
Frankreichs war. Wäre er ein Wissenschaftler gewesen, so könnte die Übersetzung die Regel de Gaulies richtig sein. Der Computer, der selbstverständlich nicht über diese Information verfügte, griff nach dem nächstliegenden W ö r terbuchäquivalent für rnle und übersetzte eben mit Regel. Heute ist es nicht nur den praktizierenden Übersetzern, sondern auch vielen maßgeblichen Theoretikern der Linguistik klar, daß die Auswertung extralinguistischer Informationen beim Ubersetzungsprozeß absolut notwendig ist. So schreibt der holländische Sprachwissenschaftler E. M. Uhlenbeck: „... allein die Kenntnis der Ausgangssprache und der Zielsprache reicht nicht aus. Was man als Ubersetzer außerdem braucht, ist die Kenntnis der Kulturen, zu denen die in Frage kommenden Sprachen gehören."* N o c h entschiedener äußert sich dazu der prominente amerikanische Linguist N. Chomsky: „Obwohl es viele Gründe für die Annahme gibt, daß die Sprachen weitgehend nach dem gleichen Muster geschaffen sind, ist kaum anzunehmen, daß vernünftige Übersetzungsverfahren (reasonable pröcedures of translation) überhaupt möglich sind. Unter einem v e r nünftigen Verfahren' verstehe ich ein Verfahren, das keine extralinguistische Information, also keine e n z y k l o p ä d i schen Angaben' enthält."** Genauso wie der Ubersetzungsprozeß nicht auf extralinguistische Faktoren verzichten kann, kann aiich die Ubersetzungstheorie diese Faktoren nicht außer acht lassen. Dies ist durchaus begreiflich, denn jede Theorie muß, wie bereits betont, die wesentlichen Züge des Objekts (des Prozesses oder Gegenstandes) widerspiegeln, dessen Modell die Theorie liefern will. Deshalb kann die Übersetzungstheorie nicht den Charakter einer mikrolinguistischen Disziplin besitzen; sie muß vielmehr als Teildisziplin der Makrolinguistik verstanden werden, die die Sprache nicht als eigenständiges Phänomen, sondern in ihren Wechselbeziehungen zu den extralinguistischen Faktoren untersucht, die außerhalb der eigentlichen Sprachstruktür liegen. Nebenbei bemerkt, beruhen die Einwände vieler Übersetzungspraktiker und Literaturwisäenschaftler gegen die Auffassung der Ubersetzungstheorie als einer linguistischen *„Lingua", v. 18, Nr. 2 (1967), p p . 201—202. **N. Chomsky: Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, Mass., 1965, pp. 201—202.
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Disziplin (wovon nachstehend noch die Rede sein wird) vor allem auf einer allzu engen Auffassung der Linguistik als bloße Mikrolinguistik. Setzt man den Begriff „Linguistik" dem Begriff „Mikrolinguistik" gleich, so entzieht man sich tatsächlich jede Grundlage für den A u f b a u einer genügend vollständigen und objektadäquaten Ubersetzungstheorie. W e n n aber die Übersetzungstheorie als makrolinguistische Disziplin aufgebaut wird, wie wir clas vorstehend zu begründen suchten, so wird selbst der unversöhnlichste „Antilinguist" unter den Übersetzern kaum etwas dagegen einzuwenden haben.
§ 9. Uns bleibt nur noch die Klärung einer Frage übrig, nämlich der, wie sich in der Übersetzungstheorie die „deskriptiven", d. h. beschreibenden (konstatierenden), und die „präskriptiven", d. h. vorschreibenden (normativen) Aspekte zueinander verhalten. Die skeptische, ja ablehnende Haltung vieler Übersetzer gegen die Übersetzungstheorie rührt nämlich nicht nur daher, daß sie diese als eine mikrolinguistische und damit im Sinne des tieferen Verständnisses des Übersetzungsvorganges nicht objektgerechte Disziplin auffassen, sondern auch daher, daß sie in ihr ein Sammelsurium diverser Vorschriften und „Regeln" zu sehen glauben, welche die schöpferische Freiheit des Übersetzers durch rigorose Bestimmungen der sogenannten „gesetzmäßigen Entsprechungen" einengen. Wie unbegründet derartige Befürchtungen sind, wurde wiederholt in einschlägigen Arbeiten nachgewiesen*, was leider nicht verhindern konnte, daß sich dieses Vorurteil in bestimmten Ubersetzerkreisen, vor allem unter Ubersetzern schöngeistiger Literatur, hartnäckig behauptet. Demgegenüber ist mit allem Nachdruck zu betonen, daß die Übersetzungstheorie weder ausschließlich noch vorwiegend eine präskriptive Wissenschaft ist. Es ist falsch, sich die Übersetzungstheorie als einen Satz von „Rezepten" oder „Befehlen" vorzustellen, wie etwa die, welche in einen Computer eingeführt werden, und die der Übersetzer strikt zu befolgen hätte. Die Übersetzungstheorie ist vielmehr eine vorrangig d e s k r i p t i v e Wissenschaft, ihr eigentliА . В. Фёдоров: „Основы общей теории перевода". Москва, в ы с ш а я школа", с. 6, 26.
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ches und wichtigstes Anliegen ist es, z u b e s c h r e i b e n, wie der Übersetzungsprozeß tatsächlich (im oben dargestellten Sinne) vor sich geht. Sie soll die objektiv vorhandenen Gesetzmäßigkeiten des AS—ZS-Überganges erschließen, indem sie diese Gesetzmäßigkeiten durch Analyse bereits ausgeführter Ubersetzungen erfaßt (ähnlich wie Sprachtexte und Auskünfte v o n Muttersprachlern als Material für die sprachwissenschaftliche Theorie dienen) und den Übersetzungsvorgang in geeigneten Termini modelliert. Es ist dieser deskriptive Aspekt, der für die Ubersetzungstheorie wie für jede andere wissenschaftliche Theorie maßgebend ist. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, daß die Ubersetzungstheorie keinerlei präskriptiven Aspekt besitzt. Es ist nicht zu übersehen, daß es sich bei der Ubersetzungstheorie nicht um eine linguistische Disziplin schlechthin handelt, sondern u m einen Zweig der a n g e w a n d t e n Sprachwissenschaft. Jede angewandte Disziplin ist bekanntlich stets mit einem bestimmten Bereich der menschlichen Tätigkeit verbunden, dessen wissenschaftliches Fundament sie bildet. Daher kann eine angewandte wissenschaftliche Disziplin nie einen gewissen Anteil vorschreibender oder präskriptiver Aussagen entbehren. Die Übersetzungstheorie, wenn es uns darum geht, ihr einen praktischen (applikativen) Wert abzugewinnen, darf nicht auf die Feststellung objektiv vorhandener Gesetzmäßigkeiten des Übersetzungsprozesses beschränkt bleiben, sondern sie muß darüber hinaus dem Übersetzer normative Weisungen bzw. „Vorschriften" erteilen, deren Befolgung ihn in seiner praktischen Tätigkeit zum Erfolg führt. Dabei hat es die Übersetzungstheorie, wie bereits festgestellt, nicht mit dem immanenten System oder der eigenen Struktur der Sprache an sich zu tun, sondern mit der Ubersetzung als einem Prozeß zwischensprachlicher Transformation, der an einem bestimmten Bedeprodukt vollzogen wird. Das System der Sprache existiert objektiv, unabhängig von dem jeweiligen Individuum, das diese Sprache spricht (wenn auch nicht unabhängig v o n der G e m e i n s c I i a f t der Sprecher). In der Rede aber, die immer individuell ist, können auch Fehler auftreten, Abweichungen v o n der Sprachnorm, die durch außerhalb der Sprache liegende und daher für die Sprachwissenschaft irrelevante Ursachen hervorgerufen werden (wie etwa mangelhafte Sprachbeherrschung, Gedächtnislücken, Unaufmerksamkeit beim Sprechen u. dgl.). Da 44
derartige Fehler und Abweichungen von der Sprachnorm (vom „Usus") in der Rede des sprechenden Individuums gegenüber dem Sprachsystem Zufallscharakter tragen*, können sie auch nicht Gegenstand der Sprachwissenschaft sein. In der Übersetzungstheorie aber ist die Situation v ö l l i g anders: Im Ablauf des Übersetzungsprozesses sind Fehler und Abweichungen v o n den Normen der „äquivalenten" Übersetzung unvermeidlich, und dazu sind sie ihrem Charakter nach häufig auch nicht individuell bedingt, sondern g e s e t z m ä ß i g , d a sie sich aus den objektiv vorhandenen Diskrepanzen zwischen den Systemen der Ausgangsund der Zielsprache ergeben. (Natürlich gibt es auch „ U b e r setzungsfehler", die durch individuelle, zufällige Faktoren bedingt sind — durch ungenügende Qualifikation des Übersetzers, durch die Unkenntnis bestimmter sprachlicher oder außersprachlicher Fakten u. a. m . — doch fallen sie nicht in den Zuständigkeitsbereich der linguistischen Ubersetzungstheorie.) Der normative oder „vorschreibende" Aspekt der Übersetzungstheorie richtet sich ja gerade darauf, diese Abweichungen von den Normen der äquivalenten Übersetzung zu beseitigen bzw. zu minimieren, soweit sie durch das objektiv vorhandene Phänomen der zwischensprachlichen Interferenz bedingt sind. Darin tritt die weitgehende Ä h n lichkeit des normativen Aspekts der Übersetzungstheorie mit dem einer anderen angewandten linguistischen Disziplin zutage, und zwar der Methodik des Sprachunterrichts. Auch hier geht es um die Beseitigung v o n Fehlern und Normwidrigkeiten in der Rede der Lernenden, die durch das objektiv bestehende Phänomen der zwischensprachlichen Interferenz bzw. durch den Einfluß der muttersprachlichen Normen auf die fremdsprachlichen Äußerungen des Lernenden bedingt sind. Es ist jedoch notwendig, folgende sehr wesentliche Einschränkung zu machen: Was wir hier als „Normen der äquivalenten Übersetzung" bezeichnen, ist keinesfalls als eine Art „Rezept" oder „Anweisung" aufzufassen, die ausnahmslos in jedem Falle gültig bleibt und in der Tätigkeit des Ubersetzers keinerlei Abänderung oder schöpferischen Weiterentwicklung unterliegt. Eine derart primitive Auffassung *Zum Verhältnis von Gesetzmäßigem und Zufälligem in der Sprache und insbesondere in der Übersetzung vgl. O. Iiade: Zufall und Gesetzmäßigkeit in der Übersetzung. Beihefte zur Zeitschrift „Fremdsprachen", I. Leipzig 1968.
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des normativen Aspekts der Übersetzungstheorie ist wohl mit eine Ursache für die skeptische Haltung mancher praktischer Übersetzer gegen die Übersetzungstheorie, w o v o n schon vorher die Rede war. A. W. F j o d o r o w s t e l l t dazu mit gutem Grund fest: „ D i e Ausarbeitung von normativen Grundsätzen, von Übersetzungs-,Regeln' ist nur in beschränkten Bereichen (d. h. für relativ einfach liegende Fälle) möglich und dabei stets in relativ allgemeiner Form. A u s dem Vorhandensein von Gesetzmäßigkeiten im gegenseitigen Verhältnis zweier Sprachen sowie gewisser Übereinstimmungen zwischen ihnen f o l g t noch lange nicht die Möglichkeit oder Notwendigkeit, immer die gleichen Übersetzungsmittel anzuwenden... Gegenüber jedem normativ empfohlenen Übersetzungsmittel, selbst wenn es durch noch so beweiskräftige theoretische Argumente begründet wird, ist in der Praxis eine bewußte schöpferische Haltung notwendig."* Zusammenfassend kann man sagen, daß die linguistische Ubersetzungstheorie eine zweiseitige, deskriptiv-präskriptive Disziplin ist, in der dem deskriptiven Aspekt die führende, dem präskriptiven Aspekt aber eine untergeordnete, wenn auch nicht unwesentliche R o l l e zukommt. Die Ubersetzungstheorie geht von dem Material aus, das ihr durch die Tätigkeit der praktischen Ubersetzer geboten wird, sie deckt die objektiv vorhandenen Gesetzmäßigkeiten des Ubersetzungsprozesses auf und gelangt, von diesem Material ausgehend, zu ihren theoretischen Schlußfolgerungen. Dann aber projiziert sie diese Schlußfolgerungen wieder in die Praxis zurück, und zwar in Form bestimmter normativer Richtlinien, die aber keine starren und unabänderlichen „Pauschalregeln" sind, sondern eher anhaltspunktartige Empfehlungen, die nicht absolut, sondern relativ aufzufassen sind, und die den konkreten Bedingungen des jeweiligen Falles angepaßt werden müssen. Der praktische Ubersetzer hat ebensowenig Grund, sich durch die Ubersetzungstheorie bedroht zu fühlen, wie der praktische Arzt durch die theoretische Medizin oder der ausübende Musiker durch die Theorie der Musik. Die Theorie will keinesfalls die praktischen Fertigkeiten und das Können, das Talent und die Begabung ver*A. В. Фёдоров: ebenda, S. 26. Das Gesagte gilt selbstverständlich nicht für die automa tische (maschinelle) Ubersetzung, die ohne strenge (eindeutige und obligatorische) Regeln oder Befehle undenkbar ist.
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drängen oder ersetzen, ganz im Gegenteil, sie geht mit ihnen Hand in Hand und ebnet der Praxis den W e g .
§ 10. Bisher verstanden wir unter Übersetzungstheorie stets die l i n g u i s t i s c h e Ubersetzungstheorie, auch wenn wir das einschränkende Bestimmungswort „linguistisch" zuweilen als selbstverständlich wegließen. Das soll aber nicht so verstanden werden, als sei überhaupt keine andere Ubersetzungstheorie möglich. Die Ubersetzung ist eine vielseitige und aspektreiche Form der menschlichen Tätigkeit, und deshalb ist es nur natürlich, daß sie nicht v o n einer einzigen Wissenschaft, sondern gleichzeitig von mehreren als ihr Objekt untersucht wird. Zahlreiche Aspekte der literarischen Ubersetzung können auf Grund ihrer Spezifik mit Erfolg im Rahmen der Literaturwissenschaft untersucht werden. In der Sowjetunion und im Ausland besteht auch tatsächlich eine sich aktiv entwickelnde 1 i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e Übersetzungstheorie. Der psychophysiologische Aspekt der Übersetzung, d. h. der neurophysiologische Prozeß, der im Gehirn des Ubersetzers während der Ubersetzung abläuft, kann und muß zum Forschungsgegenstand der P s y c h o l o g i e u n d P h y s i o l o g i e der h ö h e r e n N e r v e n t ä t i g k e i t werden. Die Probleme, die sich aus den auf Automatisierung der Übersetzung abzielenden Versuchen ergeben, fallen unmittelbar in den Kompetenzbereich von Wissenschaften wie K y b e r n e t i k , I n f o r m a t i o n s t h e o r i e und a n g e w a n d t e M a t h e m a t i k . Der praktische Einsatz der Ubersetzung als Mittel des Fremdsprachenunterrichts gehört schließlich zum Bereich der M e t h o d i k des Fremdsprachenunterrichts.* Das Interesse der nichtlinguistischen Disziplinen, und darauf sei hier ausdrücklich hingewiesen, ist jedoch stets beschränkt. Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Ubersetzungstheorie sind Probleme der Ubersetzung schöner *Das Ubersetzungsstudium im Rahmen aller dieser nichtlinguistischen Disziplinen ist allerdings so oder so mit den entsprechenden Teildisziplinen der Sprachwissenschaft verbunden, d. h. mit der Stilistik der schönen Literatur, der Psycholinguistik, der mathematischen Sprachwissenschaft („Computerlinguistik") usw. (Bei der Methodik des Sprachunterrichts handelt es sich ohnehin um einen Zweig der angewandten Sprachwissenschaft.)
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Literatur, aber selbst der eifrigste Verfechter der literaturwissenschaftlichen Interpretation übersetzungstheoretischer Fragen wird die unbestreitbare Tatsache zugeben müssen, daß die Literaturwissenschaft zur Untersuchung solcher Arten der Ubersetzung, wie die wissenschaftlich-technischer Fachtexte oder die Simultanübersetzung von gesellschaftspolitischen oder diplomatischen Diskussionsreden nichts beizusteuern hat. Den Psychologen interessiert die Ubersetzung vornehmlich als psychologischer Vorgang, d. h. als eine besondere Aktivität der Großhirnrinde. Bei der Untersuchung der Ergebnisse dieses Prozesses aber, zum Beispiel beim Vergleich v o n Ubersetzungen und Originaltexten, hat die Psychologie nichts zu sagen. Die Untersuchung der Ubersetzung mit Methoden der mathematischen Wissenschaften, der Informationstheorie und der Kybernetik beschränkt sich, zumindest beim heutigen Entwicklungsstand, auf die Erforschung der einfachsten Wechselbeziehungen zwischen den Einheiten der Ausgangssprache und denen der Zielsprache, die in gröbster Annäherung eine Modellierung des Übersetzungsvorganges ermöglichen. (Immerhin lassen sich viele Erkenntnisse dieser Wissenschaften schon heute erfolgreich für die Erforschung der „nichtmaschinellen" Ubersetzung, der sogenannten „Humanübersetzung" anwenden.) Die Methodik des Fremdsprachenunterrichts interessiert sich für die Übersetzung nur insofern, als sie beim Lernen von Fremdsprachen Anwendung findet, d. h., ihr geht es nur um die Lehrübersetzung, nicht aber um die Übersetzung als Art der praktischen Tätigkeit des Menschen („professionelle Übersetzung"). Der Interessenbereich der Sprachwissenschaft hingegen umfaßt ausnahmslos alle Arten und Varianten der Ubersetzungstätigkeit: ihr Objekt sind die schriftliche wie die mündliche Ubersetzung, die literarische, die gesellschaftspolitische, die wissenschaftliche Übersetzung usw. In allen diesen Fällen befaßt sich die linguistische Ubersetzungstheorie begreiflicherweise nur mit der eigentlich s p r a c h l i c h e n Problematik der Übersetzung (wohlgemerkt, nicht nur innerhalb der Grenzen der Mikrolirigiiistik, wie vorstehend betont!), sprachfremde Probleme — psychologische, ästhetische u. dgl. m . — bleiben selbstverständlich außerhalb ihres Gesichtsfeldes. Es liegt uns daher fern, behaupten zu wollen, der linguistische Aspekt sei die einzig berechtigte Behandlnngsweise von Problemen der Uber48
Setzung; es spricht im Gegenteil vieles dafür, daß die erfolg reiche Entwicklung übersetzungstheoretischer Untersuchungen nur im engsten Zusammenwirken verschiedener Wissenschaften möglich ist, die sich mit den unterschiedlichen Aspekten des vielseitigen Phänomens Übersetzung befassen. Man könnte den K o m p l e x der Disziplinen, die die Ubersetzung von den verschiedensten Gesichtspunkten aus betrachten, als „ U b e r s e t z u n g s k u n d e " („nepeB0fl0BCfleiuie") bezeichnen; das Kernstück der Übersetzungskunde wäre dann die linguistische Ubersetzungstheorie, um die herum sich die übrigen Richtungen der Ubersetzungsforschung gruppieren — die literaturwissenschaftliche, die psychologische, die kybernetisch-mathematische usw.* Bekanntlich gab es seinerzeit in der übersetzungstheoretischen Literatur heftige Auseinandersetzungen darüber, ob die literarische Ubersetzung Gegenstand der linguistischen Ubersetzungstheorie sein könne, oder ob sie ausschließlich in den Kompetenzbereich der Literaturwissenschaft gehöre.** Die beiden folgenden Zitate sind anschauliche Beispiele für die negative Haltung mancher Literaturwissenschaftler gegenüber der Idee selbst, die literarische Ubersetzung in die Interessensphäre der linguistischen Ubersetzungstheorie einzubeziehen. „Der Nachweis sprachlicher Entsprechungen ist Aufgabe der Sprachwissenschaft, nicht aber Gegenstand der Analyse des künstlerischen Schaffens, während es sich bei der Auseinandersetzung mit der Ubersetzung eines literarischen Kunstwerks gerade um einen Spezialfall dieser Analyse handelt... Bildlich ausgedrückt, beginnt das Gebiet der literarisch-künstlerischen Ubersetzung dort, wo das Gebiet der sprachlichen Gegenüberstellungen endet... Die literarisch-künstlerische Ubersetzung ist als eine Untergattung der Dichtkunst zu betrachten, folglich unter einem literaturwissenschaftlichen und nicht *Eine andere Auffassung v o m Begriff „Ubersetzungskunde" („переводоведение") sowie des Verhältnisses zwischen dem deskriptiven und präskriptiven Aspekt in der Ubersetzungstheorie vertritt W. N. Komissarow in seinem Buch „Слово о переводе". **Don ersten Standpunkt vertrat in recht kategorischer Form Л. W. Fjodorow in seinem Buch „Введение в теорию перевода", Москва 1953; der zweite wurde ebenso kategorisch im Sammelband „Вопросы художественного перевода", Москва, „Советский писатель", 1955, formuliert. 4-019
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unter einem sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkt."* Noch härter und „unversöhnlicher" ist der gleiche Gedanke in folgender Äußerung formuliert: „Die sowjetische Schule der literarisch-künstlerischen Ubersetzung ... entstand im K a m p f ... gegen die Buchstäblichkeit, gegen die formalistische Pedanterie, gegen die Theorie der linguistischen A d ä q u a t e n . " * * Hier wird, wie wir sehen, die linguistische Übersetzungstheorie mit der buchstäblichen Übersetzung geradezu gleichgesetzt. Heutzutage dürften diese Auseinandersetzungen ihre Schärfe weitgehend eingebüßt haben. Allein schon die Gegenüberstellung der linguistischen und der literaturwissenschaftlichen Betrachtungsweise der Probleme der literarisch-künstlerischen Ubersetzung ist unberechtigt: D i e literarisch-künstlerische Ubersetzung ist wie jede andere auch die Transformierung eines Textes in einer gegebenen Sprache in einen anderssprachigen Text, und daher sind ihr die Gesetzmäßigkeiten jeder anderen A r t der Ubersetzung eigen. Daher ist die linguistische Ubersetzungstheorie ohne jeden Vorbehalt berechtigt, ihr Material auch aus den v o n ihr beobachteten Gesetzmäßigkeiten der literarischkünstlerischen Ubersetzung zu schöpfen. Zugleich kann j e d o c h nicht bestritten werden, daß verschiedene Probleme der literarisch-künstlerischen Ubersetzung, die duţch die Eigenart des literarischen Kunstwerkes als Text bedingt sind und maßgeblich durch ästhetische Faktoren m i t b e stimmt werden, gerade v o n der Literaturwissenschaft v o l l ständiger durchleuchtet und erklärt werden können als von der Sprachwissenschaft. Deshalb stimmen wir auch folgender Feststellung A. W. Fjodorows zu, die in einer seiner späteren Arbeiten enthalten ist: „Gegenwärtig auf der Berechtigung des nur-literaturwissenschaftlichen oder nurlinguistischen Weges in der Theorie der literarisch-künstlerischen Ubersetzung bestehen zu wollen, wäre unzeitgemäß und fortschrittswidrig. Unsere Zeit ist die Zeit einer bisher nie dagewesenen Zusammenarbeit cler Wissenschaften."***
*Г. Гачичеладзе: Вопросы теории художественного перевода. Тбилиси. Лит. да хеловнеба, 1964, с. 75—77. **Н. Чуковский: Реалистическое искусство. „Мастерство перевода", Москва, „Советский писатель", 1963, с. 12. ***А. В. Фёдоров: За синтез мнений в теории перевода. „Литературная Грузия", 1966, № 3, с. 62.
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Deshalb vertreten wir die Ansicht, daß sowohl die linguistische als auch die literaturwissenschaftliche Ubersetzungstheorie (wie auch einige andere vorstehend erwähnte) durchaus dazu imstande und darüber hinaus geradezu verpflichtet sind, im Rahmen einer allgemeinen komplexen Disziplin zusammenzuarbeiten — eben im Rahmen der Ubersetzungskunde, die von verschiedenen Seiten her mit den Methoden verschiedener Wissenschaften das einheitliche Objekt Übersetzung erforscht.*
4. Arten der Übersetzung § 11. Bisher sprachen wir von der Ubersetzung schlechthin, ohne auf ihre einzelnen Arten und Gattungen einzugehen. Die Übersetzung erscheint aber in Wirklichkeit in einer Vielfalt von Arten und Gattungen, die sich voneinander durch die Form der Redeverwirklichung wie auch durch die Beschaffenheit des Materials unterscheiden, das der Ubersetzung zugrunde liegt. Jede Sprache kann sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form auftreten. Je nachdem, in welcher Form die Ausgangssprache und die Zielsprache jeweils auftreten, lassen sich folgende Grundarten der Ubersetzung unterscheiden: 1. Schriftlich-schriftliche Übersetzung oder schriftliche Ubersetzung eines schriftlichen Textes (im Deutschen wird das W o r t „Ubersetzung" vorwiegend in diesem Zusammenhang verwendet.— Der Übers.). Beide Sprachen — AS und ZS — treten dabei in schriftlicher Form auf. Es ist dies eine der am meisten verbreiteten Ubersetzungsarten, bei der man noch verschiedene Gattungen je nach der Beschaffenheit des zu übersetzenden Ausgangstextes unterscheiden kann. So nennt z. B. A. W. F j o d o r o w * * folgende Gattungen: a) Ubersetzung von Zeitungsinformationen, dokumentarischen Texten und wissenschaftlichen Fachtexten; b) Übersetzung gesellschaftspolitischer Literatur, publizistischer
*In gewisser Hinsicht besitzt die Ubersetzungswissenschaft Ähnlichkeit mit Disziplinen wie „Slawistik", „Orientalistik", in denen ebenfalls ein Zusammenwirken verschiedener Wissenschaften besteht, die verschiedene Aspekte des Lebens und der Kultur der Völker der slawischen Länder, des Orients u. dgl. untersuchen. В. Фёдоров: Основы общей теории перевода, гл. 6 4*
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T e x t e und rednerischer Darbietungen (in schriftlicher Aufzeichnung); c) Ubersetzung v o n Werken der schönen Literatur. (Einige^ Fragen, die mit den Besonderheiten der Ubersetzung schriftlicher Texte verschiedener Gattungen zusammenhängen, werden in K a p . 3 behandelt.) 2. Mündlich-mündliche Übersetzung oder mündliche Ubersetzung eines gesprochenen Textes (im Deutschen vornehmlich als „Dolmetschen" bezeichnet.— Der Übers.): Beide Sprachen — AS und ZS — treten hier in mündlicher Form auf. Im Rahmen dieser Übersetzungsart sind zwei Unterarten zu unterscheiden, das sogenannte Konsekutivdolmetschen (auch „Konferenzdolmetschen".— Der Übers.) und das Simultandolmetschen. Das Konsekutivdolmetschen erfolgt zeitlich, nachdem der Text des Originals (die Rede in der Ausgangssprache) entweder vollständig vorgetragen und beendet ist oder aber abschnittsweise gesprochen wurde. Im letzteren Falle haben wir es entweder mit „Absätzen" (d. h. Gruppen aus mehreren Sätzen) oder aber mit Einzelsätzen zu tun, wobei der Redner nach jedem Satz eine Pause einlegt. Das Simultandolmetschen erfolgt gleichzeitig mit dem Sprechen des Originaltextes, oder, genauer gesagt, im ganzen gleichzeitig, da auf einzelnen Redeahschnitten entweder ein Z u r ü c k b l e i b e n der Übersetzung u m eine minimale Zeitdifferenz (bis zu einigen Wörtern) oder ein V o r a u s e i l e n gegenüber der Rede i n der Ausgangssprache festzustellen ist. Letzteres wird ermöglicht durch den Mechanismus des sogenannten „wahrscheinlichkeitsbedingten Prognostizierens", durch die Fähigkeit des D o l m e t schers, den Inhalt von noch nicht ausgesprochenen R e d e abschnitten in der Ausgangssprache in gewissen Grenzen vorwegzunehmen. Diese „Prognostizierung", die das Zurückbleiben des Simultandolmetschens gegenüber der ausgangssprachlichen Rede auf anderen Redeabschnitten auszugleichen gestattet, ermöglicht es, die Gleichzeitigkeit des D o l metschens mit dem Sprechen des Ausgangs textes im ganzen zu gewährleisten. Es versteht sich, daß beide Unterarten des D o l m e t schens— das Konsekutivdolmetschen und das Simultandolmetschen — mit spezifischen Schwierigkeiten psychologischer Natur verbunden sind. Das Konsekutivdolmetschen verlangt v o m Dolmetscher ein gut trainiertes kurzfristiges Gedächtnis (wobei als Hilfsmittel allerdings fast immer die Aufzeichnung einzelner Einheiten des Ausgangstextes zur 52
Anwendung k o m m t ) . * Beim Simultandolmetschen dagegen k o m m t es vor allem auf die Fertigkeit des gleichzeitigen Hörens und Sprechens an, die nur durch längeres zielgerichtetes Üben erworben werden kann. 3. Schriftlich-miindliche Übersetzung oder mündliche Übersetzung eines schriftlichen Textes: Die Ausgangssprache tritt in schriftlicher Form in Erscheinung, die Zielsprache — in mündlicher. Diese Übersetzungsart kann auch in zwei verschiedenen Formen ablaufen: entweder erfolgt die Übersetzung gleichzeitig mit dem stummen Lesen der Vorlage (wie beim Simultandolmetschen mit wechselndem Zurückbleiben und Vorauseilen), oder aber die Übersetzung erfolgt „konsekutiv", nach dem Durchlesen des Gesamttextes oder des jeweiligen Absatzes. Die erste Unterart wird häufig als „Ubersetzung v o m Blatt" (a livre ouvert) bezeichnet, die zweite als „Übersetzung mit Vorbereitung" (was allerdings nicht wörtlich zu verstehen ist, da die Vorbereitung hier minimal ist: der Text muß eben durchgelesen und verstanden worden sein). 4. Mündlich-schriftliche Übersetzung oder schriftliche Ubersetzung eines mündlichen (gesprochenen) Textes: Die Ausgangssprache tritt in mündlicher, die Zielsprache in schriftlicher Form auf. In der Praxis ist eine solche Übersetzung selten, denn das T e m p o der Niederschrift eines Textes ist dem des Sprechens weit unterlegen, weswegen die praktische Ausführung einer solchen Übersetzung unter normalen Verhältnissen kaum möglich ist. Man könnte freilich einen gesprochenen T e x t etwa stenografisch festhalten und das Stenogramm schriftlich übersetzen, aber das wäre keine mündlich-schriftliche Übersetzung mehr, sondern eben eine schriftlich-schriftliche, da das Stenogramm ja kein mündlicher, sondern ein schriftlicher T e x t ist. W o h l der einzige in der Praxis übliche Fall der mündlich-schriftlichen Übersetzung ist das sogenannte Übersetzungsdiktat, eine im Fremdsprachenunterricht häufig angewandte Übung, bei der der mündliche Ausgangstext in künstlich verlangsamtem Tempo („Diktiergeschwindigkeit") vorgesprochen wird, um seine schriftliche Übersetzung zu ermöglichen. Soviel wir wissen, k o m m t das Ubersetzungsdiktat mitunter auch in der praktischen Tätigkeit des, Ubersetzens vor, wenn z. B. *Siehe J.-F. Rozan: tive. Geneve 1956.
La prise de notes en interpretation consecu-
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der Ubersetzer die Übersetzung eines ihm im Diktiertempo vorgelesenen Textes auf der Schreibmaschine schreibt. Abschließend wollen wir die angeführten vier Übersetzungsarten je nach dem Verhältnis der mündlichen und schriftlichen R e d e f o r m in der Ausgangs- bzw. Zielsprache durch die folgende Zeichnung veranschaulichen: Redeformen AS ZS schriftlich
1 2 3 4
— — — —
1
^schriftlich
schriftlich-schriftliche Ubersetzung mündlich-mündliche Ubersetzung schriftlich-mündliche Ubersetzung mündlich-schriftliche Ubersetzung
In der weiteren Darlegung konzentrieren wir uns vorwiegend auf allgemein-theoretische Probleme der Übersetzung ohne Rücksicht auf die einzelnen Arten und Gattungen, deren Spezifik wir aber überall dort behandeln werden, wo es uns notwendig erscheint.
ZWEITES KAPITEL SPRACHLICHE BEDEUTUNGEN UND UBERSETZUNG
1. Die Grundlagen der Theorie der sprachlichen Bedeutungen § 12. In Kapitel 1 (§ 3) definierten wir den Prozeß der Übersetzung als Transformierung eines Redeproduktes in einer gegebenen Sprache in ein Redeprodukt einer anderen Sprache unter unveränderter Erhaltung der Bedeutung, richtiger, des S y s t e m s der Bedeutungen, die i m Ausgangstext ausgedrückt waren („Inhaltsebene des AS-Textes"). Dort wurde ebenfalls betont, daß zum Verständnis des Wesens der Ubersetzung vor allem eine tiefschürfende Ausarbeitung der Theorie der sprachlichen Bedeutungen erforderlich ist. In diesem Kapitel soll (notwendigerweise knapp und schematisch) unsere Auffassung v o m Wesen der sprachlichen Bedeutungen, den in der Sprache zum Ausdruck kommenden Bedeutungstypen sowie ihrer B o l l e im Ubersetzungsprozeß dargelegt werden. Die Frage, was eigentlich die sprachliche Bedeutung ist, und welche grundsätzlichen T y p e n und Arten sprachlicher Bedeutungen es gibt, ist bis auf den heutigen Tag Gegenstand von Auseinandersetzungen und Diskussionen. Es ist nicht unsere Aufgabe, alle oder auch nur alle maßgeblichen Ansichten zur Frage des Charakters der sprachlichen Bedeutung zu analysieren. W i r beschränken uns auf die Betrachtung einer weitverbreiteten, aber unseres Erachtens trotzdem irrigen Ansicht über die Natur der sprachlichen Bedeutung und ihr Verhältnis zur sprachlichen Form (zur „lautlichen Materie" der Sprache). Nach dieser Ansicht handelt es sich bei der Bedeutung um ein gewisses psychisches Gebilde, um eine gewisse, der Sphäre des menschlichen Bewußtseins, der „Ideenwelt" eigene Kategorie, folglich um eine gedankliche Kategorie, A. I. Smirnizki, der diesen Standpunkt 55
teilte, schrieb dazu in einer seiner Arbeiten: „ . . . die Bedeutung des Wortes ... besteht als bestimmte Erscheinung im B e w u ß t s e i n (Hervorhebung des Verf.) und ist eine Funktion des Gehirns."* In einer anderen Arbeit gibt A. I. Smirnizki folgende Definition der Bedeutung, die für diese Auffassung der hier zu betrachtenden sprachlichen Kategorie sehr kennzeichnend ist: „Die Bedeutung des Wortes ist eine bestimmte A b b i l d u n g eines Gegenstandes, einer Erscheinung oder eines Verhältnisses im Bewußtsein (bzw. ein seinem Charakter nach analoges psychisches Gebilde, das aus den Abbildungen einzelner Elemente der Wirklichkeit konstruiert ist), die in die Struktur eines Wortes als seine sogenannte innere Seite eingeht, der gegenüber die lautliche Erscheinung des Wortes als materielle Hülle fungiert."** Dieser Standpunkt erscheint uns, trotz seiner scheinbaren Uberzeugungskraft, als unhaltbar, da er in sich widersprüchlich ist. W e n n man sich auf diesen Standpunkt stellt, so gelangt man notwendig zur Auffassung, daß die Bedeutung, d. h. die sinntragende Seite der Sprache, im menschlichen Bewußtsein, in der Psyche, angesiedelt ist, während die Sprache selbst „wirklich und vollständig in der R e d e " * * * existiert, die aber, wie A. I. Smirnizki wiederholt und ausdrücklich betont, keine psychische, sondern eine materielle Erscheinung ist. Somit ergibt sich ein Widerspruch: Einerseits existiert die Sprache in der Rede und ist somit ein materielles Phänomen, andererseits existieren die Bedeutungen der sprachlichen Einheiten nicht mehr in der R e d e , sondern im menschlichen Bewußtsein und sind daher zu den ideellen Phänomenen zu rechnen. Dieser Widerspruch läßt sich auf dreierlei Art lösen. Man kann zum ersten zugeben, daß nicht nur die Bedeutung der sprachlichen Einheiten, sondern auch die Sprache in ihrer Ganzheit im menschlichen Bewußtsein, im Gehirn des Menschen existiert und somit z.u den psychischen Er*A. И. Смирницкий: Объективность существования языка, Москва 1954, с. 24. **А . И. Смирницкий: Значение слова. „Вопросы языкознания", 1955, № 2, с. 89. Obwohl hier und andernorts Smirnizki vorrangig von der Bedeutung des Wortes spricht, dürfte man das Gesagte auch auf andere Typen sprachlicher Bedeutungen ausdehnen. ***A. И. Смирницкий: Объективность существования языка, с . 29.
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scheinungen zu rechnen ist. Diese Konzeption (der sogenannte Psychologismus) war bekanntlich in der Sprachwissenschaft des 19. und des beginnenden 20. Jh. weit verbreitet, sie wurden v o n bedeutenden Sprachwissenschaftlern jener Zeit wie A. A. Potebnja, H. Paul, I. A. Baudouin de Courtenay, F. de Saussure u. a. vertreten. Auch heutzutage findet diese Ansicht Anhänger.* In der oben zitierten Arbeit hat sich A. I. Smirnizki mit diesem Standpunkt kritisch auseinandergesetzt, und es erübrigt sich, hier seine Argumentation zu wiederholen. W i r wollen nur darauf verweisen, daß der materielle Charakter der Sprache — und im weiteren Sinne gilt dies für jedes Zeichensystem überhaupt — sich aus ihrem Wesen als Mittel der Verständigung ergibt, denn ein solches Mittel muß ja materiell sein, um sinnlich wahrgenommen werden zu können. Man kann, zum zweiten, die Sprache als zweiseitige Erscheinung auffassen, als eine Art materiell-ideelles Objekt, dessen lautliche Form (Ausdrucksebene) materiell und dessen Inhalt (Inhaltsebene oder Bedeutung) ideell ist, d. h. in den Bereich des Psychischen gehört. Eine solche Auffassung v o m Verhältnis des Materiellen und Ideellen in der Sprache ist unter Sprachwissenschaftlern und Philosophen weit verbreitet. W i r halten sie aber nicht für richtig. Das Materielle existiert ja außerhalb des Menschen, außerhalb seines Bewußtseins, in der objektiven Wirklichkeit selbst; das Ideelle aber ist das in der menschlichen Psyche, in unserem Bewußtsein bestehende A b b i l d der objektiven W e l t . Mit einer derartigen Interpretation des Verhältnisses von Form und Bedeutung in der Sprache läßt sich nicht erklären, wie eigentlich das Materielle und das Ideelle in der Sprache verbunden ist, wie die in der materiellen W e l t (in der Rede) beheimatete lautliche Form als „ H ü l l e " des ideellen „Begriffs" oder „psychischen Gebildes" fungieren kann, dessen E x i stenzbereich das menschliche Bewußtsein ist. Selbstverständlich darf die Gegenüberstellung von Materiellem und Ideellem in letzter Instanz auch nicht verabsolutiert werden, denn auch das Ideelle hat sein materielles Substrat im Gehirn, der höchstorganisierten Form der lebenden Materie. D o c h dies löst den Widerspruch nicht, der, * V g l . z. B. N. Chomsky: Language and Mind. New York 1968, wo die Sprache als psychisches Phänomen behandelt und die Sprachwissenschaft zu einem Teilbereich der Psychologie erklärt wird.
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wie wir zeigten, darin besteht, daß die lautliche Form der Sprache bei dieser Betrachtungsweise in die R e d e , die sprachliche Bedeutung aber ins Gehirn des Menschen verwiesen wird, so daß Form und Bedeutung der Sprache gleichsam zu einem getrennten Dasein verurteilt sind. Das veranlaßt uns, nach einem dritten W e g aus diesem Widerspruch zu suchen. Wenn Form und Bedeutung der Sprache getrennt bestehen, so können sie doch auch nicht ein einheitliches Objekt bilden? Folgt daraus nicht etwa, daß die Sprache als materielles Gebilde eben nur bloße Form ist, während die zur psychischen Sphäre gehörenden Bedeutungen überhaupt nicht als Bestandteil (oder eine der Seiten) der Sprache angesehen werden dürfen? Im Bahmen der psychologischen (bzw. logischen) Bedeutungskonzeption erscheint eine solche Schlußfolgerung wohl einzig konsequent: Negiert man den wesentlich psychischen Charakter der Sprache unter gleichzeitiger Annahme eines solchen psychischen Charakters für die Bedeutung, so folgt daraus mit logisch zwingender Notwendigkeit, daß die Bedeutung nicht zur Sprache gehört, sondern außerhalb der Sprache ein selbständiges Dasein führt. Zu diesem Schluß gelangen tatsächlich einige A u t o ren, die die Bedeutung als psychische bzw. gedankliche Kategorie behandelt wissen wollen itnd durchaus konsequent daraus schließen, daß das Zeichen überhaupt eine einseitige (rein formale) und nicht etwa eine zweiseitige Einheit ist und daß die Bedeutung nicht in die Struktur des Zeichens eingeht, sondern außerhalb liegt. Diesen Standpunkt können wir jedoch nicht teilen. Das Zeichen (das sprachliche Zeichen nicht ausgenommen) ist ebendeshalb Zeichen, weil es eine Bedeutung besitzt, sobald man dem Zeichen die Bedeutung entzieht, hört es auf, Zeichen zu sein. Die Behauptung, die Bedeutung liege „außerhalb" des Zeichens und sei nicht Teil seiner Struktur, ist gleichbedeutend mit der Annahme, daß ein Zeichen auch ohne Bedeutung Zeichen bleibt. Aber ein Zeichen ohne Bedeutung ist ein sich selbst widersprechender Begriff, kurzum ein Absurdum. Das Vorhandensein einer Bedeutung ist es, was das Zeichen v o m Nicht-Zeichen unterscheidet, es ist dies das maßgebende Unterscheidungsmerkmal des Begriffes „Zeichen". W i e kann man behaupten, das entscheidende Unterscheidungsmerkmal eines Begriffes liege außerhalb dieses Begriffes selbst, sei etwas ihm Wesensfremdes? 58
Wenn man von der Sprache (als einem besonderen Zeichensystem) spricht, so ist zu betonen, daß schon die Entwicklungsgeschichte der Sprachwissenschaft die völlige Unhaltbarkeit der Versuche bewiesen hat, die Bedeutung aus der Sprache zu „vertreiben", ihr einen Platz außerhalb der Sprache zuzuweisen. Die linguistischen Strömungen, die den Versuch unternahmen, eine Theorie der Sprache ohne den Bedeutungsbegriff aufzubauen — wie etwa die orthodoxeste unter den Spielarten des amerikanischen Deskriptivismus, die Schule von Yale —, haben praktisch ein völliges Fiasko erlitten und sind untergegangen. Dies liegt nicht nur daran, daß die Ausschaltung der Bedeutung aus dem Bereich der Sprache die Problematik der Sprachwissenschaft um vieles ärmer macht, sondern es zeigte sich auch, daß man die sprachliche F o r m nicht erforschen kann, wenn man die von ihr ausgedrückten Bedeutungen nicht berücksichtigt — setzt doch der Begriff der Form notwendigerweise den Begriff der Bedeutung voraus, ohne die ja die Form keine Form mehr ist. (Mit anderen W o r t e n : Die Ausdrucksebene besteht als solche nur, insofern auch die Inhaltsebene besteht, genauso wie das Bestehen der Inhaltsebene ohne das Bestehen der Ausdrucksebene undenkbar ist; beide Begriffe stehen einander gegenüber und implizieren sich gleichzeitig.) Heutzutage gibt es eigentlich keine ernst zu nehmende sprachwissenschaftliche R i c h t u n g , die von der Voraussetzung ausgeht, daß die Bedeutungen außerhalb der Sprache liegen. Buchstäblich alle wichtigeren gegenwärtigen linguistischen Schulen behandeln die Bedeutung als integrierenden Bestandteil des Sprachsystems, der genauso zu diesem System gehört wie die lautliche Form. Was wiederum Richtungen anbetrifft, wie die frühere Yale-Schule des amerikanischen Deskriptivismus, so haben sie einen nicht gering zu achtenden Beitrag zur linguistischen Wissenschaft geleistet, wenn auch nicht durch ihren Verzicht auf die Untersuchung der sprachlichen Bedeutungen, sondern vielmehr t r o t z dieses Verzichts. Eine rein „formale" Analyse der Sprache ist nämlich unmöglich, und dies wurde in der linguistischen Fachliteratur wiederholt festgestellt. Die ausdrücklich angekündigte Weigerung, bei der Analyse des sprachlichen Materials die Bedeutungen zu berücksichtigen, führte dazu, daß die Bedeutungen gleichsam „durch die Hintertür" doch wieder zurückgeholt wurden, d. h. bei der Analyse des sprachlichen Materials unausgesprochen, 59
implizit oder verborgen mit anwesend waren und mit berücksichtigt wurden. Es liegt aber im Interesse der Sprachwissenschaft, daß diese Berufung auf die Bedeutung nicht verschleiert wird, sondern offen und ausdrücklich erfolgt, denn nur so ist die erforderliche Präzision und Strenge der sprachwissenschaftlichen Untersuchung gewährleistet. Deshalb können wir uns nur A. I. Smirnizki anschließen, der kategorisch erklärt: „Es erscheint uns geboten, klar und unzweideutig zu erklären, daß die Bedeutungen der Wörter und sonstigen Einheiten zur Sprache gehören und genauso ihr Bestandteil sind wie die realen lautlichen Gestalten ihrer Einheiten."* Daraus folgt aber, daß die Bedeutungen der Spracheinheiten wie auch ihre „realen lautlichen Gestalten" nicht im Bewußtsein, nicht in der menschlichen Psyche existieren, sondern in der Rede, in den real bestehenden Redeerzeugnissen (lautlichen oder schriftlichen Texten). Es ist nur zu bedauern, daß selbst ein so scharfsinniger Forscher wie A. I. Smirnizki den Einfluß der hier herrschenden Tradition nicht zu überwinden vermochte und unmittelbar nach den obenangeführten Worten fortfährt: „Die Sprache ... e x i s t i e r t mit ihrer bedeutungstragenden Seite unmittelbar im Bewußtsein." (Hervorhebung des" Verf.) Man k o m m t also notwendigerweise zum Schluß, daß die Erklärung der Wortbedeutung zu einer psychischen Realität Widersprüche erzeugt, aus denen es keinen befriedigenden Ausweg gibt. Daraus ergibt sich, daß die Behandlung der sprachlichen Bedeutung als einer „psychischen", „logischen" oder „gedanklichen" Gegebenheit im Grundansatz falsch ist. D i e B e d e u t u n g e n der s p r a c h l i c h e n E i n h e i t e n e x i s t i e r e n n i c h t im menschlichen B e w u ß t s e i n , s o n d e r n in diesen E i n h e i t e n selbst, d. h. n i c h t im G e h i r n des Menschen, s o n d e r n in der Bede. Es gibt noch eine weitere Erwägung, die uns zur Abkehr von der logisch-psychologischen Auffassung der Bedeutung veranlaßt. Die Forscher nämlich, die die Bedeutung in der Sprache als eine Art „psychisches" oder „gedankliches" Gebilde betrachten, sind an der Aufgabe gescheitert, die Natur dieses „Gebildes" zu erfassen und es einer bestimmten *A. c . 24.
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Kategorie gedanklicher Phänomene zuzuordnen. Es ist bekannt, daß die traditionelle Psychologie schon seit langem mit drei T y p e n gedanklicher Gestalten oder „psychischer Gebilde" operiert — den Wahrnehmungen, den Vorstellungen und den Begriffen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß die Wahrnehmung nicht als Wortbedeutung in Frage kommt, handelt es sich doch bei der Wahrnehmung um die konkrete A b b i l d u n g eines Objekts im Bewußtsein, das unmittelbar von den Sinnesorganen des Menschen wahrgenommen wird, während in der Rede im Gegenteil sehr häufig Objekte behandelt werden, die sich außerhalb des Gesichtsfeldes der Gesprächspartner befinden (wenn ich etwa sage: „Iwanow ist gestern nach Leningrad abgereist", so wird weder von mir noch von meinem Zuhörer die Person Iwanow oder die Stadt Leningrad oder die Tatsache der Abreise unmittelbar wahrgenommen). Daraus zog man die Schlußfolgerung, daß als Bedeutung der Wörter und anderer sprachlicher Einheiten nicht die Wahrnehmungen, sondern die Vorstellungen angesehen werden müssen, die bekanntlich im Bewußtsein des Menschen bestehen können, auch wenn die entsprechenden Objekte nicht durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden und außerhalb der Reichweite der menschlichen Sinne liegen. Dieser Standpunkt, der die Bedeutungen in der Sprache mit den Vorstellungen gleichsetzte, herrschte bekanntlich in der Sprachwissenschaft im Verlauf des ganzen 19. Jahrhunderts, gegenwärtig ist seine Unhaltbarkeit offensichtlich. Erstens ist die Wortbedeutung stets eine Verallgemeinerung, während die Vorstellungen stets einmalig und konkret sind, da sie eben von früheren Wahrnehmungen in unserem Bewußtsein hinterlassene Spuren darstellen. W i r können uns zum Beispiel die Bedeutungen solcher Wörter wie Baum oder Frucht nicht unmittelbar vorstellen, was wir uns vorstellen können, ist, sagen wir, eine Birke oder eine Eiche oder eine Kiefer, ein stehender Baum oder ein gefällter Baum, ein hoher Baum oder ein kleiner Baum, jedenfalls „nicht der Baum als solcher". Ebenso vorstellbar sind ein Apfel, eine Birne, eine Pflaume, eine Kirsche usw., und zwar ein konkreter (z-, B. roter oder gelber) A p f e l , eine konkrete Birne usw., nicht aber „die Frucht als solche". Noch weniger läßt sich der Begriff der „Vorstellung" mit der Bedeutung abstrakter Wörter vereinbaren wie etwa Ursache, Zeit oder Verhältnis, denn wir können uns diese abstrakten Bedeutungen nicht „vorstel61
len", wir können uns keinerlei Bilder ins Bewußtsein rufen, die sich mit den Bedeutungen dieser Wörter verbinden ließen. Um so mehr gilt das für Präpositionen, K o n j u n k t i o nen, Partikel und sonstige Hilfselemente der Sprache und in noch höherem Maße für die Bedeutungen grammatischer Formen, etwa der Kasusendungen des Substantivs oder Modalformen des Verbs. In bezug auf diese Einheiten der Sprache von „Vorstellungen" zu sprechen, wäre nur möglich, wenn man diesem Ausdruck selbst einen äußerst unbestimmten und verschwommenen Inhalt unterlegt, wodurch er jeden wissenschaftlichen Wert verlieren würde. Es ist aber darüber hinaus experimentell nachgewiesen worden, daß die im Bewußtsein des Menschen durch eine bestimmte sprachliche Einheit ausgelösten Vorstellungen häufig nichts mit der eigentlichen Bedeutung dieser Einheit zu tun haben. So ließ bei einer Versuchsperson z. B. das W o r t Religion die Vorstellungen von einem Neger auftauchen, ein anderer assoziierte das W o r t Zerberus mit der Vorstellung von einer beleibten Frau usw. Das ist durchaus natürlich, denn die Vorstellungen, die im Bewußtsein des Menschen auftauchen, sind stets einmalig und individuell, und sie bieten keine Gewähr dafür, daß der Sprechende und der Hörende mit demselben W o r t die gleiche Bedeutung assoziieren, was aber gerade die notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Ausübung des sprachlichen K o m m u n i k a tionsaktes ist. In der modernen linguistischen Literatur verbindet man die Bedeutung am häufigsten mit dem Begriff. W e n n man den Bahmen der Auffassung der Bedeutung als einer gedanklichen Kategorie nicht sprengen will, scheint diese Konzeption die vernünftigste zu sein: Die Bedeutung des Wortes besitzt, wie oben festgestellt, einen verallgemeinernden Charakter, der Begriff aber wird gerade als „verallgemeinertes A b b i l d " definiert, als eine Verallgemeinerung der Eigenschaften und Merkmale, die den realen Gegenständen anhaften. Aber die Interpretation der Bedeutung des Wortes (wie jeder anderen sprachlichen Einheit auch) als „Begriff" stößt ebenfalls auf ernsthafte Schwierigkeiten. Die Natur des Begriffes ist uns noch weniger bekannt als die der Wahrnehmung und der Vorstellung. Kann man die Existenz der beiden letzteren durch einfache „Introspektion" oder Selbstbeobachtung feststellen, so läßt sich der „Begriff" weder durch Selbstbeobachtung noch auf experimentellem Wege 62
als selbständige Substanz erfassen. Das einzige, was wir jedenfalls mit Sicherheit über den „Begriff" aussagen können, ist, claß er in unserem Bewußtsein nur als W o r t , als „gedankliches A b b i l d " des Wortes vorhanden ist, und nichts mehr. Wenn wir nun die Bedeutung des Wortes als „Begriff" definieren und somit diese Phänomene miteinander identifizieren, so tauschen wir einfach einen Fachausdruck gegen einen anderen aus, ohne im Verständnis dos Wesens dieser beiden Phänomene auch nur einen Schritt vorangekommen zu sein, wobei wir sie noch dazu ihrer Eigenart berauben und zu einer Einheit verschmelzen lassen. W i r geraten hier offenbar in einen Circulus vitiosus: Die Bedeutung des Wortes definieren wir als „Begriff", den „Begriff" aber können wir nicht anders definieren als durch das W o r t , indem wir sagen, der „Begriff" sei das, was die Bedeutung des Wortes ausmacht. Andere Versuche, den „Begriff" zu definieren, ohne zur Wortbedeutung Zuflucht zu nehmen, etwa seine Definition als „verallgemeinertes A b b i l d " oder „verallgemeinerte Widerspiegelung", sind entweder zu unbestimmt und verschwommen, oder aber sie leiden an innerer Widersprüchlichkeit (das „ A b b i l d " ist immer einmalig und konkret, während die Verallgemeinerung stets eine Abstraktion, die Loslösung v o m Einmaligen und Konkreten voraussetzt). Es muß folglich zugegeben werden, daß die Definition der Bedeutung mittels des „Begriffs" keinerlei positiven Beitrag zur Erfassung der Natur der sprachlichen Bedeutungen zu leisten vermag, es sei denn, sie betont den abstrakten, „übersinnlichen" Charakter dieser letzteren gegenüber den sinnlichen Abbildungen, d. h. den Wahrnehmungen und Vorstellungen. Das Dargelegte darf aber nicht so verstanden werden, als negierten wir jede Beziehung zwischen sprachlicher Bedeutung und Begriff. Die Bedeutung ist in der Sprache zweifellos aufs engste mit der gedanklichen Kategorie des Begriffes verbunden, wie auch die Sprache überhaupt aufs engste mit dem Denken, dem Bewußtsein des Menschen verbunden ist. Aber die Sprache ist nicht dasselbe wie das Denken, und sie existiert nicht im Bereich des Denkens (obwohl wir mittels der Sprache denken); genauso ist die Bedeutung des Wortes und anderer sprachlicher Einheiten nicht mit dem Begriff identisch (obwohl Begriffe im Bewußtsein des Menschen nur dank seiner Kenntnis einer Sprache bestehen können, deren Einheiten bestimmte Bedeu63
tungen besitzen). Es ist ein nutzloses Unterfangen, die Sprache durch das Denken und die Bedeutungen der sprachlichen Einheiten durch den Begriff erklären zu wollen. Eher verhält es sich umgekehrt: W i r gelangen zur Einsicht in die Natur des Denkens und u. a. auch in die Natur des Begriffs nur, nachdem wir die Natur der Sprache und der sprachlichen Bedeutung erfaßt haben, ohne diese letzteren zunächst durch gedankliche Kategorien erklären zu wollen, denn das würde uns in einen fehlerhaften Kreislauf hineinführen. § 13. Bevor wir zur Darlegung unserer Auffassung der sprachlichen Bedeutung schreiten, fassen wir noch einmal die grundlegenden Ausgangssätze zusammen: 1. Die Sprache ist ein Zeichensystem (oder semiotisches System) besonderer Art, das Komplizierteste und Universellste v o n allen in der menschlichen Gesellschaft existierenden Zeichensystemen. Die Hauptfunktion der Sprache, wie auch jedes anderen Zeichensystems, die für ihren Charakter und ihre Natur maßgebend ist, ist die Funktion der Verständigung ( „ K o m m u n i k a t i o n " ) . 2. Die Sprache hat ihre Existenz in der R e d e , in den Redeerzeugnissen (Texten), die im Prozeß der R e d e k o m m u nikation geschaffen werden. Die Rede ist, wie bereits vermerkt, nicht auf die Sprache allein reduzierbar; jedoch ist die Sprache die wichtigste und grundlegende Komponente eines jeden Redeerzeugnisses, sie ist das „Material", aus dem dieses aufgebaut wird. 3. Die Einheiten der Sprache sind wie die eines jeden anderen Zeichensystems zweiseitige Gebilde: Man unterscheidet in ihnen die Ausdrucksebene oder die lautliche (bzw. in der schriftlichen Rede die graphische)* Form und die Inhaltsebene oder Bedeutung. Beide Seiten der Sprache sind miteinander verbunden und durcheinander bedingt, sie setzen einander voraus, denn es gibt keine Form ohne Bedeutung und keine Bedeutung, die nicht durch irgendeine Form zum Ausdruck gebracht wird. *Soweit die schriftliche Rode ein Abbild und eine Fixierung der mündlichen Rede ist, besitzt auch sie einen lautlichen Aspekt: Die graphischen Symbole bezeichnen nicht unmittelbar die Bedeutungen als solche, sondern sind gleichsam ein sekundäres Zeichensystem, das auf die Sprachlaute bezogen ist, die nun ihrerseits die eigentlichen Bedeutungsträger sind.
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4. Daraus folgt, daß die Bedeutungen der sprachlichen Einheiten wie auch ihre formale (lautliche oder graphische) Seite in der Rede, in den Redeerzeugnissen (Texten) existieren. Die Behauptung, daß die Bedeutungen der Einheiten der Sprache in der Rede, in den Redeerzeugnissen existieren, mag zunächst befremden. Bei der direkten Beobachtung der unmittelbaren Wahrnehmung von Redeerzeugnissen ist uns doch nur die lautliche Form der sprachlichen Einheiten gegeben, ein Strom von Lauten (in der schriftlichen R e d e — die graphische Form, d. h. eine Kette handschriftlicher oder gedruckter Zeichen). Gerade die formale, äußere Seite der sprachlichen Zeichen ist es, die von unseren Sinnesorganen wahrgenommen wird; die Bedeutungen aber werden v o n uns unmittelbar nicht wahrgenommen, sie sind uns in unseren Empfindungen nicht gegeben, weder in den akustischen bei der Aufnahme mündlicher Rede noch in den visuellen, wenn wir es mit der schriftlichen Form der Rede zu tun haben. Daher entsteht der Eindruck, als ob außerhalb des Menschen in der materiellen Welt nur die äußere, lautliche Form der Sprache existiert, während die sprachlichen Bedeutungen nur in uns, in unserem Bewußtsein bestehen. W e n n ich zum Beispiel eine Bede in einer mir unbekannten Sprache höre, so empfinde ich mit meinen Sinnesorganen genau dieselbe Lautfolge wie einer, der diese Sprache beherrscht; aber ich verstehe diese Rede nicht, da ich nicht weiß, welche Bedeutungen ihre Laute ausdrücken, während ein Kenner dieser Sprache die Lautfolge ohne weiteres mit bestimmten Bedeutungen assoziiert. Ist das nicht ein Beweis dafür, daß die Bedeutungen der sprachlichen Einheiten dennoch nicht in der Rede, sondern im Bewußtsein, in der Psyche des die Sprache beherrschenden Menschen existieren? Wenn wir aber die Bedeutung als irgendeine Substanz verstehen wollen (oder, grob gesagt, als einen „Gegenstand"), so müssen wir selbstverständlich zugeben, daß eine solche Substanz in der Rede nicht zu finden ist. Die Bedeutung ist nun einmal keine Substanz, sondern eine Beziehung. Darin liegt der Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung in der Sprache und im weiteren Sinne in jedem Zeichensystem. Um zu begreifen, was die Bedeutung eigentlich ist, muß man sich vor allem an die Natur des Zeichens erinnern. Jedes Zeichen ist nur deshalb ein Zeichen, weil es etwas 5-019
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b e z e i c h n e t , weil e s in einer B e z i e h u n g zu einem außerhalb dieses Zeichens selbst liegenden Etwas steht. Darin eben ist die Natur des Zeichens beschlossen: Ohne diese Beziehung ist das Zeichen kein Zeichen mehr, denn jedes Zeichen ist e i n Z e i c h e n f ü r e t w a s , d. h. ein materielles Gebilde (z. B. ein Lichtsignal, eine auf dem Papier abgebildete Figur oder ein Redelaut) erwirbt erst dann die Eigenschaft eines Zeichens, wenn es sich auf etwas anderes, außerhalb seiner selbst Liegendes bezieht (vor allem auf das „Bezeichnete", d. h. auf ein Objekt der realen Wirklichkeit). D i e s e B e z i e h u n g des Z e i c h e n s auf etwas a u ß e r h a l b seiner selbst L i e g e n d e s i s t eben die Bed e u t u n g des Z e i c h e n s . U m ein Zeichen z u verstehen, muß man es folglich auf das Objekt beziehen können, dessen Zeichen es ist. Die Kenntnis der Bedeutung einer Einheit der Sprache ist folglich dasselbe wie die Kenntnis, worauf sich diese Einheit (das Signal, die Figur, die Lautfolge usw.) b e z i e h t , d . h . was sie bezeichnet. Dies wird verständlich, wenn wir uns überlegen, wie wir die Bedeutungen v o n sprachlichen Einheiten, namentlich von Wörtern, erfahren. Die Bedeutung eines neuen Wortes wird einem Erwachsenen, der die Sprache bereits beherrscht, gewöhnlich durch die Definition erschlossen (z. B. „Absinth ist ein mit Wermut angesetzter Trinkbranntwein"). Hier wird die Bedeutung eines uns unbekannten Zeichens durch die Bedeutungen bereits bekannter Zeichen erschlossen. Dieses Verfahren zur Erschließung der Bedeutung eines Wortes (und jedes anderen Zeichens) ist nur anwendbar, wenn uns bereits die Bedeutungen einer genügend großen Anzahl von anderen Wörtern (bzw. Z e i chen) bekannt sind, mit deren Hilfe wir die Definition eines neuen, uns unbekannten Wortes formulieren können. Es handelt sich hier also um ein sekundäres, mittelbares Verfahren zur Aneignung der Wortbedeutung. W i e erfolgt aber die Aneignung der Wortbedeutungen ohne Vermittlung anderer Wörter, wenn etwa der Mensch eine Sprache erstmalig erlernt? Dies ist nur möglich, indem man das W o r t , oder genauer, seine Lautgestalt, auf irgendein Objekt, einen Gegenstand der umgebenden Wirklichkeit b e z i e h t , der in der jeweiligen Situation vorhanden ist. Das K i n d eignet sich z. B. die Bedeutung des Wortes „Tisch" dadurch an, daß es den Lautkomplex [tij] in solchen Äußerungen zu 66
hören bekommt, wie Geh weg vom Tisch!, Komm an den Tisch!, Leg das Buch auf den Tisch! Setz dich an den Tisch! usw., die alle in einer Situation gebraucht werden, die durch das Vorhandensein eines bestimmten Möbelstückes gekennzeichnet ist. Allmählich entsteht im Bewußtsein des Kindes eine Beziehung zwischen dem Lautkomplex [tij] und dem entsprechenden Einrichtungsgegenstand — zunächst mit dem einen konkreten Tisch, der in seinem Zimmer steht, danach aber auch mit allen anderen gleichartigen Möbelstücken. So erfährt das K i n d , worauf sich der Lautkomplex [tijl b e z i e h t , welchen Gegenstand oder welche Klasse (Menge) v o n Gegenständen dieser Lautkomplex bezeichnet, oder, anders ausgedrückt, so erfährt es die B e d e u t u n g des deutschen Wortes Tisch. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß im Bewußtsein des Menschen, i n seinem Gehirn nicht die B e d e u t u n g der Wörter und anderer sprachlicher Einheiten an sich entsteht und besteht, sondern die K e n n t n i s d i e s e r B e d e u t u n g . Die Bedeutungen der Spracheinheiten existieren in diesen selbst und äußern sich bei deren realem Gebrauch in der Rede, in der Redesituation; im Bewußtsein des Menschen existiert nur die Kenntnis der sprachlichen Bedeutungen ebenso wie die Kenntnis der lautlichen Formen der Sprache. Ebendeshalb bleiben die Bedeutungen, die in der Rede in einer mir unverständlichen Sprache ausgedrückt werden, für mich unzugänglich: Ich kenne sie nicht, d. h. ich weiß nicht, worauf sich die Einheiten dieser Sprache b e z i e h e n , während ein Mensch, der diese Sprache kennt, bei der Aufnahme einer Lautfolge in dieser Sprache bestimmte Abschnitte dieses Redeflusses auf bestimmte Gegenstände, Erscheinungen und Situationen der objektiven Wirklichkeit bezieht. Dabei ist die menschliche Sprache so eingerichtet, daß die Gegenstände, Erscheinungen und Situationen, die durch die sprachlichen Einheiten bezeichnet werden, nicht unbedingt im Gesichtsfeld des Sprechenden und des Hörenden im Augenblick der erfolgenden Kommunikation anwesend sein müssen.* Wenn ich sage Müller ist gestern nach Dresden *Ch. Hockett bezeichnet diese Eigenschaft der menschlichen Sprache als „displacement" und betont, daß sie bei keinem der tierischen Signalsysteme, mit vielleicht einziger Ausnahme der „Bienensprache", vorkommt (Siehe Ch. Hockett: A Course in Modern Linguistics. N. Y. 1958, p. 579).
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abgereist, s o b e z i e h e n sich die diese Äußerung bildenden sprachlichen Einheiten wie auch die ganze Äußerung auf Gegenstände und Ereignisse, die irn gegebenen Augenblick nicht unmittelbar wahrgenommen werden und außerhalb der Reichweite der Sinnesorgane der Kommunikationspartner liegen. Trotzdem bleibt diese Äußerung jedem verständlich, der des Deutschen mächtig ist, denn er weiß, worauf sich die Äußerung und die einzelnen Einheiten in ihr b e z i e h e n , was sie b e z e i c h n e n . Wenn wir noch einen Schritt in dieser Richtung weitergehen, gelangen wir zu Äußerungen, in denen Situationen beschrieben werden, die nicht vorhanden sind und nie real vorhanden waren, d. h. frei erfundene Situationen wie etwa Herr Grünlich schrieb einen Brief an Toni Buddenbrook', Hamlet, der Prinz von Dänemark, rächte den Tod seines Vaters an seinem Onkel u. dgl. m. Aus derartigen Aussagen ist zu einem großen Teil die schöne Literatur („fiction") aufgebaut. Ein weiterer Schritt führt uns schließlich zu Äußerungen, die auf Situationen hinweisen, die nicht nur nicht existent sind und nie existierten, sondern auch nie e x i s t i e r e n können — daraus entspringen Märchen, Mythen, religiöse Legenden u. ä. Aber in allen solchen Phantasien besteht, wenn auch in verzerrter Form, eine Beziehung zur realen Wirklichkeit, denn jede Äußerung dieser Art ist, wie A. I. Smirnizki schreibt, aus „einzelnen Elementen der Wirklichkeit" konstruiert, ihr phantastischer Charakter ergibt sich nur aus der wirklichkeitswidrigen K o m b i n a t i o n dieser real vorhandenen Elemente. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an das in § 4 (Kapitel 1) Gesagte: Die menschliche Sprache ist s o angelegt, daß mit ihrer Hilfe b e l i e b i g e Situationen beschrieben werden können — nicht nur bereits bekannte, sondern auch neue, früher nie vorgekommene, und damit auch frei erfundene, nichtexistente und zusammenphantasierte. Man darf also die B e d e u t u n g e n der sprachlichen Einheiten nicht mit unserer K e n n t n i s dieser Bedeutungen verwechseln. A. I. Smirnizki betonte mit Recht, unsere Sprachkenntnis sei „nur ein A b d r u c k , ein A b b i l d der Sprache i m Bewußtsein der Sprachbenutzer, der Sprachträger... Es ist zu unterscheiden zwischen der wahren objektiven Existenz der Sprache in der Rede und der Existenz ihres A b b i l d e s im Bewußtsein, d. h. der Kennt68
nis dieser Sprache."* Das Gesagte gilt unseres Erachtens nicht nur für die lautliche Form der Sprache, wie A. I. Smirnizki annahm, sondern auch für ihre bedeutungstragende Seite, d. h. für die sprachlichen Bedeutungen. Ihre reale Existenz führen sie in der R e d e , wo die Einheiten der Sprache (wie jedes andere Zeichen) immer auf etwas b e z o g e n sind, etwas b e z e i c h n e n . W e n n w i r die jeweilige Sprache beherrschen, so existiert in unserem Bewußtsein nur ein A b b i l d dieser real vorhandenen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten, genauso wie im. Bewußtsein ein A b b i l d der lautlichen (oder graphischen) Form dieser Einheiten vorhanden ist.** W i r halten die Auffassung der sprachlichen Bedeutung nicht als „Substanz" oder „Gegenstand", sondern als bestimmte B e z i e h u n g für die einzig annehmbare, wenn wir auf dem Boden der Theorie des z w e i s e i t i g e n Charakters des sprachlichen (und auch nichtsprachlichen) Zeichens bleiben wollen. W e n n man die Bedeutung als „Substanz" und nicht als Beziehung auffaßt, ergeben sich dagegen ernsthafte Gründe dafür, die Berechtigung der Aufnahme der Bedeutung in die eigentliche Zeichenstruktur in Frage zu stellen und folglich auch die Konzeption v o m zweiseitigen Charakter des Zeichens anzuzweifeln. Sehr bezeichnend dafür ist folgender Gedankengang: „Das Zeichen ist wirklich deshalb Zeichen, weil es eine Bedeutung besitzt. Daraus folgt aber keineswegs, daß das Zeichen eine K o m b i n a t i o n , ein Ganzes ist, das aus zwei Elementen besteht. Folgt denn etwa daraus, daß z. B. ein Gartenbesitzer ein Mensch ist, der einen Garten besitzt, daß der Gartenbesitzer ein zweiseitiges Wesen darstellt, nämlich Mensch + Garten? Oder ist, um ein anderes ähnliches Beispiel zu nehmen, aus der Definition des Lehrers als Mensch, der *A. И. Смирницкий: Объективность существования языка, с. 23. Die Existenz der Sprache, einschließlich ihrer Bedeutungen, im Bewußtsein des Menschen kann man mit А. I. Smirnizki für ihre nur „unvollständige Existenz" halten (ebenda, S. 32), d. h. für die potentielle Existenzform der Sprache. **Nebenbei bemerkt, wird auch die lautliche Seite der Rede von einem Menschen, der der jeweiligen Sprache mächtig ist, anders empfunden als von einem, der die Sprache nicht kennt. Dem ersteren erscheint der Lautstrom in diskrete Einheiten — Phoneme — zerlegt, während für den anderen er ein undifferenziertes und ungegliedertes Lautkon tinuum ist. Siehe D.B. Fry: Speech reception and perception. „New Horizons in Linguistics", ed. by J. Lyons, Ldn., 1970.
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einen Schüler hat, der Schluß zu ziehen, der Lehrer sei ein zweiseitiges Wesen, das sich aus den beiden Elementen Mensch und Schüler zusammensetzt? Gartenbesitzer, Lehrer usw. sein, das sind beziehungsmäßige Kennzeichnungen einer Person, die ihr unter der Bedingung zugeeignet werden, daß sie einen Garten besitzt bzw. Schüler hat usw. Ohne die Beziehung zu einem anderen Gegenstand (Garten, Schüler usw.) kann diese Person weder Gartenbesitzer noch Lehrer usw. sein. Das bedeutet aber keineswegs, daß wir bei der Bezeichnung eines bestimmten Menschen als Gartenbesitzer diesen Namen auf die Summe v o n zwei Gegenständen beziehen: Mensch und Garten. Gartenbesitzer ist der Mensch selbst (unter der Bedingung, daß er einen Garten besitzt), aber nicht der Mensch und der Garten. Genauso steht es mit dem Zeichen und seiner Bedeutung. Zeichen sein ist eine beziehungsmäßige Eigenschaft eines Gegenstandes unter der Bedingung, daß dieser eine Bedeutung besitzt. Ohne diese Bezogenheit auf die Bedeutung gibt es keine Zeichen. Aber das Zeichen ist der Gegenstand selbst und nicht der Gegenstand und seine Bedeutung. Die Erkenntnis, daß das Zeichen nur dank seiner Bedeutung Zeichen sein kann, ist somit gar nicht gleichwertig m i t der Behauptung, das Zeichen bestehe aus zwei Elementen: Form und Inhalt."* W e n n wir davon ausgehen, daß die Bedeutung eine gewisse Substanz oder ein „Gegenstand" ist (wie der „Garten"), so erscheint diese Argumentation stichhaltig. Sie wird aber hinfällig, sobald wir uns auf den von uns vertretenen Standpunkt stellen, wonach die Bedeutung kein Gegenstand, sondern eine bestimmte B e z i e h u n g ist. Selbstverständlich ist der „Gartenbesitzer" nicht „Mensch und Garten" zugleich, aber er ist auch nicht ein „Mensch" schlechthin, sondern ein „Mensch und seine B e z i e h u n g z u m G a r t e n (Besitz)". Das Zeichen ist ebendeshalb ein zweiartiges Wesen, weil es nicht einfach ein materieller Gegenstand ist, sondern „ein materieller Gegenstand p l u s d e s s e n B e z i e h u n g zu etwas, was außerhalb seiner selbst liegt". Diese Beziehung des Zeichens auf etwas außerhalb des Zeichens selbst Liegendes (um was für ein Etwas es sich hier handelt, soll nachstehend geklärt werden) — *A. А. Ветров: Семиотика и её основные проблемы, с. 47—48. In der Arbeit werden die Ansichten des polnischen Wissenschaftlers L. Zawadowski dargelegt, denen sich der Verfasser der zitierten Arbeit anschließt.
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das ist seine Bedeutung. Deshalb ist es unseres Erachtens falsch, v o n der „Beziehung des Zeichens zur Bedeutung" zu sprechen, denn die Bedeutung selbst ist die B e z i e h u n g des Zeichens zu etwas, was an sich nicht die Bedeutung des Zeichens ist, aber durch seine Existenz dem Zeichen Bedeutung verleiht und es somit erst aus einem bloßen materiellen Gegenstand eigentlich zum Zeichen macht.
§ 14. Nachdem wir die Bedeutung des Zeichens (einschließlich des sprachlichen Zeichens, also des Wortes) als dessen B e z i e h u n g (Bezogenheit) auf etwas außerhalb des Zeichens selbst Liegendes definiert haben, müssen wir nun den nächsten Schritt tun, um festzustellen, w o r a u f e i g e n t l i c h das Zeichen bezogen ist, und damit bestimmen, welche Beziehung bzw. welche Beziehungen zwischen dem Zeichen und eben diesem Etwas die Bedeutung (bzw. Bedeutungen) des Zeichens ausmachen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß das Beziehungssystem, in das das Zeichen eingeordnet ist, vielseitig ist. Jedes Zeichen ist sozusagen integrierendes Element in "einem ganzen Netz komplexer und vielfältiger Beziehungen. I n der heutigen Semiotik spricht man v o n d r e i maßgeblichen T y p e n von Beziehungen, die das Zeichen eingeht, und somit v o n drei Grundtypen der Bedeutungen: 1. Zunächst ist es die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Gegenstand, der durch dieses Zeichen bezeichnet wird. So bezieht sich das W o r t Tisch auf einen bestimmten Einrichtungsgegenstand, das W o r t Hund auf ein Tier einer bestimmten Art usw. Selbstverständlich ist das durch ein Zeichen Bezeichnete durchaus nicht immer ein „Gegenstand" im direkten Sinne dieses Wortes, d. h. eine Sache oder ein Lebewesen. Ein Zeichen kann sich auch auf Handlungen bzw. Vorgänge beziehen (gehen, sprechen u. dgl.) oder auf Eigenschaften {groß, lang usw.), oder auf abstrakte Begriffe (Ursache, Verbindung, Gesetz u. a. m . ) , aber auch auf ganze Situationen, komplexe Gesamtheiten von Gegenständen, Erscheinungen und Verhältnissen der realen W i r k lichkeit. Die Gegenstände, Vorgänge, Eigenschaften und Erscheinungen der realen Wirklichkeit, die durch die Zeichen bezeichnet werden, nennt man Referenten der Zeichen, die Beziehungen zwischen den Zeichen und deren Referenten 71
heißen referentielle Bedeutungen* der Zeichen (engl, referential meaning). Hier ist aber ein wesentlicher Vorbehalt erforderlich. Referent des Zeichens ist in der Regel nicht ein einzelner, individueller, für sich bestehender Gegenstand, Vorgang usw., sondern eine Menge, eine ganze Klasse gleichartiger Gegenstände, Vorgänge, Erscheinungen usw. Referent des Wortes Tisch ist folglich nicht irgendein Tisch als Einzelgegenstand, sondern die gesamte Menge der Gegenstände, deren Merkmale ungeachtet der bestehenden Unterschiede ihre Zusammenfassung zur Gesamtklasse der „Tische" ermöglichen. Referent des Wortes gehen ist nicht irgendeine einmalige, individuelle, konkrete Handlung, sondern die Menge aller (im Prinzip unendlich vieler) Handlungen, die in der Klasse des „Gehens" zusammengefaßt werden können. Es gibt allerdings auch Zeichen, deren Referenten einmalige Einzelgrößen sind (z. B. „ L o n d o n " ) , jedoch ist ihr Anteil an der Gesamtheit der Zeichen relativ gering, und in den Zeichensystemen spielen sie keine so maßgebliche R o l l e wie die Zeichen, deren Referenten ganze Mengen oder Klassen von Gegenständen, Erscheinungen usw. sind. Im konkreten Redeakt kann aber ein Zeichen, dem als Referent eine ganze Klasse von Gegenständen zugeordnet ist, auch einen durchaus konkreten Einzelgegenstand bezeichnen. Wenn ich etwa sage: Komm an den Tisch, so meine ich einen bestimmten Tisch, der zu der gegebenen R e d e situation gehört. In solchen Fällen, wenn das Zeichen in einer konkreten Redesituation einen konkreten Einzelgegenstand oder eine konkrete Einzelerscheinung bezeichnet, nennt man das Bezeichnete das Denotat des Zeichens. Die Begriffe „Referent" und „Denotat" sind streng auseinanderzuhalten: Zeichen mit verschiedenen Referenten können in einer bestimmten Situation auf das gleiche Denotat bezogen sein, da ein und derselbe Gegenstand auf Grund der Vielfalt seiner Merkmale gleichzeitig zu mehreren Klassen gehören kann, indem er sich gleichsam im Schnittpunkt dieser Mengen befindet. Im Satz: Dieser junge Mann ist mein Bekannter, er ist Student der Moskauer Universität, beziehen sich die Zeichen junger Mann, Bekannter, Student, die * Weitere in der wissenschaftlichen Literatur gebräuchliche Ausdrücke sind „denotative", „begriffliche" oder „gegenständlich-logische" Bedeutung.
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jeweils verschiedene Referenten haben, auf ein und dasselbe Denotat. Weiter werden wir darauf eingehen, welche verschiedene R o l l e n die Begriffe „Denotat" und „Referent" in der Ubersetzung spielen. 2. Die referentielle Bedeutung des Zeichens ist zwar ein sehr wichtiges Merkmal dieses Zeichens, aber in ihr erschöpfen sich nicht alle jene Beziehungen, die ein Zeichen eingeht. Der zweite T y p dieser Beziehungen sind die Beziehungen zwischen dem Zeichen und dem Menschen, der dieses Zeichen benutzt. Im Falle der Sprache geht es dabei um die Beziehungen zwischen den sprachlichen Zeichen und den Teilnehmern des Redevorgangs, dem Sprechenden bzw. Schreibenden und dem Hörenden bzw. Lesenden. Menschen als Benutzer v o n Zeichen — namentlich auch als Sprachzeichenbenutzer — sind den Zeichen gegenüber alles andere als gleichgültig, sie unterstellen ihnen ihr eigenes subjektives Verhalten und übertragen es so auch auf die v o n den Zeichen bezeichneten Referenten. Die deutschen Wörter Kopf und Haupt, schlafen und pennen, rauben, stehlen und klauen bezeichnen jeweils gleiche Referenten und haben somit gleiche referentielle Bedeutungen. Sie unterscheiden sich aber untereinander durch die subjektiven Beziehungen, die zwischen diesen sprachlichen Zeichen und den sie benutzenden Menschen bestehen und die mittels der Zeichen auf die von ihnen bezeichneten Referenten selbst übertragen werden. Diese subjektiven Beziehungen (emotioneller, expressiver, stilistischer Natur usw.) werden als pragmatische Beziehungen bezeichnet. Dementsprechend nennen wir diesen zweiten Bedeutungstyp die pragmatische Bedeutung des Zeichens.* Es geht hier nicht um ein Verhältnis zwischen dem Zeichen und einem einzelnen Individuum (dem Menschen als „Absender" bzw. „Empfänger" der sprachlichen Mitteilung), sondern um ein Verhältnis zwischen den Zeichen und der ganzen Gemeinschaft der Menschen, die diese Zeichen benutzen, im Falle der Sprache also um die Beziehungen zwischen *Andere Ausdrücke, die zur Bezeichnung dieses Bedeutungstyps verwendet werden, sind „konnotative Bedeutung", „emotive Bedeutung" (E. Nida: Toward a Science of Translating. Leiden, 1964), „soziale Bedeutung" (Ch. Fries: The Structure of English. N. Y. 1952), „stilistische" oder „emotionelle Färbung". Dem Ausdruck „pragmatisch", der auch nicht einwandfrei ist, geben wir jedoch den Vorzug, da er in unserer Auffassung alle anderen hier angeführten Bezeichnungen als Gattungsbezeichnung umspannt.
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den Zeichen der jeweiligen Sprache und der Gemeinschaft der Sprachträger als Ganzes. Innerhalb einer solchen Sprachgemeinschaft sind immerhin individuelle und gruppenbedingte Abweichungen möglich, die sich in der unterschiedlichen Reaktion der Sprachbenutzer auf die jeweiligen Sprachzeichen äußern. Im vorrevolutionären Rußland haben z. B. die Wörter самодержавие (Selbstherrschaft), верноподданный (Untertan), городовой (Schutzmann) trotz der Identität ihrer referentiellen Bedeutung für alle Angehörigen der russischen Sprachgemeinschaft, bei Anhängern und Gegnern des Zarenregimes eine verschiedene (ja entgegengesetzte) Bewertungsreaktion ausgelöst. In der Regel sind jedoch die pragmatischen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten und somit auch der Wörter für das ganze K o l l e k t i v der Sprachträger gleich (insofern es sich um die Gemeinsprache des Volkes und nicht um Klassen- oder Gruppendialekte bzw. Jargons handelt). (Ausführlicher werden die Abarten der pragmatischen Bedeutungen in Kapitel 3 behandelt.) 3. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, daß jedes Zeichen, auch das sprachliche, nicht isoliert besteht, sondern als Bestandteil eines bestimmten Zeichensystems. Dementsprechend befindet sich ein jedes Zeichen in k o m plizierten und vielfältigen Beziehungen zu anderen Zeichen desselben Zeichensystems (im Falle der sprachlichen Zeichen ist es das System der jeweiligen Sprache). So hat das deutsche W o r t „Tisch" bestimmte Beziehungen zu Wörtern wie Möbel, Einrichtung, Stuhl, Sessel usw., andere Beziehungen verbinden es mit Wörtern wie hölzern, rund, decken, stehen u. dgl., wieder andere mit solchen wie Tischdecke, auftischen, Tischler u. a. m. Noch anders sind die Beziehungen von Tisch zu Fisch, Wisch oder Tick, Tip usw. usf. Die Beziehungen zwischen dem jeweiligen Zeichen und anderen Zeichen desselben Zeichensystems nennt man intralinguistische* Beziehungen, und dementsprechend verwenden wir auch den Begriff der intralinguistischen Bedeutungen der sprachlichen Zeichen**. Jedes sprachliche (und auch nichtsprachliche) Zeichen steht somit in bestimmten Beziehungen zu den Bezeichneten *Für nichtsprachliche Zeichensystemo eignet sich der Ausdruck „intrasemiotische Bedeutung". **Andere Bezeichnungen: „linguistische Bedeutung" (E. Nida: Toward a science of Translating), „Valenz" (F. de Saussure: Cours de la linguistique generale. Paris 1931).
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oder Referenten, zu den Menschen oder Sprachbenutzern und zu anderen, demselben sprachlichen (oder im weiteren Sinne semiotischen) System angehörenden Zeichen. Daher setzt sich der semantische Inhalt des Zeichens aus drei Komponenten zusammen: der referentiellen, der pragmatischen und der intralinguistischen (im weiteren Sinne intrasemiotischen) Bedeutung. In der Wissenschaft von den Zeichensystemen — der Semiotik — entsprechen diesen drei Bedeutungstypen ihre drei Hauptabschnitte: die S e m a n t i k , clie die referentielle Bedeutung der Zeichen untersucht, die P r a g m a t i k, die sich mit der pragmatischen Bedeutung befaßt, und die S y n t a k t i k , die für die intralinguistischen (intrasemiotischen) Bedeutungen zuständig ist.* Selbstverständlich sind diese drei Bedeutungstypen unlösbar verbunden, da sie alle zugleich Komponenten der semantischen Struktur derselben Einheit (desselben Zeichens) sind. Die pragmatische Bedeutung des Zeichens ist unmittelbar mit seiner referentiellen Bedeutung verbunden: Die Beziehungen, die sich zwischen dem Zeichen und dem K o l l e k t i v der Zeichenbenutzer herausbilden, werden auch auf den Referenten dieses Zeichens übertragen, und umgekehrt, bestimmen die Eigenschaften des Referenten selbst weitgehend die pragmatischen Bedeutungen m i t , die das Sprachkollektiv dem dazugehörigen Zeichen beilegt. Die intralinguistische und die referentielle Bedeutung des sprachlichen Zeichens sind gleichfalls aufs engste miteinander verbunden: Die Beziehungen zwischen den Zeichen werden in hohem Maße durch die Zusammenhänge und Beziehungen geprägt, die in der realen Wirklichkeit zwischen den Referenten dieser Zeichen bestehen. Umgekehrt ist die im jeweiligen Sprachkollektiv akzeptierte Klassifikation der Referenten weitgehend v o m System der dem K o l l e k t i v zur Verfügung stehenden Zeichen abhängig.** Dennoch besteht eine relative Unabhängigkeit dieser drei Bedeutungstypen voneinander, und das ist Grund genug für ihre Unterscheidung und gesonderte Behandlung. Vor allem erhebt sich die Frage, ob alle Zeichen in ihrer semantischen Struktur unbedingt alle diese drei Bedeutungs*Ch. Morris: Foundations of the Theorie of Signs. Chicago 1938, II 3. ** Darauf beruht u. a. die sogenannte Sapier-Whorf-Hypothese.
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typen enthalten müssen? Die A n t w o r t darauf muß wohl eher negativ ausfallen. Als Regel kann gelten, das ein Zeichen alle drei Bedeutungstypen besitzt, es gibt aber auch Zeichen, bei denen die Bedeutungstypen unvollständig vertreten sind. So gibt es im System einer jeden Sprache Zeichen, die keinerlei referentielle Bedeutung besitzen, keine Gegenstände, Erscheinungen oder Situationen der objektiven Wirklichkeit bezeichnen und nur eine ausgesprochen intralinguistische Bedeutung haben. Hierher gehören verschiedene Hilfswörter und formal-grammatische Elemente (z. B. die Flexionen in Sprachen wie Russisch oder Latein, wo sie lediglich Ausdrucksmittel für die syntaktischen Verbindungen der Wörter im Satz sind, die Partikel to im Englischen oder zu im Deutschen als Infinitivmerkmal u. ä.). Offenbar besitzt aber jedes Zeichen eine intralinguistische Bedeutung, da es notwendigerweise in ein Zeichensystem eingeordnet sein muß, mit dem es bestimmte Beziehungen verbinden. Ob alle Zeichen ohne Ausnahme eine pragmatische Bedeutung besitzen, ist umstritten. Wenn man auch die neutrale („nullwertige") Beziehung des Sprachträgerkollektivs zum Zeichen ebenfalls zu den pragmatischen Bedeutungen rechnet, so ist die obige Frage positiv zu beantworten. Berücksichtigt man dagegen nur „markierte" (also ausgesprochen positive bzw. ausgesprochen negative) Beziehungen, so ist die Frage zu verneinen. In der Beihe Haupt — Kopf — Birne lassen sich bei dieser Betrachtungsweise nur für das erste und das dritte Glied pragmatische Bedeutungen feststellen (eine positive Beziehung bei Haupt und eine negative bei Birne). Das zweite Glied (Kopf), das emotionell neutral ist, wird als W o r t ohne jede pragmatische Bedeutung charakterisiert und besitzt demnach nur eine ausschließlich referentielle (und natürlich auch eine intralinguistische) Bedeutung. Dieses P r o b l e m ist zwar theoretisch nicht uninteressant, hat aber für unsere Untersuchung bestenfalls nur akademischen W e r t . Ob wir nun von einer „neutralen" („nullwertigen") pragmatischen Bedeutung sprechen oder v o m „Fehlen" jeglicher pragmatischen Bedeutung — das Wesen der Sache bleibt davon unberührt (genauso, wie es im Grunde gleichgültig ist, ob wir bei Wörtern wie стол im Russischen eine „Null-Endung" feststellen oder einen „bedoutungstragenden Endungsmangel").
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2. Die sprachlichen Bedeutungen und die Übersetzung § 15. Von viel größerer, ja v o n erstrangiger Bedeutung für die Ubersetzungstheorie ist eine andere Frage, und zwar, ob alle Bedeutungstypen, die im Original enthalten sind, auch bei der Ubersetzung erhalten bleiben? Anders läßt sich die Frage auch so formulieren: Ist es die Aufgabe des Ubersetzers, nur die referentiellen Bedeutungen wiederzugeben, die im ausgangssprachlichen T e x t ausgedrückt sind, oder muß er auch die anderen Bedeutungstypen übertragen, d. h. die pragmatischen und die intralinguistischen? Diese Frage ist sehr kompliziert, sie läßt sich nicht ohne weiteres eindeutig beantworten und bedarf einer eingehenden Untersuchung. Das ganze nächste Kapitel ist eigentlich der detaillierten Analyse des Problems gewidmet, wie verschiedene Typen sprachlicher Bedeutungen bei der Ubersetzung wiedergegeben werden. Jetzt umreißen wir diese P r o b l e m a tik nur in großen Zügen, ausgehend v o n der im 1. K a p i t e l entwickelten Auffassung der Ubersetzung. In § 3 dieses K a p i tels definierten wir die Übersetzung als Prozeß der Transformierung eines Redeerzeugnisses in einer Sprache in ein Redeerzeugnis einer anderen Sprache u n t e r Beibeh a l t u n g der uJi v e r ä n d e r t e n B e d e u t u n g . W i r machten dabei den Vorbehalt, daß erstens der Begriff „Bedeutung" möglichst weit zu fassen ist, und daß darunter nicht nur die referentiellen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten, sondern auch alle anderen Beziehungen dieser Einheiten verstanden werden müssen, und daß zweitens v o n der Erhaltung der unveränderten Bedeutung nur relativ gesprochen werden kann, im Sinne höchstmöglicher V o l l ständigkeit bei der Wiedergabe der Bedeutungen. Daraus folgt erstens, daß die Aufgabe des Ubersetzers die m ö g lichst vollständige Wiedergabe aller T y p e n der sprachlichen Bedeutung ist, und zweitens, daß bei der Übersetzung Bedeutungsverluste unvermeidlich sind — die im AS-Text enthaltenen Bedeutungen bleiben bei der Ubersetzung nicht vollständig erhalten und sind nur partiell im übersetzten T e x t wiedergegeben. Der „Erhaltungs"grad der Bedeutungen bei der Übersetzung ist verschieden, er variiert je nach dem Bedeutungst y p . Am vollständigsten lassen sich bei der Ubersetzung die 77
referentiellen Bedeutungen erhalten (sie besitzen die höchste „Ubersetzbarkeit"). Die Ursache liegt auf der Hand: W i e in K a p . 1, § 4 gezeigt wurde, ist in den referentiellen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten die gesamte praktische Erfahrung des Sprachträgerkollektivs verkörpert; da aber die reale W i r k l i c h k e i t , in der verschiedene Sprachkollektive leben, viel mehr Übereinstimmendes als Auseinandergehendes enthält, so gibt es auch bei den referentiellen Bedeutungen verschiedener Sprachen viel mehr Ubereinstimmendes als Auseinandergehendes. W a s aber die Fälle anbetrifft, wo Gegenstände oder Situationen aus dem Erfahrungsschatz des AS-Trägerkollektivs im Erfahrungsschatz des ZS-Trägerkollektivs einfach nicht vorhanden sind, so werden sie durch die schon geschilderte Fähigkeit der Sprache bewältigt, beliebige Gegenstände, Begriffe und Situationen zu beschreiben (wenn auch nicht immer knapp und „wirtschaftlich" genug). Dieser Eigenschaft der Sprache verdankt die Menschheit die Befähigung zur unbeschränkten Erkenntnis ihrer U m w e l t , zum unendlichen Fortschritt der Vernunft. Dadurch werden bei der Ubersetzung die referentiellen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten maximal erhalten und wiedergegeben (wenn auch die konkreten M i t t e 1 zur Äußerung dieser Bedeutungen sich von Sprache zu Sprache sehr wesentlich unterscheiden können). In geringerem Maße als die referentiellen lassen sich bei der Übersetzung die pragmatischen Bedeutungen wiedergeben. W e n n nämlich die zu beschreibenden Gegenstände, Begriffe und Situationen für die Träger verschiedener Sprachen in den allermeisten Fällen identisch sind, so sind die H a l t u n g e n verschiedener Menschengemeinschaften ihnen gegenüber, die Beziehungen zu ihnen häufig verschieden, und das bedingt die Verschiedenheit der pragmatischen Bedeutungen der entsprechenden Zeichen in verschiedenen Sprachen. Deswegen ist die „Erhaltbarkeit" der pragmatischen Bedeutungen im Übersetzungsprozeß meist geringer als die der referentiellen Bedeutungen. Beispiele dafür werden in Kapitel 3 gegeben. Die intralinguistischen Bedeutungen schließlich lassen sich schon auf Grund ihrer Eigenart bei der Ubersetzung nur minimal wiedergeben. Meistens gehen sie völlig verloren, was auch verständlich ist, denn bei der Übersetzung wird die eine Sprache durch eine andere ersetzt, aber jede Sprache ist für sich ein System eigener Art, dessen Elemente 78
untereinander Beziehungen eingehen, die für das betreffende System spezifisch sind. Bei der Übersetzung verschwinden somit im Normalfall die intralinguistischen Bedeutungen der AS-Einheiten, und an ihre Stelle treten die intralinguistischen Bedeutungen, die den ZS-Einheiten eigen sind. Die Forderung nach vollständiger Wiedergabe auch der intralinguistischen Bedeutungen des AS-Textes bei der Ubersetzung ist irreal, sie zu erfüllen ist unmöglich. Daraus ergibt sich scheinbar, daß bei der Ubersetzung v o m A S - T e x t vor allem die referentiellen Bedeutungen erhalten bleiben, in geringerem Maße die pragmatischen, während v o n den intralinguistischen nichts (oder nur sehr wenig) übrigbleibt. Spricht man von einer „Rangfolge der Wiedergabe der Bedeutungen" (s. K a p . 1, § 3), so ist es die Aufgabe des Ubersetzers, vor allem die referentiellen Bedeutungen wiederzugeben, dann die pragmatischen und auf die Wiedergabe der intralinguistischen zu verzichten (weil dies ja grundsätzlich unmöglich sei). Diese Fragestellung ist aber viel zu einseitig, denn sie läßt einen anderen wichtigen Faktor unberücksichtigt, der die „Rangfolge" der W i e d e r gabe der Bedeutungen bestimmt, nämlich den Charakter des zu übersetzenden Textes. Die von uns nachgewiesenen T y p e n der sprachlichen Bedeutungen spielen nämlich eine sehr ungleiche R o l l e in Texten verschiedener Gattungen. In der wissenschaftlichen und technischen Literatur dominieren die referentiellen Bedeutungen (die wichtigste Information, die in diesen Texten enthalten ist, tragen gerade die referentiellen Bedeutungen der den T e x t bildenden Spracheinheiten). In der schönen Literatur dagegen, ganz besonders in der lyrischen Dichtung, sind meistens nicht die referentiellen, sondern die pragmatischen Bedeutungen im T e x t tonangebend und wesentlich. Daraus ergibt sich wiederum, daß die eben geschilderte Rangfolge hier nicht gilt, und daß der Ubersetzer literarischer und insbesondere lyrischer Texte häufig auf die Wiedergabe der referentiellen Bedeutungen verzichten muß, um die für solche Texte weitaus wertvollere Information erhalten zu können, die in ihren pragmatischen (emotionellen usw.) Bedeutungen eingeschlossen ist. In einigen Fällen (meistens auch bei der Übersetzung dichterischer Texte) kann die wesentlichste Information sogar gerade in den intralinguistischen Bedeutungen der Spracheinheiten des Textes konzentriert sein, so daß der Ubersetzer gezwungen ist, um ihrer Wiedergabe willen die Bedeutungen ande79
rer Typen, vor allem die referentiellen Bedeutungen, zu opfern. Beispiele dafür enthält das nächste Kapitel. W i r k o m men somit zu dem Schluß, daß es grundsätzlich unmöglich ist, ein allgemeingültiges Schema der „Rangfolge der W i e dergabe der Bedeutungen" zu entwerfen, das für Texte aller T y p e n und Gattungen passen würde. Der Ubersetzer hat in jedem Einzelfall zu entscheiden, welche Bedeutungen bevorzugt zu behandeln sind und welche geopfert werden können, um den Verlust der für den T e x t wesentlichsten Information minimal zu halten.
DRITTES KAPITEL DIE SEMANTISCHEN ENTSPRECHUNGEN BEI DER ÜBERSETZUNG
1. Die Wiedergabe der referentiellen Bedeutungen § 16. Das Grundproblem, m i t dem sich der Ubersetzer bei der Wiedergabe der im Ausgangstext enthaltenen referentiellen Bedeutungen auseinanderzusetzen hat, ist die N i c h t übereinstimmung des Bedeutungsumfangs der sprachlichen Einheiten der Ausgangssprache und der Zielsprache, Es gibt keine zwei Sprachen, bei denen die bedeutungstragenden E i n heiten — Morpheme, Wörter, stehende Wortverbindungen — v o l l e Ubereinstimmung in ihrem referentiellen Bedeutungsumfang aufweisen. Die zum Ausdruck kommenden B e d e u tungen (die „Begriffe") stimmen zwar weitgehend überein, aber die Art und Weise ihrer Äußerung — die Gruppierung, Gliederung und Zusammenfassung, ihre Vereinigung innerhalb einer formalen Einheit (oder innerhalb einer Gruppe von Einheiten) — geht in den einzelnen Sprachen mehr oder weniger deutlich auseinander. Das läßt sich sehr anschaulich am Beispiel verschiedener Sprachen demonstrieren. Träger von referentiellen Bedeutungen sind zwar nicht nur W ö r t e r , aber es ist doch wohl das Zweckmäßigste, gerade das W o r t als Vergleichseinheit bei der Gegenüberstellung der semantischen Einheiten verschiedener Sprachen zu benutzen., 1 Deshalb werden wir im weiteren eben mit Wörtern operieren. Dabei ist nicht zu vergessen, daß die v o n uns festgestellten Typen der Diskrepanz zwischen den semantischen Systemen verschiedener Sprachen nicht nur im Bereich des W o r t schatzes gelten, sondern auch anderen Arten von sprachlichen Einheiten eigen sind (z. B. grammatischen Morphemen; grammatische Entsprechungen werden speziell in A b schnitt 4 dieses Kapitels behandelt). Alle T y p e n der semantischen Entsprechungen zwischen 6-019
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den lexikalischen Einheiten verschiedener Sprachen iassen sich auf folgende drei Grundtypen reduzieren: 1) vollständige Übereinstimmung; 2) teilweise Ubereinstimmung; 3) fehlende Ubereinstimmung. W i r wollen diese drei Fälle näher betrachten, w o b e i wir berücksichtigen müssen, daß die beiden letzteren (teilweise und fehlende Übereinstimmung) wegen ihrer Schwierigkeit für die Theorie und Praxis der Ubersetzung v o n besonderem Interesse sind.
§ 17. Fälle vollständiger Übereinstimmung lexikalischer Einheiten verschiedener Sprachen im vollen Umfang ihrer referentiellen Bedeutungen sind verhältnismäßig selten. Meistens ist das bei monosemen (eindeutigen) Wörtern der Fall, die in beiden Sprachen jeweils nur eine Bedeutung besitzen. Der Anteil solcher Wörter am gesamten Vokabular der Sprache ist bekanntlich relativ gering. Hierher gehören vor allem Wörter folgender lexikalischer Gruppen: 1. Eigennamen und geographische Benennungen, die zum Wortbestand beider Sprachen gehören, z. В. Гомер — H o m e r ; Москва — Moskau; Польша — Polen u. dgl. / 2 . Wissenschaftliche und technische Fachwörter, z . B . логарифм — Logarithmus; шестигранник — Hexaeder; водород — Wasserstoff; свинец — Blei; млекопитающее — Säugetier; крестоцветные — Kreuzblütler; протон — Proton; экватор — Ä q u a t o r ; вольтметр — Voltmeter usw. 3. Einige andere Gruppen v o n Wörtern, die den beiden vorher genannten semantisch nahestehen, z. B. die Namen der Monate und Wochentage: январь — Januar; понедельник —Montag u. a. m. Verwand t damit ist eine so eigenartige W o r t kategorie wie die Zahlwörter: тысяча — Tausend; миллион — Million usw. Es wäre aber falsch anzunehmen, daß alle zu diesen Gruppen gehörenden Wörter jeweils Paare v o n vollständigen Entsprechungen darstellen. Es k o m m t nicht selten vor, daß auch innerhalb dieser semantischen Wortkategorien die Entsprechungen nicht eindeutig sind. So ist für Fachtermini häufig eine Vieldeutigkeit kennzeichnend, weswegen ihnen in der anderen Sprache nicht ein einziges W o r t entspricht, sondern mehrere. Der englische Fachausdruck power besitzt in der Physik mehrere Bedeutungen (und somit auch deutsche Entsprechungen), und zwar: Kraft, Leistung, Energie-, in der Mathematik bedeutet er außerdem Potenz. Besonders stark 82
ausgeprägt ist die Polysemie bei technischen Fachwörtern, so entsprechen dem russischen W o r t камера im Deutschen die Wörter Kammer, Zelle, Kamera, Gehäuse, Schlauch, B o x u. a., dem russischen втулка entsprechen Hülse, Nabe, Muffe, Futter, Brille, Spund, Buchse u. dgl. m. Die Bezeichnungen VOD im jeweiligen Land unbekannten oder seltenen Tieren sind meistens eindeutig und besitzen somit in anderen Sprachen vollständige Entsprechungen, wie etwa дикобраз — Stachelschwein, фламинго — Flamingo u. ä. Die Namen allgemein bekannter und weitverbreiteter Tiere sind dagegen nicht nur zoologische Artenbezeichnungen, sondern auch Bestandteile des Alltagsvokabulars und entwickeln somit auch vielfältige Bedeutungen. So hat das englische W o r t tiger neben der Bedeutung Tiger auch andere Bedeutungen (und deutschsprachige Entsprechungen) wie brutaler Mensch, gefährlicher Gegner, Händelsucher, Rowdy u. dgl. Bei den Zahlwörtern wird die Eindeutigkeit der deutschrussischen Entsprechungen dadurch verhindert, daß im Russischen eine Zahl durch jeweils zwei oder mehr Wörter bezeichnet werden kann: два — двое — двойка-, три — трое — тройка-, десять — десяток — десятка u. ä. Der Eindeutigkeit und Begelmäßigkeit der terminologischen Äquivalente steht auch das Vorhandensein synonymer Termini in einer Sprache entgegen. Den deutschen mathematischen Fachwörtern B i n o m , P o l y n o m entsprechen im Bussischen sowohl бином, полином als auch двучлен, многочлен (die untereinander jeweils keinerlei referentielle Bedeutungsunterschiede aufweisen). * Es k o m m t sehr selten v o r , daß in zwei Sprachen die einander äquivalenten Wörter sich im ganzen Umfang ihrer referentiellen Bedeutungen decken, auch wenn es sich um polyseme Wörter handelt. So besitzen z. B. sowohl das russische лев als auch das deutsche Löwe gleicherweise die beiden Bedeutungen: 1) große Raubkatze; 2) Mensch, der im Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit steht (z. B. Salonlöwe — светский лев). Solche vollen Ubereinstimmungen bereiten dem Ubersetzer keinerlei Schwierigkeiten. Ihre Wiedergabe ist kontextunabhängig, so daß dem Ubersetzer allein die Kenntnis des jeweiligen Äquivalents v ö l l i g genügt. *Uber nichteindeutige Entsprechungen bei der Wiedergabe von Eigennamen siehe K a p . 4, § 42.
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§ 18. Der häufigste Fall bei der Gegenüberstellung von lexikalischen Einheiten in zwei Sprachen ist die partielle Übereinstimmung, bei der einem A S - W o r t nicht ein, sondern mehrere semantische Äquivalente in der Zielsprache entsprechen. Die weitaus überwiegende Mehrheit aller Wörter einer jeden Sprache ist durch Vieldeutigkeit gekennzeichnet, wobei das Bedeutungssystem eines Wortes sich fast nie v o l l ständig mit dem seines Äquivalents in der anderen Sprache decktTlDabei treten verschiedene Fälle auf. So ist manchmal der Kffeis der Bedeutungen des Wortes in der Ausgangssprache breiter als b e i seiner Entsprechung in der Zielsprache (oder umgekehrt). Das ausgangssprachliche (bzw. zielsprachliche) W o r t besitzt v in diesem Falle alle Bedeutungen, die seinem Äquivalent in der Partnersprache eigen sind, hat aber darüber hinaus auch noch weitere Bedeutungen, für deren W i e dergabe andere W ö r t e r benötigt werden. Das russische W o r t характер und das deutsche Charakter haben z. B. folgende gemeinsame Bedeutungen: 1) Gesamtheit der psychischen Besonderheiten des Menschen; 2) fester W i l l e , Beharrlichkeit in der Verfolgung des Ziels (vgl. Он человек без характера— er hat keinen Charakter); 3) Beschaffenheit, Eigenart eines Objekts. Das deutsche Charakter besitzt aber außerdem noch folgende Bedeutungen, die dem russischen Partnerwort fehlen und durch andere russische Wörter wiedergegeben werden müssen: 4) Rang, Dienstgrad (veraltet); 5) Type, Original, eigenartige Person; 6) -Schriftzeichen. Diesen Fall der unvollständigen Äquivalenz v o n Wörtern zweier Sprachen kann man als Inklusion (Einschluß) bezeichnen und durch folgende Zeichnung darstellen:
Hier ist A der Bedeutungsumfang des einen Wortes und B — der Bedeutungsumfang des anderen. Die schraffierte Fläche bezeichnet den Deckungsbereich der Bedeutungen beider Wörter.Häufiger jedoch ist der Fall, bei dem beide Wörter — 84
das A S - W o r t und das Z S - W o r t — sowohl übereinstimmende als auch auseinandergehende Bedeutungen aufweisen. Das russische W o r t зять deckt sich z. B. mit dem deutschen Schwager in seiner Bedeutung Ehemann der Schwester, aber nicht in seiner Bedeutung Ehemann der Tochter, wofür im Deutschen die Bezeichnung Schwiegersohn gilt. Das deutsche W o r t Schwager hat wiederum auch die Bedeutungen Bruder des Ehemanns und Bruder der Ehefrau, die im Russischen nicht durch зять, sondern durch деверь bzw. шурин wiedergegeben werden. Ein weiteres Beispiel ist das Wortpaar дом — Haus. Hier besteht Ubereinstimmung bei den Bedeutungen „Gebäude" „ H e i m " , „Dynastie". Jedoch bezeichnet im Russischen дом auch Begriffe, für die im Deutschen andere Bezeichnungen gelten, z. B. in Verbindungen wie родильный дом—Entbindungsheim, дом престарелых—Altersheim u. dgl. m. Dem deutschen W o r t Haus sind seinerseits Bedeutungen eigen, die das russische дом nicht hat, etwa als Bezeichnung des Parlaments (Hohes Haus), eines Theatersaals (das Haus ist ausverkauft), eines Menschen (altes Haus) u. ä. Die Zahl solcher Beispiele ließe sich beliebig vermehren. Diese Art der Beziehungen zwischen, den Wörtern von zwei Sprachen, die, wie wir feststellten,., die häufigste ist, kann man als Überschneidung bezeichnen und durch folgende Zeichnung veranschaulichen:
А
В
§ 19. V on anderer Beschaffenheit und theoretisch wohl interessanter; sind die Fälle der partiellen Äquivalenz, die durch eine Erscheinung bedingt sind, die man als Undifferenziertheit der Wortbedeutung in einer der beiden Sprachen im Vergleich zur anderen bezeichnen kann./Einem W o r t in der einen Sprache, das einen umfassenderen („undifferenzierten") Begriff ausdrückt und somit eine weitgespannte Klasse von Denotaten bezeichnet, können in der anderen 85
Sprache zwei oder mehr Wörter entsprechen, von denen jedes einen engeren, gegenüber dem der Partnersprache stärker differenzierten Begriff benennt und sich somit auf einen begrenzteren Kreis von Denotaten bezieht. So gibt es im Bussischen das W o r t рука, dem im Deutschen die beiden Wörter A r m und Hand entsprechen, von denen jedes eben nur einen Teil der oberen Gliedmaßen des Menschen bezeichnet. Genauso verhält es sich mit russisch нога und deutsch Bein bzw. Fuß. Dem einzigen russischen палец in der Bedeutung eines menschlichen Körperteils entsprechen im Deutschen drei: Finger, Daumen und Zeh. Man kann für dasselbe Verhältnis noch zahlreiche weitere Beispiele anführen, so etwa: Speisezimmer Speisegaststätte Mensa Kantine
столовая
{
заря бритва
Morgenrot Abendrot Rasierapparat Rasiermesser
In anderen Fällen erweisen sich die deutschen Wörter gegenüber den russischen als semantisch undifferenziert, z. В . : Herd
{ •{ { {
очаг плита
Kirsche*
вишня черешня
Erdbeere
земляника клубника
heiraten
жениться выйти замуж
waschen .. blau
мыть / 1. стирать ( синий < . ., t голубой
*In diesem Falle wird der lexikalische Redeutungsunterschied auch noch von einem grammatischen begleitet. Die russischen Wörter вишня, черешня, земляника, клубника bezeichnen in der Einzahl nicht nur einzelne Beeren, sondern sind zugleich Sammelnamen oder Gattungsbezeichnungen. Im Deutschen bezeichnet die Einzahl aber
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Es sei ausdrücklich betont, daß es hier nicht um die Vieldeutigkeit von Wörtern geht. Es wäre falsch zu behaupten, daß die russischen Wörter рука und нога jeweils zwei verschiedene Bedeutungen hätten, und daß das deutsche Kirsche ein polysemes Wort sei. In den behandelten Fällen haben die betreffenden Wörter jeweils nur eine Bedeutung (daneben können freilich auch noch weitere Bedeutungen bestehen, die wir hier aber nicht behandeln; so hat z. B. das russische W o r t рука auch noch die Bedeutungen H a n d schrift, Einfluß usw.), doch der Umfang dieser einen Bedeutung ist an sich größer als der der Bedeutungen der anderssprachigen Äquivalente. Dadurch unterscheidet sich diese Erscheinung grundsätzlich v o n dem Falle, w o v e r schiedenen B e d e u t u n g e n ein und desselben Wortes i n der einen Sprache v e r s c h i e d e n e W ö r t e r in der anderen Sprache entsprechen. Mit diesem letzteren Falle haben wir es z. B. zu tun, wenn dem deutschen W o r t Opfer in der Bedeutung „Mensch, der etwas erdulden mußte" das englische victim, aber in den Bedeutungen „Verzicht" und „Gabe" sacrifice entspricht. (Dieser Fall ist mit dem oben behandelten Fall der Inklusion identisch.) Es ist natürlich nicht zu leugnen, daß eine strenge A b grenzung von Vieldeutigkeit und Undifferenziertheit durchaus nicht immer ohne weiteres möglich ist. So ist es nicht einfach zu klären, welche Beziehungen zwischen dem deutschen Verb schwimmen und seinen englischen Entsprechungen swim, sail und float bestehen. Man kann annehmen, daß das W o r t schwimmen im Deutschen drei verschiedene Bedeutungen hat (was zum Teil auch im „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" ausgewiesen ist), und zwar: 1) sich aus eigener Kraft im Wasser fortbewegen (von Lebewesen); 2) sich mittels technischer Vorrichtungen im W a s ser fortbewegen (von Fahrzeugen u. dgl.); 3) von einer Flüssigkeit getragen werden. Bei einer solchen Betrachtungsweise erweisen sich die drei englischen Wörter als Ä q u i valente für eine jeweils a n d e r e Bedeutung des deutschen Wortes. Es ist aber auch eine andere Betrachtungsweise möglich, und zwar für schwimmen eine e i n z i g e Bedeu-
immor nur oins einzelne Frucht, als Sammelbezeichnung kann dagegen nur die Mehrzahl verwendet werden. V g l . : вишня поспела — Die Kirschen sind reif; клубника со взбитыми сливками — Erdbeeren mit Schlagsahne,
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tung anzusetzen, nämlich „sich in einer Flüssigkeit befinden, ohne in ihr unterzugehen". In diesem Falle sind wir berechtigt, das deutsche W o r t als gegenüber seinen englischen Äquivalenten semantisch undifferenziert zu behandeln. V o n den englischen Verben enthält wiederum jedes je ein semantisches Merkmal, das im Inhalt des deutschen Ä q u i valents fehlt.* Im ganzen aber lassen sich die Begriffe der Polysemie und der semantischen Undifferenziertheit, ungeachtet derartiger Übergangsfälle, deutlich genug unterscheiden.**
§ 20. Bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen den semantischen Strukturen der Zeichen verschiedener Sprachen können auch kompliziertere Fälle der bedeutungsmäßigen Undifferenziertheit vorkommen als die eben behandelten. Betrachten wir z. B. die Beziehungen zwischen den deutschen Wörtern Käse und Quark und ihren englischen Äquivalenten cheese bzw. cottage cheese.*** Auf den ersten B l i c k sind die englischen Wörter (wenn man davon absieht, daß cheese in der Umgangssprache auch noch andere Bedeutungen hat) vollständige semantische Äquivalente der entsprechenden deutschen. In der Tat besteht hier aber ein viel komplizierteres Verhältnis: im Englischen ist cottage cheese eine der Unterarten von cheese, was im Deutschen nicht der Fall ist. Auf Deutsch kann man z. B. sagen: Das ist nicht Käse, sondern Quark, Es hat weder Käse noch Quark gegeben, während im Englischen Aussagen wie It is not cheese but cottage cheese, neither cheese nor cottage cheese unmöglich sind. Somit erscheint das englische W o r t cheese im ganzen gegenüber den, deutschen Wörtern Käse und Quark als undifferenziert, obwohl es im Englischen eine besondere zusammengesetzte Bezeichnung (eben cottage cheese) gibt, die die genaue semantische Entsprechung des deutschen Quark ist. Es lassen sich auch andere Beispiele dieser Art nennen. Im Russischenfgelten die Wörter железо und чугун als Bezeichnungen für zwei verschiedene Metalle (wir meinen * V g l . К. П. Комиссаров: Слово о переводе, с. 92. **Beispiele aus anderen Sprachen siehe L. Bloomfield: „Language", N. Y . , 1933, pp. 278—279. ***Vgl. R. Jakobson: On Linguistic Aspects of Translation, „On Translation", ed. by R. Brower, Cambridge, Mass., 1959, p. 233.
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hier selbstverständlich die allgemeine Umgangssprache und nicht etwa die Fachsprache des Hüttenwesens), daher sind Ausdrucksweisen möglich wie производство железа и чугуна. Das deutsche W o r t Eisen aber ist eine undifferenzierte Bezeichnung für beide im Russischen sprachlich getrennte Begriffe. Daran ändert auch das Vorhandensein des Wortes Roheisen nichts, dessen referentielle Bedeutung sich v o l l kommen mit der von чугун deckt, denn es ist lediglich eine Unterart des Oberbegriffes Eisen, so daß man auf Deutsch auch nicht Sätze bilden kann wie Die Produktion von Eisen und Roheisen ist gestiegen. Ä h n l i c h geartet sind die Beziehungen zwischen den deutschen Wörtern Stuhl und Sessel und den englischen chair und armchair: das englische armchair ist ein Unterart von chair (im Webster-Lexikon wird armchair auch dementsprechend definiert: „a chair with supports at the sides for one's arms or elbows"). Man kann auf Deutsch unbedenklich sagen: Das ist kein Stuhl, sondern ein Sessel, wogegen der englische Satz „This is not a chair but an armchair" absurd klingt (vgl. auch das Beispiel in § 40 dieses Kapitels). Ungefähr dasselbe sehen wir beim Vergleich der russischen Wörter сад und огород mit ihren deutschen Ä q u i valenten Garten und Gemüsegarten (bzw. Küchengarten) — das letzte W o r t verhält sich zu Garten wie ein untergeordneter Begriff zum übergeordneten. Ä h n l i c h liegen die Verhältnisse bei дыня, арбуз — Melone, Wassermelone. Ein etwas anderer Fall v o n semantischer Undifferenziertheit liegt vor, wenn zwei Wörter in verschiedenen Sprachen sich in ihrer referentiellen Bedeutung zwar decken, aber in einer v o n diesen beiden Sprachen darüber hinaus ein besonderes W o r t zur Bezeichnung einer Abart des gemeinsamen Begriffes existiert, was in der anderen nicht der Fall ist. Die Wörter Tisch und table (englisch) decken sich v ö l l i g in ihrer Grundbedeutung, aber für eine besondere Tischart (nämlich für den Schreib- oder Bürotisch) hat das Englische das Spezialwort desk, während sich das Deutsche eben mit Zusammensetzungen mit dem Grundwort -tisch behelfen muß. D e m deutschen Verb entführen entspricht im Englischen allgemein kidnap, wenn es aber um die Entführung oder den R a u b einer Frau geht, verwendet man das spezialisierte W o r t abduct.* *Neuerdings verwendet die Presse das Wort abduct auch bei politischen Entführungen.
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§ 21. Aus der hier festgestellten semantischen U n d i f ferenziertheit der Zeichen einer Sprache im Vergleich zu denen einer anderen darf aber keineswegs gefolgert werden, daß diese Sprache außerstande sei, einen gegebenen Begriff zu bezeichnen, und somit „weniger entwickelt" ist als die andere Sprache, die für den in Frage kommenden Begriff ein eigenes Zeichen besitzt. W i e wir in den vorangehenden Erörterungen wiederholt ^festgestellt haben, ist j e d e Sprache grundsätzlich fähig, einen b e l i e b i g e n Begriff zu bezeichnen. W o r u m es geht, ist lediglich die A r t und W e i s e dieser Bezeichnung. Daraus, daß das russische W o r t рука bedeutungsmäßig weniger differenziert ist als die deutschen Arm und Hand, darf man nicht schließen, daß sich mit den Mitteln der rassischen Sprache der Unterschied zwischen dem befingerten Greiforgan des Menschen und dem übrigen Teil der oberen Gliedmaßen nicht ausdrücken läßt. Genauso falsch wäre es anzunehmen, daß die semantische Undifferenziertheit des deutschen Wortes Kirsche gegenüber den russischen Bezeichnungen вишня und черешня den Trägern dieser Sprache die Unterscheidung zwischen beiden Obstarten unmöglich macht. Hier geht es um etwas anderes, nämlich darum, daß die eine Sprache es dem Sprechenden m ö g l i c h macht, den Unterschied zwischen bestimmten Begriffen unausgedrückt zu lassen, während die andere Sprache den Benutzer dazu zwingt, diesen Unterschied unbedingt zum Ausdruck zu bringen. W e n n es im Russischen notwendig wird, einen bestimmten Teil der oberen Gliedmaßen unverwechselbar näher zu bezeichnen, dann bedient man sich solcher Spezialwörter wie кисть, плечо, предплечье. Das Vorhandensein des semantisch undifferenzierten Wortes рука enthebt den russischen Sprecher aber der Notwendigkeit, in jedem einzelnen Falle eine Unterscheidung zwischen Arm und Hand machen zu müssen, während die deutsche, englische oder französische Sprache den Sprecher in jedem Falle zur Unterscheidung v o n Arm und Hand nötigt. Genauso läßt sich im Bedarfsfalle mit den Mitteln der deutschen (oder englischen) Sprache der Unterschied ausdrücken zwischen вишня (Sauerkirsche, sour cherry) und черешня (Süßkirsche, sweet cherry) oder zwischen den Farbbezeichnungen синий (tiefblau, dark blue) und г о л у б о й (hellblau, light blue *).
*Die im Russischen möglichen Zusammensetzungen тёмцо-голу-
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(Wie auch aus den in § 19 angeführten Beispielen ersichtlich ist, werden bei der Differenzierung v o n Begriffen, für die es keine Spezialwörter gibt, vorwiegend attributive Verbindungen oder Zusammensetzungen benutzt.) Wo aber eine derartige Differenzierung nicht unumgänglich ist, stellt die deutsche (bzw. englische) Sprache dem Benutzer semantisch unspezifizierte W ö r t e r wie Kirsche (cherry), blau (blue) zur Verfügung, während im Russischen der Begriff für jeden Fall spezifiziert werden muß, da die entsprechenden Allgemeinbezeichnungen fehlen. In seiner bereits erwähnten Arbeit stellt R. Jakobson mit gutem Grund fest: ... die Sprachen unterscheiden sich vor allem darin, was sie ausdrücken müssen, und nicht darin, was sie ausdrücken können" (siehe Fußnote zu S. 88). Schwierigkeiten für die Übersetzung ergeben sich, ähnlich wie im Falle der Vieldeutigkeit, aus dieser Erscheinung dadurch, daß bei der Wiedergabe eines semantisch undifferenzierten AS-Wortes eine W a h l unter den möglichen ZS-Äquivalenten getroffen werden muß. Soll man das russische рука ins Deutsche oder Englische übersetzen, so muß in jedem Einzelfalle entschieden werden zwischen Arm und Hand bzw. arm und hand. Bei der Ubersetzung des deutschen Wortes Uhr ins Englische ist eine Entscheidung zwischen watch und clock notwendig u. dgl. m. Meistens ist die richtige Entscheidung auf Grund der kontextuellen Information m ö g l i c h , d. h. unter Berücksichtigung des engeren oder weiteren Kontextes (über die Rolle des K o n texts siehe den Abschnitt „ K o n t e x t und Situation in der Übersetzung"). Der russische Satz Он держал в руках книгу verlangt bei der Ubersetzung das deutsche W o r t Hand, der Satz Она держала в руках ребёнка — das W o r t Arm, was ohne weiteres einleuchtet. Man muß aber sagen, daß auch Kontexte vorkommen, die keine Anhaltspunkte für die eindeutige W a h l der Äquivalente enthalten, wie z. B. der russische Satz Он был ранен в руку den man sowohl m i t Er wurde am A r m verwundet als auch mit Er wurde an der Hand verwundet übersetzen kann. W e n n sich auch im weiteren K o n t e x t keine sicheren Anhaltspunkte für die W a h l finden lassen, so ist es für die Entscheidung notwendig, über die Grenzen des sprachlichen Kontexts hinauszugehen бой, светло-синий u. dgl. erzeugen allerdings zusätzliche Schwierigkeiten bei der Übersetzung ins Deutsche oder Englische.
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und in der realen Situation oder Umgebung nach der differenzierenden Information zu suchen (weiteres darüber siehe im selben Abschnitt). Um eine Stelle in Puschkins Gedichtroman „Eugen Onegin" richtig zu übersetzen, in der es um женские ножки geht, muß man den Geschmack, die Sitten und moralischen Maßstäbe jener Epoche kennen. Es konnte nur von Füßen, und in keinem Fall von Beinen die Rede sein, denn letzteres wäre nach den damaligen Anstandsbegriffen höchst ungebührlich; man muß auch wissen, daß Puschkin auf dem Rande der entsprechenden Manuskriptseite eben Füße und nicht Beine gezeichnet hat. Bisher sprachen wir ausschließlich über die referentiellen Bedeutungen unter bewußter Außerachtlassung der den sprachlichen Zeichen gleichfalls eigenen pragmatischen Bedeutungen. Selbst wenn in der Zielsprache ein referentiell vollständig äquivalentes W o r t vorhanden ist, so kann es durchaus nicht immer tatsächlich in der Ubersetzung verwendet werden, weil manchmal bestimmte (mitunter recht wesentliche) Unterschiede in den pragmatischen Bedeutungen der AS- und ZS-Wörter bestehen. So gibt es z. B. im Englischen das W o r t timepiece, das genau dieselbe Bedeutung hat, wie das deutsche Uhr und gleichermaßen eine A r m b a n d uhr, eine Taschenuhr, eine Standuhr oder eine Turmuhr bezeichnen kann und somit die Bedeutungen v o n clock und watch in sich vereinigt. Aber dieses W o r t gehört im Englischen zum gehobenen Spezialbereich der Sprache und ist daher in der Umgangssprache und in der schöngeistigen Literatur nicht üblich. Daher kann man den Satz Er blickte auf die Uhr auch nicht mit He looked at the timepiece übersetzen, sondern man muß nach Anhaltspunkten suchen, die eine richtige W a h l zwischen watch und clock ermöglichen. Ähnliches gilt für russische Wörter wie кисть und ступня, die sich in ihrem referentiellen Bedeutungsumfang mit Hand und Fuß decken. W e g e n ihrer speziellen stilistischen Eigenschaften können sie aber nur entweder in ausgesprochen fachbezogenen Texten (z. B. anatomischen Inhalts) oder in besonderen Situationen (etwa beim A n p r o bieren von Schuhen oder Handschuhen) als Äquivalente der entsprechenden deutschen W ö r t e r verwendet werden (vgl. Ботинок не лезет — у меня слишком широкая ступня). Die Wiedergabe der pragmatischen Bedeutungen in der Übersetzung wird im zweiten Abschnitt dieses Kapitels näher behandelt. 92
§ 22. Bisher betrachteten wir nur die Beziehungen zwischen einzelnen isolierten Worteinheiten der Partnersprachen. Schon bei dieser Betrachtungsweise ergibt sich, wie wir feststellen konnten, ein recht kompliziertes Bild. Es wird aber noch viel komplizierter, wenn wir für den V e r gleich nicht einzelne W ö r t e r , sondern ganze Gruppen sinnverwandter Wörter heranziehen (die in der Sprachwissenschaft häufig als „semantische" oder „lexikalische Felder" bezeichnet werden). D i e Wörter existieren bekanntlich im Sprachsystem nicht als isolierte Einheiten, sondern als Bestandteil bestimmter semantischer Gruppierungen von geringerem oder größerem Umfang, innerhalb derer die Bedeutung des einzelnen Wortes weitgehend durch dessen Platz in der Gruppe, durch das Verhältnis zur Semantik anderer Wörter der gleichen Gruppe (des „lexikalischen Feldes") mitbestimmt wird. Darin äußert sich u. a. die Wechselbeziehung und gegenseitige Bedingtheit der referentiellen und der intralinguistischen Bedeutungen des Wortes, v o n denen oben die Rede war (siehe §/14). Beim Vergleich zweier Sprachen ist die vergleichende Betrachtung solcher „lexikalischer Felder" v o n großem Interesse, wobei Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen semantisch einander nahestehenden „lexikalischen Feldern" dieser Sprachen ermittelt werden können. Versuche einer solchen vergleichenden Analyse des Wortbestandes verschiedener Sprachen sind bereits vorgenommen worden. So wurden z. B. in der sprachwissenschaftlichen Literatur wiederholt die lexikalischen Felder der Farbadjektive in verschiedenen Sprachen untersucht. W i r haben bereits erwähnt, daß in der deutschen Sprache ein einziges undifferenziertes A d j e k t i v blau besteht, während in der russischen der entsprechende Spektralbereich in zwei gesonderte Farben aufgeteilt wird: синий und голубой. I m Physikunterricht ( P h y s i k und nicht etwa Russisch!) sagt der Lehrer den Schülern in der russischsprachigen Schule, daß das Spektrum sieben Grundfarben hat: красный, оранжевый, жёлтый, зелёный, голубой, синий, фиолетовый. In der englischsprachigen Schule ist aber nicht von sieben, sondern von sechs Farben die Rede: red, orange, yellow, green, blue, purple (in einigen Lehrbüchern steht statt purple die Bezeichnung violet). Für die Farbbezeichnung purple gibt es im Russischen keine 93
direkte Entsprechung. Im „Oxford Dictionnary" wird purple mit den Worten „mixture of red and blue in various proportions" beschrieben; es ist somit semantisch undifferenziert und überspannt die Bedeutungen mehrerer russischer Wörter (пурпуровый, фиолетовый, багровый). Auch im Vergleich zum Deutschen ergibt sich ein ähnliches Verhältnis, das allerdings in einer anderen Richtung verschoben ist, da man im Deutschen wie im Russischen gleichfalls v o n sieben Regenbogenfarben spricht, die sich aber im kurzwelligen Spektralbereich in ihren Grenzen nicht m i t den russischen decken; man vergleiche: зелёный — г о л у б о й — синий — фиолетовый und Grün — Blau — Indigo — Violett. Hier liegt das russische голубой an der Nahtstelle von Grün und Blau, das deutsche Indigo wiederum an der Nahtstelle von синий und фиолетовый. W e n n wir noch weitere Sprachen in die Betrachtung einbeziehen, so sehen wir, daß jede v o n ihnen ihr eigenes System v o n Farbbezeichnungen besitzt, das sich deutlich v o n den uns in unserer Muttersprache geläufigen unterscheidet. So bezeichnet z. B. in der bretonischen Sprache das W o r t glas den Bereich des Spektrums, der im Deutschen und Englischen durch zwei (Grün, Blau; green, blue), im Russischen sogar durch drei W ö r t e r (зелёный, голубой, синий) abgedeckt wird. * Es gibt sogar Sprachen, die lediglich zwei undifferenzierte Farbbezeichnungen besitzen — die eine für den langwelligen Teil des Spektrums (gleichzeitig für unser Rot, Orange und Gelb) und die andere für den kurzwelligen Teil (unser Grün, Blau, Indigo, Violett). Es wäre absurd, daraus zu folgern, daß die Träger dieser Sprachen „farbenblind" sind und die betreffenden Farben nicht zu unterscheiden vermögen. Das ist, wie wir schon betonten, nicht der Fall, da man in jeder Sprache durch geeignete Attributivfügungen eine beliebige Farbnuance wiedergeben kann (z. B. dunkelrot, gelbgrün, blauschwarz usw.). W a s hier entscheidend ist, das ist die Fähigkeit dieser Sprachen, Färb unterschiede u n b e z e i c h n e t zulass e n , die i n anderen Sprachen u n b e d i n g t ausgedrückt werden müssen. Interessant ist folgende Tatsache: Als die englischen Botaniker für Zwecke der wissenschaftlichen Beschreibung semantisch undifferenzierte Bezeichnungen für * V g l . G. Vendryes: „La langue", Paris, 1921.
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die beiden Hauptteiie des Spektrums — den roten (einschließlich gelb und orange) und den blauen (von grün bis violett) — benötigten, mußten sie die künstlichen Fachausdrücke xanthic und cvanic schaffen, da die englische Gemeinsprache keine Mittel zur undifferenzierten Bezeichnung jedes dieser beiden Spektralbereiche besitzt. * So interessant dieses Problem auch ist, wir können uns nicht länger bei ihm aufhalten, um so mehr, als es in der einschlägigen Literatur eingehend genug behandelt wurde. W i r wollen uns der vergleichenden Betrachtung einer anderen semantischen Gruppierung zuwenden, und zwar den Bezeichnungen für die Teile des 24-Stunden-Zyklus in verschiedenen Sprachen. Der Englischlernende erfährt bereits in den ersten Unterrichtsstunden, daß dem deutschen Morgen das englische morning entspricht, dem deutschen Tag — day, Abend — evening und Nacht — night, woraus sich zunächst folgende Gleichungen ergeben: morning day evening night
= = = =
Morgen Tag Abend Nacht
Je weiter man aber im Sprachstudium v o r a n k o m m t , desto mehr muß man sich davon überzeugen, daß diese „Gleichungen" ein äußerst vereinfachtes Bild entwerfen, während der eigentliche Sachverhalt wesentlich verwickelter ist. Immer häufiger stößt der Lernende bei seiner Lektüre auf solche Verwendungen der Wörter morning und night, die keineswegs mit Morgen bzw. Nacht übersetzt werden können, so z. B . : They were not summoned to Hitler's presence until 1.15 a. m. ... And he saw at once, as he entered the Fuehrer's study in the early-morning hour, that... ( W . L. Shirer, The Rise and Fall of the Third Reich.) R a w d o n left her and went home rapidly. It was nine o'clock at night. ( W . Thackeray, Vanity Fair.)
* H. A. Gleason: N . Y „ 1958, p. 5.
An Introduction to Deskriptive Linguistics.
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So kann sich der Englischlernende schnell davon überzeugen, daß die obigen Entsprechungen nur sehr annähernde sind. In Wirklichkeit „gliedert" das lexikalische System des Englischen denselben Abschnitt der objektiven W i r k l i c h keit eben anders als das des Deutschen. Der 24-StundenZ y k l u s zerfällt im Englischen eigentlich in drei Teile: morning (von Mitternacht bis Mittag), afternoon (von 12 bis 18 Uhr, also etwa bis Sonnenuntergang) und evening (von Sonnenuntergang bis Mitternacht, wonach wieder morning eintritt). Die Wörter day und night beziehen sich aber auf eine andere, unabhängig v o n dieser ersteren bestehende Einteilung in zwei Hälften — eine helle (day) und eine dunkle (night). Im Russischen gilt ein anderes System. Zunächst hat es eine allgemeinsprachliche Bezeichnung für die insgesamt 24 Stunden lange Tag- und Nachtzeitspanne, nämlich сутки. (Im Deutschen gibt es ein W o r t mit dieser Bedeutung nur in der Fachsprache der Seefahrt: das Etmal.) Die 24 Stunden werden in vier Teile eingeteilt: утро — v o n Sonnenaufgang bis etwa 10 oder 11 Uhr; день — im Anschluß daran bis Sonnenuntergang; вечер — v o n Sonnenuntergang bis kurz vor Mitternacht; ночь — die Zeit zwischen вечер und у т р о , die Zeit der Nachtruhe. Das W o r t день wird außerdem neben сутки, ähnlich wie im Deutschen und Englischen, metonymisch als Bezeichnung für 24 Stunden verwendet. Vergleichen wir damit die deutsche Tageseinteilung, so sehen wir wieder ein anderes Prinzip. Die Bedeutungen v o n Morgen, Tag, Abend und Nacht decken sich im allgemeinen mit denen der entsprechenden russischen Wörter. Darüber hinaus besitzt das Deutsche noch die Wörter Vormittag und Nachmittag, v o n denen das zweite zum Teil m i t englisch afternoon übereinstimmt, aber nicht unmittelbar mit Morgen und Nacht in Beziehung gebracht werden kann, sondern zusammen mit V o r m i t t a g die Zweiteilung des Abschnitts Tag angibt. Anstelle der oben angeführten Gleichungen ergibt sich somit folgendes Netz v o n zwischensprachlichen Bedeutungsverhältnissen innerhalb der behandelten Wortgruppe (zur besseren Anschaulichkeit sind auch die russischen Wörter mit in die Darstellung einbezogen worden): 96
Englisch
Deulsch
Russisch
§ 23. Der Nachweis derartiger „Netze" oder Systeme v o n wechselseitigen Beziehungen analoger lexikalisch-semantischer Gruppierungen in verschiedenen Sprachen ist eine recht interessante und für die Theorie und Praxis der Ubersetzung wichtige Aufgabe. Ein solches Vergleichsverfahren, wie wir es eben an Hand der Tageszeitbenennungen benutzt haben, läßt sich zum Teil auch in Form einer vergleichenden Analyse der in zweisprachigen W ö r terbüchern enthaltenen L e x i k ausführen, z. B. durch Gegenüberstellung der Angaben eines deutsch-russischen und eines russisch-deutschen Wörterbuches. Das geschieht f o l gendermaßen. Nehmen wir an, uns interessiert der V e r gleich der russischen und der deutschen Bezeichnungen für Trinkgefäße. W e n n wir v o m russischen W o r t стакан ausgehen, so erhalten wir im Wörterbuch das deutsche Ä q u i valent Glas. Nehmen wir nun dieses deutsche W o r t zum Ausgangspunkt, so finden wir im deutsch-russischen W ö r terbuch neben стакан auch Entsprechungen wie рюмка, бокал u. a. Schon auf dieser Stufe können wir deutlich den semantischen Inhaltsunterschied zwischen russisch стакан und deutsch Glas sehen: für das russische W o r t ist die hauptsächliche F o r m des Gefäßes maßgebend (zylindrisch oder jedenfalls zylinderähnlich), während im Deutschen Glas sich v o n anderen Gefäßen durch das M a t e r i a l unterscheidet. 7-019
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Deshalb kann man das russische бумажный (пластмассовый) стаканчик ins Deutsche eben nicht mit Glas, sondern nur mit Becher (Papier-, Kunststoffbecher) übersetzen. Die verschiedenen russischen Entsprechungen für Glas unterscheiden sich voneinander durch die Form (Vorhandensein oder Fehlen eines Fußes, Verhältnis von Höhe und Breite u. dgl. m.). W e n n wir einen Schritt weitergehen und die deutschen Entsprechungen für бокал im Wörterbuch nachschlagen, so erhalten wir wiederum einen ganzen Fächer v o n sinnverwandten, aber deutlich semantisch unterscheidbaren W ö r tern, und zwar u. a. Weinglas, Sektglas, Römer, Kelch, Pokal. Die ersten beiden sind durch das Unterscheidungsmerkmal „Bestimmung" gekennzeichnet, d. h. sie unterscheiden sich dadurch, für welches Getränk sie jeweils bestimmt sind, w o b e i die Tradition für verschiedene Getränke eben Gläser verschiedener Form vorschreibt. Der R ö m e r ist ein Glas von ganz besonderer, im russischen Sprachgebiet praktisch unbekannter Form (breiter, gewundener Fuß), Kelch bezeichnet ebenfalls ein Trinkglas besonderer Form mit Fuß und Stiel und gehört außerdem eher der gehobenen Sprache an (vgl. russisch чара, чаша), dabei wird meist an wertvolleres Material (z. B. Kristall) gedacht. Ein Pokal beschreibt das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" als „großes, prunkvolles kelchartiges Trinkglas aus Edelmetall oder Glas m i t einem Fuß (und Deckel), das bei Sportwettkämpfen häufig als Siegerpreis gestiftet wird". Die russische Entsprechung dafür ist in den meisten Fällen кубок, manchmal auch бокал. Für кубок findet sich im Deutschen neben Pokal auch Becher, welches wiederum unter seinen Äquivalenten W ö r ter wie кружка und чаша aufweist, von denen wir dann zu Krug und Schale k o m m e n usw. usf. W i r werden diese Prozedur nun nicht weiterführen und wollen uns auf die Feststellung beschränken, daß wir es hier mit zwei korrelierenden Wortgruppen zu tun haben, deren Elemente sowohl innerhalb einer jeden der beiden Partnersprachen als auch zwischensprachlich durch ein kompliziertes Netz von semantischen Beziehungen verknüpft siud, das das oben dargestellte an Vielfalt weit übertrifft. Denn außer den eben untersuchten Wörtern gibt es ja in beiden Sprachen noch zahlreiche andere (z. В. фужер, стопка usw. im Bussischen, Schwenker, Tulpe, Tasse usw. 98
im Deutschen). In beiden Sprachen beruht die jeweilige Benennung des Gegenstandes auf verschiedenen, logisch uneinheitlichen Merkmalen wie Größe, Form, Material, Bestimmung u. dgl., wobei die Grenzen zwischen „benachbarten" Gegenstandsgruppen oder - t y p e n in jeder Sprache verschieden gezogen werden. Selbstverständlich stützt sich eine solche Analyse, will sie wirklich erschöpfend sein, nicht nur auf zweisprachige, sondern auch auf einsprachige erklärende Wörterbücher, denn nur in ihnen wird der semantische Inhalt und Unterschied dieser Wörter vollständig erschlossen. (Dabei möchten wir daran erinnern, daß es uns hier vorrangig um die referentielle Bedeutung geht, während die pragmatische Bedeutung, u. a. die stilistische Färbung, absichtlich unberücksichtigt bleibt. Dies ist aber nur teilweise möglich, da z. B. Gegenstände aus wertvollem Material ja an sich höher geschätzt werden als ähnliche Erzeugnisse aus alltäglichen Werkstoffen, und diese höhere Wertschätzung klingt unvermeidlich bei jeder Nennung des betreffenden Wortes m i t . ) Zur erschöpfenden Erschließung der Semantik der W ö r t e r bedarf es aber einer eingehenden Untersuchung ihrer Bedeutung im realen sprachlichen Kontext (z. B. in Texten der schönen Literatur). Unseres Erachtens kann eine derartige vergleichende Analyse der thematisch gruppierten Lexik v o n zwei Sprachen nicht nur Übersetzern, für die sie unentbehrlich ist, sondern allen Sprachlernenden nützlich sein.* Diese Untersuchungen zeigen anschaulich, daß die lexikalischen Einheiten v o n zwei Sprachen nur selten in ihrer referentiellen Bedeutung vollständig übereinstimmen, meistens ist diese Ubereinstimmung nur eine partielle, da sie nur in ihrer G e s a m t h e i t den gleichen Bedeutungsumfang abzudecken imstande sind wie ihre anderssprachlichen Ä q u i v a lente. *Als selbständige Übung empfehlen wir dem Leser eine vergleichende Untersuchung des deutschen und russischen (bzw. englischen usw.) Wortschatzes unter Verwendung von zunächst zweisprachigen und danach auch einsprachigen Wörterbüchern an Hand bestimmter semantischer Gruppen, wie z. B. die deutschen Wörter Stärke, Macht, Kraft, Leistung und die russischen Parallelen сила, мощь, мощность, энергия (bzw. englisch strength, power, might, force, energy). Man kann sich dazu auch eine andere Gruppe von Substantiven, Adjektiven oder Verben wählen. 7*
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§ 24. Der dritte Fall des wechselseitigen Verhältnisses der Lexik v
daß zur äquiva!entlosen Lexik Eigennamen gehören, die den Trägern der Partnersprache w e n i g e r b e k a n n t sind (wobei auch dieses einschränkende Merkmal natürlich nur relativ ist). 2. Sogenannte Realien, d. h. Wörter für Gegenstände, Begriffe und Situationen, die in der praktischen Erfahrung der Träger einer anderen Sprache einfach nicht vorhanden s i n d . [ D a z u gehören u. a. Wörter, die verschiedene Gegenstände der materiellen und geistigen Kultur bezeichnen, welche nur dem jeweiligen Sprachvolk eigen sind: z. B. Nationalgerichte (deutsch Eisbein, Ivaßler, Halbgefrorenes, Weißbier; russisch щи, борщ, квас, калач; englisch muffin, haggis, toffee, butter-scotch); Trachten (russisch сарафан, душегрейка, кокошник, лапти; deutsch Lodenmantel, Dirndl, Krachlederne); Tänze (russisch трепак, гопак; deutsch Schuhplattler, Rheinländer; englisch pop-goesthe-weasel); Volksdichtungsformen (russisch частушки, deutsch Knittelvers, englisch limericks) u. dgl. m. Hierher gehören auch Wörter und Wortverbindungen, die nur dem jeweiligen Lande eigene politische und gesellschaftliche Institutionen bezeichnen (vgl. russisch агитпункт, красный уголок, дружинник, трудовая вахта; deutsch Jugendweihe, Messe der Meister v o n Morgen, Nationales Aufbauwerk; englisch primaries, caucus, l o b b y i s t usw.), Einrichtungen für den Handel und kulturelle Dienstleistungen (russisch дом культуры, чайная, изба-читальня; deutsch Reformhaus, Rummelplatz; englisch-amerikanisch drugstore, grill-room, drive-in) u. dgl. m. Auch hier ist es nicht so einfach zu entscheiden, wie lange ein W o r t noch zu den äquivalentlosen Realien zu rechnen ist, denn ein okkasionelles Übersetzungsäquivalent (näheres siehe weiter, S. 109) kann sich zu einer stabilen Wörterbuch mäßigen Entsprechung entwickeln. So entstanden in der russischen Sprache die Wörter Народная палата für Volkskammer, Бундестаг für Bundestag, курфюрст für Kurfürst u. dgl., im Deutschen Lordsiegelbewahrer für Lord Privy Seal, Slrumpfbandorden für the Garter u. a. m. Nachdem solche Entlehnungen bzw. Lehnübersetzungen vollzogen worden sind, dürfen die AS-Wörter gegenüber der Zielsprache nicht mehr als äquivalentlos gelten. Dabei ist, wie bei den Eigennamen, der Zeitpunkt des Ubergangs einer okkasionellen Entsprechung in eine usuelle häufig nicht mit Bestimmtheit auszumachen. 101
г Г ЗЛ-Lexikalische Einheiten, die man als zufällige Fehlstellen bezeichnen kann. W i r verstehen dabei die W o r t schatzeinheiten in einer Sprache, für die aus irgendeinem Grund (der nicht immer begreiflich ist) in der Lexik der anderen Sprache ständige Entsprechungen (in Form von Wörtern oder Wortverbindungen) einfach fehlen. So wurde bereits oben festgestellt, daß das russische W o r t суткиг im Deutschen (und Englischen) keine Entsprechung hat,; so daß es entweder umschreibend oder durch eine bestimmte Stundenzahl wiederzugeben ist. Z.B. Я приеду через сутки (через двое су ток) — Ich bin in vierundzwanzig (achtundvierzig) Stunden zurück, oder, wenn die ununterbrochene Tätigkeit betont werden muß — durch die Verbindung Tag und Nacht: Они работали четверо суток — Sie haben vier Tage und vier Nächte gearbeitet. So besitzt das Deutsche ebenfalls keine lexikalischen Äquivalente für die russischen Wörter кипяток, погорелец. Im Russischen wiederum finden sich keine Entsprechungen für resigniert, Sterbezimmer usw. Manchmal läßt sich das Fehlen von Äquivalenten für derartige Wörter durch kulturhistorische oder soziale Ursachen erklären. Das Vorhandensein des Wortes погорелец im Russischen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß im alten Rußland Brände und die durch sie verursachte Verelendung v o n Bauernfamilien ein häufiges Ereignis waren, während in den Gegenden Europas, wo selbst auf dem Dorfe die Häuser meistens aus Stein oder Ziegeln gebaut sind, das viel seltener vorkam und deshalb keiner eigenen Bezeichnung bedurfte. In den meisten Fällen ist keine „rationelle" Erklärung dafür zu finden, daß in der einen Sprache ein W o r t mit einer bestimmten Bedeutung fehlt, während es in einer anderen Sprache vorhanden ist. W i r müssen uns hier, wie überhaupt bei der Beschreibung v o n Sprachunterschieden, eben mit einem Verweis auf die „nationale Eigenart" des jeweiligen Sprachbaus begnügen, wenn wir die Gründe für das Vorhandensein bzw. Fehlen der jeweiligen Worteinheit in einer uns interessierenden Sprache nicht ermitteln können.
§ 2 . \ Die Bezeichnung „äquivalentlose Lexik" verwenden wir, das sei hier besonders betont, ausschließlich in dem Falle, wo eine lexikalische Einheit der einen Sprache keine Entsprechung i m L e x i k o n der anderen Sprache 102
hat. Es wäre aber falsch, diese Bezeichnung im Sinne der „Unübersetzbarkeit" des jeweiligen Wortes zu verstehen. Es wurde bereits mehrmals festgestellt, daß jede Sprache im Prinzip einen beliebigen Begriff auszudrücken vermag. Das Fehlen einer speziellen Bezeichnung für irgendeinen Begriff im Wortbestand einer Sprache in Form eines Wortes oder einer stehenden Wortverbindung bedeutet keinesfalls, daß es unmöglich ist, diesen Begriff mit den Mitteln dieser Sprache zum Ausdruck zu bringen. O b w o h l das entsprechende Zeichen im System der S p r a c h e fehlt, kann der betreffende'^Inhalt i n der R e d e i n einem konkreten T e x t durch verschiedene Mittel ausgedrückt werden.
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In der deutschsprachigen politischen Literatur treffen wir die Transliteration von Realien aus der russischen Sprache an wie K o l c h o s , Subbotnik, Duma u. dgl. Dieses Verfahren wird häufig in zweisprachigen Wörterbüchern angewandt, wenn es um die Wiedergabe von äquivalentloser Lexik geht; so finden sich z. B. im „Russischdeutschen Wörterbuch" (herausgegeben von E. J. Leping, N. P. Strachowa, K. Leyn und R. Eckert) als Äquivalente für die russischen Wörter борщ, квас, калач, окрошка, самовар die Transkriptionen Borschtsch, Kwaß, Kaiatsch, Okroschka, Samowar, die meist von Erläuterungen, d. h. beschreibenden Übersetzungen begleitet sind (vgl. S. 106). Bei der Wiedergabe v o n literarischen Kunstwerken k o m m t dieses Verfahren seltener vor. Als Beispiel können wir die Ubersetzungen eines Satzes aus Gorkis „ K i n d h e i t " ins Englische anführen, in dem die Bezeichnungen von spezifischen Kleidungsstücken der alten russischen Volkstracht vorkommen: В сундуках у него лежало множество диковинных нарядов: штофные юбки, атласные душегреи, шелковые сарафаны, тканые серебром, кики и кокошники, шитые жемчугами... (гл. X I ) His trunks were f ü l l of many extraordinary costumes: brocaded skirts, satin vests, cloth-of-gold sarafani, kiki and kokoshniki, ornamented with pearls... (tr. by M. W e t tlin) In einer Anmerkung werden die transkribierten russischen Wörter folgenderweise erläutert: „sarafani — long, sleeveless dresses; kiki andj kokoshniki — headdresses". Somit verbindet sich hier die Transkription mit der beschreibenden Ubersetzung, die weiter unten zu behandeln ist. Es gab eine Zeit, da die Tendenz zur weitestgehenden Verwendung der Transkription und Transliteration in der Ubersetzung stark verbreitet war, was zuweilen zu unvertretbaren Übertreibungen führte. Der sowjetische Übersetzer und Literaturwissenschaftler I. A. Kaschkin kritisierte diese mißbräuchliche Verwendung der Transkription in den Dickens-Ubersetzungen der dreißiger Jahre mit folgenden ironischen Bemerkungen: „Здоровая тенденция разумного приближения к фонетической точности написания здесь переходит в свою противоположность... атерны и прочие скривенеры; къюриты и прочие реверенд-мистеръц сэндуичи и прочие тоусты; начинательные приказы и прочие риты 104
(writs) и термины (в смысле сессий); спекуляции и прочие крибиджы. Причем читателю, не заглянувшему в комментарий, приходится догадываться, что спекуляция — это карточная игра, так же как и глик и поп-Джон... К общеизвестным напиткам: джину, г р о г у , пуншу, элю навязываются еще холендс, клерет, порт, тоди, хок, стаут, нигес..., скиддем, бишоп, джулеп, флип, снэпдрегон, уоселъ... Точно так же к издавна известным кэбам, фаэтонам, кабриолетам, шарабанам пристраиваются гиги, шезы, комодоры, брумы, беруши, тильбюри, кларенсы, догкарты, стенхопы, хенсомы и прочие шендриданы.11 * Gegenwärtig wird die Transliteration und Transkription bei der Übersetzung literarischer Werke viel weniger verwendet als früher. Dies ist durchaus begründet, ist doch die Wiedergabe des Laut- oder Schriftbildes einer fremdsprachlichen Worteinheit ungeeignet, die Bedeutung dieser Einheit zu erschließen, so daß der Leser, der der Ausgangssprache. nicht mächtig ist, sie ohne zusätzliche Erläuterungen nicht zu verstehen vermag. Daher darf dieses Verfahren bei der Wiedergabe fremdsprachlicher Realien nur in bescheidenem Maße angewandt werden. 2. Lehnübersetzung. Dieses Verfahren besteht in der W i e dergabe äquivalentloser Lexik der Ausgangssprache mittels Substitution ihrer Bestandteile (der Morpheme des Wortes oder der Wörter in einer Wortverbindung) durch deren direkte zielsprachliche Ä q u i v a l e n t e / D a s linguistische Wesen dieses Verfahrens wird im Kapitel 4 behandelt. Hier wollen wir nur einige Beispiele für Lehnübersetzungen äquivalentloser Einheiten aus dem Deutschen und Englischen ins Russische sowie aus dem Russischen in diese Sprachen? nennen: Volkskammer — Народная палата, Nationale § Volksarmee — Национальная народная армия, Berufsverbot — запрет на профессию; grand jury — большое жюри, b a c k bencher —'заднескамеечник; brain-drain — утечка мозгов; колхоз (коллективное хозяйство) — Kollektivwirtschaft; райисполком — R a y o n e x e k u t i v k o m i t e e ; дом культуры — H o u se of Culture; кандидат наук — Candidate of Science usw. Ähnlich der Transkription und Transliteration erschließt auch die Lehnübersetzung dem Leser, der die Ausgangssprache nicht beherrscht, die Bedeutung der übersetzten Einheit *И. А . Кашкин: Ложный принцип и неприемлемые результаты. „Иностранные языки в школе", М . , 1952, № 2, с. 33. V g l . ebenso. II. Галь: Слово жпвое и мертвое, М . , „ К н и г а " , 1972, с. 51.
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nur liöchst ungenügend. Das kommt daher, daß die zusammengesetzten Wörter oder stehenden Wortverbindungen, die am häufigsten durch Lehnübersetzungen wiedergegeben werden, meist eine Bedeutung besitzen, die sich nicht unmittelbar aus der Summe der Bedeutungen der Teilelemente ergibt. Bei der Lehnübersetzung wird jedoch nur die Bedeutung der Elemente vermittelt, so daß die Gesamtbedeutung des Komplexes dem ZS-Leser verborgen bleibt. Народный суд ist in der Sowjetunion die Bezeichnung für das unmittelbar von der Bevölkerung gewählte Gericht der ersten Instanz, was freilich der Ubersetzung „Volksgericht" nicht unmittelbar entnommen werden kann. Genauso wäre die russische Wortverbindung запреты на профессию an sich unverständlich, wenn man nicht über die antidemokratische Praxis der Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland informiert wäre. 3. Beschreibende („erläuternde") Übersetzung. Dieses Verfahren der Wiedergabe äquivalentloser Lexik besteht darin, daß die Bedeutung der ausgangssprachlichen Einheit mittels ausgedehnter Wortgruppen dargestellt wird, die die wesentlichen Merkmale des durch die zu übersetzende lexikalische Einheit bezeichneten Begriffes erschließen und somit einer Begriffsdefinition gleichkommen. J3ier einige Beispiele dafür, wie englische äquivalentlose Lexik nach dieser Methode ins Russische übersetzt wird: landslide победа на выборах с большим перевесом голосов; brinkmanship искусство держать мир на грани войны; whistle-stop speech агитационное выступление кандидата во время остановки поезда; coroner следователь, производящий дознание в случае насильственной или скоропостижной смерти; floorer сильный удар, сшибающий с ног oder übertragen озадачивающий вопрос, трудная задача. Aus dem Deutschen ins Russische übersetzt man nach dieser Methode z. B. folgende Einheiten: Senkrechtstarter человек, сделавший быструю карьеру; Stadtstreicher человек, занимающийся бродяжничеством в городе; человек без определенных занятий и места жительства. Auch russische äquivalentlose Wörter werden so ins Deutsche oder Englische übersetzt, z. В. щи Kohlsuppe, cabbage soup; дружинник Milizhelfer, public order volunteer u. dgl. Es liegt auf der Hand, daß die umschreibende Ubersetzung zwar die Bedeutung der äquivalentlosen ausgangs106
sprachlichen Lexik tatsächlich mit den Mitteln der Zielsprache erschließt, aber den wesentlichen Nachteil besitzt, sehr schwerfällig und „unwirtschaftlich" zu sein. Das ist zwar das übliche Verfahren bei der Wiedergabe von äquivalentlosen Wörtern in zweisprachigen Wörterbüchern, aber in praktischen Ubersetzungen, vor allem literarischer Texte, ist seine Anwendung nicht immer möglich, ebenso wie es bei der Transkription und Transliteration der Fall ist. Häufig muß der Ubersetzer beide Verfahren (die Transkription/Transliteration und die umschreibende Ubersetzung) zugleich anwenden, wobei die Umschreibung gewöhnlich als Fußnote, wie im obigen Beispiel aus M. Gorkis „ K i n d heit", oder im Kommentar gebracht wird. Dadurch wird es möglich, die Kürze und Sparsamkeit der Transkription (oder Lehnübersetzung) mit der semantischen Erschließung der zu übersetzenden Einheit zu verbinden, die durch die umschreibende Ubersetzung erreicht wird. W e n n der Übersetzer die Bedeutung der betreffenden Einheit einmal erläutert hat, kann er im weiteren die Transkription oder Lehnübersetzung verwenden, deren Bedeutung dem Leser nunmehr bekannt ist. 4 ц'"Die annähernde Übersetzung (Ubersetzung mittels eines „Analogons") besteht darin, daß für die AS-Einheit, die keine exakte Entsprechung in der Zielsprache besitzt, eine bedeutungsmäßig ihr am nächsten stehende ZS-Einheit gefunden w i r d . / E i n Beispiel dafür ist im oben angeführten Gorki-Zitat enthalten, wo das russische душегрея annähernd mit englisch ,vest' übersetzt ist. Das englische W o r t ,vest' (etwa mit derselben Bedeutung wie deutsch ,Weste') gibt nur annähernd die Bedeutung des russischen душегрея wieder, das eine ärmellose warme Frauenjacke bezeichnet. Für Zwecke der Ubersetzung erweist sich jedoch diese unvollständige, nur annähernde Entsprechung als durchaus geeignet. Derartige annähernde Äquivalente lexikalischer Einheiten kann man als „Analoga" bezeichnen. „Analoga" finden weitgehend Verwendung in britischen Periodika oder gesellschaftlich-politischen Texten als Bezeichnungen für Erscheinungen, die für die sowjetische Wirklichkeit typisch sind (für sogenannte „Sowjetismen"), z. В. горсовет Municipal Council; председатель горсовета Mayor; техникум junior College; путевка voucher u. dgl. Dasselbe geschieht bei der Ubersetzung aus dem Russischen ins Deutsche: местком Gewerkschaftsleitung, здание горсовета Rathaus, техникум Fach107
schule. Obwohl diese Äquivalente den Inhalt der AS-Wörter nur annähernd wiedergeben, rechtfertigt das Fehlen exakter Äquivalente im Englischen und Deutschen ihre Verwendung, da sie eine gewisse Vorstellung v o m Charakter des bezeichneten Objekts oder Phänomens vermitteln. Das gleiche Verfahren wird selbstverständlich auch bei der Ubersetzung aus dem Englischen oder Deutschen ins Russische angewandt, z. B. drugstore аптека, muffin сдоба, R e f o r m haus диетический магазин usw. Beim Gebrauch von „Analoga" in der Übersetzung ist zu beachten, daß sie die Bedeutung des Ausgangswortes nur angenähert wiedergeben, so daß eine zum Teil inkorrekte Vorstellung von der bezeichneten Sache oder Erscheinung entstehen kann. Die übliche Ubersetzung des amerikanischen drugstore mit аптека gibt keine richtige Vorstellung von den eigentlichen Funktionen dieser Einrichtung. In russischen Apotheken (аптека) gibt es nur Arzneimittel oder höchstens noch Kosmetika zu kaufen, während im amerikanischen drugstore auch diverse Artikel des täglichen Bedarfs erhältlich sind, ferner Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Kaffee und Eis, und darüber hinaus fungieren die drugstores auch noch als eine Art Imbißstube. W e n n also in der russischen Synchronisation eines amerikanischen Filmes eine Person sagt В аптеках ужасно кормят (wörtlich „Das Essen in den Apotheken ist fürchterlich" für amerikanisch „Food is awful in drugstores"), so ist der russischsprachige Zuschauer verwundert. Hier wäre ein anderes „Analogon" angebracht, nämlich закусочная (Imbißstube). Ähnlich verhält es sich mit deutsch-russischen Wortpaaren wie R e formhaus — диетический магазин oder Schaffner — проводник. Angesichts derartiger Fehlerquellen erläutern erfahrene Ubersetzer die v o n ihnen verwendeten „Analoga" im K o m mentar zur Übersetzung. So ist es zum Beispiel üblich, den russischen Adelstitel князь' (Fürst) ins Englische mit prince zu übersetzen. Aber dieses^englische W o r t hat eine Bedeutung, die sich eher mit dem russischen принц (Prinz) deckt. W e n n ein englischer Leser in der Übersetzung von Dostojewskis R o m a n „Der Idiot" auf князь Мышкин (Fürst Myschkin) stößt, könnte er ihn für einen Prinzen halten, was die gesamte Situation in ein falsches Licht rücken würde. Daher handelte der Ubersetzer J. M. Katzer durchaus richtig, als er in den Kommentar zu seiner Ubersetzung dieses Romans 108
eine Erläuterimg aufnahm, aus der der eigentliche Sinn des Titels KHH3B im vorrevolutionären Rußland hervorging. 5CTransformationsübersetziing. In einigen Fällen wird bei der Wiedergabe äquivalentloser Lexik eine Umstellung der syntaktischen Satzkonstruktion erforderlich bzw. eine lexikalische Substitution mit völliger Veränderung der ausgangssprachlichen Wortbedeutung, oder beides zugleich, d. h . , eine lexikalisch-grammatische Übersetzungstransformation (siehe K a p . 5). Eine solche Übersetzung wird als Transformationsübersetzung bezeichnet. Das englische W o r t glimpse, für das es kein äquivalentes deutsches Substantiv gibt, wird häufig in Verbindungen wie to have (to catch) a glimpse of (something or somebody) gebraucht. Dies berechtigt zur Wiedergabe dieses Substantivs durch ein Verb und somit zur syntaktischen Umstrukturierung des Satzes, z. B . : I could catch glimpses of him in the windows of the sittingroom (A. C. D o y l e , The Adventures of Sherlock Holmes) kann übersetzt werden als Ich sah seine Gestalt ein paarmal im Wohnzimmerfenster. Bei der Übersetzung des englischen Wortes exposure, das im Deutschen (wie im Russischen) keine direkte Entsprechung hat, läßt sich häufig eine lexikalische Substitution anbringen. Der Satz He diecl of exposure wäre zu übersetzen als Er starb an Erkältung, Er ist an einem Sonnenstich gestorben, Er ist im Schnee erfroren usw. Die richtige W a h l unter diesen Alternativvarianten setzt die Kenntnis des weiteren Kontextes bzw. der extralinguistischen Situation voraus, w o v o n nachstehend noch die Rede sein soll. W i r sehen somit, daß das Fehlen direkter Äquivalente für bestimmte Gruppen lexikalischer Einheiten der einen Sprache im Wortschatz der anderen keinesfalls mit einer „Unübersetzbarkeit" dieser Einheiten in diese andere Sprache gleichzusetzen ist. D e m Ubersetzer stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, um die Bedeutung der ausgangssprachlichen Einheit i n der R e d e , i m konkreten Text wiederzugeben. Bei der Verwendung eines der drei erstgenannten Mittel (Transkription, Lehnübersetzung und umschreibende Ubersetzung) entsteht das, was man als okkasionelles Übersetzimgsäquivalent bezeichnen kann, nämlich ein W o r t oder eine Wortverbindung, die (noch) nicht in das Lexikon der Zielsprache eingegangen ist und in der Rede als „potentielle" lexikalische Einheit verwendet wird. W i e bereits festgestellt, verwandelt sich ein solches okkasionelles Ä q u i 109
schule. Obwohl diese Äquivalente den Inhalt der AS-Wörter nur annähernd wiedergeben, rechtfertigt das Fehlen exakter Äquivalente im Englischen und Deutschen ihre Verwendung, da sie eine gewisse Vorstellung v o m Charakter des bezeichneten Objekts oder Phänomens vermitteln. Das gleiche Verfahren wird selbstverständlich auch bei der Ubersetzung aus dem Englischen oder Deutschen ins Russische angewandt, z. B. drugstore аптека, muffin сдоба, R e f o r m haus диетический магазин usw. B e i m Gebrauch v o n „Analoga" in der Übersetzung ist zu beachten, daß sie die Bedeutung des Ausgangswortes nur angenähert wiedergeben, so daß eine zum Teil inkorrekte Vorstellung von der bezeichneten Sache oder Erscheinung entstehen kann. Die übliche Ubersetzung des amerikanischen drugstore mit аптека gibt keine richtige Vorstellung von den eigentlichen Funktionen dieser Einrichtung. In russischen Apotheken (аптека) gibt es nur Arzneimittel oder höchstens noch Kosmetika zu kaufen, während im amerikanischen drugstore auch diverse Artikel des täglichen Bedarfs erhältlich sind, ferner Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Kaffee und Eis, und darüber hinaus fungieren die drugstores auch noch als eine Art Imbißstube. W e n n also in der russischen Synchronisation eines amerikanischen Filmes eine Person sagt В аптеках ужасно кормят (wörtlich „Das Essen in den Apotheken ist fürchterlich" für amerikanisch „Food is awful in drugstores"), so ist der russischsprachige Zuschauer verwundert. Hier wäre ein anderes „Analogon" angebracht, nämlich закусочная (Imbißstube). Ä h n l i c h verhält es sich mit deutsch-russischen Wortpaaren wie R e formhaus — диетический магазин oder Schaffner — проводник. Angesichts derartiger Fehlerquellen erläutern erfahrene Ubersetzer die von ihnen verwendeten „Analoga" im K o m mentar zur Übersetzung. So ist es zum Beispiel üblich, den russischen Adelstitel князь' (Fürst) ins Englische mit prince zu übersetzen. Aber dieses^englische W o r t hat eine Bedeutung, die sich eher mit dem russischen принц (Prinz) deckt. W e n n ein englischer Leser in der Ubersetzung von Dostojewskis R o m a n „Der I d i o t " auf князь Мишкин (Fürst Myschkin) stößt, könnte er ihn für einen Prinzen halten, was die gesamte Situation in ein falsches Licht rücken würde. Daher handelte der Ubersetzer J. M. Katzer durchaus richtig, als er in den Kommentar zu seiner Ubersetzung dieses Romans 108
eine Erläuterimg aufnahm, aus der der eigentliche Sinn des Titels киязь im vorrevolutionären Rußland hervorging. 5 C j r a n s f o r m a t i o n s ü b e r s e t z u n g . In einigen Fällen wird bei der Wiedergabe äquivalentloser Lexik eine Umstellung der syntaktischen Satzkonstruktion erforderlich bzw. eine lexikalische Substitution mit völliger Veränderung der ausgangssprachlichen Wortbedeutung, oder beides zugleich, d. h. • eine lexikalisch-grammatische Übersetzimgstransformation (siehe K a p . 5). Eine solche Übersetzung wird als Transformationsübersetzimg bezeichnet. Das englische W o r t glimpse, für das es kein äquivalentes deutsches Substantiv gibt, wird häufig in Verbindungen wie to have (to catch) a glimpse of (something or somebody) gebraucht. Dies berechtigt zur Wiedergabe dieses Substantivs durch ein Verb und somit zur syntaktischen Umstrukturierung des Satzes, z. В . : I could catch glimpses of h i m in the windows of the sittingroom (А. C. D o y l e , The Adventures of Sherlock Holmes) kann übersetzt werden als Ich sah seine Gestalt ein paarmal im Wohnzimmerfenster. Bei der Übersetzung des englischen Wortes exposure, das im Deutschen (wie im Russischen) keine direkte Entsprechung hat, läßt sich häufig eine lexikalische Substitution anbringen. Der Satz He died of exposure wäre zu übersetzen als Er starb an Erkältung, Er ist an einem Sonnenstich gestorben, Er ist im Schnee erfroren usw. Die richtige W a h l unter diesen Alternativvarianten setzt die Kenntnis des weiteren Kontextes bzw. der extralinguistischen Situation voraus, w o v o n nachstehend noch die Rede sein soll. W i r sehen somit, daß das Fehlen direkter Äquivalente für bestimmte Gruppen lexikalischer Einheiten der einen Sprache im Wortschatz der anderen keinesfalls mit einer „Unübersetzbarkeit" dieser Einheiten in diese andere Sprache gleichzusetzen ist. Dem Ubersetzer stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, um die Bedeutung der ausgangsspraclilichen Einheit i n der R e d e , i m konkreten Text wiederzugeben. Bei der Verwendung eines der drei erstgenannten Mittel (Transkription, Lehnübersetzung und umschreibende Übersetzung) entsteht das, was man als okkasionelles Übersetzmigsäquivalent bezeichnen kann, nämlich ein W o r t oder eine Wortverbindung, die (noch) nicht in das Lexikon der Zielsprache eingegangen ist lind in der Rede als „potentielle" lexikalische Einheit verwendet wird. W i e bereits festgestellt, verwandelt sich ein solches okkasionelles Ä q u i 109
valent häufig in ein usuelles, also stehendes, ständig verwendetes. Dies bedeutet, daß die betreffende lexikalische Einheit in den Wortschatz der Zielsprache eingeht (und letztlich auch in die Wörterbücher dieser Sprache aufgenommen wird). In diesem Fall verliert die ausgangssprachliche Einheit den Charakter der Äquivalentlosigkeit. Es läßt sich selbstverständlich gar nicht immer mit Bestimmtheit feststellen, ob eine gegebene Okkasionalbildung bereits in den ZS-Wortschatz eingegangen und somit usuell geworden ist, da der eigentliche Zeitpunkt des Uberganges einer lexikalischen Einheit (eines „Neologismus") aus der R e d e i n d i e S p r a c h e meistens nicht exakt nachweisbar ist. So gibt es z. B. keine zuverlässigen Kriterien dafür, ob Bildungen wie трайбализм oder заднескамеечник (für tribalism und backbencher) als usuelle Äquivalente der betreffenden englischen Wörter gelten können, da es unklar ist, ob diese Wörter in den Wortschatz der russischen Sprache eingegangen sind. Genauso besteht keine Klarheit in der Frage, ob die englische Wortverbindung cabbage soup ein stehendes und somit usuelles Äquivalent für russisch щи ist oder ob es sich um eine freie Wortverbindung handelt, also um ein Faktum der Rede und nicht der Sprache (des Wortschatzes). Für die Praxis der Ubersetzung spielen diese Fragen allerdings eine untergeordnete R o l l e . Leser, die sich näher für das Problem der Wiedergabe äquivalentloser Lexik interessieren, finden eingehendere Behandlungen dieser Fragen in einschlägigen Veröffentlichungen.
§ 26. Bisher ging es um die Wiedergabe der referentiellen Bedeutung eines Wortes (bzw. einer Wortverbindung), bei der es sich (nach § 14, K a p i t e l 2) um die Bezogenheit des W o r tes auf einen R e f e r e n t e n , d . h . auf eine K l a s s e qualitativ (in bestimmter Hinsicht) gleichartiger Gegenstände, Prozesse, Sachverhalte usw. handelt. Am gleichen Ort wurde aber festgstellt, daß in der R e e, im konkreten Text die Zeichen meistens nicht die gesamte Klasse (den Referenten) bezeichnen, sondern nur einen Einzelvertreter dieser Klasse, einen konkreten Gegenstand (Prozeß, Sachverhalt usw.), den wir das D e n o t a t nannten. Die Ubersetzung hat nicht mit der Sprache zu tun, wie wir bereits wiederholt betonten, sondern mit der Rede, mit konkreten Redeer110
Zeugnissen (Texten). Daher werden bei der Ubersetzung die Entsprechungen zwischen den Zeichen der Partnersprachen häufig nicht auf der Ebene der Referenten, sondern a u f der E b e n e der D e n o t a t e hergestellt. Die AS-Einheit und ihr okkasionelles Äquivalent in der Z i e l sprache können somit in ihrer referentiellen Bedeutung auseinandergehen und sich zugleich in den von ihnen bezeichneten Denotaten decken. Nehmen wir an, wir haben folgenden Satz aus dem Deutschen ins Englische zu übersetzen: Die vietnamesische Gewerkschaf tsdelegation, die in Berlin weilte, ist gestern in ihre Heimat abgereist. Die englischen Äquivalente des deutschen W o r tes „Heimat" sind u. a. homeland, motherland, mother country. Alle diese Wörter decken sich zwar mit der referentiellen Bedeutung des deutschen Wortes Heimat, unterscheiden sich von diesem aber durch ihre pragmatische Bedeutung — sie sind alle emotionell gefärbt, während das deutsche Heimat in Wortfügungen wie in die Heimat fahren u. dgl. e m o t i o nell neutral ist. Man könnte zwar den Ausdruck to leave for home nach Hause fahren verwenden, aber es ist zu bedenken, daß der Ubersetzer eigentlich keinen zwingenden Grund hat, in diesem Falle die lexische Bedeutung des deutschen W o r tes Heimat zu bewahren, was z. B. notwendig wäre, wenn das W o r t hier als Gattungsbezeichnung gebraucht, cl. h. auf den Referenten insgesamt bezogen wäre (z. B. Man muß seine Heimat lieben). In unserem Falle k o m m t es aber darauf an, wohin eigentlich die vietnamesische Delegation abgereist ist. Die Heimat der Vietnamesen ist selbstverständlich Vietnam, Denotat des Wortes Heimat ist somit i n d i e s e m F a l l e das Land Vietnam. Daher dürfen wir in die Heimat abgereist mit left for Vietnam (oder auch: for Hanoi) übersetzen. Die Äquivalenz der Ubersetzung ergibt sich in unserem Beispiel aus der Identität der im A S Text und i m ZS-Text bezeichneten D e n o t a t e , ungeachtet dessen, daß die referentiellen Bedeutungen der Wörter Heimat und Vietnam (oder Hanoi, Sozialistische R e p u b l i k Vietnam usw.) verschieden sind. Zur Veranschaulichung des Gesagten seien folgende B e i spiele aus der russischen Übersetzung von J. Salingers Erzählung „The catcher in the R y e " angeführt: That isn't too far from this crumby place... (Ch. 1) Это не очень далеко отсюда, от этого треклятого санатория... 111
A l l he did was lift the Atlantic Monthly off his lap and try to chuck it on the bed, next to me. (Gh. 2) Просто оп взял журнал с колен и хотел кинуть его на кровать, где я сидел. Im ersten Falle wird das allgemeine Wort place mit санаторий übersetzt, der konkreten Bezeichnung des Ortes, wo sich im geschilderten Moment die Ich-Person der Erzählung befindet. (Diese Konkretisierung wird selbstverständlich auf Grund der im weiteren K o n t e x t enthaltenen Information vorgenommen.) Im zweiten Falle geschieht eine umgekehrte Substitution: Anstelle des konkreten Zeitschriftentitels •verwendet der Übersetzer die allgemeine Gattungsbezeichnung журнал (ein Rückgriff auf den K o n t e x t ist hier nicht nötig, da mit dem englischen W o r t m o n t h l y ja nichts anderes als eine monatlich erscheinende Zeitschrift bezeichnet wird). In beiden Fällen besteht keine Übereinstimmung der lexikalischen Bedeutungen der AS-Einheiten und ihrer Übersetzungsäquivalente — das A S - W o r t hat einen referentiellen Bedeutungsumfang, der entweder viel weiter (1. Beispiel) oder wesentlich enger (2. Beispiel) ist als der des jeweiligen W o r t äquivalents im Text der Übersetzung. Die Äquivalenz ergibt sich hier aus der d e n o t a t i v e n I d e n t i t ä t der einander zugeordneten A S - und ZS-Einheiten, die ein und denselben Gegenstand bezeichnen. Hier noch ein gleichgeartetes Beispiel aus einer russischenglischen Übersetzung: Скворец, скосив на нее круглый, живой глаз..., стучит деревяшкой о тонкое дно клетки... (М. Горький, Детство. Гл. V I I ) The bird would cock its round eye at her..., knock its wooden leg against the floor of the cage... Auch hier decken sich russisch скворец und englisch bird nicht im Umfang ihrer referentiellen Bedeutungen; die Ä q u i valenz wird auf der Ebene der Denotate hei'gestellt, da beide Wörter — der Gattungsname und die Artbezeichnung — auf dasselbe Lebewesen bezogen sind. Auf der denotativen Identität der bezeichneten Objekte beruhen die Ubersetzungsverfahren der Konkretisierung und Generalisierung, die ausführlich in Kapitel 5 behandelt werden. (Vgl. auch die Beispiele in § 33 dieses Kapitels.) Diskrepanzen in der referentiellen Bedeutung von W ö r tern und Wortverbindungen der Ausgangssprache und der 112
Zielsprache sind folglich an und für sich kein Hindernis für die Herstellung von Beziehungen der Übersetzungsäquivalenz zwischen ihnen. Maßgeblich ist dabei die Identität des von ihnen benannten Denotats, woraus sich i n der B e d e die Möglichkeit ergibt, Wörter als Äquivalente zu benutzen, die ungleiche referentielle Bedeutungen besitzen (wie wir aus den Beispielen ersehen, handelt es sich dabei zumeist um Wörter, die zueinander im Verhältnis von „Teil und Ganzem" stehen, d. h. durch ein logisches Subordinationsverhältnis verbunden sind). *
2. Die Wiedergabe der pragmatischen Bedeutungen § 27. Oben (siehe § 14, 2 des vorigen Kapitels) definierten wir die pragmatische Bedeutung tals Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Menschen (oder richtiger: dem Menschenkollektiv), der dieses Zeichen benutzt. Es wurde festgestellt, daß die Menschen, die im Prozeß der sprachlichen K o m m u n i k a tion Sprachzeichen verwenden, diesen Zeichen gegenüber nicht gleichgültig sincl; sie reagieren verschieden auf die jeweiligen Spracheinheiten und somit auch auf die durch sie bezeichneten Referenten und Denotate. 'Diese subjektive H a l t u n g der Menschen (der Sprachgemeinschaften) gegenüber den Einheiten der Sprache und durch ihre Vermittlung auch gegenüber den von ihnen bezeichneten Gegenständen und Begriffen selbst wird häufig dem jeweiligen Zeichen angeheftet, geht als ständige Komponente in seine semantische Struktur ein und wird somit dazu, was wir die pragmatische Bedeutung des sprachlichen Zeichens nennen. W i r müssen von vornherein betonen, daß der Begriff der Pragmatik in der Sprachwissenschaft (und im weiteren Sinne — in der Semiotik) nicht allein auf die pragmatischen B e d e u t u n g e n der sprachlichen (und allgemein semiotischen) Zeichen beschränkt bleibt. Es ist dies ein viel weiter gespannter Begriff: Er umfaßt alles, was mit dem verschiedenen Verständnisgrad für die jeweilige Spracheinheit oder ein Redeprodukt bei den Teilnehmern des K o m m u n i k a t i o n s aktes verbunden ist sowie mit Unterschieden in der A u f *Zur denotativen Identität von Spracheinheiten in den Übersetzungen vgl. O. Kade: Konimunikationswissenschaftliche Probleme der Translation. „Fremdsprachen" Sonderheft II, Leipzig 1968, S. 11. 8 - 0 19
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fassung dieser Einheiten und Produkte in Abhängigkeit voii den sprachlichen und nichtsprachlichen (extralinguistischen) Erfahrungen der an der K o m m u n i k a t i o n beteiligten Personen. In diesem Sinne reicht die „Pragmatik" weit über den Rahmen der eigentlichen pragmatischen Bedeutungen der Zeichen und über den Rahmej)/ der gesamten mikrolinguistischen Problematik hinaus. Sie löst sich in der Untersuchung der extralinguistischen Redefaktoren auf, wie z. B. Gegenstand, Situation und Teilnehmer des Redeaktes (siehe oben §§ 7—8, K a p i t e l 1). V o n pragmatischen B e d e u t u n g e n kann nur die Rede sein, wenn das Verhalten der Mitglieder der Sprachgemeinschaft zu den sprachlichen Zeichen, wie bereits festgestellt, zu einem Teil der semantischen Struktur des Zeichens selbst wird, dem Zeichen ständig anhaftet und im Wörterbuch als sogenannte „stilistische Kennzeichnung" festgehalten werden kann. Die Pflanzennamen Labkraut, Grindkraut und Kölle lösen bei einem Stadt- oder Dorfbewohner, bei einem Botaniker oder einem Laien verschiedene Assoziationen aus, werden v o n ihnen also verschieden (und auch verschieden gut) verstanden. Die Wortverbindungen der Heilige Geist und Ausgeburt der Hölle wirken auf Gläubige und Atheisten verschieden usw. Aber das unterschiedliche Verhalten verschiedener Teilnehmer des Redeaktes zu dem jeweiligen Zeichen ist in diesen Fällen kein integrierendes Element des semantischen Systems dieser Zeichen und kann daher auch nicht als deren pragmatische Bedeutung gelten. Da aber beim Vergleich von Einheiten verschiedener Sprachen derartige Unterschiede im Verhalten gegenüber referentiell identischen Zeichen viel häufiger auftreten als innerhalb derselben Sprach- oder Volksgemeinschaft, kann sich auch die Theorie und Praxis der Ubersetzung nicht über sie hinwegsetzen. Mit einem qualitativ anders gelegenen Fall haben wir es bei Wortschatzeinheiten wie z. B. Visage, pennen, Fraß u. a. m. zu tun. Hier ist das besondere Verhalten der Angehörigen der Sprachgemeinschaft gegenüber diesen Zeichen in deren semantische Struktur als ihr ständiger Bestandteil eingegangen (in unseren Beispielen ist dies die Bedeutung der Derbheit, eine ausgesprochen negative subjektive Beurteilung). In derartigen Fällen sprechen wir eben von bestimmten pragmatischen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten, u. a. von ihrer emotionellen Färbung. In diesem Abschnitt behandeln wir die Wiedergabe prag114
matischer Bedeutungen sprachlicher Einheiten beim Ubersetzen. W i e im vorhergehenden Abschnitt tun wir es an Hand lexikalischer Einheiten (d. h. Wörter), obwohl pragmatische Bedeutungen strenggenommen nicht nur lexikalischen Einheiten eigen sind. Bestimmte grammatische Formen können auch eine aasgeprägte pragmatische Bedeutung besitzen, so besaß z. B. in der englischen Sprache (jedenfalls im X I X Jh.) die Form der 2. Person Singular thou knowest die ausgesprochen pragmatische Bedeutung (stilistische Charakterisierung) des „Dichterischen", „Erhabenen". Die syntaktische Konstruktion „Nominativus Absolutus" ist im heutigen Englisch ebenfalls pragmatisch (stilistisch) gekennzeichnet als „schriftsprachlich" oder „offiziell". Im allgemeinen ist aber die ausdrückliche pragmatische „Markiertheit" mehr für lexikalische Einheiten typisch, da die emotionelle und stilistische Färbung der grammatischen Formen in der weitaus überwiegenden Mehrheit der Fälle neutral ist.
§ 28. Leider ist die linguistische Theorie der pragmatischen Bedeutungen viel schwächer entwickelt als die T h e o rie der referentiellen Bedeutungen. Es steht jedoch fest, daß das System der in der Sprache zum Ausdruck k o m menden referentiellen Bedeutungen recht k o m p l e x ist und daß diese Bedeutungen qualitativ uneinheitlich sind. Ohne Anspruch auf Endgültigkeit zu erheben, halten wir es für möglich, ein Klassifikationsschema der pragmatischen Bedeutungstypen vorzuschlagen, das u. E. sowohl auf die russische als auch auf die englische und viele andere Sprachen anwendbar ist: 1. Stilistische Charakteristik des Wortes. Neben den Wörtern, die in allen Textgattungen und Redetypen gebräuchlich (d. h. stilistisch „neutral") sind, gibt es Wörter und Wortverbindungen, deren Gebrauch auf einzelne Gattungen und T y p e n beschränkt ist. Diese Fixierung der W ö r ter auf bestimmte Redegattungen wird zu ihrem ständigen Merkmal und somit zu einem Bestandteil ihrer pragmatischen Bedeutung. Eben in diesem Sinne verwenden wir den Ausdruck „stilistische Charakteristik des Wortes". Im allgemeinen erscheint es zweckmäßig, zwei Grundtypen der Rede z u unterscheiden: d i e u m g a n g s s p r a c h l i c h e und die s c h r i f t s p r a c h lic h e. Innerhalb dieser letzteren lassen sich folgende Haupt8*
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gattungen ausgliedern: 1) die schöngeistige Literatur (Belletristik); 2) die amtlich-wissenschaftliche Textgattung; 3) die publizistische Textgattung.* Jede dieser Gattungen zerfällt wiederum in UntergalLungen. So umfaßt die schöngeistige Literatur Prosa, Dramatik und Lyrik; die amtlichwissenschaftliche Textgattung amtlich-geschäftliche, journalistisch-informatorische, dokumentarisch-juristische und wissenschaftlich-technische Texte; die Publizistik umfaßt gesellschaftspolitische Literatur, Zeitungs- und Zeitschriftenpublizistik (im engeren Sinne) und Rednersprache. Nicht allen hier genannten Redegattungen ist allerdings die Verwendung besonderer, für die jeweilige Gattung typischer lexikalischer Einheiten eigen. So gibt es z. B. keine spezifische lexikalische Schicht, deren Benutzung ausschließlich oder auch nur vornehmlich auf die schöngeistige Literatur beschränkt wäre. Es ist geradezu ein Unterscheidungsmerkmal dieser Gattung (mit Ausnahme der Lyrik, die ihren spezifischen Wortschatz besitzt), daß sie weitestgehend v o n lexikalischen Mitteln Gebrauch macht, die den verschiedensten Stilschichten angehören. Einen eigenen spezifischen Wortschatz hat auch die Sprache der Publizistik nicht. Davon ausgehend, kann man in Sprachen wie Russisch, Englisch oder Deutsch folgende Arten cler stilistischen Charakterisierung von Wörtern feststellen: 1) Neutral: Wörter, die in allen T y p e n und Gattungen der Rede gebräuchlich sind, d. h. „stilistisch unmarkierte" Wörter. Hierher gehört die Mehrzahl der Wörter, die den Kern des Wortschatzes einer jeden Sprache bilden. 2) Umgangssprachlich: Wörter, die in „inoffiziellen" Situationen in der mündlichen Rede gebräuchlich sind, in der schriftlichen aber in der Regel ** nicht vorkommen (z. В . : russisch электричка, раздевалка, влипнуть, шлёпнуться;, тренькать, чудной u. dgl.; englisch b o b b y , booze, dough Geld, buck Dollar, movie, b u d d y , to filch; deutsch kriegen, durch sein, klauen). *Dieser Klassifikation folgt и. а. A. W. Fjodorow (Vgl. A.B. Фёдоров: Основы общей теории перевода. Гл. 6). Eine etwas abweichende (stärker detaillierte) Klassifikation gibt I. R. Galperin in der Monographie „Stylistics", Moscow, „Higher School Publishing House", 1977, Part. V I . **Eine Ausnahme ist die Verwendung des umgangssprachlichen Wortschatzes in der Sprache der schöngeistigen Literatur (vor allem in der Personenrede) und in der Publizistik.
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3) Schriftsprachlich: Wörter, die nur in schriftlicher Rede aller Gattungen vorkommen und in der Umgangssprache unüblich sind, aber in „offizieller" Situation auch in der mündlichen Rede gebraucht werden können (z. B. russisch досягаемость, вышеупомянутый, шествовать, благосостояние u. dgl., englisch inebriety, conflagration, pecuniary, to commence, thereby usw., deutsch Eheschließung, hiermit, inaugurieren). 4) Dichterisch: Wörter, die vorwiegend in der Sprache der Dichtung (zuweilen auch in „feierlicher" Prosa) verwendet werden (z. B. russisch отчизна, глашатай, очи, уста; englisch oft, morrow, steed; deutsch Hain, Lenz, frohlocken, hold u. ä.). 5) Terminologisch: Wörter, die ausschließlich oder vorwiegend in der amtlich-wissenschaftlichen Textgattung verwendet werden. Hierher gehört die gesamte wissenschaftliche und technische Terminologie, auch die Termini und Spezialausdrücke aus dem Bereich von Staat und Recht (Jurisprudenz), Wirtschaft, Finanzen und Militärwesen sowie aus dem gesellschaftlich-politischen Leben sind dazu zu rechnen. Die sogenannten „Kanzleiwörter" gehören offenbar zur selben Kategorie *. 2. Das Register des Wortes * * . W e n n wir v o m „Register" sprechen, zu dem das Wort gehört, so meinen wir damit bestimmte Kommunikationsbedingungen oder Situationen, die die Auswahl des jeweiligen sprachlichen Mittels, u. a. der lexikalischen Einheit, maßgeblich beeinflussen. Diese Situation ist vor allem gekennzeichnet durch die Zusammensetzung der Teilnehmer des Kommunikationsprozesses: Bestimmte Wörter (und allgemein Spracheinheiten) können nur gebraucht werden im Gespräch mit guten Bekannten, Verwandten u. dgl., während andere lexikalische (und überhaupt sprachliche) Einheiten vorwiegend im Gespräch mit weniger vertrauten Personen, dienstlich oder sozial Höherstehenden u. ä. verwendet werden. Ferner wird das
*Eine Charakterisierung des Wortschatzes des Englischen unter dem Aspekt seiner stilistischen Differenziertheit gibt I. R. Galperin a. a. 0 . , Part II. **Der Terminus „Register" wird in der gleichen oder einer ähnlichen Bedeutung in den Arbeiten der Linguisten der sogenannten Londoner Schule verwendet, z. B. in der bereits erwähnten Arbeit von J. C. Catford: „A Linguistic Theory of Translation".
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„Register" ebenfalls durch die Bedingungen bestimmt, unter denen der sprachliche Kommunikationsprozeß vor sich geht: Selbst mit guten Freunden und Verwandten ist es nicht üblich, bei offiziellen Anlässen, z. B. im Büro, auf einer Versammlung usw., die gleiche Bedeweise zu benutzen, wie etwa in häuslicher Umgebimg. Insgesamt kann man in der Sprache folgende fünf Register feststellen*: 1) das familiäre; 2) das ungezwungene; 3) das neutrale; 4) das formelle; 5) das gehobene. So gehören die russischen Wörter оболтус, паршивец, трескать oder das deutsche quatschen u. dgl. zum familiären Register; авоська, подкачать, подвыпивший und Gerede, Pleite machen — zum ungezwungenen; прибыть, отчислить, очередной, бракосочетание und beanstanden, relegieren, Begutachtung zum formellen; стезя, вкусить, лицезреть und Gemahlin, Gewand, verscheiden zum gehobenen. Es kommt häufig vor, daß die Sprache mehrere Wörter mit gleicher referentieller Bedeutung besitzt, die zu verschiedenen Registern gehören, vgl. russisch дрыхнуть (familiär) — спать (ungezwungen und neutral) — отдыхать (formell) — почивать (gehoben). Die überwiegende Mehrheit der Wörter gehört zum neutralen Register, sie können in jedem Rederegister v o m familiären bis zum gehobenen verwendet werden, ähnlich wie stilistisch neutrale Wörter in jedem T y p oder jeder Gattung der Rede gebräuchlich sind. 3. Die emotionelle Färbung des Wortes. In jeder Sprache gibt es Wörter und Ausdrücke, deren semantische Struktur eine emotionelle K o m p o n e n t e beinhaltet, 1 'nämlich die emotionelle Haltung des Sprechenden zum angesprochenen Gegenstand oder Begriff, d. h. eine negative oder positive Wertung der durch das W o r t bezeichneten Gegenstände, Erscheinungen, Handlungen oder Eigenschaften. In diesem Sinne spricht^man von emotioneller Färbung des Wortes, die negativ oder positiv sein kann. Die Wörter, die keinen wertenden Faktor enthalten (sie bilden die Mehrheit des W o r t bestandes einer Sprache) gelten als „emotionell neutral". Somit lassen sich die lexikalischen Einheiten grundsätzlich in drei Gruppen einordnen: die emotionell negative, die emotionell neutrale und die emotionell positive. Die russischen Wörter лизоблюд, подпевала, шкурник, говорильня, *Siehe M. Joos: The Five Clocks. „International Journal of A m e rican Linguistics", N 28, 1962, p. V.
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отребье, волынить gehören beispielsweise zu der Gruppe der emotionell negativ gefärbten W ö r t e r . Emotionell negative Wörter werden im Russischen häufig durch Ableitung gebildet, durch Anfügen eines abwertenden Suffixes an ein emotionell neutrales W o r t (z. В. городишко, избёнка, человечишко u. ä.). Wörter mit emotionell positiver Färbung lassen sich in der russischen Sprache ebenfalls recht frei v o n neutralen Wörtern durch Anfügung v o n sogenannten K o s e Suffixen ableiten (z. В. братец, сестричка, дружочек, пёсик и. а. т . ) . Für den gleichen Referenten können e m o t i o nell gefärbte und neutrale Bezeichnungen nebeneinander bestehen, vgl. russisch мятеж (negativ) — восстание (neutral), шпион (negativ) — разведчик (neutral) u. ä. Ein gleichartiges Beispiel aus der englischen Sprache bringt J. W. Arnold in ihrer „Лексикология современного английского языка": Oh, you're not a spy. Germans are spies. British are agents.* Es versteht sich, daß die hier umrissene Klassifikation der Lexik auf Grund der stilistischen Charakteristik, des R e g i sters und der emotionellen Färbung weitgehend schematisch ist und die ganze Kompliziertheit und Vielfalt der durch die pragmatischen Bedeutungen bedingten Verhältnisse der Wörter nicht wiederzugeben vermag. Die hier ausgewählten Kriterien für die Klassifizierung der Wörter nach ihren pragmatischen Bedeutungen schließen einander strenggenommen nicht aus: Zwischen der stilistischen Charakteristik, dem Register und der emotionellen Färbung bestehen so enge Wechselbeziehungen, daß es in einigen Fällen schwerfällt, eine bestimmte Charakteristik eines W o r t e s oder Ausdruckes einem v o n diesen pragmatischen Bedeutungstypen zuzuordnen. So gehören die Wörter des umgangssprachlichen R e d e stils zugleich dem familiären oder ungezwungenen Register an, die schriftsprachliche Lexik dem formellen Register, die dichterische Lexik dem gehobenen. Ebenso besteht ein enger Zusammenhang zwischen der stilistischen Charakteristik oder dem Register der Lexik und ihrer emotionellen Färbung: Die Wörter mit emotionell negativer Färbung gehören in ihrer großen Mehrheit zum familiären Register, e m o tionell positiv gefärbte Wörter zum gehobenen Register und zur dichterischen Lexik usw. *И. В. Арнольд: Лексикология современного английского языка, М , — Л . , „Просвещение", 1966, с. 271,
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Andererseits muß man im Auge haben, daß zuweilen ein und dasselbe W o r t verschiedene stilistische oder registermäßige Merkmale und stilistische Färbungen besitzt. So wird, z. B. das russische W o r t конь einerseits als dichterisches Ausdrucksmittel, andererseits aber als Fachwort der Kavallerie oder des Reitsports verwendet; гласить gehört sowohl zum gehobenen Register als auch zum formellen (параграф третий гласит...). Im Deutschen ist dem W o r t e Weib sowohl eine abwertende als auch eine gehobene dichterische pragmatische Bedeutung eigen. Im Russischen können Wörter mit abwertenden Suffixen und entsprechender emotionell negativer Bedeutung in bestimmter Umgebung auch den genau entgegengesetzten Charakter haben, indem sie nämlich zu Kosewörtern werden und damit eine emotionell positive Färbung annehmen. Das alles zeigt, wie komplex die tatsächlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Arten v o n pragmatischen Bedeutungen und verschiedenen Klassen der Lexik sind, die im Wortschatz auf Grund dieser Bedeutungen festgestellt werden. Neben den behandelten drei Grundarten der pragmatischen Bedeutungen, die in den sprachlichen Zeichen zum Ausdruck kommen (stilistische Charakteristik, Register und emotionelle Färbung), gibt es noch eine vierte Art von Bedeutungen, die u. E. ebenfalls zu den pragmatischen zu rechnen ist. Es handelt sich um das sogenannte „ k o m m u n i kative Gewicht" der Sprachelemente in der Satzstruktur, bedingt durch den verschiedenen Grad der Informiertheit des Sprechers und vor aljem des Zuhörers über die im Satz enthaltenen Nachrichten. Bekanntlich unterscheidet man in einem in der Rede verwendeten Satz gewöhnlich einerseits Elemente, die dem Zuhörer (Leser) bereits bekannte Informationen enthalten und v o m Sprecher (Schreiber) beim A u f b a u der Mitteilung als das G e g e b e n e vorausgesetzt werden, und andererseits Elemente, die eine n e u e, dem Zuhörer noch unbekannte Information enthalten, die erstmalig mitgeteilt wird und somit für die jeweilige Aussage semantisch am wichtigsten ist. So -ist im Satz Hans macht die Arbeit bei normaler Satzintonation Hans das „Gegebene", da der Sprecher voraussetzt, daß der Zuhörer weiß, v o n wem die Rede ist. Das „Neue" ist in diesem Satz ...macht die Arbeit. Bei invertierter Wortfolge (und wiederum normaler, nichtemphatischer Intonation) verändert sich das „kommunikative Gewicht" der Satzelemente in sein Gegenteil. 120
Im Satz Die Arbeit macht Hans ist das „Gegebene" Die A rbeit macht..., das „Neue" aber diesmal II ans, denn es wird ja vorausgesetzt, daß der Zuhörer zwar weiß, daß jemand die Arbeit macht, nicht aber, wer es ist. (Diesen Satz kann man als Antwort auf die ausdrückliche oder auch nur angenommene Frage „Wer macht die A r b e i t ? " betrachten.) Da die geschilderte Situation an sich in beiden Fällen dieselbe ist, darf man die hier nachgewiesenen Bedeutungen des „Gegebenen" und des „Neuen" keinesfalls als referentielle einstufen. U. E. sind sie zu den pragmatischen Bedeutungen zu zählen, da sie ausschließlich durch die Haltung der Teilnehmer des Kommunikationsaktes zur im Satz dargestellten Situation bestimmt sind. Die Literatur zur Frage der kommunikativen Gliederung ist sehr umfangreich, daher erübrigt es sich, hier ausführlich auf dieses Problem einzugehen. Da das „kommunikative Gewicht" der Satzelemente und folglich die „kommunikative Gliederung"* des Satzes in jedem Falle von Faktoren des Kontextes und der Redesituation bestimmt werden und somit notwendiger Bestandteil eines jeden Bedeaktes sind, müssen sie auch bei der Übersetzung berücksichtigt werden. Die richtige Wiedergabe der „kommunikativen Gliederung" des Satzes ist eine unentbehrliche Vorbedingung der Äquivalenz der Übersetzung, unabhängig von der Art ihrer Ausführung (schriftlich oder mündlich) und der Gattung des zu übersetzenden Materials. Es besteht jedoch ein grundsätzlicher Unterschied zwischen diesem T y p der pragmatischen Bedeutung und allen anderen, die wir bisher behandelt haben, er ist nämlich i n seiner Substanz s y n t a x b e z o g e n , d . h . er charakterisiert nicht einzelne Zeichen der Sprache, sondern ganze A u s s a g e n , indem er den Charakter der Beziehungen zwischen den Komponenten der Aussage kennzeichnet. Freilich beschränken sich, wie bereits festgestellt wurde, auch solche T y p e n der pragmatischen Bedeutungen wie stilistische Charakteristik, Register und emotionelle Färbung nicht ausschließlich auf lexikalische Ausdrucksmittel. Sie können auch durch grammatische Mittel zum Ausdruck gebracht werden. So sind im Englischen syntaktische K o n struktionen wie elliptische Sätze (vom T y p W a n t to go with *Wcitore Bezeichnungen desselben Begriffes sind „aktuelle Gliederung", „logisch-grammatische Gliederung", „funktionelle Satzperspektive",
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us?), die „apo-koinou"-Konstruktion (z. B. There's a man wants to see you), asyndetische Bedingungssätze (etwa I see him, 1*11 talk to him) u. dgl. m. genauso eindeutige Merkmale des familiären und ungezwungenen Registers wie bestimmte Wortkategorien. Häufig haftet die pragmatische Markierung (entsprechend dem Stil, dem Register oder der emotionellen Färbung) nicht einzelnen lexikalischen Einheiten oder grammatischen Mitteln an, sondern ganzen Aussagen. Ein Beispiel dafür sind die nachstehenden englischen Sätze, die in ihrer referentiellen Bedeutung zusammenfallen, aber zu verschiedenen Rederegistern gehören: Please, come in. (formell); Come in. (neutral); Come in, will y o u ? (ungezwungen); Get the hell in here! (familiär, emotionell negativ gefärbt). Den größten Anteil am Ausdruck der stilistischen Charakteristik, der Register Zugehörigkeit und der emotionellen Färbung des Texts hat aber, wie schon bemerkt, die Lexik. W a s das „kommunikative Gewicht" der Satzglieder anbetrifft, so wird es fast ausschließlich grammatisch ausgedrückt, vor allem mit syntaktischen, seltener mit morphologischen Mitteln. Deshalb betrachten wir die Frage nach der Wiedergabe der „kommunikativen Gliederung" des Satzes weiter in Kapitel 5, im Abschnitt, der sich mit der syntaktischen Umstrukturierung des Satzes bei der Ubersetzung befaßt.
§ 29. W e n n wir uns nun mit der R o l l e der pragmatischen Bedeutungen im Ubersetzungsprozeß befassen, so ist zunächst festzustellen, daß Unterschiede im Bereich dieser Bedeutungen bei der Zuordnung von lexikalischen Einheiten verschiedener Sprachen' noch viel häufiger vorkommen als im Bereich der referentiellen Bedeutungen. Durchaus normal ist die Situation, wo lexikalische Einheiten in zwei verschiedenen Sprachen sich zwar in ihrer referentiellen Bedeutung vollkommen decken, aber in den pragmatischen Bedeutungen (stilistische Charakteristik, Register oder emotionelle Färbung) stark auseinandergehen. Einige Beispiele dafür wurden u. a. in § 21 angeführt (an Hand der Beziehungen zwischen russ. палец — engl, digit; russ. кисть — engl, hand usw.). Die Zahl derartiger Beispiele ließe sich ficht 122
vermehren. Der Wortschatz der englischen und der deutschen Sprache besitzt keine stilistisch gleichwertigen Äquivalente für russische Poetismen wie очи, уста, злато, град usw.*, obwohl es natürlich im Englischen wie im Deutschen Wörter mit derselben referentiellen Bedeutung gibt (eyes, mouth, gold, city; Augen, Mund, Gold, Stadt). Im Wortschatz der englischen Sprache gibt es umgangssprachliche Synonyme für das W o r t cinema: movies (ungezwungen) und flicks (familiär), die deutsche Sprache hat neben K i n o auch noch die pragmatisch deutlich markierten Wörter K i n t o p p und Flohkiste (umgangssprachlich und familiär-negativ) sowie Filmtheater (formell). Im Russischen hat das W o r t кино keine umgangssprachlichen S y n o n y m e , die den englischen und deutschen äquivalent wären, dafür aber das zum formellen Register gehörende W o r t кинотеатр, das nur im Deutschen, aber nicht im Englischen eine pragmatische Entsprechung hat. Im Russischen und im Deutschen gibt es auch keine Entsprechungen für die englischen umgangssprachlichen Bezeichnungen von amerikanischen und britischen Geldeinheiten: bück Dollar, bob Shilling, quid Pfund. Dasselbe gilt sinngemäß für Wörter wie Groschen (10 Pfennig) oder пятачок (5 Kopeken) im Deutschen und Bussischen. " W i e im Falle der referentiellen Bedeutungen treten die Unterschiede in den pragmatischen Bedeutungen von W o r t schatzeinlieiten verschiedener Sprachen besonders deutlich hervor, wenn nicht isolierte Wortpaare, sondern ganze W o r t gruppierungen oder „Synonymreihen" miteinander verglichen werden. Nehmen wir z. B. folgende Synonymreihe: враг — противник — неприятель — недруг. Alle diese Wörter, mit Ausnahme des letzten, besitzen zwei referentielle Bedeutungen: 1) „ein Mensch, der sich jemandem oder einer Sache gegenüber feindlich verhält", 2) „Truppen der gegnerischen Seite"; das W o r t недруг hat nur die erste der beiden Bedeutungen, und das W o r t противник bedeutet darüber hinaus noch „Partner in einem sportlichen W e t t kampf". Was die pragmatischen Bedeutungen anbetrifft, so sind sie bei allen diesen Wörtern verschieden: враг ist ein stilistisch, registermäßig und emotionell neutrales W o r t (solche „rundum neutralen" und daher am häufigsten gebräuchlichen Mitglieder einer Synonymgruppe werden auch als * Diese Wörter gehören genaugenommen eher zum Lexikon der russischen Dichtung des 19. Jh. als zu dem der modernen Dichtung.
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„Dominanten" bezeichnet); противник ist ebenfalls ein neutrales W o r t , in der Bedeutung „Truppen der gegnerischen Seite" ist es außerdem ein militärischer Fachausdruck (in der Sprache von Dienstvorschriften, Befehlen u. dgl. kann nur противник nicht aber враг oder неприятель verwendet werden); неприятель gebraucht man vorwiegend in der literarischen Schriftsprache, недруг ist ein dichterisches W o r t des gehobenen Registers. Der vorgestellten Gruppe von Wörtern entspricht im Englischen die Synonymreihe enemy, adversary, opponent, foe. In ihren referentiellen Bedeutungen stehen sie den obenangeführten russischen® Wörtern nahe. Sie haben alle außer opponent die Bedeutungen: 1) „ein Mensch, der sich jemandem oder einer Sache gegenüber feindlich verhält"; 2) „Truppen der gegnerischen Seite"; opponent hat außer der ersten der beiden Bedeutungen auch noch die Bedeutung „Partner in einem sportlichen Wettkampf", und adversary hat alle drei Bedeutungen. In ihren pragmatischen Bedeutungen gehen diese Wörter jedoch auseinander, wobei die Unterschiede hier nicht immer den Verhältnissen entsprechen, die wir innerhalb cler angeführten russischen Gruppe feststellen. So ist enemy nicht nur neutrale „Dominante" der eigenen Synonymreihe, sondern auch militärisches Fachwort, es wird also wie russisch противник in offiziellen militärischen Dokumenten verwendet, adversary ist ein schriftsprachliches W o r t , ähnlich wie opponent (in der mündlichen Rede können sie nur im offiziellen Register auftreten, für das insgesamt die weitgehende Verwendung schriftsprachlicher Lexik kennzeichnend ist). Foe ist schließlich ein dichterisches W o r t und gehört zum gehobenen Register. Es kann aber auch in Zeitungsüberschriften verwendet werden (wo es seiner Kürze wegen dem längeren enemy vorgezogen wird). Der Ausdruck friend and foe wiederum gehört zum neutralen Stil. Vergleichen wir nun beide Synonymreihen, die russische und die englische, wobei wir folgende Bezeichnungen benutzen: 1, 2, 3 bezeichnen die referentiellen Bedeutungen „ein Mensch, der sich ... feindlich verhält", „Truppen der gegnerischen Seite" bzw. „Partner' im sportlichen W e t t k a m p f " ; neutr. — neutral; sehr. — schriftsprachlich; term. — terminologisch; dicht. — dichterisch; R. — referentielle Bedeutung; P. — pragmatische Bedeutung. 124
враг противник
R. 1. 2. 1.
P. neutr. neutr. neutr.
enemy adversary
R. 1. 2. 1.
P. neutr. term. sehr.
2. sehr. 3. sehr. 1. sehr. неприятель oppo3. term. nent foe 1. dicht, недруг 2. dicht. Es ist unschwer zu erkennen, daß obwohl die russische wie die englische Synonymreihe je vier Wörter * umfaßt, die konkrete K o m b i n a t i o n der referentiellen und pragmatischen Bedeutungen der russischen und der englischen Wörter stets verschieden ist. Im Prinzip läßt sich also jedes der angegebenen russischen Wörter durch jedes der englischen übersetzen, jedoch müssen für die richtige W a h l des Äquivalents in jedem einzelnen Fall nicht nur die referentiellen, sondern auch die pragmatischen Bedeutungen der Wörter in Betracht gezogen werden, die ihre Verwendung mitbestimmen. Eine ähnliche Vergleichsstudie kann der Leser auch selbständig unter Einbeziehung der entsprechenden deutschen Äquivalente Feind — Gegner — Widersacher vornehmen. Er wird ein abweichendes Verteilungsmuster der referentiellen und pragmatischen Bedeutungen sowohl gegenüber dem Russischen als auch gegenüber dem Englischen feststellen. Die Inkongruenz der pragmatischen Bedeutungen der AS- und ZS-Wörter hat im Ubersetzungsprozeß häufig den Verlust einiger dieser Bedeutungen zur Folge (man erinnere sich an die Ausführungen über die Unvermeidlichkeit von Verlusten bei der Übersetzung in Kapitel 1. Gewöhnlich äußert sich das in der Wiedergabe von stilistisch und emotionell „markierten" Wörtern der Ausgangssprache durch neutrale ZS-Wörter. Hier ein Beispiel: 2. 3. 1. 2. 1.
term. term. sehr. sehr. dicht.
— А Мишка твой езуит, а Яшка — фармазон! Горький, Детство, гл. II) But that Mikhail of yours is a hypocrite, and that Y a k o v an infidel! (М.
*Um die Beschreibung zu vereinfachen, blieben in der modernen Sprache wenig gebräuchliche Wörter wie russisch супостат, englisch antagonist unberücksichtigt.
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Hier repräsentieren die englischen W ö r t e r hypocrite und infidel ungeschmälert die referentiellen Bedeutungen der russischen езуит und фармазон jedoch unter Verzicht auf die registermäßige und emotionelle Charakteristik (familiäres Register, emotionell negative Färbung), die diesen eigen sind. Nicht wiedergegeben wird auch, daß diese W ö r t e r v o m Standpunkt der modernen russischen Sprache veraltet wirken (was für das sprachliche Porträt der sie benutzenden Person — Gorkis Großvater — nicht gleichgültig ist). Verluste, die durch die Verwendung neutraler Wörter anstelle v o n pragmatisch markierten auftreten, sind z. T. unvermeidlich (sie lassen sich allerdings durch das sogenannte Kompensierungsverfahren minimieren, w o v o n später noch die Rede sein wird). V ö l l i g unzulässig dagegen ist das umgekehrte Vorgehen — die Substitution neutraler L e x i k durch pragmatisch markierte W ö r t e r , deren stilistische, registermäßige und emotionelle Charakteristiken nicht neutral sind. So hat z. B. das englische W o r t endless dieselbe referentielle Bedeutung wie das deutsche endlos, woraus sich die Versuchung ergibt, dieses letztere in der Übersetzung als Äquivalent zu verwenden. In ihrer emotionellen Färbung gehen aber diese beiden Wörter eindeutig auseinander. Das deutsche W o r t endlos gibt entweder die räumliche Ausdehnung an („endlose W ä l d e r " , „der endlose Raum"), oder es hat eine abwertende emotionelle Färbung („das endlose Gerede", „ein endloses Hin und Her"). Das englische endless aber ist emotionell neutral, darum darf bei der Wiedergabe der Wortgruppe „the endless resolutions received by the National Peace Committee"* das W o r t endless keinesfalls mit endlos übersetzt werden: das würde ein v ö l l i g falsches Bild v o n den politischen Sympathien des Autors vermitteln, ihm eine negative Haltung gegenüber der Friedensbewegung unterstellen. In diesem Falle sind offenbar die deutschen Wörter zahllos oder unendlich viel zu verwenden. Folgendes Beispiel zeigt einen derartigen Fehler, der der Übersetzerin v o n Gorkis „Kindheit", M. W e t t l i n , unterlaufen ist: *Das Beispiel entnahm der Verfasser dem Buch Т. Р. Левицкая, А . M. Фитерман: „Теория и практика перевода с английского языка на русский". М. Изд-во лит. на иностр. яз., 1963, с. 92—93.
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Берите гусиного сала, чистейшего, с т о л о в у ю л о ж ку, чайную сулемы, три капли веских ртути (гл. V ) . „ . . . take a tablespoon of goose fat — the very purest — a teaspoon of bichloride of mercury, and three drops of mercury..." Die referentielle Bedeutung v o n engl, bichloride of mercury ist dieselbe wie die des russischen сулема; aber сулема ist stilistisch neutral, während bichloride of mercury ein wissenschaftlicher Fachausdruck ist, der sich im Munde einer ungebildeten Frau — der Großmutter Gorkis — recht merkwürdig ausnimmt. Hier wäre eher das weniger wissenschaftliche ,sublimate' angebracht, und auch ,mercury' — ebenfalls ein schriftsprachliches W o r t — könnte wohl durch ,quicksilver, ersetzt werden. Die Verwendung v o n pragmatisch „markierter" L e x i k anstelle der neutralen ist nur als Mittel der sogenannten К o m p e n s i e r u n g gestattet, die bei der Wiedergabe von pragmatischen Bedeutungen in der Ubersetzung eine nicht unwesentliche R o l l e spielt. Die pragmatischen Bedeutungen unterscheiden sich nämlich v o n den referentiellen qualitativ noch in einer Hinsicht: Die letzteren gehören eindeutig zu der jeweiligen lexikalischen Einheit, während die pragmatischen Bedeutungen, obwohl sie v o n Fall zu Fall in den lexikalischen Einheiten a u s g e d r ü c k t s i n d , eigentlich weniger diese Einheiten selbst, als den T e x t i n s g e s a m t charakterisieren, dessen Elemente die Einheiten sind. Bedeutungen wie „stilistische Charakteristik", „Register" und „emotionelle Färbung" sind nicht isolierten Wörtern und Ausdrücken im Text eigen, sondern kennzeichnen den Text als Ganzes, das gesamte Redeprodukt. Deshalb können sie in der Struktur des ZS-Textes m i t anderen Mitteln und an anderen Stellen ausgedrückt sein als im A S - T e x t . (Vgl. dazu auch § 4, 3 Kapitel 1.) Eben darin besteht das Wesen des hier behandelten Verfahrens der Kompensation. Dieses Prinzip schaulicht:
sei
an nachstehendem
Beispiel
veran-
It cost him damn near four thousand bucks. H e ' s got a lot of dough, now (J. Salinger, The Catcher in the Rye, I) Выложил за неё чуть ли не четыре тысячи. Денег у него теперь куча. 127
Der englische Text und seine russische Übersetzung sind beide als umgangssprachlich und dem familiären Register zugehörig markiert. Die konkreten Exponenten dieser Charakteristiken fallen aber im AS-Text und im ZS-Text nicht zusammen: Die stilistische und registermäßige Charakteristik des englischen Textes k o m m t in den Wörtern damn, bucks, dough zum Ausdruck, während sie im Ubersetzungstext nicht in den referentiellen Äquivalenten dieser englischen Wörter enthalten ist, sondern, ganz woanders, in den Wörtern выложил, куча. Es k o m m t folglich nicht darauf an, bei der Übersetzung die pragmatischen Bedeutungen isolierter Elemente des Ausgangstextes wiederzugeben (was häufig einfach nicht erreichbar ist), sondern auf die W a h r u n g der allgemeinen stilistischen, registermäßigen und emotionellen Charakteristik des j e w e i l i g e n T e x tes als eines G a n z e n . Dies bestätigt einmal mehr die in Kapitel 1 ausgesprochene Feststellung, wonach der Ubersetzer es nicht mit vereinzelten sprachlichen Einheiten zu tun hat, sondern mit konkreten Redeprodukten, und daß es ihm nicht um die Äquivalenz v o n konkreten lexikalischen (oder grammatischen) Einheiten geht, die v o n dem Gesamtkontext losgelöst sind, sondern um die Ä q u i v a l e n z z w i s c h e n dem G e s a m t text in der Z i e l s p r a c h e und dem Ges a m t t e x t in der A u s g a n g s s p r a c h e , die beide als einheitliches Ganzes behandelt werden. Ausführlicher wird das Verfahren der Kompensierung beim Ubersetzen in Kapitel 5 dargelegt. Ein anderes Verfahren zur Wiedergabe pragmatischer Bedeutungen in den Fällen, wo die A S - L e x i k keine direkten pragmatischen ZS-Entsprechungen besitzt, ist (wie im Falle der referentiellen Bedeutungen) die u m s c h r e i b e n d e Ü b e r s e t z u n g . Diese beruht darauf, daß es in jeder Sprache Wörter gibt, deren lexikalische Bedeutung die positive oder negative emotionelle Einstellung des Sprechenden zu Objekten und Erscheinungen ausdrückt. Man kann sagen, daß derartige Wörter nur eine pragmatische (emotionell-bewertende) und gar keine referentielle Bedeutung besitzen. Hierher gehören englische Wörter wie darling, dear u. a., die eine emotionell^positive Bewertung ausdrükken, und clamned, b l o o d y u. dgl. für den Ausdruck einer emotionell negativen Haltung gegenüber einer Sache oder Person. Das sehen wir z. B. in folgendem Satz aus der 128
bereits zitierten Erzählung J. Salingers: „... you could hear his goddam footsteps coming right towards the r o o m " (Ch. 6). Das Attribut goddam bezeichnet hier nicht etwa Eigenschaften oder Merkmale, die dem Denotat v o n f o o t steps real eigen sind, sondern es manifestiert die negative Haltung des Sprechers gegenüber der Person, der diese footsteps gehören. (In der russischen Ubersetzung heißt es „...Было слышно, как он, мерзавец, подходит к нашей комнате.1'' Die in Frage kommende emotionelle Färbung wird hier v o n einem anderen W o r t getragen, nämlich v o m Substantiv мерзавец.) Das Vorhandensein derartiger W ö r t e r in der englischen Sprache ermöglicht die umschreibende Wiedergabe e m o t i o neller Bedeutungen, die den Wörtern der russischen Sprache durch sogenannte Kosesuffixe und abwertende Suffixe verliehen werden (in der russischen grammatischen Tradition^heißen sie „Suffixe der subjektiven Bewertung"): Л ю б о в ь А н д р е е в н а : ... Шкафик мой родной... Столик мой. (Aj. Ч е х о в . Вишнёвый сад, I) My darling old cupboard! My dear little table! (Plays, by A. Chekhov, N.. Y . J 1935.) Selbstverständlich darf man sich dieser Methode nicht gedankenlos bedienen; so ist es z. B. kaum zu rechtfertigen, wenn in der gleichen Tschechow-Ubersetzung мужичок mit little peasant wiedergegeben ist. Dieser Gebrauch v o n little zur Wiedergabe der emotionellen Färbung v o n russischen Wörtern mit „Kosesuffixen" ist übrigens schon zur Tradition geworden, aber trotzdem klingen little father und little mother (als Äquivalente der in der russischen Umgangssprache des 18. und 19. Jh. geläufigen Anreden батюшка und матушка) für den nicht Russisch sprechenden Engländer komisch. Umschreibende Ubersetzungen lassen sich auch zur Wiedergabe anderer pragmatischer Bedeutungen verwenden. So kann die Registercbarakteristik des russischen Verbs дрыхнуть im Englischen m i t Hilfe des Ausdrucks to sleep like a log wiedergegeben werden. Die Ergänzung des neutralen W o r t e s to sleep durch die Wendung like a log transponiert die ganze W o r t v e r b i n d u n g ins familiäre Register. § 30. Mit dem hier behandelten Problem der Wiedergabe pragmatischer Bedeutung aufs engste verbunden ist die 9-019
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Frage nach der Wiedergabe metaphorischer Bedeutungen der WTörter beim Ubersetzen. Bekanntlich entstehen diese Bedeutungen häufig infolge metaphorischer Übertragung der Bezeichnung eines Gegenstandes auf einen anderen, die auf der emotionell-bewertenden Charakteristik dieses Wortes beruht. Ausgangspunkt einer solchen Übertragung sind häufig emotionell gefärbte Vergleichswendungen, etwa wie russisch хитер как лиса (schlau wie ein Fuchs); упрям как осел (stur wie ein Esel); труслив как заяц (feige wie ein Hase). D i e Grundlage für derartige Bedewendungen ist die allen V ö l k e r n gemeinsame Ausstattung von Tieren (und leblosen Gegenständen) m i t menschlichen Zügen und Eigenschaften, die nachher gleichsam auf den Menschen zurückübertragen werden. Man muß aber beachten, daß nicht alle Völker denselben Tieren die gleichen Eigenschaften zuschreiben; dementsprechend kann auch die „innere Form" solcher Vergleiche in verschiedenen Sprachen verschieden sein. Den oben angeführten russischen (und deutschen) Vergleichen entsprechen im Englischen in ihrer „inneren Form" analoge Fügungen: sly as a f o x , stupid as an ass, timid as а hare (rabbit). Das russische упрям как осел übersetzt man aber mit obstinate as a mule, da für den Engländer eben das Maultier (das im Bußland kaum bekannt ist) als Inbegriff des Störrigkeit gilt. V g l . auch пьян как сапожник — drunk as a fiddler (as a lord) — besoffen wie ein Schwein; спать как убитый — to sleep like a rock (a log) — schlafen wie ein Bär (wie ein Sack); слепой как крот — blind as a bat (as a beetle); ясно как божий день — klar wie dicke Tinte usw. W i e schon aus diesen Beispielen ersichtlich ist, gibt es u. U. in einer der Partnersprachen überhaupt keinen vergleichenden Ausdruck, während er in der anderen Sprache vorhanden ist. So gibt es im Englischen die stehenden Vergleichswendungen busy as a bee (beaver), b o l d as brass, dead as a doornail. Im Russischen werden die entsprechenden Adjektive занятой, наглый, мёртвый in keinen Vergleichswendungen gebraucht, im Deutschen gibt es eine derartige W e n d u n g nur für „frech" aber auch diese ist formell und stilistisch v o n der englischen weit entfernt (frech wie Oskar). In solchen Fällen entstehen Schwierigkeiten beim Ubersetzen, besonders wenn das Merkmal, das dem Vergleich 130
zugrunde liegt, in der heutigen Sprache nicht mehr als aktuell empfunden wird (und die Motivierung des Vergleichs folglich verlorengegangen ist). W i r können hier an die bekannte Stelle im „Christmas song" von Ch. Dickens erinnern: Old Marley was as dead as a doornail. Mind! I don't mean to say that I know, of my own knowledge, what there is particularly dead ab out a doornail. I might have been inclined, myself, to regard a coffin-nail as the deadest piece of ironmongery in the trade. In der russischen Übersetzung v o n T. Oserskaja heißt es: Старик Марли был мёртв, как гвоздь в притолоке (wörtlich: ... war tot wie ein Nagel im Türpfosten). So eine Redensart gibt es aber im Russischen nicht, so daß der Leser völlig im unklaren bleibt. Der Verlust ist hier unvermeidlich. Die nächste Phase der Metaphorisierung der W o r t b e d e u tung ist die Verwendung der zweiten Komponente der Vergleichswendung (des Substantivs) außerhalb dieser Redewendung als Bezeichnung für Personen und Gegenstände, die eine Ähnlichkeit mit diesem Bezugsobjekt aufweisen. So nennt man einen schlauen Menschen Fuchs, einen dummen Ochse, einen schnellen Windhund usw. Auf Grund der emotionell-bewertenden Bedeutung des Wortes erfolgt hier eine Verschiebung seiner referentiellen Bedeutung; die Bezeichnung wird auf einen anderen Gegenstand übertragen, und das W o r t erhält eine metaphorische Bedeutung. Diese metaphorischen Bedeutungen sind aber ebenfalls nicht in allen Sprachen gleich. Das englische W o r t rat bezeichnet einen Feigling, das russische крыса (und das deutsche Ratte) werden jedoch nicht metaphorisch gebraucht. Das russische W o r t жук bezeichnet einen unehrlichen Menschen, einen Gauner, das deutsche Käfer ein nettes junges Mädchen. Гусь ist im Russischen der Ausdruck für einen ulizuverlässigen, auf seinen Vorteil bedachten Mann, im Deutschen aber ist die Gans eine dumme Frau. Im Englischen haben beetle und goose überhaupt keine metaphorischen Bedeutungen. Das W o r t паук wird im Russischen auf AiimI Irr, Blutsauger angewandt, im Deutschen und Englischen liahen Spinne und spider diese Bedeutung nicht. In anderen Sprachen können dieselben Wörter auch andere uirl;iplioiisclui Bedeutungen haben. So ist für einen Usbeken die Spinne der Inbegriff der Schlauheit, entsprechend ihrer Ii*
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R o l l e im usbekischen Märchengut. Im Russischen bezeichnet man mit свинья einen schmutzigen, unordentlichen Menschen (oder es wird als Scheltwort mit allgemeiner negativer Bewertung gebraucht), das chinesische W o r t für Schwein aber bezeichnet einen verderbten, wollüstigen Menschen.* A l l e diese Momente müssen unbedingt bei der Übersetzung berücksichtigt werden.
§ 31. Zur pragmatischen Bedeutung des Wortes gehört auch das, was man als seine Ivonnotation bezeichnet. Unter Konnotation versteht man die zusätzlichen Assoziationen, die ein W o r t im Bewußtsein des Sprachträgers auslöst. Die Konnotation dürfte wohl nicht eigentlich als K o m p o nente der semantischen Struktur des Wortes angesehen werden (d. h. als Bestandteil seiner Bedeutung); dennoch ist ihre Rolle in der emotionell gefärbten Rede, besonders in der lyrischen Poesie, u. U. recht bedeutend. Wörter mit derselben referentiellen Bedeutung haben häufig in verschiedenen Sprachen ungleiche Konnotationen, sie lösen bei Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften unterschiedliche Assoziationen aus (oder auch gar keine). So erweckt das W o r t черёмуха beim Russen Gedanken an den Frühling, die Natur usw., während das englische bird cherry mit derselben referentiellen Bedeutung für den Engländer oder Amerikaner lediglich der Name eines wenig bekannten Strauches ist und keinerlei Emotionen erweckt. Auch das deutsche W o r t Faulbaum regt eher negative Gefühle an (fauliger Geruch der Binde und Geschmack der Beeren). Für den Russen sind dagegen остролист und омела nichts als exotische botanische Fachbezeichnungen, für den Engländer aber sind ihre Äquivalente holly und mistletoe Weihnachtssymbole, da zu Weihnachten die W o h n u n g mit Zweigen dieser Pflanzen geschmückt wird (so wie Tannenbaum und ёлка im Deutschen und im Russischen die Weihnachtszeit b z w . das Neujahrsfest symbolisieren). Für den russischen Leser ist daher folgende Allusion in Dickens' „Weilmachtslied" völlig unverständlich:
* V g l . С. Д. Кацнелъсон: Содержание слова, зпачение и обозначение. М,— Л . , Н а у к а , 1965, с. 73.
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„If I could work my will", said Scrooge indignantly, „every idiot who goes about witb ,Merry Christmas' on bis lips should be boiled w i t b bis own pudding, and buried w i t b a stake of holly through his heart!" Zu der russischen Übersetzung „я бы такого олуха . . сварил бы живьём вместе с начинкой для святочного пудинга, а в могилу ему вогнал кол из остролиста" müßte in einer Fußnote ein Kommentar gegeben werden, aus dem ersichtlich wäre, daß остролист (die Stechpalme) in England ein Weihnachtssymbol ist. Es sei auch auf das W o r t святочный hingewiesen, das als Erläuterung eingefügt wurde, da nicht jeder russische Leser die englische Sitte kennt, zu W e i h n a c h ten. einen Pudding zu machen. Die K o n n o t a t i o n besitzt aber nicht immer einen emotionell-bildhaften Charakter. Häufig äußert sie sich in der „Zurechnung" ein und desselben Begriffes zu verschiedenen Klassen von Erscheinungen infolge der ungleichen Funktion, die diesen Begriffen im Leben verschiedener Völker zukommt. Für den Russen sind отруби (Kleie) ein Viehfutter, für den Engländer ist „bran" ein Frühstücksgericht. Das Problem der Konnotationen führt uns an die Frage nach dem pragmatischen Aspekt der Übersetzung im weiteren Sinne heran, zu „deren" Betrachtung wir nunmehr übergehen.
3. Der pragmatische Aspekt der Übersetzung § 32. Vorstehend (s. § 27) wurde festgestellt, daß der Begriff der Pragmatik nicht ausschließlich auf die pragmatischen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten reduziert werden kann. Dieser Begriff ist viel weiter gespannt und umfaßt alle Fragen, die sich aus dem ungleichen Verständnis von Zeichen und Mitteilungen durch die Teilnehmer des Kommunikationsprozesses und durch die ungleiche Behandlung ihrer Inhalte in Abhängigkeit von cler linguistischen und extralinguistischen Erfahrung der Kommunikationsteilnehmer ergeben. In §§ 7—8 wurde betont, daß die extralinguistische Erfahrung (die man manchmal auch als background knowledge „Hintergrundwissen" bezeichnet) der K o m m u n i k a tionsteilnehmer maßgebend ihre Auffassung der Sprach133
und Redeeinheiten mitprägt, wofür dort konkrete Beispiele angeführt wurden. In diesem Abschnitt wird nun die Frage erörtert, wie sich diese Faktoren auf den Übersetzungsprozeß und auf die Auswahl der Übersetzungsäquivalente für die vorliegenden AS-Einheiten auswirken. W i e im genannten Abschnitt des 1. Kapitels nachgewiesen wurde, ist es eine durchaus normale Situation, wenn die extralinguistischen Informationen, über die die AS-Träger und die ZS-Träger verfügen, nicht identisch sind. Das „ H i n tergrundwissen" der Menschen, die jeweils eine dieser beiden Sprachen sprechen, ist somit verschieden. Daher ist vieles, was den AS-Trägern begreiflich und selbstverständlich ist, für die ZS-Träger nur schwer verständlich oder gänzlich unbegreiflich (und umgekehrt). Der Übersetzer kann offenbar nicht umhin, diesem Umstand in seiner Tätigkeit Rechnung zu. tragen: selbst die „exakteste" Ubersetzung taugt nichts, wenn sie denjenigen, für die sie bestimmt ist, unverständlich bleibt. Deshalb ist die Berücksichtigung des pragmatischen Aspekts eine notwendige Voraussetzung für die Gewährleistung der vollen Adäquatheit der Übersetzung. Dabei ist zu beachten, daß nicht alle Arten v o n Übersetzungsmaterial in gleichem Maße die Berücksichtigung der pragmatischen Faktoren verlangen. Der Ubersetzungstheoretiker A. Neubert* teilt alle Arten von Übersetzungsmaterial in vier Gruppen ein, und zwar je nachdem, welche Rolle für sie pragmatische Momente spielen: 1) Wissenschaftliche L i teratur, die in gleichem Maße sowohl auf die AS-Gemeinschaft als auch auf die ZS-Gemeinschaft orientiert ist; der Verständnisgrad ist dabei bei Sprechern verschiedener Sprachen grundsätzlich der gleiche, da die Texte allgemein für Fachleute des jeweiligen Wissensgebietes bestimmt sind; 2) Material der lokalen Presse und andere Textarten, die für den „inneren Verbraucher" bestimmt sind; das Verständnis ihres Inhalts ist für den fremdsprachigen Leser nicht immer leicht, aber praktisch werden solche Texte äußerst selten in andere Sprachen übersetzt, so daß das Problem der Berücksichtigung des pragmatischen Faktors meistens gar nicht erst auftritt; 3) schöngeistige Literatur, die vor allem für Muttersprachler bestimmt ist; sie wird aber häufig in fremde Sprachen übersetzt und bereitet daher dem Übersetzer *Vgl. A . Neubert: Pragmatische Aspekte der Übersetzung. Beihefte zur Zeitschrift „Fremdsprachen", I I , Leipzig 1968, S. 30—31.
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in pragmatischer Hinsicht besondere Schwierigkeiten; 4) Material außenpolitischer Propaganda und Warenwerbung für den E x p o r t ; bei der Übersetzung solcher Texte spielt die Beachtung des pragmatischen Faktors eine entscheidende Rolle.
§ 33. W e n n wir v o n den konkreten Arten des Übersetzungsmaterials absehen, müssen wir feststellen, daß die Berücksichtigung des pragmatischen Aspekts am wichtigsten ist für die Wiedergabe derjenigen Klassen der Lexik, die meist als äquivalentlos gelten (s. § 24), nämlich der Eigennamen, der geographischen Benennungen und der Bezeichnungen verschiedener Realien aus Kultur und Alltag. So muß beim Ubersetzen von geographischen Namen, wie z. B. der amerikanischen Benennungen Massachusetts, Oklahoma, V i r ginia, der kanadischen Alberta, Manitoba oder der britischen Middlesex, Surrey u. dgl., grundsätzlich die Bezeichnung der Verwaltungseinheit hinzugefügt werden: Staat Massachusetts usw., Provinz Alberta, Grafschaft Middlesex*, da der fremdsprachige Leser meistens nicht weiß, worauf sich diese Namen eigentlich beziehen. Somit wird die Information, die im Ausgangstext implizit enthalten ist (da sie dem AS-Träger als Bestandteil seines „Hintergrundwissens" bekannt ist), im übersetzten Text explizit zum Ausdruck gebracht. V g l . auch folgende Ubersetzung aus dem Russischen ins Englische: Более доходной статьей, чем ветошничество, было воровство дров и тёса в лесных складах на берегу Оки и на Песках. (М. Горький, Детство, гл. X I I I ) But I found that the profits from junk dealing were less than from stealing boards from the lumberyards on the bank of the Oka River or on the Sands. Jeder russische Leser weiß sicher, daß Oka ein Flußname ist; jedoch kann diese Information nicht auch beim englischsprachigen Leser als bekannt vorausgesetzt werden, deshalb wurde in der Übersetzung das W o r t river hinzugefügt. Z u s ä t z e , die Informationen enthalten, welche den AS-Trägern bekannt, den ZS-Trägern aber unbekannt sind, *Vgl, А. Д, Швейцер: Перевод и лингвистика, с. 245.
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bilden ein weitverbreitetes Ubersetzungsmittel, dessen Aufgabe es ist, ein möglichst vollständiges Verstehen der Ubersetzung durch die zielsprachlichen Empfänger zu gewährleisten. Ein interessantes und aufschlußreiches Beispiel dieser Art bringt W. N. Komissarow in seiner Arbeit „Слово о переводе", S. 150: It was Friday and soon t h e y ' d go out and get drunk. (J. Brain, Room at the Top) Была пятница, день получки, вскоре эти люди выйдут па улицу и напьются, (пер. Т. Кудрявцевой и и Т. Озерской) Die in der Ubersetzung eingefügten W ö r t e r sind dadurch notwendig geworden, daß der russischsprachige Leser normalerweise nicht weiß, was jedem Engländer bekannt ist: der Lohn wird in England wöchentlich am Freitag (vor dem „weekend") ausgezahlt. Nachstehend bringen wir zwei weitere Beispiele solcher pragmatisch bedingter Ergänzungen: ... for dessert you got Brown B e t t y , which n o b o d y ate... (J. Salinger, The Catcher in the Rye, Ch. 5) ... на сладкое — „ р ы ж у ю Бетти", пудинг с патокой, только его никто не ел... Г а е в : Я человек восьмидесятых годов. (А. Ч е хов, Вишневый сад) I ' m a good Liberal, a man of the eighties. Im ersten Beispiel erschließt die Ergänzung die Bedeutung der dem russischen Leser unverständlichen Bezeichnung рыжая Бетти, im zweiten dient sie zur Charakterisierung Gajews, des Vertreters einer Epoche, in der ein schwärmerischer Liberalismus prosperierte, der sich friedlich mit der brutalen politischen Beaktion abfand (diese Konnotation war dem russischen Zuschauer zu Tschechows Zeiten geläufig). In anderen Fällen äußert sich die Rücksichtnahme auf pragmatische Faktoren dagegen i n der W e g l a s s u n g v o n Wörtern in der Übersetzung, z. В . : ... There were pills and medicine all over the place, and everything smelled like Vicks' Nose Drops. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, Ch. 2) Везде стояли какие-то пузырьки, пилюли, все пахло каплями от насморка. 136
Hier ist in der Ubersetzung die Firmenbezeichnung V i c k ' s weggelassen, da sie dem russischen Leser nichts sagt. Obwohl das zu einem geringen Informationsverlust führt, kann es ohne weiteres in Kauf genommen werden, da diese Information unwesentlich ist. Noch häufiger als Ergänzungen und Weglassungen k o m men i n der Praxis der Übersetzung S u b s t i t u t i o n e n vor, um dem die Zielsprache beherrschenden Leser eine Information zu vermitteln, die im Original nicht direkt ausgedrückt, dem AS-Leser aber verständlich ist. Als Beispiel nehmen wir einen Auszug aus dem Buch des amerikanischen Historikers und Journalisten W. Shirer „The Rise and Fall of the Third Reich": ... The jubilant Prime Minister faced a large crowd that pressed into Downing Street. After listening to shouts of ,Good old Neville' . . . , Chamberlain spoke a few words from a second-storey window in Number 10. (Cb. 12) Jeder Engländer weiß sehr gut, was für eine Einrichtung sich im Haus Nr. 10 in der Londoner Downing Street befindet. Dem deutschen oder russischen Leser kann dies aber unbekannt sein, deshalb muß es auch in der Ubersetzung heißen; Chamberlain sprach einige Worte aus dem Fenster im zweiten Stock seiner Residenz. Eine ähnliche Substitution haben APN-Übersetzer vorgenommen, als sie den Satz Он ушел в армию 22 июня 1941 года wie folgt übersetzten: On the day when Germany attacked Russia, he joined the army*. Das jedem Menschen in der Sowjetunion bekannte D a t u m kann dem englischsprachigen Leser unbekannt sein und erfordert daher eine Erschließung in der Übersetzung, denn es wird hier ja besonderer Nachdruck darauf gelegt, daß die in Frage k o m mende Person schon am ersten Tag des Krieges in die Armee eintrat. Oft besitzen solche Substitutionen den Charakter der G e n e r a l i s i e r u n g . Dabei wird ein W o r t m i t konkreter Bedeutung durch ein anderes mit allgemeinerer Be*Das Beispiel stammt aus der Dissertation von L. A. Tschernjacliowskaja: „Перестройка речевой структуры для передачи компонентов смыслового членения высказывания при переводе с русского языка на английский (М., 1971), in der weitgehend Material von APN-Übersetzungen ausgewertet wird.
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deutung substituiert, das dafür aber einem Träger sprache besser verständlich ist:
der Z i e l -
Сядем на вокзале обедать и она требует самое дорогое и на чай лакеям дает по рублю (А. Ч е х о в , Вишневый сад, I) We sit down to dinner at a station and she orders, insists on the most expensive things and gives the waiters double tips. (tr. by S. Y o u n g ) Der englische oder amerikanische Leser braucht nicht zu wissen, wie hoch der Realwert des russischen Rubels zu jener Zeit war, deshalb wird in der Ubersetzung anstelle eines konkreten Betrags unmittelbar die Großzügigkeit der v o n der Ranewskaja gezahlten Trinkgelder angesprochen. (In einer anderen Übersetzung desselben Dramas heißt es: „gives the waiters a florin each", was durchaus akzeptabel ist, da es sich ja um einen Auslandsaufenthalt der Ranewskaja handelt.) Hier einige Beispiele der Generalisierung bei der Ubersetzung aus dem Englischen ins Russische: ... a ,swept' yard that was never swept — where johnson grass and rabbit-tobacco grew in abundance. (H. Lee, To Kill a Mockingbird, I) „чистый" двор, который никогда не подметался и весь зарос сорной травой (пер. Н. Галь и Р. Облонской) The temperature was an easy ninety, he said, (ib., 18) Жара невыносимая, сказал он. Im ersten Beispiel stehen Namen von Unkrautpflanzen, die den Einwohnern der Südstaaten geläufig sind, wo die Handlung der Erzählung spielt. Dem russischen Leser sind aber die Pflanzen „Johnsongras" und „Kaninchentabak" schwerlich bekannt, deshalb bedienen sich hier die Übersetzer der Generalisierung, zumal es ja nicht darauf ankommt, v o n welchen Pflanzen der Hof überwuchert war, sondern lediglich darauf, daß hier Unkraut wucherte, da sich niemand um den Hof kümmerte. In einem anderen K o n t e x t (z. B. in einer botanischen Fachschrift) wäre eine solche Generalisierung unzulässig und unnötig. Im zweiten Beispiel bedeutet ninety „neunzig Grad Fahrenheit", jedoch ist die Fahrenheitskala bei uns wenig bekannt, Eine Umrechnung in Grad Celsius wäre hier fehl am 138
Platz, da in den USA, wo die Handlung der Erzählung spielt, dieses System ungebräuchlich ist. Die Ubersetzer griffen auch hier zur Generalisierung, da es in diesem K o n t e x t nicht auf die exakte Temperaturangabe ankommt, sondern eben auf die große Hitze. Die Generalisierung äußert sich häufig in der Substitution eines Eigennamens (z. B. einer Firmenbezeichnung) durch den Gattungsnamen des jeweiligen Objekts, z. B. I could see my mother going in Spauldings's ... (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 7) Я представил себе, как мама пошла в спортивный магазин ... I lit a cigarette and got all dressed and then I packed these two Gladstones I have, (ib., 7) Я закурил, оделся, потом сложил оба свои чемодана. Вы, матушка, в Печёры, к Асафу-схимнику сходите... (М. Горький, Детство, V) Y o u ' d better go to Asaf-the-Becluse at the abbey, m y good woman. Häufig muß man in der Übersetzung aus pragmatischen Gründen bildhafte, übertragene und metaphorische Ausdrücke durch direkte, nicht bildhafte substituieren. So wurde der deutsche Titel der Memoiren des früherenösterreichischen Kanzlers Schuschnigg „Ein R e q u i e m in R o t W e i ß - R o t " ins Englische als „Austrian R e q u i e m " übersetzt, da dem englischen oder amerikanischen Leser das metaphorische R o t - W e i ß - R o t (die österreichischen Nationalfarben) unverständlich wäre. Außer der Generalisierung verlangt die Berücksichtigung des pragmatischen Faktors beim Übersetzen zuweilen die Anwendung des genau entgegengesetzten Mittels, nämlich der K o n k r e t i s i e r u n g , d . h . der Substituierung eines Wortes von allgemeiner Bedeutung durch ein oder mehrere Wörter von engerer, konkreterer Bedeutung, die das Wesen der betreffenden Erscheinung erschließt. Untersuchen wir folgendes Beispiel: The British people are still profoundly divided on the issue of joining Europe. (Aus einer Tageszeitung) Dem fremdsprachigen Leser kann unverständlich bleiben, in welchem *Sinne hier das W o r t Europe gebraucht ist. Für den Einwohner Großbritanniens aber, der mit der politischen 139
Situation in seinem Lande vor 1973 vertraut ist, bedarf der Ausdruck „ j o i n i n g Europe" keiner weiteren Erläuterung. Mit Rücksicht darauf ist dieser Satz folgendermaßen zu übersetzen: In der britischen Bevölkerung bestehen bis heute tiefgehende Meinungsverschiedenheiten über den Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft. Und schließlich muß der Übersetzer eventuell einen Kommentar geben, um bestimmte Erscheinungen, Realien usw. zu erläutern, die dem AS-Leser vertraut, dem ZSLeser aber fremd oder unbekannt sind. So fragt z. B. in Tschechows Stück „Der Kirschgarten" Jepichodow seinen Gesprächspartner: „Вы читали Б о к л я ? " In der englischen Ubersetzung ist diese Stelle in einer Fußnote mit folgender Anmerkung versehen: „ B u c k l e ' s ,History of Civilisation* is better known in Russia than here. To have read it is а sort of cachet of populär erudition..." V g l . auch das Beispiel aus Dickens in § 31. W i e aus den hier angeführten Beispielen hervorgeht, verlangt die Berücksichtigung pragmatischer Faktoren v o m Ubersetzer gründliche Kenntnis der Gegenstände und Situationen, die im Ausgangstext behandelt werden, d. h. umfangreiches extralinguistisches Wissen. Andererseits setzt die Anwendung der aufgeführten Ubersetzungsverfahren beim Ubersetzer „Maßgefühl" voraus, da die mißbräuchliche Benutzung verschiedener Substitutionen in der Ubersetzung eine inhaltliche und stilistische Entstellung des Originals zur Folge haben kann. Der Ubersetzer muß dem Leser die ihm unverständlichen oder unbekannten Erscheinungen und Begriffe n a h e b r i n g e n , aber er darf sie keinesfalls durch solche e r s e t z e n , die dem ZS-Leser bekannt und vertraut sind. Im entgegengesetzten Fall kann die Übersetzung zu einer beabsichtigten oder unbeabsichtigten Entstellung des Originals werden, indem die darin geschilderten Situationen in eine den ZSLesern gewohnte Umgebung übertragen werden, was man in der Geschichte der russischen Übersetzung im 18. und 19. Jh., „склонение на русский лад" nannte. In diesen Fehler verfiel häufig der bekannte Übersetzer Mitte des 19. Jh. Irinarch Wwedenski, der in seinen Dickensund Thackeray-Übersetzungen englische Realien durch russische ersetzte (in seinen Ubersetzungen wimmelt es von 140
Russizismen wie извозчик, приказчик, бекеша, писарь, ямщик u. ä.*). In diesem Falle haben wir es mit dem direkten Gegensatz des Mißbrauchs der Transkriptionsübersetzung zu tun, w o v o n in § 25 die Rede war. Es handelt sich um das entgegengesetzte Extrem, das man in der Übersetzung ebenfalls meiden soll, da die Verständlichkeit der Übersetzung nicht um den Preis der Vulgarisierimg angestrebt werden darf. In den gleichen Fehler verfielen auch die zahlreichen Ubersetzer des „Слово о полку Игореве" ins moderne Russisch, die es in ihrem Streben nach Verständlichkeit für den heutigen Leser auf jede erdenkliche Weise „modernisierten", wobei „jeder Übersetzer in seine Fassung eben diejenigen Elemente aufnahm, die die Grundlage der zu seiner Zeit aktuellen Ästhetik bildeten", so daß „jede neue Übersetzung ... eine neue Entstellung des Originals war, bedingt durch den Geschmack der sozialen Schicht, an die sich der Übersetzer w a n d t e " * * . Ein aufschlußreiches Beispiel einer solchen durch pragmatische Orientierung bedingten „Modernisierung" des Textes bringen E. Nida und Gh. Taber in ihrer „Theorie und Praxis der Übersetzung"***. Hier handelt es sich um eine Übersetzung der Bibel in modernes Englisch, in deren Text der Übersetzer pragmatisch bedingte Abweichungen v o m Original einfließen läßt, in der Absicht, den Bibeltext dem zeitgenössischen Leser näherzubringen: Alte Übersetzung ... a woman ... who had an evil spirit in her that had kept her sick for eighteen years. (Luke, 13 : 11) Then Satan went into Judas. (Luke, 22 : 3)
Neue Übersetzung ... a woman who for eighteen years had been ill from some psychological cause. Then a diabolical plan came into the mind of Judas.
Man muß wissen, daß für die heutigen Übersetzer die Bibel nicht eine Sammlung alter Mythen ist, sondern vor *Siehe К. Чуковский: Высокое искусство. М . , Искусство, 1964, с. 119. **Ebenda, S. 260. ***Е. Nida arid Ch. Taber: The Theory and Practice of Translation. Leiden 1969 p. 134.
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allem ein Instrument zur ideologischen Beeinflussung der Gläubigen. Deshalb nehmen sie häufig Sinnentstellungen in Kauf, um dem biblischen Text, wie dies aus den angeführten Beispielen hervorgeht, ein zeitgemäßeres Aussehen zu verleihen. V o m Standpunkt der Ubersetzungstheorie haben wir es hier mit einem Fall zu tun, wo der Pragmatik gegenüber der Semantik der Vorzug gegeben wird. Der Begriff der Adäquatheit der Ubersetzung, d. h. die Forderung nach Äquivalenz des ZS-Textes und des AS-Textes, setzt jedoch voraus, daß sowohl den pragmatischen als auch den semantischen Faktoren gleichermaßen Rechnung getragen wird; die letzteren dürfen normalerweise nicht zugunsten der ersteren geopfert werden. Das Maximum des dem Ubersetzer in diesem Falle Erlaubten ist ein geringer Verlust an Informationssubstanz, die für den betreffenden Kontext unwesentlich ist, wie vorstehend an Beispielen dargestellt wurde (vgl. u. a. das Verfahren der sogenannten Generalisierung, das meistens unbedeutende inhaltliche „Opfer" nach sicli zieht).
4. Die Wiedergabe der intralinguistischen Bedeutungen § 34. Unter intralinguistischer Bedeutung verstehen wir gemäß der in § 14, Kapitel 2 angeführten Definition das Verhältnis des jeweiligen sprachlichen Zeichens zu anderen Zeichen desselben sprachlichen Systems. Diese zwischen den Einheiten der Sprache selbst bestehenden Beziehungen sind vielfältig und verschiedenartig. Dazu gehören die Beziehungen der lautlichen Ähnlichkeit der Wörter (Endreim, Stabreim, Assonanz u. ä.), die Beziehungen der Ähnlichkeit der Morphemstruktur der Wörter („Wortfamilien"), die Beziehungen der semantischen Ähnlichkeit (Zugehörigkeit der W ö r t e r zu einer gemeinsamen Synonymreihe oder zu einem lexikalisch-semantischen Feld) oder Gegensätzlichkeit (Ant o n y m i e ) , Beziehungen der Vereinbarkeit der Wörter im Satz („Valenz" oder „ K o l l o k a b i l i t ä t " der Wörter) u. dgl. m. (Alle diese Beziehungen bestehen ebenfalls nicht nur zwischen Wörtern, sondern auch zwischen beliebigen sprachlichen Einheiten, Morphemen, Wortverbindungen, Sätzen usw. W i r werden uns jedoch in diesem Abschnitt der A n schaulichkeit wegen auf Beispiele der Beziehungen zwischen 142
Wörtern beschränken, wie dies auch in den Abschnitten über die Wiedergabe der referentiellen und der pragmatischen Bedeutungen bei der Ubersetzung geschah.) Oben (§ 15) wurde festgestellt, daß sich im Ubersetzungsprozeß die intralinguistischen Bedeutungen am wenigsten in der anderen Sprache wiedergeben lassen. Sie bleiben in der Mehrzahl der Fälle bei der Übersetzung überhaupt nicht erhalten, da jede Sprache ihr eigenes, äußerst spezifisches System intralinguistischer Bedeutungen der sie bildenden Einheiten besitzt. Dennoch ist in bestimmten Fällen in einem konkreten K o n t e x t gerade die intralinguistische Bedeutung der betreffenden sprachlichen Einheiten v o n entscheidendem W e r t , so daß ihre Wiedergabe bei der Ubersetzung unumgänglich notwendig wird. Mitunter verlangt die Wiedergabe der intralinguistischen Bedeutungen sprachlicher Einheiten selbst einen Verzicht auf die referentiellen Bedeutungen, obwohl eigentlich eher das Gegenteil das Normale ist. So versteht sich z. B. von selbst, daß die Wiedergabe der intralinguistischen Bedeutungen der AS-Einheiten (und manchmal auch ihrer phonetischen oder graphischen Gestalt) immer notwendig ist, wenn diese E i n h e i t e n s e l b s t G e g e n s t a n d der A u s s a g e w e r d e n , d. h. wenn im Ausgangstext nicht v o n Gegenständen, Erscheinungen und Begriffen der objektiven W i r k l i c h k e i t die Rede ist, die durch sprachliche Mittel bezeichnet werden, sondern v o n diesen sprachlichen Mitteln selbst. Das ist zunächst der Fall, wenn eine konkrete Sprache zum Gegenstand der wissenschaftlichen Beschreibung wird; dann ist die Ubersetzung, strenggenommen, unmöglich und unnötig. Der englische Satz The Past Tense of some verbs is formed by changing the root vowel, i. e. write — wrote läßt sich nur so ins Deutsche oder ins Russische übersetzen, daß dabei die Wortformen write — wrote unübersetzt bleiben, sonst verliert die Aussage ihren Sinn. Man muß aber wissen, daß sprachliche Einheiten (und namentlich Wörter) nicht nur in wissenschaftlichen Texten, z. B. in Grammatikbüchern, zum Gegenstand der Aussage werden können, sondern auch in Texten anderer Gattungen, einschließlich der schöngeistigen Literatur. In diesem Falle gewinnt das P r o b l e m der Wiedergabe der intralinguistischen Bedeutungen dieser Einheiten bei der Übersetzung ein besonderes praktisches und theoretisches Interesse. 143
Ein sehr charakteristisches Beispiel dafür führt J. Rezker in seinem Buch „Theorie der Übersetzung und Übersetzungspraxis" an*. Es geht um die russische Übersetzung eines Schauspiels von J. Galsworthy, in dem es sich um die Fälschung eines Bankschecks handelt. Hier dieser Auszug: J a m e s : Give m e the cheque-book. W h a t ' s this ninety? W a l t e r : But l o o k here, father, it's nine I drew a cheque for. (J. Galsworthy. Justice, I) Д ж е й м с : Дай мне ч е к о в у ю книжку. Что это з а восемьдесят фунтов? У о л т е р : Н о послушай, отец, я выписал чек на восемь фунтов. (Дж. Г о л с у о р с и . Собр. соч., т. 14, с. 217) Es stellt sich heraus, daß der Bankangestellte den Scheck gefälscht hat, indem e r dem englischen W o r t nine die beiden Buchstaben - t y hinzugefügt und sich am Differenzbetrag bereichert hat. Die ganze Situation beruht hier auf dem Verhältnis der Wörter nine und ninety. Aber das russische W o r t девять läßt sich nicht ohne auffällige Basur in девяносто umändern; deshalb mußte der Ubersetzer die Zahl neun durch acht und somit das W o r t девять durch восемь ersetzen, damit aus девяносто восемьдесят wird, worauf das beschriebene Fälschungsverfahren paßt. Eine Übersetzung ins Deutsche würde keine Veränderung der Summe erforderlich machen (neun — neunzig), die Ubersetzung ins Französische hingegen würde eine noch stärkere Reduzierung der Summe verlangen, da nur das Zahlwort cinq durch bloßen Zusatz von fünf Buchstaben in cinquante verwandelt werden kann. Dieses Beispiel ist dadurch aufschlußreich, daß es sehr eindringlich die Notwendigkeit aufzeigt, in bestimmten Fällen die referentielle Bedeutung des Wortes zu opfern (und noch dazu an Hand eines Zahlwortes, das in der Partnersprache stets ein volles und ständiges Ä q u i valent besitzt), um seine intralinguistische Bedeutung, seine Beziehung zu anderen Wörtern der Sprache wiederzugeben — in diesem Falle sind die beiden Zahlwörter durch ein Ableitungsverhältnis, d. h. durch ihr gemeinsames Wurzelmorphem, verbunden. * Я. И. Рецкер: Теория перевода и переводческая практика. М.,'„Международные отношения", 1974, с. 53.
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Andererseits bestätigt dieses Beispiel wiederum, wie wichtig e s ist, den C h a r a k t e r des zu ü b e r s e t z e n d e n T e x t e s bei der W a h l des Übersetzungsäquivalents zu berücksichtigen. In einem literarischen T e x t erweist sich der durch die Substitution v o n nine durch восемь und ninety durch восемьдесят verursachte Informationsverlust als unwesentlich, da es nicht auf den konkreten Geldbetrag ankommt, sondern auf die Tatsache der Scheckfälschung. Bei der Übersetzung eines wissenschaftlichen oder technischen Textes wäre eine solche Substitution natürlich unzulässig, weil in derartigen Texten quantitative Angaben v o n großem W e r t sind. Das nachstehende Beispiel — diesmal aus einem russischen literarischen T e x t — veranschaulicht den Fall, wo die sprachliche Einheit selbst, d. h. ein W o r t , als Aussagegegenstand auftritt (hier nicht in schriftlicher, sondern in mündlicher F o r m ) * : — Ты откуда пришла? — спросил я её. — Сверху, из Нижнего, да не пришла, а приехала. По воде-то не ходят, шиш. ... — А отчего я шиш? — Оттого, что шумишь,— сказала она, тоже смеясь. (М. Горький, Детство, I) „ D i d you have to walk far to get here?" I asked her. „I d i d n ' t walk, I rode. Y o u d o n ' t walk on the water, you f i g , " she answered... „ W h y do y o u call me a f i g ? " „Because y o u ' r e so b i g , " was her laughing retort. Die russischen Bewegungsverben verlangen obligatorisch eine Präzisierung der Ausführungsart der Bewegung: прийти (zu Fuß) — п р и е х а т ь (mit einem Fahrzeug zu Lande oder zu Wasser) — приплыть (zu Wasser) — прилететь (auf dem Luftwege). Das K i n d gebraucht irrtümlicherweise das Verb прийти, so daß die Großmutter berichtigen muß: не пришла, а приехала. Im Englischen wäre hier das Verb come am Platze, aber im Unterschied zum Bussischen enthält es keinen Hinweis auf die konkrete *Dieses Beispiel wird (ohne die englische Ubersetzung) in der erwähnten Arbeit v o n J. Cat ford: „A Linguistic T h e o r y of Translation", p. 97, angeführt. 10-019
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Bewegungsart. Deshalb mußte die Übersetzerin M. Wettlin hier das Verb to walk gebrauchen, was aber eine Umgestaltung der Frage selbst nach sich zieht. Natürlich hat der englische Fragesatz Did you liave to walk far to get liere? eine andere referentielle Bedeutung als der russische Ты откуда пришла?, aber diese „Sinnentstellung" ist hier unvermeidlich, da im vorliegenden K o n t e x t gerade die linguistische Gegenüberstellung der beiden Verben прийти — приехать maßgeblich ist. Dieses Beispiel veranschaulicht auch einen anderen Aspekt des hier behandelten Problems, nämlich die W i e d e r gabe des R e i m s. Im russischen Original wird der scherzhafte Ton, in dem die Großmutter m i t ihrem Enkel spricht, auch durch die Reimung vonzwuiuund шумишь hervorgehoben. In der Übersetzung sind die W o r t e оттого, что шумишь durch because you're so big wiedergegeben, die offensichtlich eine ganz andere referentielle Bedeutung haben, aber dafür die Bewahrung des Reimes ermöglichen, wenn auch in v ö l lig abweichender lautlicher Form. Hier noch ein Beispiel aus derselben Erzählung Gorkis. (Gorki erinnert sich an die Frösche, die ins frisch ausgehobene Grab seines Vaters gesprungen sind.) Я спросил б а б у ш к у . — А лягушки не вылезут? — Нет, уж не вылезут,— ответила она. Бог с ними! Ни отец, ни мать не произносили так часто и родственно имя божие. (I) „ W o n ' t the frogs get out?" I asked. „ N o , tliey w o n ' t , God bless them," she answered. Neither my mother nor father had ever spokeri the name of God so frequently and with such familiarity. Die pragmatische Bedeutung des russischen Ausdrucks бог с ними und des englischen God bles them ist verschieden. Im vorliegenden K o n t e x t ist aber davon die Rede, daß die Großmutter häufig den N a m e n Gottes, also eine bestimmte sprachliche Einheit, gebrauchte; darum ist die innere Form des Ausdrucks бог с ними hier nicht gleichgültig, was auch für die W a h l des englischen Äquivalents maßgebend ist. Es ist interessant, daß etwas weiter im gleichen T e x t der bedeutungsnahe Ausdruck господь с ними ganz anders übersetzt wird: — Эх, брат, ничего ты ещё не понимаешь! — ска146
зал он.— Лягушек жалеть не надо, господь с ними! Мать пожалей... „ A h , sonny, it's not ranch you understand yet!" he said. „ I t ' s not the frogs are to be pitied — the devil with them — it's your mother." In diesem Falle werden die Worte von einem einfachen, grobschlächtigen Matrosen gesprochen, in dessen Redeweise „der Name Gottes" gar nicht notwendig erhalten bleiben muß, daher auch die W a h l einer anderen Ubersetzungsvariante. W i r erwähnten schon das Problem der Erhaltung des Reims in der Ubersetzung. Es erübrigt sich wohl, auf die große Bedeutung der Reimwiedergabe bei der Übersetzung gereimter Dichtung einzugehen. Aber der Endreim ist nur einer der möglichen und real bestehenden Typen der Verbindung von Wörtern auf Grund ihrer lautlichen Ähnlichkeit, die in der Rede als Ausdrucksmittel verwendet werden. Neben dem Endreim gibt es auch andere Arten lautlicher Ähnlichkeit v o n Wörtern, unter denen besonders die A 1 1 it e r a t i o n oder der Stabreim hervortritt, d. h. die Identität der Anlautkonsonanten v o n nebeneinander stehenden W ö r tern (im weiteren Sinne auch die Identität der Konsonanten einer beliebigen Silbe v o n nebeneinander stehenden W ö r tern). Für das Englische wie für das Deutsche ist der Stabreim besonders charakteristisch, und zwar nicht nur für die Dichtung (wo er auf die altgermanische Stabreimdichtung zurückgeht), sondern auch für andere Stilarten, so z. B. für die Sprache der Zeitung und der Publizistik. Das sieht man u. a. an folgendem Beispiel: Mr Callaghen said it (North Vietnam) was a country of „bicycles, buffaloes and bent backs," and their efforts in reconstruction had to be seen, to be believed („Morning Star", 12.III.73). Auf dem Stabreim beruhen zahlreiche phraseologische Einheiten der englischen Sprache, z. B. safe and sound, a pig in a poke, fit as a fiddle, dead as a doornail, bold as brass, cold comfort, with might and main usw. Im Deutschen sind solche Stabreimpaare ebenfalls weit verbreitet (bei Nacht und Nebel, über Stock und Stein, mit Haut und Haaren, durch dick und dünn u. a.). Genauso wie im Englischen wird dem Stabreim im Deutschen publizistische 10*
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Wirkung abgewonnen; man erinnere sich z. B. an den Titel eines Frühwerks v o n Hans Fallada „Bauern, Bonzen und B o m b e n " , oder an die Pseudonyme Kurt Tucholskys: Peter Panther und Theobald Tiger. Der russischen Sprache ist dagegen die Alliteration im allgemeinen fremd. W e n n sie aber in der Poesie oder Prosa auftaucht, kommen ihr v ö l l i g andere Funktionen zu als in den gleichen Gattungen im Englischen oder Deutschen. V g l . folgende Zeilen aus Puschkins „Eugen Onegin": Какое низкое коварство П о л у ж и в о г о забавлять, Ему подушки поправлять, Печально подносить лекарство... Die vielfache Wiederholung v o n Wörtern, die mit p anlauten, erweckt hier den Eindruck von Eintönigkeit und Langweile, wie es der Stimmung des Helden entspricht. Solch eine Alliteration bemerken wir erst gar nicht, ihr Effekt ist eher im Unterbewußtsein wirksam, im Englischen (und Deutschen) wird die Alliteration aber jedesmal als bewußt angewandtes Gestaltungsmittel empfunden. Der Übersetzer aus dem Englischen sieht sich somit einer schwierigen Aufgabe gegenüber: Einerseits ist es erwünscht, im Text den Effekt zu rekonstruieren, der im Original durch den Stabreim bewirkt wird, andererseits führt der Versuch, die Alliteration in den russischen T e x t zu übernehmen, meistens nicht zum angestrebten Ziel. Der beste Ausweg ist hier wie in vielen anderen Fällen der Rückgriff auf das Verfahren der Kompensierung, indem der Stabreim durch den Endreim oder durch die Auswahl v o n entsprechend rhythmisch strukturierten Wörtern ersetzt wird. Der Titel eines kritischen Essays v o n 0. W i l d e , „Pen, Pencil and Poison", wurde ins Russische mit „Кисть, перо и отрава" übersetzt. Der alliterierende Stabreim des Originals ist hier nicht bewahrt, aber sein Verlust wird durch den rhythmischen Aufbau der ganzen Wortgruppe kompensiert (drei betonte Silben, die durch eine steigende Zahl unbetonter Silben getrennt sind).* Diese Ubersetzung ist auf den ersten B l i c k effektvoller als „Крестьяне, бонзы и бомбы", wie der Titel des erwähnten *Vgl. Я. И. Рецкер: Следует ли передавать аллитерацию в публицистическом переводе? „Тетради переводчика", вып. 3, М. 1966, с. 73—77.
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Fallada-Romans auf Russisch lautet, wobei keinerlei spezielle Ausdrucksmittel zur Anwendung gelangt sind. In den seltenen Fällen, wo im Russischen alliterierende Titel vorkommen, hat es der deutsche (und englische) Ubersetzer nicht schwer, das in seiner Sprache geläufige Stilmittel anzuwenden. W. Giljarowskis Erinnerungsbuch „Москва и москвичи" heißt z. В. in der deutschen Übersetzung „Kaschemmen, K l u b s und Künstlerklausen". Eine nicht weniger schwierige, ja wohl noch kompliziertere Aufgabe entsteht für den Übersetzer bei der W i e d e r gabe sogenannter W o r t s p i e l e . Dieses Ausdrucksmittel beruht auf Ausnutzung äußerer Ähnlichkeit bedeutungsmäßig weit auseinanderliegender Wörter; es stützt sich somit ausschließlich auf intralinguistische Beziehungen zwischen Wörtern der jeweiligen Sprache, die im System der Partnersprache meistens fehlen. Es gelingt den Ubersetzern bei weitem nicht immer, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen. Häufig sind sie genötigt, sich in ihrer Ratlosigkeit in eine Fußnote zu retten m i t dem entschuldigenden H i n weis „unübersetzbares Wortspiel". Es gibt aber auch Beispiele für die glänzende Lösung dieser äußerst schwierigen Aufgabe. Hier bringen wir eines von ihnen: After a dreary conversation in our living-room one night about his entailment... I asked Jem what entailment was, and Jem described it as a condition of having your tail in a crack... (H. Lee, To Kill a Mockingbird, I, 2) Однажды вечером они долго и с к у ч н о толковали в гостиной про ущемления прав... Я спросила Джима, что такое ущемление, он объяснил — когда тебе прищемят х в о с т . . . Das Wortspiel beruht hier darauf, daß der Junge durch die scheinbare Ähnlichkeit der Morphemstruktur der W ö r ter tail und en-tail-ment (vgl. slave und en-slave-ment) irregeführt wird. Im Russischen erreicht man den gleichen Effekt durch die Zusammenstellung der W ö r t e r у-щем-ление und при-гцем-итъ. Die referentielle Bedeutung v o n entailment (Erbschaft ohne Veräußerungsrecht) deckt sich nicht mit der des russischen Ausdrucks „ущемление прав", aber auf Kosten eines in diesem K o n t e x t irrelevanten Informationsverlustes erreichen die Ubersetzerinnen (N. Gal und R. Oblonskaja) die Äquivalenz bei der Wiedergabe des 149
Wortspiels, was in diesem Fall viel wichtiger ist (vorteilhaft ist außerdem, daß auch die pragmatische Bedeutung, d. h. die stilistische Charakteristik des englischen und des russischen Wortes gleich ist: beide sind juristische Fachausdrucke, so daß sie den Kindern, v o n denen die Handlung erlebt wird, unverständlich sind). Eng verwandt mit dem Wortspiel ist auch ein anderes literarisches Ausdrucksmittel, die Verwendung sogenannter „sprechender Namen" in literarischen Werken, wie Держиморда, Скотинин, Молчалин, Пришибеев, Червяков u. dgl. in der russischen Literatur oder W u r m , Heßling u. ä. in der deutschen. Solche Familiennamen enthalten gleichsam eine Kennzeichnung bestimmter Eigenschaften und Merkmale der betreffenden Person. Deshalb führt der Verzicht auf die zumindest annähernde Wiedergabe der Bedeutungen dieser Namen (die am häufigsten in humoristischen und satirischen Werken vorkommen) zweifellos zu einem partiellen Verlust der im AS-Text enthaltenen Information. Andererseits ist es unzulässig, die für die Ausgangssprache typischen Familiennamen durch spezifisch zielsprachliche zu ersetzen (der russische Familienname Червяков kann ins Deutsche nicht mit „ W u r m " , oder ins Englische mit „ W o r m " übersetzt werden). Die Ubersetzungspraxis zeugt davon, daß auch diese schwierige Aufgabe im Prinzip lösbar ist. In der russischen Ubersetzung der bekannten Satire „Das Parkinsonsche Gesetz" gibt es folgende Ubersetzungen englischer sprechender N a m e n * : McNab — Мактяп, McNash — Макляп, McPhail (vgl. fail) — Макпромах, McFission — Мактрах, W a v e r l e y — Ваш de Наш, W o o d w o r m — Сгрызли usw.; der Name des Öltrusts The Trickle and Dried Up Oil Corporation wird übersetzt als Тек Ойл да Вытек. Solche Lösungen verlangen v o m Ubersetzer echten Erfindergeist, ein Verzicht darauf würde aber die Ubersetzung zweifellos abwerten. Andererseits ist auch hier ein gewisses Maßgefühl notwendig. So kann man der bekannten Übersetzerin N. Gal schwerlich zustimmen, wenn sie empfiehlt, den Namen der bekannten Thackerayschen Romanheldin B e c k y Sharp ins Russische als Бекки В о с т р * * zu übersetzen. Dabei gehen wir nicht nur von der bereits eingebürgerten Tradition der *Vgl. Ii. Галь: „Слово живое и мертвое", с. 133—134. **Ebenda, S. 131
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Wiedergabe dieses Namens aus, sondern auch v o n der nicht unbedeutenden Tatsache, daß in der gesamten Struktur des Romans v o n Thackeray die sprechenden Namen eine viel geringere R o l l e spielen als im oben erwähnten „Parkinsonschen Gesetz", wo ihnen ein viel größeres funktionelles Gewicht z u k o m m t . * Besonders wichtig ist die Wiedergabe intralinguistischer Bedeutungen bei der Ubersetzung von Texten, in denen die formellen Besonderheiten überwiegen und die referentiellen Inhalte der sprachlichen Einheiten und des gesamten Redeprodukts eindeutig in den Hintergrund drängen. Hierher gehören Textgattungen wie Kalauer, Akrostichon, Palindrom, Zungenbrecher u. dgl. Der in P o m j a l o w skis „Skizzen aus der Bursa" angeführte russische Satz Я иду с мечем судия ist z. В. ein Palindrom, er kann sowohl vorwärts als auch rückwärts gelesen werden. Man kann ihn nicht durch ein anderssprachliches Palindrom übersetzen, indem man die referentiellen Bedeutungen der ihn bildenden Wörter beibehält, die hier so gut wie irrelevant sind. Man muß irgendeinen anderen zielsprachlichen Satz finden, der eine andere referentielle Bedeutung haben kann, aber dieselbe formelle Eigenschaft besitzt (z. B. englisch „Tis Ivan on a visit" oder deutsch „Die Liebe ist Sieger — rege ist sie bei Leid"). In der Literatur sind übrigens Versuche bekannt, diese sprachliche Erscheinung als poetisches Ausdrucksmittel zu benutzen. So ist das Poem W. Chlebnikows „Stepan Rasin" dadurch gekennzeichnet, daß sich alle seine Zeilen vorwärts wie rückwärts lesen lassen. Der extremste Fall sind schließlich Redeprodukte, die überhaupt keine referentiellen Bedeutungen haben. Die Verwendung solcher „Stammelverse" besitzt eine lange Geschichte in der Folklore und Literatur (vgl. z. B. Christian Morgensterns bekanntes Gedicht „Das große Lalula"). W i r beschränken uns hier auf ein einziges Beispiel dieser „Stammelverse", das in Gorkis Erzählung „Die K i n d h e i t " enthalten ist (der Autor erinnert sich dort an ein Gedicht, das er als K i n d auswendig lernen mußte): *Wor,n die sprechenden Namen sich nicht übersetzen lassen, geben die Ubersetzer in Fußnoten die erforderlichen Erläuterungen. In der Ubersetzung des Schauspiels „Braut ohne Mitgift" von A. N. Ostrowski (J. L. Seymour and G. B. Neyes) steht beim Namen MujiauiiiH die Fußnote Prettyman, bei JJoßpomeopcKuü — Benefactor usw.
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„Стихи говорили: Большая дорога, прямая дорога, Простора немало взяла ты у бога. Т е б я не ровняли топор и лопата Мягка ты копыту и пылью богата. . . . Я возненавидел эти неуловимые строки и стал, со зла, нарочно коверкать их, нелепо подбирая в ряд однозвучные слова; мне очень нравилось, когда заколдованные стихи лишались всякого смысла... — Дорога, двурога, творог, недорога, Копыто, попы-то, корыто... In der englischen Ubersetzung klingt das folgendermaßen: Here is the first verse I had to learn: A winding road, an endless road, A road past fields and m a n ' s abode, No pick or spade the path has laid, But countless hoofs the bed have made. ...I came to hate these illusive lines, and began to distort them for spite, thinking up a whole series of words in alliteration, which gave me the greatest pleasure the less sense they made... A road was sowed and blowed with toad, No pixies, twixies, fixed the mixies... Die englische Ubersetzung enthält kein einziges W o r t (außer dem eigentlichen Schlüsselwort für diesen Auszug — road, дорога), das sich auch nur teilweise in seiner Semantik mit einem W o r t e des Originals deckt. Aber darauf k o m m t es ja auch gar nicht an: wesentlich sind hier nur die formellen Merkmale des russischen Texts (Metrik und B e i m ) , die in der Ubersetzung v o l l wiedergegeben sind. Z u m Abschluß dieses Abschnitts sei noch einmal betont, daß im Prozeß der Ubersetzung die Wiedergabe intralinguistischer Bedeutungen im allgemeinen eine untergeordnete B o l l e spielt. Nur in speziellen Redegattungen, insbesondere in der Dichtung und seltener in künstlerischer Prosa, erhalten die intralinguistischen Bedeutungen ein größeres f u n k tionelles Gewicht, so daß bei der Ubersetzung ihre W i e d e r gabe notwendig wird. Der Ubersetzer muß aber stets daran denken, daß das Leben komplizierter ist als jedes Schema 152
und daß er in seiner Praxis mit der Forderung konfrontiert werden kann, bestimmte formelle Eigenschaften des Originals selbst bei der Ubersetzung v o n offiziellen oder wissenschaftlichen Texten wiedergeben zu müssen. Eine derartige Forderung ergab sich u. a. für die russischen Ubersetzer v o n N. Chomskys „Aspects of the Theory of Syntax". Chomsky verwendet (in bewußter Abweichung v o n der im Englischen üblichen Orthographie) wiederholt Schreibweisen wie Subject-of the Sentence, Main Verb-of the Predicate u . d g l . , wobei die Verbindungen Subject-of, Main Verb-of v o n ihm zu eigenartigen Wortzusammensetzungen geprägt werden. (Das wurde notwendig, um den funktionellen Charakter dieser syntaktischen Kategorien zu betonen: das Subjekt ist immer das Subjekt v o n e t w a s , von einem Satz, seine Eigenschaft „Subjekt zu sein" realisiert sich nur durch seine Beziehung zur Struktur, deren Subjekt es ist.) In der russischen Ubersetzung lesen wir: „Субъект-при Предложении", „Главный Глагол-ири Предикате" usw. (vgl. S. 67 ff.) Das ist freilich ein Verstoß gegen die grammatischen Normen der russischen Sprache, nach denen hier nicht die Konstruktion mit der Präposition при, sondern ein Substantiv im Genitiv gebraucht werden müßte („субъект предложения", „главный глагол предиката" usw.), aber dieser Verstoß ist hier notwendig, um Inhalte wiederzugeben, die im Original durch einen besonderen formellen Kunstgriff ausgedrückt sind. Dieses Beispiel ist aufschlußreich — es beweist ein weiteres Mal, daß es in der Übersetzungstheorie keine unerschütterlichen Regeln für alle Fälle des Lebens gibt. Selbst eine scheinbar so unumstößliche Regel wie die Einhaltung der grammatischen Normen der Zielsprache muß u. U. verletzt werden, um eine vollständige Wiedergabe der im Originaltext enthaltenen Information zu gewährleisten, und das selbst in der wissenschaftlichen Literatur.
5. Die grammatischen Bedeutungen in der Übersetzung § 35. Als wir in den vorstehenden Abschnitten von der Wiedergabe der referentiellen, pragmatischen und intralinguistischen Bedeutungen in der Ubersetzung sprachen, benutzten wir als Beispiele lexikalische Einheiten, also Wörter 153
und Wortverbindungen. Es wäre aber falsch, den Begriff des sprachlichen Zeichens lediglich auf die lexikalischen Einheiten zu reduzieren. Davor wurde schon an entsprechender Stelle gewarnt. Eine zweite Seite des sprachlichen Systems, die nicht weniger wichtig ist als das Lexikon, ist die grammatische Struktur. Die Elemente der grammatischen Struktur — A f f i x e , Wortveränderungsformen und syntaktische Konstruktionen — gehören ebenfalls zu den sprachlichen Zeichen und sind genauso wie die lexikalischen Einheiten Träger referentieller, pragmatischer und intralinguistischer Bedeutungen. In der Sprachwissenschaft ist es üblich, von „lexikalischen" und von „grammatischen" Bedeutungen zu sprechen. Daraus ergibt sich zuweilen der Eindruck, als ob sich diese zwei Bedeutungstypen voneinander in ihrer eigentlichen Natur, in ihrem Inhalt unterscheiden. In Wirklichkeit ist dem aber nicht so. W i e seinerzeit A. I. Smirnizki* sehr richtig feststellte, unterscheiden sich die lexikalischen und die grammatischen Bedeutungen vor allem durch ihre A u s d r u c k s w e i s e . „ E i n überaus wichtiges K e n n zeichen jeder Sprache", schrieb er, „ist, welche Relationsbedeutungen in ihr durch konkrete Wörter und welche durch nichtlexikalische Mittel ausgedrückt werden." Daraus ergeben sich wichtige Schlußfolgerungen für die Übersetzungstheorie: D i e B e d e u t u n g e n , d i e i n d e r e i n e n S p r a c h e l e x i k a l i s c h sind (d. h . d u r c h W o r t e i n h e i t e n a u s g e d r ü c k t w e r d e n), k ö n n e n in einer a n d e r e n S p r a c h e gramm a t i s c h sein (d.h. d u r c h n i c h t l e x i k a l i s c h e M i t t e l a u s g e d r ü c k t werden),und umgekehrt. (Selbst innerhalb derselben Sprache kann die gleiche Bedeutung sowohl durch lexikalische als auch durch grammatische Mittel ausgedrückt sein.) Daher ergeben sich aus dem Fehlen bestimmter grammatischer (bzw. lexikalischer) Mittel in einer Sprache keine unüberwindlichen H i n dernisse für die Übersetzung, was nachstehend an Beispielen gezeigt werden soll. § 36. Die objektiven Schwierigkeiten, die sich für den Übersetzer aus den Unterschieden in der grammatischen Struktur der Sprachen ergeben, dürfen allerdings auch nicht * V g l . A. II. CMupnui{Kuü: CiiHTaKCHC a H r n a i i c K o r o H3biKa, c. 46.
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unterschätzt werden. Genauso wie im Bereich des W o r t schatzes, so können wir auch zwischen den grammatischen Systemen von zwei Sprachen nur in seltenen Fällen v o l l ständige Kongruenz feststellen. Obwohl zwischen der russischen und der englischen Sprache eine weitreichende grammatische Ähnlichkeit besteht, ist diese Übereinstimmung doch nur eine teilweise, und dem Übersetzer (und jedem, der die betreffende Sprache erlernen will) bleiben die wesentlichen Unterschiede zwischen diesen Sprachen im grammatischen Bereich nicht verborgen. Selbst in beiden Sprachen anscheinend identische Kategorien decken sich nie vollständig in ihrem Bedeutungsumfang, in ihren Funktionen und in der Spannweite des von ihnen erfaßten lexikalischen Materials. So haben z. B. im Bussischen wie im Englischen oder Deutschen die Substantive zwei Numerusformen, Einzahl und Mehrzahl; aber selbst zwischen diesen scheinbar so ähnlichen grammatischen Formen besteht keine völlige semantische und funktionelle Übereinstimmung. Es gibt zahlreiche Fälle, wo dem russischen Singular der englische Plural entspricht, wie etwa bei овес — oats, лук — onions, картофель — potatoes, окраина — outskirts u.a. m., oder umgekehrt dem russischen Plural der englische Singular, z . B . деньги — money, чернила — ink, новости — news, сведения — information usw. Auch im Sprachenpaar Russisch-Deutsch bestehen ähnliche Verhältnisse, z. В . : корь — Masern, оспа — Pocken und очки — Brille, ножницы — Schere, ворота — Tor. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Änderung der Numerusform bei der Übersetzung: This party, compelled for a time to stand virtually alone in its struggles... („Daily W o r l d " , 3 0 . X I I . 7 2 ) Наша партия, которая долгое время вела борьбу в одиночку... ...Вишню сушили, мочили, мариновали, варенье варили... (А. Ч е х о в , Вишневый сад, I) ...They used to dry the cherries and soak 'em and pickle 'em, ancl make jam of ' e m . . . Die syntaktische Verwendungsweise der Numerusformen der Substantive ist in verschiedenen Sprachen ebenfalls nicht ganz die gleiche. So gelten im Russischen andere R e geln für die W a h l der Numerusform des Substantivs nach Zahlwörtern als im Englischen und Deutschen. 155
Diese Inkongruenz der grammatischen Formen verschiedener Sprachen wird noch deutlicher, wenn es für eine bestimmte grammatische Form der einen Sprache in der anderen überhaupt keine direkte Entsprechung gibt. So hat in der russischen Sprache das Verb zwei Formen, den vollendeten und den unvollendeten Aspekt, wobei die überwiegende Mehrheit der Verben beide Formen zugleich besitzt,, so daß beim Gebrauch eines Verbs in der Rede die Vollendung oder Nichtvollendung der Handlung ausgedrückt werden m u ß. Im Englischen und Deutschen fehlt die Gegenüberstellung des vollendeten und unvollendeten Aspekts im Verbalsystem (das, was in englischen Grammatiken als Aspekt — Aspect — bezeichnet wird, stimmt nur teilweise mit den Aspektformen der russischen Sprache überein)*. Daher kommt beim Gebrauch des englischen und deutschen Verbs in der Rede der Charakter des Handlungsablaufs im Sinne der Gegenüberstellung von Vollendung und Unvollendetheit bei weitem nicht immer formell zum Ausdruck. In den meisten Fällen läßt sich allerdings die erforderliche Information aus dem engeren oder weiteren K o n text erschließen, so daß sich bei der Übersetzung aus dem Englischen oder Deutschen ins Russische meistens keine Schwierigkeiten für die W a h l der Aspektformen ergeben. In einem Satz wie Every Saturday he went to the cinema oder Er ging jeden Samstag ins K i n o sind die Verben zweifellos durch die Form des unvollendeten Aspekts wiederzugeben: Каждую субботу он ходил в кино. Aber in Sätzen wie W h e n he had finished his work last night, he went to the cinema und Nachdem er gestern abend seine Arbeit beendet hatte, ging er ins K i n o müssen dieselben Verbformen durch den vollendeten Aspekt des russischen Verbs wiedergegeben werden: Вчера вечером, окончив работу, он пошел в кино. In diesen Beispielen enthalten die deutschen und englischen Sätze die Information über den Charakter des Ablaufs der Handlung nicht in der Form des Verbs selbst, sondern in den Adverbialien, die das Verb begleiten. Im ersten Beispiel wiesen every Saturday und jeden Samstag auf die Wiederholung der Handlung hin, im zweiten bezeichnet der Nebensatz When he had finished his work last night
*A. И. Смирницкий: Морфология английского языка, с. 323— 325. 156
bzw. Nachdem er gestern abend seine Arbeit beendet hatte einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit. Eben darum kann in der russischen Übersetzung im ersten Fall nur die Form des unvollendeten Aspekts in Frage kommen, die u. a. eine sich wiederholende, iterative Handlung bezeichnet (die Verbindung Каждую субботу он пошел в кино ist einfach unmöglich), im zweiten Falle ist dagegen nur der vollendete Aspekt angebracht. Es k o m m e n aber auch K o n t e x t e vor, die keinen Hinweis auf den Charakter des Handlungsablaufs enthalten. In diesem Falle steht der Russisch-Ubersetzer vor einer schwierigen Aufgabe. Er kann grundsätzlich sowohl die eine als auch die andere Aspektform verwenden, die untereinander semantisch nicht gleichwertig sind, denn der Ausgangstext bietet nicht genügend Information für die eine oder andere Deutung. Als Beispiel dafür soll folgender Satz aus einer Novelle S. Maughams dienen, in dem die Begegnung von zwei Liebenden beschrieben wird: . . . A s is the way with lovers in Seville, they talked for hours under their breath, with the iron gate between them... W h e n he asked Bosalia if she loved h i m , she answered with a little amorous sigh. (S. Maugham, Mother) Der zweite Satz dieses Auszugs enthält keinerlei H i n weis auf den Charakter des Ablaufs der Handlungen, die durch die Verbalformen asked und answered bezeichnet sind. Es bleibt dahingestellt, ob es einmalige oder mehrmalige, wiederholte Handlungen waren. Bei der Ubersetzung ins Russische können wir daher mit gleichem Recht die vollendete Aspektform oder auch die unvollendete gebrauchen. Im ersten Falle erhalten wir folgenden Satz: Когда он спросил Розалию , любит ли она его, она лишътомно вздохну ла в ответ; im zweiten Falle dagegen lautet die Ubersetzung: Когда он спрашивал Розалию, любит ли она его, она лишь томно вздыхала в ответ. Somit entsprechen ein und demselben englischen Satz zwei russische, wobei die Bedeutung der beiden russischen Äquivalente nicht die gleiche ist — im russischen Satz k o m m t nämlich der Charakter des Handlungsablaufs zum Ausdruck (hier die Einmaligkeit oder Wiederholung), der im englischen Satz nicht genauer bestimmt wird. 157
Aus dem Dargelegten kann nicht geschlossen werden, daß das Englische etwa unfähig sei, den Unterschied im Charakter des Handlungsablaufs zum Ausdruck zu bringen. Die englische Sprache verfügt dazu über eine ganze Reihe von Ausdrucksmitteln. So kann die Wiederholung, die Iteration der Handlung, mit Hilfe des Konjunktionaladverbs whenever ausgedrückt werden (vgl. whenever he asked Rosalia...), die Einmaligkeit mit Hilfe des Zeitadverbs once usw. Das alles sind aber lexikalische (oder lexikalischgrammatische) Ausdrucksmittel dieser Bedeutungen. Der Unterschied zwischen grammatisch ausgedrückten Bedeutungen und solchen, die lexikalisch ausgedrückt sind, besteht aber u . a . darin, claß die ersteren n i c h t u n a u s g e d r ü c k t bleiben können, d.h. o b l i g a t o r i s c h ausgedrückt werden müssen, sobald Wörter einer bestimmten Kategorie auftreten. So kann in der Form des russischen Verbs die Aspektbedeutung nicht unausgedriickt bleiben, in der Form des russischen oder englischen Substantivs muß die Numerusbedeutung zwangsläufig ausgedrückt sein usw. Die lexikalischen Bedeutungen werden dagegen sozusagen fakultativ ausgedrückt, d. h. sie können auch unausgedriickt bleiben, brauchen nicht präzisiert zu werden, da beim A u f b a u des Satzes der Sprechende (bzw. Schreibende) stets die Möglichkeit der mehr oder weniger freien W a h l der lexikalischen Elemente (d. h. Wörter) besitzt. Das beweist ein weiteres Mal, daß der Unterschied zwischen den Sprachen nicht in ihrer Fähigkeit besteht, bestimmte Bedeutungen zum Ausdruck zu bringen, sondern in der N o t w e n d i g k e i t , i n der einen Sprache Bedeutungen auszudrücken, die in der anderen nicht ausgedrückt zu werden brauchen.* Betrachten wir noch ein Beispiel, das die Rolle der Kategorie Geschlecht (Genus) in der russischen und der englischen Sprache und ihre Behandlung in der Ubersetzung veranschaulicht. Die Kategorie des grammatischen Geschlechts wird in der russischen Sprache bekanntlich viel deutlicher ausgedrückt als in der Englischen: Genusmerkmale besitzen im Bussischen die Substantive (Flexionsendungen), die mit ihnen kongruierenden Wörter (Adjektive, Partizipien, Vergangenheitsformen des Verbs u. dgl.) und Pronomina. Im Englischen sind deutliche Genusmerkmale nur bei den Personalprono*Näheres darüber siehe im vorstehend erwähnten R. Jakobsons im Sammelband „On Translation", S. 236.
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Beitrag
mina, Possessivpronomina und Reflexivpronomina 3. Person Singular vorhanden. V g l . z. В . :
der
I once met a Bulgarian artist. She was tall, s.tout and already middle-aged. („Morning Star") Я как-то познакомился с одной болгарской художницей. Она была высокая, полная и у ж е немолодая. Das Geschlecht der Person, die mit dem W o r t artist gemeint ist, wird im Englischen nur durch das Pronomen she bezeichnet, während im äquivalenten russischen Satz dasselbe durch Flexionsmerkmale der Formen v o n acht W ö r tern zum Ausdruck gebracht wird (diese Endungen sind im Beispiel fett gedruckt). Das Geschlecht der mit I bezeichneten Person bleibt im Englischen überhaupt ohne jeglichen sprachlichen Ausdruck, während es im Russischen durch die Form des Prädikatverbs познакомился ausgedrückt ist. Dieser Umstand hat zur Folge, daß die Geschlechtsbedeutungen im englischen T e x t zuweilen unausgedrückt bleiben, aber bei der Übersetzung der entsprechenden Sätze ins Russische (oder ins Deutsche) unbedingt spezifiziert werden müssen. Der englische Satz A friend of mine has told me about it kann auf zweifache Weise ins Russische (und Deutsche) übersetzt werden: Об этом мне рассказал один мой знакомый. (Davon erzählte mir ein Bekannter) und Об этом мне рассказала одна моя знакомая. (Davon erzählte mir eine Bekannte.) W e n n das Geschlecht der mit friend bezeichneten Person nicht aus dem weiteren Kontext oder der Situation erschlossen werden kann, bleibt die W a h l des russischen (und deutschen) Äquivalents weitgehend willkürlich und dem „intuitiven" Ermessen des Übersetzers überlassen. W i e wir sehen, zwingt uns auch hier die grammatische Struktur der Zielsprache zur ausdrücklichen W i e dergabe einer solchen semantischen Information in der Übersetzung, die der Text in der Ausgangssprache gar nicht enthält. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Wiedergabe vieler anderer Substantive wie teacher — Lehrer, Lehrerin; Student —• Student, Studentin-, writer — Schriftsteller, Schriftstellerin; cook — Koch, Köchin usw. In allen diesen Fällen kann im englischen Text das Geschlecht der Person meist nur genauer bestimmt werden, wenn ein auf dieses Substantiv bezogenes Pronomen der dritten Person Singular auftritt (he — his — him — himself oder she — her — herseif). Derartige Erscheinungen k o m m e n bei der Ubersetzung 159
aus dem Englischen ins Russische oder Deutsche recht häufig v o r . Im englischen Text der Erzählung v o n H. Lee „ T o K i l l a Mockingbird" wird die Handlung v o m Standpunkt eines kleinen Mädchens geschildert. Da aber der ganze T e x t in der ersten Person geschrieben ist, erfährt das der Leser des Originals erst auf der zwölften Seite, am Ende des ersten Kapitels (wo erstmalig das W o r t sister auftritt). Dem russischen Leser aber wird dies bereits in den ersten Zeilen klar, sobald die Yerbalform говорила auftaucht (im sechsten Satz des Textes). Für die allgemeine Auffassung der semantischen Struktur eines künstlerisch gestalteten Textes durch den Leser ist dies selbstverständlich nicht gleichgültig. Noch größer sind die Schwierigkeiten in den Fällen, wo der Kontext — selbst der weiteste — überhaupt keine H i n weise auf die Geschlechtsbedeutungen liefert. Als Beispiel dafür können Shakespeares Sonette gelten, die den Literaturwissenschaftlern und vor allem den Ubersetzern viel Kopfzerbrechen bereiten. Bekanntlich sind die meisten dieser Sonette so aufgebaut, daß nicht ermittelt werden kann, ob sich der Autor an einen Mann oder an eine Frau wendet. Nehmen wir als Beispiel die Sonette 40 und 48. Take all my loves, my love, yea, take them all; W h a t hast thou then more than thou hadst before? No love, my love, that thou mayst true love call; A l l mine was thine before thou hadst this more. Then if for my love thou my love receivest, I cannot blame thee for my love thou usest; But yet be b l a m ' d , if thou thyself deceivest By wilful taste of what thyself refusest. I do forgive thy robbery, gentle thief, Although thou steal thee all my poverty; And yet, love knows, it is a greater grief To bear l o v e ' s wrong than hate's known injury. Lascivious grace, in w h o m all ill well shows, K i l l me with spites; yet we must not be foes. That god forbid, that made I should in thought control Or at your hand the account Being your vassal bound to 160
me first your slave, your times of pleasure, of hours to crave, stay your leisure!
0, let me suffer, being The imprison'd absence And patience, tame to W i t h o u t accusing you
at your beck, of your liberty, sufferance, bide each check of injury.
Be where you list, your charter is so strong That y o u yourself may privilege your time To what you w i l l ; to y o u it doth belong Yourself to pardon of self-doing crime. I am to wait, though waiting so be hell; Not blame your pleasure, be it ill or well. Selbst die sorgfältigste Analyse dieser Sonette ergibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, ob sie für einen Mann oder für eine Frau bestimmt sind. (Das ist w o h l kein Zufall: Die Sonette Shakespeares haben allgemeinmenschliche, philosophische Geltung und sind m i t Vorbedacht so abgefaßt, daß sie auf den M e n s c h e n schlechthin bezogen werden können.) Sehen wir uns nun an, wie S. Marschak diese Sonette ins Russische übersetzt hat: Все страсти, все любви мои возьми— От этого приобретешь ты мало. Все, что любовью названо людьми, И без того тебе принадлежало. Тебе, мой друг, не ставлю я Ч т о ты владеешь тем, чем я Нет, я в одном тебя лишь Ч т о пренебрег л ю б о в ь ю ты
в вину, владею. упрекну, моею.
Ты нищего лишил его сумы, Но я простил пленительного вора. Любви обиды переносим мы Трудней, чем яд открытого раздора. О ты, чье зло мне кажется добром, Убей меня, но мне не будь врагом! Избави Чтоб я Считать В дела 11-019
бог, меня лишивши воли, посмел твой проверять д о с у г , часы и спрашивать: доколе? господ не посвящают слуг. 161
Зови меня, когда тебе угодно, А до того я б у д у терпелив. Удел мой — ждать, пока ты не свободна, И сдерживать упрек или порыв. Ты предаешься делу, иль забаве, — Сама ты госпожа своей судьбе. И, провинившись пред с о б о й , ты вправе Свою вину прощать самой себе. В часы твоих забот иль наслаяоденья Я ж д у тебя в тоске, без осужденья... Im russischen T e x t sehen wir f o l g l i c h ein ganz anderes B i l d : Aus dem ersten Sonett geht hervor, daß der A u t o r sich hier an einen Mann wendet, im zweiten dagegen ist die Anrede eindeutig an eine Frau gerichtet (die die Genusunterschiede zum Ausdruck bringenden russischen W o r t f o r m e n sind durch Fettdruck hervorgehoben). Der Grund dafür ist nicht eine Laune des Ubersetzers, sondern das Gebot der grammatischen Struktur der russischen Sprache, das ihn einfach z w i n g t , eine semantische Information zum Ausdruck zu bringen, die im Ausgangstext unausgedrückt bleibt. In diesem Fall ist es dem Übersetzer nicht leicht, seine Entscheidung für das eine oder andere Geschlecht in der Übersetzung zu begründen, weil der englische Ausgangstext keinerlei Bezugspunkte für eine eindeutige Lösung liefert, da die Geschlechtsunterschiede keinerlei sprachlichen Ausdruck bekommen haben. Es ist daher nicht verwunderlich, daß u. U. ein und dasselbe Sonett v o n verschiedenen Übersetzern verschieden behandelt wird. Vergleichen wir z. B. die erste Strophe des 57. Sonetts im Original und in den Übersetzungen von V. Brjussow und S. Marschak: Being your slave, what should I do but tend Upon the hours and times of your desire? I have no precious time at all to spend, Nor services to do, tili you require. In der Übersetzung V.
Brjussows lauten diese Zeilen so:
Т в о й верный раб, я все минуты дня Тебе, о мой владыка, посвящаю. Когда к себе ты требуешь меня, Я лучшего служения не знаю. 162
Hier zeugen die Worte мой владыка davon, daß sicii der Dichter an einen Mann wendet. In der Übersetzung von S. Marschak lesen wir aber: Для верных слуг нет ничего д р у г о г о , К а к ожидать у двери госпожу. Так, прихотям твоим служить готовый, Я в ожиданье время п р о в о ж у . Hier weist das W o r t госпожа eindeutig auf eine Frau hin. Es wäre ein aussichtsloses Unterfangen, feststellen zu w o l len, wer v o n den beiden Dichtern recht hat, Brjussow oder Marschall. Jeder hat auf seine Art recht, und beide haben sie unrecht: Bei Shakespeare bleibt in diesem Sonett die Frage nach dem Geschlecht des geliebten Wesens offen — man weiß einfach nicht, ob es um einen Freund oder um die Geliebte geht. Im russischen Text ist es aber unmöglich, diese Unklarheit zu bewahren, und zwar wegen der Besonderheiten der grammatischen Struktur der russischen Sprache, wegen der weiten Verbreitung der obligatorischen Genusendungen. Aus dem Dargestellten geht keineswegs hervor, daß die grammatische Struktur des Russischen insgesamt etwa stärker differenziert ist und mehr Information enthält als die des Englischen. Es gibt genug umgekehrte Beispiele, wo eiue grammatische Kategorie der englischen Sprache kein direktes Äquivalent im Russischen hat und die ihr zugeordnete semantische Information, die im Englischen obligatorisch zum Ausdruck gelangt, im russischen T e x t unbezeichnet bleiben kann. Im Englischen (wie im Deutschen) ist das Substantiv grundsätzlich v o n einem Artikel (bzw. einem anderen funktionsgleichen W o r t , etwa einem Demonstrativoder Possessivpronomen) begleitet, wodurch die B e s t i m m t heit oder Unbestimmtheit des Substantivs angegeben wird. Im Russischen fehlt der Artikel, und die W ö r t e r , die auf die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit des Substantivs hinweisen, sind nicht obligatorisch. Auf Russisch sagt man nicht nur Дай мне эту книгу oder Дай мне какую-нибудь книгу, sondern auch einfach Дай мне книгу, ohne sprachlich zu präzisieren, ob es sich um ein bestimmtes Buch handelt oder um ein Buch schlechthin, um ein beliebiges Buch (eben ein um Buch und nicht um ein H e f t usw.). Im Deutschen und Englischen ist eine solche Präzisierung bei der Erwähnung eines Substantivs o b l i g a t oli*
163
r i s с Ii: man sagt entweder „ G i b mir ein Buch", „Give те a b o o k " oder „ G i b mir das Buch", „ G i v e me the b o o k " , so daß man den russischen Satz Дай мне книгу nur unter Berücksichtigung des weiteren Kontextes oder der außersprachlichen Situation richtig ins Deutsche oder Englische übersetzen kann. Dem Bussischen fehlt auch die Kategorie der „zeitlichen Bezogenheit" (nach А. I. Smirnizki), die im Englischen in der Gegenüberstellung perfektiver und imperfektiver Tempora zum Ausdruck k o m m t , oder in den „relativen Tempora" des Deutschen. In der Vergangenheitsform des Verbs macht das Russische keinen Unterschied zwischen den Bedeutungen des Past Indefinite und Past Perfect oder des Imperfekts, Perfekts und Plusquamperfekts. Daher ist es in einem russischen Satz nicht immer möglich, eine Grenze zu ziehen zwischen einer vergangenen Handlung, die mit dem beschriebenen Moment zeitgleich ist, und einer solchen, die dem beschriebenen Moment vorausgeht, während im englischen und deutschen Satz diese Unterscheidung nicht unausgedrückt bleiben kann. In einem R o m a n I. S. Turgenews steht der Satz Его отец служил чиновником в Петербурге. W e d e r aus dem Satz selbst noch aus dem weiteren K o n t e x t läßt sich hier entnehmen, ob es dabei um die gleiche Zeit geht, die im R o m a n beschrieben wird, oder um eine vorangegangene Periode. Es bleibt unklar, ob der Vater des Helden zum geschilderten Zeitpunkt Beamter in Petersburg war oder es früher, in der Kindheits- oder Jugendzeit des Helden, gewesen war. Im Englischen und Deutschen ist jedoch eine solche Unbestimmtheit einfach unmöglich, da das Verb in einer von zwei Formen stehen muß — entweder im Imperfekt (Sein Vater war Beamter) bzw. Past Indefinite (Iiis father was a civil servant) oder im Plusquamperfekt (Sein Vater war Beamter gewesen) bzw. Past Perfect (Flis father had been a civil servant). W i e in den obigen Beispielen steht hier der Ubersetzer vor einer schwierigen Situation, da er nicht über ausreichende Information verfügt, um eine eindeutige Entscheidung über das in diesem Falle angebrachte konkrete Äquivalent zu treffen.
§ 37. Die auf der Inkongruenz der grammatischen Systeme von Ausgangssprache und Zielsprache beruhenden Schwierigkeiten sind allerdings nicht zu übertreiben. Es wurde be164
reits betont, daß die in der einen Sprache grammatisch ausgedrückte Information in der anderen lexikalisch ausgedrückt werden kann. Deshalb ist es keineswegs zwingend, den in der Ausgangssprache grammatisch ausgedrückten Inhalt in der Zielsprache ebenfalls mit grammatischen Mitteln wiederzugeben. Für den Übersetzungsprozeß ist es auch normal und üblich, daß in der Ausgangssprache grammatisch ausgedrückte Bedeutungen in der Zielsprache durch lexikalische Mittel zum Ausdruck gebracht werden, und umgekehrt das im AS-Text lexikalisch Ausgedrückte im ZSText, durch grammatische Mittel zum Ausdruck k o m m t . Diese v o n der Übersetzungspraxis immer wieder bestätigte Tatsache ist wohl auch der beste Beweis dafür, daß der Unterschied zwischen den grammatischen und den lexikalischen Bedeutungen nicht in ihrer „Natur" liegt, sondern i n ihren A u s d r u c k s w e i s e n , die i n verschiedenen Sprachen verschieden sein können. Auf die vorstehend behandelte Kategorie der „zeitlichen Bezogenheit" bzw. „relativen Zeit" zurückkommend, die im Englischen und Deutschen vorhanden ist, aber im grammatischen System der russischen Sprache fehlt, kann man feststellen, daß die Wiedergabe der damit verbundenen Bedeutungen in der russischen Ubersetzung kaum wesentliche Schwierigkeiten bereitet, da sich in der russischen Sprache die betreffenden Bedeutungen ohne weiteres auf lexikalischem Wege ausdrücken lassen. Derartige Beispiele wurden bereits im 1. Kapitel angeführt; hier wollen wir noch einmal an sie erinnern: He'd a l w a y s b e e n so spruce and smart: he was shabby and unwashed and wild-eyed. (S. Maugham. A Casual Affair) Прежде он был таким щеголем, таким элегантным. А теперь бродил по улицам Сингапура грязный, в л о х мотьях, с одичалым взглядом. Mr R a y m o n d sat up against the tree-trunk. He had beeil lying on the grass. (H. Lee, To Kill a Mockingbird, Ch. 20) Мистер Раймонд сел и прислонился к д у б у . Раньше он лежал на траве. W i r sehen, daß liier im T e x t der Übersetzung Wörter verwendet werden, die keine l e x i k a l i s c h e n Entsprechungen im Original haben: прежде, а теперь, раньше. 165
Die Aufnahme dieser Wörter in den russischen T e x t ist aber absolut notwendig; würde man sie beseitigen, so bekäme der russische T e x t eine absurde Bedeutung. Die Notwendigkeit dieser Wörter im russischen T e x t beruht darauf, daß sie auf lexikalischem W e g e die Information zum Ausdruck bringen, die i m englischen T e x t g r a m m a t i s c h ausgedrückt ist, und zwar mit Hilfe der Formen der „zeitlichen Bezogenheit" der Verben (ba)d been — was; sat — had been lying. Das Fehlen grammatischer Formen der „zeitlichen Bezogenheit" zieht hier die Notwendigkeit lexikalischer Ergänzungen nach sich (vgl. den Abschnitt „Ergänzungen" in K a p i tel 5). Dieses Verfahren zur Wiedergabe der im Englischen durch die Gegenüberstellung der Formen Past Indefinite und Past Perfect ausgedrückten Bedeutungen im russischen Text ist durchaus normal und weit verbreitet. Vgl. folgendes gleichartige Beispiel aus derselben Kurzgeschichte S. Maughams: I had been roughing it for some time and I was glad enough to have a rest. (ib.) Перед тем я некоторое время путешествовал в самых примитивных условиях и теперь был рад отдохнуть. Bei der Übersetzung des folgenden Satzes aber, ... except the imposing stone house in which the Governor had o n c e lived (ebenda), sind keinerlei Ergänzungen erforderlich, da der englische T e x t bereits selbst das Zeitadverb once enthält: ... кроме внушительного каменного дома, где прежде обитал губернатор. Folglich kann nicht nur in verschiedenen Sprachen, sondern auch innerhalb derselben Sprache (hier im Englischen) ein und dieselbe Bedeutung (in unserem Beispiel die Vorzeitigkeit der Handlung) sowohl lexikalisch (durch das A d v e r b once) als auch grammatisch (durch die Form Past Perfect) ausgedrückt sein. Gerade dieser Umstand — das Vorhandensein verschiedener Ausdrucksmittel für identische Bedeutungen in der Sprache — ermöglicht die Übersetzung aus einer Sprache in eine andere ungeachtet der bestehenden Inkongruenzen im System der grammatischen Formen und Kategorien dieser beiden Sprachen. Hier ein weiteres Beispiel für dieselbe Erscheinung. In Ch. Dickens' R o m a n „Die Pickwickier" k o m m t bei der Beschreibung der Verfolgung v o n Jingle folgender Satz vor: Out came the chaise — in went the horses — 011 sprang ^he 1.66
boys — in got the travellers. In der von E. Lann besorgten russischen Übersetzung ist diese Stelle folgendermaßen wiedergegeben: Карету выкатили, лошадей впрягли, форейторы вскочили на них, путешественники влезли в карету. Zu dieser Übersetzung bemerkt I. A. Kaschkin in seinem bereits zitierten Aufsatz: „Der englische Text ist technologisch richtig wiedergegeben, leider erscheinen dabei die Pferde wie aus Holz, die Vorreiter wie Gliederpuppen, die Kutsche wie ein Spielzeug... Der Ubersetzer ... sieht aber nicht, was hinter dem englischen Satz steht* und was bereits Irinarch Wwedenski empfunden hat. In einer Ausgabe seiner Ubersetzung finden wir: „Дружно выкатили карету, мигом впрягли лошадей, бойко вскочили возницы на козлы, и путники поспешно уселись на свои места..." Er spielt ... ... mit den Verbalformen, mit den vier v o n ihm eingeführten Adverbien дружно, мигом, бойко, поспешно und erzeugt durch die exakte Wiedergabe der Dickensschen Inversion beim Lesen die erforderliche E m p f i n d u n g der hastigen Spannung"**. I. A. Kaschkin hat zweifellos recht, wenn er die Überlegenheit der Ubersetzung I. Wwedenskis gegenüber der von E. Lann betont: Die Inversion bringt hier tatsächlich einen bestimmten semantischen Gehalt zum Ausdruck, sie verleiht der Handlung einen hastigen, stürmischen, überraschenden Charakter.*** Da diese Bedeutung im Russischen nicht durch die Inversion oder ein anderes grammatisches Mittel ausgedrückt werden kann, muß sie auf lexikalischem W e g e wiedergegeben werden, was I. Wwedenski auch tut. Man kann freilich auch andere lexikalische Einheiten für dieselbe Bedeutung finden****, wichtig ist nur, daß sie im russischen Text nicht unausgedrückt bleibt, wie es bei E. Lann geschehen ist. * Hier hat I. A. Kaschkin unrecht, die fragliche Bedeutung steht nicht „hinter dem englischen Satz", sondern wird in diesem Satz durch ein bestimmtes formelles Mittel — die Inversion —- ausgedrückt. Die Ausdrucksweise „steht hinter dem Satz" entspricht hier der K o n zeption I. A. Kaschkins vom „Blick hinter den Text" und „Durchbruch durch die Wörter". ** I. A. Kaschkin• а. a. 0 . , S. 31. *** V g l . JI. С. Бархударов, Д. А. Штелинг: Грамматика английского языка. Изд. 4-е, М . , „Высшая школа", 1973, с. 342. * * * * V g l . z. В. В. Н. Комиссаров, Я. И. Рецкер, В. И. Тархов: Пособие по переводу с английского языка на р у с с к и й . Ч. II. М-, „Высшая школа", 1965, с. 33,
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Aus den angeführten Beispielen ergibt sich eine scheinbar paradoxe Schlußfolgerung. Schwierigkeiten für die W i e d e r gabe grammatischer Bedeutungen entstehen meist nicht, wenn eine Kategorie der Ausgangssprache in der Zielsprache fehlt, sondern im Gegenteil, wenn eine Kategorie der Z i e l sprache nicht in der Ausgangssprache vertreten ist (d. h. wenn die Zielsprache an bestimmten grammatischen Formen und Bedeutungen sozusagen „reicher" ist als die Ausgangssprache). Dieses Paradoxon ist jedoch nur ein scheinbares: W i r sahen bereits, daß das F e h l e n einer grammatischen Form in der Zielsprache unschwer durch lexikalische Mittel kompensiert werden kann, während das Fehlen einer solchen Form in der Ausgangssprache im Falle der obligatorischen Explizierung der betreffenden Bedeutung in der Zielsprache zu „unmotivierter" Auswahl einer bestimmten Form in der Ubersetzung zwingt, d. h. eine Vergrößerung des Informationsumfanges (eine stärkere Konkretisierung) des Ubersetzungstextes gegenüber dem Original verlangt. Dies bringt uns wieder auf die bekannte Formel B. Jakobsons zurück: Die Sprachen unterscheiden sich nicht dadurch, was sie ausdrücken k ö n n e n , sondern dadurch, was sie n i c h t u n a u s g e d r ü c k t lassen dürfen.
§ 38. Im Zusammenhang mit diesem Problem muß noch ein wichtiger Punkt geklärt werden: Inwiefern es überhaupt notwendig ist, die grammatischen Bedeutungen bei der Ubersetzung wiederzugeben? Man kann diese Frage auch anders formulieren: Drücken die grammatischen Formen und Kategorien ebenso wie die lexikalischen Einheiten referentielle (oder pragmatische) Bedeutungen aus, oder sind diese Bedeutungen rein intralinguistisch, so daß die Verwendung dieser Formen nur durch innersprachliche Verhältnisse hervorgerufen ist und keinerlei außerhalb der Sprache liegende und durch objektive Faktoren bedingte Erscheinungen widerspiegelt? W e n n das zutrifft, wie soll man dann unterscheiden, wann die jeweilige grammatische Bedeutung referentiell (bzw. pragmatisch) oder ausgesprochen intralinguistisch und somit für die Übersetzung grundsätzlich irrelevant ist? U. E. muß man, um diese Frage zu beantworten, im Prinzip zwei Fälle der Verwendung grammatischer Formen unterscheiden, die man als den freien Gebrauch und den gebunde-
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nen Gebrauch bezeichnen kann. Beim freien Gebrauch wird die jeweilige grammatische Form in der Rede nach Ermessen des Sprechenden (oder Schreibenden) verwendet, der somit die f r e i e W a h l unter mehreren möglichen Formen innerhalb einer Kategorie besitzt. In diesen Fällen ist die Auswahl der grammatischen Form nicht durch innersprachliche Regeln, sondern durch zwei eventuelle Faktoren bedingt: a ) durch die g e s c h i l d e r t e S i t u a t i o n selbst. Dabei erhält die grammatische Form an sich eine r e f e r e n t i e l l e B e d e u t u n g . S o besteht z . B . in den meisten Sprachen im Bereich der Numeruskategorie die Möglichkeit der freien W a h l der Numerusform Singular oder Plural (vorausgesetzt, daß das betreffende Substantiv beide Numerusformen besitzt), vgl. Er erblickte ein Ha us —
Er erblickte Häuser: Я купил книгу — Я купил книги
usw. Hier ist die Verwendung der betreffenden Numerusform ausschließlich durch Verschiedenheiten der geschilderten Situationen (ein einzelner Gegenstand oder mehrere Gegenstände) bedingt, die Numerusform des Substantivs hat somit referentielle Bedeutung; b ) durch p r a g m a t i s c h e F a k t o r e n , d. h. durch die verschiedene Einstellung der Kommunikationsteilnehmer zu den Äußerungen (bei referentieller Bedeutungsidentität der Äußerungen selbst). So hat z. B. im Bussischen, Deutschen oder Englischen der Sprechende die freie Wahl zwischen der aktiven und passiven Genusform des Verbs und damit zwischen der aktiven oder passiven Satzkonstruktion, ohne daß die referentielle Bedeutung des Satzes davon betroffen wird: Die Arbeiter erbauten das Haus—
Das Haus wurde von den Arbeitern erbaut. Die Wahl der Genusform und dementsprechend der gesamten Satzkonstruktion wird hier durch den pragmatischen Faktor „kommunikatives Gewicht" der Satzelemente (das „Neue" und das „Gegebene", vgl. § 28) bestimmt. Gleichermaßen steht es in der russischen Sprache wie in einigen anderen dem Sprechenden frei, zwischen der vollständigen (nichtelliptischen) und der unvollständigen (elliptischen) Satzkonstruktion zu wählen. Man vergleiche z. В. Я буду там в по-
ловине девятого — Буду там в половине девятого. Entscheidend für die W a h l ist hier der pragmatische Faktor Rederegister (neutral bzw. formell im ersten Falle und ungezwungen im zweiten). Die W a h l der Form des Pronomens 169
der 2. Person in der Anrede ist im Russischen ebenfalls durch die Pragmatik des Registers bedingt: ты gilt für das ungezwungene und gehobene Register, Вы für das offizielle. Da in allen diesen Fällen die geschilderte Situation die gleiche bleibt, besteht kein Unterschied zwischen den referentiellen Bedeutungen dieser Äußerungen, und folglich werden hier durch die grammatischen Formen p r a g m a t i s c h e B e d e u t u n g e n unterschieden. Beim gebundenen Gebrauch der grammatischen Formen wird die Verwendung der jeweiligen Form nicht durch die geschilderte Situation oder die Entscheidung des Sprechenden, sondern ausschließlich durch innersprachliche Faktoren bestimmt. Dies tritt hauptsächlich in drei Fällen ein: a ) Das betreffende Lexem besitzt n u r e i n e F o r m im Bereich der jeweiligen Kategorie: So haben die russischen Substantive тушь, борщ nur eine Singular-, aber keine Pluralform, die Substantive чернила, щи besitzen dagegen nur eine Pluralform und keine Singularform, so daß eine freie W a h l der Numerusform hier nicht in Frage k o m m t ; b) die W a h l der jeweiligen grammatischen Form ist durch die s y n t a k t i s c h e S t r u k t u r vorgeschrieben, innerhalb der die Form auftritt. So kann z. B. im Russischen als direktes Objekt zum transitiven Verb (in der affirmativen Konstruktion) nur die Akkusativform verwendet werden: Он читает книгу (nicht книга, книге, книгой usw.)*; c) die W a h l einer grammatischen Form ist bedingt durch das Auftreten bestimmter l e x i k a l i s c h e r Einheiten in ihrer Umgebung. W e n n z. B. ein Satz das Zeitadverb вчера enthält, so kann hier, abgesehen v o m stilistisch bedingten „Präsens historicum", nur eine Vergangenheitsform des Verbs verwendet werden, so daß die W a h l der Form des Prädikatverbs nicht mehr offensteht. (Vgl. Я видел этот фильм вчера, nicht aber Я вижу этот фильм вчера, Я увижу этот фильм вчера.) Genauso determiniert das V o r handensein des Adverbs часто im Satz die W a h l der Aspekt*Da das Verb читать valenzmäßig zweiwertig ist, kann das abhängige Substantiv nicht nur im Akkusativ, sondern auch im Dativ stehen: Он читает отцу книгу. Dies ändert aber nichts am Kern der Frage, da die Wahl beider Kasusformen syntaktisch bedingt bleibt (unmöglich ist О и читает отца книге, Он читает отцом книгой usw.) Syntaktisch bedingt ist auch die adverbiale Bedeutung des Instrumentals: Он читает громким голосом.
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form des Verbs: möglich ist hier nur die Form des unvollendeten Aspekts (z. В. Он часто ходилвкино), die Form des vollendeten Aspekts ist hier unmöglich (Sätze wie Он часто сходил в кино, Он часто пошёл в кино sind grammatisch inkorrekt). Die W a h l der einen und nicht der anderen Form ist hier offenbar bedingt durch die Notwendigkeit der Kongruenz zwischen der grammatischen Bedeutung der Form und der lexikalischen Bedeutung des Wortes, von dem die W a h l dieser Form abhängt; eine solche „Kongruenz" ist aber keine absolut unumgängliche Forderung: So drückt in den englischen Konstruktionen many a day, m a n y a man u. dgl. das W o r t many durch seine lexikalische Bedeutung den Vielheitsbegriff aus, während die grammatische Form des Substantivs die Bedeutung der Einzahl hat. Eine eingehendere Erörterung dieser komplizierten Frage würde den Rahmen unserer Untersuchung überschreiten. Offenbar ist in allen Fällen, wo keine freie W a h l der grammatischen Formen möglich ist, die Bedeutung dieser Formen eine rein i n t r a l i n g u i s t i s c h e , denn sie wird ausschließlich durch die innerhalb des sprachlichen Systems selbst bestehenden Wechselbeziehungen determiniert. Dies stimmt v o l l k o m m e n mit einem bekannten Satz der Informationstheorie iiberein, wonach bei voller Voraussagbarkeit des Auftretens eines Signals, d. h. beim Fehlen jeglicher Entscheidungsfreiheit, die von diesem Signal vermittelte Information gleich Null ist.* Es gibt offensichtlich grammatische Kategorien, die immer nur gebunden verwendet werden. Im Russischen und Deutschen sind z. B."Genus, Numerus und Kasus der A d j e k tive stets durch die Regeln der Kongruenz des Adjektivs mit dem von ihm bestimmten Substantiv vorgeschrieben. Häufiger aber tritt ein und dieselbe grammatische Kategorie in einigen Fällen in freier, in anderen aber in gebundener Verwendung auf. So werden im Russischen wie im Deutschen oder Englischen die"Jjj Numerusformen des Substantivs meistens frei verwendet, der Sprechende hat die Möglichkeit, eine der beiden Formen — Singular oder Plural —
*Der amerikanische Linguist H. A. Gleason formuliert diese These wie folgt: „Nothing which is required by the structure can signal any meaning" (II. A. Gleason: An introduction to Descriptive Linguistics, p. 157). Unter „meaning" versteht hier Gleason offenbar die referentielle Bedeutung, d. h. extralinguistisch motivierte Information.
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auf Grund ihrer referentiellen Bedeutung zu wählen, je nachdem, was die extralinguistischen oder situationsbedingten Faktoren verlangen. (Vgl. Я купил книгу. Я купил книги. Мой друг живет в Москве. Мои друзья живутвМоскве* u. dgl.) Die W a h l der Numerusform ist hier Mittel zur Bezeichnung von Unterschieden, die in der dargestellten Situation selbst enthalten sind (ein Gegenstand oder mehrere). W e n n aber das Substantiv durch ein Zahlwort bestimmt ist, dann ist die W a h l der Numerusform des Substantivs nicht mehr frei, sondern v o n den formellen Regeln der russischen Syntax vorgeschrieben: Beim Zahlwort один und allen anderen, die auf один ausgehen (двадцать один, сто тридцать один usw.), steht das Substantiv im Nominativ S i n g u l a r : один дом, двадцать один дом, сто тридцать один дом usw.; nach den Zahlwörtern два, три, четыре und allen anderen, die auf diese einfachen Zahlwörter ausgehen, stehen die Substantive im Genitiv Singular: два дома, двадцать два дома, сто тридцать два дома usw., mit allen anderen Zahlwörtern wird das Substantiv i m Genitiv P l u r a l gebraucht: пять домов, сто шесть домов, двести сорок восемь домов, две тысячи домов и. dgl. (Wenn das Zahlwort selbst nicht im Nominativ, sondern in einem obliquen Kasus steht oder dem Substantiv ein Adjektivattribut vorangeht, gelten abweichende Begeln, aber das ändert nichts am Wesen der Sache.) In allen diesen Fällen ist die Verwendung der Numerusform (und Kasusform) des Substantivs gebunden, d. h. sie ist durch formelle Regeln der russischen Grammatik vorgeschrieben und gibt keinerlei extralinguistische Information wieder. Die Form дом bezeichnet in der Konstruktion двадцать один дом kein einzelnes Haus, sondern ebenso eine größere Anzahl von Häusern wie die Form домов im Satz двадцать пять домов. Angesichts des Zahlworts, das durch seine eigene lexikalische Bedeutung bereits eine Information über die Anzahl der Gegenstände vermittelt, ist die Numerusform des Substantivs selbst redundant und daher bar jeder referen-
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*Die Numerusformen der mit dem Substantiv kongruierenden Wörter (in unseren Beispielen мой — мои, живет — живут) werden stets gebunden verwendet, d. b. in Abhängigkeit von Form und Numerus des Bezugssubstantivs. Die „Kongruenz" ist überhaupt das deutlichste Beispiel für die gebundene Verwendung grammatischer Formen.
tiellen Bedeutung; ilire Bedeutung ist demnaeli rein intralinguistisch.* Genauso gebunden ist, wie^bereits festgestellt wurde, die Verwendung der Numerusform^bei denjenigen Substantiven, die nur eine W o r t f o r m besitzen, d. h. wenn die freie W a h l der N inner usi'orm unmöglich ist, z. B. bei russischen
Wörtern wie чернила, щи, ворота, сани, брюки, щипцы u. ä, die nur eine Pluralform besitzen. In diesen Fällen hat die Numerusform des Substantivs keine referentielle Bedeutung: чернила ist nicht „pluraler" als тушь, щи nicht mehr als борщ, щипцы bezeichnet genauso einen einzigen Gegenstand wie пинцет. (Um reale Unterschiede in der Anzahl der Gegenstände auszudrücken, verwendet man in diesem Falle lexikalische Mittel, vgl.: несколько саней, две пары брюк u. ä.) Die Verwendung der Wortformen der Substantive richtet sich hier ebenfalls nach den Normen der russischen Sprache, nicht aber nach den Unterschieden in der realen Situation selbst — die Numerusform besitzt hier lediglich intralinguistische Bedeutung. Demnach ist festzustellen, daß bei der Übertragung aus einer Sprache in eine andere grundsätzlich nur die B e d e u t u n g e n der frei v e r w e n d b a r e n gramm a t i s c h e n F o r m e n wiedergegeben werden, weil nur im Falle ihrer freien Verwendung diese Formen, wie wir sehen, eine bestimmte referentielle (seltener pragmatische) Bedeutung aufweisen. Was die in gebundener Verwendung auftretenden grammatischen Formen anbetrifft, bleiben die von ihnen ausgedrückten Bedeutungen, die ihrer Natur nach ausschließlich intralinguistisch sind, bei der Ubersetzung unberücksichtigt. Die Fälle einer scheinbaren Wiedergabe derartiger grammatischer Bedeutungen in der Übersetzung beruhen auf reiner Illusion. In Konstruktionen wie Он идет, — er geht decken sich Person- und Numerusform des deutschen Verbs mit der des russischen (3. Person Singular), doch dies k o m m t nicht von der Notwendigkeit, den „Sinn" des russischen Satzes wiederzugeben, sondern beruht auf den formellen Regeln der deutschen Sprache selbst, in der wie im Russischen das Prädikatverb mit dem Subjekt nach Person und Zahl kongruiert, so daß beim Pronomen der *Es ist bezeichnend, daß in vielen Sprachen das Vorhandensein von Zahlwörtern mit Vielheitsbedeutung (zwei, drei, vier und mehr) in der Substantivgruppo gerade die Singularform des Substantivs und nicht etwa die Pluralform nach sich zieht.
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3. Person Singular auch das Verb die entsprechende Form annehmen muß. Wenden wir uns noch einmal der vorstehend erörterten Numeruskategorie des Substantivs zu. Die Numerusformen müssen bei der Ubersetzung aus einer Sprache in die andere wiedergegeben werden, wenn sie frei verwendet sind, wie z. B. in folgenden Sätzen: Я купил книгу. Я купил книги. Мой друг живет в Москве. Мои друзья живут в Москве.
— Ich kaufte ein Buch. — Ich kaufte Bücher. Mein Freund lebt in Moskau. Meine Freunde leben in Moskau.
Im Falle der gebundenen Verwendung der Numerusformen der Substantive können ihre Bedeutungen, die keine realen Beziehungen der objektiven Wirklichkeit widerspiegeln und durch rein intralinguistische Relationen determiniert sind, dem Wesen der Sache entsprechend nicht in der Übersetzung wiedergegeben werden (mit Ausnahme der seltenen Fälle, wo die sprachliche Form selbst zum Aussagegegenstand wird, vgl. § 34). Hier wird die Wahl der Numerusform des Substantivs in der Zielsprache nicht mehr von der Numerusform der Ausgangssprache bestimmt, sondern ausschließlich von den intralinguistischen Regeln der Zielsprache selbst. Unabhängig davon, in welcher Form das Substantiv nach dem Zahlwort in der russischen Sprache
steht (один дом, два дома, пять домов, двадцать один
дом), bekommt im deutschen Text das entsprechende Substantiv stets die Pluralform, mit Ausnahme der ein-Verbindung, die die Singularform verlangt (ein Flaus, aber zwei Häuser, fünf Häuser, einundzwanzig Häuser usw.), denn so verlangt es die grammatische Norm der deutschen Sprache. Genauso werden russische Substantive, die nur eine Pluralform besitzen (die sogenannten Pluraliatantum) im Deutschen durch Substantive in derjenigen Numerusform wiedergegeben, die den grammatischen Normen der deutschen Sprache entspricht, unabhängig von der Numerusform des russischen Ausgangswortes (vgl. die deutschen Entsprechungen der obenangeführten russischen Pluraliatantum— Tinte, Kohlsuppe, Tor, Schlitten, Hose, Zange usw.). Noch ein weiteres Beispiel. Im Englischen können die Tempusformen des Verbs im einfachen Satz und im Haupt174
Satz des Satzgefüges grundsätzlich frei verwendet werden, d. h. in Übereinstimmung mit ihrer referentiellen Bedeutung (Zeit des Handlungsablaufs). Z. В . : He lives in L o n don — he lived in London; he can play the piano — he could play the piano usw. In derartigen Fällen muß bei der Ubersetzung ins Russische die grammatische Bedeutung der jeweiligen englischen Verbform wiedergegeben werden:
Он живет в Лондоне, Он жил в Лондоне, Он умеет играть на рояле, Он умел играть на рояле. In den Objektnebensätzen ist im Englischen jedoch die W a h l der Tempusform nicht mehr frei: Sobald das Verb im Hauptsatz in der Vergangenheitsform steht, wird die W a h l der Tempusform der Nebensatzprädikate eindeutig durch die sogenannte Zeitkongruenz (sequence of tenses) vorgeschrieben — das Verb im Nebensatz muß ebenfalls in der Vergangenheitsform stehen. V g l . : He says he lives in London. Iie says he can play the piano. He said he lived in London. He said he could play the piano.
Dafür steht aber andererseits im Englischen in Nebensätzen dieser Art die W a h l derjenigen Formen der zeitlichen Bezogenheit (nonperfect — perfect) des Prädikatverbs dem Sprechenden frei, die die Gleichzeitigkeit bzw. Vorzeitigkeit der Handlung des Nebensatzes gegenüber der des Hauptsatzes zum Ausdruck bringen, vgl. Iie said he lived in London — Iie said he had lived in L o n d o n . (Hier verhält es sich ähnlich, wie mit dem Gebrauch der relativen Zeitformen in ähnlichen deutschen Sätzen.) Da die Verwendung der Vergangenheitsformen in der englischen Sprache in diesen Fällen gebunden ist, von den intralinguistischen Regeln des Englischen bestimmt wird und keinerlei referentielle Bedeutung beinhaltet, ist die Vergangenheitsform des englischen Verbs bei der Übersetzung ins Russische entsprechend den Regeln der russischen Syntax entweder durch die Form der Gegenwart wiederzugeben, wenn die Gleichzeitigkeit der beiden Handlungen ausgedrückt wird, oder durch die Form der Vergangenheit, wenn die Handlung des Nebensatzes der des Hauptsatzes vorangeht*:
*Die Gegenüberstellung der Tempusformen Gegenwart — Vergangenheit ist in der russischen Sprache in diesem Falle der Gegenüberstellung der englischen Zeitbezogenheitsformen (nonperfect — perfect) äquivalent.
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Он говорит, что живет в Лондоне. Он говорит, что умеет Играть на рояле. Он сказал, что живет в Лондоне. Он сказал, что умеет играть на рояле. Dagegen: Он сказал, что (когда-то прежде) жил в Л о н доне. Dabei ist zu beachten, daß die Zeitkongruenz im Englischen nicht nur den unmittelbar auf das Prädikatverb des Hauptsatzes bezogenen Nebensatz betrifft, sondern auch weitere darauffolgende Sätze innerhalb desselben Kontexts, selbst wenn es sich dabei um formal „unabhängige" Sätze handelt. Das sehen wir an Hand des folgenden Auszugs: Mr Marquand said a lot of different proposals had been put forward during the discussion. But he believed that most would agree that some form of government Intervention was necessary. („Morning Star", 12.III.67) Im zweiten Satz, der v o m ersten formal unabhängig ist, stehen alle Verben in der Vergangenheitsform, und zwar weil hier diese Form ebenfalls durch die gleiche Begel der Zeitenkongruenz bedingt wird. Das Verb said, das den Objektnebensatz (die indirekte Rede) einleitet, bezieht sich auch auf alle nachfolgenden Sätze, die ebenfalls indirekte R e d e sind. Daher haben wir es hier nicht mit einem Fall der freien Verwendung, sondern mit einer gebundenen Verwendung der Vergangenheitsformen zu tun. In der russischen Ubersetzung müssen alle Prädikatverben des zweiten Satzes gemäß den Regeln der russischen Syntax in der Form der G e g e n w a r t und nicht i n der Form der Vergangenheit stehen (wie dies bei unerfahrenen Übersetzern manchmal vorkommt): Г-н Марканд заявил, что во время дискуссии было выдвинуто много различных предложений. Однако он полагает, что почти все согласятся с тем, что вмешательство правительства в той или иной форме является необходимым. Die Verwendung der Vergangenheitsform было выдвинуто beruht auf der im englischen Text auftretenden perfectForm had been, die die Vorzeitigkeit ausdrückt; alle übri*gen Verbformen (полагает, согласятся, является) gehören zur Gegenwart oder Zukunft, d. h. zur „Nichtvergangen176
lieit"*, nicht aber zu den Vergangenheitsformen wie im E n g l i schen, weil deren Verwendung hier durch die Zeitenkongruenz-Regel bedingt und somit gebunden ist. Folglich kann für die Frage der Wiedergabe der grammatischen Bedeutungen in der Ubersetzung keine Universallösung vorgeschlagen werden: Man muß den Charakter der Verwendung der jeweiligen Form, ihre funktionelle Leistung in jedem einzelnen Falle ermitteln und davon ausgehend eine ihr angemessene Entsprechung in der Zielsprache finden oder sie v ö l l i g unübersetzt lassen (falls ihre Bedeutung eine ausschließlich intralinguistische ist).
§ 39. W i r schließen diesen Abschnitt mit der Erörterung eines weiteren wichtigen Problems ab, nämlich der Frage nach der Wiedergabe der s y n t a k t i s c h e n B e d e u t u n g e n i n der Ubersetzung. Diese Frage knüpft a n die Grundprobleme der allgemeinen Theorie der Syntax an, ihre Lösung ist daher nicht nur für die Übersetzungstheorie, sondern auch für die Sprachwissenschaft im allgemeinen v o n Interesse, vor allem unter dem Gesichtspunkt des „ewigen" Problems der Wechselbeziehungen zwischen grammatischen (syntaktischen) und logisch-semantischen Kategorien. Weite Verbreitung fand in der modernen grammatischen Theorie der Standpunkt, wonach im Satz zwei T y p e n der syntaktischen Struktur zu unterscheiden sind: die Oberflächenstruktur (surface structure) und die Tiefenstruktur (deep structure). Eine besonders wichtige Rolle gewann diese Konzeption in der generativen Grammatik, vor allem in den Arbeiten N. Chomskys** und seiner Nachfolger. Chomsky selbst definiert die Tiefenstruktur des Satzes als die Struktur, die die semantische Interpretation des Satzes determiniert, während durch die Oberflächenstruktur die phonetische *Ober die Behandlung der Gegenwarts- und Zukunftsformen als einheitliche Kategorie der „Nichtvergangenheit" siehe Л. С. Бархударов: „Русско-английские языковые параллели", очерк третий, „Глагол", „Русский язык за рубежом", 1973, № 2, с. 55. **Vgl. N. Chomsky: Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, Mass., 1965. Eine abweichende Konzeption der Tiefenstruktur (in seiner Terminologie „semantische Struktur") entwickelt W. Chafe: Meaning and Structure of the Language. Chicago, 1970. Die Literatur über Oberflächen- und Tiefenstruktur im allgemeinen ist sehr umfangreich. 12-019
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Interpretation desselben Satzes determiniert wird. Mit anderen W o r t e n ist die Tiefenstruktur des Satzes vor allem die Gesamtheit der in ihm ausgedrückten semantischen oder sinnmäßigen („logischen") Beziehungen, seine Oberflächenstruktur dagegen die konkrete Form, die der Satz in der R e de, im Kommunikationsprozeß erhält. Dabei kann, und dies ist besonders wichtig (und hat prinzipielle Bedeutung für die Übersetzung), e i n u n d d i e s e l b e T i e f e ns t r u k t u r i n v e r s c h i e d e n e n O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r e n r e a l i s i e r t w e r d e n (und umgekehrt können sich unter derselben Oberflächenstruktur verschiedene Tiefenstrukturen verbergen). In den Konstruk-
tionen: der Student bestand die Prüfung; die Prüfung wurde vom Studenten bestanden; das Bestehen der Prüfung durch den Studenten', der Student, der die Prüfung bestand-, die Prüfung, die vom Studenten bestanden wurde; die vom Studenten bestandene Prüfung usw. ist die Oberflächenstruktur verschieden, während ihre Tiefenstruktur die gleiche ist im Sinne der Repräsentation identischer logisch-semantischer Beziehungen: „Agens—Handlung—Handlungsobjekt". An Hand dieses Beispiels gelangt man unschwer zur Schlußfolgerung, daß der Charakter der syntaktischen Beziehungen in der Oberflächenstruktur und in der Tiefenstruktur grundsätzlich verschieden ist. In der Oberflächensyntax unterscheidet man Verbindungstypen wie Subordination, K o o r d i n a t i o n und prädikative Verbindung; bei detaillierterer Betrachtung lassen sich diese Verbindungstypen weiter konkretisieren, so unterscheidet man bei der Subordination die Unterarten Beaktion, Kongruenz und formal unspezifizierte Verknüpfung, bei der Koordination wiederum die konjunktioneile und die asyndetische usw. Das maßgebende Kriterium für den Nachweis eines bestimmten Typs oder einer Unterart der syntaktischen Verbindung in der Oberflächenstruktur ist vor allem die formelle Manifestierungsweise der jeweiligen Verbindung. Die syntaktischen Tiefenbeziehungen hingegen sind nicht durch ihre Äußerungsformen gekennzeichnet, sondern durch ihre Semantik, durch ihre inhaltlichen Charakteristika. Es ist anzunehmen, daß diese Beziehungen in allen Sprachen identisch sind, wenngleich ihre formelle Manifestierung in der Oberflächenstruktur des Satzes v o n Sprache zu Sprache verschieden ist. Zu den syntaktischen Tiefenbeziehungen gehören u. E. die Beziehungen „ A g e n s — H a n d l u n g " (der 178
Student liest); „Handlung—Handlungsobjekt" (der Student liest ein Buch)-, „Handlung—Handlungsadressat" (der Student gab das Buch dem Bruder)-, „determinative" Beziehung im weitesten Sinne des Wortes, d. h. Verbindung der „Substanz" und ihres Merkmals (der Student ist klug, der kluge Student,
laut sprechen, lautes Gespräch usw.) u. dgl. m. Innerhalb
dieser Iiaupttypen der syntaktischen Tiefenbeziehungen kann man ebenfalls bestimmte Untertypen ausgliedern, z. B. innerhalb der „determinativen" Beziehung die temporale, die lokale, die kausal-konsekutive usw. W i r möchten noch einmal daran erinnern, das derselbe Typ syntaktischer Tiefenbeziehungen sich in verschiedenen Oberflächenstrukturen manifestieren kann. Die englischen Sätze John gave Mary a book, A book was given Mary by John und Mary was given a book by John besitzen eine verschiedene Oberflächenstruktur, aber die in ihnen ausgedrückten syntaktischen Tiefenbeziehungen sind die gleichen: „Handlung—Agens—Handlungsobjekt—Handlungsadressat". Genauso haben die russischen Sätze Студент, сдавший
экзамен, ушёл und Студент, который сдал экзамен, ушёл eine gleiche Tiefenstruktur bei unterschiedlicher Oberflächenstruktur. Dasselbe gilt auch für die folgenden deutschen
Sätze: Daß er sich verspätete, hat mich empört und Seine Verspätung hat mich empört (diese Erscheinung ist in der traditionellen Grammatik als „syntaktische Synonymie" bekannt). Aus der angegebenen Definition der syntaktischen Tiefenbeziehungen geht hervor, daß i n ihnen r e f e r e n t i e l l e Bedeutungen zum Ausdruck gelangen; sie spiegeln die Zusammenhänge wider, die in der geschilderten Situation objektiv vorhanden sind. Daraus folgt, daß im Ubersetzungsprozeß die syntaktischen Tiefenbeziehungen unverändert bleiben müssen. Was die Oberflächenstruktur des Satzes anbetrifft, so haben wir gesehen, daß selbst innerhalb einer Sprache die Tiefenstruktur in mehreren verschiedenen („synonymischen") Oberflächenstrukturen ausgedrückt werden kann. Umsomehr gilt das für verschiedene Sprachen, bei denen die Oberflächenstruktur von Sätzen mit gleicher Tiefenstruktur häufig recht verschieden ist. Daraus folgt, daß es keinerlei Notwendigkeit (und häufig auch keine Möglichkeit) gibt, die Oberflächenstruktur des Satzes bei der Übersetzung unverändert zu erhalten. \ Diese These möchten wir zunächst an einem einzigen Beispiel veranschaulichen: 12*
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He had never had his Uncle Swithin's taste in precious stones, and the abandonment by Irene when she left his house in 1889 of all (he glittering things he had given her had disgusted b i m with this f o r m of investment. (J. Galsworthy, In Chancery, I I , X I ) Он никогда не страдал пристрастием своего дяди Суизина к драгоценным камням, и когда Ирен в 1889 году, нокинув его, оставила все безделушки, которые он ей подарил, это навсегда отбило у него о х о т у к такого рода помещению денег, (пер. М. Богословской) W i e wir sehen, wird die englische Nominalgruppe the abandonment by Irene of all the glittering things im Russischen durch einen Nebensatz wiedergegeben: Ирен оставила все безделушки; der Nebensatz when she left his house wird hingegen durch die Gerundivgruppe покинув его übersetzt. (Auch der Attributivnebensatz he had given her ließe sich durch die Partizipialgruppe подаренные им übersetzen, ohne daß dadurch der Übersetzungsäquivalenz Abbruch getan wäre.) W e n n ungeachtet all dieser syntaktisch-morphologischen Transformationen die Bedeutung des englischen und des russischen Satzes trotzdem identisch bleibt (und die Übersetzung folglich dem Original v o l l k o m m e n äquivalent ist), so ist dies nur möglich, weil die in ihnen zum Ausdruck gelangenden syntaktischen Tiefenbeziehungen („Handlung— Agens—Handlungsobjekt" usw.) die gleichen bleiben. Mit anderen Worten, im Ubersetzungsprozeß wird nur die Oberflächenstruktur des Satzes von Veränderungen betroffen, die Tiefenstruktur aber bleibt unverändert. Diese Erscheinung ist kein Einzelfall, daß muß besonders betont werden. W i e wir noch sehen werden, besitzen solche „oberflächen-syntaktische Transformationen" in der Übersetzung den Charakter einer echten Gesetzmäßigkeit. Aus dem Gesagten folgt nicht etwa, daß die Oberflächenstruktur überhaupt keine für die Ubersetzung wesentliche Information in sich trägt. Verschiedene Oberflächenmanifestationen ein und derselben Tiefenstruktur, die sich in ihrer referentiellen Bedeutung nicht unterscheiden, verhalten sich in vielen Fällen verschieden in bezug auf die in ihnen ausgedrückten pragmatischen Bedeutungen — die stilistische Charakteristik (die passive Satzkonstruktion z. B. ist im schriftsprachlichen Stil stärker verbreitet als im umgangssprachlichen), das Register (elliptische Konstruk180
tionen sind für das familiäre und ungezwungene Register typischer als für das neutrale und besonders das formelle) — oder in bezug auf die „kommunikative Gliederung", was für die Übersetzung besonders relevant ist und nachstehend noch behandelt werden soll. Eingehender wird die Umgestaltung der Oberflächenstruktur des Satzes beim Übersetzen in K a p i t e l 5 erörtert, das den sogenannten Ubersetzungstransformationen gewidmet ist.
8. Der Kontext und die Situation in der Übersetzung § 40. In der bisherigen Darlegung verwiesen wir wiederholt auf den Begriff des Kontextes. W i r stellten fest, daß die W a h l des jeweiligen Äquivalents weitgehend v o m K o n text bestimmt ist, in dem die betreffende sprachliche Einheit gebraucht wird, in diesem Abschnitt soll eine Definition des Kontextes gegeben und der Versuch unternommen werden, die maßgeblichen K o n t e x t t y p e n festzustellen, die für die Charakterisierung des Übersetzungsprozesses v o n Belang sind. Unter K o n t e x t versteht man gewöhnlich d i e s p r a c h l i c h e U m g e b u n g , i n der die jeweilige l i n g u i s t i s c h e E i n h e i t verwendet w i r d . Der K o n t e x t eines Wortes ist somit die Gesamtheit der Wörter, grammatischen Formen und Konstruktionen, in deren Umgebung das betreffende W o r t auftritt. Es sei hier noch einmal betont, daß das W o r t bei weitem nicht die einzige sprachliche Einheit ist: Andere Einheiten der Sprache (und der Rede) wie Phoneme, Morpheme, Wortgruppen und Sätze treten ebenfalls nicht isoliert auf, sondern in einer bestimmten sprachlichen Umgebung, so daß man Grund genug hat, v o m K o n t e x t des Phonems, v o m K o n t e x t des Morphems, v o m K o n t e x t der Wortgruppe und selbst v o m Kontext des Satzes zu sprechen (im letzten Falle handelt es sich um die Gesamtheit der anderen Sätze, in deren Umgebung der betreffende Satz auftritt). Der einfacheren Darlegung wegen werden wir im weiteren (wie es bisher bei der Erörterung anderer Fragen geschah) nur mit Beispielen auf der Wortebene operieren. 181
Der allgemeine Begriff „ K o n t e x t " umspannt den engeren Kontext („Mikrokontext") und den weiteren Kontext („Makrokontext"). Unter engerem K o n t e x t ist der S a t z k o n t e x t z u verstehen, d . h . die linguistischen Einheiten, die die Umgebung der betreffenden Einheit innerhalb des Satzes bilden. Unter dem weiteren K o n t e x t versteht man die sprachliche Umgebung der betreffenden Einheit außerhalb des Satzrahmens: den T e x t k o n t e x t , d . h . die Gesamtheit der die betreffende Einheit umgebenden sprachlichen Einheiten, die außerhalb des sie umfassenden Satzes liegen, also i n den a n g r e n z e n d e n Sätzen^ Die Grenzen des weiteren Kontextes lassen sich nicht mit Genauigkeit angeben, es kann der K o n t e x t einer Gruppe von Sätzen sein, der Kontext eines Absatzes, eines Kapitels oder auch eines literarischen Werkes (einer Kurzgeschichte oder eines R o mans), das als Ganzes betrachtet wird. Der engere K o n t e x t umfaßt seinerseits den syntaktischen K o n t e x t und den lexikalischen K o n t e x t . (In bezug auf das Phonem oder Morphem kann man auch einen phonologischen und morphologischen K o n t e x t feststellen, aber diese Arten des Kontextes sollen hier nicht behandelt werden.) Der syntaktische K o n t e x t ist diejenige syntaktische K o n struktion, in der das betreffende W o r t , die Wortgruppe oder der (unselbständige) Satz auftritt. Der lexikalische K o n text ist die Gesamtheit der konkreten lexikalischen Einheiten (Wörter und stehende Wortverbindungen), in deren Umgebung die betreffende Einheit erscheint. Eine maßgebliche R o l l e spielt der K o n t e x t bei der A u f h e b u n g der V i e l d e u t i g k e i t der linguistischen Einheiten. Abgesehen v o n Fällen der beabsichtigten oder zufälligen (unbeabsichtigten) Mehrdeutigkeit, dient der K o n t e x t als Mittel, das bei einer vieldeutigen Einheit alle Bedeutungen bis auf eine „aufhebt". Somit verleiht der K o n t e x t der sprachlichen Einheit die erforderliche Eindeutigkeit und ermöglicht dadurch die W a h l eines einzigen unter mehreren potentiellen Äquivalenten der betreffenden Einheit in der Zielsprache. Selbstverständlich erschöpft sich die R o l l e des K o n t e x t s nicht allein in der Aufhebung der Vieldeutigkeit der Wörter und anderer sprachlichen Einheiten, jedoch ist dies die wichtigste seiner Funktionen. Bei der Übersetzung genügt u. U. zur Aufhebung der V i e l deutigkeit und begründeten W a h l des Äquivalents die Berücksichtigung des s y n t a k t i s c h e n Kontextes 182
einer Einheit und speziell eines Wortes. Das Verb burn kann z. B. ins Deutsche mit brennen und mit verbrennen übersetzt werden, die Wahl des Äquivalents beruht ausschließlich auf dem syntaktischen K o n t e x t , in dem das englische Wort auftritt. In einer intransitiven Konstruktion (ohne direktes Objekt) übersetzt man burn mit brennen, in einer transitiven Konstruktion (mit direktem Objekt oder in der Passivform) übersetzt man das gleiche Wort mit verbrennen. Vgl.: The candle burns — Die Kerze brennt; dagegen: He burned the papers — Er verbrannte die Papiere. Im Englischen ist dieser Fall weit verbreitet, vgl. auch sink — sinken (intrans.), versenken (trans.); drive — fahren (intrans.), treiben, führen (trans.) usw. Häufiger wird jedoch die W a h l des Äquivalents allein auf Grund des l e x i k a l i s c h e n Kontextes einer Einheit entschieden, deren Eindeutigkeit dabei an Hand einer bestimmten lexikalischen Umgebung hergestellt wird. Das englische look bedeutet in Verbindung mit dem Adjektiv angry — Blick, mit dem Adjektiv European dagegen Aussehen (z. B. The town has a European look). Das englische way bedeutet in Verbindung mit der Gruppe to the town soviel wie Weg, aber mit der Gruppe of doing it entspricht es den deutschen Wörtern Art, Verfahren — usw. Man kann eine praktisch unbegrenzte Anzahl derartiger Beispiele anführen. Die Rolle des engeren lexikalischen Kontextes bei der Auswahl des Ubersetzungsäquivanlents läßt sich anschaulich an folgenden englischen Sätzen darstellen, die das vieldeutige Wort attitude enthalten: He has a friendly attitude towards all. Er verhält sich allen gegenüber freundlich. There is no sign of any change in the attitudes of the two sides. In den Positionen beider Seiten ist keine Änderung festzustellen. He stood there in a threateing attitude. Er stand in drohender Haltung da. He is known for his progressive attitudes. Er ist für seine progressive Einstellung bekannt. Die Zahl derartiger Beispiele ließe sich unschwer vermehren. Manchmal genügt aber der engere Kontext nicht, um die Bedeutung des Ausgangswortes zu präzisieren und ein ein183
deutiges Übersetzungsäquivalent zu finden. In solchen Fällen muß man sich auf die Anhaltspunkte stützen, die der weitere K o n t e x t bietet. Als Beispiel können wir hier folgenden Satz aus der Erzählung von J. Salinger „The Catcher in the R y e " anführen: Then I got this book I was reading and sat down in my chair. (Ch. 3) Dem englischen chair entspricht im Deutschen sowohl Stuhl als auch Sessel. Dieser Satz aber liefert dem Ubersetzer keinerlei Anhaltspunkte für die W a h l des deutschen Ä q u i valents, so daß ein Rückgriff auf den weiteren K o n t e x t notwendig wird. Zwei Sätze weiter lesen wir im gleichen Absatz: The arms were in sad shape, because e v e r y b o d y was always sitting on them, but they were pretty comfortable chairs. Die Erwähnung von arms ist der Schlüssel zur richtigen
Übersetzung: Dann nahm, ich das Buch, das ich las, und setzte mich in einen Sessel. In diesem Beispiel (wie auch in anderen angeführten Beispielen) geht es um die Bestimmung und Wiedergabe der referentiellen Bedeutungen der sprachlichen Einheiten. W e n n es aber auf die Wiedergabe pragmatischer Bedeutungen ankommt, gehört die entscheidende R o l l e bei ihrer Feststellung und bei der W a h l der Wiedergabemittel gerade dem weiteren K o n t e x t . Dies gilt nicht nur für die stilistische Charakteristik, das Register und die emotionelle Färbung des Textes, sondern in noch stärkerem Maße auch für die „kommunikative Gliederung" des Satzes, die entscheidend von Faktoren des weiteren Kontexts mitgeprägt wird (z. B. durch die Erwähnung eines Elements des betreffenden Satzes in vorangehenden Sätzen). Es sei noch einmal daran erinnert, daß das Objekt der Ubersetzung nicht isolierte Spracheinheiten sind, sondern d e r T e x t a l s G a n z e s i n seiner Eigenschaft als einheitliches Redeprodukt. Deshalb darf die R o l l e des weiteren Kontextes bei der Ubersetzung keinesfalls unterschätzt werden.
§ 41. Es k o m m t aber auch vor, daß selbst der weiteste K o n t e x t keinen Hinweis darauf enthält, in welcher von 184
ihren Bedeutungen eine polyseme Einheit im betreffenden Falle verwendet und welches Äquivalent in der Ubersetzung zu gebrauchen ist. In solchen Fällen muß die erforderliche Information außerhalb des sprachlichen Kontextes durch Befragung der extralinguistischen Situation* ermittelt werden. Unter „Situation" versteht man erstens die Verkehrssituation, d. h. die Umstände, unter denen der K o m m u n i k a tionsakt stattfindet; zweitens den Mitteilungsgegenstand, d. h. die Gesamtheit der Umstände oder Tatsachen, die im Text dargestellt werden; und drittens die Kommunikationsteilnehmer, d. h. den Sprechenden (Schreibenden) und den Hörenden (Lesenden). V o n der R o l l e dieser drei extralinguistischen Faktoren für das Verstehen des Redeprodukts durch die Teilnehmer des Kommunikationsprozesses war bereits die R e d e (siehe § 7, Kapitel 1). Hier sei aber besonders betont, daß die Berücksichtigung dieser Faktoren häufig die notwendige Voraussetzung für die richtige W a h l des Äquivalents der jeweiligen ausgangssprachlichen Einheit in der Zielsprache ist. Ein aufschlußreiches Beispiel dafür gibt J. I. Rezker in seinem Buch „Теория перевода и переводческая практика" (S. 32). In einem Zeitungsartikel wurde der Parlamentsabgeordnete S. Silverman als „the oldest abolitionist in the House of Commons" charakterisiert. Das englische W o r t abolitionist hat zwei Bedeutungen: 1. Verfechter der Aufhebung, Abschaffung (eines Gesetzes u. dgl.); 2. Abolitionist, Anhänger des Abolitionismus (der Abschaffung der Sklaverei in den USA im 19. Jh.). Die zweite Bedeutung (Anhänger der Negerbefreiung) scheidet hier offensichtlich aus. Auf Grund der ersten Bedeutung wird S. Silverman folglich als Verfechter der Abschaffung v o n irgend etwas charakterisiert, als Gegner eines Gesetzes oder einer Institution. Offen bleibt die Frage, w e l c h e n Gesetzes oder w e l c h e r Institution. Da der Text keinerlei Hinweise darauf enthält, ist eine richtige Ubersetzung nur auf Grund der Kenntnis
*Manchmal spricht man in solchen Fällen vom „außersprachlichen (extralinguistischen) Kontext" (nach J. Firth). W i r ziehen es vor, den Ausdruck „ K o n t e x t " nur als Bezeichnung der s p r a c h l i c h e n Umgebung einer linguistischen Einheit zu benutzen, und behalten uns für die extralinguistischen Faktoren den Ausdruck „Situation" vor,
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des politischen G e s c h e h e n s i n Großbritannien i m Jahre 1963 (zur Zeit, als dieser Artikel geschrieben wurde) möglich. Damals wurde im Parlament und in der Öffentlichkeit lebhaft über die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert. Folglich ist hier abolitionist als „Verfechter der Abschaffung der Todesstrafe" oder „Gegner der Todesstrafe" zu übersetzen. W e n n im Artikel von den Vereinigten Staaten in den 20er und frühen 30er Jahren unseres Jahrhunderts die Rede wäre, dann müßte abolitionist als „Prohibitionsgegner" übersetzt werden. Dieses Beispiel ist ein überzeugendes Argument für die Bedeutsamkeit der extralinguistischen Faktoren bei der Ubersetzung, worauf wir schon früher aufmerksam machten (vgl. das Beispiel joining Europe in § 33). N® Im Ubersetzungsprozeß ist somit die „Aufhebung" der Vieldeutigkeit sprachlicher Einheiten und die Auswahl des Ubersetzungsäquivalents durch mehrere Faktoren bedingt: den engeren K o n t e x t , den weiteren K o n t e x t und die extralinguistische Situation. Ohne Berücksichtigung aller dieser Faktoren und ihrer Wechselwirkung ist das Verstehen eines Redeprodukts und damit auch seine Ubersetzung u n m ö g lich. Deshalb müssen, wie bereits festgestellt, folgende Disziplinen als linguistisches Fundament der Ubersetzungstheorie dienen: erstens die Textlinguistik und zweitens die makrolinguistische Beschreibung der Sprache unter Berücksichtigung des Funktionierens des Sprachsystems in seiner Wechselwirkung mit den extralinguistischen Phänomenen, die den Gegenstand, die Struktur und die Existenzbedingungen des Redeprodukts als Ubersetzungsobjekt determinieren. . ^
VIERTES KAPITEL DAS PROBLEM DER ÜBERSETZUNGSEINHEITEN
§ 42. In Kapitel 1 definierten wir die Übersetzung als Prozeß der Umwandlung eines Redeprodukts (eines Texts) in einer Sprache in ein Redeprodukt in einer anderen Sprache unter unveränderter Bewahrung des Inhalts. Das bedeutet, daß bei der Übersetzung ein Austausch der Einheiten der Ausdrucksebene, d. h. der Spracheinheiten, erfolgt, die Inhaltsebene aber, d. h. die im T e x t enthaltene I n f o r m a tion, unverändert (genauer: relativ unverändert) bleibt. Daraus ergibt sich für den praktischen Übersetzer beim Übersetzen und für den Ubersetzungstheoretiker beim M o dellieren dieses Prozesses die überaus wichtige Aufgabe, die m i n i m a l e zu ü b e r s e t z e n d e E i n h e i t i_m Ausgangstext festzustellen, die man gewöhnlich als Übersetzungseinheit (unit of translation) bezeichnet.* Das Problem der Übersetzungseinheit ist eines der schwierigsten in der Ubersetzungstheorie überhaupt; es gibt dazu die verschiedensten Ansichten, einschließlich der Ablehnung der Möglichkeit des Bestehens einer solchen Einheit. Es ist auch nicht klar, an welche Kriterien man sich bei der Bestimmung der Ubersetzungseinheit halten soll und w o v o n man ausgehen muß — von den Einheiten der Zielsprache oder von den Einheiten der Ausgangssprache, v o n den Ele*S. Roganowa nennt diese Einheit „Translem", siehe 3. E. Розанова: Перевод с русского языка на немецкий. М . , „Высшая школа" 1971. Der Ausdruck „Übersetzungseinheit" ist jedoch nicht wörtlich zu nehmen; es wäre vielleicht richtiger, von einer „Einheit der Übersetzungsäquivalenz" (der AS-Einheit, die ein Äquivalent im Ubersetzungstext erhält) zu sprechen.
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menten der sprachlichen Form (Struktur) oder v o n den Elementen des Inhalts („Sinneinheiten") usw. Eine Ubersicht über die verschiedenen Ansichten zu dieser Frage ist in der bereits erwähnten Arbeit von W. N. Komissarow* zu finden; hier wollen wir uns jedoch auf die Darlegung unseres eigenen Standpunkts beschränken. Unter Übersetzungseinheit verstehen wir eine Einheit im Ausgangstext, für die eine Entsprechung im Übersetzungstext gefunden werden kann, deren Bestandteile aber keine eigenen Entsprechungen im Ubersetzungstext besitzen. Mit anderen W o r t e n : Die Übersetzungseinheit ist die k l e i n s t e (minimale) sprachliche Einheit im A S - T e x t , | die eine Entsprechung im ZS-Text hat; wie wir weiter sehen werden, kann diese Einheit eine komplexe Struktur aufweisen, d. h. aus noch kleineren Einheiten der Ausgangssprache bestehen. Diese Teile aber sind, jeder für sich genommen, „unübersetzbar", im T e x t der Übersetzung läßt sich keine Entsprechung für sie nachweisen, selbst wenn sie innerhalb der Ausgangssprache ihre eigene, relativ selbständige Bedeutung besitzen. In der Sprachwissenschaft ist es üblich, das Morphem als kleinste bedeutungstragende Einheit zu betrachten. So ist es auch, wenngleich aus der weiteren Darlegung eindeutig hervorgeht, daß das Morphem äußerst selten als Übersetzungseinheit auftritt. Das liegt erstens daran, daß in sehr vielen Fällen nicht das Morphem, sondern die sprachliche Einheit einer höheren Ebene — das W o r t , die Wortgruppe oder selbst der Satz — Träger einer einheitlichen, nicht zerlegbaren Bedeutung ist; zweitens k o m m t es häufig vor, daß selbst im Falle der semantischen Zerlegbarkeit dieser höheren sprachlichen Einheiten (des Wortes, der Wortgruppe, des Satzes), wenn ihre Bestandteile (einschließlich der Morpheme) eine relativ selbständige Bedeutung haben, in der Zielsprache ihnen eine ungegliederte Einheit entspricht, innerhalb welcher keine Entsprechungen mehr für die betreffenden Bestandteile der Einheit des AS-Textes nachgewiesen werden können. In derartigen Fällen ist es wiederum nicht das Morphem, das als Ubersetzungseinheit fungiert (und häufig nicht einmal das W o r t oder die Wortgruppe), sondern die „höhere" ZS-Einheit als Ganzes. *B. H. Комиссаров: Слово о переводе, с, 185—190,
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Strenggenommen kann die Einheit einer beliebigen spachliche» Ebene Übersetzungseinheit sein. Deshalb ist zunächst zu klären, welche Ebenen der sprachlichen Einheiten sich überhaupt in der Struktur der Sprache feststellen lassen. In der modernen Sprachwissenschaft unterscheidet man gewöhnlich folgende Ebenen der sprachlichen Hierarchie: — die Ebene der Phoneme (bzw. der Grapheme in der geschriebenen Sprache); — die Ebene der Morpheme; — die Ebene der Wörter; — die Ebene der Wortgruppen; — die Ebene der Sätze; — die Ebene des Texts*. Je nachdem, zu welcher Ebene die jeweilige Übersetzungseinheit (d. h. die minimale AS-Einheit, für die eine Entsprechung im ZS-Text nachgewiesen werden kann) gehört, unterscheiden wir die verschiedenen Übersetzungsebenen: Übersetzung** auf der Ebene der Phoneme (Grapheme), auf der Ebene der Morpheme, auf der Ebene der Wörter, auf der Ebene der Wortgruppen, auf der Ebene der Sätze und auf der Ebene des Textes. Betrachten wir nun diese Fälle der Übersetzung auf verschiedenen Ebenen der sprachlichen Hierarchie etwas näher.
§ 43. Die Übersetzung auf der Ebene der Phoneme (Grapheme). Das Phonem (dem in der Schrift das Graphem oder das Buchstabensymbol entspricht) ist bekanntlich nicht Träger einer selbständigen Bedeutung, es spielt aber in der Sprache eine bedeutungsunterscheidende R o l l e . In der Ubersetzungspraxis k o m m t es trotzdem vor, daß eben die Phoneme (bzw. Grapheme) als Ubersetzungseinheit auftreten, d. h. die ausgangssprachlichen Phoneme werden durch ihnen artikulatorisch und akustisch nahestehende Phoneme *Die Zuordnung des Textes zu den Einheiten der Sprache ist umstritten. Die Übersetzung hat es aber, wie wir wissen, nicht mit der Sprache als System, sondern mit der Rede, mit konkreten R e deprodukten oder Texten zu tun. Deshalb erscheint für die Ubersetzungstheorie die Festlegung der Ebene des Textes gerechtfertigt und zweckmäßig. **Richtiger wäre es hier nicht von der Übersetzung, sondern von „Übersetzungsäquivalenten" zu sprechen.
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der Zielsprache repräsentiert (sinngemäß gilt dasselbe auch für die Grapheme der Ausgangssprache, die durch ähnliche Laute symbolisierende zielsprachliche Grapheme ersetzt werden). Um den englischen Namen Heath [hi :8 ] in der russischen Sprache wiederzugeben, muß für jedes Phonem des englischen Wortes ein artikulatorisch am nächsten stehendes Phonem der russischen Sprache gefunden werden: für [h] setzt man das russische Phonem [x'l, für [i:] den V o k a l [и] und für den Reibelaut [0] den Verschlußlaut [t]. Somit wird der englische Name Heath im russischen als X u m wiedergegeben. Für jedes Phonem der englischen Sprache ist eine Entsprechung im Phonembestand der russischen Sprache gefunden worden, so daß als Ubersetzungseinheit hier das Phonem fungiert. Die verschiedenen Schriftsysteme des Englischen und des Russischen machen diese Übersetzung zugleich zu einer Übersetzung v o n Graphemen, allerdings mit der Einschränkung, daß hier im Englischen nicht nur Einzelbuchstaben, sondern auch für einen einheitlichen Laut stehende Buchstabengruppen als Ubersetzungseinheiten auftreten (nämlich ea für [i:] und th für [9]). Bei der Übersetzung aus dem Englischen oder Französischen ins Deutsche erfolgt nur eine Übertragung von Phonemen (Eindeutschung der Aussprache) ohne Einbeziehung der Graphemebene. \ Eine Übersetzung, bei der die Entsprechungen zwischen den Einheiten der Ausgangssprache und der Zielsprache auf der Ebene der Phoneme hergestellt werden, nennt man Übersetzungstranskription (oder praktische Transkription bzw. lautbezogene Umschrift). W e n n die Entsprechungen auf der Ebene der Grapheme hergestellt werden, d. h. bei unterschiedlichen Schriftsystemen nicht das Lautbild, sondern das Schriftbild des ausgangssprachlichen Wortes wiedergegeben wird, dann haben wir es m i t der Übersetzungstransliteration* (oder buchstabenbezogener Umschrift) zu tun. W e n n wir den englischen Namen Lincoln im Russischen mit Линкольн wiedergeben, so ersetzen wir die englischen Grapheme durch russische, wir transliterieren dieses W o r t (in der Übersetzungstrans*Der Zusatz „Übersetzungs-" vor den Bezeichnungen „Transkription" und „Transliteration" ist notwendig, um diese Verfahren von den gleichnamigen Methoden der sprachwissenschaftlichen Untersuchung zu unterscheiden.
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kription müßte dieses W o r t wie Линкен geschrieben werden, da das englische W o r t wie [lüjkan] lautet. Die russische Schreibung Панксв für den Berliner Stadtteil Pankow [pai)ko:] ist auch eine Transliteration. In der Praxis werden Transkription und Transliteration kaum streng abgegrenzt, meistens k o m m t es zu einer Vermengung beider Verfahren. Die übliche russische Schreibung des englischen Namen Newton wie Ньютон ist eine Mischung aus Transkription und Transliteration: die konsequente Transkription wäre Нъютен, und die konsequente Transliteration Невтон (so wurde dieser Name auch in der russischen Sprache des 18. Jh. wiedergegeben). Einen ähnlichen Fall haben wir in der russischen Schreibung Шпрее für Spree (der Anfangskonsonant ist transkribiert, der Endvokal transferiert). Die Ubersetzung auf Phonemebene (bzw. Graphemebene) unterscheidet sich grundsätzlich v o n allen anderen Arten der Übersetzung dadurch, daß die Phoneme (bzw. Grapheme), wie bereits nachgewiesen, an und für sich keine Träger von irgendwelchen Bedeutungen' sind. Deshalb kann diese Art der Übersetzung selbstverständlich nur in sehr engen Grenzen zur Anwendung kommen. Mehr oder weniger regelmäßig wird sie nur bei der Wiedergabe von Personennamen und geographischen Benennungen verwendet, z. B. deutsch Goethe — russisch Гёте, englisch Churchill — russisch Черчиль, deutsch Treptow — russisch Tpenmoe, russisch Набережные Челны — deutsch Nabereshnyje Tschelny u. dgl. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Den deutschen Namen Ludwig, Otto und den englischen W i l l i a m , James entsprechen normalerweise im Russischen die Transkriptionen Людвиг, Ommo, Вильям (Уильям), Джеймс. W e n n es sich aber um Namen von Königen oder Kaisern handelt, heißt es Людовик, Оттон, Вильгельм, Яков (Людовик XIV, Оттон I, Вильгельм Завоеватель, Яков Стюарт — für Ludwig X I V . , Otto I., W i l l i a m the Conqueror, James Stuart). Die englischen Namen Abraham, Isaac, Moses übersetzt man ins Russische als Абрахам, Айзек, Мозес\ wenn es sich um biblische Gestalten handelt, heißt es im Russischen aber Авраам, Исаак, Моисей. Der große deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts Heinrich Heine heißt auf Russisch Генрих Гейне, obwohl ein Zeitgenosse v o n uns des gleichen Namens Хайнрих Хайне heißen müßte. Somit wird selbst im Bereich der Eigennamen die Transkription und 191
Transliteration mit bestimmten Beschränkungen angewandt. E i n anderer Fall der A n w e n d u n g desselben Übersetzungsverfahrens ist die W i e d e r g a b e verschiedener politischer nnd kultureller R e a l i e n , z. B. shop Steward — шопстюард, o f f i c e — оффис, Speaker (im Unterhaus) — спикер oder Ministerialdirektor — министериалъ-директор, Song — зоне, Badusan — бадузан u. a. (Näheres siehe im A b s c h n i t t über die W i e d e r g a b e der sogenannten ä q u i v a l e n t l o s e n Lexik.) In Fällen wie S p e a k e r — с п и к е р , d a n c i n g — дансинг, l a d y — леди, K a n z l e r — канцлер, Bundeswehr — бундесвер besteht jedenfalls A n l a ß genug für Z w e i f e l , ob es sich hier tatsächlich um Übersetzungen auf der E b e n e v o n P h o n e m e n handelt. Da die W ö r t e r спикер, дансинг, леди, канцлер, бундесвер bereits in den W o r t b e s t a n d der russischen Sprache eingegangen sind (d. h. als usuelle Ä q u i v a lente der betreffenden englischen und deutschen W ö r t e r fungieren), erfolgt hier v o m Ü b e r s e t z e r aus g e s e h e n die W a h l des Ä q u i v a l e n t s auf der E b e n e der W ö r t e r : der Übersetzer sucht aus dem russischen W o r t s c h a t z Ä q u i v a l e n t e für die Einheiten des A S - T e x t e s aus, unbesorgt d a r u m , ob sie die Aussprache (oder Schreibung) des ausgangssprachlichen W o r t e s w i e d e r g e b e n oder n i c h t . Nur wenn der Übersetzer g e n ö t i g t ist, s e l b s t ein „okkasionelles U b e r setzungsäquivalent" zu schaffen und die T r a n s k r i p t i o n anzuwenden, wenn er für jedes P h o n e m des A S - W o r t e s ein zielsprachliches Ä q u i v a l e n t f i n d e n muß, w i r d das P h o n e m zur Übersetzungseinheit f ü r i h n . E s ist aber z u b e a c h ten, daß es erstens zwischen „usuellen" und „okkasionellen" (also zwischen sprachbezogenen und redebezogenen) Ä q u i v a l e n t e n keine deutliche Grenze g i b t , und daß wir zweitens den „Übersetzungsprozeß" ausschließlich linguistisch interpretieren ( v g l . § 1), n ä m l i c h als zwischensprachliche U m w a n d l u n g oder T r a n s f o r m a t i o n eines A S - T e x t e s in einen Z S - T e x t , u n a b h ä n g i g v o n der p s y c h o l i n g u i s t i s c h e n Seite dieses Prozesses, d. h. v o n der eigentlichen T ä t i g k e i t des Übersetzers selbst. Deshalb sieht die l i n g u i s t i s c h e U b e r s e t z u n g s t h e o r i e i n Fällen w i e Speaker — спикер, Kanzler — канцлер direkte Beziehungen zwischen den Einheiten der Ausgangssprache und denen der Z i e l sprache auf der E b e n e v o n P h o n e m e n v o r , da jedem P h o n e m der A u s g a n g s f o r m ein P h o n e m der Übersetzung zugeordnet 192
werden kann, was auf Grund unserer Definition der Übersetzungseinheit hier eben das Phonem als eine solche Einheit erscheinen läßt. Daß dabei für den Ubersetzer die Äquivalenz faktisch auf der Ebene der Wörter hergestellt wird, ändert nichts am Wesen dieser Beziehung. Dasselbe gilt für gleichartige Fälle auf anderen Ebenen der sprachlichen Hierarchie wie backbenclier задпескамеечник, Freie Deutsche Jugend Свободная Немецкая Молодежь, die wir als Übersetzung auf der Ebene von Morphemen bzw. Wörtern auffassen, wenngleich für den Ubersetzer, wenn er fertige Äquivalente verwendet, im ersten Falle das W o r t die Übersetzungseinheit ist und im zweiten die W o r t gruppe. Es ist für den Übersetzer allerdings nicht gleichgültig, w i e e r die Einheiten des Ausgangstextes übersetzt — auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden fertigen sprachlichen Äquivalente oder durch neue ad-hoc-Bild ungen für jeden konkreten Fall; für die nachfolgende Beurteilung des Charakters der Übersetzungsäquivalenz ist das jedoch unwesentlich. § 44. Die Übersetzung auf der [Ebene der Morpheme. In einigen Fällen ist es das Morphem, das als Übersetzungseinheit fungiert: jedem Morphem des AS-Wortes entspricht dabei ein bestimmtes Morphem im äquivalenten ZS-Wort. Solche morphembezogene Entsprechungen lassen sich z. B. für das Wortpaar deutsch Tische — russisch столы feststellen, wo dem Stamm des Ausgangsworte Tisch der Stamm des Übersetzungswortes стол und dem Pluralmorphem -e das Morphem -ы entspricht (das russische -ы ist allerdings zugleich Plural- und Kasusflexion, was für das deutsche -e nur zum Teil gilt, aber das Prinzip der morphemweisen Entsprechung b l e i b t davon im Grunde unberührt). Die gleiche morphembezogene Äquivalenz sehen wir bei der Übersetzung des englischen Wortes backbenclier ins Deutsche (Hinterbänkler) und ins Russische (задпескамеечник): backHinterзадне-
-bench-bänk-скамееч-
-er -1er -ник
Derartige Fälle kann man als Ubersetzung auf der Ebene der Morpheme betrachten. Eine solche Übersetzung k o m m t 13-019
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noch viel seltener vor, als die Übersetzung auf der Ebene der Phoneme oder Grapheme: die morphologische Struktur semantisch äquivalenter Wörter stimmt] meistens in verschiedenen Sprachen nicht überein, besonders was die grammatischen Morpheme (der Wortveränderung und W o r t bildung) betrifft, deren Bestand in verschiedenen Sprachen recht unterschiedlich ist.
§ 45. Die Übersetzung auf der Ebene der Wörter. Am häufigsten fungiert das W o r t als Übersetzungseinheit. Hier bringen wir einige Beispiele der Übersetzung auf der W o r t ebene aus dem Bussischen und Englischen ins Deutsche: Он He Er Мой Му Mein
пришел came kam
брат brother Bruder Кто Who Wer
назад back zurück
живёт lives lebt
сказал told sagte
в Москве in Moscow in Moskau
вам you Ihnen
это? that? das?
In diesen Beispielen und anderen gleichartigen Fällen bestehen Entsprechungen auf der Ebene der Wörter. Als Übersetzungseinheiten treten hier eindeutig Wörter auf, während Morpheme (oder gar Phoneme) im allgemeinen nicht mehr m i t irgendwelchen Äquivalenten zu identifizieren sind (vgl. z. B. russisch при-шёл — deutsch kam; englisch back — deutsch zu-rück). W e n n wir v o n Übersetzungseinheiten sprechen, meinen wir damit Einheiten der Ausgangssprache. Deshalb betrachten wir es auch als eine Übersetzung auf der Ebene der Wörter, wenn einem W o r t der Ausgangssprache mehrere W ö r t e r (oder eine Wortgruppe) der Zielsprache entsprechen. V g l . z. B. ...Jane and her mother were sort of snubbing her. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 11.) ...Jane und ihre Mutter behandeln sie irgendwie von oben herab. . . . Д ж е й н и её мать относятся к ней свысока. 194
Dem englischen Verb snub entsprechen im deutschen and im russischen Text ganze Wortgruppen: von oben herab behandeln und относиться свысока. Trotzdem behandeln wir diesen Fall als Übersetzung auf der Ebene der W ö r t e r , da die kleinste Einheit der Ausgangssprache, für die im ZS-Text eine Entsprechung gefunden werden kann, liier das W o r t ist. In solchen Fällen (die nicht häufig v o r k o m m e n ) kann man die Bezeichnung ehenedifferente Entsprechung verwenden, da die AS-Einheit im ZS-Text durch eine Einheit wiedergegeben wird, die zu einer anderen (meist höheren, aber unter Umständen auch tieferen) Ebene gehört. Wenn aber die Übersetzungseinheit der Ausgangssprache und ihr ZS-Äquivalent auf der gleichen Ebene der sprachlichen Hierarchie liegen, kann man dies als ebenegleiche Entsprechung bezeichnen (z. B. einem AS-Morphem entspricht ein ZS-Morpliem, einem A S - W o r t ein Z S - W o r t usw.). Die Ubersetzung auf der Ebene der Wörter (die „ W o r t für-Wort-Übersetzung") k o m m t viel häufiger v o r als die phonem- oder morphembezogene Übersetzung, aber auch sie ist in ihrem Anwendungsbereich beschränkt. Meistens erhält bei der Übersetzung eines Satzes nur ein Teil der Wörter „wörtliche" Äquivalente, die übrigen W ö r t e r erhalten solche Äquivalente nicht, so daß dieser Teil des Satzes auf einer höheren Ebene — auf der Ebene der W o r t g r u p pen — übersetzt werden muß. Nur in wenigen Fällen wird der ganze Satz auf der Ebene der Wörter übersetzt, meist sind das äußerst einfache und elementar aufgebaute Sätze wie die oben angeführten. Ein seltenes Beispiel der wörtlichen Übersetzung eines Satzes m i t relativ komplizierter Struktur bringen T. R. Lewizkaja und А. M. Fiterman in ihrer Arbeit „Теория и практика перевода с английского языка на русский" (S. 17): The Soviet proposal is an endeavour to create an atmosphere wliich will lead to further negotiations between the former allies and between the two German Governments. Советское предложение является попыткой создать атмосферу, которая приведёт к дальнейшим переговорам между бывшими союзниками и между обоими германскими правительствами. A u c h hier fehlen im russischen T e x t in Übereinstimmung mit der grammatischen Struktur dieser Sprache die Ä q u i v a 13*
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iente für die englischen Artikel; Hilfswörter aber wie die Infinitivpartikel to und das Hilfsverb will werden im russischen T e x t nicht durch Wörter, sondern durch Morpheme (durch die Formen des Infinitivs und des Futurums) wiedergegeben. Bei der Übersetzung von Sätzen mit einigermaßen komplizierter Struktur machen verschiedene grammatische und lexikalische Faktoren die Übersetzung auf der Ebene der Wörter meist unmöglich und beschränken somit ihre Anwendung auf ein M i n i m u m .
§ 46. Die Ubersetzung auf der Ebene der Wortgruppen. Das anschaulichste Beispiel für diese Art ist die Übersetzung idiomatischer oder stehender (phraseologischer) Redewendungen. Ihre Bedeutung deckt sich bekanntlich nicht mit der Summe der Bedeutungen ihrer Komponenten, also der sie bildenden Wörter, so daß die wörtliche Ubersetzung solcher Wortgruppen meistens unmöglich ist und die Wortgruppe als Ganzes die Eigenschaft einer Ubersetzungseinheit erhält. Vgl. z. B. deutsch Feuer fangen — russisch загореться; englisch first night — deutsch Erstaufführung, englisch to c o m e to the wrong shop — deutsch an die falsche Adresse geraten-, englisch to spill the beans — deutsch aus der Schule plaudern u. dgl. m. Die wortwörtliche Übersetzung derartiger Bedewendungen ist nur erlaubt, wenn ihre „innere Form" in beiden Partnersprachen aus irgendeinem Grunde gleich ist (vgl. deutsch da liegt der Hund begraben — russisch вот где собака зарыта). Es wäre aber falsch anzunehmen, daß nur stehende oder phraseologische Verbindungen als Übersetzungseinheit auftreten können. Häufig k o m m t diese R o l l e auch freien Wortverbindungen zu, deren Bedeutung in der Ausgangssprache sich restlos aus der Summe der Bedeutungen ihrer Wortglieder ableiten läßt. Vgl. z. B. englisch to come late — d e u t s c h sich verspäten, englisch b o o k parcel — deutsch Drucksache, englisch to get dressed — deutsch sich anziehen. Obwohl in diesen Beispielen jedes englische W o r t innerhalb der betreffenden Wortgruppe seine lexikalische Grundbedeutung behält, fungiert als Übersetzungseinheit bei der Übertragung ins Deutsche doch die Wortgruppe als Ganzes. Das sehen wir auch an folgenden Beispielen aus der russischen Übersetzung der Erzählung von J. Salinger „The Catcher in the R y e " . 196
I improved her game immensely, though. (11) Но я её здорово натренировал. The one with the glasses made me give hack to her. (15) Та, что в очках, отняла чек у меня. Не always shaved himself twice, to look gorgeous. (4) Он всегда бреется по второму разу, красоту наводит. „ H e ' s got this superior attitude all the time", Ackley said. (3) — Он всегда задирает н о с — говорит Экли. In diesen Beispielen fungieren die (fettgedruckten) englischen Wortgruppen als Übersetzungseinheiten, da die zu ihnen gehörenden Wörter, außer den strukturell notwendigen Pronomen im ersten und zweiten Satz, keine wie immer gearteten Entsprechungen im russischen Text erhalten; die Äquivalenz wird unmittelbar auf der Ebene der Wortgruppe hergestellt. Die Übersetzung auf der Ebene der Wortgruppen ist in der Praxis weit verbreitet. W i e wir bereits bemerkten, k o m m t am häufigsten die Art der Übersetzung vor, bei der einige Wörter des Ausgangssatzes wörtlich wiedergegeben werden, so daß dieser Teil des Satzes auf der Ebene der Wörter, der übrige aber auf der Ebene der Wortgruppen übersetzt wird. Das sieht man z. B. an nachstehendem Übersetzungsfall (das Beispiel ist der obengenannten Arbeit von T. R. Lewizkaja und A. M. Fiterman entnommen). The terrestrial globe is a member Земной Der
шар
Erdball
of the solar system.
входит в
солнечную систему.
ist ein Teil
des Sonnensystems.
Bei der Übersetzung des englischen Satzes ins Bussische werden folgende Entsprechungen hergestellt: terrestrial — земной, globe — шар, solar — солнечную system — систему (als Übersetzungseinheiten treten dabei Wörter auf). Die Gruppe is a member wird als geschlossene Einheit auf der Ebene der Wortgruppen behandelt. Bei der Übersetzung ins Deutsche verhält es sich umgekehrt: terrestrial globe und solar system werden als Wortgruppen übersetzt, dagegen is a member W o r t für W o r t als ist ein Teil. 197
§ 47. Die Übersetzung auf der Ebene der Sätze. Es gibt Fälle, da selbst die Wortgruppen nicht mehr als Ubersetzungseinheiten in Frage kommen und die Übersetzungsäquivalenz erst auf der Ebene des gesamten Satzes hergestellt werden kann. Das wiederum ist häufig der Fall, wenn die zu übersetzenden Sätze in ihrer Bedeutung idiomatisch sind, d. h. wenn die Bedeutung des Satzes sich nicht mit der Summe der zu ihm gehörenden Wörter und Wortgruppen deckt. Solche Sätze sind u. a. Sprichwörter*, z. B : Viele K ö c h e verderben den Brei. У семи нянек дитя без глазу. Birds of а feather f l o c k together. Рыбак рыбака видит издалека. Every dark cloud has a silver lining. Glück im Unglück. Aus diesen Beispielen geht hervor, daß hier der Satz als Ganzes die eigentliche Übersetzungseinheit ist. Die Bedeutung des ZS-Satzes stimmt mit der des AS-Satzes überein, innerhalb dieser Sätze können jedoch keine Entsprechungen zwischen den Wörtern und Wortgruppen festgestellt werden. Auf gleiche Weise übersetzt man meistens auch andere Typen von ständigen „Klischees" oder „Formeln": verschiedene Aufschriften, Hinweise, Straßenschilder, Höflichkeitsfloskeln u. a., z. В . : W e t paint — Frisch gestrichen Keep off the grass — По газонам не ходить. Many happy returns of the day — Herzliche G l ü c k wünsche zum Geburtstag. There's a good b o y — Вот умница. (Вот паинька.) Ziehen. Drücken — К себе. От себя. Nachstehend einige weitere Beispiele der Übersetzung auf Satzebene aus der schon früher in diesem Zusammenhang zitierten Erzählung J. Salingers:
* Vgl. и. a. die Kapitel über die Übersetzung von Sprichwörtern bei 10. M. Катцер, А. В. Купит „Письменный перевод с русского языка на английский", М . , „Высшая школа", 1964, с. 103—109; 3. Е. Роганова: „Перевод с р у с с к о г о языка на немецкий", М . , „ В ы с шая школа", 1971, с. 61—63.
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I have to admit it. (3) Т у т ничего не скажешь. (Da ist nichts einzuwenden.) D o n ' t even mention them to me. (1) Терпеть не могу. (Die kann ich nicht riechen.) . . . B u t outside of that I d o n ' t care much. . . . Н о в общем это ерунда. ( . . . A b e r sonst geht mich das nichts an.)
(5)
W i r müssen beachten, daß die englischen Ausgangssätze nichts besonders Idiomatisches enthalten — ihre Bedeutung entspricht v o l l k o m m e n der Summe der Bedeutungen der sie bildenden W ö r t e r ; trotzdem wird die Ubersetzung hier auf der Ebene des Satzes vollzogen, der hier als geschlossene unteilbare Ubersetzungseinheit behandelt wird.
§ 48. Die Übersetzung auf der Ebene des Textes. Es treten schließlich auch Fälle auf, wo selbst die Sätze nicht mehr als Übersetzungseinheiten dienen können und diese Rolle v o m gesamten Text als geschlossenes Ganzes übernommen wird. Die Übersetzungseinheit ist dann die Gesamtheit der innerhalb eines Redeabschnitts zusammengefaßten selbständigen Sätze. Bei Prosaübersetzungen dürfte dies eine seltene Ausnahme sein, aber in einer so eigenartigen Übersetzungsgattung wie der d i c h t e r i s c h e n ist dies durchaus normal. Als Beispiel im Bereich der englisch-russischen Übersetzung möge uns hier das 49. Sonett von Shakespeare und seine russische Ubersetzung von S. Marschak dienen. Against that time, if ever that time come, W h e n I shall see thee frown on my defects, W h e n as t h y love hath cast his utmost sum, Call'd to that audit by a d v i s ' d respects; Against that time when thou shalt strangely pass And scarcely greet me with that sun, thine eye, W h e n love, converted from the thing it was, Shall reasons find of settled gravity — Against that time do I ensconce me here W i t h i n the knowledge of mine own desert, And this my hand against myself uprear, To guard the lawful reasons on thy part: 199
To leave poor me thou hast the strength of laws, Since wliy to love I can allege no cause.
В тот чёрный день (пусть он минует нас!), Когда увидишь все мои пороки, Когда терпенья истощишь запас И мне объявишь приговор жестокий, Когда со мной сойдясь в толпе людской, Меня едва подаришь взглядом ясным, И я у в и ж у холод и покой В твоём лице, по-прежнему прекрасном, В тот день поможет г о р ю моему Сознание, что я тебя не стою, И р у к у я в присяге подниму, Всё оправдав своей неправотою. Меня оставить вправе ты, мой друг, А у меня для счастья нет заслуг. Zwischen dem Ausgangstext und dem T e x t der Übersetzung können hier weder auf der Wortebene (bis auf wenige Ausnahmen: defects — пороки, band — руку, leave — оставить) noch auf der Ebene der Wortgruppen oder Sätze Entsprechungen nachgewiesen werden, da kein einziger Satz des russischen Textes, isoliert betrachtet, außerhalb dieses Kontextes als bedeutungsmäßiges Ä q u i v a lent eines Satzes des englischen Textes gelten kann. Übersetzungseinheit ist hier der zu übersetzende Text als Ganzes: Obwohl es keine Entsprechungen zwischen den einzelnen Bestandteilen gibt, kann das russische Gedicht als ein Äquivalent des englischen angesehen werden, da beide im wesentlichen dieselbe bedeutungsmäßige und. ästhetische Information vermitteln.* Ein ähnliches Verhältnis zwischen Ausgangstext und Z i e l t e x t sehen wir auch in der russischen Ubersetzung des Rilkeschen Gedichtes „Der Lesende" von B. Pasternak (hier beschränken wir uns aus Baumgründen auf die Darstellung der ersten zehn Zeilen): * W i r verzichten hier bewußt auf wertmäßige Urteile über die Qualität der Ubersetzung und ihre Nähe zum Original.
200
DER
LESENDE
Ich las schon lang. Seit dieser Nachmittag, mit Regen rauschend, an den Fenstern lag. V o m W i n d e draußen hörte ich nichts mehr: mein Buch war schwer. Ich sah ihm in die Blätter wie in Mienen, die dunkel werden von Nachdenklichkeit, und um mein Lesen staute sich die Z e i t . — Auf einmal sind die Seiten überschienen, und statt der bangen Wortverworrenheit steht: Abend, Abend ... überall auf ihnen. ЗА
КНИГОЙ
Я зачитался. Я читал давно. С тех пор как дождь пошёл хлестать в окно. Весь с головою в чтение уйдя, Не слышал я дождя. Я вглядывался в строки как в морщины Задумчивости, и часы подряд Стояло время или шло назад. Как вдруг я в и ж у , к р а с к о ю карминной в них набрано: закат, закат, закат.
W i r sehen, daß im Grunde genommen Einheiten einer beliebigen sprachlichen Ebene — v o m Phonem bis hin zum Text — zur Ubersetzungseinheit werden können. Es muß betont werden, daß im Zuge der Übersetzung eines Textes die Übersetzungseinheiten meist ständig variieren — bald ist es ein W o r t , bald eine Wortgruppe, bald ein ganzer Satz usw. Eine der Grundschwierigkeiten der Ubersetzung besteht gerade in der Fähigkeit, in jedem konkreten Falle die geeignetste Übersetzungseinheit zu finden, die auf einer beliebigen Ebene der sprachlichen Hierarchie liegen kann.
§ 49. Der Begriff der „Übersetzungsebene" kann unseres Erachtens mit den in der Übersetzungstheorie weit verbreiteten Begriffen der „äquivalenten" (bzw. „adäquaten"), „buchstäblichen" und „freien" Übersetzung in Beziehung gesetzt werden. Genaugenommen lassen sich die Begriffe 201
der Ubersetzungsäquivalenz („Adäquatheit") sowie der Buchstäblichkeit und der Freiheit der Ubersetzung nicht ausschließlich auf das Problem der Auswahl der optimalen Übersetzungseinheit reduzieren; die richtige W a h l dieser Einheit auf der jeweils erforderlichen Ebene der sprachlichen Hierarchie hat jedoch eine entscheidende Bedeutung für die qualitative Bewertung der Übersetzung. a) Eine Ubersetzung, die auf einer Ebene erfolgt, die n o t w e n d i g und a u s r e i c h e n d ist, u m den Inhalt unverändert unter Einhaltung der ZS-Normen wiederzugeben, ist eine äquivalente Übersetzung. Alle bisher angeführten Beispiele von Ubersetzungen auf verschiedenen Ebenen der Sprache waren Beispiele äquivalenter Ubersetzung — die Ubersetzungseinheit war jeweils auf der Ebene gewählt worden, die notwendig und ausreichend war, um die im Originaltext enthaltene Information v o l l ständig wiederzugeben (bis auf die grundsätzlich unvermeidlichen Verluste, die wir an entsprechender Stelle behandelt haben), und zwar unter strikter Bespektierung aller grammatischen, lexikalischen und stilistisch-pragmatischen Normen der Zielsprache. b ) Eine Ubersetzung, die auf einer t i e f e r e n Ebene erfolgt als auf derjenigen, die für die unveränderte W i e d e r gabe des Inhalts unter Einhaltung der ZS-Normen benötigt wird, ist eine buchstäbliche Ubersetzung. Wenn wir im englischen Satz The terrestrial globe is member of the solar system, The terrestrial globe als die irdische Kugel übersetzt hätten, so wäre dies eine buchstäbliche Übersetzung, da für die richtige Wiedergabe des Inhalts dieser W o r t gruppe in Übereinstimmung mit den Normen der deutschen Sprache die Ubersetzung auf der nächsthöheren Ebene, nämlich auf der Ebene der Wortgruppe erforderlich ist (the terrestrial globe — der Erdball). Genauso wäre es eine buchstäbliche Ubersetzung, wenn wir den englischen Satz (die Warnung) wet paint mit feuchte Farbe übersetzen würden, denn dann wäre die Übersetzungsebene gleichfalls zu tief gegriffen. Die adäquate Ubersetzung verlangt eine Äquivalenz auf der Ebene der Sätze: wet paint — Vorsicht,
frisch gestrichen.
B u c h s t ä b l i c h e Ü b e r s e t z u n g , darauf sei nachdrücklich verwiesen, ist u n z u l ä s s i g , weil dabei, wie aus ihrer Definition folgt, entweder die im A S - T e x t enthaltene Information entstellt wird oder die 202
Normen der Zielsprache verletzt werden oder beides zugleich geschieht. Deshalb sind Fälle der buchstäblichen Übersetzung, soweit sie in der Praxis vorkommen, als Verfehlungen des Übersetzers zu werten (wie „typisch" und weitverbreitet dieser Fehler auch sein mag). Dafür sollen nachstehend einige Beispiele aus englisch-russischen und deutsch-russischen Ubersetzungen angeführt werden. Не может быть ничего опаснее, чем нарушение „деликатного баланса сил", на котором держится мир в Европе. (Правда, 27. 11. 1972. Zitat aus der englischen Zeitung „ D a i l y telegraph") Der englische Ausdruck a delicate balance ist hier mit деликатный баланс übersetzt. Die Ubersetzung erfolgte auf der Ebene der Wörter, während hier eine Ubersetzung auf der Ebene der Wortgruppe erforderlich ist: неустойчивое равновесие entspricht inhaltlich der englischen Redewendung. Ein ähnlicher auf Buchstäblichkeit beruhender Fehler ist die weitverbreitete Ubersetzung des englischen coldblooded murder als хладнокровное убийство. Dies ist eine morphembezogene Ubersetzung: cold — хладно-, - b l o o d — кров- -ed — -H-; für die richtige Wiedergabe der Bedeutung dieses Wortes muß es als Ganzes übersetzt werden: зверское убийство, also auf d e r E b e n e der Wörter und nicht der der Morpheme. Im früher zitierten Aufsatz „Ложный принцип и неприемлемые результаты" führt J. А. Kaschkin zahlreiche Beispiele buchstäblicher Übertragungen an, die die in den 30er Jahren unter der Federführung von E. Lann ausgeführten russischen Dickens-Ubersetzungen aufweisen. Das englische sweet pea ist inj diesen Ubersetzungen mit сладкий горошек wiedergegeben,— eine typische Buchstäblichkeit. Eine idiomatische Wortverbindung, deren Bedeutung nicht gleich der Summe ihrer Bestandteile ist, wird hier auf der Ebene der Wörter übersetzt. R i c h t i g muß es heißen: душистый горошек, d. h. die Wortgruppe als Ganzes ist hier als Ubersetzungseinheit zu behandeln. Ein weiteres Beispiel dieser Art ist die Wortgruppe a regulär ass, die von den Übersetzern mit регулярный осёл wiedergegeben wird, weil sie auch hier auf der Ebene der Wörter bleiben, obwohl eine äquivalente Ubersetzung auf 203
der Ebene der Wortgruppen möglich ist: круглый дурак.* Folgende Beispiele belegen die gleichen Erscheinungen an Hand einer Übersetzung von H. Bolls Erzählung „ E n d e einer Dienstfahrt" (russische Übertragung von N. Man und S. Fridland). ...wo er nach kurzem Suchen das ihm empfohlene beste Haus am Platz, das Gasthaus zu den Duhr-Terrassen entdeckte. ...и после недолгих поисков обнаружил лучший дом на площади, рекомендованную ему гостиницу „Дурские террасы". R i c h t i g müßte es heißen: лучшую гостиницу города denn die Wortgruppe ist hier gemäß ihrer Bedeutung als Einheit zu behandeln. ...er bekam ter sagte, der ...и чашку „светленький,
auch ... einen Kaffee, von dein er spä„habe sich gewaschen" gehabt. кофе, о котором он позднее отозвался как-будто его помыли".
Die idiomatische Bedeutung des Ausdrucks „hat sich gewaschen" (ist nicht zu unterschätzen) ist von den Ubersetzern übersehen worden, weshalb sie diese Gruppe nicht als Ganzes, sondern eben W o r t für W o r t , d. h. buchstäblich übersetzten. Die dadurch entstehende Unsinnigkeit wird durch den Zusatz светленький nur scheinbar beseitigt. Die Folge dieses Ubersetzungsfehlers ist eine v o l l k o m m e ne Verkehrimg der Aussageabsicht des Autors (ein besonders starker und daher anerkennenswerter Kaffee verwandelt sich in ein dünnes, schales Getränk!). c ) Eine Übersetzung, die auf einer h ö h e r e n E b e n e erfolgt, als auf derjenigen, die für die unveränderte Wiedergabe des Inhalts unter Einhaltung der ZS-Normen benötigt wird, ist eine freie Übersetzung. Hier einige Beispiele dafür aus R. Bait-Kowalewas russischer Übersetzung von J. Salingers Erzählung „The Catcher in the R y e " : Some things are hard to remember. (6) Бывает, что нипочём не можешь вспомнить, всё было.
как
*Weitere Beispiele buchstäblicher Ubersetzungen in russischen Ausgaben englischsprachiger Werke enthält die erwähnte Arbeit von H. Галь: „Слово живое и мертвое", S. 32—33.
204
1 was too depressed to care whether I had good view or not. (9) Когда настроение скверное, не всё ли равно, что там за окошком. I ' m not kidding, some of these very stupid girls can really knock you out on a dance floor. (10) Знаете, иногда она — дура, а танцует, как бог. „ I ' m lonesome as hell." (19) Меня тоска заела. Fälle freier Ubersetzung gibt es viele in der russischen Übersetzung von I i . Lees Erzählung „To K i l l a Mockingbird" (russisch von N. Gal und R. Oblonskaja), z. В.: He was difficult to live with, inconsistent, m o o d y . His appetite was appaling, and he told me so many times to stop pestering him. (12) С ним стало трудно у ж и т ь с я , то он злился, то дулся, настроение у него менялось пятнадцать раз на день. Ел он много и жадно, даже смотреть было страшно, и всё огрызался — не приставай ко мне. In allen diesen Fällen erfolgt die Übersetzung auf der Ebene der Sätze. Die Sätze des englischen Texts werden als unteilbare Einheiten behandelt, obwohl sie durchaus „näher zum Text" übersetzt werden könnten, d. h. auf der Ebene der Wortgruppen oder auch der einzelnen Wörter. Es liegt auf der Hand, daß die freie Ubersetzung im ganzen vertretbarer ist als die buchstäbliche. In der freien Übersetzung gibt es gewöhnlich weder Sinnentstellungen noch Verletzungen der ZS-Norm. Ein Nachteil der freien Übersetzung ist jedoch, daß die Bedeutung des AS-Textes nicht exakt genug wiedergegeben wird: Es findet ein unvertretbarer Informationsverlust statt, weil der Ausgangstext tiefgreifenden Veränderungen unterzogen wird, wo dies vermieden werden könnte. Dabei läuft der Übersetzer stets Gefahr, die sehr schwer feststellbare Grenze zu überschreiten, die die freie Übersetzung v o m willkürlichen „Nachschaffen" trennt, wofür im Russischen die treffende Bezeichnung „отсебятина" gebräuchlich ist. Selbst in den hier angeführten Ubersetzungen, die von anerkannten Meistern ausgeführt wurden, findet eine gewisse Inhaltsänderung gegenüber dem AS-Text statt. Im zweiten Satz (I was too depressed...) ist im Original lediglich v o m Gemüts205
zustand des Erzählers die Rede, in der Übersetzung k o m m t es aber zu einer allgemeingültigen Feststeilung, die grundsätzlich auf jeden Menschen zutrifft. Bei weniger qualifizierten Übersetzern sind solche semantische Abweichungen in der freien Übersetzung noch viel auffälliger. Die Behauptung, daß freie Übersetzung der buchstäblichen vorzuziehen sei, ist ebenfalls nicht uneingeschränkt gültig: hier muß auch der Gattungszugehörigkeit des Textes Bechnung getragen werden. So ist bei der Übersetzung literarischer Kunstwerke die freie Übersetzung durchaus vertretbar und sehr häufig, während sie bei der Übersetzung offizieller, juristischer und diplomatischer Texte v ö l l i g unzulässig ist. Die Ubersetzungsweise aber, die der Ubersetzer bei der Arbeit an Texten aller Arten und Gattungen anzustreben hat, ist einzig die äquivalente Ubersetzung. In der Praxis ist es jedoch meistens äußerst schwer, die jeweilige Ubersetzung eindeutig als „äquivalent" oder „nichtäquivalent" zu qualifizieren (wenn es um die Beurteilung von Ubersetzungen ausreichend langer Textabschnitte geht). E s ist wohl richtiger, von verschiedenen Ä q u i v a l e n z g r a d e n der Ubersetzung z u sprechen, von einer größeren oder geringeren Annäherung an die „vollkommen äquivalente" Übersetzung, die somit eher als eine Art ideelles Leitbild denn als Realität aufzufassen ist. Dem Problem, mit welchen Mitteln und Verfahren die Äquivalenz der Ubersetzung gewährleistet werden kann, ist das folgende Kapitel dieser Untersuchung gewidmet.
FÜNFTES KAPITEL DIE ÜBERSETZUNGSTRANSFORMATIÖNEN
§ 50. Die vorangehenden Kapitel behandelten vor al lern die Unterschiede zwischen den Systemen der beiden Partnersprachen (der Ausgangssprache und der Zielsprache) und deren Einfluß auf den Ubersetzungsprozeß. Es wurde von uns aber wiederholt betont, daß das Objekt der Übersetzung nicht das Sprachsystem in abstracto ist, sondern ein konkretes Redeprodukt, auf dessen Grundlage ein R e d e produkt in einer anderen Sprache (eben der Text der Übersetzung) geschaffen wird. Die Gewährleistung der Übersetzungsäquivalenz (der „Adäquatheit der Übersetzung") über die formellen und semantischen Differenzen der Sprachsysteme hinweg setzt beim Übersetzer zunächst die Fähigkeit voraus, zahlreiche und verschiedenartige zwischensprachliche Umwandlungen — die sogenannten Übersetzungstransformationen — auszuführen, um zu erreichen, daß die Ubersetzung unter strikter Beachtung der Normen der Zielsprache mit größtmöglicher Vollständigkeit die gesamte im Ausgangstext enthaltene Information wiedergibt. In welchem Sinne die Ausdrücke „Umwandlung" bzw. „Transformation" zu verstehen sind, haben wir am Anfang dieser Untersuchung erläutert (siehe § 1). Die Arten der Umwandlungen oder Transformationen, die im Ubersetzungsprozeß vollzogen werden, lassen sich auf vier Elementartypen reduzieren: 1. Umstellungen; 2. Substitutionen; 3. Ergänzungen; 4. Weglassungen. 207
Es sei jedoch ausdrücklich gesagt, daß diese Einteilung nur als annähernd und zum Teil willkürlich aufzufassen ist. Eine bestimmte Umwandlung kann häufig mit gleicher Berechtigung unter den einen wie unter den anderen elementaren Transformationstyp eingeordnet werden. So kann z. B. die für die Übersetzung aus dem Englischen ins Russische typische Wiedergabe der asyndetischen Verbindung durch eine konjunktioneile entweder als Substitution (eine Art der syntaktischen Verbindung wird durch eine andere substituiert) oder als Weglassung (die im Ausgangstext vorhandene Konjunktion wird weggelassen) eingestuft werden. Noch wichtiger ist aber folgendes. In der Praxis k o m m e n diese vier Typen der elementaren Ubersetzungstransformation äußerst selten „in Reinkultur" vor, meistens sind sie, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen sollen, derart ineinander verflochten, daß sie einen vielschichtigen, „komplexen" Charakter annehmen. Mit diesen Vorbehalten schreiten wir nun zur Betrachtung der vier Typen der im Ubersetzungsprozeß auftretenden Transformationen.
1. Umstellungen § 51. Die Umstellung ist eine Transformation, bei der die Reihenfolge der sprachlichen Elemente im Text der Übersetzung gegenüber dem Originaltext geändert wird. Die von der Umstellung betroffenen Elemente sind meistens Wörter, Wortgruppen, Teile von zusammengesetzten Sätzen (Nebensätze u. dgl.) und selbständige Sätze als Bestandteile des Texts. Der gewöhnlichste Fall, der im Ubersetzungsprozeß normalerweise v o r k o m m t , ist die Änderung der W o r t f o l g e bzw. der Reihenfolge der Wortgruppen innerhalb der Satzstruktur. Bekanntlich gelten in verschiedenen Sprachen für die W o r t f o l g e verschiedene Normen, was sich selbstverständlich notwendigerweise auch auf die Ubersetzung auswirkt. Untersuchen wir in diesem Sinne folgendes Beispiel: 1
2
3
4
A suburban train|was derailed. | near London | last light. 3
2
4
1
Unweit von London|entgleiste!gestern abend|ein Vorortzug. 208
1
2
4
3
Ein Vorortzug]entgleisteIgestern abend |unweit von L o n d o n . 4
3
2
1
Вчера вечеромI вблизи Лондона| сошёл с рельс|пригородньш поезд. Mit den Zahlen 1, 2, 3, 4, sind die Satzglieder bezeichnet: Subjekt, Prädikat, Adverbiale des Ortes, Adverbiale der Zeit. In diesem Beispiel zeigt der russische Satz eine Reihenfolge der Komponenten, die der des englischen Satzes genau entgegengesetzt ist. Dieses bei der Ubersetzung häufig vorkommende Verhältnis ist darauf zurückzuführen, daß im Englischen die Wortfolge syntaktisch festgelegt ist: In einem Satz ohne Inversion (diese aber k o m m t nur in beschränkten Fällen vor und muß stets strukturell und f u n k tionell motiviert sein) folgt das Prädikat auf das Subjekt, die Adverbialien aber stehen nach dem Prädikat (und dem Objekt, falls ein solches vorhanden ist), wobei das A d v e r biale des Ortes dem Adverbiale der Zeit vorangeht (letzteres kann auch am Satzanfang, vor dem Subjekt stehen — Last night a suburban train was derailed near London). Im B u s sischen dagegen wird die W o r t f o l g e im Satz bekanntlich nicht durch die syntaktische Funktion der Wörter (die deutlich genug durch morphologische Merkmale gekennzeichnet ist), sondern durch die „kommunikative Gliederung des Satzes" bestimmt (dieser Begriff wurde bereits in § 28 behandelt). Am Ende des Satzes steht (bei nichtemphatischer Betonung) meist das „Neue", es sind die Wörter, die die im Satz erstmalig mitgeteilte Information enthalten (in unserem Beispiel сошёл с рельс пригородный поезд). Die zweitrangigen Elemente — die Nebenglieder, die die Zeit und den Ort des Geschehens angeben — stehen meist am A n f a n g des Satzes (mit Ausnahme der Fälle, wo sie selbst etwas „Neues" darstellen und dadurch zum kommunikativen M i t t e l punkt des Satzes werden). Die deutsche Sprache n i m m t in dieser Hinsicht eine Art Mittelstellung ein. Die Stellung des Prädikats ist syntaktisch festgelegt, die übrigen Glieder werden entsprechend ihrem „kommunikativen Gewicht" um das Prädikat herum angeordnet. Diese W o r t f o l g e repräsentiert der erste der beiden deutschen Sätze, der sich in dieser Hinsicht ebenfalls wesentlich v o m englischen Original 14-019
209
entfernt. Der zweite deutsche Satz enthält eine „ k o m m u n i kative Inversion" — das Subjekt nimmt in ihm die Anfangsstellung ein, obwohl es ein Teil des „Neuen" ist. Diese mit dem Englischen weitgehend übereinstimmende W o r t f o l g e , die im Deutschen allgemein verbreitet ist, wenn das Subjekt keine neue Information enthält, ist hier ausnahmsweise berechtigt,^ da nach den für journalistische Kurznachrichten geltenden Stilnormen das „Neue" emphatisch an den Anfang gerückt w i r d , - i m Englischen (und im Deutschen) wird dazu noch das „Neue" nicht nur durch die W o r t f o l g e (und die in der Schrift nicht nachvollziehbare Betonung), sondern auch durch clen unbestimmten Artikel bezeichnet. V g l . weitere analoge Beispiele: 1
2
3
A b o y |came|into the room. 3
2
1
Ins Zimmer | trat |ein Junge. 1
2
3
Ein Junge | trat | ins Zimmer. 3
2
1
В комнату | вошёл | мальчик. 1
2
3
А match | flared | in the darkness. 3
2
1
(2)
Im Dunkeln | flammte | ein Streichholz auf. 1
2
3
(2) Ein Streichholz | flammte | im Dunkeln auf. 3
2
1
В темноте | вспыхнула | спичка. Die kommunikative Gliederung des Satzes ist nicht der einzige Faktor, der für die W a h l der W o r t f o l g e beim Ubersetzen entscheidend ist. Die Änderung der W o r t f o l g e kann auch durch andere Ursachen bedingt sein. Sehr häufig ist sie v o n Transformationen anderer Art begleitet, und zwar v o n Substitutionen, wofür im weiteren noch Beispiele gegeben werden sollen. 210
Manchmal k o m m t es bei der Übersetzung zu einer U m stellung, bei der ein W o r t aus einem Satz in einen anderen übertragen wird wie z. B. in folgendem Textauszug: ... I put on this hat that I ' d bought in New Y o r k that morning. It was this red hunting hat, with one of those very, very long peaks. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 3) Я ... надел красную шапку, которую утром купил в Н ь ю - Й о р к е . Это была охотничья шапка с очень-очень длинным козырьком. Diese Übertragung wird hier durch die Wiederholung des Wortes hat — шапка in zwei benachbarten Sätzen ermöglicht, auf die sich das A d j e k t i v red — красная bezieht. Eine in der Übersetzung häufig vorkommende Umstellung ist die Änderung der Reihenfolge der Teilsätze eines zusammengesetzten Satzes, z. В.: If he ever gets married, his own wife'll probably call him „ A c k l e y " . (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 3) Наверное и жена будет звать его „Экли", если только он когда-нибудь женится. Im englischen Text geht der Nebensatz dem Hauptsatz voraus, in der russischen Übersetzung ist es umgekehrt, der Hauptsatz steht vor dem Nebensatz. Es gibt auch gegensätzliche Fälle. In den beiden folgenden Beispielen geht jeweils der Hauptsatz dem Nebensatz voraus, im Russischen aber ändert sich die Satzfolge, und gleichzeitig wird das Satzgefüge zu einer Satzreihe umgewandelt, die Umstellung wird von einer für die Übersetzung aus dem Englischen ins Russische typischen Substitution des syntaktischen Verbindungstyps begleitet (Näheres darüber siehe - weiter unten im. Abschnitt „Substitutionen"): The silver saucer clattered when he replaced the pitcher. (Ii. Lee, To Kill a Mockingbird, 3) Он быстро поставил кувшин, даже серебряная подставка звякнула. Не took another look at my hat while he was cleaning them. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 3) Он ИХ чистил, А сам смотрел на мою шапку. 14
211
Schließlich können auch, wie bereits gesagt, selbständige Sätze innerhalb des Textes umgestellt werden. Betrachten wir folgendes Beispiel: „ Y o u goin' to court this morning?" asked Jem. We had strolled over. (Ii. Lee, To Kill a Mockingbird, 16) Мы подошли к её забору*. — Вы в суд пойдёте? — — спросил Джим. Die Umstellung ist hier notwendig geworden, weil das Past Perfect im zweiten Satz auf die Vorzeitigkeit der hier genannten Handlung gegenüber der Handlung des ersten Satzes hinweist. Da die russische unspezifische Vergangenheitsform подошли dieses Verhältnis nicht auszudrücken vermag, würde die Beibehaltung der Satzfolge des Originals zu einer Inhaltsentstellung führen (die durch das Verb подошли benannte Handlung müßte als auf die erste Handlung спросил folgend aufgefaßt werden). Die Umstellung der Sätze bringt die Beihenfolge der Handlungen in Ubereinstimmung mit dem Inhalt des Originals. (Ein anderes Verfahren zur Wiedergabe der grammatischen Bedeutung des Past Perfect im Russischen sind lexikalische Ergänzungen wie прежде, раньше u. a., die in § 37 beschrieben wurden.**) Die Umstellung k o m m t als Übersetzungstransformation recht häufig vor, meistens wird sie aber von verschiedenen grammatischen und lexikalischen Substitutionen begleitet, die im folgenden Abschnitt behandelt werden. *Die Ubersetzung von strolled over mit подошли к её забору ist ein Fall der kontextuellen Konkretisierung, die etwas weiter erörtert werden soll. * * D i e gleichen Gesetzmäßigkeiten gelten auch für die Wiedergabe des deutschen Plusquamperfekts im Russischen. V g l . folgendes Beispiel, in dem zugleich eine Umstellung und eine lexikalische Ergänzung vorkommt: Paris wurde fortwährend bombardiert, und zwar von denselben Leuten, die das Bombardement derselben Stadt durch die Preußen als eine Heiligtumschändung gebrandmarkt hatten. (К. Marx: „Der Bürgerkrieg in Frankreich", S. 14.) Те люди, которые клеймили бомбардировку Парижа пруссаками как святотатство, теперь сами непрерывно подвергали его бомбардировке. (К. Маркс: „Гражданская война во Франции", с. 12.) (Zitiert nach 3. Е. Розанова: Пособие по переводу с немецкого на русский язык. М., 1961, с. 178.)
212
2. Substitutionen § 52. Die Substitutionen sind die meistverbreitete und vielfältigste Art der Übersetzungstransformationen. Bei der Übersetzung können sowohl grammatische E i n h e i t e n — W o r t formen, Wortarten, Satzglieder, syntaktische Verbindungstypen usw. — als auch lexikalische Einheiten substituiert werden, weshalb man v o n g r a m m a t i s c h e n u n d l e x i k a l i s c h e n S u b s t i t u t i o n e n spricht. Außerdem können von der Substitution nicht nur einzelne Elemente, sondern auch ganze Konstruktionen betroffen sein. Dabei handelt es sich um sogenannte komplexe lexikalisch-grammatische Substitutionen, die im weiteren durch 3eispiele belegt werden. a)S u b s t i t u t i o n e n
der
W o r t for men
Beispiele für die Substitution der grammatischen Form des Wortes in der Ubersetzung — Numerus des Substantivs, Tempus des Verbs u. a. — wurden bereits in Kapitel 3 angeführt (s. §§ 36 und 38). b) S u b s t i t u t i o n e n
der
W o r t a r t e n
Dieser Substitutionstyp ist weit verbreitet. Die einfachste Form ist die sogenannte „Pronominalisierung" oder die Substitution d e s S u b s t a n t i v s d u r c h e i n P r o n o m e n . Ein Beispiel: 1/ Сначала он висел в комнате деда, но скоро дед изгнал его к нам на чердак, потому что скворец научился дразнить дедушку. (М. Горький, Детство, VII.) I/ Er hing zuerst im Zimmer des Großvaters, bald jedoch verbannte ihn dieser zu uns auf den Boden. - D e r Star hatte sich nämlich herausgenommen, ihn zu necken... At first the bird hung in my grandfather's room, but soon he outlawed it to our attic, because it began to imitate him... W i r sehen an der englischen Ubersetzung dieses Satzes, daß auch die umgekehrte Substitution eines Pronomens durch ein Substantiv vorkommt (сначала он висел — at first the bird hung...). Deutlicher kann man das an folgendem Beispiel erkennen;
,1 took possession of his effects after his death', I explained. ,They were done up in a parcel and I was directed to give them to you.' (S. Maugham, A. Casual
Affair)
— Всё, что осталось от него после смерти, отдали мне, — объяснил я. — Письма и портсигар были связаны в пакет. На рем было написано: передать леди Кастеллан лично. (Пер. М. Литвиновой.) Die Konkretisierung der Pronomen they und you erfolgt hier auf Grund des weiteren Kontexts, denn einige Seiten vorher heißt es in dieser Erzählung: I took the parcel... Inside was another wrapping, and on this, in a neat, well-educated writing: ...Please deliver personally to the Viscountess Kastellan... The first thing I found was a gold and platinum cigarette case... Besides the cigarette-case there was nothing but a bundle] of letters. W i r haben es hier somit wiederum mit einem Fall der Herstellung semantischer Äquivalenz auf der Ebene des Gesamttextes zu tun, was sich in der Umverteilung der semantischen Elemente zwischen einzelnen Sätzen bei der Übertragung des Textes aus der Ausgangssprache r in die Zielsprache äußert. (Vgl. auch §§ 3 und 4.) Ein recht typischer Fall beim Ubersetzen aus dem Englischen (und Deutschen) ins Russische ist die Substitution eines V e r b a l s u b s t a n t i v s durch ein Verb in persönlicher Form: He had one of those very piercing whistles that was practically never in tune... (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 4) Свистел он ужасно пронзительно и всегда фальшиво... (In diesem Beispiel verlangt die Substitution des Substantivs durch ein Verb zugleich die Substitution des adjektivischen Attributs zum Substantiv durch ein A d v e r b ; piercing — пронзительно. Dieselbe Folgeerscheinung beobachten wir auch in den weiteren Beispielen.) It is our hope that the Human Bights Commission will be able to establish a presence in Guyana. („The Canadian Tribune", 21.111,73) 214
Мы надеемся, что Комиссия по правам человека сможет послать своих представителей в Гайану. (Hier beruht die Substitution auf der Identität der Tiefenstruktur der nominalisierten Gruppe our hope und des Satzes мы надеемся; vgl. § 39 und das dort behandelte Beispiel der Substitution des Verbalsubstantivs abandonment durch die persönliche Form des Verbs оставила.) Gesetzmäßig und weitverbreitet ist die Substitution des englischen Verbalsubstantivs in der Bedeutung der handelnden Person (meist mit dem Suffix — er) durch die persönliche Form des russischen Verbs.* Derartige Beispiele sind sehr häufig: „Oh, I am no dancer, but I like watching her dance." (G. Greene, The Quiet American, p. I. Ch. I l l ) — А я ведь не танцую, я только люблю смотреть, как она танцует. (Пер. Р. Райт-Ковалёвой и С. Митиной.) I ' m quite a heavy smoker, for one thing... (J. Salinger,
The Catcher in the Rye, I)
Во-первых, я курю как п а р о в о з . . . I ' m a very rapid packer, (ib., 7) Я очень быстро укладываюсь. I ' m a very light eater, (ib., 15) Я очень мало ем. Не was a pretty heavy drinker, (ib., 24) Он ... пил как лошадь. Ein häufiger Fall ähnlicher Wortartsubstitutionen ist die Verwendung deutscher Verbalsubstantive als Ä q u i v a l e n t für Partizipialformen des russischen Verbs, z. В . : Уезжая, он не торопился и держал себя вообще не так, как в прошлые свои приезды. (А. Ч е х о в , В овраге, И) Mit seiner Abreise beeilte er sich nicht und verhielt sich überhaupt nicht so wie bei seinen früheren Besuchen... Тщательно изучив все материалы по делу, мы п р и шли к выводу... Nach sorgfältiger Prüfung aller Unterlagen zu diesem I Fall kamen wir zum Schluß... *М. М. Фалъкович: Возможные направления сопоставительных лексических исследований. „Иностранные языки в школе", 1973, № 1, с. 19/20,
215
Auch andere Wortarten unterliegen zuweilen der Substitution. Ziemlich oft k o m m t es zu einer Substitution des A d j e к t i'v s (das meist v o n einem geographischen Namen abgeleitet ist) durch das betreffende S u b s t a n t i v : Australien prosperity was followed by a slump.* За экономическим процветанием Австралии последовал кризис. Eine ähnliche Substitution wird häufig auch bei der Ubersetzung aus dem Deutschen ins Russische notwendig, v g l . sozialdemokratische Gewerkschaftler — профсоюзные деятели — социал-демократы; denkmalpflegerische S t e l l e n органы охраны памятников и. а. m. Englische und deutsche Adjektive im Komparativ werden bei der Ubersetzung ins" Russische häufig durch Verbalsubstantive substituiert, die auf eine Vergrößerung" bzw. Verringerung des Umfanges, der Ausmaße oder der Intensität hinweisen, (etwa увеличение, уменьшение, повышение, понижение, сокращение u. d g ] . * * ) , z. В . : The stoppage, which is in support of higher pay and shorter working hours, begann on Monday. Забастовка, участники которой требуют повышения заработной платы и сокращения рабочего дня, началась в понедельник. In der deutsch-russischen Übersetzung wird diese Substitution ebenfalls zur Regel: für höhere Löhne — за повышение заработной платы; für bessere Arbeitsbedingungen —' за улучшение условий труда usw. Eine recht häufige Substitution geschieht bei der Ubersetzung prädikativer A d j e k t i v e , denen im Russischen Verben entsprechen: sie ist eifersüchtig — она ревнует, sei mir nicht böse — не сердись на меня, seid doch endlich still — — замолчите же вы наконец. Die Wortartsubstitutionen, 5 die auch in zahlreichen weiteren Kombinationen auftreten, werden häufig von *Das Beispiel ist aus der Arbeit Т. Р. Левицкая, А. M. Фитерман: „Теория и практика перевода с английского языка на русский, с. 62 entlehnt, wo noch mehr Beispiele für eine solche Substitution angeführt sind. **Ju. M. Katzer, A. W. Kunin: а. a. 0 . , S. 73.
216
Satzgliedsubstitutionen, d. h. v o n einer Umstrukturierung des Satzes begleitet.
syntaktischen
c) S u b s t i t u t i o n e n von S a t z g l i e d e r n (Umbau der syntaktischen Struktur des Satzes) Bei der Substitution von Satzgliedern werden Wörter und Wortgruppen im Text der Übersetzung in anderen syntaktischen Funktionen verwendet als ihre Äquivalente im Text des Originals. Es findet somit ein Umbau (eine U m strukturierung) des syntaktischen Gefüges des Satzes statt. Die Ursachen dafür können verschieden sein. Am häufigsten wird sie vorgenommen, wenn die „kommunikative Gliederung" des Satzes wiedergegeben werden m u ß , w o v o n in den vorangehenden Abschnitten die Rede war.* W i r haben bereits gezeigt, daß im russischen Satz die W o r t f o l g e entscheidend von den Faktoren der „kommunikativen Gliederung" beeinflußt wird. Das „Neue", d. h. das W o r t bzw. die Wor^gruppe, die die erstmalig mitgeteilte Information enthalten, steht (in der nichtemphatischen Rede) am Ende des Satzes, das „Gegebene" aber, d. h. die Wörter bzw. W o r t gruppen, die eine bereits bekannte (im vorangehenden Kpn.text schon erwähnte) Information enthalten, steht am Efi3«r des Satzes. Im Englischen jedoch wird die Wortfolge im Satz grundsätzlich von syntaktischen Faktoren bestimmt; nämlich durch die Funktion eines Wortes als Satzglied: Das Subjekt geht fast immer dem Prädikat voraus, das Objekt dagegen r ;folgt auf dieses. Andererseits herrscht im Englischen grundsätzlich die gleiche Folge der Elemente der „kommunikativen Gliederung" (des „Gegebenen" und des „Neuen") wie im Russischen. Mit Ausnahme der Fälle, wenn das „Neue" durch das substantivische Subjekt {mit dem unbestimmten Artikel ausgedrückt ist (Beispiele dafür siehe in § 51), herrscht im englischen Satz die Folge „das Gegebene" — „das Neue". Dies wird hauptsächlich dadurch ermöglicht, daß das syntaktische Schema des englischen Satzes mit seiner kommunikativen Gliederung in Übereinstimmung gebracht wird. Als „Gegebenes" fungiert in der überwiegenden Mehrzahl der *Eirie ausführliche Erörterung dieses Problems an Hand russisch-englischer Ubersetzungen enthält die bereits zitierte Dissertation von L. A. Tschernjachowskaja.
217
Sätze das Subjekt, als „Neues" die Prädikatgruppe oder ein Glied dieser Gruppe (z. B. ein Objekt). Dadurch wird die syntaktische Umstrukturierung des Satzes bei seiner Übersetzung ins Russische erforderlich. Das englische Subjekt wird durch ein zweitrangiges Satzglied (ein Objekt oder Adverbiale) substituiert, das als „Gegebenes" die Erststelle im Satz einnimmt, während ein Nebenglied der Prädikatgruppe des englischen Satzes (ein Objekt oder seltener das Prädikativ selbst) zum Subjekt des russischen Satzes erhoben wird. Meist verlangt das zugleich auch eine entsprechende Substitution des Prädikatverbs. Der gewöhnlichste Fall einer syntaktischen Umstrukturierung dieser Art ist die Substitution der englischen Passivkonstruktion durch die russische Aktivkonstruktion. Dabei entspricht dem englischen Subjekt im russischen Satz ein O b j e k t , das als „Gegebenes" am Anfang des Satzes steht; zum Subjekt des russischen Satzes wird das Äquivalent des englischen by-Objekts, wenn es nicht überhaupt wegfällt (in der sogenannten „unbestimmt-persönlichen" Konstruktion). Die Passivform des englischen Verbs wird durch die A k t i v f o r m des russischen ersetzt, z. В.: He was met by his sister. Его встретила сестра. He was given money. Ему дали денег. I was offered another post. Мне предложили новую должность. Visitors are requested to leave their coats in the cloak-room. Посетителей просят сдавать верхнюю одежду в гардероб. Obwohl die Wortfolgeregeln im Deutschen von denen des Englischen abweichen, gibt es auch hier analoge Fälle, die eine syntaktische Umstrukturierung des Satzes bei der Ubersetzung ins Russische aus kommunikationsbedingten Gründen erforderlich machen. V g l . z. В . : Eine Antwort auf diese Frage wurde nicht gegeben. Ответа на этот вопрос не дали. Solche Transformationen („Passiv - > A k t i v " ) kommen recht häufig vor. Sie werden in vielen Grammatiken der englischen und der deutschen Sprache für russische Studenten 2ţ8
dargestellt.* W i e die anderen in diesem Abschnitt behandelten Transformationen sind diese Substitutionen „umkehrbar", bei der Übersetzung aus dem Russischen ins Englische (und u. U. ins Deutsche) wird die „umgekehrte" Transformation „ A k t i v —>- Passiv" angewandt. Ziemlich verbreitet sind auch die Fälle, wo das englische Subjekt sich bei der Ubersetzung ins Deutsche oder Russische i n ein A d v e r b i a l e verwandelt. Häufig kommt es zu dieser Transformation, wenn das Subjekt im englischen Satz durch ein Substantiv bzw. eine Substantivgruppe mit t e m p o r a l e r Bedeutung ausgedrückt ist. Im deutschen und im russischen Satz wird es durch ein Adverbiale der Zeit substituiert, zum Subjekt aber wird das W o r t (bzw. die Wortgruppe) erhoben, das dem Objekt des englischen Satzes semantisch äquivalent ist. Diese Transformation verlangt auch die Substitution des transitiven Verbs des englischen Satzes durch ein intransitives Verb (oder seltener durch ein Verb in der Passivform) im Deutschen und Russischen. V g l . folgende Beispiele: The last week has seen an intensification of the diplomatic a c t i v i t y . . . In der letzten W o c h e kam es zu einer Intensivierung der diplomatischen Aktivitäten... (Oder: In der letzten Woche war ... zu beobachten.) В течение истекшей недели имела место активизация дипломатической деятельности (или: На прошлой неделе наблюдалась...) The eight years form 1963 through 1970 saw the publication of eight') relatively füll treatments of the subject.. („Language", v. 48, No 4) In den acht Jahren von 1963 bis 1970 wurden acht Arbeiten veröffentlicht, in denen dieses Problem recht eingehend behandelt wird. За восемь лет, с 1963 по 1970, было опубликовано восемь работ, дающих относительно исчерпывающее освещение этой проблемы. Diese W e n d u n g mit dem Verb see (das in diesem Falle seine konkrete Bedeutung eingebüßt hat und lediglich auf *Л. С. Бархударов, Д. А. Штелинг: Грамматика английского языка, §§ 229, 232—234; К. Г. Крушельницкая: Очерки по сопоставительной грамматике немецкого и русского языков, М . , 1961, с, 216—218,
219
die Existenz, das Vorhandensein eines Objekts oder Ereignisses hinweist) ist für die Sprache der englischen Presse ziemlich typisch. V g l . : 1973 saw... — Im Jahre 1973: The next week will see... — In der kommenden Woche...; Tonight sees... — Heute abend... Als Objekt wird nach diesem see meist ein Verbalsubstantiv gebraucht, wie publication, renewal, performance, beginning u. dgl., das bei der Ubersetzung ins Deutsche in ein Prädikatverb umgewandelt
wird: wurde^veröffentlicht, wurde erneuert, wurde dargestellt, begann и. a. Eine ähnliche Transformation findet auch in anderen Fällen statt, wenn das englische Subjekt als das „Gegebene" am Anfang des Satzes steht und eine adverbiale Bedeutung ausdrückt. Bei der Ubersetzung eines solchen Satzes kommt es häufig zu einer Substitution des Subjekts durch ein Adverbiale des O r t e s . The little town of Clay Gross today witnessed a massive demonstration... („Morning Star", 4. X I I . 72) In der kleinen Stadt Clay Cross fand heute eine eindrucksvolle Demonstration statt... Сегодня в небольшом городе Клей-Кросс состоялась массовая демонстрация... ...the room was too damn hot. (J. Salinger, The
Catcher in the Rye, 3)
Im Zimmer war es furchtbar heiß... В комнате стояла страшная я<ара... In der russischen Übersetzung des letzten Satzes findet auch eine Wortartsubstitution statt: Das Adjektiv hot wird in das Substantiv жара transformiert. Eine ähnliche syntaktische^ Transformation sehen wir bei der Ubersetzung solcher für die englische Presse typischer Konstruktionen wie: The communique says... — Im Kommunique heißt es...; The note strongly protests... — In der
Note wird ein entschiedener Protest ausgedrückt ... usw. Vgl. z.
В.:
The memorandum accuses the present government Г with violations which include the rigging of elections... („The Canadian Tribune", 21. III. 73) Im Memorandum werden der jetzigen Regierung mehrere Rechtsübertretungen vorgeworfen, u, a, die Fälschung der Wahlergebnisse.,,
223
Ähnlich gebaute Konstruktionen treten häufig auch in wissenschaftlichen Fachtexten auf, z. B . : Chapter 8 discusses some general considerations with regard to semantic structure. ( W . Chafe, Meaning and
the Structure of Language.)
Im Kapitel 8 werden einige allgemeine Probleme semantischen Struktur erörtert... (Möglich ist hier im Deutschen allerdings auch die Erhaltung der ursprünglichen Satzkonstruktion: Das 8. K a p i t e l behandelt...) Fig. 50 shows diagrammatically a single-phase induction wattmeter... Auf A b b . 50 ist das Schaltbild eines EinphasenInduktionsleistungsmessers dargestellt... der
(Iiier sehen wir auch einen interessanten Fall der W o r t artsubstitution: Das A d v e r b diagrammatically wird durch das Substantiv Schaltbild wiedergegeben.) Nachstehend bringen wir noch einige Beispiele für die Substitution des Subjekts des englischen Satzes durch ein Adverbiale des deutschen, wie sie für die Ubersetzung von Zeitungsnachrichten typisch ist: The careful reconstruction of the last years has unearthed many historic treasures. („Morning Star", 23.1II.73) Bei den mit großer Behutsamkeit ausgeführten R e staurierungsarbeiten der letzten Jahre wurden zahlreiche Gegenstände von hohem historischem Wert zutage gefördert. (Beachtenswert ist in diesem Satz auch die Substitution des A d j e k t i v s careful durch das Substantiv Behutsamkeit.) Military operations carried out by them in some cases have involved v/hole divisions, (ib.) An den von ihnen durchgeführten militärischen Operationen waren in einigen Fällen ganze Divisionen beteiligt. Häufig erhält dabei das Adverbiale in der Ubersetzung k a u s a l e Bedeutung, z . B . : The crash killed 106 people. 221
Durch den Flugzeugabsturz sind 106 Personen ums Leben gekommen.* Solcherart syntaktische Transformation ist selbstverständlich ebenfalls „umkehrbar": bei der Übersetzung aus dem Russischen ins Englische findet also die „entgegengesetzte" Substitution des Adverbiales durch das Subjekt statt, die v o n anderen notwendigen Transformationen begleitet wird: В сундуках у него лежало множество диковинных нарядов... (М. Горький, Детство) His trunks were füll of many extraordinary costumes... Der U m b a u der syntaktischen Struktur des Satzes bei der Ü b e r s e t z u n g kann n e b e n der N o t w e n d i g k e i t , die k o m munikative Gliederung des Satzes wiederzugeben, auch andere Ursachen haben. Eine ausführliche Beschreibung dieser Ubersetzungstransformation und ihrer Gründe findet man in Ubersetzungshandbüchern.** Es ist zu beachten, daß in vielen Fällen eine solche Umstrukturierung nicht aus grammatischen, sondern aus stilistischen Gründen vorgenommen werden muß. Im folgenden Satz sehen wir z. В . , daß gleichzeitig sowohl eine Satzglied- als auch eine Wortartsubstitution stattfindet. After dinner they talked long and quietly. (S. Maug-
ham, Before the Party)
После обеда у них был долгий, душевный разговор. (пер. Е. Калашниковой) Die grammatischen Normen der russischen Sprache lassen die Erhaltung der syntaktischen Struktur des Ausgangssatzes ohne weiteres zu: После обеда они долго и ду* Dieser T y p der Ubersetzungstransformation wird in der folgenden Arbeit behandelt: О. Мешков: „Об одном типе переводческих соответствий", „Тетради переводчика", вып. 9, 1972, с. 45—50. **Siehe z. В. folgende Handbücher: В. Н. Комиссаров, Я. И. Рецкер, В. И. Тархое: Пособие по переводу с английского языка на р у с ский, Ч. II.; Т. Р. Левицкая, А. М. Фитерман: Пособие по переводу с английского языка на русский. М., „Высшая школа", 1973; 3. Е. Розанова: Перевод с русского языка на немецкий. М . , „ В ы с шая школа", 1971; S. Black, Е. А. Sabelina, М. J. Zwilling: Ubersetzungspraktikum, Moskau, Verlag „Internationale Beziehungen", 1966; W. Hor'nung u. a.: Die Ubersetzung wissenschaftlicher Literatur aus dem Russischen ins Deutsche, Leipzig, Verlag Enzyklopädie, 1974.
222
шевно разговаривали; jedoch ist die erste Variante stilistisch eindeutig vorteilhafter. Ähnliche Verhältnisse ergeben sich hier bei der Übersetzung ins Deutsche. Es sind ebenfalls zwei verschiedene Varianten möglich, unter denen eine Auswahl nach stilistischen Gesichtspunkten getroffen werden kann: Nach dem Essen führten sie ein langes und ruhiges Gespräch. Nach dem Essen unterhielten sie sich lange und in aller Ruhe. d) S y n t a k t i s c h e S u b s t i t u t i o n e n z u s a m m e n g e s e t z t e n Satz
im
In der Struktur des zusammengesetzten Satzes treten am häufigsten folgende syntaktische Transformationen auf: 1. Substitution eines einfachen Satzes durch einen zusammengesetzten; 2. Substitution eines zusammengesetzten Satzes durch einen einfachen; 3. Substitution des Hauptsatzes durch einen Nebensatz und umgekehrt; 4. Substitution der Subordination durch die Koordination und umgekehrt; 5. Substitution der konjunktioneilen Verbindung durch eine asyndetische und umgekehrt. Substitution eines einfachen einen zusammengesetzten
Satzes durch
Substitutionen dieser Art werden häufig durch grammatische Ursachen hervorgerufen, und zwar durch strukturelle Differenzen zwischen den Sätzen der Ausgangssprache und der Zielsprache. Bei der Ubersetzung aus dem Deutschen muß diese Substitution meist angewandt werden, wenn es um die Wiedergabe von Infinitivkonstruktionen oder W o r t gruppen mit substantivierten Infinitiven innerhalb einfacher erweiterter Sätze geht, für die es im Russischen grammatisch (oder stilistisch) kein strukturell gleichartiges Äquivalent gibt. Er hatte tiefer unten eine Wohnungstür gehen gehört.
(Ii. Fallada, Jeder stirbt für sich allein, S. 23)* Он слышал, как внизу хлопнула дверь.
* D i e Beispiele entnehmen wir dem Buch 3. E. Розанова: Пособие по переводу с немецкого на русский язык, М., 1961, с. 256/57.
223
Er erinnerte sich deutlich, diesen R i ß vor einem halben Jahr gesehen zu haben. (L. Feuchtwanger, Erfolg, S. 150) Он ЯСНО понимал, что видел эту дыру ... уже с полгода назад. Durch ihr Zurückgehen hängt unsere rechte Flanke wie ein Balkon in der Luft. (L. Renn, Der spanische
Krieg, S. 209)
Из-за того, что они отошли, словно балкон, повис в воздухе.
наш правый фланг,
Es gibt selbstverständlich auch in diesem Bereich Fälle, wo die Transformation nicht aus zwingenden grammatischen Gründen, sondern fakultativ, auf Grund stilistischer Überlegungen vorgenommen wird. So könnte z. B. der letzte Satz auch ohne syntaktische Umstrukturierung übersetzt werden: Из-за их отхода наш правый фланг повис в воздухе, словно балкон. Es bleibt hier dem Ubersetzer überlassen, unter Berücksichtigung aller stilistischen (und pragmatischen) Momente die jeweils geeignetere Variante zu verwenden. Im folgenden Beispiel ist die k o m p l e x e lexikalischgrammatische Transformation bei der Ubersetzung des englischen Satzes ins Bussische ebenfalls stilistisch bedingt: At that moment the door was opened by the maid. (S. Maugham, Before the Party) Дверь открылась, и заглянула горничная. Der AS-Satz wird hier folgenden Transformationen unterworfen: 1. Der einfache Satz wird durch einen zusammengesetzten ersetzt; 2. an die Stelle der Subordination tritt die Koordination; 3. es erfolgt eine lexikalisch-grammatische Substitution: was opened ->- открылась-, 4. das Präpositionalobjekt mit by wird zum Subjekt erhoben; 5. das W o r t заглянула wird zusätzlich aufgenommen; 6. die Wörter at that moment werden weggelassen. Bei einem Versuch, die Ausgangskonstruktion unverändert zu erhalten, kämen wir zu einem grammatisch zwar m ö g l i chen, stilistisch aber kaum vertretbaren Satz: В это мгновение дверь была открыта горничной. Im Bussischen ist die Passivkonstruktion viel seltener als im Englischen, sie 224
hat auch eine andere stilistische Färbung (im E n g l i s c 1 < ist das Passiv stilistisch neutral mit einer gewissen Tendenz zur schriftsprachlichen Verwendung, im Russischen dagegen ist die Passivform fast ausschließlich auf den schriftsprachlichen Bereich beschränkt, vor allem auf Texte der amtlichen und wissenschaftlichen Gattung). Ein besonderer Fall der hier behandelten Transformation ist die Verschmelzung von zwei einfachen Sätzen zu einem zusammengesetzten, die sogenannte Satzvereinigung z. В . : That was a long time ago. It seemed like f i f t y years ago. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 15) Это было давно — казалось, что прошло лет п я т ь десят. Закончил свою жизнь дед председателем комитета министров. Умер он в 1880 году. (А. А. Игнатьев,
50 лет в строю) des
Mein Großvater starb im Jahre 1880 als Vorsitzender Ministerkomitees.*
Substitution eines zusammengesetzten zes durch einen einfachen
Sat-
Diese Transformation ist das Gegenstück zu der v o r stehend behandelten. W i r wollen sie an folgenden Beispielen zeigen: ... I figured I p r o b a b l y w o u l d n ' t see him again till Christmas vacation started. (J. Salinger, The Catcher
in the Rye, 1)
Mir war klar, daß ich ihn vor Beginn der Weihnachtsferien nicht mehr sehen werde. Even though it was so late, old Ernie's was j a m packed. (ib., 12) Selbst zu dieser späten Stunde war es bei Ernie propfenvoll. It was so dark I couldn't see her. (ib., 23) Im Dunkeln konnte ich sie nicht sehen. * D a s Beispiel entnehmen wir dem B u c h 3. E. Розанова: Перевод с р у с с к о г о языка на немецкий, с. 23. 15-019
225
Ein Sonderfall dieser Transformation ist die sogenannte Satzzerlegung, bei der ein zusammengesetzter (seltener auch ein einfacher) Satz in zwei oder mehrere einfache Sätze aufgegliedert wird, z. В.: Передо мной слепит глаза под ярким солнцем белая от выпавшего за ночь снега Театральная площадь, хотя на улицах снег от езды у ж е обратился в смесь, п о х о ж у ю цветом на ореховую халву. (В. Гиляровский,
Москва и москвичи)
Der Theaterplatz, den in der Nacht gefallener Schnee in ein weißes Kleid gehüllt hat, wird von grellem Sonnenlicht überflutet. Die Augen tun mir weh, so stark blendet es. Auf den Straßen hat sich der weiße Schnee durch den Verkehr bereits in eine Mischung verwandelt, die in der Farbe an Walnußmarzipan erinnert.* Es k o m m t vor, daß Vereinigung und Zerlegung von Sätzen gleichzeitig angewandt werden müssen. Im nachfolgenden Beispiel wird ein Satz des Originals in zwei Sätze zerlegt, wobei ein Teil des zweiten Teilsatzes (clause) des englischen Satzes in den zweiten (selbständigen) Satz des russischen Textes übertragen und hier mit dem Äquivalent des dritten Teilsatzes zu einem Ganzen vereinigt wird. Das ist erforderlich, um das semantische und syntaktische „Gleichgewicht" der beiden russischen Sätze zu sichern:; Y o u c o u l d n ' t see the grandstand too hot, but you could hear them all yelling, deep and terrific on the Pencey side, because practically the whole school except me was there... (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 1) Т р и б у н я как следует разглядеть не мог, только слыхал, как там орут. На нашей стороне орали во всю глотку — там собралась вся школа, кроме меня... Ein ähnliches Beispiel für die russisch-deutsche Ubersetzung gibt S. E. Roganowa (а. а. O., S. 25): Пешеход за минуту делает 100 шагов. Определить скорость движения пешехода в км/ч, считая длину шага равной 80 см. (П. А. Знаменский и др., Сборник во-
просов и задач по физике)
*Das Beispiel stammt aus 3. E. Розанова: Перевод с русского языка на немецкий, с. 25.
226
Ein Fußgänger macht je Minute 100 Schritte, wobei die Länge eines Schrittes mit 80 cm angenommen wird. Bestimmen Sie die Geschwindigkeit des Fußgängers in km/h. Der erste Satz wird hier mit einem Teil des zweiten Satzes vereinigt. Der Restsatz ist ein Ergebnis der Zerlegung dieses zweiten Satzes.
Substitution des Hauptsatzes durch einen Nebensatz und umgekehrt In einigen Fällen tauschen bei der Ubersetzung von Satzgefügen Haupt- und Nebensatz gleichsam ihre Rollen. Der Nebensatz des Ausgangstextes wird zum Hauptsatz der Ubersetzung, der Hauptsatz des Ausgangstextes aber zum Nebensatz: W h i l e I was eating my eggs, these two nuns with suitcases and all ... came in. (ib., 15) Ich war gerade beim Spiegeleieressen, als diese beiden Nonnen mit ihren Koffern und übrigen Siebensachen ... angerückt kamen. Häufig ist eine solche Reziproksubstitution bei der Ubersetzung von kurzen Pressenachrichten aus dem Deutschen ins Russische und umgekehrt: Газеты сообщают, что в городе FI. состоялась встреча делегаций... W i e in den Zeitungen mitgeteilt wird, fand in N. eine Begegnung der Delegationen statt...
Substitution der Subordination durch Koordination In den meisten Sprachen (u. a. auch im Deutschen, Englischen und Russischen) können die Sätze miteinander sowohl durch koordinative (beiordnende) als auch subordinative (unterordnende) Verbindung verknüpft werden. Der Anteil dieser beiden Verbindungsarten ist in verschiedenen Sprachen je nach Stil unterschiedlich. So überwiegt z. B. in der russischen mündlichen Umgangssprache eindeu15*
227
tig die Koordination, während im entsprechenden Bereich des Englischen auch die Subordination häufig genug vorkommt. Daher wird bei der Ubersetzung aus dem Englischen ins Russische die Subordination oft in Koordination verwandelt (das Satzgefüge durch die Satzreihe substituiert), z. В.: We had strolled to the front yard where Dill stood looking down the street at the dreary face of the Badley Place. (H. Lee, To Kill a Mockingbird, 4) Мы поплелись в палисадник. Дилл выглянул на улицу и уставился на мрачный дом Рэдли. Die Ubersetzung ins Deutsche verlangt hier grundsätzlich die gleiche Transformation: Wir gingen in den Vorgarten. Dill blickte über die Straße, auf die düstere Fassade des Hauses von Radley. Bei der Übersetzung aus dem Deutschen ins Russische (vor allem in literarischen Texten) kommt es ebenfalls häufig zu stilistisch bedingter Substitution von Satzgefügen durch Satzreihen, vgl. folgende Beispiele*: Während sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende... (E. M. Bemarque, Im Westen
nichts Neues, S. 29)
Они все еще писали статьи и произносили речи, а мы уже видели лазареты и умирающих... Das nächste war ein Gewaltmarsch, der die beiden weitgetrennten Teile des Heeres tatsächlich vereinte
(H. Mann, Die Jugend des Königs Henri Quatre, S. 69).
И вот войско двинулось форсированным маршем, и обе его разобщенные части действительно соединились. Es gibt Fälle, wo die Substituierung der Subordination durch die Koordination mit der Umwandlung eines zusammengesetzten Satzes in einen einfachen Satz mit gleichartigen Prädikaten einhergeht: Stradlater kept whistling 'Song of India' while he shaved. (J. Salinger, The Catcher in the Rye 15) Стрэдлейтер брился и насвистывал „Индийскую песню". *Aus 3. Е. Розанова: Пособие по переводу с немецкого языка на русский, с. 264/65.
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Substituierung der Subordination durch Koordination (unter Umständen in Form einer asyndetischen Verbindung) kann auch innerhalb des einfachen Satzes stattfinden, z. В . : ... I lived in the Ossenburger Memorial W i n g of the new dorms, (ib., 3) Я жил в корпусе имени Оссенбергера в новом общежитии. (Weitere Beispiele solcher Substitutionen siehe unter § 51.) Beim Übersetzen aus dem Bussischen ins Englische und Deutsche wird im Gegenteil die koordinative Verbindung häufig durch die subordinative wiedergegeben, wie aus nachstehenden Beispielen ersichtlich ist: В столике нашел бумажки листочек, а на бумажке написано... (Ф. Достоевский, Бедные люди) A l s o , on the table I found a scrap of paper which had written on it... („Poor People", The Modern Library, N. Y . ) Белый к о р п у с х о р о ш о отражал лучи солнца, и внутри вездехода не было жарко. (Г. Мартынов,
220 дней на звездолете)
Da die weißgestrichene Karosserie die Sonnenstrahlen gut reflektierte, war es im Inneren des Wagens nicht heiß.*
Substitution der konjunktionellen Verbindung durch eine asyndetische Im Deutschen, Englischen und Russischen kann die koordinative Verbindung sowohl konjunktionell („syndetisch") als auch konjunktionslos („asyndetisch") bezeichnet werden. Für das Russische aber, besonders in der mündlichen U m gangssprache, ist die asyndetische Verbindungsweise charakteristischer als für das Englische und zum Teil das Deutsche. Dies findet meistens darin seinen Ausdruck, daß bei der Ubersetzung aus dem Englischen die konjunktioneile Verbindung oft durch eine asyndetische substituiert wird, z. B.: *Das Beispiel
stammt von S. E. Roganowa: а. a. 0 . , S.
196
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So I opened my suitcases and took out a clean shirt, and then I went in the bathroom and washed and changed my shirt. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 10) Я открыл чемодан, вынул чистую рубашку, пошел в ванную, вымылся и переоделся. Im englischen Satz tritt hier die koordinierende („kopulative") Konjunktion and viermal auf, im russischen aber gibt es nur eine einzige Konjunktion vor dem letzten Glied der Aufzählung. Genau denselben Fall repräsentiert auch der folgende Satz: All you do is make a lot of dough and play golf and play bridge and buy cars and drink martinis and look like a liot-shot (ib., 22) ... Будешь просто гнать деньгу, играть в гольф, в бридж, покупать машины, пить сухие коктейли и ходить этаким франтом. Ähnlich verhält es sich auch bei der Ubersetzung aus dem Deutschen ins Russische: ... mir war, als ob der kleine R a u m sich höbe und mit uns durch die Nacht und durch die Jahre schwebte, vorbei an vielen Erinnerungen. (E. M. Remarque, Drei
Kameraden, S. 33)
... мне казалося, что маленькая комната трактира вместе с нами подымается ввысь и, покачиваясь, плывет сквозь ночь, сквозь годы, сквозь множество воспоминаний. (Der asyndetische Charakter der Verbindung wird hier durch die ausdrückliche dreifache Wiederholung der Präposition betont.) Bei der Ubersetzung aus dem Russischen weicht andererseits die asyndetische Verbindung häufig der konjunktionellen, polysyndetischen: Ф и p с : И сушеная вишня тогда была мягкая, сладкая, душистая... (А. П. Ч е х о в , Вишневый сад, I) The dried cherries were soft and j u i c y and sweet and sweet-smelling then. ... сама хозяйка тоже рисовала, лепила, пела и аккомпанировала. (А. П. Чехов, Попрыгунья, II) 230
... die Hausfrau selber zeichnete und modellierte ebenfalls, sie sang und begleitete sich und die anderen. (Anstelle einer einzigen K o n j u n k t i o n im Original treten in der Übersetzung drei hintereinander auf.) e) L e x i k a l i s c h e
S u b s t i t u t i o n e n
§ 53. Bei der lexikalischen Substitution werden einzelne lexikalische Einheiten (Wörter und stehende W o r t v e r b i n dungen) der Ausgangssprache durch solche lexikalische Einheiten der Zielsprache repräsentiert, die n i c h t i h r e Wörter b u c h m ä ß i g e n Ä q u i v a l e n t e sind, d. h. die isoliert genommen eine andere referentielle Bedeutung besitzen als die von ihnen in der Ubersetzung repräsentierten AS-Einheiten. Am häufigsten treten hier drei Fälle auf: K o n k r e t i s i e r u n g , G e n e r a l i s i e r u n g und auf k a u s a l - k o n s e k u t i v e n B e z i e h u n g e n b e r u h e n d e S u b s t i t u t i o n (Substituierung der Folge durch die Ursache und umgekehrt).
Konkretisierung Als Konkretisierung bezeichnet man die Substitution eines Wortes (einer Wortverbindung) der Ausgangssprache mit einer weiteren referentiellen Bedeutung durch ein Wort (eine Wortverbindung) der Zielsprache mit engerer Bedeutung. Man unterscheidet zwischen s p r a c h l i c h e r und k o n t e x t u e l l e r (redebezogener) Konkretisierung. I m Falle der sprachlichen Konkretisierung ist die Substitution eines Wortes mit weiterer Bedeutung durch ein W o r t mit engerer Bedeutung durch Differenzen zwischen den sprachlichen Systemen bedingt: einmal durch das Fehlen einer ZS-Einheit mit dem gleichen Bedeutungsumfang wie bei der wiederzugebenden AS-Einheit*, zum anderen durch Unterschiede in ihren stilistischen Merkmalen oder aber durch Forderungen grammatischer Art (die Notwendigkeit syntaktischer Transformation des Satzes, u. a. der Substitution des nominalen Prädikats durch ein verbales). So wird
*Vgl. dazu § 19, wo die Frage der „Undifferenziertheit" der Wörter einer Sprache im Vergleich mit einer anderen behandelt wird.
231
das englische Substantiv thing, das eine äußerst abstrakte, nahezu pronominale Bedeutung hat (The Sliorter Oxford Dictionary definiert es als „an entity of any kind", „that which is or may be in any w a y an object of perception, knowledge, or thought"), ins Bussische immer mittels einer Konkretisierung übersetzt: вещь, предмет, дело, факт, случай, обстоятельство, произведение, существо usw. Konkretisiert werden bei der Ubersetzung ins Russische die Bewegungsverben come (englisch) und k o m m e n (deutsch), da sie keine semantische Komponente enthalten, die auf die Bewegungsart hinweist, deren Bezeichnung im Russischen obligatorisch ist. Bei der Ubersetzung konkretisiert man daher come oder kommen durch die Äquivalente приходить, прибывать, приезжать, подходить, подбегать, приплывать, прилетать u. dgl. A u c h das englische go (nicht aber das deutsche gehen) wird auf ähnliche Weise konkretisiert, seine Äquivalente sind идти, ехать, отправляться, сходить, проходить, плыть, лететь и. а. (vgl. das Beispiel unter § 34). Weitverbreitet ist die Konkretisierung der verba dicendi say und teil, die nicht nur mit говорить und сказать übersetzt werden, sondern auch mit vielen anderen Wörtern dieser Reihe: молвить, повторить, заметить, отметить, утверждать, сообщать, высказываться, возразить, приказать, велеть usw. V g l . :
„So what?" I said. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 6) — Ну так что ж е ? — спрашиваю я. „Hello", I said when somebody answered the goddam phone, (ib., 20) — Алло! — крикнул я, когда кто-то подошел к этому треклятому телефону. She had said that she was in bed and ill. ( W . Thackeray, Vanity Fair, X I X ) Бекки писала, что она больна и лежит в постели. Не told us we should always pray to G o d . . . (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 3) И нам тоже советовал всегда молиться б о г у . . . Не toldjne to come right over, if I felt like it. (ib., 23) Велел, хоть сейчас приходить, если надо. „Thanks for telling me", I said, (ib., 23) — Спасибо, что предупредила!— г о в о р ю . 232
Mit ähnlichen Fällen der Konkretisierung haben wir es in folgenden Beispielen bei der russisch-deutschen Übersetzung zu tun:* С какой скоростью должна двигаться нефть в т р у б о проводе..? (П. А. Знаменский и др. Сборник вопросов и задач по ф и з и ю ) . Mit welcher Geschwindigkeit muß das Erdöl in einer Rohrleitung ... fließen? Какова скорость движения самолета, если он движется по ветру? (там же). Mit welcher Geschwindigkeit kommt das Flugzeug vorwärts, wenn es ... mit dem W i n d fliegt? Трамвайный вагон массой 16 тонн движется по горизонтальному пути... (там же). Ein Straßenbahnwagen mit einer Masse von 16 t rollt ... auf horizontaler Strecke. Ein häufiger Fall der Konkretisierung ist mit der W i e dergabe des englischen be-Prädikats im Deutschen (und Russischen) verbunden, z. В.: He
is
at
chool
—
He is in the A r m y He
was
at
the
ceremony
The concert was on Sunday
The book is on the table
Er geht, zur Schule Он учится в школе
—
Er dient bei der Armee Он служит в армии — Er war bei der Veranstaltung anwesend Он присутствовал на церемонии — Das Konzert fand am Sonntag statt Концерт с о с т о я л с я в воскресенье — Das Buch liegt auf dem Tisch Книга лежит на столе
Tlie picture is on the wall
— Das Bild hängt an der Wand Картина висит на стене Die nachstehenden Beispiele aus der schönen Literatur zeigen, wie sich diese Transformation im Kontext ausnimmt:
* Vgl. 3. E. Розанова: Перевод с русского языка на немецкий, с . 28.
233
I was in his office for about two hours, I guess. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 2) Ich verbrachte in seinem Büro rund zwei Stunden... Я просидел у него в кабинете часа два... Alfred Lunt and Lynn Fontanne were the old couple, and they were very good, (ib., 17) Alfred Lunt und Lynn Fontanne spielten das alte Paar, und sie machten das sehr gut. Альфред Лант и Линн Фонтанн играли старых супругов, они очень х о р о ш о играли... ,Не may have to stay in H o l l i w o o d and write a picture about A n n a p o l i s . . . Guess w h o ' s going to be in it!' (ib., 21) Vielleicht muß er in H o l l y w o o d bleiben und macht ein Drehbuch über Annapolis... W e r wird da wohl mitwirken? Может быть, ему придется остаться в Голливуде и написать сценарий про А н н о п о л и с . . . Угадай, кто в ней будет сниматься? Es ist nicht uninteressant, daß hier die Konkretisierung im Deutschen und im Russischen nicht immer mit den gleichen Mitteln erfolgt, denn die jeweils verwendeten Äquivalente sind untereinander in ihren referentiellen Bedeutungen nicht unbedingt identisch (verbrachte — просидел, machten — играть, mitwirken — сниматься). Für die Ubersetzung aus dem Englischen ins Russische ist insgesamt die Tendenz typisch, Wörter mit allgemeiner Bedeutung wie the man, the woman, the person, the creature durch Eigennamen oder konkrete Substantive wie
старик, солдат, прохожий, хозяйка, собака, кошка u.a. zu ersetzen.* Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die Ubersetzung aus dem Englischen ins Deutsche. Diese Gesetzmäßigkeit fällt besonders bei der Übersetzung literarischer Werke ins Gewicht, da der übermäßige Gebrauch von Wörtern mit abstrakter oder allgemeiner Bedeutung hier stilistisch unangebracht wäre. W a s die kontextuelle Konkretisierung anbetrifft, so ist sie nicht durch System- und Strukturdifferenzen der beiden Partnersprachen bedingt, sondern durch Faktoren, die im jeweiligen K o n t e x t wirksam sind. Es handelt sich dabei »Vgl. N. Gal: а. a. 0., S. 21/22 234
meist um stilistische Erwägungen wie die Forderungen nach Abgeschlossenheit, Vermeidung von Wiederholungen, größerer Anschaulichkeit u. dgl. Hier einige Beispiele aus einer veröffentlichten Übersetzung: war
Der Ford stand fertig in der Werkstatt. Neue Arbeit nicht hereingekommen. (E. M. Bemarque, Drei
Kameraden, X)
В мастерской стоял отремонтированный форд. Н о вых заказов не было. Ich setzte mich in die Fensterecke und versuchte zu schlafen, (ib., X X I ) Я ... сел в у г л у у окна и попытался вздремнуть. Sie saßen müde da, in einer Haltung, als wären sie gleich bereit aufzustehen, wenn jemand käme, um sie fortzuweisen, (ib., X X ) Сидели усталые, но по их позам было видно, что они готовы встать и уйти по первому знаку служителя. Uber die pragmatisch bedingte Konkretisierung siehe den Abschnitt „Der pragmatische Aspekt der Ubersetzung". Generalisierung Als Generalisierung bezeichnet man die der Konkretisierung entgegengesetzte Transformation — die Substituierung einer AS-Einheit mit engerer Bedeutung durch eine ZS-Einheit mit weiterer Bedeutung. Hier einige Beispiele: W i r gingen in den Saal, wo die Teppiche hingen... Die Teppiche sahen wundervoll aus. (E. M. Remarque,
Drei Kameraden, X X )
Мы вошли в ... зал, где были развешены к о в р ы . . . Экспонанты поражали р о с к о ш ь ю . Ich stand neben ihr ... und dachte, was für eine verdammte Sache es doch sei, eine Frau zu lieben und arm zu sein, (ib, X X ) Я стоял рядом с ней ... и думал, до чего же страшно любить женщину и быть бедным. Hier ist die Generalisierung von einer syntaktischen Transformation — dem Umbau der Satzkonstruktion — begleitet. Die Generalisierung wird häufig durch pragmatische 235
Faktoren verursacht, die im entsprechenden Abschnitt behandelt wurden. Hier einige weitere Beispiele dafür: Es handelte sich um den Stutz. W i r hatten ihn repariert und vor vierzehn Tagen abgeliefert. (E. M. Remarque, Drei Kameraden, X X I I ) Речь шла о машине... Мы ее отремонтировали и сдали две недели тому назад. В сундуках у него лежало множество диковинных нарядов: ... шелковые сарафаны, тканые серебром, кики и кокошники, шитые жемчугом. (М. Горький,
Детство, гл. XI)
In seinen Truhen und Kästen lag allerhand seltsamer Putz, ... mit Silber durchwirkte Sarafane, kostbarer weiblicher Kopfputz jeglicher A r t . . .
Die Substitution der Folge und umgekehrt
Ursache
durch
die
In der Übersetzung treten häufig lexikalische Substitutionen auf, denen kausal-konsekutive Beziehungen zwischen den Begriffen zugrunde liegen. Ein W o r t oder eine Wortgruppe der Ausgangssprache kann dabei durch ein W o r t bzw. eine Wortgruppe der Zielsprache substituiert werden, die auf Grund logischer Beziehungen die U r s a c h e der Handlung oder des Zustandes bezeichnen, die den Inhalt der betreffenden AS-Einheit ausmachen. Hier einige Beispiele*: Ich erschreckte nicht. Ein Stein hat mir weh getan; diese Schuhe taugen nicht für das Land. (H. Mann,
Die kleine Stadt, S. 42)
Ничего я не испугался. Я наступил на'острый камешек. Эти башмаки не для загородных прогулок. Die Substitution erfolgt" nach dem Schema des B ü c k schlusses v o n der Folge auf die Ursache: Ein Stein hat mir weh getan, weil ich auf ihn getreten bin. *Nach 3. E. Розанова: Пособие по переводу с немецкого языка на русский, с. 20/21.
236
Merkwürdig war, daß sie trotz ihrer geräuschvollen Ankunft in den Straßen v ö l l i g allein blieben (H. Mann,
Die Jugend des Königs Henri Quatre, S. 134).
Однако странным было то, что, несмотря на шумный въезд отряда, улицы оставаться продолжали безлюдными. (Sie blieben allein, weil die Straßen menschenleer waren.) Selbstverständlich kommt diese Transformation auch in anderen Sprachkombinationen als in der deutsch-russischen vor, z. В . : He always madej you say everything twice. (3) (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 3) Он всегда переспрашивал. (Sie mußten ihm alles zweimal sagen, weil er immer nochmals fragte.) A l o t of schools were home for vacation already... (17) Во многих пансионатах и колледжах у ж е начались каникулы... (Viele Schüler waren schon zu Hause, weil die Ferien begonnen hatten.) A u c h die umgekehrte Substitution — Folge für Ursache — k o m m t bei der Ubersetzung vor, wenn auch seltener: Mußt du heute wieder mit den Provianttüten in die Turnhalle? (B. Brecht, Die Gesichte der Simone Machard, I) Ты сегодня опять понесешь пакеты с продуктами в спортивный к л у б ? (Simone bringt die Provianttüten in die Turnhalle, weil sie muß.) Ich beschäftige sie, weil sie sonst hungern, (ib., I) Я даю им работу, потому что иначе они умерли бы с голоду. (Sie würden sterben, weil sie sonst hungern müßten.) Das Leinen hast du nicht ausgesucht... (ib., I) Не ты покупала скатерть. (Du hast es nicht gekauft, weil du es nicht ausgesucht hast.) Außer den hier behandelten gibt es noch weitere Typen lexikalischer Substitutionen, sie kommen aber relativ selten vor und sind deshalb von geringerem Interesse, so daß hier nicht auf sie eingegangen werden soll. 237
f)
A n t o n y m i s c h e
U b e r s e t z u n g *
§ 54. Unter dieser Bezeichnung versteht man in der übersetzungstheoretischen Fachliteratur eine weitverbreitete komplexe lexikalisch-grammatische Substitution, die in der Umwandlung einer affirmativen Konstruktion in eine negative (oder umgekehrt) besteht, wobei mindestens ein W o r t des AS-Textes im ZS-Text durch ein antonymisches W o r t repräsentiert w i r d j (Als „antonymisch" bezeichnen wir hier, abweichend v o m allgemeinen Gebrauch, nicht Gegenwörter ein und derselben Sprache, sondern Wörter der Partnersprachen mit entgegengesetzter referentieller Bedeutung.) Betrachten wir folgendes Beispiel: Der Oberarm fühlt sich jetzt noch taub (B. Brecht, Die Gesichte der Simone Machard, I) Плечо еще тоже ничего не чувствует.
an.
Hier wird die deutsche affirmative Konstruktion durch eine russische negative wiedergegeben, das deutsche N o m i nalprädikat taub sein wird durch das antonymische russische Verb чувствовать ersetzt. Zusammen ergeben beide Änderungen dieselbe Gesamtbedeutung. Einen anderen Fall antonymischer Übersetzung veranschaulicht folgendes Beispiel: Es waren inzwischen noch mehr Leute hinzugekommen, und man sah jetzt deutlich, daß sie eigentlich nicht hierher gehörten. (E. M. Bemarque, Drei Kameraden, X X ) Народу прибавилось, и теперь было совершенно ясно, что многие оказались здесь случайно. Die Negation ist hier im AS-Text bereits enthalten, verschwindet aber bei der Ubersetzung infolge der Verwendung eines antonymischen ZS-Wortes (wer nicht hierhergehört, ist zufällig da). Interessant sind die Fälle, in denen zwei miteinander verbundene Wörter gleichsam die Negation tauschen, indem »Näheres über die antonymische Ubersetzung siehe auch В. H. Комиссаров, Я. И. Рецкер, В. И. Тархов: „Пособие по переводу с английского языка на русский". Ч. I, М . , с. 74—84. 3. Е. Розанова: „Пособие по переводу с немецкого на русский язык". М., с. 22-23.
238
sich
jedes von ihnen in seinen Gegensatz verwandelt: I don't believe this is a smoker... (J. Salinger, The
Catcher in the Rve, 8)
Ich glaube, das ist ein Nichtraucherwagen. Hier gibt das Verb seine Negation an das Substantiv ab. She wasn't looking too happy, (ib., 17) Sie sah recht unglücklich aus. In diesem Beispiel erfolgt der „Negationstausch" zwischen dem Verb und dem A d j e k t i v . W i r sehen, daß die Negation nicht nur als selbständige Partikel auftreten kann, sondern auch in anderer Form, nämlich als Vorsilbe (Nichtraucher, « « g l ü c k l i c h ) . Noch eine andere Art der Negationsübertragung zeigt das folgende Beispiel: ... I couldn't think of anybody to call up. (ib., 9) Mir fiel niemand ein, den ich anrufen konnte. Ein häufiger Fall der antonymischen Ubersetzung ist die Wiedergabe der englischen Konstruktion not ... (un)til (tili) im Deutschen und Russischen. Dabei wird (un)til (tili) durch Wörter wie erst, лишь тогда u. dgl. wiedergegeben. They gave me the wrong b o o k , and I didn't notice it till I got back to my room. (J. Salinger, The Catcher in the Rye, 3) Sie hatten mir das falsche Buch gegeben, aber das merkte ich erst zu Hause. Я только дома заметил, что мне дали не эту книгу. I didn't think of it till we went half-way through the park, (ib., 9) Das fiel mir erst ein, als wir schon den halben Park hinter uns hatten. Вспомнил я об этом, когда мы уже проехали почти весь парк. Besondere Beachtung verdienen die Fälle antonymischer Ubersetzung ohne jegliche Negation, bei denen die referentielle Bedeutung eines der beteiligten Wörter unmittelbar eine negative Komponente enthält, vgl. zum Beispiel: „Sie sprechen so gut", sagte Jeanne und hörte schon 239
auf, ihre Schwiegertochter zu duzen. (H.
Jugend des Königs Henri Quatre, S. 95)*
Mann,
Die
— Говорите Вы, без сомнения, очень складно,— ответила Жанна, снова обращаясь к будущей невестке на „Вы". Da die im Verb „aufhören" implizit enthaltene Negation in der Übersetzung fortfällt, ist die antonymische Substitution duzen — обращаться на „Вы" berechtigt und notwendig. Mit einem speziellen Fall der antonymischen Ubersetzung haben wir es zu tun, wenn ein englisches A d j e k t i v oder A d verb im K o m p a r a t i v oder Superlativ durch ein A d j e k t i v (Adverb) im Positiv (oder umgekehrt) wiedergegeben und dabei gleichzeitig das „Vorzeichen" der Aussage vertauscht wird (affirmativ gegen negativ oder umgekehrt). ... She paid R i r i ' s parents the proper visit of condolence, but she neither ate less heartily nor slept less soundly. (S. Maugham, A Man with a Conscience) ... Sie stattete Biris Eltern den üblichen Beileidsbesuch ab, aber sie aß trotzdem mit dem gleichen Appetit und schlief genauso fest wie sonst. It wasn't as cold as it was the day before (J. Salinger,
The Catcher in the Rye, 16)
Es war wärmer als am Tag zuvor. Стало теплее, чем вчера. Im nachfolgenden Beispiel ist die Transformation der affirmativen Aussage in eine negative nicht v o n einer antonymischen Substitution begleitet, sondern von einer Umwandlung eines Satzgefüges in einen einfachen Satz und von der Veränderung der syntaktischen Funktion von before: It will be February 8 before they return to Earth. (BBC broadcast, 16.XI.73) Sie (die Astronauten) kommen nicht vor dem 8. Februar auf die Erde zurück. g)
K o m p e n s a t i o n
§ 55. Die Äquivalenz der Ubersetzung kann auch durch eine Substitution besonderer Art gewährleistet werden, man *Das Beispiel ist dem obenerwähnten Buch von S. Roganowa entnommen (S. 23).
240
nennt sie K o m p e n s a t i o n . Dieses Verfahren wird angewandt, wenn bestimmte Elemente des AS-Textes aus irgendeinem Grunde keine Äquivalente in der Zielsprache haben und mit deren Mitteln nicht wiedergegeben werden können,' Um den semantischen Verlust auszugleichen (zu „kompensieren"), der dadurch entsteht, daß eine AS-Einheit unübersetzt oder unvollständig (nicht im vollen Umfang ihrer Bedeutung) übersetzt bleibt, gibt der Ubersetzer dieselbe Information mit i r g e n d e i n e m a n d e r e n M i t t e l wieder, das zudem nicht unbedingt a n der gleichen Stelle erscheinen muß wie im Original. In einem Kommentar zu seiner Ubersetzung v o n Gustave Flauberts „Madame B o v a r y " schreibt der bekannte sowjetische Ubersetzer N. M. L j u b i m o w : „Das ist im Grunde genommen ein p r o v i n z i e l l e r ' (областной) R o m a n . . . In Ubereinstimmung mit dem allgemeinen p r o v i n z i e l l e n ' Kolorit des B o m a n s erhält auch sein Wortschatz mitunter ein besonderes K o l o r i t . . . Flaubert nennt die Schwiegertochter nicht nur ,belle-fille', sondern auch ,bru'. Für das W o r t ,Ruder' gibt Flaubert einen Ausdruck, der nur in einem Mundartlexikon zu finden ist (bauce). Es k a m mir selbstverständlich nicht darauf an, die Provinzialismen genau an denselben Stellen anzubringen, wo sie bei Flaubert vorkommen. So ist es meines Erachtens zwecklos, sich anstatt des allgemein gebräuchlichen und ohne weiteres verständlichen Wortes ,Ruder' irgendeinen ausgefallenen Fachausdruck auszudenken. Dafür aber k o m m t bei mir in der Landschaftsbeschreibung z. B. das W o r t зеленя v o r . " * Damit charakterisiert N. M. L j u b i m o w das Wesen der Kompensation, ohne allerdings diesen Ausdruck zu benutzen. Das Kompensationsverfahren wird weitgehend beim Ubersetzen literarischer Werke angewandt, in denen die verschiedensten Abweichungen v o n der neutralen Stil- und Registerebene v o m Verfasser großzügig als sprachliche Ausdrucksmittel bzw. zur Charakterisierung handelnder Personen eingesetzt werden. So ist es z. B. begreiflich, daß der Ubersetzer v o n Wassili Schukschins Filmerzählung „Калина красная", Ruprecht W i l l n o w * * , neben anderen Übersetzungsverfahren a u c h K o m *„Тетради переводчика", изд. I М Г П И И Я , № 3, 1960, с. 8. **W. Schukschin: Schöner Schneeballstrauch. Ubersetzt von R. W i l l n o w . In: Verwandlungen. Neue russische N o v e l l e n . Berlin 1974, S. 3 4 5 - 4 3 8 . l/2 1 6 - 0 1 9
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pensationen anwenden muß, um die eigenartige Mischung aus Bauernmundart und Gaunersprache wiederzugeben, die einen charakteristischen Stilzug dieses Werkes ausmacht: Жми, Лёша, на весь костыль. А то у меня сердце счас из груди выпрыгнет. Надо что-то сделать. Drück auf die Tube, Kleiner. Sonst schnappe ich über. Ich muß was tun. Auf den ersten B l i c k mag diese Ubersetzung nicht v o l l kommen äquivalent erscheinen. Der Chauffeur, an den diese W o r t e gerichtet sind, wird im russischen Text neutral mit seinem Vornamen angeredet, im deutschen Text aber erscheint als Anrede das herablassend-familiäre „Kleiner". Einen ähnlichen Fall sehen wir in folgendem Passus: — Эх-х! — огорчилась Люсьен — Проза... Опять покойники, к р о в ь . . . Б р р . . . „ A c h ! " sagte Lucienne erbittert. „Miststück... Wieder Tote, B l u t . . . Brrr." Das neutral-schriftsprachliche проза ist durch das negativ-umgangsspracliliche W o r t „Miststück" wiedergegeben, ohne daß aus dem Satzzusammenhang ein zwingender Grund dafür erschließbar wäre. W i r haben es hier eben mit ausgesprochenen Kompensationserscheinungen zu tun. Die negativ-umgangssprachlichen Wörter, die an diesen Stellen v o m ^Übersetzer verwendet wurden, gleichen die unvermeidlichen Stil- und Registercharakterisierungsverluste aus, die an anderen Stellen des Textes in Kauf genommen werden mußten, was u. a. an folgenden Beispielen zu sehen ist: „Малина" была в сборе.| Die Bande war vollzählig versammelt. Das Argot-Wort „малина" ist hier durch das neutralgemeinsprachliche „Bande" übersetzt, da dem Übersetzer kein Äquivalent zur Verfügung stand, das sowohl die referentiellen als auch die pragmatischen Bedeutungen des Ausgangswortes wiederzugeben imstande wäre. Dasselbe Verhältnis zeigt uns auch folgender Satz: Х о р о ш и (стихи). Как стакан спирта дёрнул. Ja, das sind sie. Gehen einem ein wie ein Glas Schnaps. 242
Auch hier wird das stilistisch markierte W o r t „дернуть" durch das neutrale „eingehen" repräsentiert. Damit derartige Verluste die äquivalente Wiedergabe der stilistischen und registermäßigen Eigenart des gesamten Textes nicht beeinträchtigen, ist es notwendig, den Ubersetzungstext mit entsprechend markierten Einheiten anzureichern. Einen nicht ganz gewöhnlichen, aber aufschlußreichen Fall der Kompensation finden wir in der deutschen Übersetzung des berühmten satirischen Romans von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow „Золотой теленок"*: Едва он успел произнести эти слова, как ГенрихМария Заузе подскочил на диване и злобно посмотрел на плыхаевскую дверь, за которой слышались телефонные звонки. „ W o l o k i t a ! " — взвизгнул он дискантом, и, бросившись к великому комбинатору, стал изо всей силы трясти его за плечи. — Геноссе Полыхаев! — кричал он, прыгая пеперед Остапом.— Геноссе Полыхаев! K a u m hatte Ostap ausgesprochen, da sprang Heinrich Maria Sause v o m Diwan hoch und warf einen wütenden Blick auf Polychajews Tür, hinter der die vereinsamten Telefone schrillten. „Amtsschimmel!" heulte er im Diskant, stürzte sich auf den großen K o m b i n a tor und rüttelte ihn heftig an der Schulter. „Towaristsch P o l y c h a j e w ! " schrie er ungebärdig auf Ostap ein. „Towaristsch Polychajew!" In diesem Textabschnitt kam es den Autoren darauf an, darzustellen, daß der aus der Fassung gebrachte Ausländer in seiner Not Russisch zu sprechen beginnt. Im Original legen ihm die Verfasser das russische W o r t „волокита" in den Mund (die lateinische Schreibung soll wahrscheinlich die fremdartige Aussprache des Wortes symbolisieren). Волокита war in den dreißiger Jahren ein Modewort und zugleich Schlagwort der antibürokratischen Kritik. Die Ubersetzer hielten es nicht für möglich, das W o r t unübersetzt in den deutschen Text zu übernehmen, da seine referentielle Bedeutung dabei dem deutschsprachigen Leser unverständlich geblieben wäre. Um aber das hier wichtigste Ausdrucksmit*/. Ilf, J. Petrow: Die Jagd nach der Million. Übersetzt von B. Brod, M. von Pruss-Glowatzky und R. Hoffmann, Berlin 1968, S. 199. 16*
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tel — das russische Wort im Munde des Ausländers — zu bewahren, ersetzen die Ubersetzer das deutsche W o r t „reноссе" des russischen Textes im deutschen Text durch das russische „towaristsch", wodurch das Gleichgewicht einigermaßen wiederhergestellt wird. Das nachstehende Beispiel aus demselben B o m a n zeigt wieder eine andere Art der Kompensation: И до самой своей смерти квартирант будет сыпать юридическими словечками..., будет говорит не „наказывается", а , наказуется", не ( поступок", а „деяние". Bis zum Tode wird solch ein Mieter Begriffe der Jurisprudenz im Munde führen... Er wird nicht „bestraft" sagen, sondern geahndet", nicht Vergehen", sondern Delikt". » Im Original wird der Gegensatz zwischen der neutralen Alltagssprache und der Amtssprache zum literarischen Ausdrucksmittel erhoben. Im ersten Wortpaar beruht im Russischen die Gegenüberstellung auf der unterschiedlichen Konjugation ein und desselben Verbs in verschiedenen Stilen. Da es im Deutschen keine vergleichbare Unterscheidung gibt, wird die hier vorrangig wichtige pragmatische Bedeutungsmarkierung der grammatischen Formen durch die Verwendung eines geeigneten Synonympaars, also durch ein lexikalisches Mittel, kompensiert. Beim zweiten Wortpaar bleibt die Markierung auf lexikalischer Ebene dadurch erhalten, daß Wörter mit abweichender referentieller Bedeutung verwendet werden, was ebenfalls als Kompensation zu werten ist. Wie aus diesen Beispielen ersichtlich ist, wird die K o m pensation vor allem dort benutzt, wo ausgesprochen intralinguistische Bedeutungen wiedergegeben werden müssen, in denen sprachliche Besonderheiten des Originals zum Ausdruck kommen — mundartliche Färbung und andere Abweichungen v o n der Sprachnorm, individuelle Redecharakteristika, Wortspiele u. a. — sowie bei der Wiedergabe pragmatischer Bedeutungen, wenn in der Zielsprache direkte Äquivalente für die jeweiligen AS-Einheiten fehlen. Die Kompensation ist eine anschauliche Bestätigung des von uns bereits wiederholt betonten Grundsatzes, wonach die Äquivalenz der Übersetzung nicht auf der Ebene einzelner Textelemente (namentlich der Wörter) gewährleistet 244
wird, sondern auf der Ebene des gesamten Textes. Anders ausgedrückt heißt das: Es gibt zwar unübersetzbare[Details, aber'"es gibt keine unübersetzbaren Texte.
3. ERGÄNZUNGEN
§ 56. Lexikalische Ergänzungen im Text der Ubersetzung können aus verschiedenen Gründen notwendig werden. Die wohl häufigste Ursache ist das, was man als „f o r m e 1 1 e U n a u s g e d r ü c k t h e i t " der s e m a n t i s c h e n K o m p o n e n t e n einer W o r t v e r b i n d u n g in der Ausgangssprache bezeichnen darf. Für die W o r t v e r b i n dungen der englischen Sprache ist diese Erscheinung besonders charakteristisch. V o m Standpunkt der generativen Grammatik aus kann man das als „Ellipse" oder „Weglassung" bestimmter in der Tiefenstruktur des Satzes enthaltener semantischer Elemente bei deren Transformierung in die Oberflächenstruktur auffassen. V o n dieser „Ellipse" sind oft Wörter betroffen, die der amerikanische Sprachwissenschaftler Z. Harris als „passende Wörter" (appropriate words) bezeichnet. In einer seiner Arbeiten* definiert Harris den Begriff des „passenden Wortes" folgendermaßen: „ . . . the main word to occur with the particular other words... in the given culture or subject matter." Als Beispiel gibt er die Wortgruppen violin prodigy, wo playing das „passende W o r t " ist, und violin merchant mit dem „passenden W o r t " selling. Diese Wortgruppen lassen sich somit als Derivate der Tiefenstrukturen violin-playing p r o d i g y b z w . violin-selling merchant interpretieren, in denen beim Ubergang zur Oberflächenstruktur das „passende W o r t " weggelassen wird. Gleichermaßen kann im Satz I began the book als „passendes W o r t " entweder to read auftreten, falls im weiteren K o n t e x t von einem Leser die Bede ist, oder aber to write, falls es um einen A u t o r geht, nicht aber to b u y , das hier als „passendes W o r t " nicht in Frage k o m m t . Da in verschiedenen Sprachen die Oberflächenstruktur von Sätzen mit gleicher Tiefenstruktur verschieden sein kann, müssen bei der Ubersetzung die in der Ausgangssprache weggelassenen „passenden Wörter" unter Umständen „rekonstruiert" werden. Darauf beruht eben die Transforma*Z. S. Harris: Papers in Structural and Transformational Linguistics. Dordrecht 1970, pp. 559/60.
245
tion der Ergänzung, die besonders bei der Ubersetzung aus dem Englischen so häufig auftritt. (Für die Struktur des Deutschen und insbesondere des Russischen ist die Ellipse der „passenden Wörter" offenbar weniger typisch als für das Englische, was allerdings noch einer umfassenden Prüfung und Begründung bedarf.) Als Beispiel wollen wir folgenden Satz untersuchen: The new American Secretary of State has proposed a world conference on food supplies. In der Wortverbindung has proposed a world conference ist eine Komponente der Tiefenstruktur weggelassen, der das „passende Wort" to call (einberufen) entspricht. Diese semantische Komponente, die im englischen Satz (in seiner Oberflächenstruktur) „formell unausgedrückt" bleibt, muß in anderen Sprachen auf Grund der in ihnen geltenden Normen explizit ausgedrückt werden: \J Der neue US-Außenminister schlug die Einberufung einer Welternährungskonferenz vor. Новый государственный секретарь США предложил созвать всемирную конференцию по вопросам продовольственных ресурсов. Ein weiteres Beispiel: Is it surprising then that Japan's Premier Tanaka should have sent a letter to Leonid Brezhnev... proposing that negotiations be reopened on a peace treaty? („Daily World", 28.III.73) Das „passende Wort" zu peace treaty ist to conclude. In der deutschen und russischen Ubersetzung ist diese Bedeutung formell zum Ausdruck zu bringen, es muß daher heißen: ... mit dem Vorschlag, die Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrages wiederaufzunehmen. ... предлагая возобновить переговоры о заключении мирного договора. Selbstverständlich gilt das Gesagte nicht nur für Übersetzungen aus dem Englischen. Auch in der deutschrussischen Ubersetzung kommen ähnliche Situationen vor, in denen implizite „passende Wörter" aus der Tiefenstruktur erst durch die Ubersetzung zu formellem Ausdruck gelangen, z. В . : 246
Dunkle Stimme aus dem Dunkeln, die etwas Zweifelhaftes zu verkünden scheint. (H. Boll, Hier ist Tibten) Гулкий голос, громыхающий из тьмы, — кажется, что он вещает нечто сомнительное... Das „passende W o r t " zu Stimme ist tönen, es wird durch ein S y n o n y m der äquivalenten Wortreihe ins Bussische übertragen. Es bestehe immer noch Hoffnung auf Erdöl in Z i m p ren... ( I i . B o l l , Der Bahnhof von Zimpren) Перспектива возобновления добычи нефти в Цимпрене ... несомненно существует. Hier ist das fehlende „passende W o r t " zu Erdöl — gewinnen — in erweiterter Form im russischen Ubersetzungstext ausgedrückt. Die „formelle Unausgedrücktheit" semantiscli selbstverständlicher Komponenten ist ein typisches Merkmal der zusammengesetzten Substantive der deutschen Sprache wie z. B. Lohnforderung (Forderung nach höherem Lohn), W a f fenschein (Schein, der zum Tragen von W a f f e n berechtigt), Stromsperre (Sperre der Stromlieferung), Wirtschaftsredakteur (Bedakteur des Wirtschaftsteils) usw. Bei der Ubersetzung ins Russische werden diese Wörter meist nicht durch zweigliedrige, sondern gemäß ihrer semantischen Struktur durch mindestens dreigliedrige Wortgruppen wiedergegeben: требование о повышении заработной платы, удостоверение на право ношения оружия, прекращение подачи тока, редактор отдела экономики u. clgl. Diese Transformation hat aber nicht uneingeschränkte Geltung, da auch im Bussischen die Weglassung des „mittleren Gliedes" an sich möglich ist, wenn auch seltener als im Deutschen. Vgl. z. B. Berufsverbot (Verbot, einen Beruf auszuüben) — запрет па профессии. Es gibt auch andere Ursachen für die Aufnahme ergänzender Wörter in die Ubersetzung. Oft sind lexikalische Ergänzungen notwendig, um in der Ubersetzung Bedeutungen zum Ausdruck zu bringen, die im Original in den grammatischen Formen „verborgen" sind. Beispiele dafür brachten wir u. a. im Abschnitt, in dem die Wiedergabe des Plusquamperfekts behandelt wurde: die Vorzeitigkeit der Handlung wird im Russischen durch Adverbien zum Ausdruck gebracht.* »Diese Transformation läßt sich auch als Substitution grammatischer Ausdrucksmittel durch lexikalische deuten.
247
Typisch sind lexikalische Ergänzungen bei der Wiedergabe deutscher Substantive im Plural, die im Russischen nur in der Singularform vorkommen wie z. B. Lügen — лживые утверждения; Schlüsselindustrien — ключевые отрасли промышленности; moderne Technologien — современные технологические методы; konventionelle W a f f e n — обычные виды о р у ж и я . Ergänzungen werden manchmal notwendig, um Mißverständnissen vorzubeugen, wenn die im Ausgangstext eindeutige Aussage bei der Ubersetzung im System der Zielsprache mehrdeutig wird, z. В . : Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt. ( K . Marx, F. Engels, „Manifest der Kommuni-
stischen Partei")
Все прочие классы приходят в упадок и уничтожаются с развитием крупной промышленности, пролетариат же есть её собственный п р о д у к т . * Die Ergänzung с развитием ist erforderlich, um die mißverständliche Auffassung, als ob „die übrigen Klassen" zusammen mit der großen Industrie untergingen, zu verhindern.** Oder ein ähnlicher Fall: Nach dem gestrigen Zusammenstoß mit dem Reichskanzler, wobei Wahlgeheimnisse platzten, ist Marokko gefährlich geworden. (H. Mann, Publizistische Schriften, S. 24) После вчерашней стычки с рейхсканцлером, в ходе которой с треском лопались секреты избирательной компании, вопрос о Марокко стал опасным. Der Zusatz ist notwendig, weil sonst der Staat Marokko als Gefahrenquelle (etwa als Aggressor) aufgefaßt würde, während es sich hier um das Thema Marokko, um die politischen Verwicklungen um dieses Land herum, handelt. Es können aber auch rein stilistische Erwägungen sein, die den Übersetzer zur Ergänzung des ZS-Textes durch hinzugefügte Wörter veranlassen, z. В . : *K. Маркс, Ф. Энгельсу „Манифест коммунистической партии". М . , с. 43. **Dieses und das folgende Beispiel analysiert S. Roganowa а. a. 0, S. 23.
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Nie empfand ich das Geheimnis des ewig Fremden der Frau mehr, als bei diesem leisen H i n - und Hergehen vor dem Spiegel, ... diesem ganz in sich Versinken, diesem Zurückgehen in den unbewußten Spürsinn des Geschlechtes. (E. M. Remarque, Drei Kameraden, X V I I I ) Никогда еще я не чувствовал с такой силой вечную непостижимую тайну женщины, как в минуты, когда она тихо двигалась перед зеркалом ... полностью растворяясь в себе, уходя в подсознательное необъяснимое ощущение своего пола. In diesem kurzen Auszug sind v o m Übersetzer mehrere Wörter ergänzt worden, um eine den Stilnormen der Z i e l sprache v o l l k o m m e n entsprechende Fassung der Ubersetzung zu erreichen. (Über pragmatisch bedingte Ergänzungen s. § 33.)
4. Weglassungen § 57. Die Weglassung ist eine der Ergänzung entgegengesetzte Transformation. Bei der Ubersetzung werden meistens die semantisch r e d u n d a n t e n Wörter weggelassen, deren Bedeutungen sich auch ohne ausdrückliche Bezeichnung aus dem T e x t erschließen lassem Sowohl das Sprachsystem als Ganzes als auch die konkreten Redeprodukte besitzen bekanntlich ein hohes Maß an Redundanz, wodurch die Weglassungen im Ubersetzungsprozeß m ö g l i c h werden. Ein Beispiel von Redundanz sind u. a. die in bestimmten Stilen des Englischen weitverbreiteten „ S y n o n y m p а а r e", die gleichzeitige Verwendung von zwei sinnverwandten Wörtern (mit gleicher oder sehr ähnlicher referentieller Bedeutung), die durch die Konjunktion and gekoppelt sind. Dies ist insbesondere für juristische Dokumente und andere Texte juristischen Inhalts typisch. Bei der Übersetzung ins Deutsche oder ins Russische wird eines der beiden Wörter weggelassen (das Wortpaar wird durch ein einziges S y n o n y m substituiert). Vgl. z. B. just and equitable treatment — gerechte Behandlung — справедливое обращение; the proposal was rejeeted and repudiated — der Vorschlag wurde abgelehnt — предложение было отвергнуто, by force and violence — mit Gewalt — насильственным путем.* *Vgl. 17-019
Т. R. Lewizkaja, А. M. Fiterman: а. a. 0 . , S. 99. 249
Dasselbe Stilmittel Texten vor, z. B . :
kommt
auch
in
publizistischen
The bold and courageous struggle of the working class and its Communist Party carried the day. („Daily W o r l d " , 20.III.73) Der mutige Kampf der Arbeiterklasse und ihrer K o m munistischen Partei waren von Erfolg gekrönt. Sehr häufig bedient man sich dieses Mittels in der öffentlichen Rede. Als Beispiel bringen wir nachstehend einen Auszug aus der Rede eines Delegierten in der X I V . U N O Vollversammlung am 25. September 1959: Judging by all external appearances, this session of our Assembly is regular and normal... Yet the atmosphere is neither usual nor seasonal, for this session stands outside the pattern of the thirteen sessions held since the days of San Fransisco. The fateful events that are rushing into the international arena ... are neither of a usual character nor of an ordinary nature... It is a unique session — happily and fortunately led by a unique President. Die im Text durch Fettdruck hervorgehobenen Stellen sind „Synonympaare". Da im heutigen Deutsch ein solcher Gebrauch v o n Synonymen unüblich ist, werden hier in der Übersetzung Weglassungen erforderlich: Nach den äußeren Merkmalen zu urteilen, ist dies eine ganz gewöhnliche Tagung unserer Vollversammlung... Aber die Atmosphäre, in der sie verläuft, ist alles andere als gewöhnlich, denn... Die bedeutsamen Ereignisse, die sich in der W e l t vollziehen, besitzen einen wahrhaft außerordentlichen Charakter. Es ist dies eine ganz besondere Tagung, die zum Glück ein hervorragender Präsident leitet. Die Verwendung von „Synonympaaren" ist nicht immer ein Stilmittel. Manchmal beruht sie auf anderen Faktoren wie etwa im folgenden Satz, der aus einem wissenschaftlichtechnischen Text stammt: Burning or combustion is the process of uniting a f uel or combustible with the oxigen in the air. 250
Hier werden im Text die technischen Fachausdrücke combustion, combustible verwendet, die dem fachlich unbewanderten Leser fremd sein können. Deshalb werden diese Wörter für den Laien durch den parallelen Gebrauch der englischen Wörter burning, fuel erläutert. Da aber die deutschen Äquivalente „Brennen, Brennstoff" allgemein verständlich sind und keiner Erläuterung bedürfen, wird bei der Übersetzung die Redundanz durch das Weglassen des jeweils zweiten Wortes im Synonympaar beseitigt: Das Brennen ist der Prozeß der Vereinigung des Brennstoffs mit dem in der Luft enthaltenen Sauerstoff. V o n der Weglassung können auch ganze Wortgruppen und sogar Sätze betroffen worden, wenn sie, wie im vorstehenden Beispiel, eine lediglich für den AS-Leser relevante Erläuterung irgendeines anderen Textelements darstellen. Sehr aufschlußreich ist nachstehendes Beispiel, das im Handbuch v o n S. Boganowa gegeben wird: ... главнокомандующий рейхсвером (так именовались вооруженные силы Германской республики) генерал К у р т фон Гаммерштейп-Экворд... (J1. А. Безы)
меиский, Германские генералы — с Гитлером и без негоral
... der Chef der Heeresleitung der Reichswehr, GeneKurt Freiherr von Hammerstein-Equord...
(Für den deutschsprachigen Leser ist die Erläuterung Begriffs „Reichswehr" überflüssig.) Jeder Text kann natürlich außer den hier ausführlich behandelten „Synonympaaren" und den mit ihnen semantisch verwandten Erläuterungen, auch redundante Elemente enthalten. Jeder Fall von semantischer Wiederholung bzw. jede aus dem Zusammenhang erschließbare Wortbedeutung sind potentielle Objekte der Weglassung. Das läßt sich u. a. an Beispielen aus der schönen Literatur nachweisen: des
'
17*
Ich rief den Hund zu mir und setzte mich in den Sessel neben das Fenster./Ich liebte es, so still dazusitzen und Pat zuzusehen, währeud sie sich anzogT(E. M. Remarque, Drei Jfamerad^^XVYlT) Я подозвал собаку и уселся в кресло у окна. Я _ д ю ^ и л смотреть, как Пат одевается. 251
Es war eine breite viergleisige Brücke über den Rhein und auf viele schwere Strompfeiler gestützt. (H. Boll,
Über die Brücke)
Большой четырехколейный мост через Рейн, покоившийся на каменных быках. Man nimmt an, daß den Ungeheuern schnell das Benzin ausgehen wird. Dann bleiben sie an der Straße liegen, wissen Sie. (B. Brecht, Die Gesichte der Simone
Machard, I)
Полагают, что этим чудовищам скоро не хватит бензина. Тогда они застрянут. Понимаете? Die Beseitigung semantisch redundanter Elemente des Ausgangstextes befähigt den Ubersetzer zur sogenannten „ T e x t k o m p r e s s i o n", d . h . zur Verringerung des Textumfangs in der Übersetzung gegenüber dem Original. Dies ist häufig notwendig, weil die zahlreichen Zusätze und Erläuterungen, die der Ubersetzer (meist aus pragmatischen Gründen) während der Übersetzung einfügen muß, um den Text verständlich zu machen, sonst ein übermäßiges „Anschwellen" des Textes zur Folge haben könnten. Um diese Tendenz aufzufangen, muß sich der Übersetzer, soweit dies die Sprach- und Stilnormen der Zielsprache zulassen, stets um die Kürze des Ausdrucks bemühen, indem er die semantisch redundanten Elemente des Ausgangstextes wegläßt.* Weglassungen werden aber nicht immer nur durch sprachliche Redundanz des Ausgangstextes bedingt. Manchmal haben sie auch andere Gründe. Die für das Englische kennzeichnende Tendenz zur größtmöglichen Konkretisierung; die sich im ausgiebigen Gebrauch von Zahlwörtern und Maßangaben äußert, wo dies semantisch eigentlich nicht m o t i viert ist, veranlaßt den Ubersetzer ebenfalls zu Weglassungen. Ein Beispiel:** About a gallon of water was dripping down my neck, getting all over my collar and tie... (J. Salinger, The
Catcher in the Rye, 20)
Das W a s s e r strömte mir am Nacken herunter, Schlips und Kragen waren schon ganz naß... *Еще ausführliche Behandlung dieser Frage enthält folgende Arbeit: А. Д. Швейцер: Перевод и лингвистика, с. 199—206. **Т. Д. Lewizkaja, А. М. Fiterman: а. а. 0., S. 28.
252
Вода с головы лилась за шиворот, весь галстук промок, весь воротник... (Uber Weglassungen aus pragmatischen Gründen s. § 33.)
Zum Schluß möchten wir noch einmal betonen, daß die hier aufgezählten Ubersetzungstransformationen (wie aus den angeführten Beispielen ersichtlich ist), kaum „in Reinkultur" vorkommen. Meist k o m m e n verschiedene Transformationen zugleich vor und verflechten sich miteinander: Eine Umstellung ist von einer Substitution begleitet, eine grammatische Umwandlung von einer lexikalischen usw. Ebendieses fazettenreiche, komplexe Wesen der Transformationen macht die Übersetzung zu einer so schwierigen und mühevollen Arbeit. Der bekannte englische Philosoph I. A. Richards hat wohl nicht allzusehr übertrieben, wenn er sagte: „Es ist durchaus möglich, daß wir es hier mit dem kompliziertesten aller Prozesse zu tun haben, der im Zuge der E v o l u t i o n je im W e l t a l l entstanden ist."* Auch wenn das eine Übertreibung ist, so weicht sie doch nicht zu sehr von der Wahrheit ab.
*/. A. Richards: Towards a Theory of Translating. „Studies in Chinese Thought", ed. by A. F. Wright, 1953, pp. 247—262.
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SCHLUSSBEMERKUNGEN
In der vorliegenden Arbeit ist in allgemeinen Zügen eine Auffassung dargelegt, für die das Wesen der Ubersetzung ein zwischensprachlicher Transformationsprozeß ist, und die in den Rahmen eines als „semantisch-semiotisch" zu bezeichnenden Modells eingeordnet ist. Das Wesen dieses Modells läßt sich bei nichtformalisierter Betrachtung auf folgendes reduzieren: Dem Übersetzer wird ein Text in der Ausgangssprache vorgegeben, bei dem es sich um eine nach bestimmten Begeln aufgebaute und eine bestimmte Information enthaltende Folge v o n Einheiten handelt, die zum gegebenen Zeichensystem (dem AS-System) gehören. Die Aufgabe des Übersetzers ist die Umwandlung dieses Textes in einen ihm äquivalenten Text in einer anderen Sprache (Zielsprache). Unter „Äquivalenz" ist „gleicher Informationsgehalt" zu verstehen, „äquivalent" sind in diesem Sinne Texte, die denselben semantischen Inhalt haben, obwohl sie sich in der Art unterscheiden, wie dieser Inhalt ausgedrückt wird. Da der T e x t eine Folge sprachlicher oder, anders ausgedrückt, semiotischer (zeichenmäßiger) Einheiten ist, kann und muß der semantische Gehalt (die Bedeutung) dieser Einheiten und des gesamten Textes durch die Feststellung von Verbindungen zwischen diesen Einheiten und den außerhalb dieser Einheiten liegenden Dingen erschlossen werden, d. h. durch Aufdeckung der Beziehungen zwischen den Zeicheneinheiten und dem, was sie bezeichnen, sowie der Beziehungen der Zeicheneinheiten untereinander. Auf diese Weise werden drei T y p e n von Beziehungen festgestellt: die Beziehungen zwischen dem Zeichen und seinem Referenten, die 254
Beziehungen zwischen dem Zeichen und seinem „Benutzer" (der Sprachgemeinschaft) und die Beziehungen der Zeichen untereinander innerhalb des jeweiligen sprachlichen Systems. Mit anderen Worten, es werden drei Typen v o n Bedeutungen nachgewiesen — die referentiellen, die pragmatischen und die intralinguistischen. Da aber ein T e x t nicht schlechthin eine Folge von Zeicheneinheiten ist, sondern eine auf bestimmte Art und Weise organisierte und integrierte Zeichensequenz, erschöpft sich das Verstehen eines Textes nicht im Verstehen der Bedeutungen der diesen Text bildenden Einheiten, sondern es setzt eben voraus, daß der Text als einheitliches Ganzes verstanden wird, und daß es zu einer „Integration" aller drei Bedeutungsarten der sprachlichen Einheiten im Rahmen des gesamten Redeprodukts kommt. Es ist die Aufgabe des Übersetzers, nachdem er die Bedeutung des Ausgangstextes verstanden hat, dieselbe Bedeutung (oder richtiger dasselbe System von Bedeutungen) mit den Mitteln einer anderen Sprache auszudrücken. Da dabei eine zwischensprachliche Transformation v o l l z o g e n , d. h. das eine Zeichensystem gegen ein anderes (wenn auch gleichartiges) ausgetauscht wird, entstehen unvermeidlich semantische Verluste, von denen vorwiegend die intralinguistischen Bedeutungen des Ausgangstextes betroffen sind, aber nicht nur diese allein. Es ist die Pflicht des Übersetzers, diese Verluste zu minimalisieren, d. h. die größtmögliche Äquivalenz des AS-Textes und des ZS-Textes zu gewährleisten (ohne sich darüber zu täuschen, daß die Sicherung einer „hundertprozentigen" Äquivalenz eine im Grunde unausführbare A u f gabe ist, ein anzustrebendes Ideal, das nie erreicht werden kann). Dies veranlaßt den Ubersetzer, eine „ B a n g f o l g e " der wiederzugebenden Bedeutungen festzulegen, indem er bestimmt, welche Inhalte i m j e w e i l s v o r l i e g e n d e n T e x t vorrangig erhalten werden müssen und welche man opfern muß, um die höchstmögliche Äquivalenz zu erreichen. Das a l l g e m e i n s t e Prinzip der Rangfolge läßt sich zwar vereinfacht in der Reihe „referentielle Bedeutungen — pragmatische Bedeutungen — intralinguistische Bedeutungen" zusammenfassen, aber die Praxis zwingt häufig zu A b weichungen von diesem Prinzip, vor allem bei der Ubersetzung mit vorwiegend pragmatischer bzw. vorwiegend intralinguistischer Orientierung. 255
Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich der Ubersetzungsprozeß in zwei Grundphasen zerlegen, denen zwei Etappen in der Arbeit des Ubersetzers am Text entsprechen — die Phase der Analyse und die Phase der Synthese. Das Wesen der ersten Phase ist die E r f a s s u n g der Bedeutung (der Summe bzw. dos Systems der Bedeutungen) des Ausgangstextes durch den Ubersetzer; das Wesen der zweiten ist die F o r m u l i e r u n g derselben Bedeutung (der Summe oder des Systems der Bedeutungen) mit den Mitteln einer anderen Sprache. Die erste Phase, die Erfassung oder das Verstehen, verlangt die Erschließung der Hierarchie des sprachlichen Systems v o m Morphem (unter Umständen sogar v o m Phonem bzw. Graphem) bis hin zum gesamten Text. Die zweite Phase, d. h. die Neuformulierung der erfaßten Bedeutung mit den Mitteln einer anderen Sprache, erfordert die Auffindung der für den Ausdruck der gleichen Bedeutung geeigneten Einheiten auf allen Ebenen der Hierarchie der Zielsprache. Infolge der Differenzen in der formellen und semantischen Struktur sind dabei zahlreiche und k o m plizierte Umwandlungen oder Transformationen unvermeidlich. Da sich der Ubersetzer aber dessen bewußt ist, daß jede Umwandlung einen gewissen Informationsverlust nach sich zieht, ist er bestrebt, diese Transformationen auf ein vertretbares Mindestmaß zu reduzieren, soweit dies die lexikalischen, grammatischen und stilistischen Normen der Z i e l sprache und die pragmatischen Faktoren erlauben. Bildhaft ausgedrückt, laviert der Übersetzer stets zwischen der Scylla der buchstäblichen und der Charybdis der freien Ubersetzung, er versucht, die enge, aber befahrbare Passage zwischen ihnen zu finden, die ihn zum ersehnten Ziel, eben zur optimal äquivalenten Ubersetzung, hinzuführen vermag. Dies sind, in großen Zügen, die Grundbegriffe des von uns vertretenen semantisch-semiotischen Ubersetzungsmodells. Dieses Modell dürfte sich im Prinzip auch formalisieren lassen, nur sind dazu bestimmte Voraussetzungen notwendig, die zur Zeit nicht vorhanden sind. Die wichtigste unter diesen Voraussetzungen wäre die Ausarbeitung einer objektgerechten linguistischen Theorie der Bedeutungen, die streng genug und zugleich formalisiert sein müßte. In dieser H i n sicht ist es noch ein sehr weiter W e g zum gesteckten Ziel. Bisher wurden die semantischen Probleme fast ausschließlich am Material der untersten Ebenen der sprachlichen Hierarchie — der Morphemebene und der Wortebene — 256
behandelt. V o n der semantischen Struktur der Einheiten höherer Ordnungen — der Wortgruppen, der Sätze und ganzer Texte — besitzen wir bisher eine recht vage Vorstellung. Es wäre aber von besonderem Wert für die Ubersetzungstheorie, gerade die Gesetze aufzudecken, nach denen die „Integration" der Bedeutungen diskreter Einheiten im Bahmen des Redeprodukts als eines ganzheitlichen Systems erfolgt. Diese Aufgabe wird jetzt eigentlich erst in Angriff genommen. Die Theorie der Semantik (die Semasiologie) hat sich bisher zudem fast ausschließlich auf die Untersuchung referentieller Bedeutungen konzentriert und den anderen Bedeutungstypen — den pragmatischen und den intralinguistischen — kaum Beachtung geschenkt. Der Begriff der äquivalenten Ubersetzung aber impliziert die möglichst vollständige Wiedergabe der gesamten im Ausgangstext enthaltenen Information und nicht nur der referentiellen Bedeutungen der diesen Text bildenden Sprachelemente. Und schließlich ist sowohl für die Erfassung als auch für die Neuformulierung des gesamten Bedeutungssystems eines Redeprodukts (eines Textes) die Berücksichtigung der extralinguistischen Faktoren unerläßlich, die den Prozeß der Redekommunikation determinieren: des Gegenstandes („Thema") der Aussage, der Teilnehmer des Kommunikationsprozesses („Absender" und „Empfänger"), der Situation der Äußerung (Zeit, Ort und Bedingungen, in denen der K o m munikationsprozeß abläuft). Dabei wissen wir nicht einmal, ob sich diese extralinguistischen Aspekte der Redetätigkeit überhaupt formalisieren lassen, und wie dies geschehen kann, falls es grundsätzlich möglich ist. Eine objektgerechte Ubersetzungstheorie darf aber keinesfalls als ausschließlich mikrolinguistische Disziplin ausgebaut werden, die von den äußeren, nichtsprachlichen Realisierungsbedingungen des Redeaktes absieht. Alle diese Schwierigkeiten, die der Entwicklung eines exakten und strengen semantisch-semiotischen Modells der Ubersetzung im Wege stehen, sind durchaus real und nicht unerheblich, doch unüberwindlich sind sie nicht. Unseres Erachtens besitzt dieses Modell nicht nur volle Existenzberechtigung, sondern es kann sich in vielen Hinsichten anderen Modellen gegenüber überlegen zeigen. Der Versuch, die Ubersetzungstheorie, von den Einheiten der Ausdrucksebene ausgehend, aufzubauen („Ubersetzung lexikalischer Einheiten", „Ubersetzung grammatischer Formen", „Wiedergabe 257
der W o r t f o l g e " usw.) erwies sich zwar als praktisch nützlich, doch theoretisch wirkungslos, denn es k o m m t bei der Übersetzung vor allem darauf an, was eigentlich ausgedrückt wird, das W i e aber ist dem W a s stets untergeordnet (wie überhaupt in jedem Kommunikationsakt die mitgeteilte Information der Zweck und die Art der Mitteilung eben das Mittel zu diesem Zweck ist). Deshalb muß ein einigermaßen objektgerechtes und aussagekräftiges Modell der Übersetzung vor allem ein semantisches Modell sein. Da aber die Semantik, d. h. die Bedeutung, eine Zeichenfunktion ist, so muß dieses Modell notwendigerweise zugleich ein semiotisches sein. Dies soll nicht etwa heißen, daß es keinen anderen W e g zur Ergründung der Übersetzung geben kann. Die Übersetzung ist eine zu komplexe und vielseitige Erscheinung, als daß sie sich vollständig im notwendigerweise beschränkten Bahmen eines einzigen Modells oder theoretischen Schemas unterbringen ließe. Je mehr derartige Modelle oder Schemata angewandt werden, desto besser und tiefer kann die Wissenschaft in das Wesen der Übersetzung eindringen. W i r wollen hoffen, daß auch die in dieser Arbeit dargelegten Beobachtungen und Erkenntnisse sich in diesem Sinne als nützlich erweisen werden. Das Problem hat aber auch eine andere Seite — es geht auch um den praktischen Wert der Untersuchungen im Bereich der Ubersetzungstheorie. Für die Ubersetzungstheorie als angewandte wissenschaftliche Disziplin hat dieser Aspekt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Obwohl die Ubersetzungstheorie, wie schon betont wurde, von der Praxis ausgeht und ihre Erkenntnisse aufgrund der Auswertung des ihr zur Verfügung stehenden Materials formuliert, projiziert sie sodann diese Erkenntnisse in clie Praxis in F o r m von Empfehlungen und normativen Orientierungen. Auf die Praxis gestützt, bahnt ihr die Ubersetzungstheorie zugleich den W e g . Fleutzutage, da der Beruf des Ubersetzers zu einem Massenberuf geworden ist, und da jeder, der mit dem Fremdsprachenstudium zu tun hat oder Fremdsprachenkenntnisse in seiner Arbeit anwendet, stets irgendwie auch mit der Übersetzung in Berührung k o m m t , ist die Bekanntschaft mit den Grunderkenntnissen der Übersetzungstheorie für jeden unerläßlich, der nicht im dunkeln tappen und sich die Mühe ersparen will, längst gemachte Entdeckungen nachzuvollziehen. Ohne eine wissenschaftlich fundierte Ubersetzungstheorie ist gegenwärtig eine erfolgreiche Uber258
setzungspraxis undenkbar — dies ist eine unumstößlich feststehende Wahrheit, die anzufechten ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Man darf sich aber auch nicht dem naiven Glauben hingeben, daß die Kenntnis der Prinzipien und Lehrsätze der Ubersetzungstheorie das „handwerkliche K ö n nen" des Übersetzers selbst ersetzen könne. Man denke stets daran, daß, „die Ubersetzung viel mehr ist als eine Wissenschaft. Sie ist auch ein Können, und eine qualitativ einwandfreie Ubersetzung ist schließlich immer auch eine K u n s t " * .
P.
*E. Kida and Ch. Taber: The Theory and Practice of Translation. VII.
Inhalt Vorwort Vorbemerkung des Übersetzers Erstes Kapitel. Das Wesen der Übersetzung 1. Der Gegenstand der Ubersetzungstheorie 2. Das Wesen der Übersetzung 3. Die Stellung der Übersetzungstheorie unter den anderen wissenschaftlichen Disziplinen 4. Arten der Übersetzung Zweites Kapitel. Sprachliche Bedeutungen und Übersetzung 1. Die Grundlagen tungen 2. Die sprachlichen Drittes Kapitel. Übersetzung 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Die Der Die Die Der
der
Theorie
der
sprachlichen
Bedeu-
Bedeutungen und die Übersetzung
Die semantischen
Entsprechungen
bei
Wiedergabe der referentiellen Bedeutungen Wiedergabe der pragmatischen Bedeutungen pragmatische Aspekt der Übersetzung Wiedergabe der intralinguistischen Bedeutungen grammatischen Bedeutungen in der Übersetzung Kontext und die Situation in der Übersetzung
Viertes Kapitel. Das Problem der Übersetzungseinheiten Fünftes Kapitel. Die Übersetzungstransformationen 1. Umstellungen 2. Substitutionen a) Substitutionen der W o r t f o r m e n b) Substitutionen der Wortarten c) Substitutionen v o n Satzgliedern
der
d) e) f) g)
Syntaktische Substitutionen im zusammengesetzten Satz Lexikalische Substitutionen Antonymische Ubersetzung Kompensation
223 231 238 240
3. Ergänzungen 4. Weglassungen
245 249
Selilußbemerkungen
254
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God nie lit in der UdSSR
И Б № 4371 Редактор русского текста Л. С. Небыкова Редактор немецкого текста М. Толстова Художник И. Борисова Художественный редактор В. Гории Технический редактор А. Токер Корректоры Г. Кононова, 3. Петровская Сдано в набор 25.12.1978 г. Подписано в печать 23.05.1979 г. Формат 84X1081/32 Бумага типограф. № 1 Гарнитура обыкновенная новая Печать высокая Условн. печ. л. 12,6 Уч.-изд. л. 15,08. Тираж 2000 экз. Заказ № 019 Цена 2 руб. 61 коп. Изд. М 26765 Издательство «Прогресс» Государственного Комитета СССР по делам издательств, полиграфии и книжной торговли. Москва 119021, Зубовский бульвар, 17 Ордена Трудового Красного Знамени Московская типография № 7 «Искра революции» Союзполиграфпрома Государственного Комитета СССР по делам издательств, полиграфии и книжной торговли. Москва 103001, Трехпрудный пер., д. 9